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DIE ROBOTER-SCHULE
DAS BEETHOVENPRINZIP
Nur wenige heimische Unternehmen nutzen das Potenzial von künstlicher Intelligenz. Das Forschungsprojekt Interactive zeigt an konkreten Fällen, wie maschinelles Lernen funktioniert.
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Text: Markus Mittermüller • Foto: Adobe Stock
Von seiner 10. Sinfonie hat Ludwig van Beethoven nur Skizzen hinterlassen. Wie würde sich diese anhören, hätte sie der als Genie geltende Komponist auch vollendet? Ein Team von Musikwissenschaftlern und Programmierern wollte genau das wissen. Mit künstlicher Intelligenz (KI) hat es nun tatsächlich etwas vollendet, das dem Meister vor seinem Tod nicht mehr gelang. Dazu wurde eine eigene „Beethoven-KI“ entwickelt, die auf einen USB-Stick passt. Kann sich die Wirtschaft hier etwas von der Kunst abschauen? Immer wieder wird von künstlicher Intelligenz als entscheidendem Zukunftsfaktor gesprochen. Das Potenzial davon ist aber noch lange nicht ausgereizt. Vor allem Österreich hinkt im internationalen Vergleich deutlich hinterher. So kam KI im Jahr 2018 bei nur zwölf Prozent der heimischen Betriebe zur konkreten Anwendung, wie eine Studie der Boston Consulting Group (BCG) herausgefunden hat. Die Studie zeigt auch das beachtliche Potenzial zur Produktions- und Effizienzsteigerung, das die österreichischen Unternehmen hier auslassen. So rechnet die BCG-Studie mit fünf Milliarden Euro zusätzlicher Wertschöpfung durch den Einsatz von KI in der heimischen Industrie.
Mensch trifft Maschine
Ein zweijähriges Forschungsprojekt namens Interactive will nun vorzeigen, wie mithilfe von künstlicher Intelligenz die Qualität der Produktion verbessert werden kann. Ziel dieses Projekts der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) ist die Erforschung und Entwicklung neuartiger interaktiver Lernmethoden, die den Menschen in den maschinellen Lernprozess einbeziehen. Das Grundprinzip ist dabei ähnlich wie bei der Entwicklung der Beethoven-Sinfonie. Die Prozesse sind wie eine Art Pingpong-Spiel zwischen Mensch und Maschine. Die KI macht auf Basis ihrer Daten Vorschläge, wie eine bestimmte Stelle des Musikstücks weitergeführt werden könnte – das Expertenteam schaut sie sich an, wählt aus und spielt die Entscheidung ins System zurück.
STEFAN STRICKER, DATA SCIENTIST STIWA GROUP
Stefan Stricker Data Scientist STIWA Group: Mensch und Maschine arbeiten zusammen.
Bernhard Haslhofer
Projektleiter AIT: Maschinen sollen lernen, Zusammenhänge zu verstehen. Daten zu sammeln ergibt erst Sinn, wenn sie via künstliche Intelligenz interpretiert werden.
Im Fachjargon spricht man bei diesem interaktiven Austausch zwischen Mensch und Maschine von Active Learning. Dies wird auch in den konkreten Anwendungsfällen des Forschungsprojekts umgesetzt. Am Projekt beteiligt sind das Austrian Institute of Technology (AIT), der Kühlmöbel- und Kältetechnik-Anbieter Hauser GmbH, die Siemens AG und der Automations-, Produktions- und Softwarespezialist STIWA Group.
Komplexe Ursachenforschung
„In unserer Produktion in Gampern werden vollautomatisiert hochwertige Serienteile und Montagebaugruppen erstellt. Eine eigene Software sichert ineinander abgestimmte und digitalisierte Prozessabläufe. Mithilfe von mathematischen Modellen wollen wir die Qualitätssicherung in der Produktion unterstützen. Ein Beispiel: In einer Arbeitsschicht werden 6.000 Teile produziert. Während der Produktion werden gleichzeitig Daten aufgezeichnet, mehrere Hundert pro Teil. Am Ende der Schicht haben wir rund 100.000 neue Datensätze“, sagt der Data Scientist Stefan Stricker. Alle paar Hundert Teile wird ein Teil der Produktion im Labor überprüft. „Kommt es bei einem Teil zu einer Abweichung von der Norm, interessiert uns natürlich die Ursache. Diese Ursachenforschung wollen wir automatisieren“, so Stricker. Bernhard Haslhofer, Projektkoordinator seitens des AIT und DataScience- und KI-Experte, weiß genau, welche Vorteile ein maschinelles Lernmodell hier hat: „Diese Dimensionen an Daten und Parametern kann man als Mensch nicht mehr erfassen.“ Im nächsten Schritt werden daher die Daten aus dem Produktionsprozess zusammengeführt und so aufbereitet, dass ein Benutzer über ein User-Interface erkennen kann, ob Einstellungen bei der Produktion geändert wurden und wo Fehler potenziell verortet sind. „Ein digitaler Assistent spuckt die relevanten Änderungen aus“, so Stricker. Hier
DIESE DIMENSION AN DATEN KANN EIN MENSCH NICHT MEHR ERFASSEN.
BERNHARD HASLHOFER, PROJEKTKOORDINATOR AIT
„Information ist Trumpf. Wer Daten verarbeiten und interpretieren kann, ist im Vorteil.“ Daten sammeln allein hilft nicht wirklich weiter. „Das haben die Unternehmen in den vergangenen zehn Jahren gemacht. Ihnen war aber nicht klar, wofür sie das tun“, erklärt Haslhofer. Das Projekt Interactive geht daher einen anderen Weg. „Wir überlegen uns zuerst, welches Problem wir lösen wollen, und sammeln dann die passenden Daten dafür“, so der Wissenschaftler. Ein wesentlicher Aspekt dabei ist, die Daten nicht an einem zentralen Ort sammeln zu müssen. „Datentransfer kostet Geld und Energie. Daher trainieren wir unsere Modelle lieber dezentral“, sagt Haslhofer. Auch Datenschutzaspekte spielen hier mit hinein. Diese relativ neue Methode des maschinellen Lernens nennt sich Federated Learning. Die Erwartungshaltung bei den Projektbeteiligten ist groß. Durch die Implementierung aktiver, maschineller Lernmethoden soll die Effizienz sowohl bei STIWA als auch bei Hauser um 25 bis 50 Prozent gesteigert werden. Haslhofer: „Künstliche Intelligenz bedeutet, Modelle zu bauen, die Zusammenhänge verstehen. Wir wollen das Wissen in den Köpfen der Menschen in Algorithmen überführen, damit die Maschinen die Menschen besser unterstützen können.“ ••
LEOPOLD SCHÖFFL, PROJEKTLEITER HAUSER GMBH
kommt – Stichwort Active Learning – wieder der Mensch ins Spiel. „Ein Experte kann dem virtuellen Assistenten dann Rückmeldungen geben, welche der angezeigten Änderungen für die schlechtere Qualität des Endprodukts relevant waren und welche nicht“, sagt der Data Scientist von STIWA. Damit lernt die Maschine mit. Der Effekt: eine massive Zeitersparnis für das Unternehmen bei der Ursachenforschung.
Störungen früher erkennen
Beim Kühlmöbel- und Kältetechnik-Anbieter Hauser wird ein anderer Anwendungsfall erforscht. Hier lautet das Ziel, so früh wie möglich Störungen erkennen zu können, die den Kühlprozess oder die Temperatur der gelagerten Waren gefährden könnten. Als Pilotprojekt wurde eine 1,2-Megawatt-Kälteanlage ausgewählt. Auch hier werden im ersten Schritt die bisher vorhandenen Daten gesammelt. „Wir haben bereits Werte aus der Historie und wissen dadurch, welche Komponenten einer Kälteanlage störungsanfällig sind. Die Frage ist, welche Daten die Störungskategorien beeinflussen und welche nicht. Diese Anomalien aus den historischen Daten sieht man mit konventionellen Beobachtungen nicht“, meint Leopold Schöffl. Er leitet bei Hauser ein vierköpfiges Team, das dieses Projekt umsetzt. Neu ist in diesem Fall die Art, wie die Daten analysiert werden, nämlich mittels Data Science. „Hier werden die Daten neu aufbereitet, um Muster und Zusammenhänge zu erkennen“, sagt Schöffel. Dann kommt der Ball wieder zu den Geräteexperten, die diese neuen Erkenntnisse interpretieren. Die größte Herausforderung dabei ist laut Schöffel, zwei konträre Welten – also die Data Scientists und die Geräteexperten – in der Zusammenarbeit auf eine Flughöhe zu bringen. „Wir wollen einen Weg finden, die passenden Workflows zu kreieren, damit diese beiden Seiten gut kooperieren können“, sagt Schöffl. Denn eines ist für den Projektleiter klar:
Forschungsprojekt Interactive
Im zweijährigen Forschungsprojekt Interactive geht es um die Frage, wie mithilfe von künstlicher Intelligenz die Qualität der Produktion verbessert werden kann. Ziel dieses Projekts der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft ist die Erforschung und Entwicklung neuartiger interaktiver Lernmethoden, die den Menschen in den maschinellen Lernprozess einbeziehen.
Projektkoordinator: AIT Austrian Institute of Technology GmbH Projektpartner: STIWA Automation GmbH, HAUSER GmbH, Siemens AG Österreich
Diese Website informiert laufend über den Projektfortschritt: https://www.interactive-project.info
Wichtige Begriffe
Künstliche Intelligenz, auch artifizielle Intelligenz, ist ein Teilgebiet der Informatik, das sich mit der Automatisierung intelligenten Verhaltens und maschinellem Lernen befasst. Active Learning: Aktives Lernen ist ein Sonderfall des maschinellen Lernens, bei dem ein Lernalgorithmus einen Benutzer interaktiv abfragen kann, um neue Datenpunkte mit den gewünschten Ausgaben zu kennzeichnen. Federated Learning: Föderales Lernen ist eine vergleichsweise neue Methode des maschinellen Lernens, die einzelne Geräte in die Lage versetzt, zusammen anhand eines gemeinsamen Modells zu lernen. Es ermöglicht das individuelle Training von Modellen an verschiedenen, isolierten Datensätzen. Data Science ist ein interdisziplinäres Wissenschaftsfeld, das wissenschaftlich fundierte Methoden, Prozesse, Algorithmen und Systeme zur Extraktion von Erkenntnissen, Mustern und Schlüssen sowohl aus strukturierten als auch unstrukturierten Daten ermöglicht.