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LEARNING FROM BERLIN, SÃO PAULO & TŌKYŌ

Alyssa Lena Rau Masterthesis WS 2012-2013 HTWG Konstanz – Fachbereich Architektur

— Eine andere Betrachtung des öffentlichen Raumes—



Learning from Berlin, São Paulo & TŌkyŌ — Eine andere Betrachtung des öffentlichen Raumes—

Alyssa Lena Rau



»Eine Welt, die Platz für die Öffentlichkeit haben soll, kann nicht nur für eine Generation errichtet oder nur für die Lebenden geplant sein; sie muss die Lebensspanne sterblicher Menschen übersteigen.« Hannah Arendt


Inhalt


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Learning from

Berlin, São Paulo & tŌKyŌ

ABC_

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Zum öffentlichen Raum Abstraktion 22 Anonymität 26 Augenhöhe 30 Bewegung in der stadt 34 Code 38 Dichte 42 Distanz 46 Dividual Spaces 50 Durchmischung 54 Einblicke 58 Erdgeschoss 62 Esskultur 66 Fassade 70 Grenzen 74 Grundrisstypologie 78 Heimat 82 Innen-Aussen 86 Konsum 92 Leere 96 Licht-Schatten 100 mASZSTAB 104 mARKT 108 Nachbarschaft 112 Natur 116

Öffnungen Ordnungsprizipien Plätze Raumverständnis Schwellen Stadtbilder Strasse TRadition Transparenz Unorte Verkehr Werbung Wohnen Zeit Zentrum

120 124 128 134 140 146 150 154 158 162 166 170 174 182 186

My_Learning from...

»Die Eigene Welt mit Fremden Augen betrachten.« Fotocollagen zum öffentlichen Raum in Konstanz &tRANSFORMATION PLUS

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Bibliografie Impressum

206 208



»DAMIT STADT NICHT NUR EIN GROSSES DORF SONDERN TATSÄCHLICH STADT IST, BRAUCHT SIE OFFENE RÄUME, ÖFFENTLICHE RÄUME, DIE ES MÖGLICH MACHEN, DEM FREMDEN ZU BEGEGENEN.« Francesco Careri


Learning from Berlin, São Paulo & tŌKyŌ

Wieso

Während der ganzen Zeit, in der ich mich mit dieser Thesis befasst habe, während vieler Gespräche mit meinen Freunden, Kommilitonen , Kollegen, meiner Familie und mit Professoren wurden mir immer wieder die gleichen Fragen zu Anfang dieser Dialoge gestellt — Wieso, Weshalb, Warum.

Öffentlicher Raum wirkt sich, neben dem Wohnen, maßgeblich auf die Lebensqualität aus. Die Frage nach der Qualität von öffentlichen Räumen stellt sich nicht nur uns Raumplanern, sondern ist weltweit ein Thema. Durch eine intensive Auseinandersetzung und Analyse von unterschiedlichsten öffentlichen Raumformen kann man sich dem komplexen Thema annähern und seine eigene Position hierzu finden. Häufig begegnet man der Aussage, dass es in unseren heutigen Gesellschaft zunehmend zu einem Verlust von öffentlichem Raum kommt. Immer mehr öffentliche Bereiche werden kommerzialisiert und privatisiert. Dadurch kommt es zunehmend zu einer Verschiebung der Grenzen zwischen Privatem und Öffentlichem. Durch moderne Kommunikationsmedien besteht die verlockende Möglichkeit, bequem vom Sofa aus, die (virtuelle) Welt zu erkunden und interaktiv an Öffentlichkeit teilzunehmen. Im Zeitalter von Internet 2.0, Facebook, Twitter, Skype und sonstigen Kommuninkationskanälen findet sich die Welt nicht nur im Wohnzimmer wieder, sondern, dank Smartphones sogar in der Hosentasche. Diese Form von Öffentlich-

Bei diesen Fragen kommen nicht nur meiner Generation sofort die ‹Sendung mit der Maus› und die Kinderbücher von Ravensburger in den Sinn. Beide Medien vermitteln spielerisch Wissen über komplexe Zusammenhänge. Sie erklären einem die Welt. So habe ich für mich ebenfalls versucht mir einen erklärenden und anwendbaren Werkzeugkasten zu schaffen, mit dessen Hilfe ich neue Perspektive auf öffentlichen Raum, seine Beziehung zum Privaten, seinen Einfluss auf das Alltagsleben und seine Bedeutung für die urbane Struktur aufzeigen kann. Nicht nur möchte ich im Nachfolgenden mit diesen drei Fragen den Grund meiner Auseinandersetzung mit diesem Thema erläutern, sondern durch das anschließende ‹ABC_zum öffentlichen Raum› meine Untersuchungspunkt aufzeigen, um diese dann im Schlusskapitel ‹My_Learning from› ihre Anwendung auf den von mir bewohnten Raum, Konstanz-Petershausen, zu verdeutlichen.

öffentlicher Raum?

→Fortsetzung S.10


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Weshalb

Warum

Die Aufgaben von Stadt waren schon immer vielfältig. Sie schafft einen Ort zum Wohnen, ein Zuhause. Doch wie verteilt sich der konkrete Raum der Stadt zwischen den beiden Gegenpolen Privatheit und Öffentlichkeit? Die Divergenz zwischen privat und öffentlich ist nicht nur sozialwissenschaftlich theoretisch zu betrachten, sondern lässt sich auch durch phänomenologische Beobachtungen beleuchten. Wohnraum ist die erste Form von Raum, außerhalb des Mutterleibes, den wir Menschen erfahren. Mit der Lossagung von den Eltern findet in den »eigenen vier Wänden« die erste individuelle Gestaltung des eigenen Raumes, des Jugendzimmers, statt. Doch Wohnen ist mehr, als nur ein bloßer Zustand oder eine Handlung. Wohnraum wird durch Verortung generiert, durch die »Entfaltung des eigenen Lebens« *. Wohnraum wird als »mein« bezeichnet. »Ich bin bei mir« zeigt auf, dass dieser primär ein persönlicher Raum ist. Die Abgrenzung von Innen und Aussen ist nicht zwangsweise reine Lagebestimmung. Es ist vielmehr

Mein erstes Fach zu Beginn des Masterstudiums an der HTWG Konstanz war »Transformation of Modernity« bei Prof. Myriam Gautschi. Als Vorbereitung auf die International WinterSchool der MSA Münster in Havanna, Kuba, war das Thema dieses Faches die Auseinandersetzung mit kulturellen und klimatischen Transformationsprozessen der Moderne in Europa, Kuba und Brasilien. Ich war nicht nur begeistert von der Aussicht, an dieser Winterschool im legendären Havanna teilnehmen zu dürfen, sondern auch fasziniert von den Nuancen der Transformation, die sich bei der Gegenüberstellung der Architektur dieser drei Länder herauskristallisierten. Es war sehr eindrücklich, nach und nach die Wege des Gedankengutes der klassischen Moderne und ihren Siegeszug rund um den Globus nachzuvollziehen und zu beobachten, wie sie sich durch Anpassung an örtlichen Bedingungen transformierte. »Wer einmal in der Ferne lebt und arbeitet, der erzieht seinen Blick — und kann nach der Rückkehr die eigene Gesellschaft luzide betrachten.«* In dem Fremden das Eigene zu

eine andere Betrachtung aus dem Wohnen heraus?

*  vgl. Alban Janson, Sophie Wolfrum: Leben bedeutet zu Hause zu sein, wo immer man hingeht, Die Stadt als Wohnraum, Freiburg 2008 a:95 →Fortsetzung S.11

Berlin, Sao Paulo & Tōkyō?

* Marc Augé →Fortsetzung S.11


→Wieso öffentlicher Raum

Auszug aus Hannah Arendt*:Vita Active oder Vom täglichen Leben Der öffentliche Raum: Das Gemeinsame »Verglichen mit der Realität, die sich im Gehört- und Gesehenwerden konstituiert, führen selbst die stärksten Kräfte unseres Innenlebens – die Leidenschaften des Herzens, die Gedanken des Geistes, die Lust der Sinne – ein ungewisses, schattenhaftes Dasein, es sei denn, sie werden verwandelt, gleichsam entprivatisiert und entindividualisiert, und so umgestaltet, daß sie eine für öffentliches Erscheinen geeignete Form finden.[...] Sobald wir anfangen, von Dingen auch nur zu sprechen, deren Erfahrungsort im Privaten und Intimen liegt, stellen wir sie heraus in einen Bereich, in dem sie eine Wirklichkeit erhalten, die sie ungeachtet der Intensität, mit der sie uns betroffen haben mögen, vorher nie erreicht haben. Die Gegenwart anderer, die sehen, was wir sehen, und hören, was wir hören, versichert uns der Realität der Welt und unser selbst;[...] Da unser Realitätsgefühl durchaus davon abhängig ist, daß es Erscheinungen und damit einen öffentlichen Raum gibt, in den etwas aus der Dunkelheit des Verborgenen und Geborgenen heraustreten kann, verdankt selbst das Zwielicht, das unser intimes Privatleben notdürftig erhellt, seine Leuchtkraft dem blendend unerbittlichen Licht, das aus der Öffentlichkeit strahlt.[...]Liebe zum Beispiel, im Gegensatz zur Freundschaft, kann eine öffentliche Zur-Schaustellung schlechterdings nicht überleben. (»Willst Du Dein Herz mir schenken, so fang es heimlich an.«– »Never seek to tell thy love/Love that never told can be.«) Wegen der ihr inhärenten Weltlosigkeit muten uns daher auch alle Versuche, die Welt durch Liebe zu ändern oder zu retten, als hoffnungslos verlogen an.[...] Der Begriff des Öffentlichen bezeichnet zweitens die Welt selbst, insofern sie das uns Gemeinsame ist und als solches sich von dem unterscheidet, was uns privat zu eigen ist, also dem Ort, den wir unser Privateigentum nennen. [...] In der Welt zusammenleben heißt wesentlich, daß eine Welt von Dingen zwischen denen liegt, deren gemeinsamer Wohnort sie ist, und zwar in dem gleichen Sinne, in dem etwa ein Tisch zwischen denen steht, die um ihn herum sitzen; wie jedes Zwischen verbindet und trennt die Welt *   Hannah Arendt: Vita Activa oder Vom täglichen Leben, München 2002, a:62ff.

→Fortsetzung S.12

diejenigen, denen sie jeweils gemeinsam ist. Der öffentliche Raum wie die uns gemeinsame Welt versammelt Menschen und verhindert gleichzeitig, daß sie gleichsam über- und ineinanderfallen. Was die Verhältnisse in einer Massengesellschaft für alle Beteiligten so schwer erträglich macht, liegt nicht eigentlich, jedenfalls nicht primär, in der Massenhaftigkeit selbst; es handelt sich vielmehr darum, daß in ihr die Welt die Kraft verloren hat, zu versammeln, das heißt, zu trennen und zu verbinden.[…] Historisch ist uns nur ein einziges Prinzip bezeugt, das stark genug ist, Menschen in einer Gemeinschaft zusammenzuhalten, die das Interesse an einer ihnen gemeinsamen Welt verloren haben und so von ihr nicht mehr zusammengehalten werden, weder voneinander getrennt noch miteinander verbunden sind.[…] Zwischen den Gliedern einer Familie hatte sich nie ein öffentlicher Weltraum gebildet, und es war daher unwahrscheinlich, daß sich ein solcher in der christlichen Gemeinde entwickeln würde, wenn man auf die Familienstruktur zurückgriff, deren Bande auf einer natürlichen »Liebe« beruhten,[…] Nur die Existenz eines öffentlichen Raumes in der Welt und die in ihm erfolgende Verwandlung von Objekten in eine Dingwelt, die Menschen versammelt und miteinander verbindet, ist auf Dauerhaftigkeit angewiesen. Eine Welt, die Platz für Öffentlichkeit haben soll, kann nicht nur für eine Generation errichtet oder nur für die Lebenden geplant sein; sie muß die Lebensspanne sterblicher Menschen übersteigen. [...] […] das weltlich Gemeinsame liegt außerhalb unserer selbst, wir treten in es ein, wenn wir geboren werden, und wir verlassen es, wenn wir sterben. Es übersteigt unsere Lebensspanne in die Vergangenheit wie in die Zukunft;[…] Die Welt haben wir nicht nur gemeinsam mit denen, die mit uns leben, sondern auch mit denen, die vor uns waren, und denen, die nach uns kommen werden. Aber nur in dem Maße, in dem sie in der Öffentlichkeit erscheint, kann eine solche Welt das Kommen und Gehen der Generationen in ihr überdauern. Es liegt im Wesen des Öffentlichen, daß es aufnehmen und durch die Jahrhunderte bewahren und fortleuchten lassen kann, was immer die Sterblichen zu retten

keit und öffentlichem virtuellem Raum, bietet einen entscheidenden Nachteil, im Vergleich zu realem Raum. Es bietet sich kaum Raum für Ungeplantes, für Zufälliges, für Möglichkeiten. Niemand begegnet seinem Nachbar im Internet oder macht persönliche Erfahrungen mit fremden Kulturen im Internet. Man kann beobachten, man kann theoretisch darüber lernen, doch man wird nie Teil der Wirklichkeit. Das Fremde wird nicht erfahren, denn es stellt sich einem nicht in den Weg. Und doch bietet diese Vernetzung und Virtualität Möglichkeiten, neuen realen Raum zu schaffen. Das Phänomen des Public Viewing, das aus dem introvertierten Fernsehen heraus erwachsen ist, schafft beispielsweise neue Nutzungsmöglichkeiten für öffentlichen Raum. Unter keinen Umständen jedoch darf man außer Acht lassen, dass die gebaute Umwelt immer phänomenologisch wahrgenommen wird. Bisher kann keine virtuelle Welt diese Leibeserfahrung ersetzen. Indem man neue Formen von öffentlichem Raum schafft, bzw. seine Vielfalt und sein Potential aufzeigt, gewinnen diese Räume wieder an Qualität und bieten neue multifunktionale Nutzungsmöglichkeiten und unerwartete Begegnungsmomente. Nach Meinung des deutschen Soziologen Hans Paul Bahrdt liegt in dieser Multifunktio→Fortsetzung S.12


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→Weshalb eine andere Betrachtung

→Warum Berlin, São Paulo & Tōkyō

»ein Erlebnis, in dem uns die Zugehörigkeit des Raumes zu unserem Selbst fühlbar zum Bewusstsein kommt.«** Diese Zugehörigkeit, das Private, der eigenen Kontrolle unterliegende, bildet die Basis für die Abgrenzung von »drinnen« und »draussen«. Das Beispiel von Janson & Wolfrum beschreibt den Unterschied des Drinnen-seins zwischen dem Betreten der eigenen Wohnung und der Wohnung eines anderen. Man befindet sich beim anderen zwar physisch drinnen, aber man ist nicht bei ‹sich›. Wohnen ist etwas, das wir bewusst erleben und steuern. Stadtraum hingegen wird meist nur passiv wahrgenommen. Er ist öffentlich und somit außerhalb unserer Kontrolle. Seine Wirkung ist uns nicht im gleichen Maße bewusst, wie die des Wohnraumes. Und doch ist die Wirkung des öffentlichen Raumes stark von der Artikulation des Wohnens abhängig, von den Grenzen, die zwischen ihnen gezogen sind, von der räumlichen Ausformulierung des Wohnraumes sowie von den in ihm aufgenommen Funktionen. Die Dichotomie des Innen und Außen, des Bei-sich und Beim- anderen sein,wird hier sehr deutlich. Doch die Phänomenologie des Wohnens in den ‹eigenen vier Wänden› kann nicht ohne weiteres auf die Stadt und ihren öffentlichen Raum übertragen werden. Und doch ** Ebd.

finden, das war es, was mich an der Thematik der Transformation fesselte. Warum also diese drei Städte. Berlin betrachte ich als meine kulturellen Wurzeln. Die deutsche Kultur ist mir vertraut. Ich bin in ihr aufgewachsen. Die mich umgebenden Räume sind mir ebenfalls in ihrer Grundtypologie vertraut. Die Stadt als Container der Geschichte, als Patchwork der Stile, als Ort der Vertrautheit. Ich konnte Berlin durchwandern, meine Spuren hinterlassen und meine »mental map« erstellen. Hier der Markt, da die Kirche, dort das Café, und da der Fluss. All das sind Elemente sind in, ihrer Grundform in jeder deutschen Stadt zu finden, ebenso wie der Umgang mit ihnen. Warum São Paulo? Durch die Lehre von Prof. Gautschi kommt man schnell in Kontakt mit der Architektur Brasiliens. Brasilien war für mich lange etwas Mystisches. Ein endlos scheinendes Land, riesig und leer, mit überbordender Natur, schönen Menschen und eine noch atemberaubendere Bausubstanz, die in Skulpturalität und Kühnheit ihres Gleichen sucht. Es waren Namen wie Oscar Niemeyer und Paulo Mendes da Rocha oder auch Vilanova Artigas und Lina Bo Bardi, die mir zu Anfang fremd und doch in ihrem Werk bald so vertraut waren. Durch die zweijährige intensive Auseinandersetzung mit der

→Fortsetzung S.13

→Fortsetzung S.13


→Wieso öffentlicher Raum

suchen vor dem natürlichen Verfall der Zeiten.[...] Vielleicht gibt es kein sprechenderes Zeugnis für das Absterben des öffentlich politischen Bereiches in der Neuzeit als das nahezu vollständige Verschwinden einer echten Sorge um Unsterblichkeit, das allerdings durch das gleichzeitige Verschwinden der metaphysischen Sorge um die Ewigkeit einigermaßen in den Schatten gestellt ist.[…] Denn die Polis war für die Griechen - wie die res publica für die Römer - primär eine Garantie gegen die Vergeblichkeit und Vergänglichkeit des Lebens der Einzelnen, der Raum nämlich, der gegen alles nur Vergängliche geschützt und dem relativ Dauerhaften vorbehalten, also geradezu dafür bestimmt war, sterblichen Menschen Unsterblichkeit zu gewähren.[...] […] erwächst die Wirklichkeit des öffentlichen Raums aus der gleichzeitigen Anwesenheit zahlloser Aspekte und Perspektiven, in denen ein Gemeinsames sich präsentiert und für die es keinen gemeinsamen Maßstab und keinen Generalnenner je geben kann. […] Das von Anderen Gesehen- und Gehörtwerden erhält seine Bedeutsamkeit von der Tatsache, daß ein jeder von einer anderen Position aus sieht und hört. […] Nur wo Dinge, ohne ihre Identität zu verlieren, von Vielen in einer Vielfalt von Perspektiven erblickt werden, so daß die um sie Versammelten wissen, daß ein Selbes sich ihnen in äußerster Verschiedenheit darbietet, kann weltliche Wirklichkeit eigentlich und zuverlässig in Erscheinung treten. […] Der private Bereich: Eigentum und Besitz Nur ein Privatleben führen heißt in erster Linie, in einem Zustand leben, in dem man bestimmter, wesentlich menschlicher Dinge beraubt ist. Beraubt nämlich der Wirklichkeit, die durch das Gesehen- und Gehörtwerden entsteht, beraubt einer »objektiven«, d. h. gegenständlichen Beziehung zu anderen, die sich nur dort ergeben kann, wo Menschen durch die Vermittlung einer gemeinsamen Dingwelt von anderen zugleich getrennt und mit ihnen verbunden sind, beraubt schließlich der Möglichkeit, etwas zu leisten, das beständiger ist als das Leben.[...] In der modernen Welt haben diese Beraubungen und der ihnen inhärente Realitätsverlust zu jener Verlassenheit geführt, die nachgerade ein Massenphänomen geworden ist, in welchem menschliche Beziehungslosigkeit sich in ihrer extremsten und unmenschlichsten Form äußert. Der Grund, →Fortsetzung S.14

warum es zu diesem Äußersten gekommen ist, liegt wohl darin, daß die Massengesellschaft nicht nur den öffentlichen Raum, sondern auch den privaten Bereich zerstört, daß sie also die Menschen nicht nur ihres Platzes in der Welt beraubt, sondern ihnen auch die Sicherheit ihrer eigenen vier Wände nimmt. […] daß Marx […] das Absterben des gesamten öffentlichen Raumes nicht nur vorhersagen, sondern erhoffen konnte. Vom Politischen her gesehen, ist der Unterschied zwischen Christentum und Sozialismus nicht erheblich, weil er nicht in einer verschiedenen Bewertung des Öffentlichen und der Welt besteht, sondern lediglich der menschlichen Natur, deren Sündhaftigkeit in dem einen Fall den Staat als ein notwendiges Übel erscheinen läßt für die kurze Dauer des irdischen Lebens, während man im anderen Falle hoffen darf, ihn schon auf Erden abzuschaffen. Zudem bezog Marx seine Prophezeiung, daß der Staat absterben würde, aus der ihm vielleicht kaum bewußten Erkenntnis, daß der öffentliche Raum bereits am Absterben war,[…]. Es scheint im Wesen der zwischen den Bereichen des Privaten und des Öffentlichen obwaltenden Bezüge zu liegen, daß das Absterben des Öffentlichen in seinen Endstadien von einer radikalen Bedrohung des Privaten begleitet ist. […] Was wir heute Gesetz nennen, bedeutete zumindest bei den Griechen ursprünglich so etwas wie eine Grenze64 , die in früher Zeit ein sichtbarer Grenzraum war, eine Art Niemandsland65 , das jeden, der überhaupt ein Jemand war, umschloß und einhegte. Zwar ist das Gesetz der Polis über diese uralten Vorstellungen weit hinausgegangen, aber auch ihm haftet noch deutlich eine räumliche Bedeutung an.[…] Ohne die Mauer des Gesetzes konnte ein öffentlicher Raum so wenig existieren wie ein Stück Grundeigentum ohne den es einhegenden Zaun; jene umhegte und beherbergte das politische Leben der Stadt, wie dieser das »private« Leben ihrer Bewohner schirmte und schützte. […] Der dunkle, verborgene Raum des Privaten bildete gleichsam die andere Seite des Öffentlichen, und während es wohl möglich war, außerhalb des Öffentlichen sein Leben zu verbringen, wiewohl dies hieß, sich der höchsten menschlichen Möglichkeiten zu berauben, war es nicht möglich, kein Eigentum, nicht seine eigenen vier Wände zu haben;[…]. Hier bedeutet Privatbesitz, daß man Herr über die eigenen

nalität und dem Überraschungemoment die Qualität von öffentlichem Raum. »Strassen und Plätze, die typischerweise von Angehörigen ganz verschiedener Bevölkerungsschichten zu verschiedenen Zwecken gut verteilt über den ganzen Tag und den Abend aufgesucht werden, zeigen genau das, was wir öffentliches Leben auf der untersten, anschaulichsten lokalen Ebene nennen, nämlich das Rendevouz der Gesellschaft mit sich selbst.«* Öffentlichkeit entsteht dann, wenn Umwelt »offen ist für Menschen verschiedener Art, die primär verschiedene Ziele verfolgen und sich unterschiedlich verhalten.«** Diese »lokale Öffentlichkeit« oder »offene Lokalität« bildet die Grundlage für eine Überwindung der strengen Zweckgerichtetheit des menschlichen Handels, einer »Zerstreutheit des Verhaltens«.*** Diese »Zerstreutheit« bildet die Basis für eine Rundumorientierung, welche Verweilen oder kurze zufällige Bewegungen, ein Sehen und Gesehen-werden ermöglicht. Die Qualität öffentlichen Lebens ist maßgeblich von diesen unscheinbaren kleinen Momenten flüchtiger Begegnung bestimmt. Sie erzeugen eine »ephemere Form von Gleichzeitigkeit und Nähe«, die nicht auf Versehen oder Integration ausgerichtet ist. Diese sogenannte »unvoll* Hans Paul Bahrdt: Umwelterfahrungen, München 1974, a:35 ** Edb. ***  vgl. Ebd. →Fortsetzung S.14


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→Weshalb eine andere Betrachtung

→Warum Berlin, São Paulo & Tōkyō

kann der Wohnraum als Stellgrößen dienen, um öffentlichen Raum aktiv in das ‹Bei-sichSein› einzubinden. Nimmt der Wohnraum alles für das alltägliche Leben in sich auf, so gibt es keinen Grund mehr, sich der Aussenwelt, ihren Gefahren und ihrer Fremdheit zu stellen. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. »Die hohe Wertschätzung von persönlicher Autonomie führt zu einer Einhausung des Individuums.[...] Das Private soll immer mehrere Bereiche des Lebens umfassen.«***Dieses Einhausen führt zum Absterben von öffentlichem Raum, damit zum Absterben der Gesellschaft und endet mit Tyrannei **** Durch das Auflösen der Grenzen, ohne dabei das Gefühl des Einhausens als ein Urinstinkt zu mindern, wird das Öffentliche Teil des Innern. In unseren globalisierten, international vernetzten Welt sollte das Ziel sein, die Stadt zum erweiterten Wohnraum zu transformieren, um so das dort anzutreffende Fremde als eine Bereicherung des Eigenen zu integrieren. Um diese Integration zu erzielen, müssen die Grenzen verschoben oder gar aufgehoben werden. Man muss sich mit seinem »Selbstraum«***** in den Stadtraum ausdehnen, *** Alban Janson, Sophie Wolfrum: Leben bedeutet zu Hause zu sein, wo immer man hingeht, Die Stadt als Wohnraum, Freiburg 2008 a:99 ****  siehe dazu Hanna Arndt »Vita Activa oder Vom täglichen Leben« als Extrakt auf S.10ff. ***** Graf Karlfried von Dürckheim: Untersuchung zum gelebten Raum 1932, Frankfurt a.M. 2005

Architektur Brasiliens, besonders der Sao Paulos und der Escola Paulista, wich das Mystische purer Begeisterung. Eine Begeisterung für die Formensprache der Escola Carioca mit Projekten, wie dem MES, Ministerio de Educação e Saudade, als erste Knospe der Moderne Brasiliens.Es zeigen sich hier deutlich die Verwandschaft zum Ursprung in Europa. Doch die Anpassungsprozesse an die klimatischen und kulturellen Besonderheiten Brasiliens und Rios sind es, die begeistern. So wurden Verschattungselemente aus der Zweidimensionalität hier räumlich. Die Pilotis als eines der fünf Punkte der Architektur von Le Corbusier, drängen sich nicht länger geduckt unter den Bauten, sondern werden viele Meter hoch, um Raum für Begegnung im so dringend benötigten Schatten darunter zu schaffen und die Ventilation in der Stadt zu optimieren. Gedanken werden aufgenommen, verdaut und wieder zu etwas Neuem ausgespuckt — Antropophago. Diese Transformation findet sich auch sehr deutlich an den Bauten der Escola Paulista in São Paulo. Doch zeigt sich hier deutlich mehr Selbstständigkeit. Architektur und Raum dienen der Gesellschaft. Öffentlicher Raum ist für die Escola Paulista die Grundlage jeglicher Demokratie und daher gilt es den ‹espaco publico› als gebaute Demokratie zu gestalten. Menschen verschiedener sozialer

→Fortsetzung S.15

→Fortsetzung S.15


→Wieso öffentlicher Raum

Lebensnotwendigkeiten und daher potentiell ein freier Mensch ist, frei nämlich, das eigene Leben zu transzendieren und in die allen gemeinsame Welt einzutreten.[…] Das Gesellschaftliche und das Private Wollte man das Entstehen der Gesellschaft historisch datieren, so müßte man sich auf den Augenblick einigen, in dem Privatbesitz aufhört, ein privates Anliegen zu sein, und anfängt,eine öffentliche Angelegenheitzu werden.[…] Der Besitz bemächtigte sich der Öffentlichkeit in der Form des Interesses der besitzenden Klassen.[…] Dies Interesse selbst, [...] ist aber selbst noch privater Natur, ganz gleich wieviele Menschen es miteinander teilen. Das den Besitzenden gleiche Interesse brachte nichts Gemeinsames hervor, sondern verschleppte nur den Konkurrenzkampf, in dem jeder ein Gleiches wollte, in die Öffentlichkeit.[…] Unter diesem Gesichtspunkt erscheint die moderne Entdeckung der Intimität wie eine Flucht vor der Gesellschaft, die sich der gesamten äußeren Welt bemächtigt hat, in die Subjektivität eines Innern, in der allein man nun bergen und verbergen kann, was früher wie selbstverständlich in der Sicherheit der eigenen vier Wände aufgehoben und vor den Augen der Mitwelt geschützt war.[…] Für uns ist entscheidend, daß das Eigentum in der Neuzeit seinen räumlichen und der Besitz seinen weltlich-dinglichen Charakter verloren, daß sie auf den Menschen selbst zurückgeführt wurden, bzw. ihrem Ursprung nach in etwas verlegt wurden, das der Mensch so sehr sein eigen nennt, daß er es nur mit dem Leben zugleich verlieren kann. […] Der Unterschied zwischen dem, was uns gemeinsam,und dem, was uns zu eigen ist, ist erstens ein Unterschied der Dringlichkeit; kein Teil der uns gemeinsamen Welt wird so dringend und vordringlich von uns benötigt wie das kleine Stück Welt, das uns gehört zum täglichen Gebrauch und Verbrauch. Ohne Eigentum, wie Locke sagte, können wir mit dem Gemeinsamen nichts anfangen, […].Daher wird das, was in den Bereich dieser Notwendigkeit gehört, nicht nur unter den Sorgen und Nöten der Menschen stets den ersten Platz einnehmen, es wird auch das einzig wirksame Mittel gegen die Apathie und das Schwinden der Initiative bleiben, die so offensichtlich die Gefahren des Reichtums sind.[…]Zudem ist Freiheit keineswegs das gleichsam automatische Resultat des Schwindens der Notwendigkeit;

wo der Drang des Notwendigen schwächer wird, verwischt sich erst einmal nur der Unterschied zwischen Freiheit und Notwendigkeit. (Die modernen Erörterungen der Freiheit, in denen Freiheit nie als eine objektiv feststellbare Art und Weise menschlicher Existenz erscheint, sondern entweder als ein unlösbares Problem der Subjektivität, nämlich eines Willens, der zwischen absoluter Bedingtheit und absoluter Unbedingtheit hin und her schwankt, oder als die berühmte Freiheit der Notwendigkeit, bei der das Resultat der Notwendigkeit Freiheit ist, zeichnen sich ja gerade dadurch aus, daß sie gar nicht mehr imstande sind, den objektiv greifbaren Unterschied zwischen Freisein und der Notwendigkeit Unterstelltsein auch nur zu bemerken.)[...] Das zweite wesentlich nicht-privative Merkmal des Privaten hat mit seiner Verborgenheit zu tun, damit, daß die eigenen vier Wände der einzige Ort sind, an den wir uns von der Welt zurückziehen können, nicht nur von dem, was in ihr ständig vorgeht, sondern von ihrer Öffentlichkeit, von dem Gesehen-und Gehörtwerden. Wir kennen alle die eigentümliche Verflachung, die ein nur in der Öffentlichkeit verbrachtes Leben unweigerlich mit sich führt. Gerade weil es sich ständig in der Sichtbarkeit hält, verliert es die Fähigkeit, aus einem dunkleren Untergrund in die Helle der Welt aufzusteigen; es büßt die Dunkelheit und Verborgenheit ein, die dem Leben in einem sehr realen, nicht-subjektiven Sinn seine jeweils verschiedene Tiefe geben. Die einzig wirksame Art und Weise, die Dunkelheit dessen zu gewährleisten, was vor dem Licht der Öffentlichkeit verborgen bleiben muß, ist Privateigentum, eine Stätte, zu der niemand Zutritt hat und wo man zugleich geborgen und verborgen ist.[…] Der Unterschied zwischen dem privaten und dem öffentlichen Bereich läuft letztlich auf einen Unterschied zwischen Dingen, die für die Öffentlichkeit, und denen, die für die Verborgenheit bestimmt sind, hinaus. Erst in der Neuzeit und in der Rebellion gegen die Gesellschaft ist entdeckt worden, wie außerordentlich reich und vielfältig das Reich der Verborgenheit sein kann, wenn es in der Intimität sich voll erschließt und entwickelt. Dennoch bleibt zu beachten, daß in einer sehr elementaren und grundsätzlichen Hinsicht sich unsere Auffassung des Privaten in nichts von dem unterscheidet, was gegolten hat, soweit wir historisch überhaupt zurücksehen können, und das ist, daß alle körperlichen Funktionen »privat« sind und verborgen werden müssen, all das, wozu der Lebensprozeß unmittelbar nötigt;[…]

ständige Integration« ****ist eine der wichtigsten Grundvoraussetzungen für das Entstehen von Öffentlichkeit und grenzt sich somit a klar vom Privaten, vom Kontrollierten, ab.***** Für den amerikanischen Soziologen Richard Sennet sind diese flüchtigen Begegnungen Ausdruck gelebter Differenz. Diese Differenzen dürfen sich überlagern, verweben und schichten. Diese »nicht linearen Erfahrungen des Unterschieds«****** führen zu einem kurzen Moment des Eigenen-fremd-seins und bringen den Menschen dazu, sich dem Unvorhersehbaren, dem Fremden und dem Unvollkommenen anzunähern. Man freundet sich an, nimmt das Fremde auf, um daraus Neues entstehen zu lassen. Durch diese »émigration extérieure«*******, der Wendung und Bewegung nach aussen, gewinnt der öffentlichen Raum wieder an Bedeutung. Voraussetzung für diese ‹Plus› an Bedeutung ist die Gewährleistung der feine Wahrnehmung von Überlagerung, von Gleichzeitigkeit und Differenz. Abschließend ist abermals festzuhalten, dass öffentlicher Raum ebenso essentiell für die Lebensqualität ist, wie der Wohnraum. Während Wohnraum durch Verortung entsteht, ****  vgl. Hans Paul Bahrdt: Die moderne Großstadt, Reinbek bei Hamburg 1961, a:40ff. *****  vgl. Ebd. ****** Richard Sennett: Civitas, Frankfurt a.M. 1994, a:213ff. ******* Ebd. →Fortsetzung S.16


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→Weshalb eine andere Betrachtung

→Warum Berlin, São Paulo & Tōkyō

sich die Stadt aneignen und eine Vertrautheit zum öffentlichen Raum herstellen. Das urbane Gemeinwesen dient der Sozialisierung des Fremden. Durch diese Integration kann die Homogenität der eigen vier Wände, durch die Heterogenität der Stadt, ergänzt werden, um damit einen harmonischen Zustand zwischen dem Widersprüchlichen herzustellen. Diese Aneignung des Stadtraumes kann aufgrund seines öffentlichen Charakters nicht durch Umgrenzung und Besetzung erzielt werden, sondern durch Bewegung. Erst durch tätiges Erkunden wir der raum produziert. Durch individuelle Bewegung entsteht eine persönliche Topografie, eine Beziehungen zu den erkundeten öffentlichen Räumen. Sie werden als Spielräume des eigenen Lebens erfahren. Dieses Spiel mit Raum ist nach dem französischen Kulturphilosophen und Soziologen Michel de Certeau die Voraussetzung aller Aneignung von Raum. »Das Gehverhalten spielt mit der Raumaufteilung[...]«******. Erst durch das Spiel erlernt der Bewohner eine individuelle Leseart des öffentlichen Raumes. Er grenzt mental persönliche Bereiche in diesem Raum ab und hinterlässt seine Spuren. Als ein Beispiel lässt sich jede beliebige Parkbank heranziehen. Viele dieser Bänke sind immer wieder in zeit****** Michel de Certeau: Kunst des Handelns – Theorie der unheimlichen Vertrautheit mit der Stadt, Berlin 1988

Gruppen sollen zusammenkommen können. Durch die Teilnahme an der 1. International Summer School in São Paulo, konnte ich all das selbst entdecken. Wir konnten die Milionenstadt erkunden, sie durchkämmen, unsere eigenen Inseln schaffen, uns in dem endlosen Häusermeer verlieren, uns treiben lassen, all ihre Schönheit und zugleich ihre Hässlichkeit erforschen und durch das Fremde das Eigene finden. São Paulo polarisiert. Man kann es lieben oder hassen, aber es lässt einem nicht unberührt. Ich habe São Paulo lieben gelernt. Nun, wieso dann noch Tōkyō? Tōkyō ist ein klarer Gegensatz zu Berlin und São Paulo. In Brasilien finden sich aufgrund seiner kolonialen Geschichte viel Bekanntes, wenn auch ein bischen verfremdet. Dies ist in Tōkyō nicht der Fall. Tōkyō und die japanische Kultur sind für uns eine gänzlich fremde Welt. Eine Welt voller Traditionen, Menschen, Zeichen und Symbolen, skurriler Technik und Jahrtausende alter Geschichte und Philosophie. Der asiatische Kulturkreis, besonders der Japanische, haben sich völlig unabhängig von dem abendländischen Kulturkreis entwickelt und ist geprägt von einer uns fremden Raumauffassung. Doch gerade dieses Raumverständnis und die Tradition der Reduktion und Modularität waren Inspirationsquelle für viele namhafte

→Fortsetzung S.17

→Fortsetzung S.17


→Wieso öffentlicher Raum

Auszug aus Henri Lefebvre*: Die Produktion des Raumes »Jede Gesellschaft [...] produziert einen ihr eigenen Raum[...] Die Polis hatte ihre Raumpraxis; sie hat ihren eigenen Raum erschaffen, d.h. ihn angeeignet. Daher rührt die neue Aufgabe, diesen Raum so zu untersuchen, dass er als solcher erscheint, in seiner Genese und seiner Form, mit seiner spezifischen Zeit bzw. seinen Zeiten.[...] Was wissen wir in Europa mit Hilfe unserer westlichen Begriffe von der Produktionsweise in Asien, vom Raum dort, von den Städten, von der Beziehung zwischen Stadt und Land?[...] So enthält der Raum seine vielfältigen Überkreuzungen an dafür bestimmten Orten und Plätzen.[...] Es gibt keine Macht ohne Komplizen und ohne Polizei[...] Wenn der Raum ein Produkt ist, dann muss die Erkenntnis diese Produktion reproduzieren und darstellen. Das Erkenntnisinteresse und das ‹Objekt› verschieben sich von den Dingen im Raum zur Produktion des Raumes selbst[...]. Die im Raum verorteten Teilprodukte,[...] und das Reden [les discours] über den Raum andererseits dienen nur noch als Hinweis und als Zeugnis für diesen Produktionsprozess[...]. Es geht also nicht mehr um den so oder so näher bestimmten Raum, sondern um den Raum als Totalität oder als Globalität, den man folglich nicht nur analytisch untersuchen muss (was das Risiko von ins Unendliche reichenden Fragmentierungen [...] beinhaltet)[...] Die Theorie reproduzieret [...] den Hervorbringungsprozess[...] – als Globalität, indem sie ständig vom Vergangenen zum Aktuellen übergeht und umgekehrt. In der Tat schreiben sich die Geschichte und ihre Folgen,[...] all das, was dort geschehen ist und dabei Orte und Plätze verändert hat, in den Raum ein. Die Vergangenheit hat ihre Spuren hinterlassen, ihre Inschriften, die Schrift der Zeit. Aber dieser Raum ist immer noch, heute wie früher, ein gegenwärtiger, als ein aktuelles Ganzes gegeben [...]. a) Die räumliche Praxis [...] verknüpft im wahrgenomme*   Henri Lefebvre: Die Produktion des Raums, in: Raumtheorie. Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften, Frankfurt a.M. 2006, a:330 – 342

→Fortsetzung S.18

nen Raum [espace perçu] die Alltagswirklichkeit [...] und die städtische Wirklichkeit.[...] Das ist eine überraschende Verknüpfung, denn sie enthält in sich die allerschärfste Trennung zwischen den Orten, die sie miteinander verbindet.[...] b) Die Raumpräsentationen, das heißt der konzipierte Raum [espace conçu], der Raum [...] der Raumplaner, der Urbanisten, die ihn ‹zerschneiden› und wieder ‹zusammensetzen› wird über die Zahlen auf Dauer gestellt: der Goldene Schnitt, die Module und ‹Kanones›. Dies ist der in einer Gesellschaft (einer Produktionsweise) dominierende Raum.[...] c) Die Repräsentationsräume, d.h. der gelebte Raum [...] vermittelt durch die Bilder und Symbole, die ihn begleiten, also ein Raum der ‹Bewohner›, der ‹Benutzer›, aber auch bestimmter Künstler, die beschreiben und nur zu beschreiben glauben: die Schriftsteller und die Philosophen. Es ist der beherrschte, also erlittene Raum, den die Einbildungskraft zu verändern und sich anzueignen sucht. Er legt sich über den physischen Raum und benutzt seine Objekte symbolisch [...]. Hier soll nur auf die dialektische Beziehung innerhalb dieser Dreiheit von Wahrgenommenem, Konzipiertem und Gelebtem hingewiesen werden.[...]

wird öffentlicher Raum durch Handlungen generiert********. Um diese Raumproduktion durch Handlungen zu ermöglichen, müssen wir als Raumgestalter sensibel auf die vorgefundene Situation und die räumlichen und kulturellen Gegebenheit eingehen. Wir müssen den Raum lesen, ihn verinnerlichen, ihn überdenken, ihn transformieren, um anschließend mit verschiedenen Werkzeugen darauf einwirken zu können. Durch die Gegenüberstellung von öffentlichem Raum, am Beispiel von Berlin, São Paulo und Tōkyō, möchte ich die Unterschiede, Besonderheiten und Parallelen herausarbeiten, um anschließend daraus einen ‹Werkzeugkasten›, ein ABC vom öffentlichen Raum abzuleiten.

Um den sozialen Raum als dreistellig zu verstehen, kann man sich dem Körper zuwenden[...]. Die soziale Praxis setzt, global gesagt, den Einsatz des Körpers voraus: den Gebrauch der Hände, der Gliedmaßen, der Sinnesorgane, die Gesten der Arbeit [...]. Das ist das Wahrgenommene (die praktische Grundlage der Wahrnehmung der Außenwelt [...]). Die Körperrepräsentationen kommen nun von erworbenen wissenschaftlichen Kenntnissen her, die mit Ideologien vermischt verbreitet werden: die Anatomie, die Physiologie, die Krankheiten,[...] das körperlich Gelebte erreicht seinerseits einen hohen Grad an Komplexität und Fremdheit, weil die ‹Kultur› hier hinter einer illusionären Unmittelbarkeit am Werk ist [...]. Das gelebte ‹Herz› unterscheidet sich in eigenartiger Weise vom gedachten und wahrgenommenen Herzen.[...] Die Dreiheit von Wahrgenommenem, Konzipiertem und Gelebtem (räumlich gesprochen: von Raumpraxis, Raumrepräsentation und Repräsentationsräumen) verliert ihre Tragweite, wenn man ihr den Status eines ‹abstrakten› Modells zuweist.[...] Die Einsicht, dass das Gelebte, das Konzipierte und das

********  siehe dazu Henri Lefebvre »Die Produktion des Raums« als Extrakt auf S.14ff.


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→Weshalb eine andere Betrachtung

→Warum Berlin, São Paulo & Tōkyō

lich unterschiedlichen Interwallen okkupiert von immer unterschiedlichen Personen. Trotz regelmäßiger Nutzung sehen diese Personen die Parkbank als die ihre an, obwohl sich die Konstellation der Benutzer laufend ändert. So sitzt man heute neben dem einen und morgen neben dem anderen, ohne sich dabei in seiner persönlich Freiheit und Eigentum verletzt zu fühlen. Das Spiel mit dem (öffentlichen) Raum führt zu seiner Produktion und seiner Integration in das Wohnen. Der Stadtraum wird Wohnraum und der öffentliche Raum zur Bereicherung des Eigenen, des Wohnens.

Protagonisten der klassischen Moderne. Viele von ihnen, wie beispielsweise Bruno Taut oder Charlotte Perriand, waren bereits von diesem Fremden und doch Bekannten und Angestrebten fasziniert. Tōkyō bietet für uns einen großen Fundus an Fremdem und doch Bekanntem. Die weltweit größte urbane Agglomeration schafft Wohnen auf engstem Raum. Der öffentliche Raum ist geprägt von Dualismus, von Zeitlosigkeit und Gleichzeitigkeit. Altes wir überschrieben, Neues entsteht und ist doch verhaftet in der Jahrtausende alten Kultur. Dieser Dualismus zwischen den Gegensätzen ist es, dass mich an Tōkyō fasziniert — das Neue im Alten, das Eigene im Fremden oder das Fremde im Eigenen. Auch Tōkyō polarisiert und einmal eingetaucht, lässt es einem nicht mehr los. An dieser Stelle möchte ich mich ganz herzlich bei meiner Professorin und Mentorin Prof. Myriam Gautschi für ein unvergessliches Studium bedanken, das ich so nie erwartet hatte. Es eröffnete mir neue Welten der Architektur und des Denkens. Danke auch an Prof. Josef Lenz für die Erkenntnis, dass Architektur manchmal mehr mit Sehnsucht, als mit Maßen zu tun hat und für sein Engagement bei der Begleitung der Summer School São Paulo. Auch danke ich dem Prüfungsausschuss für die Möglichkeit, eine solche Thesis bearbeiten zu dürfen.


Wahrgenommene sich in der Weise verbinden [eine kohärente Einheit bilden] drängt sich auf.[…] In diesem Fall gibt es eine gemeinsame Sprache, einen Konsens, einen Code. Man kann annehmen, dass die Stadt in der westlichen Welt von der italienischen Renaissance bis zum 19.Iahrhundert dieses Glück hatte. Die Raumrepräsentation dominierte und ordnete sich den ursprünglich religiösen, auf symbolische Figuren [...] reduzierten Repräsentationsraum unter.[...] Die Horizontlinie der Fluchtpunkt und der ins Unendliche verlagerte Schnittpunkt der Parallelen legten eine intellektuelle und zugleich visuelle Repräsentation fest […]. Diese Repräsentation, die über Jahrhunderte hinweg entstand, wurde in die architektonische und urbanistische Praxis eingebracht: die Perspektiven, der Code.[...] Die Raumrepräsentationen sind, so wäre zu zeigen, von einem stets relativen und sich verändernden Wissen durchdrungen.[...] Die eher gelebten als konzipierten Repräsentationsräume sind nie zur Kohärenz und auch nicht zum Zusammenhalt verpflichtet. Sie sind vom Imaginären und vom Symbolismus durchdrungen und haben ihren Ursprung in der Geschichte eines Volkes sowie jedes Individuums[...]. Der Repräsentationsraum wird erlebt, gesprochen; er besitzt einen Kern oder ein affektives Zentrum, das Ich, das Bett, das Zimmer, die Wohnung oder das Haus bzw. den Platz, die Kirche oder den Friedhof. Er enthält die Orte des Leidens/ der Leidenschaft [passion] und des Handelns, die der früher erlebten Situationen, d.h., er impliziert unmittelbar die Zeit.[...] Man kann davon ausgehen, dass die Raumrepräsentationen eine praktische Bedeutung haben, dass sie sich in räumliche Texturen einfügen, die von wirksamen Kenntnissen und Ideologien geprägt sind, und sie dabei verändern. Die Raumrepräsentationen hätten somit eine beträchtliche Bedeutung und einen spezifischen Einfluss auf die Produktion des Raums. Inwiefern? Durch das Bauen, d.h. durch die Architektur,[…] als Projekt, das sich in einen räumlichen Kontext und eine Textur einfügt, was ‹Repräsentationen› nötig macht, die sich nicht im Symbolischen oder im Imaginären verlieren.


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Wie

sind Berlin, São Paulo & Tōkyō vergleichbar? Trotz der Unterschiedlichkeit der drei analysierten Städte, in Größe, Dichte und Bevölkerungszahl, sind auf der Ebene des Quartiers die Gegebenheiten vergleichbar. Das Quartier stellt den Bereich der Stadt dar, der maßgeblich die Lebensqualität der Bewohner beeinflusst. Durch die Reduktion der untersuchten Wohnformen auf repräsentative Standardtypologien, wie Blockrand, Stadthaus und »Wohnmaschine«, wird nicht nur das unterschiedliche Raumverständnis innerhalb der drei Kulturen deutlich, sondern auch die verschiedenen Auffassungen von Wohnen und öffentlichem Raum. Durch die Gegenüberstellung möchte ich die europäische Sicht- und Denkweise infrage stellen. Die europäische Vorstellung von Raum, als fixen gegebenen Kasten, soll durch das Fremde erweitert werden und Möglichkeiten aufzeigen, den öffentlichen Raum als Erweiterung des Wohnens und als Bereicherung der Lebensqualität zu sehen.



ABC Zum รถffentlichen Raum


A Abstraktion Brockhaus*: Abstraktion die, -en [spätlat. abstractio] Denkvorgang bei der Bildung von Begriffen und Gesetzten, gekennzeichnet durch das stufenweise Heraussondern bestimmter merkmale in der Absicht, das Gleichbleibende und das Wesentliche versch. gegegnstände zu erkennen; auch das Ergebnis des A.-Prozesses. Bei der generalisierten A. werden die relevanten gemeinsamen Merkmale versch. Gegestände oder Klassen herausgehoben, wobei von den unwesentlichen, sich unterscheidenden abgesehen wird. Bei der isolierten A. wird einem einzelnen Merkmal oder einer Relation Selbstständigkeit verliehen, und zwar durch Abziehen alles dessen, was davon verschieden ist. Die idealisierte A. zielt auf ideale Modelle. Welche Merkmale für wesentlich gehalten werden, hängt einerseits von der sachl. Fragestellung, andererseits von Aufmerksamkeit, Interesse, Einsicht und Bildung ab. Man kann eine A. immer weiterführen und bis zu allgemeinsten Begriffen gelangen. [...] Die Fähigkeit zur A. ist eines der Merkmale der Intelligenzentwicklung (→Lernen). [...]

*   Brockhaus – die Enzyklopädie: in 24 Bänden 1999 a: Band 1

Unsere deutschen Kultur ist geprägt von der Dichotomie von Original und Kopie. Die Kopie, egal wie perfekt sie ausgeführt ist, erfährt nie dieselbe Anerkennung wie das Original. Dies ist klar in unserem geschichtlichen Denken verhaftet. Das Original trägt die Geschichte in sich, wohingegen die Kopie geschichtslos ist und damit keinen Wert hat. Abstraktion wird als solche nur in ihrer formellen Anwendung gewürdigt. Eine geschichtliche Abtraktion, wie sie im Tempelbau in Japan durch Wiederaufbau und Zerstörung entsteht, ist uns gänzlich unbekannt.


23

In Brasilien findet sich eine sehr eigene und sinnliche Formensprache in der Architektur. Sie symbolisiert und stilisiert die überbordende Natur und die Schönheit*. Das Spiel zwischen Abstraktion und Kopie findet sich hier vom Städtebau, über die Fassadengestaltung bis hin zu Tektonik. »Die Architektur besteht aus Traum, Phantasie, Kurven und leeren Räumen.«** *  vgl. Oscar Niemeyer 2000 ** Oscar Niemeyer 1996,a: 50 ff.

Japaner haben die Fähigkeit, Kopien und Nachbauten sehr unkritisch zu rezipieren. Durch die Tradition des Shintoismus, der in Erneuerung das Ewige sieht, sind gute Kopien dem Orginal gleichgestellt. Es herrscht ein Dualismus von Orginal und Kopie, sowie von Abstraktion und Kopie. Abstraktion als prägendes Gestaltungsmerkmal wird besonders im Umgang mit der Natur als Garten deutlich. Die symbolische Darstellung von realen Gegebenheiten, wie beispielsweise ein Stein als Berg, stellt eine Abstraktion zweiten Grades dar. Eine perfekte Kopie wird ebenso respektiert und bewundert, wie eine gelungene symbolische Abstraktion. Die genau Kopie lässt keinen Raum für Selbstinterpretation, ist kein »offenes Kunstwerk« im Sinne Umberto Ecos. Sie wird bewundert für ihre Perfektion. Abstraktion hingegen stellt die realen Gegebenheiten in den Kontext des Kosmos und lässt Freiräume zur eigenständigen Interpretation, sie ist das »offene Kunstwerk«. »Die Poetik des ‹offenen› Kunstwerks strebt [...] danach, im Interpreten ‹Akte bewußter Freiheit› hervorzurufen, ihn zum aktiven Zentrum eines Netzwerkes von unausschöpflichen Beziehungen zu machen.«* *  vgl. Umberto Eco 1977


Beobachtung

A  Wiederaufbau Schloss Berlin

Bilder oben : A  http://der-neunte-raum.ejs-training.de/wpcontent/uploads/2011/09/berliner_schloss_I.jpg zu letzte abgerufen 12.02.13 02:50 C  http://2.bp.blogspot.com/_MHFVZGqOlMk/TKSfW4PQwdI/AAAAAAAAABQ/ HwmKSGbeBsU/s1600/DSC06430.JPG zuletzt abgerufen 122.02.13 03:00

B Autotorium Parque Ibirapuera

C   Shintoistischer Steingarten


Conclusio

25

Abstraktion schafft Freiraum für den Geist. Durch das aktive Einbringen vonseiten des Betrachters, wird Kunst und Raum erst geschaffen. Es entstehen Möglichkeitsräume für individuelle Interpretation und Transformation des Vorgefundenen.

Abstraktion, »das offene Kunstwerk« als Methode zu Generierung von öffentlichem Raum und Möglichkeiten, sowie individueller Freiheit und Entfaltung

A Abstraktion_ AZIT


A Anonymität Brockhaus*: Anonymität die,[griech.]: allg.: Unbekanntsein des Namens, Namenlosigkeit; Nichtbekanntsein, Nichtgenanntsein. Soziologie: Form der sozialen Beziehung, die durch eine auf die Ausübung sozialer Rollen und Funktionen beschränkte Interaktion oder durch unstrukturiertes Handeln oder Isolierung in einem kollektiv gekennzeichnet ist, bes. von der Stadtsoziologie als Aspekt urbaner Agglomeration und der Sozialpsychologie als Problem Alleinstehender und älterer Menschen im großstädt. Lebensraum untersucht.

*  Brockhaus – die Enzyklopädie: in 24 Bänden 1999 a: Band 1

Die ursprünglich, als Mietskasernen angelegten Blockrandbauten, sind heute von einer starken sozialen Durchmischung geprägt. Dies führt jedoch oftmals zu einem Verlust des Zugehörigkeitsgefühls, da auch heute noch das Sprichwort »Gleich und gleich gesellt sich gerne« gilt, was durch soziale und gesellschaftliche Heterogenität nicht mehr gegeben ist. Dazu kommt noch, dass es keinerlei Vermittler zwischen dem Privatem und dem Öffentlichen gibt. Ja, man begegnet sich ab und an im Treppenhaus, vielleicht grüßt man auch und doch sind einem die meisten Mitbewohner im Haus (namentlich) unbekannt, anonym. Unbemerktes kommen und gehen ist fast immer möglich und es gibt keinerlei Grund, Kontakte zu knüpfen. Dadurch wird das nahe Umfeld, zumindest außerhalb des Blocks, klar dem öffentlichen anonymen Raum zugeordnet, der wiederum durch seine Beschaffenheit als Verkehrsraum, eher selten den identitätsstiftenden »Dorfplatzcharakter« aufweist. Was diesem am Nächsten kommt sind die Blockrandecken, an denen sich oftmals kleiner Einzelhandel und kommunikative Einrichtungen finden.


27

Gerade das Edifício Copan sollte von Anonymität geprägt sein, sollte man meinen, bei 5000 Bewohnern und einer eigenen Postleitzahl. Doch dieses riesige Wohngebäude ist nach dem Dorfprinzip aufgebaut. Dabei ist das offene Erdgeschoss das vermittelnde Zentrum. Hier begegnen sich die Bewohner untereinander, sie begegnen der Stadt und dem öffentlichen Raum. Die den fünf Eingängen vorsitzenden Portiers nehmen eine Vermittlerposition für die unterschiedlichen Wohnteile ein. Sie kennen die Bewohner, bringen sie durch Gespräche zueinander. Es ist kein unbemerktes Betreten des Privaten oder des Öffentlichen möglich. Immer muss man an den Portiers vorbei. Man grüßt, man hält Smalltalk, man lacht, man tritt von einem Raum in den anderen, immer in Begleitung, ein und aus. Anonymität herrscht zwar aufgrund der Größe der Megacity, doch im direkten Umfeld ist, wie in Tōkyō, ein soziales kommunikatives und vermittelndes Netz zu finden, das den Bewohner in »sein Dorf« in der Metropole einbindet.

Durch die Kleinteiligkeit der Wohnviertel Tōkyōs entsteht ein fast »dörflich anmutendes Zugehörigkeitsgefühl«*. Die meist vorherrschende soziale Homogenität, verbunden mit einer kulturbedingten strengen Kontrolle durch das Umfeld untereinander, schaffen eine »traditionelle Verbundenheit vieler Bewohner mit ihrer jeweiligen Nachbarschaft«**. Gemäß Friedemann Schulz von Thun, ist die Verbundenheit – neben einem ausreichenden Grad an Freiheit, dem Bedürfnis geliebt zu sein und dem Empfinden von Eigenwert, eines der vier seelischen Grundbedürfnisse*** und trägt daher maßgeblich zur Lebensqualität bei. * Krusche, Roost 2010 a:97 **  ebd. ***  Wikipedia: Verbundenheit zuletzt abgerufen 01.02.13 13:15


Beobachtung

A Klingeschilder Berlin Wedding

Bilder oben : B  © Mateus Tenuta C  ©2G N.50 Sou Fujimoto

B  Porteiro Blocko F im Edifício Copan

C  Nachbarschaft House NH, Sou Fujimotot


Conclusio

29

Anonymität verhindert Verbundenheit und Identifizierung mit dem Umfeld. Da diese aber ausschlaggebend für die Lebensqualitätsind, ist es wichtig Anonymität klar entgegenzuwirken, um den öffentlichen Raum nicht als ein »schwarzes Loch voller Unbekanntem« dem bekannten privaten Wohnen gegenüber zustellen.

Je bekannter man ist in seinem direkten Umfeld und je mehr man kennt, desto verbundener ist man dieser Öffentlichkeit und desto freier und ungehemmter bewegt man sich in ihr, wodurch der öffentliche Raum stärker belebt und damit noch attraktiver wird.

A Anonymität_ AZIT


A Augenhöhe Wikipedia*: Die Augenhöhe ist ein räumlich-körperlicher, aber auch ein sozialer Begriff. tech. Begriff, Nautik, Vermessung: In der Seefahrt hat die Augenhöhe über dem Meeresspiegel große Bedeutung bei der Berechnung von Sichtweiten infolge der Erdkrümmung und bei der für die Astronavigation wichtigen Kimmtiefe. Sie wird dort meist Augenhöhe genannt. In der Geodäsie ist sie als Instrumentenhöhe ein wesentlicher Parameter bei der trigonometrischen Höhenmessung und der Reduktion von Schrägdistanzen auf den Horizont. sozial-psychologisch: Die vertikale Positionierung der Augen, durch welche die Körpergröße anderer Personen mit der eigenen verglichen wird, ist meistens direkt mit gesellschaftlichem Status und Selbstwertgefühl verbunden. Menschen verlangen in existenziellen Situationen das Gespräch »auf gleicher Augenhöhe«, d.h. sie wollen den Gesprächspartnern ebenbürtig sein. Wer sich andere Personen größer als sich selbst vorstellt, fühlt sich ihnen meist unterlegen, weniger wertvoll und ordnet sich selbst einen geringeren Status zu.

*  Zuletzt abgerufen 28.01.13 11:20

Durch normierte Brüstungshöhen und Möblierung liegt in Europa die durchschnittliche Augenhöhe zwischen 100-170cm. Daher ist Ausblick oder Einblick nur in stehender oder sitzender Position möglich und bietet daher immer gleiche Perspektiven.


31

Durch oftmals raumhohe Verglasung des Wohnens sind Ausblicke in jeder Körperlage, stehend, sitzend und sogar liegend prinzipiell möglich, wenn auch meist gefiltert durch die der Verglasung vorgehängten Verschattungselemente. Diese Brise Soleils rahmen und führen den Blick.

Das Wohnen in Japan findet auch heute noch auf den Bodenflächen statt. Möbel sind eher selten. Daher ist die Augenhöhe hier bei 30 - 40 cm über der Bodenfläche*. Allerdings weisen die meisten Wohnhäuser unterschiedliche Brüstungshöhen auf, so dass Ausblicke in allen Körperlagen und mit unterschiedlichsten Perspektiven möglich sind. *  vgl. Wolfgang Feschrer 2005 a:171ff.


A

B

C

Abstraktion

sCHEMATA

Beobachtung


Conclusio

33

Die Augenhöhe ist ausschlaggebend für den Wahrnehmungsbereich des Umfelds, des eigenen Wohnens, als auch des öffentlichen Raums. Augenhöhe bestimmt, welche Perspektive wir auf das Außen haben, auf das Fremde, auf das Kollektiv. Indem ihr möglichst unterschiedliche Perspektiven durch verschiedenste Formen von Öffnungen gegeben sind, nimmt man das Außen an, bindet es in das Private ein, versteht es als Ergänzung. Es werden unterschiedliche Bilder gezeigt, welche je nach Höhe, stark variieren. Ausblicke werden ohne Einblicke möglich. Dadurch wird öffentlicher Raum in das Private eingebunden, ohne Furcht vor Verletzung der Privatssphäre. Je größer die Spannweite der Augenhöhe , je abwechslungsreicher die Perspektiven auf den öffentlichen Raum, desto stärker wird das entstehende Bild als Bereicherung des Privaten empfunden. Je differenzierter diese Bilder, desto näher kann das Außen an das Innen heranrücken, ohne die Privatssphäre des Wohnens zu verletzten..

Bilder links : A Ausblick Wohnung B Ausblick Copan C Ausblick Teehaus © Wolfgang Feschrer 2005 q:54

A Augenhöhe_ AZIT


B Bewegung in der stadt Brockhaus*: Bewegung die, -en Biologie: die passive oder aktive Orts- oder Lageveränderung eines Organismus oder von Teilen des Organismus. [...] Die Fähigkeit zur aktiven B. dient - neben anderen - oft als Kriterium, um Leben von unbelebter Natur zu unterscheiden.[...] Philosophie : Als Veränderung, Werden ist B. Grunderscheinung einer Welt, in der sich alles verändert (lat. ens mobile ‹bewegtes Sein›; Ggs.: ewiges, unveränderl. Sein). Der B.-Begriff fasst Mannigfaltiges als Eines. B. stellt einen Zusammenhang dar, innerhalb dessen der Übergang von einem bestehenden Zustand in einen anderen abläuft. Solchem Wechsel liegt etwas zugrunde, das B. erfährt, versch. Bestimmungen durchläuft, sich selbst aber erhalten bleibt. B. ist eine Art Zusammenschluss zweier Naturen, einer wirklichen und einer möglichen. Das Wesen eines bewegten Seinenden liegt darin, dass es sich durch B. verwirklicht. Indem es sich bewegt, wachsen Anfang und Ende zus., die gegenwärtige Wirklichkeit als Ursprung und ein mögl. Zustand als in der Zukunft stehendes Ziel. Das Wesen der B. ist die B. des Wesens (F. Kaulbach). In der Begriffsgesch. sind fünf Lehrmeinungen bedeutsam: die vom quantitativ-mechan. Mehren/Mindern, vom qualitativeidet. Wandel, von der dialekt. B., vom organ. Wachstum und das Theorem vom paradox-apretischen Schein (Zenon von Elea). Manche Arten von B., ob stetig oder sprunghaft, ob in Kreisen, linear oder gleich einer Spirale, sind Vorbild systembildender Vorstellungen in Naturphilosophie und Geschichtesphilosophie. Physik: die Änderung des Zustandes physikal. Systeme, insbesondere die Ortsveränderung eines Körpers in Bezug auf einen anderen Körper oder auch ein durch andere Körper festgelegtes und als ruhend angenommenes Bezugssystem (Relativ-B.). Ohne Angaben des Bezugssystems ist jede Beschreibung von B. physikal. inhaltslos. [...] Streng genommen ist also jede B. eine Relativ-B.; von absoluter B. oder absoluter Ruhe kann nicht gesprochen werden (→Relativitätstheorie).

*  Brockhaus – die Enzyklopädie: in 24 Bänden 1999 a: Band 1

In Berlin , wie im ganzen europäischen Kulturkreis, ist die Bewegung in der Stadt deutlich von einer Verweil- und Aufenthaltskultur geprägt. Die Bewegungsströme, in Hinblick auf dieses angestrebte Verweilen, sind daher meist auf das historische Zentrum und Platzanlagen gerichtet. Flanieren, ist ebenfalls meist nur in dafür vorgesehenen Räumen zu finden. Das sich alltägliche Bewegen von einem Aufenthaltsort ist fast immer mit einem klaren Ziel verbunden, ohne Nebentätigkeit, wie Freizeitgestaltung. Die Funktionstrennung der Moderne für den Stadtraum haben zu klar getrennten Bewegungsformen geführt. Bahn-, Taxi-, Auto-, Fahrrad- und Fußgängerverkehr sind meist räumlich von einander getrennt, Überlagerungen finden sich daher nur selten. Dem öffentlichen Raum ist in verschieden Bereichen eine klare Funktion zugeordnet, z.B. ist Fahrradfahren im Fußgängerbereich meist verboten. Das Auto gilt weiterhin als wichtigstes Transportmittel.


35

Durch die großen Distanzen verläuft die Bewegung in der Stadt von São Paulo meist netzartig. Mit U-Bahn und Taxi bewegt man sich von Insel zu Insel, von »Dorfplatz« zu »Dorfplatz«. Auch hier findet sich eine Funktionstrennung. In São Paulo ist diese aber mehr von Masse und Größe geprägt. So sind die großen Durchgangsstrassen täglich von kilometerlangen Staus verstopft. Fußgänger finden sich nur in den Einkaufsstrassen, in denen sich Passanten und Verweilende durchmischen. Das Fahrrad hat in den letzten Jahren stark an Attraktivität gewonnen. Allerdings ist es immer noch Ausdruck einer alternativen Lebenseinstellung und daher eher selten anzutreffen. Neu im öffentlichen Raum sind daher vormarkierte Fahrradbereiche, die die »Fußgängerzonen« durchqueren und so beide hüllenlosen Bwegungsformen, wie Gehen und Radfahren, mit unterschedlichen Geschwindigkeiten, in einem Land vereint.

Passantenströme in Tōkyō, in den kleinen Gassen, ebenso wie in den großen Vergnügungsvierteln, überlagern sich in alle Richtungen*. Die Strassen bieten kaum Orte des Verweilens, höchsten ab und an Stühle, die von den Bewohnern der Stadt in den Straßenraum gestellt werden, speziell für die überalterte Bevölkerung Japans und somit Sitzmöglichkeiten mitten im Tumult schaffen. Hier findet sich keinerlei Funktionstrennung zwischen Fahrenden und Gehenden. So finden sich auf einer Strassen sowohl Fußgänger und Fahrradfahrer, ohne vordefinierte Flächen, als auch PKW-Verkehr und öffentliche Busse. Einzig die Bahn, sie ist meist dem Stadtraum enthoben und schwebt über ihr. Die Bahn ist nicht nur wichtigstes Transportmittel**, sondern prägt auch stark die Stadtplanung. * Krusche, Roost 2010 a:37 ** Krusche, Roost 2010 a:39


A

B

C

sCHEMATA

Beobachtung


Conclusio

37

Das Bewegen durch die Stadt und den öffentlichen Raum hat große Auswirkung auf dessen Wahrnehmung, er wirkt dadurch belebt und attraktiv. Indem sich Bewegungsströme überlagern, werden unterschiedlichste Gesellschaftsgruppen zusammen gebracht und der öffentliche Raum in verschiedenster Weise genutzt.

Je mehr Bewegung und je gemischter die Bewegungsform, desto belebter ist der öffentliche Raum.

Bilder links : A Kurfürstendamm Berlin B Einkaufsstrasse Rua 25 de Marco C  Shibuya Kreuzung http://2.bp.blogspot.com/_M3WjPyH95RU/TIjeY_MUcoI/AAAAAAAABO8/ yIkRIZvkmi0/s1600/IMG_0367.JPG zu letzt abgerufen 10.02.13 08:15 © Oliver Roetz

B Bewegung_ AZIT


C Code Brockhaus*: Code der,-s [zu lat. Code] Informatik, Nachrichtentechnik: System von Regeln und Übereinkünften, das die eindeutige Zuweisung (Codierung) von Zeichen zweier versch. Zeichenvorräte (Alphabete) erlaubt.[...] Wikipedia**: Code der,-s [zu lat. Code] Im Allgemeinen ist ein Code eine Vereinbarung über einen Satz (eine Menge) von Zeichen wie z. B. Index, Icons oder auch Symbolen (Bedeutungsträgern, oder Verweisen) zum Zweck des Informationsaustauschs. Information existiert nicht in »reiner« Form; sie ist immer in irgendeiner Weise formuliert. Ein Code ist – allgemein ausgedrückt – eine Formulierung von Information in der die Zeichen syntaktischen, semantischen und pragmatischen Regeln unterliegen. [...] In der Kommunikationswissenschaft bezeichnet ein Code im weitesten Sinne eine Sprache.

*  Brockhaus – die Enzyklopädie: in 24 Bänden 1999 a: Band 1  **  Zuletzt abgerufen 21.01.13 12:45

Der Code Berlins ist ganz klar die Geschichte, die ablesbare Kontinuität. Durch die ganze Stadt kann man den Spuren deutscher Geschichte folgen. Alle Stile sind zu finden, ebenso wie die verschieden politischen Epochen. Entstanden ist ein stadtgeschichtlicher Teppich, der unterschiedlichste Muster, ähnlich einem Patchwork, aufweist, die unterschiedlichsten Epochen an klaren Grenzen aufeinanderstoßen.


39

São Paulo ist klar als urbanes Palimpsest zu betrachten. Der Code der Stadt wird immer und immer wieder überschrieben, wobei Altes nicht erhalten bleibt, sondern vollständig aus dem Code der Stadt verschwindet. So wurde aus der Av. Paulista mit den Residenzen der Kaffeehändlern ein neues Zentrum, dominiert von riesigen Antennenanlagen auf den Dächern der Hochhäuser. Historisches ist nur in kleinsten Restbeständen in der Stadt zu finden, überall verstreut, wie kleine vergessene Hieroglyphen.

Der Code Tōkyōs ist seit Jahrthunderten fast unverändert. Obwohl die Stadt zweimal in großen Teilen neu aufgebaut worden ist, sind die alten Formen erhalten geblieben. In die kleinteiligen und verwinkelten Parzellen wurden neue Häuser gebaut. Sie sind klar in der Jahrtausende alten Tradition verankert. So kann man sagen, dass hier der Quellcode die japanische Tradition ist und nur von einer technischen Transformation ergänzt wird, ohne dass diese das urbane Gefüge beeinträchtigen würde.


Abstraktion

sCHEMATA

Beobachtung


Conclusio

41

Der Code einer Stadt ist ihr Fingerabdruck. Ihn zu lesen und zu verinnerlichen ist Grundvoraussetzung für jegliche Transformation der Stadträume. Der Code gibt die Sparche des öffentlichen Raumes vor.

Der Code der Stadt ist ihr Fingerabdruck.

C Code_ AZIT


D Dichte Brockhaus*: Dichte, die; -, -n ‹Pl. selten› Fotografie: Densität, Menge des durch Belichtung und Entwicklung in einer fotograf. Schicht hervorgerufenen kristallinen Silbers (Schwärzung) oder der Farbstoffpartikel (Farb-D.); ausgedrückt als der Logarithmus der Opazität 0 (Kehrwert der .... Transparenz T) an der betreffenden Schichtstelle: D = IgO = Ig 1fT; der so erhaltene Wert wird meist an das Formelzeichen Dangefügt (Do, DI usw.). Die je nach Belichtungseindruck erzielte D. ist ein Charakteristikum einer fotograf. Emulsion (→ Empfindlichkeit) → Gradationskurve.

Dichte in Berlin ist keine bauliche sondern eine historische. Die Spuren der Geschichte prägen den Raum, zeichnen ein Bild des Wandels. Es finden sich Brüche und Leerstellen, die für geschichtliche Ereignisse stehen. Und kaum eine Stadt in Europa hat so eine dichte und vielfältige Geschichte wie Berlin.

Wikipedia** Dichte, die; -, -n ‹Pl. selten› allg.: Verteilung einer Menge oder eines Merkmals in einem bestimmten Raum

81,8mio 2011

61mio 1970 *  Brockhaus – die Enzyklopädie: in 24 Bänden 1999 a: Band 1 **  Wikipedia, zu letzt abgerufen 12.01.2013 01:05

10_BevÖLkerungSzuWachS


43

Hier ist die Dichte in der Vertikalen. Das endlosscheinende Häusermeer wird auf Grund der Topografie als solches nur aus der Höhe wargenommen. Schicht über schicht legt schiebt sich die Stadt vor den Horizont. Aus der Fußgängerperspektive ist diese Dichte nur wenig spürbar. Grund hierfür sind unter Anderem die offenen Erdgeschoss, Kulturbauten, wie das MASP und das CCSP, und großen Gallerien, die eine Durchquerung durch die Block ermöglicht und so das Gefühl von Weitläufigkeit erzeugt.

Dichte findet sich in Tokyo vorallem in der Fußgängerperspektive. Die Kleinteiligkeit und der hohe Bebbauungsgrad der Quartiere sind allgegenwärtig spürbar. Die Nutzungen überlagern sich, durchmischen sich, lösen sich ineinander auf. Es ensteht ein flimmerndes Bild in dem privates und Öffentliches sich überlagert.

196mio 2011 127mio 2011 104mio 96mio

1970

1970

10_BevÖLkerungSzuWachS

10_BevÖLkerungSzuWachS


Beobachtung

A  Weitung: Alexanderplatz

Bilder oben : A-B  © Google Earth C  ©Clemens Mohr q: www.fotocommunity.com zu letzt abgerufen am 12.02.13 08:10

B  Weitung: CCSP Centro Cultural SP

C   Weitung: Strassenkreuzung Shibuya


Conclusio

45

Dichte prägt maßgeblich die Lebensqualität. Ist sie zu hoch und bestehen keine räumlichen Weitungen, kann schnell das Gefühl des Erdrückens evoziert werden. Ist die Dichte zu niedrig, schein der Mensch im öffentlichen Raum verloren. Ohne Horizont kann sich der Mensch nicht verorten* . Um diese Verortung zu gewährleisten muss öffentlicher Raum als Weitung der Stadtstruktur geschaffen werden.

Je höher die Dichte, desto wichtiger werden räumliche Weitungen. Sie ermöglichen eine Verortung über den Horizont. Diese Weitungen sind öffentlicher Raum.

*  vgl. Sverre Fehn 2009

D Dichte_ AZIT


D Distanz Brockhaus*: Distanz die, -en zu lat. distare ‹auseinander steheh›] allg.: räuml. Abstand, Entfernung; Reserviertheit, Zurückhaltung im Umgang mit anderen Menschen. Soziologie: soziale D., Grundbegriff insbesondere der formalen Soziologie (G. Simmel, L. von Wiese), der den Grad sozialer Nähe oder Ferne von Personen, Gruppen oder kollektiven im sozialen Raum bezeichnet. Räumlich-körperl. bzw. phys. Nähe kann unter Einfluss von Einstellungen, Vorurteilen, Kontaktmöglichkeiten, Sympathie- und Antipathiegefühlen sowohl mit geringer wie auch mit großer sozialer D. zutreffen und umgekehrt. Die soziale D. ist bei Gruppen (Völkern, Angehörigen versch. Schichten, Berufe, Religionen u.a.) umso größer, je stärker sie sich voneinander unterscheiden oder zu unterscheiden glauben. Die Dynamik sozialer D. resultiert aus Prozessen des gegen- und Zueinander. Die →Soziometrie bemüht sich um Messungen und Darstellung der Unterschiede von D.-Empfindungen zw. Gruppenmitgliedern. Verhaltensforschung: der (unbewusst eingehaltene) Abstand zu nicht vertrauten Objekten oder fremden Individuen. Diejenige D., bis auf die sich ein mögl. Feind (auch der Mensch) einem Tier nähern kann, wird als Toleranz-D. bezeichnet. Bei Annäherung erfolgt entweder Flucht ( FluchtD.) oder Angriff (Angriffs-D.). Selbst innerhalb einer Art halten zahlr. Tiere i.d.R. einen ganz bestimmten Abstand zueinander (Individual-D.) ein. [...] Auch beim Menschen gibt es eine Individual-D. in kommunikativen Situationen, deren Durchbrechung durch nicht vertraute Personen als unangenehm empfunden wird. Sowohl die Ausprägung dieser persönl. ‹Schutzsphäre› als auch die Reaktion des Einzelnen auf Nichtrespektierung seiner Individual-D. ist von persönl. und kulturellen Faktoren abhängig.

*  Brockhaus – die Enzyklopädie: in 24 Bänden 1999 a: Band 5

Aufgrund der stadtgeschichtlichen Entwicklung, ist Berlin auf Blickachsen und wohl komponierten Perspektiven aufgebaut. Diese sind auch in den Wohnquartieren allgegenwärtig spürbar. Durch die einheitliche Traufhöhe wird ein »künstlicher Horizont« geschaffen und Weitsicht oder Durchsicht ist nur aus den obersten Geschossen möglich. Durch breite Strassen und Hinterhöfe ist die Distanz zum Gegenüber sehr groß. Die euklidische Raumwahrnehmung, mit einer messbaren Wiedergabe von Distanz und die Zentralperspektive, ist sowohl in der Stadtstruktur, als auch im Stadtbild, allgegenwärtig*. Auch ist die Individual-Distanz in Deutschland deutlich größer als in den anderen beiden Kulturen, was besonders im Begrüßungsritual des »Händeschüttels« abzulesen ist, bei dem man sein Gegenüber auf Armeslänge von sich entfernt hält. * Krusche, Roost 2010 a:90


47

In São Paulo leben die meisten Bewohner »über« der Stadt. Zudem ist die Bebauungsdichte sehr hoch und eine einheitliche Traufhöhe gibt es nicht — ein wogendes Meer aus Hochhäusern bildet den Horizont. Zwar herrscht eine euklidische Raumwahrnehmung, die allerdings, auf- grund der Dichte und des rassanten Wachstums in der Stadt, kaum lesbar ist. So weisen die Strassenzüge keine Zentralperspektive auf. Die Überlagerung der Gebäude mit ihren unterschiedlichsten Höhen, macht eine Wahrnehmung von Distanz für den Betrachter unmöglich. Auch die privaten Aussenbereiche sind oftmals sehr dicht zu dem Gegenüber. So können sie schon eher dem Öffentlichen, als dem Halbprivaten zugeschrieben werden. Die Individual-Distanz ist in der brasilianischen Kultur ebenfalls deutlich verkleinert. Sie wird weniger über das Körperliche, als vielmehr über eine komplexe verbale Struktur gewahrt. So ist eine Begrüßung immer mit einem Kuss und einer Umarmung verbunden und auch Begriffe wie »eine Umarmung« sind natürliche Grußformeln, die keinerlei Aussage über das persönliche Verhältnis der Menschen zueinander zulassen.

Die dichte, urbane Struktur der Stadt, mit den sehr alten traditionellen rojiGassen, ist von der Dualität Nähe und Distanz geprägt. Die meist 2-3 geschossige Bebauung schafft, ähnlich wie in Berlin, einen künstlichen Horizont, der allerdings für die Bewohner kaum wahrnehmbar ist. Die Nähe zur Nachbarschaft und die rigide Kontrolle durch diese, führen dazu, dass Distanz nur nach innen geschaffen werden kann. In der nicht-euklidischen Raumwahrnehmung spielen Zentralperspektive und die messbare Wiedergabe von Distanzen und Größenverhältnissen kaum ein Rolle. Dies wird besonders in der bildlichen Darstellung, durch das Fehlen des Mittelgrundes bzw. des Zwischenraumes, sichtbar*. Auch in der japanischen Kommunikationskultur wird dies deutlich. So ist das Begrüßungsritual zwischen Personen deutlich von Distanz zueinander geprägt, was in dem gebührenden räumlichen Abstand, den man bei der Begrüßung einhält und der Verbeugung ohne jeglichen Körperkontakt, verdeutlicht wird. * Krusche, Roost 2010 a:90


Beobachtung

Abstraktion

Bilder oben : R.H. RUHLEDER& Hall: Rhetorik, Kinesik, Dialektik. Redegewandtheit, Kรถrpersprache, ร berzeugungskunst. (Verlag Wissenschaft, Wirtschaft und Technik)1992 (1981)


Conclusio

49

Der Umgang mit Nähe und Distanz ist von Kulturkreis zu Kulturkreis sehr unterschiedlich. Dabei spielt nicht nur die räumliche Distanz eine Rolle, sondern auch die soziale Distanz. Die Wahrung von Distanz, räumlich wie individuell, trägt maßgeblich zu einem harmonischen Zusammenleben bei. Wird sie, entgegen kultureller Gegebenheiten unterwandert, führt dies dazu, dass der Raum sich leert und verwaist, bzw. vom Individuum gemieden wird. Abschließend lässt sich festhalten, dass Distanz nicht immer nur räumlich geschaffen werden muss, sondern sich in das kulturelle Gefüge einpassen sollte, dass Räume Individual-Distanz gewährleisten müssen, um niemanden seiner gefühlten Freiheit und Privatssphäre zu berauben. Distanz ist je nach Kultur unterschiedlich. Sie trägt maßgeblich zum Kommunikationsverhalten bei. Sie muss nicht immer nur räumlich geschaffen werden.

D Distanz_ AZIT


D Dividual Spaces Atleier Bow-Wow*: dividual spaces Prof. Yoshiharu Tsukamoto, Atelier Bow-Wow »Commercial settings that provide immediate public admittance to non-supervised and fully-equipped personal space by charging the user a low price by short increments of time« The study shows how this type of setting can tranform our view on the city since we are no longer able to divide the urban life into a polemic of ‹private vs. public›. The ‹dividual› provides spaces where »individuals can act separately within the public realm«, providing a third alternative.

*  http://tokyoclues.blogspot.de/2009/07/dividual-space.html

In Deutschland findet sich diese Raumform nicht. Selbst Zimmer für Prostitution sind meistens von den Damen über längere Zeiträume angemietet und werden als ihr »Eigentum« betrachtet.


51

Auch in Brasilien finden sich Love-Hotels, die nicht zur Prostitution dienen, sondern um der Enge der Familie zu entfliehen, manchmal auch dem eigenen Ehepartner.

Dividual Spaces sind durchaus als ein Charakteristikum von Tōkyō zu sehen und beinhalten großes Lernpotential für unsere westliche Betrachtungsweise, was Öffentlichkeit und Privatsphäre anbelangt. Sie sind unter anderem Resultat der enormen Beschneidung an privatem Raum und der Auslagerung von Wohnfunktionen in den Stadtraum. Sie stellen ein »temporäres Abtrennen vom öffentlichem Raum« dar, indem sie nur stundenweise angemietet und mit anderen geteilt werden — dividual: also gleichzeitig shared und divided. Durch diese temporäre Privatisierung wird öffentlicher Raum erweitert und neu definiert. Diese kurzfristigen Refugien für Privates ohne Besitzanspruch, ermöglichen eine temporäre Flucht aus dem von Familie, Arbeit- und Gruppenaktivitäten geprägten Alltag. Beispiele hierfür sind: Pachinko-Spielsalons, als Orte des Schweigens und der Untätigkeit; Karaoke-Bar, als Ort der Ungestörtheit für Paare und kleine Gruppen. Love-Hotels, anders als in Europa, spielt Prostitution hier eine untergeordnete Rolle; MangaKissa-Internetcafés, mit kleinen abtrennbaren Bereichen zum ungestörten Lesen, Surfen und Schlafen.* * Krusche, Roost 2010 a:103


Beobachtung

A Koberfenster

Bilder oben & rechte Seite: A  Wikipedia: Koberfenster zuletzt abgerufen 05.02.13 20:10 D Krusche, Rosst 2010 q:105 ©Jürgen Krusche

B   pachinko-Spielsalon


Conclusio

53

Dividual Spaces zeigen uns eine Möglichkeit auf, öffentlichen Raum temporär in privaten Raum umzuformen. Dadurch kann der private Raum verschlankt und viele Wohnfunktionen in den Stadtraum ausgelagert werden. Dies steigert nicht nur die Raumeffizienz, was im Hinblick auf Nachhaltigkeit und Ressourcenknappheit von Bedeutung ist, sondern führt auch dazu, dass der öffentliche Raum maximal in das Alltagsleben eingebunden wird und als Bereicherung der eigenen Lebensqualität verstanden werden kann.

Dividual Spaces als zukunftsweisende Variante im Umgang mit Privatem und Öffentlichem und als Werkzeug für Nachhaltigkeit und Effizienz in Zeiten von Raum- und Ressourcenmangel.

D Dividual Spaces_ AZIT


D Durchmischung Duden*: Durchmischung, die Wortart: Substantiv, feminin Bedeutung: das Durchmischen; das Durchmischtsein

durch¬mi¬schen Wortart: schwaches Verb Bedeutung: mit einer Beimischung durchsetzen; untermischen

*  Duden Online 01.02.13 18:20

Durchmischung findet sich in Berlin nur in geringem Maße. Durch Zerstörung und Wideraufbau sind typisierte Wohnquartiere entstanden. Wohnen und Arbeiten finden sich nicht am selben Ort. Zwar waren die ‹Mietskasernen› ehemals auf funktionale Mischung ausgerichtet; die Hofstruktur und die Parterre für öffentliche Einrichtungen, Werkstätten und Handel angelegt. Doch die Umstrukturierung im Zuge der Modernisierungen führte auch zu einer Funktionsentmischung. Auch die soziale Mischung in Berlin ist sehr gering. Viele Stadtviertel sind geprägt von einer homogenen sozialen Zusammensetzung. Dies verursacht sogenannte ‹soziale Brennpunkte› in denen der öffentliche Raum stark verfallen ist und meist von Kriminalität, Gewalt und Drogen dominiert wird. Soziale Bindungen gehen selten über das eigene soziale Niveau hinaus und es bieten sich auch kaum Räume für ein unerwartetes Aufeinandertreffen von Menschen aus unterschiedlichen sozialen Millieus. Die Durchmischung ist hier erst im Maßstab des Stadtgefüges zu erkennen und nicht im Quartiersmaßstab.


55

Hier findet sich die Durchmischung in der Vertikalen. In der Vertikalen sind unterschiedlichste Funktionen geschichtet, schweben über dem öffentlichen Raum. Auch findet sich in vielen Quartieren eine soziale Durchmischung. Das Copan ist hierfür ein guten Beispiel, das mit seinen 5000 Bewohnern fast jede soziale Schicht aufnimmt.

Sowohl funktional als auch sozial ist die Durchmischung hier ein stark prägendes Element für den öffentlichen Raum. Baugrund ist in Tokio sehr teuer, daher wird das meiste Eigentum über Generationen hinweg vererbt. Dadurch entstehen sehr traditionelle Nachbarschaften mit einem sehr hohen Grad an sozialer Bindung, doch trotzdem bleiben diese auch sozial sehr gemischt. Funktionale Durchmischung erwuchs ebenfalls aus der Tradition der Stadthaustypologie. Der ‹Machiya› genannte Bebauungstyp, war seit jeher Heim und Arbeitsstätte in einem. Diese Typologie ist in den kleinteiligen Quartiertsstrukturen auch heute noch so erhalten und bietet den Bewohnern ein maximal durchmischtes Nutzungsfeld.


Abstraktion


Conclusio

57

Durchmischung bildet die Grundlage für Vielfältigkeit. Diese Vielfältigkeit ruft unterschiedliche Handlungen hervor, die ihrerseits wieder Raum produzieren. Durchmischung produziert Vielfalt. Vielfalt produziert Raum.

Je höher die Durchmischung, sozial wie funktional, desto vielfältiger wird der öffentliche Raum durch die unterschiedlichsten Handlungen.

D Durchmischung_ AZIT


E Einblicke Duden*: Einblick, der; -[e]s, -e: 1. a) (Außenstehenden ermöglichter) Blick in etw. hinein: er hatte E. in düstere Hinterhöfe; b) (einem Außenstehenden ermöglichtes) Durchsehen, Durchlesen in bestimmter Absicht, prüfendes [Hin]einsehen: E. in die Unterlagen nehmen; jmdm. E. in die Akten gewähren. 2. Zugang zu einigen typischen Fakten eines größeren Zusammenhangs u. dadurch vermittelte Kenntnis, Einsicht: tiefe -e in eine Methode gewinnen.

*  Duden Online 01.02.13 19:20

In Berlin sind Lochfassaden charakteristisch. Durch sie ist oftmals ein ungefilterter, fast voyeuristischer Einblick in das Innere einer Wohnung möglich. Nur durch additive private Elemente, wie Vorhänge und Jalousien, können sich die Bewohner vor diesem Voyeurismus schützen, da die Architektur selbst hierfür oft keine zufriedenstellenden Lösungen bereit hält. So dienen Roll- und Klappläden nur dem nächtlichen Schutz. Sie führen zu einer maximalen Schließung der Öffnungen und sind daher als Sichtschutz bei Tage ungeeignet. Oftmals fehlen sie jedoch gänzlich und setzen den Bewohner tags und nachts dem öffentlichen voyeuristischen Einblick aus.


59

In São Paulo finden sich klimabedingte Verschattungselemente, wie Brise Soleil, die meist die gesamte Fassade überdecken. Durch sie entsteht eine architektonische Filterschicht. Das erzeugte Flimmern, bei der Betrachtung aus dem öffentlichen Raum, führt zu schemenhaften Einblicken, die meist keinerlei Details offenbaren. Tag und Nacht werden die Einblicke durch grafisch wirkende Muster überlagert und dadurch abstrahiert, dass Details, Handlungen und Personen im Innern meist fast unerkannt bleiben.

Auch heute sind die Öffnungen, oftmals noch durch traditionelle Elemente wie shoji oder Bambusfilter, ausformuliert. Zwar sind diesen Filtern, die sogar nur noch transluzent die Öffnung verschließen, thermische Abschlüsse vorgeschaltet, doch die direkten Einblicke bleiben dem Außen meist verwehrt. Viel mehr entsteht hinter diesen transluzenten Flächen der Öffnungen Schattenspiele der Bewegung und Handlungen im Innern, doch der Betrachter im öffentlichen Raum kann diese nur erahnen und sie sind auf den Schatten abstrahiert. Diese Schattenspiele sind tags wie nachts gegeben und schützen das Private maximal vor dem visuellen Eindringen des Öffentlichen.


A

B

C

Abstraktion

sCHEMATA

Beobachtung


Conclusio

61

Das visuelle Eindringen in das Private stellt, besonders bei hoher Dichte, ein großes Problem für den Umgang und die Akzeptanz des Öffentlichen dar. Durch direkte Einblicke fühlen sich die Bewohner in ihrer Privatssphäre verletzt, dadurch lehnen sie das Außen stärker ab und versuchen es deutlich von ihrem Inneren abzugrenzen. Wird dieses visuelle Eindringen jedoch stark gefiltert und abstrahiert, bleibt die Privatssphäre gewahrt und das Aussen wird als solches akzeptiert und nicht weiter abgelehnt.

Je ungefilterter das visuelle Eindringen des Öffentlichen in das Private durch Einblicke erfolgt, desto stärker wird das Öffentliche abgelehnt und desto größer werden die Bemühungen sein, den öffentlichen Raum zu privatisieren. Je abstrakter die Einblicke für das Aussen sind, desto einfacher wird es, das Innere in seine Alltagswelt miteinzubeziehen und zu akzeptieren.

Bilder links : A  LÖochfassade Berlin B  Lammellenstruktur Copan bei nacht C  Shoij-Fenster, Seki House q: Tokyo Houses 2002 a:100

E Einblicke_ AZIT


E Erdgeschoss Brockhaus*: Erdgeschoss, Parterre das untere Stockwerk, dessen Fußbodenoberfläche meist höher liegt als das Gelände, das das Haus umgibt. Wird das Kellergeschoss über das umgebende Gelände hochgeführt, heißt das untere Stockwerk Hochparterre.

*  Brockhaus – die Enzyklopädie: in 24 Bänden 1999 a: Band 6

Wie in vielen europäischen Städten ist der private Raum ganz deutlich vom öffentlichen Raum abgetrennt. Durch kleine Öffnungen und Eingänge in den Fassaden wird die Grenze zwischen Öffentlichem und Privatem klar gezogen und auch deutlich gemacht. Der Öffentliche Raum dient, bis auf bewusst gestaltete Platzanlagen, fast ausschließlich der Erschließung. Meist ohne Mehrwert für das Quartier, spielt er daher im Alltagsleben keine bewusste Rolle und dient auch wenig zur Kommunikation zwischen den Bewohnern.


63

Im Wohnungsbau in São Paulo ist das Erdgeschoss sehr häufig mit gemeinschaftlichen Einrichtungen belegt und ist deshalb meist vollständig Teil des öffentlichen Raumes. In zum Stadtraum offene Galerien finden sich, neben Dienstleistungseinrichtungen, auch Nutzungen wie Gastronomie und Freizeiteinrichtungen. Hier trinkt man zu Beginn des Tages seinen Café solo und beendet mit solchem auch den Tag. Sehen und Gesehenwerden. Dadurch fließt der Stadtraum gefühlt unter den Privatbereichen des Wohnens hindurch und ist durch seine direkte Anbindung mit seinen Nutzungen stark frequentiert und belebt.

In Tōkyō findet sich überwiegend eine sehr dichte Einfamilienhausbebauung, oftmals gepaart, mit von den Bewohnern betriebenen Handwerksbetrieben, Gastronomie und Einzelhandel. Die zur Gasse hin orientierten Erdgeschosszonen, die an die Öffentlichkeit gerichtete Nutzungen aufnimmt, geht fließend in den Straßenraum über. Die Privatsphäre wird meist nur durch sogenannte noren-Vorhänge im oberen Türbereich gewahrt, die den Blick auf die Gesichter dahinter verdecken und doch durch die offengelegten Beine, die dahinter verborgene Handlung zeigen. Es besteht ein klarer Bezug zwischen Erdgeschoss und öffentlichem Raum über die Horizontale. Oftmals ist der Bodenbelag fast durchgängig. Dadurch ist der öffentliche Raum vollständig in das Wohnen und Arbeiten integriert, ohne den Menschen selbst zur Schau zu stellen.* *  vgl. Krusche,Roost 2010 a: 63ff.


A

B

C

Abstraktion

sCHEMATA

Beobachtung


Conclusio

In unserem europäischen Verständnis von öffentlichem Raum wird dieser als Eindringling in unsere Privatsphäre verstanden und wenn möglich, aus dem Wohnen weitestgehend ausgeschlossen. Die klare Grenze, deutlich gezogen durch die Lochfassade, macht den Kontrast zwischen Privatem und Öffentlichem bewusst. Sie steigert zudem noch die Hemmschwelle, den öffentlichen Raum in das Alltagsleben aktiv einzubinden, wodurch dieser als ein Restraum meist unbelebt und unattraktiv bleibt. Wird das Erdgeschoss dagegen aktiv mit dem öffentlichen Raum verwoben und die Schwellen und Grenzen abgeschwächt, ohne die Privatsphäre zu verletzten, wird die Hemmschwelle gegenüber dem öffentlichen Raum gesenkt. Dadurch wird er leichter angenommen, durch Handlungen belegt und geschaffen. Der öffentliche Raum ist nicht länger Eindringling, sondern Erweiterung des eigenen Wohnens. Ergänzung des einzelnen durch das Kollektivum.

Bilder links : A  LÖochfassade Berlin B  Lammellenstruktur Copan bei nacht C  Shoij-Fenster, Seki House q: Tokyo Houses 2002 a:100

65

Je stärker das EG mit dem öffentlichen Raum verwoben ist, je schwächer die Schwellen und Grenzen ausgebildet sind, desto niedriger ist die Hemmschwelle und desto größer wird der Handlungsraum; der öffentliche Raum wird zur Erweiterung des eigenen Wohnens.

E Erdgeschoss_ AZIT


E Esskultur Duden*: Esskultur, die Wortart: Substantiv, feminin Bedeutung: Kultur des Essens [und der Zubereitung von Speisen] Wikipedia** Esskultur umfasst das gesamte kulturelle Umfeld der Ernährung des Menschen, also beispielsweise Dekoration und Tischsitten, Rituale und Zeremonien, Speisen als Symbole der Reinheit oder der Sünde, oder auch regionale Spezialitäten und damit kulturelle Identifikation. Seit der Antike hatte das Essen stets mit sozialem Status, politischer und religiöser Macht zu tun (vgl. auch Ernährungssoziologie). Heute bestimmen in vielen Kulturkreisen weniger die Fastengebote als vielmehr die Einsicht in gesundheitliche Zusammenhänge eventuelle Bestrebungen zur Mäßigung. Gleichzeitig dominieren die Hektik und damit Fertignahrung und Fastfood den Alltag. Oft wird in diesem Zusammenhang ein Verlust der Esskultur kritisiert. Denn häufig gibt es keine festen Mahlzeiten mehr: Sie werden abgelöst von einem konstanten, über den Tag verteilten „Snacking“. Die Kochkunst ist gegenüber dem „Snacking“ bestimmt von Tradition und Innovation, denn das Kochen war einer der ersten kreativen Akte der Menschheit; die Haute Cuisine versteht sich als echte Kunst. Die wissenschaftliche Beschäftigung mit Esskultur erfolgt durch die volkskundliche Nahrungsforschung, die Kulturgeschichte und die Ernährungssoziologie

*  Duden Online 01.02.13 18:20 **  Wikipedia zu letzt abgerufen 02.02.13 20:25

Die Esskultur bildet einen der Eckpfeiler im Kulturvertsändnis. Essen ist eine kommunikative Handlung. Durch den Austausch mit anderen werden wir unseres Selbst bewusst. Doch Essen im öffentlichen Raum hat oftmals eine gesonderte Stellung. Meist essen wir »kurz auf dem Weg«, oder »schnell aus der Hand«. Die immer schneller werdenden Arbeitsprozesse, die gesteigerte und dauerhafte Vernetzung und der stetig wachsende Mobilitätsanspruch, fordern besonders beim Essen seinen Tribut. Viele Menschen müssen mittlerweile außer Haus essen, in kurzen Mittagspausen, nebenher. Doch auffällig ist immer wieder, dass für diese Esskultur der öffentliche Raum nicht gemacht ist. Es gibt Wurstbuden und Schnellimbisse, doch all diese haben zwei Faktoren gemeinsam. Sie bieten meist ungesundes Essen und sie bieten keinen Raum, die Nahrung zu sich zu nehmen. Doch die steigenden Zahlen der Pendler und Einzelhaushalte wird Essen im öffentlichen Raum, gewollt oder ungewollt, beanspruchen müssen, um die von ihnen geforderte Mobilität zu wahren und den wichtigsten Wirtschaftsfaktor der Postindustrialisierung, die Zeit, gut zu nutzen.


67

Der Stadtraum der Megacity ist übersät mit kleinen Bars, Restaurants und Cafés. Überall erhält man jedoch die typischen Käsebrötchen, Pão de Queijo und gefüllte Pasteten. Doch stets wird an einer Theke gegessen. Ob zu Mittag das Schweinefleisch-Sandwich oder an einem kleinen Buffet, immer finden dabei Gespräche mit den Mitmenschen statt. Man nimmt sich kurz Zeit für einen Kaffee, einen Saft, eine Pastete und für ein kurzes Gespräch mit dem Fremden, der neben einem am Tresen steht. Essen ist in den öffentlichen Raum integriert durch die zahllosen Orte, an denen gegessen werden kann, doch nie sieht man Menschen, die im Gehen essen oder gar beim Fahren. Essen ist in Brasilien immer an Verweilen geknüpft, an ein Gespräch, an einen Kaffee in der Öffentlichkeit.

Auch in Japan finden sich zahllose Schnellrestaurants, die oftmals 24h/7d Essen anbieten. Doch auch hier ist Essen mit Verweilen gekoppelt. Man steht am Tresen hinter dem schützenden noren-Vorhang. Dieser ist im Oberköperbereich angebracht und verdeckt somit Kopf und Schultern, um die Privatssphäre des Handelnden zu wahren. Diese Vorhänge definieren im polarisierenden öffentlichen Stadtraum kleine Inseln des Verweilens, ohne zu Kommunikation zu erzwingen.


Beobachtung

A  Berliner Currywurst

Bilder oben : A-B  © Google Earth C  © wikipedia zu letzt abgerufeb 08.02.13 03.05

B  Pão de Queijo und gefüllte Teigtaschen

C  Miso-Suppe


Conclusio

69

Gegessen wir überall auf der Welt, doch die Platzierung im öffentlich Raum ist kulturell sehr spezifisch. In Deutschland die Würstchenbude, das ‹Essen aus der Hand›, in São Paulo die Bar mit gefliestem Tresen und in Japan kleine verhangene Nischen im Tumult der Millionenstadt. Essen vermittelt Kultur, Esskultur, es bietet Abenteuer, es bietet das Exotische und Unbekannte. Daher kann gerade über die Esskultur der öffentliche Raum aktiviert werden, weil es ein Abenteuer ist, auf das sich viele gerne einlassen.

Essen bringt Menschen zusammen. Doch es braucht Orte des Verweilens, um die Menschen anzuziehen und zu erziehen, diese notwendigen Pausen als Bereicherung zu empfinden. .

E Esskultur_ AZIT


F Fassade Brockhaus*: Fassade die, -en [frz. façade, zu lat. faccia ‹Vorderseite›, ‹Gesicht›, ‹Aussehen›, von lat. facies] i.e.S. die Schauseite eines Bauwerks mit dem Haupteingang( Haupt-F.); i.w.S. jede Ansichtsseite eines Gebäudes, die je nach Lage als Neben-, Seiten-, Hof- oder garten-F. bezeichnet wird.

*  Brockhaus – die Enzyklopädie: in 24 Bänden 1999 a: Band 7

Fassaden bilden die Grenze zwischen dem Innen und dem Außen, dem Privaten und dem Öffentlichen. Sie bestimmen nicht nur den Grad der Öffentlichkeit, den wir in unser Privates einbinden, sondern sie geben auch dem öffentlichen Raum sein Gesicht. Berlin ist durch den klassischen Massivbau von Lochfassaden geprägt. Eine strenge Rasterung der Öffnungen und aberfache Wiederholung ihrer Ausformung prägen das Bild Berlins. Die Fassade ist eine Art binäres System, geschlossen (0) oder offen(1), ein Dazwischen gibt es nicht.

1010101000 1010000101 0101010000 0100010001


71

Die Fassaden in Brasilien sind deutlich vom Klima determiniert. Verschattung, als die wichtigste Aufgabe der Fassade, ist das Mittel, um Gemeinschaft zu schaffen. Verschattete Orte sind Orte der Begegnung, des Verweilsens, des Austausches. Doch die Fassade tritt in São Paulo auch als Vermittler zwischen Innen und Außen auf. Die raumhaltigen Brise Soleils schaffen neben Verschattung auch einen vermittelnden Zustand, sie filtern, sie führen den Blick. Hier ist das 0-1-System durch ein vielleicht, ein dazwischen, raumhaltig erweitert.

Hier sind die Fassaden bis heute von der Tradition der Shoij-Elemente geprägt. Auch wenn die Fassaden längst nicht mehr aus Bambus und Lehm gefertigt werden, so ist der Umgang mit Licht und Hülle bis heute gleich geblieben. Die Auflösung der Aussenhaut, durch Wegschieben von Elementen, hat eine lange Tradition. Das Private hüllt sich Schicht um Schicht in ein transluzentes Kleid, das ephemer zwischen Innen und Außen vermittelt, ohne Dichotomie von Vorder- und Rückseite. Es evoziert Schattenspiele und abstrahiert die Wirklichkeit. Die Fassaden sind kein offen (1) oder zu(0) sondern immer nur ein vielleich (½).

1½101½100 0101½½000 1½10101½1 0½00½10½

½½ ½½ ½½ ½½ ½½ ½½ ½½ ½½ ½½ ½½ ½½ ½½


Beobachtung

A  Lochfassade Berlin

Bilder oben : C  © Wolfgange Fehrer 2005 q:56

B  Brise Soleil Copan

C   Shoij-Fenster


Conclusio

73

» Es gibt im Grunde keinen privaten Raum. Es gibt nur unterschiedliche Grade der Öffentlichkeit«.* Dieses Zitat von Paulo Mendes da Rocha, ein Architekt der Escola Paulista São Paulo, beschreibt sehr gut die vermittelnde Aufgabe, der Fassade, in Bezug auf öffentlichen Raum, zukommen sollte. Sie sollte nicht die Einhausung fördern, sondern das Wohnen in der Stadt. Durch einen Filter und Vermittler wird der Stadtraum Teil des »Selbstraumes«**.

Je differenzierter die Fassade zwischen Öffentlichem und Privatem vermittelt, desto eher wird der öffentliche Raum als Teil des eigenen »Selbstraumes«

* Annette Spiro 2002 a:252 **  Karlfried von Dürckheim 1932 a:93ff.

F Fassade_ AZIT


G Grenzen Duden*: Grenze, die; -, -n [mhd. greniz(e), aus dem Westslaw., vgl. poln. granica, russ. granica, zu russ. gran› = Ecke; Grenze]

Wikipedia** Eine Grenze (Lehnwort, abgeleitet vom gleichbedeutenden altpolnischen Wort granica[1][2]) ist der Rand eines Raumes und damit ein Trennwert, eine Trennlinie oder -fläche. Grenzen können geometrische Räume begrenzen. Dazu gehören politische oder administrative Grenzen, wirtschaftliche-, Zollgrenzen oder Eigentumsgrenzen. Grundstücksgrenzen werden im Liegenschaftskataster nachgewiesen. Räume können auch unscharf begrenzt sein, etwa Landschaften, Kulturgrenzen oder Verbreitungsgebiete, die man in der Natur kaum durch Linienstrukturen festmachen kann. Die Grenzen eines Volumens können Flächen, Linien oder Punkte sein, wie Seitenflächen, Kanten und Ecken eines Würfels. Der Luftraum ist für Zwecke des Luftverkehrs begrenzt; seine Grenzen beinhalten ein Volumen. Ein Beispiel für Grenzen von eindimensionalen Räumen ist die obere und untere Grenze in der Mathematik (siehe Supremum). Umgangssprachlich wird dafür auch Grenzwert, Schwellwert oder Schranke gebraucht. Beispiele für nichtgeometrische Räume sind die übliche Verhaltensweise oder die Intimsphäre. Auch der Allgemeinen Handlungsfreiheit sind Grenzen gesetzt. Art. 2 Abs. 1 GG (Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland) lautet: »Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.« Auch das Gewissen setzt dem eigenen Tun und Lassen Grenzen. *  Duden Online 01.02.13 18:20 **  Wikipedia zu letzt abgerufen 03.02.13 14.10

Grenzen sind im Stadtbild von Berlin auch heute noch sehr präsent. Das Patchwork an historischen urbanen Strukturen ist deutlich abzulesen. Beide Gründungsstädte, Berlin und Köln, besaßen ihre eigene Einfriedung. Sie markierte nicht nur die Stadtgrenze, sondern definierte auch den sozialen Stand der Bewohner; innerhalb: freie Stadtbürger und außerhalb: Lehnsbauern. Durch den Zusammenschluss beider Städte kam es dann zu einer Erweiterung der Stadtmauer. Durch die Geschichte wurde diese immer und immer wieder vergrößert, aber lange nicht aufgelöst. Auch die Grenzziehung zwischen Ost und West ist deutlich in der Stadt lesbar. Grenzen dienen der Abgrenzung des Eigenen vom Fremden. Stadt und Land, historisch ringförmige Stadtmauern, bestehende Stadtteile und die unterschiedlichen Quartiere sind klar umrissen. Durch die Lochfassade ist auch das Außen klar vom Innen abgegrenzt, das Öffentliche deutlich vom Privaten. Diese Trennung wird begleitet von einer deutlichen Zuweisung von Funktionen. Der Platz dient dem Verweilen, die Strasse der Bewegung und dem Verkehr, der Hof der Gemeinschaft. Überlagerungen dieser Nutzungen finden sich kaum.


75

Das urbane Palimpsest löst jede Grenze fast vollständig auf. Nur durch Maßstabssprünge lassen sich ehemalige Grenzen noch teilweise erahnen. Sao Paulo, gegründet als Jesuitenorden, besaß nie eine Stadtmauer. Diese Offenheit ist bis heute erhalten. Auch die aufgelösten Fassaden schaffen durch ihre Raumhaltigkeit und Filterwirkung einen fließenden Übergang zwischen Außen und Innen. Privates wird überlagert mit Öffentlichem. Die Gegenpole treten in einen Dialog und ergänzen sich.

Auch in puncto Grenzen findet sich ein Dualismus in Tokyo. Das historische Wall-Graben-System* ist bis heute noch erkennbar. Es handelt sich hierbei um ein schneckenförmiges Verteidigungssystem. Daher wies jedes Quartier, je nach Lage in dieser Schneckenform einen unterschiedlichen Grad an Schutz auf, sowie einen anderen sozialen Status. In der Stadt lebten unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen, die durch die herrschende Ständeordnung innerhalb der Stadt, von einander getrennt waren. Aus diese Separierung heraus entwickelten sich die verschieden Quartiere, getrennt durch diese die Stadt durchziehenden Kanäle. Bis heute sind diese Grenzen deutlich sichtbar, da die Kanäle heute große Durchgangsstrassen und Bahntrassen sind. Eine Dichotomie zwischen Stadtbürgern und Lehnsbauern gab es nie. Doch die Grenzziehung zwischen privat und öffentlich ist aufgrund eines ‹anderen› Raumverständnisses nicht gegeben. Das japanische Kanji für ‹gemeinsam unter einem Dach› steht für öffentlichen Raum, doch bezeichnet es eigentlich nur den Schutz des Daimyos oder Samurais**. Öffentlich und Privat verschmelzen über viele Schichten von Halböffentlichkeit zu einer Einheit. *  vgl Krusche, Roost 2010 a:46 **  vgl. Krusche, Vogt 2010 a:10


Beobachtung

A  Berlin-Cölln 1652

Bilder oben : A-C  © Wikipedia zu letzt abgerufen 20.01.13 23:15

B  São Paulo 1841

C   Tōkyō 1888


Conclusio

77

Grenzen dienen der Abgrenzung des Eigenen vom Fremden. »[ Die Grenze], ihre starre Fixierung eines heimischen und eines feindlichen Bezirks, machen die Identifikation des Stadtraums mit dem Wohnraum fragwürdig. Sie steht damit im Widerspruch zu dem, wofür Stadt im gleichen Maße stehen müsste, wie für das Wohnen: Urbanität.«*

Je weniger Grenzen gezogen werden, desto mehr Dazwischen kann entstehen, desto mehr öffentlicher Raum wird produziert. Offenheit und Vieldeutigkeit der Struktur erlauben die Absorption des unerwarteten Neuen.

*  Janson, Wolfrum 2008 a: 102

G Grenzen_ AZIT


G Grundrisstypologie Brockhaus*: Grundriss, der das Bild eines Gegenstandes bei seiner senkrechten Parallelprojektion ( .... Projektion) auf eine horizontale Ebene Typologie die, -/-gien,[zu Typ und griech. lógos ‹Rede›, ‹Wort›, ‹Vernunft›] allg.: die Lehre vom Typus; wiss. Beschreibung und Einteilung eines Gegenstandsbereichs nach Gruppen von einheitl. Merkmalskomplexen.

Typus, der, -/-pen [Iat. , von griech. týpos, vgl. Typ] allg.: Typ, urspr. das Prägebild einer Münze, später Bez. für Urbild, Urform, Muster oder Gestalt, zu· meist die einer Gruppe von Personen oder Dingen gemeinsame, anschaulich oder begrifflich heraushebbare, reale oder ideale Grund- oder Modellform. – Innerhalb einer wiss. Typenlehre (Typologie) kann die Bedeutung des T.-Begriffs vom reinen Ordnungsbegriff (z.B. Zoologie und Botanik) bis zum Idealbegriff reichen. Unterschieden wird dabei meist zw. dem in einer Gruppe von Dingen oder Personen häufigsten Durchschnitts-T. und dem → Idealtypus, der die wesentl. Eigenschaften und Beziehungen darstellt und immer nur annäherungsweise verwirklicht ist. Die tatsächlich vorkommenden Realtypen sind Mischtypen, die Merkmale unterschied!. Typen vereinigen. [...] Philosophie, Psychologie, Soziologie: In der Philosophie wurde die Vorstellung des T. seit der Antike im Sinne der allgemein charakterist., dem Einzelnen zugrunde liegenden urbildl. Gestalt vertreten [...]

*  Brockhaus – die Enzyklopädie: in 24 Bänden 1999 a: Band 9, 21

Die Grundrisse der Berliner ‹Mietskasernen› sind streng und starr. Es findet sich eine klare Zuweisung von Raum und Nutzung, die kaum Abweichung zulässt. Eine »Architektur der Wände«*. Die Raumwahrnehmung erfolg ausschließlich über die Wände. Die Grundbausteine sind im metrischen System zu einer linearen Einheit verankert.**. Durch die Möbilierung und die exakte Nutzungsfestlegung werden »absolute Räume« ***geschaffen. Der Trend in Europa geht hin zu immer größeren Wohnungen. Sie nehmen, neben dem Privaten auch immer mehr kommunikative und gesellschaftliche Aktivitäten in sich auf und reduzieren dadurch die Bedeutung und die Notwendigkeit von öffentlichem Raum. Eine Grundrisstypologie der Starre. * Fehrer 2005 a:73 ** Edb. *** Ebd. a:63ff.


79

Die weitverbreitet Anwendung von Stahlbeton-Skelettbauweise ermöglicht einen freien Umgang mit Boden- und Wandflächen. Durch die so erzeugte Flexibilität, entsteht eine Architektur, deren Wahrnehmung, sowohl über die Wand, als auch über die Boden- und Deckenflächen erfolgt. Die geschaffene Transparenz, im Sinne von Collin Rowe, wird erst im Schnitt deutlich. Durch die Überlagerung von Raum ist keine klare Nutzungszuweisung mehr möglich. Die, durch große Öffnungen erzeugte Vielschichtigkeit der Maßstäbe, verwebt visuell den Wohnraum mit der Stadt. Aufgrund der hohen Bebauungsdichte, nimmt das Wohnen nur die privatesten Funktionen in sich auf. Die kommunikativen und gesellschaftlichen Aktivitäten sind in den öffentlichen Raum ausgelagert. Eine Grundrisstypologie der Transparenz.

Die Tradition des 4½ (Tatami)MattenRaumes setzt sich bis heute in maximal flexiblen, stark modularisierten und multifunktionalen Grundrissen fort. Die Maßeinheit von Raum ist auch heute noch die Tatmi-Matte. Diese definiert den minimalsten Raum, den ein Mensch benötig,t um zu sitzen und zu liegen (91x182cm). Dadurch entsteht eine »Architektur des Bodens«*. Die Raumwahrnehmung erfolgt ebenfalls über die Bodenflächen und ist stark von dessen Struktur und Muster geprägt. Die Grundbausteine sind flächige Einzelelemente, die eine patchworkartige Zusammensetzung bilden. Durch fehlende Möblierung wird dem Raum keine bestimmte Nutzung zugeschrieben. Auch in Tokyo sind, aufgrund des Bodenmangels und der damit verbunden hohen Grundstückspreise, die Wohnräume auf ein Minimum reduziert. Dadurch sind meist jegliche gesellschaftlichen Aktivitäten in den Stadtraum ausgelagert. Der Stadtraum wird zum Wohnraum. Sogar die privateste Aktivität, die Hygiene und Körperpflege, findet oft in öffentlichen Bädern statt, die dicht über den riesigen Stadtraum verteilt sind.** Eine Grundrisstypologie der Multifunktionalität und des Stadtnomadentums. * Fehrer 2005 a:73 **  vgl. Kusche, Roost 2010 a:103


A

B

C

Abstraktion

sCHEMATA

Beobachtung


Conclusio

81

Nicht nur in Bezug auf Wohnen geht der Trend weltweit hin zu Multifunktionalität, Offenheit, Individualität und Freiheit. Dies zeigt sich zum Beispiel an der großen Nachfrage nach LoftWohnungen. Doch sollte hierbei nicht die räumliche Lesbarkeit außer Acht gelassen werden. Nicht nur ist es wichtig Raumdefinitionen zu schaffen, um Todräume zu vermeiden, sondern auch die Wahrung des menschlichen Maßstabes hat eine große Bedeutung für die Lebensqualität des gebauten Raumes. Am Beispiel von Tokio lernen wir, das die Verwendung eines, auf den Menschen bezogenen modularen Elementes, den Raum zwar gliedert und auch lesbar macht, ohne ihm jedoch irgendeine Nutzung zuzuschreiben. Durch eine eindeutige Zuweisung von multiDurch flächige, auf den Menschen bezogene, Grundelemente und funktionalen Flächen, kommt es einer Transparenz von Raum, zu einer Verortung im Raum. entstehen Grundrisstypologien, Von São Paulo lernen wir, dass die den öffentliche Raum zur Erweitung des Wohnens werden lassen. durch Transparenz* und Überlagerung von Raum, ein fließendes Raumkontinuum erzeugt wird, das Freiheit und Individualität ermöglicht und doch Raum lesbar werden lässt und dadurch definiert. Somit entsteht ebenfalls eine Verortung des Menschen im Raum. *  vgl. Rowe, Slitzky 1968

G Grundrisstypologie_ AZIT


H Heimat Brockhaus*: Heimat, subjektiv von einzelnen Menschen oder kollektiv von Gruppen, Stämmen, Völkern, Nationen erlebte territoriale Einheit, zu der ein Gefühl besonders enger Verbundenheit besteht. Im allgemeinen Sprachgebrauch ist H. zunächst auf den Ort (auch als Landschaft verstanden) bezogen, in den der Mensch hineingeboren wird, wo er die frühen Sozialisationserlebnisse hat, die weithin Identität, Charakter, Mentalität, Einstellungen und schließlich auch Weltauffassungen prägen. Insoweit kommen dem Begriff grundlegend eine äußere, auf den Erfahrungsraum zielende, und eine auf die ModelIierung der Gefühle und Einstellungen zielende innere Dimension zu, die (zumal der Begriff H. zunächst mit der Erfahrung der Kindheit verbunden ist) dem Begriff eine meist stark gefühlsbetonte, ästhet., nicht zuletzt ideolog. Komponente verleihen. Ein solcher mehrdimensionaler, aber immer mit den gefühlsbetonten Komponenten ) erster Erfahrungen versehener Begriff kann dann auch spätere ‹Beheirnatungen› im Erwachsenenalter, eine geistige, kulturelle und sprachl., nicht zuletzt polit. H. bezeichnen. Begriffsinhalt,Begriffsgeschichte: In etholog. und anthropolog. Hinsicht reflektiert H. zunächst das Bedürfnis nach Raumorientierung, nach einem Territorium, das für die eigene Existenz Identität, Stimulierung und Sicherheit bieten kann (PAUL LEYHAUSEN, 1916). In existenzphilosoph. Hinsicht stellt H. in Wechselbeziehung zum Begriff der Fremde eine räum!. und auch zeitbezogene (Traditionen) Orientierung zur Selbstgewinnung des Menschen bereit (0. F. BOLLNOW). In soziolog. Hinsicht zählt H. in Komplementarität zu Fremde zu den Konstitutionsbedingungen von Gruppenidentität (G. SIMMEL). In diesen beiden letzten Betrachtungsweisen wird dem Begriff H. neben der inneren auch eine eigene histor. Dimension zuerkannt.[...] Diese Bindung von H. an materiellen Besitz, die damit gleichermaßen Besitzlose (Gesinde, Tagelöhner, ehern. Soldaten) als ‹Helmatlose› von diesen Rechten ausschloss, verweist so auf den histor. Charakter des Begriffs: Er reflektiert die Vorstellung der ‹besitzenden› sozialen Schichten [...] *  Brockhaus – die Enzyklopädie: in 24 Bänden 1999 a: Band 9


83

Auszug aus Karen Joisten*: Philosophie der Heimat – Heimat der Philosophie

»[Der] Mensch hat nicht nur in einem Haus zu wohnen und in der Geborgenheit, der Ruhe und dem Vertrauen seinen wesentlichen Bezug zum Raum, zur Zeit und zum Mitmenschen zu entfalten, er hat darüber hinaus sein Unterwegssein auf seinen Haupt- und Nebenwegen einzulösen. [...] Menschliches Leben vollzieht sich in und an einer spezifischen Raum-Zeit-Stelle: an einem konkreten Ort, zu einer bestimmten Zeit, mit benennbaren Bezugspersonen, in einem sprachlichen Kontext, innerhalb einer bestimmten Tradition und Geschichte und mit jeweiligen Werthaltungen und Verhaltensregeln, die für diesen gelebten Raum Geltung beanspruchen. Es vollzieht sich demnach im ,Lebensraum Heimat›,[...]. Der Mensch ist im Unterschied zum Tier ein heimatliches Wesen, dem das Wohnen Notwendigkeit und Aufgabe zugleich ist.[...] Als »Mängelwesen« ist er, wie Arnold Gehlen treffend herausgearbeitet hat, in der Lage, »die Mängelbedingungen seiner Existenz eigentätig in Chancen seiner Lebensfristung um(zu)arbeiten«, die Natur in seinem Sinne in Kultur umzuwandeln und sie dadurch zu einem Lebensraum umzugestalten, in dem er überlebensfähig ist: »An genau der Stelle, wo beim Tier die ,Umwelt› steht, steht daher beim Menschen die Kulturwelt, d. h. der Ausschnitt der von ihm bewältigten und zu Lebenshilfen umgeschaffenen Natur.«

Das Heimische des Menschen als Heim-weg, das im Sich-Binden an die Heimat realisiert wird, ist in dieser Bindung ein Zusammengehören, das wir oben bereits formelhaft als ein Heim-zurHeimat bezeichnet haben. Diese Bindung ist die Voraussetzung für ein Sich-Öffnen des Menschen zu seiner Freiheit.[...] Freiheit setzt vielmehr Bindung voraus [...]. Die Grundbedingung unseres Freiwerdens ist das Sich-Binden des Menschen, das wir permanent vollziehen, ja vollziehen müssen, weil wir als Heim-weg jeweils bereits in untrennbarer Beziehung zur Heimat stehen.[...] [Für] den Menschen [ist] nicht nur das Heimischsein, sondern auch das Unterwegssein konstitutiv [...], daß er also ein homo habitans und ein homo iens ist. [...] Das Eigentümliche des Menschen liegt in seinem Auf-dem-Wege-sein-Müssen, das untrennbar mit seiner Endlichkeit verbunden ist. In die Zeitlichkeit hineinversetzt, unterliegt der Mensch zwangsläufig der Veränderung:[...] Der Mensch unterscheidet sich daher stets von sich selbst: er ist, der er ist, aber immer anders.[...]

[...] Das Heim von Mensch und Welt steht nicht für einen konkreten geographisch benennbaren Ort, vielmehr bringt es als Strukturgefüge die vorgegebene, der Sache nach erste Mensch-, Weltform zum Ausdruck.[...] Das meint, daß eine korrelative Seinsweise zwischen dem Menschen und der Heimat besteht,[...]. Es ist der Raum, in dem eine Sinngebung bereits vollzogen ist und von dem her der Mensch seine eigene Sinnfindung vollzieht. Als Erstgegebenes bzw. als ,Von woher› ist es dergestalt einerseits der Boden bzw. das Fundament, auf dem Orientierungen bereits vorgenommen wurden, wodurch Orientierungen wiederum möglich werden; und als Horizont bzw. als, Woraufhin› aller Ausrichtungen des Menschen ist es Flucht- und Zielpunkt aller Sinnbildung.

Der Mensch ist von hier aus betrachtet als Heim-weg stets an ein Heimischsein gebunden, das ein Unterwegssein nach sich zieht, wie umgekehrt, ein Unterwegssein ein Heimischsein aus sich hervorgehen läßt. Ja, der Mensch ist dieses Pendeln, er ist dieses Zugleich, weshalb er als Heimweg zugleich als ein Zwischen-sein gedeutet werden kann: Der Mensch ist weder nur situiert und seßhaft noch allein flüchtig und nomadenhaft, sondern et habitans et iens, d. h. in seinem Wohnen gehend und in seinem Gehen wohnend.[...] «Ein Wohnen ohne Wandern ist unbeweglich, ein Wandern ohne Wohnen voller Unruhe. Sie brauchen einander wie Einatmen und Ausatmen, wie Licht und Dunkelheit, wie Innen und Außen.[...]«(Guzzoni: Wohnen und Wandern)[...]

[...] Der Mensch ist, wenn er nicht zerreißen will, stets in sich selbst zentriert und nimmt von seinem je eigenen Heimischsein aus, seine Ausrichtungen und Überschreitungen vor. Wir stehen folglich primär nicht in einem irgendwie gearteten Seinsverhältnis in der Welt, sondern wir wohnen in uns und sind in diesem Wohnen zugleich gebunden.

Das bedeutet, daß der Prozeß der Identitäts- und Identifikationsbildung sich in der Auseinandersetzung und Abgrenzung von sich, vom Anderen und Fremdem vollzieht, aber sein Telos im Heim hat. Auf diese Weise wird es möglich, den im Laufe eines Lebens sich vollziehenden Vorgang der Einheits- und Identitätsstiftung als den des Tieferwerdens bestimmen zu können, insofern in ihm der Prozeß des Beheimatens geschieht, also die Realisierung der Struktur des Heim-wegs.«

[...] Die Tendenz seines Wesens zielt demnach auf ein Sich-Binden, das etwa in den Phänomenen Geborgenheit, Ruhe und Vertrauen sichtbar wird.[...] Allererst von diesem mit dem Menschen als Heim-weg einer Heimat einhergehenden SichBinden wird verständlich, warum, konkret betrachtet, die Verbundenheit mit einem Ort für den Menschen eine besondere Bedeutung haben kann.[...] Auch die Fähigkeit des Menschen, Bindungen eingehen zu können, schärfer gesagt, stets in Bindungen stehen zu müssen, erwächst aus der konstitutionellen Verfaßtheit des Menschen als Heim-weg einer Heimat.[...] bricht man das Strukturelement des Sich-Begegnens aus seinem Strukturzusammenhang heraus und spricht ihm als einzigem Geltung zu, dann wird Heimat allein auf die Präsenz des Mitmenschen reduziert. Heimat geht dann nicht in dem Gefüge von Raum, Zeit und Mitmensch auf, sondern sie wird ausschließlich auf die Dimension der Begegnung festgelegt. Diese Position finden wir heutzutage besonders stark vertreten, so daß wir heute häufig hören, ‹Heimat ist dort, wo meine Familie ist›.[...] *  Karen Joisten: Philosophie der Heimat – Heimat der Philosophie, 2003 a:37-53


Beobachtung


Conclusio

85

Heimat ist ein Grundbedürfnis aller Menschen. Dieses Bedürfnis liegt in der menschlichen Natur. Die Fähigkeit dazu, stellt den Unterschied zum Tier dar. Daher erachtet ich es als selbstverständlich, dass Heimat in allen Kulturen ein elementares Bedürfnis ist. Doch die kulturellen Unterschiede in der Auffassung zu Heimat, führen in diesem Kontext zu weit und wurden von mir daher nicht weiter verfolgt.

Je mehr ein Mensch an der Raumproduktion von öffentlichem Raum beteiligt ist, desto mehr fühlt er sich im Stadtraum ‹daheim›.

H Heimat_ AZIT


I Innen-Aussen Brockhaus*: Dichotomie die, -mi/-en [zu griech. dícha ‹getrennt›]: Philosophie: die zweigliedrige Bestimmung eines Begriffs durch einen ihm untergeordneten und dessen Negat, z.B. Seele: Bewusstes, Unbewusstes. Die D. setzt logisch das Tertium non datur voraus.[...] Sprachwissenschaft: durch Differenzierung entstandenes, zweigliedriges, sich gegeseitig ergänzendes Begriffspaar. Wikipedia**: Dichotomie (griechisch dichótomos, ‹halbgeteilt, entzweigeschnitten› aus dícha ‹entzwei, getrennt› und témnein ‹schneiden›[1]; manchmal auch Dychotomie) (auch: Zweiteilung oder Zweigliederung) ist eine zweideutige Bezeichnung. »Dichotomie« bezeichnet: ein komplementäres Begriffspaar – oder die Einteilung, die Zergliederung eines Gegenstandsbereiches in genau zwei komplementäre Bereiche bzw. Begriffe. [...] Entscheidend ist bei einem dichotomischen Begriffspaar, einer dichotomischen Einteilung oder Methode, dass alle Elemente des Gegenstandsbereichs entweder dem einen oder dem anderen Begriff (Untermenge, Unterbegriff) zuzuordnen sind; kein Element beiden Begriffen (beiden Untermengen) zugleich zuzuordnen ist, diese also keine gemeinsame Schnittmenge haben – die Begriffe also disjunkt sind.

*  Brockhaus – die Enzyklopädie: in 24 Bänden 1999 a: Band 1 **  Zuletzt abgerufen 21.01.13 15:04

Innen und Außen sind in Berlin klar gegeneinander abgegrenzt. Ob vom Land zur Stadt, von Quartier zu Quartier oder im wörtlichen Sinne, von Drinnen und Draußen, öffentlich und privat. Berlin ist einer Stadt der Mauern. Und diese definieren das Innen und Außen .


87

Durch das Element der Überdachung, wird das Innen und Außen aufgelöst. Ist man unter dem Dach oder in der offenen Galerie, drinnen oder draußen. Man kann es nicht einordnen. Dieser Dualismus vermittelt dadurch auch zwischen den olen Privat und Öffentlich, Wohnraum und Stadtraum.

Sowohl vom Privaten zum Öffentlichen, als auch vom offenen zum überdachten Raum, finden sich oft keine klaren Grenzen. Durch die horizontale Raumwahrnehmung über die Bodenflächen, verschmelzen die Gegensätze und werden eins. Die uns bekannte Dichotomie der Begrifflichkeit ist in Japan nicht existent.


Abstraktion


89

Innen und AuĂ&#x;en sind Lagebeziehungen, die auf einer klaren Abgrenzung des Gegensätzlichen beruhen. Ist diese Abgrenzung nicht gegeben, verschmelzen sie zu einem vermittelnden Zustand.

I Innen-Aussen_ AZIT


J


91

» Da Handeln immer auf zum Handeln begabte Wesen trifft, löst es niemals nur Re–aktionen aus, sondern ruft eigenständiges Handeln hervor, das nun seinerseits andere Handelnde affiziert. Es gibt kein auf einen bestimmten Kreis zu begrenzendes Agieren und Re-agieren, und selbst im beschränktesten Kreis gibt es keine Möglichkeit, ein Getanes wirklich zuverlässig auf die unmittelbar Betroffenen oder Gemeinten zu beschränken, etwa auf ein Ich und ein Du.« Hannah Arendt 2002 a: 237


K Konsum Brockhaus*: Konsum der, -s, [ital. consumo ‹Verbrauch›, von lat. consumere ‹verbrauchen›, ‹verzehren›] Verbrauch von Sachgütern und Dienstleistungen zur Bedürfnisbefriedigung der Menschen. K. in diesem weiten Sinne gilt als letzter Zweck allen Wirtschaftens.[...]

*  Brockhaus – die Enzyklopädie: in 24 Bänden 1999 a: Band 12

In unserer europäischen Kultur ist Konsum stark mit dem Verweilen und Ausruhen verwoben. Auch die Sonderform dieser Ausruhkultur, die Flaniermeile, implizieret Langsamkeit, Erholung, Verweilen. Man bummelt in seiner Freizeit durch die Fußgängerzonen. Der Konsum ist hier klar an einen Erholungsfaktor gebunden, den man gezielt evoziert. Daher sind Orte des Konsums klar abgegrenzt. Es finden selten Überlagerungen mit anderen Formen des öffentlichen Raumes statt. Erst in der jüngeren Zeit treten vermehrt Überlagerungen mit Bewegungszentren wie Bahnhöfen auf, die eine räumliche und zeitliche Überlagerung der Tätigkeiten ermöglichen. Ich sehe das auch als einen der Gründe an, warum der »digitale Konsum« in den letzten zehn Jahren so einen starken Zuwachs hatte, da er eine zeitliche Überlagerung der Tätigkeiten zulässt und immer zur Verfügung steht, unabhängig von Öffnungszeiten. Doch dieser »digitale Konsum« entzieht sich gänzlich dem öffentlichen Raum und verstärkt die Verwaisung der Innenstädte. Das Internet im Allgemeinen, nicht nur auf Konsum bezogen, schafft eine neue raumunabhängige Öffentlichkeit, die man unbegrenzt aus dem Privaten heraus konsumieren kann.


93

In São Paulo findet sich eine räumliche Differenzierung des Konsums. So finden sich Strassenzüge für Mitbringsel, Designerware, Restaurants oder auch Bars und Tanzlokale aller Art. Diese werden, je nach Zweck, als Inseln im Stadtpalimpsest angesteuert. Es findet hierbei auch eine soziale Trennung abhäng von den Preisen statt. So findet man beispielsweise auf der Rua 25 de Marzo allerlei Mitbringsel und Krimskrams, in der Rua Oscar Freire dagegen hochwertige, hochpreisige internationale Designerware. In Villa Madalena, einem Stadtviertel im Südwesten von São Paulo, be findet sich das Ausgehviertel, mit diversen Bars, Restaurants und Nightclubs und kleinen Designerboutiquen. Der alltägliche Konsum hingegen, angefangen vom Mittagessen außer Haus und dem schnellen Einkauf, ist nicht räumlich losgelöst vom Wohnen oder Arbeiten. An allen Ecken findet man Strassenhändler, Bars für Fruchtsäfte, Sandwichläden, kleine Restaurants mit Mittagsmenüs und 24h-Supermärkten. Durch diese Verwebung von Nutzungen ist der öffentliche Raum stets belebt und nicht nur Durchgangsort. Es findet also eine räumliche und zeitliche Überlagerung von Bewegung, Alltag und Konsum statt. Doch aufgrund der hohen Kriminalität ist dies meist nur tagsüber der Fall.

Konsum ist in Tōkyō untrennbar mit Bewegung verbunden und damit maximal in den Alltag integriert. Durch räumliche und zeitliche Überlagerung der Handlungen wird das wertvollste Gut der postindustriellen Gesellschaft, die Zeit, maximal effizient genutzt. Diese starke Verwebung ermöglicht ein Leben außer Haus und Wohnen auf minimalstem Raum. Man findet auf dem Weg zur Arbeit alles, ohne dazu zusätzlich bestimmte Orte aufzusuchen. So sind mit den großen Bahnhöfen der Metro immer große Einkaufsmöglichkeiten verbunden. Kleine Restaurants, ebenso wie Karaoke-Bars, Convinient-Stores (24h/7 Stundensupermärke), Friseure etc. finden sich immer auf dem Heimweg. Man frühstückt außer Haus, nach der Arbeit geht man mit Kollegen zum Abendessen und dann weiter in Bars und Nachtclubs. Selbst die Körperpflege wird zum Konsumgut in den zahllosen öffentlichen Bädern. Und was in Geschäften nicht angeboten wird, kann man an Automaten erstehen. So sind neben Zigaretten und Getränken, auch allerlei Alltagsgüter, wie Reis und Blumen, in Automaten erhältlich, die selbst den kleinsten Restraum belegen. Die maximale Nutzungsmischung und Angebotsvielfalt fördert ein Wohnen in der Stadt und macht den öffentlichen Raum zum Ort des Wohnens selbst.


Beobachtung

A Einkaufsmeile

Bilder oben : C  © http://tnt-lightingdetectives.org/upimages/cee975126bc1f2280becaaf8daca0d61. jpgzu letzt abgerufen 20.01.13 23:15

B  Strassenkonsum

C  Convinience Store 24h/7d


Conclusio

95

In einer immer schnelllebigeren multiaktiven Gesellschaft, die stark wachstums- und konsumorientiert ist, bedeutet Konsum nicht mehr nur Wirtschafts- und Zeitfaktor, sondern auch Kommunikationsmotor, der Möglichkeiten für neue Perspektiven und Begegnungen bietet. Wird Konsum daher an alltägliche Bewegung durch die Stadt und damit an den öffentlichen Raum gekoppelt, so wird die Zeit, als wertvollstes Gut der postmodernen Gesellschaft optimiert. Durch die räumliche Überlagerung von Konsum und Bewegung wird der öffentliche Raum für multiple Handlungen und verschiedenste Gesellschaftsgruppen nutzbar und dadurch aktiviert.

Je mehr sich Konsum und Bewegung im Alltag räumlich und zeitlich überlagern, desto vielseitiger sind die Nutzungsmöglichkeiten. Da öffentlicher Raum durch menschliches Handeln entsteht, schaffen multiple Nutzungsmöglichkeiten auch multiplen öffentlichen Raum.

K Konsum_ AZIT


L Leere Brockhaus*: Leere. die L.. allg. : Raum ohne erfüllenden Stoff, übertragen auch die geistige L., die Inhaltslosigkeit des Daseins. 2) Kosmologie: das Chaos des ungeordneten Weltzustandes, dem Bestimmtheit, Gesetzmäßigkeit und Formung fehlen. In den Kosmogonien wird die L. oft als Urzustand angesehen. Philosophie: In der Ontologie und Naturphilosophie wurde das spekulative Problem der Existenz des leeren Raumes unterschiedlich beantwortet. So wurde es vom →Atomismus bejaht, von der eIeat. Schule mit log., von ARISTOTELES mit metaphys. Argumenten verneint. Bei G. W. LEIBNlZ ist der Begriff der L. eine Abstraktion. In Scholastik und beginnender Neuzelt wurden Probleme der L. im Zusammenhang mit dem →Horror Vacui diskutiert.

Leere ist hier eine Ansammlung von Abwesenheit der Vergangenheit, durch Zerstörung, Abriss und Wiederaufbau. Durch den ungelösten Konflikt zwischen den, im Laufe der Geschichte wechselnden Ideologien, entstehen konzeptionelle Leerräume, die sich physisch manifestieren.* In der Geschichte Berlins prallen immer wieder unvereinbare städtebauliche Konzepte aufeinander. An deren Übergänge, »wo diese Konzepte vernäht werden sollen, klaffen Lücken, die weder Teil der einen, noch der anderen städtebaulichen Textur sind.«** Leere = Abwesenheit von Historie *  vgl. Philipp Oswald 2000 a:59ff. ** Ebd.

*  Brockhaus – die Enzyklopädie: in 24 Bänden 1999 a: Band 12


97

Leere prägt heute viele der ehemaligen öffentlichen Plätze. Sie sind durch Kriminalität und Gewalt entvölkert. Leer = Armut, Gewalt und Kriminalität

Das geografische Zentrum ist heute ein Leerraum, da einst die Burg, später der Kaiserpalast für die Offentlichkeit unzugänglich war.* Leere in der Zen-Philosophie steht als Symbol für die Auflösung von Zeit in Gegenwart und Raum, denn nichts Permanentes existiert hinter der relativen Welt der Phänomene. »Diese Leere wird nicht als ‹Nichtheit› im nihilistischen Sinne verstanden. Diese Leere zeigt vielmehr, dass alle Phänomene unserer sogenannten realen Welt nicht als das erscheinen, was sie wirklich sind. Sie gehören in den Bereich der relativen Wahrheit, denn das eigentliche Wesen aller Erscheinungsformen unserer Umwelt versteckt sich dahinter, wo die absolute Wahrheit zu finden ist«** Leere= Auflösung der Zeit *  vgl. Krusche, Roost 2010 a: 47 ** Die Leere im japanischen Garten des Zen q: http://www.garten-architektur.ch/ zen-garten/leere.html


Beobachtung


Conclusio

Leere ist untrennbar ein Teil von Transformation. Sie ist für die Metropolen unverzichtbar. Sie schafft Raum für neuen Raum. Erst durch die städtische Brache wird urbane Erneuerung generiert. Diese Leerstellen erzählen die Geschichte der Stadt. »Denn die Geschichte wird erst im Kopf des Betrachters zum Leben erweckt.«*. Leere ist mehrdeutig. Sie ist Raum der Erinnerung und zugleich Ort des Zukünftigen. Durch ihre Unvollständigkeit ist sie offen, ein Möglichkeitsraum ohne Struktur, Richtung oder Form. »Im Herzen der Metropolen liegen die Orte der Wildnis und des Unbekannten, der modernen Zivilisation. Es sind die Stätten, wo der Mensch seiner Sehnsucht nach Entdeckung , nach dem Heraustreten aus der alltäglichen Welt nachkommen kann.«**

*  Wim Wenders: The Act of Seeing 1992 **  Philipp Oswald 2000 a: 62

99

Leere ist ein Paradoxon: Wo nichts ist, wird mehr sein. Leere generiert unvorhersehbar Neues. »Wo nichts ist, ist alles möglich.«

L Leere_ AZIT


L Licht-Schatten Duden*: Licht, das; -[e]s, -er u. (veraltet, dichter.:) -e [mhd. lieht, ahd. lioht, urspr. = das Leuchten, Glanz] Schatten, der; -s, [mhd. schate(we), ahd. scato, verw. mit griech. skótos = Dunkel]

*  Duden Online 01.02.13 15:20

52° 31´ 7 N, 13° 24´ 29 E — Unsere europäische räumliche Erfahrung ist stets an das Vorhandensein von Licht gebunden. Licht, Schatten und Raum bedingen einander gegenseitig und bilden eine unzertrennliche Einheit, eine Architektur des Lichts. Dies gilt auch für den Stadtraum. Durch festgeschriebe Abstandsflächen und Traufhöhen wird die »optimale« Belichtung garantiert. Die entstehenden Schatten sind die meiste Zeit des Jahres lang und weich oder sogar aufgrund unseres Klimas nicht vorhanden — helle (öffentliche) Räume sind belebte Räume.


101

23° 30´ 0 S, 46° 37´ 0 W­ — Im subtropischen Klima spielt weniger das Licht, als vielmehr der Schatten eine große Rolle. Durch die Nähe zum Äquator sind die Schatten sehr dunkel und lange Zeit im Jahr fast senkrecht — eine Architektur der Kontraste. Auch der Stadtraum ist von Schatten geprägt. Durch die Verschattung wird die Dichte der Stadt noch verstärkt. Schatten stellt eine Bedingung für Aufenthalt und Austausch dar — verschattete (öffentliche) Räume sind belebte Räume.

35° 41´ 2 N, 139° 46´ 28 E — Die japanische Kultur ist »multidimensional« und mit »ambivalenten und multiplen Bedeutungen befrachtet«*. Dies zeigt sich auch im Umgang mit dem Licht, das hier ein Umgang mit dem Schatten bzw. mit der Schattierung von Grau ist. Es zeigt auch wieder das traditionelle Gestaltungsprinzip, Widersprüchliches in einen vermittelnden Zustand zu bringen. Der Schatten ist dabei nicht nur eine Reaktion auf das Klima, sondern auch eine Andeutung des Dahinterliegenden. Das Dunkel umhüllt das Private in multiplen Schichten und Licht und Farbe werden nur »poetisch verwandelt«** wahrgenommen. Im Stadtraum hingegen zielen die Bauvorschriften von Tōkyō klar darauf ab, Verschattung weitestgehend zu vermeiden. Dadurch entsteht ein weniger gleichförmiges Stadtbild als in Berlin. * Fehrer 2005 a: 52 **  ebd.


sCHEMATA

Beobachtung


Conclusio

103

Licht spielt in unserer Kultur eine wichtige Rolle. Schatten hingegen sind etwas das nach Möglichkeit vermieden werden sollte, wenn dann mal an ein paar »schönen Tagen« die Sonne scheint. Ganz anders hingegen ist der Umgang mit Licht und Schatten in den beiden anderen Kulturen. Natürlich ist Licht und Verschattung stark klimaabhängig. Aber es zollt auch der Gestaltungshaltung Tribut. Man kann Deutschland, Brasilien und Japan in punkto Licht aufgrund seiner Klimaabhängigkeit nicht direkt vergleichen. Doch das Verständnis und der Umgang mit Licht anderer Kulturen und Klimata zeigt uns Möglichkeiten auf, bei nicht optimalen Voraussetzungen ästhetische und gestalterische Mittel durch das Werkzeug Licht zu generieren, anhand derer ein gutes ästheEs muss nicht immer hell sein, um schön zu sein. tisch anspruchvolles Ergebnis erFarben, Licht und Bilder können durch Schatten poetisch verwandelt werden. zielt werden kann. Von São Paulo Je mehr Schattierungen von Grau wir erzeugen, desto multidimensionaler, und vor allem von Tokyo können ambivalenter und multipler wirkt alles Dahinterliegende wir die Schönheit des Schattens lernen.

L Licht-Schatten_ AZIT


m mASZSTAB Duden*: Maßstab, der 1. vorbildhafte Norm, nach der jmds. Handeln, Leistung beurteilt wird: bei der Auswahl gelten strenge Maßstäbe; einen M. an etw. legen; er hat mit seiner Arbeit Maßstäbe gesetzt (ein Vorbild geliefert). 2.(bes. Geogr.) Verhältnis zwischen nachgebildeten Größen, bes. Strecken auf einer Landkarte, u. den entsprechenden Größen in der Wirklichkeit: der M. dieser Karte ist 1 : 100 000; etw. in einem kleineren M. zeichnen. 3.(selten) mit der Einteilung nach Einheiten der Längenmaße versehener Stab; Lineal, Band o. Ä. zum Messen von Längen: ein M. aus Holz.

*  Duden Online 01.02.13 10:40

Berlin hat einen »konstanten« Maßstab. Zwar finden sich im Patchwork der Stadtbaustile Unterschiede, doch innerhalb eines Patches bleibt der Maßstab der Bebauung sehr gleichförmig. So finden sich in ganz Berlin große Blockrandbebauungen mit weiten Strassenzügen. Der Mensch wirkt in Bezug auf die Baumassen oft klein und nichtig. Die oft endlos wirkende Wiederholung der Bauten steigert nochmals die Diskrepanz zwischen Mensch und Bebauung und führt zu einem Identitätsverlust.


105

Das Palimpsest von São Paulo bietet jeden erdenklichen Maßstab. Vom zweigeschossigen Fugenhaus bis hin zum 140 Meter hohen Copan mit 32 Stockwerken, einer eigenen Postleitzahl und 1160 Wohnungen. Alles steht nebeneinander. Keine Maßstabsvorgaben, keine einheitliche Traufhöhe und dazu oftmals keine besonders weiten Strassenzüge, gemessen an der Höhe, der sie begleitenden Bebauung. São Paulo ist ein Meer aus Häusern, ein Meer aus Maßstäben, das beim Betrachten wogend vor den Augen flimmert. Oftmals wirkt die Stadt dem menschlichen Maßstab entrückt und doch sind es die Menschen, die dies wieder wettmachen. Doch die scheinende Einzigartigkeit eines jeden dieser Häuser schafft Indentität und Orientierung.

Der Stadtteppich Tōkyōs ist, durch die spezifische japanische Tradition im Umgang mit Raum, geprägt von einem auffälligen übergangslosen nebeneinander unterschiedlicher Maßstäbe. Sehr kleine Elemente auf unregelmäßigen Parzellen finden sich in direkter Nachbarschaft zu großen Geschäftsbauten. Großstädtische Häuserschluchten, besonders in den Kommerzzentren, laufen in kleine Seitenstrassen mit sehr kleinteiliger dorfähnlicher Bebauung, meist Einfamilienhäuser in Holzbauweise.* In diesen dörflich wirkenden Gassen findet sich der menschliche Maßstab und nimmt der Megacity ihre unendlich scheinende Größe. *  vgl. Krusche, Roost 2012 a:82


Abstraktion

sCHEMATA

Beobachtung


Conclusio

107

Um den öffentlichen Raum annehmen zu können, muss er in einem menschlichen Maßstab zum Benutzer sein. Ist er in seinem Maßstab zu groß, »erschlägt« er den Benutzer, lässt ihn nichtig wirken, verängstigt ihn und treibt ihn zur »Flucht«. Der Maßstab sollte die unterschiedlichen Bedürfnisse decken können. So muss er Orte der Ruhe generieren, ebenso wie Flächen der Begegnung. Der Maßstab des gebauten Raums führt zu einer Ausdifferenzierung der Nutzungsmöglichkeiten und der Identifikation. Der Maßstab von Berlin ist ausgerichtet auf Repräsentation. Hier entsteht weniger Identitfikation, als das Gefühl von Erhabenheit. In Sao Paulo zeigt der Maßstab die Mischung, die eines der wichtigsten Merkmale der brasilianischen Kultur Der Maßstab ist immer abhängig von der Intension, auf die der Raum abzielt. darstellt. Tokyo lehrt uns, dass Je differenter die Maßstäbe des öffentlichen Raumes sind, man durchaus Gegensätze auch desto größer sind die Nutzungsmöglichkeiten und die individuelle Identifikation. im Maßstab zueinanderstellen kann. Ganz groß und ganz klein auf dichtestem Raum und genau dadurch einen spannungsvollen urbanen Raum erzeugen.

M Maszstab_ AZIT


m mARKT Brockhaus*: Markt, der [von lat. mercatus ‹Handel›, ‹(Jahr)markt›] allg: M.-Platz, als topograf. Begriff der Ort einer Siedlung an dem sich das öffentliche Leben abspielte, bes. der für den Tausch und Verkauf von Waren vorgesehene Platz. In frühester Zeit konzentrierte sich der Handel an Schnittpunkten wichtiger Verkehrswege, an Fußgängerübergängen, in der Nähe von religiösen und polit. Zentren. In der Antike (→ Forum) und im MA. spielte der M.-Platz eine wesentl. Rolle bei der Entwicklung des Städtewesens. Die M.-Plätze liegen meist in der Mitte der Stadt; im MA. standen hier oft die wichtigsten städt. Verwaltungs- und Wirtschaftsgebäude sowie Patrizierhäuser, oft auch die Kirche. Größere Städte verfügten häufig über mehrere M.-Plätze oder M.-Straßen für versch. Erzeugnisse. [...] Wirtschaft: allg. der ökonom. Ort des Tausches (Kauf, Verkauf), z.B. durch den tatsächl. Kontakt von Anbieter und Nachfragern auf dem M.-Platz, aber auch beim Börsenmakler oder durch Kommunikationstechnik vermittelt; [...]Märkte sind in sachl., räuml. und zeitl. Hinsicht abzugrenzen.[...]

*  Brockhaus – die Enzyklopädie: in 24 Bänden 1999 a: Band 14

Berlin ist klar von einer ortsgebunden Markt- und Handelskultur geprägt. Neben den bis heute verwendeten historischen Marktplätzen finden sich Handelsstrassen mit unterschiedlichsten Gewerbezweigen. Doch auch diese sind weniger in die Alltagbewegung, im Sinne »auf dem Weg noch kurz...« integriert, als mehr mit Flanieren verknüpft, also einer Aufenthaltstätigkeit, trotz Bewegung. Markt und Handel ist klar zeitlich und räumlich geregelt. Montags bis samstags von 8-20h und sonntags ist Ruhetag. Das führt gerade an Sonntagen, an denen vielen Menschen ebenfalls ihren freien Tag haben, zu ausgestorbenen Plätzen und Strassen, da der Handel dann den öffentlichen Raum nicht aktiviert und keine Anlaufziele für Besucher und Begegnungen schafft. Besondere Bedeutung hat der Handel für die Blockrandecken. Durch die hier plazierten Geschäfte entstehen zwischen den Blocks kleine Orte des Handels, an denen man das Alltägliche bekommt und die Nachbarschaft trifft. Dieser »Quartiersmarkt« schafft Identität und Gemeinschaft.


109

Auch hier zeigt sich wieder die Mischung in der brasilianischen Kultur. In São Paulo findet Handel, neben den alten kolonialen Markthallen und den »westlichen« Supermärken, auch auf der Strasse statt. So finden sich überall im Stadtraum kleine Kioske mit allerlei Angebot, von den typischen Zigaretten und Süßigkeiten, bis hin zu einer recht großen Auswahl an Büchern oder sogar Havaianna-FlipFlops. Einige der Lebensmittelläden und Drogeriegeschäfte haben 24h sieben Tage die Woche geöffnet. Hier bedeutet Markt, sowohl Aufenthalt an einem Ort, als auch Bewegung. Durch beide Eigenschaften wird der öffentliche Raum durch den Handel aktiviert und dadurch erst generiert.

Markt war auch hier an Orten der Begegnung, an Brücken und auf den Flußarmen des Edo-Deltas, in dem Tōkyō liegt, positioniert*. Doch durch diese Verbindung mit dem Fluß war der Markt in Japan immer schon von Bewegung geprägt, weniger von Aufenthalt, wie in der westlichen Kultur. Heute ist der Handel maximal in den Alltag integriert. An den Stationen der öffentlichen Verkehrsmittel sind immer Gewerbenutzungen angeschlossen, die sogar oftmals von öffentlichen Betreibern unterhalten und angestoßen werden. Der Alltag aber ist immer noch deutlich von kleinem Einzelhandel geprägt. Kleingewerbe, Strassenhändler und Automaten mit allerlei Produkten dominieren. Die Vergnügungszentren mit ihren Großhandelsketten werden als Erlebniswelt verstanden und bilden mehr Ausflugsziel als Alltagsorte. Der Automat, als kleinste Handelseinheit ist überall anzutreffen und füllt Leerstellen und verwandelt sie zu öffentlichem Raum der 24h sieben Tage die Woche »offen« ist. * Krusche, Roost 2010 a:40


Beobachtung

A Kaufhaus

Bilder oben : C  © Jürgen Krusche q: Krusche, Roost 2010 q:87

B Kiosk

C  Automat


Conclusio

111

Markt und Handel haben großes Potenzial öffentlichen Raum durch Handlung zu generieren und zu aktivieren. Sie bieten die Möglichkeit des unverbindlichen Zusammenkommens. Doch gibt es zwei Möglichkeiten diese Generierung zu erzielen. Eine ist geprägt durch die Bewegung und die maximale Integration in den Alltag. Die zweite Möglichkeit, Markt als öffentlichen Raum zu schaffen ist, ihn als Werkzeug gezielt einzusetzten und ihn zeitlich und räumlich klar abzugrenzen. Dadurch werden Orte der Begegnung geschaffen und Öffentlichkeit entsteht.

Markt und Handel schaffen Möglichkeitsräume für Begegnung und Austausch. Sie sind Werkzeuge, um öffentlichen Raum zu generieren und dem Fremden offen zu begegnen.

M Markt_ AZIT


n Nachbarschaft Duden*: Nachbarschaft, die; -, -en <Pl. selten>: 1. a) Gesamtheit der Nachbarn: die ganze N. konnte das Geschrei hören; b) Verhältnis zwischen Nachbarn: [eine] gute N. halten. 2. unmittelbare räumliche Nähe zu jmdm., etw.: in der N. wohnen.

Brockhaus**: Nachbarschaftshilfe, die Sozialwesen: insbesondere von den freien Wohlfahrtsverbänden organisierte Hilfe und Unterstützung für alte, bedürftige, kranke und gebrechl. Menschen. Wirtschaft: Form der →Schattenwirtschaft

*  Duden Online 01.02.13 09:20 **  Brockhaus – die Enzyklopädie: in 24 Bänden 1999 a: Band 15

Berlins »Mietskasernen« sind oftmals von einer Atmosphäre der Anonymität geprägt. Nachbarschaft, wie wir sie aus Einfamilienhausbezirken kennen, sind hier nur sehr selten. Ein Grund dafür ist die hohe Fluktuation der Mieter. Mit den halböffentlichen Hinterhöfen findet sich allerdings ein Ort, an dem Nachbarschaft gelebt wird. So sind hier, neben Spielplätzen und Grillmöglichkeiten, auch oft einfach nur Parkbänke oder Gartenstühle, die zum Verweilen einladen und Kommunikationsmöglichkeiten schaffen. Sie bilden Orte der Begegnung für die Bewohner, durch ihren halböffentlichen Charakter auch Rückzugsräume aus dem anonymen Strassenraum. Durch die individuelle Gestaltung die die Blockbewohner schaffen, kommt es zu gelebter Nachbarschaft und Identität. Damit findet Nachbarschaft in Berlin im halböffentlichen Raum statt.


113

»Nachbarschaft« findet im öffentlichen Raum statt. Die offenen Erdgeschosse bieten gemeinschaftliche Einrichtungen, Orte der Begegnung und des Austausches. Die halböffentlichen Räume, wie die Hinterhöfe in Berlin, finden sich hier nur sehr selten und sind dann im Innern der Häuser selbst. So sind die Vorräume der Aufzüge oftmals durch Blumengestecke und Dekorationen von den Benutzern des jeweiligen Stockwerks privatisiert, doch bieten sie keine Aufenthaltmöglichkeiten, sondern sind nur gestaltete Durchgangsräume bzw. Erweiterungen des eigenen Wohnens. Damit findet Nachbarschaft in São Paulo im öffentlich Raum statt.

Viele von Tōkyōs Wohnquartieren sind, durch die sie durchziehenden kleinen roji-Gassen, charakterisiert. Diese sind öffentlich und privat zur selben Zeit. Durch die in den traditionellen Machiya-Stadthäusern befindlichen Arbeitsstätten, in denen sich neben Handwerk auch Gastronomie und Einzelhandel findet und welche sich auf den Strassenraum hin erweitern können, verschmelzen Öffentliches und Privates. Die hohen Bodenpreise und das immens schnelle Wachstum der Stadt haben zur Folge, dass Grundbesitz über viele Generationen in der Familie bliebt. Dadurch sind viele Quartiere deutlich von einer sehr homogenen und in sich stabilen Nachbarschaft geprägt, die auf engstem Raum zusammenlebt. Viele Bewohner kennen sich seit Generationen. Dies führt zu tragenden nachbarschaftlichen Beziehungen, einer fast rigiden nachbarschaftlichen Kontrolle. Damit findet Nachbarschaft in Tōkyō klar in den roji-Gassen statt.


Beobachtung

A  Strassenfest in Kreuzberg

Bilder oben : C  http://4.bp.blogspot.com/_KCRDV8gzZ-U/ TIzWb3jysaI/AAAAAAAAAac/YmiD8YVH56k/s1600/IMG_1309.JPG.jpg zu letzt abgerufen 01.01.13 14:50

C   Strassenfest in Sakurashinmachi


Conclusio

115

Nachbarschaft ist wichtig für die Identifikation mit dem Wohnort. Sie trägt maßgeblich dazu bei, sich an einem Ort geborgen zu fühlen und vermittelt das Gefühl des Angenommenseins. Nachbarschaft bildet die Schwelle zwischen Öffentlichkeit und Privatheit. Sie löst Grenzen, nimmt die Angst vor dem Anderen. Durch Zugehörigkeit und Gruppendynamik kann dem Fremden mit weniger »Angst« begegnet werden, da man nicht allein ist. Nachbarschaft bildet eine Halböffentlichkeit, die zwischen den Gegensätzen vermittel. Diese Halböffentlichkeit braucht »Grauraum«, der weder ganz dem Privaten noch gänzlich dem Öffentlichen zugehörig ist.

Nachbarschaft wirkt identitätsbildend. Sie braucht Räume der unverbindlichen Begegnung und Zeit zu wachsen. Diese halböffentlichen »Grauräume« vermitteln zwischen Öffentlichkeit und Privatheit. Dadurch können Grenzen und Ängste zwischen den beiden Gegensätzen abgebaut werden.

N Nachbarschaft_ AZIT


N Natur Brockhaus*: Natur, die [von lat. natura ‹Geburt›, ‹natürl. Beschaffenheit›, ‹Schöpfung› zu nasci, natum ‹geboren werden›] zentraler Begriff der europ. Geistesgeschichte, im Sinne von dem, was wesensgemäß von selbst da ist und sich selbst reproduziert. Das menschl. Selbstverständnis, die Auffassung von Kunst, Recht, Kultur und Technik sind durch ihn geprägt, die Naturwissenschaften dienen als Vorbild für Wissenschaftlichkeit überhaupt. Die Wirklichkeit der N. wurde vom Menschen seit jeher ambivalent erfahren: als Grundlage des Lebens und Nahrungsspenderin, aber auch als fremd, feindlich uner zerstörerisch. Nach christl. Auffassung ist sie Gegenstand pflegender Herrschaft, die dem Menschen als höchstem Geschöpf zusteht und mittels derer er ihre Zwecke vollenden und dabei zu seinen eigenen Gunsten wirken kann. Zu allen Zeiten war N. auch, in historisch unterschiedl. Ausprägung, Gegenstand der Bewunderung. Sie galt als Offenbarung des Göttlichen und erfuhr kult. Verehrung als Ausdruck von Harmonie und Schönheit, als ein Ganzes, mit dem sich der Mensch verbunden fühlte oder aus dem er sich abgesondert, herausgefallen erfuhr: ‹Einssein› konnte als Inbegriff einer Versöhnung von Mensch und N. oder als Ziel einer menschl. Sehnsucht aufgefasst werden. Das Verhältnis zur N. ist heute für die Menschheit zu einem großen Problem geworden, da sie durch die schädigenden Nebenwirkungen des menschl. Handelns (bes. im Rahmen von Industrie und Technik an sich und damit als Grundlage der menschl. Existenz bedroht ist. Darüber hinaus ist aber der N.-Begriff selbst problematisch geworden: Durch die Zunahme techn. Eingriffe in die N., wodurch sich die Grenze des traditionell als unverfügbar Angesehene immer weiter verschoben hat, einerseits, und die Erkenntnis, dass N: nicht nur Objekt des menschl. Erkennens und Handelns darstellt, sondernder Mensch selbst ein Teil der N. ist, andererseits wir der Begriff unscharf; er verliert seine bisher durch Gegenüberstellung zum menschl. Bereich (z.B. ‹N. und Technik›, ‹N. und Kunst›) geprägte Position.[...] *

*  Brockhaus – die Enzyklopädie: in 24 Bänden 1999 a: Band 15

*  vgl. (un)private housing tokyo research and design project TU Berlin www.unprivatehousing.com/topic/research/natur

Berlin ist eine sehr grüne Stadt. Die großen Strassen, welche die Blockränder formen, sind zu beiden Seiten oft mit Bäumen gesäumt. Die darunter befindlichen Grünflächen werden mittlerweile zu kleinen privaten Gartenstücken. In den »neueren« Stadtteilen, in denen sich die Funktionstrennung der Moderne findet, sind große unpersönliche Abstandsgrünflächen zu finden. Der Umgang mit Natur ist deutlich durch die Geschichte geprägt. Natur und die europäische Gartenarchitektur sind, wie die Straßen und Bauten selbst, wesentlich durch die Zentralperspektive geprägt. Durch lineare und rationale Gestaltungsprinzipien wird die Natur zu einem Ensemble. Seit der Renaissance diente sie zur Verdeutlichung von Repräsentanz, Prachtentfaltung, der übersteigerten Selbstinszenierung und des Machtanspruchs des Menschen. Dabei wird die Natur klar dem Gebauten untergeordnet. Natur wird inszeniert, wird komponiert und kontrolliert. Der Garten, als heimatbildendes Element, ist Kontrolle im kleinen Maßstab. Er dient zur Selbstverwirklichung des Individuums. Ob in Schrebergärten oder durch das kommende Guerillia-Gardening, eignen sich die Bewohner die öffentliche Natur an und privatisieren sie. Durch diese Privatisierung findet eine Identifikation mit dem öffentlichen Raum statt, wodurch er wiederum belebt wird.


117

Die brasilianische Natur ist charakterisiert durch Üppigkeit und Unbändigkeit. Sie kann kaum geformt und inszeniert werden, vergleichsweise zu Europa. Die Natur erobert erbarmungslos allen Raum, der sich ihr bietet*. Daher ist der Umgang mit Natur in Brasilien auch eine feindliche Beziehung. Natur kann hier nicht beherrscht werden oder gar der eigen Verherrlichung dienen. Es gilt sie zu besiegen. Dies zeigt sich in der Stadt selbst. Wenn, dann finden sich hier wohlgehegte gebändigte Topfpflanzen. Aufgrund der Dichte und Raumknappheit, besitzen die wenigsten Bewohner Gärten oder private Grünflächen. Und selbst in Parks, wie dem Parque do Ibirapuera, ist die Natur durch die skulpturalen Bauten von Oscar Niemeyer klar zurückgedrängt. Selbst als Schattenspender wird eine Markise gebaut, um einen Ort der Begegnung zu schaffen. Die Natur spielt für den öffentlichen Raum in São Paulo nur eine sehr untergeordnete Rolle. * Vgl. Vilém Flusser 1994

Die Natur Japans ist sehr schroff und von Extremen geprägt und wird durch die Naturreligion Shintoismus als Sitz der Götter verehrt. Vor diesem Hintergrund, ist das Streben der Jahrtausende alten Gartenkultur nach Einklang zwischen Mensch und Natur zu sehen. Durch Herauslösung, Transformation und Abstraktion auf das Essentielle, wird Natur in einen neuen Kontext gesetzt. Durch das künstliche Nachempfinden entstehen idealisierte Kompositionen. Durch diese »veredelte Natur«, erfährt der Betrachter die Natur als Mikrokosmos, der unmittelbar Einfluss auf die Seele des Menschen nimmt, indem er ihn als Teil des Ganzen und sich selbst erfährt. Diese meditative Wirkung auf Raum und Wahrnehmung beschreibt ein kodiertes Weltbild, in welches sich der Mensch in die Gesamtheit des Kosmos einordnet. Durch die hohe Dichte in Tokyo, kommt oftmals nur das alte Prinzip von shakkei — »geborgte Landschaft« zum Einsatz, in dem Natur in ihrer Abstraktion durch Topfpflanzen geschaffen wird. Durch diese temporäre Natur wird Vergänglichkeit und Erneuerung des Ewigen zum Ausdruck gebracht. Natur wird zum Vermittler zwischen Öffentlichem und Privatem. * *  vgl. (un)private housing tokyo research and design project TU Berlin www.unprivatehousing.com/topic/research/natur


Beobachtung

A  Schrebergarten

Bilder oben : C  © Jürgen Krusche q: Krusche, Roost 2010 q:87

B Dachgraten auf Hochhaus

C  Automat


Conclusio

119

Der Umgang mit Natur ist, sowohl vom Klima und der damit verbunden Vegetation, als auch von der Kultur geprägt. Der Garten, ob im Topf, im Strassenbeet oder am Stadtrand schafft Identität. Natur kann als Vermittler zwischen Öffentlichem und Privaten wirken, kann öffentlichem Raum Identität geben und dadurch Orte der Begegnung schaffen. Natur kann dem Menschen als Gegenpol seiner steinernen unveränderlichen Umwelt dienen und Zeit, Erneuerung und Ewigkeit sichtbar machen.

Natur und Garten haben das Potential Identität zu stiften, im öffentlichen Raum Orte der Begegnung zu schaffen und zwischen dem Öffentlichen und Privaten zu vermitteln. Durch Transformation der Natur und ihrer Anpassung an die Maßstäbe und Dichte von Stadt, kann der Menschen in der Gesamtheit des Kosmos eingeordnet werden.

N natur_ AZIT


O Öffnungen Duden*: Öffnung die, -en [mhd. offenunge, ahd. offanunga]: 1.›o. Pl.› das Öffnen, das Sichöffnen. 2. Stelle, wo etw. offen ist, etw. hinaus- od. hineingelangen kann: eine schmale, kleine Ö. [in der Wand]; die Ö. muss erweitert werden; eine dünne Schicht mit vielen feinen -en; (Fot.:) die Ö. der Blende einstellen. Wikipedia**: Öffnung bezeichnet allgemein eine offene Stelle in einer ansonsten geschlossenen Fläche oder einem geschlossenen Körper einen Durchgang zwischen Objekten im Bauwesen ein Loch in einer Wand, zum Beispiel für Türen oder Fenster im Schachspiel die zielgerichtete Beseitigung von Bauern, siehe Öffnung (Schach) in der Politik die Beendigung der Abschottung einer Gruppe oder einer Nation

Berlins Bebauung weist stark gerasterte kleine Öffnungen auf, die in der Strassenflucht alle auf einer Höhe liegen. Die deutlichen kleinen Einschnitte in die Außenhaut der Bebauung zeigen den Kompromiss zwischen maximaler Belichtung durch Tageslicht und minimaler thermischer Angriffsfläche. Die uns so vertraute Lochfassade, die auch auf die in Europa gängige Schottenbauweise des Massivbaus zurückzuführen ist, stellt deutlich das Dahinterliegende zur Schau. Sie muss daher durch unterschiedliche Methoden, wie Vorhänge, Jalousien, Rollläden oder Pflanzen, verhüllt werden. Die europäische Fensteröffnung bietet einen voyeuristischen gerahmten Blick auf dieses Dahinterliegende und bietet tiefe Einblicke in das Leben hinter den Glasscheiben. Öffnungen wirken somit nicht als Vermittler zwischen dem Innen und dem Aussen, dem Öffentlichen und Privaten, sondern als ein »Guckloch«, das oftmals unbemerktes Beobachten in beide Richtungen ermöglicht. Zudem verdeutlichen sie, durch Kipp- und Schwingfunktionen, ihre räumliche Dimension, indem es beim Öffnen zur Bildung eines Trapez kommt*. Öffnung ≠Vermittler *  vgl. Wolfgang Fehrer 2005 a: 51

*  Duden Online zuletzt abgerufen 01.02.13 16:45 **  Wikipedia zuletzt abgerufen 01.02.13 16:50


121

Das subtropische Klima von São Paulo ist deutlich in der Ausformung der Öffnungen abzulesen. Sowohl in den Gestaltungsprinzipien der Escola Carioca, als auch in den Elementen der Escola Paulista, finden sich deutlich Anpassungen von Ideen der klassischen Moderne an das vorherrschende Klima. So dienen die oftmals raumhaltigen Brise Soleils, neben der Verschattung, auch ausreichend Ventilation. Die oftmals, die gesamte Fassade überspannenden Verschattungselemente, werden durch ihre Raumhaltigkeit nicht nur zu einer Filterschicht zwischen Privatem und Öffentlichem, sondern zu »Grauräumen« der Halböffentlichkeit. Durch sie sind, selbst bei der hohen Bebauungsdichte der Stadt, große Öffnungen ohne Verletzung der Privatsphäre möglich. Die Erweiterung der »Curtainwall« durch diese Verschattungselemente, machen die Öffnung zum Vermittler zwischen Privatem und Öffentlichem. Öffnung+Filter=Vermittler

Durch die japanische Tradition der papierbespannten shoji-Wände, ist der Umgang mit Öffnungen in Japan mehr vom Thema des Lichtes, als vom Ausblick geprägt. Auf dieser Tradition fußt auch die Überlagerung von Öffnungen, in den oft zwiebelartigen Schichten des Hauses. Fenster treten selten nur als leere Öffnungen zum Vorschein. Sie dienen, ähnlich wie in São Paulo, als Filter. Sie sind Vermittler zwischen Innen und Außen, zwischen Öffentlichem und Privatem. Allerdings ist hier kein Filter vorgeschaltet, sondern die Öffnung ist der Filter selbst, entweder durch opake Materialien oder durch die Verwendung von Bambus und Holzeinsätzen in Lamellenstrukturen. Das gleichzeitige Verbergen und Enthüllen als Tradition, Widersprüchliches in einen vermittelnden Zustand zu bringen, schafft einen sensiblen Übergang zwischen Innen und Außen. Die meisten Öffnungen sind als Schiebeelemente ausgeführt, wodurch beim Öffnen nur ein Rechteck sichtbar bleibt, was sie klar zu einem zweidimensionalen Element im Raumgefüge werden lässt. Die Gleichwertigkeit von Türen und Fenster, sowie die freie Anordnung in Größe und Höhe, trotz der strengen traditionellen Rasterung, ermöglichen vielfältige Ausblicke.* Fenster= Filter=Vermittler *  vgl. Wolfgang Fehrer 2005 a: 53


Abstraktion

sCHEMATA

Beobachtung


Conclusio

123

Öffnungen dienen nicht nur der Belichtung des Inneren, sondern sollten auch Vermittler zwischen dem Innen und dem Außen, dem Privaten und dem Öffentlichen, sein. Sie bieten Ausblicke auf den öffentlichen Raum, je nach Anordnung, sogar ungewohnte Perspektiven. Dabei ist für uns Europäer der Grad der Öffnung immer auch eine Gradwanderung zwischen maximalem Ausblick und Wahrung der Privatssphäre — der Schutz vor dem voyeuristischen Einblick. Durch Filter, wie Gardinen und Jalousien, versuchen wir, unsere individuellen Bedürfnisse an Privatheit zu steuern. Tōkyō und São Paulo zeigen Möglichkeiten, diese Filter anders zu schaffen, um so das Drinnen und das Draussen in einen vermittelnden Zustand zu bringen. Öffnungen müssen Vermittler zwischen dem Öffentlichen und dem Privaten sein. Durch sie kommen die beiden Gegenpole zueinander. Durch Filter werden die beiden Gegesätze näher zueinander gebracht, ohne dass die Privatssphäre verletzt wird.

O Öffnungen_ AZIT


O Ordnungsprizipien Brockhaus*: Ordnung die, -en ‹Pl. selten› [mhd. ordenunge, ahd. ordinunga]** allg.: zweckmäßig geregelter Zusammenhang von Elementen, die nicht Teilglieder eines ganzen, sondern selbstständige Größen oder Wesen sind, deren Beziehung zueinander aber einem bestimmten, auch gelegentl. Änderungen überdauernden inneren Gesetzt unterstehen (z.B. Gesellschafts-O.) [...] Soziologie: eine stabile Beziehung innerhalb eines sozialen Gebildes, die in einer O. der Teile zum Ganzen, wie auch des Ganzen zu den teilen und der Teile zueinander bestehen kann. Das Verhältnis der gesellschaftl. Teile zum Ganzen beruht auf Loyalität, das des Ganzen zu den Teilen auf dessen Legitimität, das der Teile zueinander auf Solidarität oder Übereinstimmung (Konsens). [...] Die Wirkungsfaktoren, die bei der Bildung und Aufrechterhaltung (Intergration) von O. beteiligt sind, sowie Vorgänge, in denen O. sich lockern, auflösen, zersetzen (Desintegration), sind ein Hauptproblem der Soziologie. [...]

In unserer westlichen Kultur sind wir es gewohnt, in einer strengen linearen Ordnung zu lesen. Bei der Schrift erfolgt dies streng von oben rechts nach unten links, wobei »die Regelund Unregelmäßigkeit der Abstände auf der Hauptlinie eine wichtige Rolle spielt«*. Auch die Raumwahrnehmung ist von dieser linearen Ordnung geprägt. Wir lesen Räume entlang ihrer Wände. Das Längenmaß Meter im Quadrat ergibt das Flächenmaß. Auch die Stadtstruktur ist eine lineare Ordnung. Die Häuser ordnen sich den linearen Strassen unter. Sie definieren das Bild der Stadt. Die Strassen unterliegen wiederum linearen übergeordneteten Großformen, wie Orthogonalsysteme , Radialsysteme oder Axialsysteme der römischen Feldlager. * Krusche, Roost 2010 a:91

*  Brockhaus – die Enzyklopädie: in 24 Bänden 1999 a: Band 16 **  Duden Online zuletzt abgerufen 01.02.13 13:30


125

Aufgrund seiner kolonialen Geschichte, ist auch in São Paulo das Ordnungsprinzip ein lineares.

In Japan ist das Ordnungsprinzip klar ein flächiges, sowohl in der Schrift, als auch in der Raumwahrnehmung. Die japanische Schrift ist in viele Richtungen lesbar. Die japanischen Kanji, die als Logogramm einen Wortstamm bilden*, formen eine komplexe, in mehrere Leserichtungen ausgerichtete Struktur. Durch den Wegfall von Leerzeichen, kann die Wortbildung nur aus dem Kontext erschlossen werden.**.Es entstehen eben keine dominaten Muster, sondern die Leserichtung kann sich mehrfach innerhalb einer Seite ändern. Auch die Raumwahrnehmung ist von Teilordnungen geprägt. Das traditionelle Raummaß, die Tatami-Matte, ist ein flächiges Element, das die kleinste, vom Menschen benötigte Fläche zum Sitzen und Liegen, definiert. Tatami als Maßeinheit für Raum, kann ebenfalls in verschiedene Richtungen gelesen werden. Auch im Stadtraum gibt es kein dominierendes Muster, sondern eher Flächen, eine Art »Teppich«, die sich zusammenfügen. *  Wikipedia zuletzt abgerufen 02.02.13 12:30 ** Kusche, Roost 2010 a:91

E


Abstraktion

sCHEMATA

Beobachtung


Conclusio

127

Die Ordnungsprinzipien der verschiedenen Kulturkreise haben durchaus Auswirkungen auf die Wahrnehmung des öffentlichen Raumes. In dem man bestimmten Elementen Dominanz verleiht, beschreibt man diesen Bereich und lässt seine Funktion erkennen. So ist die europäische Strasse als Verkehrsraum beschrieben und wird daher eher selten als Aufenthaltsort angenommen, zumindest ohne den Aufenthaltsbereich nochmals vom Strassenraum abzugrenzen. Ist aber, wie in Japan, diesem Raum keine Dominanz zugewiesen und nur multifunktionales Raumkontinuum vorhanden, so kann er durch den Benutzer und dessen Interessen aktiviert und individuell gewertet werden. Weshalb er dann auch zum Privaten erweitert werden kann. In Hinblick auf den öffentlichen Raum: Je freier das Ordnungsprinzip, desto einfacher ist es, diesen in seiner Gesamtheit, durch individuelle Handlungen, zu schaffen und zu aktivieren.

O Ordnungsprizipien_ AZIT


P Plätze Brockhaus*: Platz [mhd. pla(t)z, über (alt)frz. place von lat. platea ‹Straße›], von Bebauung umschlossene, öffentl. Zwecken dienende Fläche in Siedlungen. Die P.-Anlagen der Antike, die → Agora in Griechenland und das → Forum im Röm. Reich, waren Orte des kulturellen und polit. Lebens. P. des MA. entstanden urspr. als Markt-P. und waren von Kaufmannshäusern und öffentl. Gebäuden wie Kirche und Rathaus sowie Gasthaus umgeben. In der Stadtbaukunst der Renaissance und des Barock war der P. im Zusammenhang mit Kirchen- und Schlossbauten ein wichtiges Ausdrucksmittel polit. Repräsentation. Im 19. Jh. entstanden Neuanlagen von Plätzen im Zuge von Stadterweiterungen; Plätze bekamen dabei in Verbindung mit Grünanlagen dekorative Funktion oder wurden betonte Schnittpunkte groß angelegter Straßenachsen. M. WEBB : Die Mitte der Stadt. Städt. Plätze von der Antike bis heute (a.d.Engl., 1990); Plätze in der Stadt, hg. v. H.-1. AMINDE (1994).

*  Brockhaus – die Enzyklopädie: in 24 Bänden 1999 a: Band 17

Plätze sind der Inbegriff des öffentlichen Raumes in unserem westlichen Raumdenken. Sie entstanden als Repräsentations- und Handelsorte. Sie symbolisierten Macht und Reichtum und wurden dadurch zu traditionellen Aufenthaltsorten, zu Orten des Sehens und Gesehen-werdens. Plätze waren Orte der Gesellschaft. Sie sind auch heute noch umgrenzt von bedeutenden Verwaltungs- Regierungs-, Justiz- und Wirtschaftseinrichtungen.* *  vgl. Krusche, Roost 2010 a:37


129

Auch in São Paulo ist der Platz als Ort der Öffentlichkeit und der Gesellschaft entstanden. Doch durch zunehmende Kriminalität, genau an diesen Repräsentationsorten, sind die meisten Plätze der Stadt heute zu Durchgangsorten geworden, die man besser schnell durchquert, zu »Unorten« also. Öffentlichkeit und Gesellschaft finden in São Paulo heute vermehrt in Kulturbauten, offenen Erdgeschossen, Galerien und Shoppingcentern, fernab dieser Kriminalität, statt. Diese Sonderformen von öffentlichem Raum ermöglichen eine kontrollierte Atmosphäre, in der Armut, Gewalt und Elend ausgeschlossen werden, wodurch allerdings ihre Öffentlichkeit, im Sinne der allgemeinen Zugänglichkeit aller, in Frage zu stellen ist.

Tōkyō ist, aufgrund seiner Lage am Sumida-Fluss-Delta, deutlich vom Wasser geprägt. Ursprünglich war die Stadt, wie Venedig, vom Wasser durchzogen. Diese Wasserstrassen waren die Verkehrs- und Verbindungsadern, sie bildeten den öffentlichen Raum für die Gesellschaft und den Handel. Diese Kanäle, die als Orte des Handel fungierten und die Brücken, als Orte für Bekanntgaben, sind heute im Stadtbild noch auszumachen. Zwar sind die Kanäle, aufgrund der Nachverdichtung, fast alle zugeschüttet und mit Strassen überbaut, doch haben sie ihre Funktion als öffentlichen Raum behalten. Daraus ist auch zu verstehen, wieso heute Kreuzungen, wie die berühmte Shibuya-Kreuzung, Orte höchster Zentralität bedeuten. In Japan ist öffentlicher Raum also nicht von einem Aufenthaltscharakter geprägt, sondern durch Bewegung, die eine maximale gesellschaftliche und urbane Ausgewogenheit von öffentlichem Raum im gesamten riesigen Stadtgebiet ermöglicht.* *  vgl. Krusche, Roost 2010 a:38


Beobachtung

A  repräsentativer Platz

Bilder oben : C  © http://andikumamoto.wordpress.com zu letzt abgerufen 13.202.13 04:20

B  Prace Republica und seine Bewohner

C   Shibuya Kreuzung


Conclusio

131

Platzanlagen sind für uns Europäer Inbegriff von öffentlichem Raum. Hier findet Handel, Repräsentation und Austausch statt. Doch dieser öffentliche Raum funktioniert nur dann, wenn der menschliche Maßstab gewahrt bleibt. Ist dem nicht so oder werden, durch Kriminalität und Armut, die Plätze entvölkert, entstehen schnell urbane Brachen, die nur sehr schwer wiederzubeleben sind. Am Beispiel von São Paulo und Tōkyō zeigen sich aber Alternativen zu dieser Form von öffentlichem Raum. So können offengestaltete Kulturbauten, wie das CCSP (Centro Cultural São Paulo) oder nutzungsdurchmischte Durchgangsorte, wie die Strassen von Tōkyō, ebenfalls die Funktion von Gemeinschaft in sich aufnehmen. Besonders die Ausformulierung von Durchgangsorten zu Kommunikationsräumen bietet Potential, alle GesellschaftsPlatzanlagen sind Inbegriff des Öffentlichen, schichten einzubeziehen und doch müssen sie allen Gesellschaftsschichten gleichermaßen Raum und öffentlichen Raum in seiner UrtyNutzungsmöglichkeiten bieten und pologie, als Orte der Gesellschaft, der menschliche Maßstab muss gewahrt bleiben. im urbanen Gefüge zu etablieren und zu aktivieren.

P Plätze_ AZIT


Q


133

ÂťWe move through negative spaces and dwell in positive spaces. the shapes and qualities of architectural spaces greatly influence human experiance and behavior, for we inhabit the paces of our built environment and not the solid walls [...].Positive spaces are almost always preferred by people for lingering ans social interaction. Negative spaces tend to promote movement rather than dwelling in place.ÂŤ Matthew Frederick


R Raumverständnis Brockhaus*: Raum, Mathematik: i. e. S. und in der Elemenlargeometrie ein sich in drei Dimensionen (Länge, Breite, Höhe) ohne feste Grenzen ausdehnendes Gebiet (Anschauungs-R.);[...] Philosophie: In der Antike wurde der R. zunächst endlich gedacht ; er ist von mythischem R. , dem ‹Apeiron›, umgrenzt, über den man keine Aussagen machen kann. Für ARISTOTELES beginnt über der Welt des Wechselnden und Vergänglichen die Welt des Unvergänglichen, die Sphäre der Himmelskörper. Erst seit der Renaissance wurde, im Zusammenhang mit der Lehre des N. KOPERNIKUS, durch G. BRUNO allmählich die Vorstellung des unendlichen astronom. R. vorherrschend, nachdem der Begriff des Unendlichen im Zuge der Entstehung einer christI. Philosophie eine Aufwertung erfahren hatte. Die griech. Atomisten (DEMOKRIT) nahmen eine Leere an, in der sich die Atome bewegen, ebenso die Pythagoreer. Später vertraten z. B. P. GASSENDI und J. LOCKE die Vorstellung des leeren R. Dagegen ist für PARMENIDES Sein so viel wie RaumerfUllen, während der leere R. dem Nichtsein gleichkommt. Auch nach der Vorstellung des christI. MA. , das an ARlsTOTELEs› Anschauung vom R. al~ dem Begrenzenden der Körper anknüpfte, kann es keinen leeren R. geben ( ..... Horror Vacui). R. DESCARTES unterschied als Attribute der Wirklichkeit Denken und Ausdehnung; für ihn fallen Räumlichkeit und Körperlichkeit zusammen. Die Vorstellung eines ruhenden, homogenen, unendl. R., der auch leer sein kann (I. NEwTON), war lange Zeit die Grundlage der naturwiss. R.-Auffassung. Der R. als bloße Erscheinung taucht auf in der Lehre der engl. Empiristen (0. HUME, G. BERKELEV). Auch für G. W. LEIBNIZ ist der R. nur Phänomen, dem die Monaden als immaterielle Kräfte zugrunde liegen; er ist die Ordnung des Koexistierenden, Inbegriff von Beziehungen (Begriff des ‹elativen R.›). Für I. KANT sind R. und Zeit ‹apriorische Anschauungsformen›; der R. ist nichts, sobald wir die Bedingungen der Möglichkeit aller Erfahrung weglassen und ihn als etwas, was den Dingen an sich zugrunde liegt, annehmen. Nach KANT sind der R. und seine in den Atomen der euklid. Geometrie formulierte Struktur im menschl. Erkenntnisvermögen verankert ; ähnl. Ansichten

Unser europäisches Raumverständnis gründet sich auf die Raumphilosophie der Antike. Doch bis heute besteht ein Dualismus zwischen absoluter und relativer Raumauffassung. Den ersten Versuch, den Begriff Raum zu definieren, finden wir in den Platonischen Dialogen. Die grundsätzliche Idee hier war die Erweiterung der beiden Kategorien, des Seins und des Werden, um eine »dritte Gattung, in der alles Werden Aufnahme findet.«* Der Ausdruck ‹Aufnahme› impliziert hier bereits das absolute Raumverständnis, Raum als Container. Aristoteles beschrieb »Raum, als die Summe aller von Körpern eingenommener Örter«** wobei der Ort Teil des Raumes selbst ist.— Der Ort als gefülltes Gefäß. Die absolute Raumauffassung von Newton, aus dem 17. Jh., sah Raum unabhängig von äußeren Dingen, als immer gleich, unbeweglich und unveränderlich. Er bleibt auch dann bestehen »wenn alle materiellen Körper aus ihm entfernt würden«*** Die Attraktivität des Behälter-Konzeptes besteht in der klaren und genauen Grenzziehung zwischen dem Fremden und dem Eigenem und macht so eine »Stabilisierung sozialer Differenzierungen« möglich****

*  Brockhaus – die Enzyklopädie: in 24 Bänden 1999 a: Band 17

*  vgl. Schroer 2006 a:31 ** Ebd. a:32 *** Ebd. a:36 **** Ebd. a:38

→Fortsetzung S.136

→Fortsetzung S.136


135

Auch in Brasilien findet sich die absolute Raumauffassung. Dies liegt meiner Meinung nach in ihrer kolonialen Geschichte. Die Escola Paulista hingegen vertritt die Meinung, dass Raum zwar gegeben ist, aber erst durch Handlungen seine Sinnhaftigkeit erlangt. So ist zu erklären, wieso viele der öffentlichen Kulturbauten zwar an sich schon Raum schaffen, aber erst durch individuelle Handlungen der Besucher zum öffentlichen Raum werden.

Das Raumverständnis der japanischen Kultur ist sehr ähnlich dem, was wir als relative Raumauffassung verstehen. Doch liegen ihre Ursprünge nicht in unserer Antike. Aufgrund der Insellage Japans und der Dichte der Siedlungen, ist der persönliche Raum sehr begrenzt. Durch Raumproduktion sollen diese engen Grenzen subjektiv erweitert werden. Es wurde eine Raumphilosophie entwickelt, die der Knappheit an Raum entgegewirkt und Tiefenentwicklung zulässt. Daraus entstand die »Tradition einer paradoxen Ästhetik« in der unendliche Ausdehnung durch extrem komprimierten Raum repräsentiert wird und ein Augenblick eine Ewigkeit suggeriert.* Raum wird nur über Bewegung erfahren und erhält dadurch einen Zeitparameter. Dieses Raumverständnis ist mit der Theorie der Raumproduktion des französischen Philosophen und Soziologen Henri Lefebvre vergleichbar. Durch die Bewegung wird Raum wahrgenommen; Espace perçu. Durch die »paradoxe Ästhetik« kommt es zu einer gedanklichen Konstrukion von Raum; Espace conçu und durch die Bedeutung des Augenblicks als Ewigkeit, entsteht der espace vécu.** Es lässt sich also festhalten, dass in der japanischen Raumauffassung, ebenso wie bei Henri *  Tadao Ando aus Fehrer 2005 a:23 **  vgl. Lefebvre, in: Dünne, Günzel: Raumtheorie 2006 a:330ff. →Fortsetzung S.137


finden sich in der Phänomenologie des 20. Jh. wieder v. a. bei OSKAR BECKER (* 1889, t 1964). Für die Philosophie des Idealismus und der Romantik gehört der R. zum ‹Außer-sich -Sein› des Geistes (G. W. F. HEGEL), er ist das ‹Äußere› oder Extensive gegenüber dem ‹Inneren› oder Intensiven; für NOVALlS ist R. äußere Zeit, für F. W. J. SCHELLING angehaltene Zeit, während Zeit fließender R. ist. Die Lebensphilosophie ordnet den R. dem Verstand zu; er zeige die Welt räumlich, teilbar, messbar, während ihr cigentl. Wesen das Bewusstsein, die unteilbare schöpfer. Zeit sei (H. BERGsoN). Indem die Existenzphilosophie den Menschen als In-der-Welt-Sein und Mit-Sein nimmt, gehören fUr sie Örtlichkeit und Räumlichkeit in die Grundstruktur des Daseins , während die Zeitlichkeit ‹der ursprüngl. Grund der Existenzialität des Daseins ist› (M. HEIDEGGER). Der R.-Begriff des log. Empirismus (R. CARNAP, H. REICHENBACH 11. a.) ist nachhaltig durch die Erkenntnisse der modernen Mathematik und Physik geprägt. Charakteristisch für ihn ist die Verwerfung des kantischen Apriorismus

Leibniz stellt diesem Container-Denken eine konträre Alternative gegenüber: den relativen Raum. Für ihn besitzen weder Raum, noch Zeit, eine substanzielle Realität. »Die Lage eines jeden Körpers ergibt sich aus seiner jeweiligen Relation zu einem anderen«***** Seine Idee der Perspektivenvielfalt, in Abhängigkeit zur jeweiligen Position im Raum, postuliert die Raumproduktion durch Bewegung. Der Unterschied zwischen den beiden konträren Raumauffassungen besteht also darin, dass einmal Raum als Container gesehen wird, der jedes ‹Ding› aufnimmt und ihm einen festen Platz zuweist. Das zweite Modell sieht Raum nicht mehr als bloße Gegebenheit, sondern er wird erst durch soziale Operationen konstruiert. Abschließend ist jedoch festzuhalten, dass das europäische Raumverständnis immer noch stark in der absoluten Raumauffassung nach Newton verhaftet ist und deshalb öffentlichen Raum als gegebenen Container betrachtet. Raum = Container der Orte

***** Ebd. a:40


137

Lefebvre, die Raumwahrnehmung kein passiver Vorgang ist, sondern ein aktiver Prozess, der genauso, wie das Abbilden, Vorstellen, Erinnern oder Benutzen von R채umen, ein Produzieren von R채umen darstellt.


Abstraktion A  absoluter Raum

B Escloa Paulista: Mischung von relativem und absoltem Raum

C   triadische Raumproduktion


Conclusio

139

Durch die relative Raumauffassung wird der Mensch aktiv in die Raumproduktion eingebunden. Dadurch wird öffentlicher Raum individuell gestaltbar und erlangt somit für den Benutzer seine Sinnhaftigkeit.

Raumproduktion bindet den Benutzer aktiv in den Raumentstehungsprozess ein. Dadurch schreibt der Benutzer seine Spuren in dem Raum und macht ihn für sich selbst sinnhaft — Sinnhaftigkeit bedeutet Heimat. Der öffentliche Raum wird so zu einem Stück Heimat im urbanen Stadtgemenge..

R Raumverständnis_ AZIT


S Schwellen Brockhaus*: Schwelle, die/-en allg.: der untere Abschluss einer Türöffnung, meist ein Holzbrett oder Stahlbeton- oder Metallbauteil. -Im Volksglauben ist die Tür-S. die Grenze zw. dem Schutz (und Asyl) gewährenden Haus und der Außenwelt. Sie wird bes. durch Götter (z. B. Janus), Abwehrzauber, Segnung und Hauszeichen geschützt. Hausschilder mit HeiligendarsteIlungen sollen Unheil (der hl. FLORlAN bes. Feuer) fern halten. [..] Psychologie: Grenzbereich der (bewussten) Wahrnehmbarkeit von Reizen und Empfindungen (Bewusstseins-S., -Bewusstsein;→Reiz, Reizschwelle; →Unterschiedsschwelle). Aus Verfahren zur S.-Bestimmung entwickelte sich die →Psychophysik

»Es gibt im Grunde keinen Privaten Raum. Es gibt nur unterschiedliche Grade von Öffentlichkeit.[...] Es sind vielmehr Kapitel ein und der selben Sache.« *  Brockhaus – die Enzyklopädie: in 24 Bänden 1999 a: Band 18

Paulo Mendes da Rocha

Im Verhältnis zur Fassadenfläche, einer für Berlin typischen „Mietskaserne“, sind die Eingänge der einzelnen Häuser der Blockrandbebauung sehr klein. Neben der, uns Europäern gut bekannten Haustüre, finden sich in Abständen immer wieder recht dunkle ungepflegte Durchgänge, die oft in dicht bebaute Hinterhofstrukturen führen. Sie stellen dadurch wiederum Eingänge, zu den im Innern befindlichen Wohnbauten, dar. Es ergeben sich also zwei Arten von Schwellenräumen, wobei die klare Trennung von Funkions- und Lebensraum erhalten bleibt und das Ziel, ein höchstmögliches Maß an Privatheit für das Individuum, klar im Vordergrund steht.* Zum einen gibt es die Hauseingänge mit Treppenhäusern. Sie sind, wie bereits beschrieben, im Verhältnis zur geschlossenen Wandfläche sehr klein und stellen dadurch eine klare Grenze zum öffentlichen Raum dar. Die Treppenhäuser sind Orte der Anonymität, reiner Funktionsraum. Doch fällt auf, dass diese Treppenhäuser mit allerlei Gegenständen privatisiert werden und so der eigene Wohnraum erweitert wird. Die zweite Form der Schwellenräume in Berlin stellen die Hausdurchgänge zu den Hinterhöfen dar. Diese Hinterhöfe sind, durch die sie umgebende Blockrandbebauung, vom Stadt*  vgl. Wolfgang Fehrer 2005 a: 53 →Fortsetzung S.140


141

São Paulo ist starke von Vertikalisierung geprägt. Das enorme Wachstum im letzten Jahrhundert, das bis heute anhält, hat zu einer drastischen Verdichtung der urbanen Struktur geführt. Altes wird in immer größeren Maßstäben überzeichnet — ein urbanes Palimpsest ist entstanden. Die Dichte ist sprunghaft gestiegen. Diese Verdichtung betrifft auch die Schwellenräume. Sie sind in São Paulo fast völlig aufgelöst und in den öffentlichen Raum übergegangen. Die hohe Kriminalitätsrate führte dazu, dass fast jeder Hauszugang heute von einem oder mehreren Portiers bewacht wird. Sie sind Freund und Fremder in einem. Sie begleiten den Übertritt in den wirklichen öffentlichen Raum durch ein freundliches Lachen oder ein kleines Gespräch und tragen stark zur Herabsetzung der Hemmschwelle bei. Dadurch ist der, für uns Europäer anonyme Schwellenraum, zu einem Kommunikationsraum für Bewohner, Arbeitnehmer und Besucher transformiert und durch die Qualität als Vermittler, bzw. als Katalysator zwischen dem Eigenen und dem Fremden, deutlich dem öffentlichen Raum zuzuordnen.

Trotz seiner vordergründigen Verwestlichung ist Tokyo stark in der japanischen Tradition verankert. Grenzen und Schwellenräume werden, sowohl als Trennelement, als auch als Verbindungsglied zwischen Personen und Raum verstanden*. Schwellenräume zum Privaten sind meist sehr subtil in mehreren Schichten ausgebildet. Sie werden stark geweitet und überlagern sich bis zu ihrer völligen Auflösung mit dem öffentlichen Raum. Innenraum und Öffentlichkeit gehen fließend in einander über. Die traditionellen Stadthäuser, Machiya genannt, sind schmale tiefe Wohnhäuser und Arbeitsstätten zugleich. Die Gewerbebereiche liegen meist zu den schmalen roji-Gassen hin, welche sich in der Tiefe dann zu den Wohnbereichen orientieren. Tagsüber ist die gesamte Front der Machiya geöffnet, wodurch sich die räumlichen Grenzen des Geschäftes auflösen und fast völlig mit dem Straßenraum verschwinden**. So werden diese Wohnformen, über die verschiedenen Stufen nach hinten, immer privater, wodurch der Schwellenraum fast vollständig aufgelöst ist, bzw. vollständig durch Gewerbefunktion als aktiven Bereich in das Alltagsleben miteinbezogen wird. Der Raum fließt in der *  ebd **  vgl. unprivate housing research & design project Technische Universität Berlin www. unprivate housing.com/topic/research/Halboeffentlicher%20Raum.html zuletzt abgerufen 22.01.13 14:00h →Fortsetzung S.141


raum abgeschnitten und bilden eine Art Halböffentlichkeit. Dabei sind die Qualitäten dieser Höfe ganz unterschiedlich. Einst waren sie, mit den im Erdgeschoss angesiedelten Haushalts-, Handwerks-, Handels- und Dienstleistungseinrichtungen der vorindustriellen Ära, Teil des öffentlichen Raumes, der als kleines Quartier und interner Marktplatz fungierte. Durch die Auflösung dieser gemeinschaftlich genutzen Einrichtungen und der Nachverdichtung wegen Platzmangels, entstanden Restflächen, die sowohl als improvisierte Grünflächen, als auch Abstellflächen der Quartiersgemeinschaft zur Verfügung stehen. »Wo immer möglich, werden sie als Garten genutzt, mal genügsam mit ein paar Stühlen oder einer Liege, mal mit viel Liebe gestaltet, sodass sich Besucher — trotz des offenen Eingangs — als Eindringling in eine private Welt fühlen.«**Abschließend ist für beide Schwellenräume festzustellen, dass sie in Berlin deutlich mehr zum privaten als zum öffentlichen Raum gezählt werden können, obwohl sie kaum Kommunikationsqualitäten aufweisen.

**  vgl. Kruscke, Vogt 2010 a: 32


143

Horizontalen vom Öffentlichen ins Private und umgekehrt. Nur durch leichte noren-Vorhänge im oberen Türbereich wird der Blick auf die Gesichter, der im »Innern« befindlichen Personen verhüllt und somit ein Gefühl von Privatheit gewährleistet. Mit diesem Wissen sind auch die, für uns sehr extrovertiert wirkenden Wohnprojekte und Entwürfe des japanischen Architekten Sou Futjimoto, wie das House N. zu lesen. Er schafft Privatheit, indem er die benötigten Räume weiter in die Tiefe des Hauses, bzw. in die Höhe verlegt. Gleiches findest sich auch bei Projekten von Atleier Bow-Wow aus Tokyo. Als Beispiel ist nachfolgend das Tower Machiya gezeigt. Privatheit wird nur über die Tiefe definiert, nicht durch Abschattung.


Abstraktion

sCHEMATA

Beobachtung


Conclusio

145

Für uns Deutsche ist der Schwellenraum, der Bereich von Hauseingang bis zu den privaten Räumlichkeiten, meist nicht mehr, als eine notwendige Wegstrecke, die geprägt ist von Anonymität. Durch Besetzung dieses Raumes mit privaten Gegenständen, wie Fußmatten, Schuhregalen, Dekorationsgegenständen oder gar Sofas, entsteht ein ‹ertragbares Etwas›, das wir als kleine Erweiterung unseres Wohnens sehen. Dieses Privatisieren verstärk jedoch den Kontrast zwischen Öffentlichkeit und Privatem zusätzlich und erhöht die Hemmschwelle, den öffentlichen Raum in das Wohnen aktiv miteinzubeziehen. São Paulo und Tōkyō dagegen haben Methoden entwickelt, den Schwellenraum zu einer Art Katalysator umzuwandeln, wodurch die Grenze zwischen Privatem und Öffentlichem abgeschwächt oder gar ganz aufgeJe diffuser die Grenze des Schwellenraumes, je fließender die Übergänge, hoben wird. Indem der Schweldesto besser stärker bindet er die Gegensätze Öffentlichkeit und Privatheit lenraum die beiden Gegensätze zusammen und verschafft dadurch beiden Raumformen einen Mehrwert — näher zusammenbringt, in einen eine Erweitung von Raum. vermittelnden Zustand überführt, wird sowohl das Wohnen bereichert, als auch der öffentliche Raum gestärkt.

S Schwellen_ AZIT


S Stadtbilder Brockhaus*: Stadt [ahd. stat ‹Ort›, ‹Stelle›, ‹Wohnstätte›, ‹Siedlung›], eine Siedlung, die im Gg.s. zu ländl. Siedlungen durch ihre meist nicht landwirtschaftl. Funktionen (Ausnahme: Ackerbürger-S.) sowie durch eine größere Zahl weiterer Einzelmerkmale mit allerdings je nach Raum und Zeit unterschiedl. Ausmaßen charakterisiert ist; dazu zählen ihre Größe (v. a. größere Einwohnerzahl), die Geschlossenheit der Ortsform (kompakter Siedlungskörper), höhere Bebauungsdichte , überwiegende Mehrstöckigkeit der Häuser (zumindest im S.-Kern), in der neuzeitl. S. eine deutl. funktionale innere Gliederung (z. B. in City, Wohnviertel, Industrie-, Gewerbe-, Naherholungsgebiete), eine besondere Bevölkerungs- und Sozialstruktur (z. B. überdurchschnittlich hoher Anteil an Einpersonenhaushalten), differenzierte sozialräuml. Gliederung (z. B. Wohnviertelbildung nach Einkommen oder Ethmen), hohe Wohn- und Arbeitsstättendichte, vorherrschende sekundär- und tertiärwirtschaftl. Tätigkeiten bei gleichzeitig hoher Arbeitsteilung, i. Allg. ein Einpendlerüberschuss, das Vorherrschen stadt: Lebensformen (z. B. durch spezielle kulturelle Einrichtungen), ein Mindestmaß an Bedeutung für das Umland (zentralörtl. Funktionen, Z. B. aufgrund von Versorgungs-, Verwaltungs- und Bildungseinrichtungen), eine relativ hohe Verkehrswertigkeit (z. B. Bündelung wichtiger Verkehrswege, hohe Verkehrsdichte) und eine weitgehend künstl. Umweltgestaltung mit z. T. hoher Umweltbelastung. S. lässt sich heute deshalb nur schwer eindeutig definieren, weil (insbesondere in hoch verstädterten Industriestaaten) die Übergänge zw. städt. und ländl. Siedlungen fließend sind (S.Land- Kontinuum; in Agrargesellschaften besteht dagegen meist ein starker S.-Land-Gegensatz).

*  Brockhaus – die Enzyklopädie: in 24 Bänden 1999 a: Band 20

Am Stadtbild von Berlin lässt sich seine bewegte Geschichte ablesen. Die unterschiedlichen unvereinbaren städtebaulichen Konzepte bilden ein Flickenwerk an Strukturen und Texturen. An deren Schnittstellen treten deutlich Brüche zu Tage*. Innerhalb eines ‹Patches› sind deutlich Orte der europäischen Ausruh- und Verweilkultur abzulesen. Seit der Renaissance spielt die Perspektive und der Versuch, eine geometrische Gesamtordnung zu schaffen, eine übergeordnete Rolle. Blickachsen, Strassen- und Platzanlagen sind deutlich im Teppich der Stadt auszumachen. Stadtbild= Patchwork der Geschichte *  vgl. Philipp Oswald 2005 a:58


147

Hier ist das Stadtbild von kontinuierlichen Transformationsprozessen gezeichnet. Das Stadtpalimpsest wird immer und immer wieder überschrieben. Durch die starke Vertikalisierung und ihr Zusammenspiel mit der Topografie ist ein wogendes Hochhausmeer entstanden, das sich flimmernd bis an den Horizont erstreckt. Stadtbild = Palimpsests der Transformation

Der Basiscode der Stadt ist seit Jahrhunderten gleich geblieben. Trotz großflächiger Zerstörung durch Erdbeben und Weltkriege, wurde die Stadt nicht neu überzeichnet, sondern auf den alten traditionellen Parzellen wieder aufgebaut. Traditionelle Wegebeziehungen blieben erhalten. Aufgrund seiner Geschichte als Kanalstadt, finden sich kaum Platzanlagen im dichten und kleinteiligen Stadtbild. Die Stadt ist durch Bewegung gekennzeichnet. Unzählige schmale Gassen durchqueren die Quartiere. Kreuzungen und Brücken sind aus der Geschichte herhaus Orte höchster Zentralität. Hoch frequentierte Durchgangsbereiche bilden die wichtigsten Orte der Stadt. Als Burgstadt wurde sie aus verteidigungstechnischen Gründen gebaut. Perspektive und Blickachsen spielen keine wesentliche Rolle im Stadtbild.* Stadtbild= »das Ewige im sich Wandelnden«** *  vgl. Krusche, Roost 2010 a: 38ff., 51ff. **  www.unprivatehousing.com/Natur zu letzt abgerufen 12.02.13 11:13


Abstraktion

Beobachtung


Conclusio

149

Stadtbilder geben Aufschluss über die Art von öffentlichem Raum, seine Positionierung innerhalb des Stadtgefüges und seine Ausformulierung. Auch liefern sie Informationen über die Nutzungsart und die Produktionsweise von öffentlichem Raum. Stadtbilder zu lesen und zu deuten führt zu kulturgerechten Eingriffen in die Stadtstruktur. Dies bildet die Grundlage für die Schaffung von guten öffentlichen Räumen.

Das Lesen und Interpretieren von Stadtbildern im kulturellen Kontext, bildet die Grundlage für die Schaffung von guten öffentlichen Räumen.

S Stadtbilder_ AZIT


S Strasse Brockhaus*: Straße [ahd. stra3(3)a, von spätlat. strata ‹via› ‹gepflastert(er Weg)›, zu lat. sternere, stratum ‹ausbreiten›], Soziologie: Als sozialer Lebensraum haben S. innerorts auch immer der Kommunikation und dem sozialen Austausch gedient. Neben kommunikativen Zwecken wie Spazierengehen, Flanieren, Bummeln wurde die S. vielfältig genutzt als Erlebnisraum für Kinder, als Fläche für Freizeitaktivitäten, für polit. Betätigung (Infostände, Demonstrationen), aber auch für gewerbliche sowie Handwerkstätigkeiten. Städtebaulich wurden die S.-Funktionen unterstützt durch die Anlage von Plätzen, breiten Gehsteigen und sogar Treppen (z. B. Strudlhofstiege in Wien). Ihren Höhepunkt erreichten solche Gestaltungsmaßnahmen zu Beginn des 20. Jh. bis zu den 1920er-Jahren. Zunehmende Motorisierung und gesteigerte MobiIitätsbedürfnisse und -zwänge (-Mobilität) haben zum einen durch den hohen Flächenbedarf und zum anderen durch gesunkene Lebensqualität infolge von Abgasen, Lärm, Unfallgefahr u. a. dazu geführt, dass die genannten Aktivitäten verdrängt oder stark eingeschränkt wurden. Die zunehmende S.Nutzung durch Kraftfahrzeuge verhindert, dass die S. als Raum für Kinderspiel und Kommunikation genutzt werden kann, mit der Konsequenz, dass solche Lebenstätigkeiten in die Wohnung verlagert werden, deren zur S.Seite hin gelegene Teile außerdem nur eingeschränkt genutzt werden können.[...] der soziale Funktionsverlust der S. als Lebensraum führen zu einem tendenziellen Funktionsverlust von Ortschaften insgesamt, der durch künstl. ‹Kulturreservate› wie Fußgängerzonen kaum ausgeglichen werden kann. Um die Bedeutung der S. als Kommunikationsraum wieder zu beleben, wurden u. a. Maßnahmen eingeleitet, die eine Geschwindigkeitsreduzierung beinhalten

*  Brockhaus – die Enzyklopädie: in 24 Bänden 1999 a: Band 19

Durch die Bestrebungen der klassischen Moderne, kann Straßenraum in Berlin als ein funktionsgetrennter Transitraum gesehen werden. Unterschiedliche Verkehrsformen bewegen sich aneinander vorbei. Die Straßen, ob als Durchgangsstraßen oder Quartiersstraßen, sind oftmals dem menschlichen Maßstab entrückt und bieten keinerlei Aufenthaltswert.


151

Der »Minhocão«, die Via Elevada Presidente Artur da Costa E Silva, durchschneidet den Stadtraum von Zentral-São Paulo. Die dicht bebaute Stadtautobahn hat keinerlei Abstandsflächen zu den angrenzenden Gebäuden. Einige Meter vom alltäglichen Verkehrschaos finden sich Schlafzimmer, Küchen und Essbereiche mit freiem Blick auf die Strasse. Aus diesem Grund beschloss die Stadtverwaltung, nachts und sonntags den Minhocão für Motorenverkehr zu sperren. Durch diese Entleerung von Funktion ist ein Leerraum entstanden, der nun den Bewohnern der Stadt zu freien Aneignung zur Verfügung steht. So finden sich in den Leerzeiten Sportler, Kinder mit Rollschuhen und Spaziergänger mit ihren Familien dort ein, um durch die Stadt zu flanieren. Durch die erhobene Position der Strasse auf Höhe des dritten Obergeschosses, bieten sich atemberaubende Ausblicke auf das Stadtpalimpsest von São Paulo. Die Vertikalität wird gemindert und man rückt dem Himmel etwas näher.

Die Strassen sind deutlich in zwei Kategorien einzuteilen. Die erste Gruppe wird gebildet von den großen Durchgangsstraßen. Sie sind nach und nach im Zuge der Modernisierung der Stadt über das bestehende Netz übergestülpt worden. Oftmals zeichnen sie alte Kanäle und Flussadern nach, die längst zur Landgewinnung zugeschüttet wurden. Sie dienen als Stadtautobahnen und trennen klar die traditionellen Nachbarschaften voneinander. Die zweite Kategorie sind die alten roji-Gassen. Sie sind Quartiersstraßen, mit sich überlagernden Nutzungen. Nicht nur stellen sie die Zugänglichkeit der Bauten sicher, sie dienen auch als Erweiterung des Privaten und Geschäftlichen. Durch durchlaufende Bodenbeläge in den Schwellenräumen, findet sich keinerlei Abgrenzung vom Innen. Durch fehlende Markierungen findet keinerlei Raumzuweisung für die unterschiedlichen Fortbewegungsarten statt. Das Leben in allen Schichten und Arten kann sich hier überlagern, wodurch ein sehr lebendiges und pulsierendes Gesamtbild entsteht.* *  vgl. Krusche, Vigt 2010 a:7ff.


Beobachtung

A Funktionstrennung

Bilder oben : C  © Jürgen Krusche q: Krusche, Vogt 2010 a:112

B  Strasse als Erholungort

C  Überlagerung aller Funktionen


Conclusio

153

Als Verkehrsraum ist die Straße zweckgebunden. Sie bietet Platz für die unterschiedlichsten Nutzungsgruppen. Als temporärer Raum ist die Straße nicht für den Aufenthalt ausgerichtet, sondern auf Bewegung ausgelegt. Sie ist ein höchst variables Gefäß für die verschiedenen Nutzungen, die dadurch zum Leben erweckt werden. Nach den gescheiterten Versuchen die Stadt zu »einer Art Maschine«* zu machen, hat man heute die Straßen als einen der letzten, wirklich öffentlichen Räume der Stadt erkannt. Straße ist weniger Verkehrsraum, als Lebensraum.

Strasse ist eine der letzten wirklich öffentlichen Räume. Sie sollte mehr Lebensraum als Verkehrsraum sein.

*  Le Corbusier: Städtebau

S Strasse_ AZIT


T TRadition Brockhaus*: Tradition die, -/-en[Iat. traditio ‹Übergabe›, ‹Überlieferung› zu tradere, vgl. tradieren] , die geseIlschaftlich vermittelte, historisch überkommene oder auch bewusst gewählte Übernahme und Weitergabe von Wissen, Lebenserfahrungen, Sitten, Bräuchen, Konventionen und den sie tragenden Einrichtungen (Institutionen) und Medien. Als Bez. für die Fähigkeit und das Medium zur Übertragung bzw. Speicherung von Informationen und Handlungs· bzw. Verhaltensmustern benennt T. eine zentrale Dimension mensch!. Kultur und Selbstauslegung. T. stellt so eine zwar jeweils unter bestimmten Umständen anders ausform bare, gleichwohl aber grundlegende und mit der Conditio humana untrennbar verbundene Kategorie menschl. Handelns und Selbstdeutens dar, die zugleich die wichtigste Voraussetzung für den Menschen bildet, individuelle und kollektive Identität, Kultur und kulturellen Wandel zu entwickeln und auf deren Grundlage menschl. Überleben und Evolution zu sichern. Die Suche nach einem grundlegenden Erklärungsmodell für T. reicht dabei von der Vorstellung, Empfang und Weitergabe einer götti. Offenbarung und die über Generationen weitervermittelte Orientierung an einem sakralen Wissen bildeten den Kernbestand aller T. (1 . PIEPER), bis zu der aus kulturanthropolog. Sicht formulierten Annahme, die Weitergabe bestimmter Erfahrungen über giftige bzw. essbare Pflanzen bilde in der Evolution des ‹Alles· fressers› Mensch den Ansatzpunkt für T. und damit für Kultur überhaupt (M. J. CASIMIR); die Verhaltensforschung beobachtet solche Ansätze von T.Bildung neben Ererbtem und vom Individuum selbst Erfahrenem auch im Tierreich (z. B. Vogel· dialekte). Zw. diesen beiden Polen liegen weitere sozialhistor., philosoph., soziolog., ethnolog. und religionshistor. Deutungsansätze, in denen T. jeweils als eine Form ‹sozialen Gedächtnisses› (A. LEROI· GOURI1AN) verstanden wird.

*  Brockhaus – die Enzyklopädie: in 24 Bänden 1999 a: Band 21

Unsere Tradition ist die Geschichte. Tradition = das wahrhaft Alte.


155

Durch die noch sehr junge Geschichte des Landes sind Traditionen gerade erst im Begriff zu entstehen. Großen Einfluss hatten in der Vergangenheit die Architekten der Escola Carioca in Rio de Janeiro, rund um Lucio Costa, sowie die Architekten der Escola Paulista in São Paulo. Die Architekturauffassung von Gründer Vilanova Artigas, ist heute Tradition, auch wenn sie nicht immer zur Anwendung kommt. Brasilien ist nicht in Geschichte verhaftet, da es kaum eine Geschichte hat. Und so ist auch die Tradition etwas, das zwar respektiert wird, aber nicht immer Anwendung findet.

Der Traditionsreichtum von Japan gründet in der Jahrtausende alten Kultur, die über eine sehr lange Periode eine autonome Entwicklung durchlief, abgeschottet vom Rest der Welt.* Wegen der traditionellen Holzbauweise; es gab kaum anderes Baumaterial auf der Insel; und ihrer Kurzlebigkeit, ist hier Tradition nicht an alte historische Bausubstanz geknüpft, sondern liegt in der Gestaltungsideologie zugrunde. Vielmehr als an die Bausubstanz und Materialität, ist die Wahrnehmung an die symbolische Bedeutung des Ortes und der gestalterischen Prinzipien**geknüpft. »Die Unterscheidung zwischen Kopie und Original, im Sinne des europäischen Denkmalschutzes, ist ihnen fremd.« Die Modularität der Konstruktion, die eine Jahrhunderte alte Tradition der Präfabrikation hervorbrachte, war Inspirationsquelle für die klassische Moderne in Europa. Im Umgang mit Tradition handelt es sich um einen Dualismus zwischen freier Auslegung der Tradition und strengen Gestaltungsprinzipien. Die Tradition wird transformiert und bleibt doch die Selbe. Im Wandel liegt die Ewigkeit. Tradition = Transformation der Ewigkeit. *  vgl. Krusch, Roost 2010 a:87 ** Ebd.


Beobachtung

A Brandenburger Tor

Bilder oben : C  © Soundwalks

C  Ise-Schrein


Conclusio

157

Tradition ist für uns Europäer oft mit Stillstand und Rückwärtsgewandheit gleichgesetzt. Es bedeutet eine Verhaftung in der Geschichte. Am Beispiel Japan lässt sich lernen, dass Tradition Beständigkeit im kontinuierlichen Wandel bedeutet. Diese Beständigkeit lässt dem Raum, trotz Transformationsprozessen, seine Sinnhaftigkeit und damit die Möglichkeit der Verortung in der Stadt.

Durch Transformation der Tradition, kann Ewigkeit durch Wandel sichtbar gemacht werden und lässt dem öffentlichen Raum seine Sinnhaftigkeit, die ihn überhaupt erst zu Raum werden lässt.

T TRadition_ AZIT


T Transparenz Webster´s New International Dictionary*: transparency (-en.sl), n., pl. -CIES (-srz). [ML. transparentia.] 1. Quality or state of being transparent; transparence. 2. That which is transparent; esp., a Picture or other matter for exhibition, made upon glass, thin cloth, paper porcelain, or the like, intended to be viewed by the aid of light shining through it; hence, a framework covered with thin cloth or paper bearing a device or devices for public display and lighted from within. 3. [cap.] A burlesque title of honor; - a literal translation of the German title of honor Durchlaucht; as, HIS Transparency, the Duke.

transparant (-ent;79),adj. [F. and ML.; F. transparent, fr. ML. transparens, -entis, pres. part. of transparere to be transparent, fr. L. trans across, through + parere to appear. See APPEAR.] 1. Having the property of transmitting rays of light, so that bodies can be seen through; pervious to light; diaphanous; pellucid; as, transparent glass or pool; a transparent green or soap; - opposed to opaque, and usually distinguished from translucent. 2. Pervious, as to any specified form of radiant energy; as, transparent to X or heat rays. 3. Luminous; bright; shining. Poetic. 4. So loose or fine in texture or open in mesh as not to conceal what lies beyond: sheer: gauzy: as, a transparent fabric or yoke. 5. Figuratively: a) Readily understod; perspicuous; clear; as, a transparent literary style. b) easily seen through; perfectly evident: unconcealed; detected as such without effort; as, a transparent motive or trick; transparent flattery or hypocrites. c) Guileless; open; free from pretense; as, she is as transparent as a child. *  Rowe, Slutzky 4.Aufl. 1997 a:21

Transparenz, im Sinne von Collin Rowe, findet sich im urbanen Raum von Berlin eigentlich nicht. Hier dominieren klare Abgrenzungen von Räumen, Funktionen und Nutzungen.


159

Die Vertikalisierung, die offenen Erdgeschosse und die bewegte Topographie, schaffen vielfältige Lesearten der möglichen räumlichen Beziehungen und Zusammenhänge.

Die Überlagerung von Raum und Funktion hat lange Tradition in Japan. Über Boden und Filter werden Gegesätze angenähert und Innen und Außen verschmelzen zu einem Dazwischen.


Beobachtung


Conclusio

161

Transparenz, im Sinne von Rowe und Slutzky, schafft Vieldeutigkeit und Offenheit der Strukturen. Raum überlagert sich, wird erweitert, wird ergänzt. Ein multidimensionaler Möglichkeitenraum entsteht, indem jeder seine individuellen Bedürfnisse befriedigen kann, ohne das Gemeinschaftliche einzuschränken.

Transparenz entgrenzt den Raum und schafft offene vieldeutige Strukturen. Räume voll Möglichkeiten.

T TRansparenz_ AZIT


U Unorte Wikipedia*: Nicht-Ort Der Begriff Nicht-Ort (frz. non-lieu, engl. non-place) bezeichnet ein Gedankengebäude des französischen Anthropologen Marc Augé. Nicht-Orte sind insbesondere monofunktional genutzte Flächen im urbanen und suburbanen Raum wie Einkaufszentren (Shopping Malls), Autobahnen, Bahnhöfe und Flughäfen. Der Unterschied zum traditionellen, insbesondere anthropologischen Ort besteht im Fehlen von Geschichte, Relation und Identität, sowie in einer kommunikativen Verwahrlosung. Uni Giesen KULTonline**: Nun kontert die deutschsprachige Raumforschung mit ‹Unorten› (eine französische Übersetzung steht noch aus, sie ließe sich aber mit großer Sicherheit aus sprachlichen Gegebenheiten nicht so griffig gestalten).

*  Wikipedia zuletzt abgerufen 01.02.13 18:41 **  http://cultdoc.uni-giessen.de/wps/pgn/home/KULT_online/27-3/ zuletzt abgerufen 04.02.13 17:20

Unorte bzw Nicht-Orte kommen in westlichen Metropolen nicht nur als Durchgangsorte vor, sondern stellen eine ungenutze Leere da, die oftmals zu »Angsträumen«* werde. Sie zeugen meist von starker Vernachlässigung und sind nur sehr schwer wieder zu beleben. Bei uns können solche Unorte neben den typischen und bereitsgenannten gesichtslosen Durchgangsorten, auch Orte sein die deutlich von Verwahröosung und Einsamkeit geprägt sind, wie verlassene Spielplätze, Parkplätze, Industrieanlagen etc. * Krusche, Roost 2010 a:89


163

In São Paulo sind Unorte deutlich von Gewalt geprägt. Die zunehmende Kriminalität transformiert auch immer mehr öffentlichen Raum in Unorte. Ein gutes Beispiel stellte die Praça da Republica in Downtown São Paulo dar, ebenso wie der Praça de Sé. Beides sind historische Plätze. Sie müssten nach europäischem nostalgischem Verständnis eigentlich außerordentliche Aufenthaltsqualität aufweisen, doch das Gegenteil ist der Fall. Sie sind Orte der Angst und werden nur aufgesucht und durchquert, wenn es nicht anders möglich ist.

In Tokyo finden sich solche Unorte nur selten. Dies liegt zum Einen an der hohen Dichte, wodurch kaum ungenutze Leerstellen existieren. Des Weitern an der langjährigen Entwicklung durch die Bahn, die ganz gezielt ihre Bahnstationen zu Kommerzzentren ausgebaut haben. Aber ein wichtiger Punkt ist auch, dass in der Tradition Tokyos Durchgangsorte, wie Brücken und Kanäle schon immer Orte des Handels darstellten und bis heute diese Verknüpfung kulturell erhalten blieb. Ein weiterer Aspekt ist der Automaten-konsum. Sie sind für alles und jeden seit jahrzehnten in das Alltagsleben der Stadtbewohner eingebunden. Sie ermöglichen Konsum 24h/7d und füllen auch die kleinsten Restflächen in der Stadt mit Nutzung auf.* *  vgl. Krusche, Roost 2010 a:89


Beobachtung

A Albrechttunnel Berlin

Bilder oben : A  © Berliner Morgenpost 10.02.06 C  © ©Big in Japan Eric

C   Shibuya Kreuzung


Conclusio

165

Unorte sind Angsträume der Öffentlichkeit. Sie stellen ein großes Problem für den öffentlichen Raum dar. Kriminalität und Verwahrlosung breiten sich immer weiter aus, »infizieren« oft das sie umgebende Quartier und sind nur sehr schwer zu bekämpfen. Durch Sanierung und Aufwertung, wie am Beispiel von Tōkyō, können sie wieder aktiv in das Alltagsleben eingebunden werden.

Unorte als Angsträume müssen unter allen Umständen vermieden werden und durch verschiedenste Maßnahmen wieder einer Nutzung zugeführt werden.

U Unorte_ AZIT


V Verkehr Brockhaus*: Verkehr, der Gesamtheit aller Ortsveränderungen von Personen und Gütern als grundlegende Voraussetzung für soziale Teilhabe sowie für arbeitsteiliges Wirtschaften und wirtschaftl. Spezialisierung. Die durch den modernen → Personenverkehr gewonnene Mobilität begünstigte die Auflösung der engen räuml. Beziehung zw. Wohn- und Arbeitsort und beeinflusste infolgedessen grundlegend die Siedlungsstrukturen Die Funktionsfähigkeit des → Güterverkehrs ist Voraussetzung für die Intensität des Welthandels in seiner heutigen Form. Je nach V.Weg wird unterschieden zw. Straßen-, Schienen-, Wasser- und Luft-V. Nach Art der V-Teilnehmer und V.-Mittel bzw. dem V.-Zweck unterscheidet man v. a. zw. Individual-V. (Fußgänger, Pkw) und öffentl. V (Eisenbahn, Omnibus, Straßenbahn) sowie zw. Berufs-V. (zw. Wohnung und Arbeitsplatz), Einkaufs-V. (zw. Wohnung und Geschäftsvierteln) sowie Freizeit- und Urlaubs-V. Darüber hinaus wird je nach der Entfernung zw. Nah- und Fern-V unterschieden.

*  Brockhaus – die Enzyklopädie: in 24 Bänden 1999 a: Band 22

Der Stadtraum Berlin ist vielerorts geprägt von der Funktionsentmischung der Moderne. Diese hielt Einzug im Rahmen des Wiederaufbaus. Das Stadtbild ist geprägt von boulevardartigen komponierten Strassenräumen, die der gegenüberliegenden Front angepasst sind. Oftmals sind die unterschiedlichen Fortbewegungsarten, wie Motorenverkehr, Fahrrad und Fußgänger räumlich getrennt. Die breiten Strassen, die die Quartiere durchziehen, sind klar in die verschiedenen Geschwindigkeiten eingeteilt. Gesteige, Fahrradwege oder gar reine Fahrradstrassen, Busspuren und Autostrassen grenzen sich klar gegeneinander ab und unterteilen den öffentlichen Raum. Auf Strassen wird nicht gegangen, in Fußgängerzonen darf nicht geradelt oder gefahren werden. Durch diese Trennung entstehen klare Verkehrsräume, die als solche damit jegliche Aufenthaltqualität verlieren und den öffentlichen Raum zu Durchgangsorten werden lassen. Die Gemeinschaft, die per se überhaupt erst Öffentlichkeit schafft, wird in Hinterhöfe und auf Plätze verlagert. Dadurch wird öffentlicher Raum klar an Orte gebunden, die man gezielt ansteuert, wodurch Gelegenheitsnutzung und maximale soziale Vielfalt unterbunden sind.


167

Der Verkehr in São Paulo ist dominiert von öffentlichen Verkehrsmitteln. Man bewegt sich mit der Metro, dem Taxi oder zu Fuß durch den Stadtraum. Fußgänger und Autos sind dabei ebenso getrennt wie in Europa. Das Fahrrad wird gerade bei der jungen Bevölkerung als neue und hippe Fortbewegungsmöglichkeit entdeckt, ist aber noch nicht so weit verbreitet. Jedoch finden sich bereits schon jetzt in den Fußgängerbereichen unaufdringliche Markierungen für Fahrradfahrer. Somit sind die zwei Bewegungsformen, die ohne zusätzlich umgebende Hülle auskommen, meist räumlich zusammengelegt, trotz unterschiedlicher Geschwindigkeiten, sind aber auch Kommunikation möglich. Flaniermeilen, wie im Centro, können mit dem Rad durchquert werden, ohne zum Durchgangsort zu werden. Ebenso wird die große Stadtautobahn, Minhocão, die sehr nah an der Wohnbebauung verläuft, nachts und an Sonntagen zum Aufenthaltsort wird, an dem man Sport treibt, spazieren geht, sich mit Freunden trifft und Kokosnussmilch trinkt. Räumlich überlagert sich der Verkehr, auch wenn es nicht immer eine zeitliche Überlagerung gibt. Durch diese Überlagerung, wird der öffentliche Raum vom Verkehrsraum, zum Ort der Gemeinschaft.

Tōkyōs Verkehr ist entweder maximal überlagert, wie in den kleinen roji-Strassen innerhalb der Quartiere oder maximal getrennt, wie bei den großen Strassen zwischen den traditionellen Nachbarschaften. In den roji-Strassen findet keinerlei Abgrenzung zwischen den Bewegungsarten statt — eine durchgehende Oberfläche für alle Verkehrsteilnehmer. Aufgrund ihrer Enge, passen sich die Geschwindigkeiten an. Die großen Strassen sind oftmals zugeschüttete Kanäle und Flussarme. Sie bildeten bereits in der Vergangenheit die natürliche Grenze zwischen den Quartieren und den traditionellen Nachbarschaften und sind auch heute noch erhalten. Die Bürgersteige zu beiden Seiten der Fahrbahn, sind von ihrer Struktur, der Materialität und der Pflasterung meist völlig unterschiedlich. Sie sind deutlich den dahinter- oder danebenliegenden Quartieren zugeordnet. Die Fahrbahn selbst, wird durch beidseitige Geländer klar vom Fußgängerbereiche abgrenzt. Die Überquerung ist nur an wenigen Punkten möglich. Fußgängerbrücken prägen daher das Stadtbild. Sie verbinden die kleinteiligen Quartiere punktuell und zeigen somit, dass es sich bei diesen Strassen um ein nachträglich eingebrachtes übergeordnetes Verkehrssystem handelt, das den gewachsenen Stadtraum überlagert.* *  vgl. Krusche, Roost 2010 a:98


Beobachtung

A Fußgängerzone

Bilder oben C  ©Jürgen Krusche q: Krusche, Vogt 2010 a:112

B Fußgängerzone mi Fahrradweg

B  roji-Strasse


Conclusio

169

Diese Form von öffentlichem Raum, gewinnt gerade bei der gesteigerten Mobilität des 20. und 21. Jahrhunderts immer mehr an Bedeutung . Das Verkehrsbild in Berlin, ebenso wie im gesamten Europa, ist flächendeckend geprägt von der Funktionsentmischung und der Verkehrstrennung. Es entstehen Parallelräume unterschiedlicher Geschwindigkeit und sogar unterschiedlicher sozialer Struktur, die sich nur selten überlagern. Das Auto galt lange als Statussymbol, doch steigende Energiepreise drängen es zu zunehmend in den Hintergrund. Die Bewegungsformen und Geschwindigkeiten laufen parallel zueinander, schließen sich gegenseitig aus und sind daher klar räumlich getrennt. Am Beispiel São Paulo und Tōkyō kann man jedoch deutlich das Je durchmischter und räumlich überlagerter die Verkehrsformen, Potential der Überlagerung für desto höher ist das Potential, diese Form des öffentlichen Raumes den öffentlichen Raum, in be- als Raum für Möglichkeiten, Kommunikation und Begegnung für alle zu gestalten zug auf Verkehr, sehen. Strassen . werden zu Faniermeilen und Begegnungszonen. Sie bringen unterschiedliche Bewegungsformen und damit auch unterschiedliche Gesellschaftsschichten in einem Raum zusammen und schaffen Raum für Möglichkeiten, Kommunikation und Begegnung.

V Verkehr_ AZIT


W Werbung Brockhaus*: Werbung [zu ahd. hwerban ‹sich drehen›, ‹sich umtun›, ‹sich bemühen›], jede Darbietung von Botschaften mit dem Ziel, Einstellungen und Handlungen der Adressaten zum Vorteil des Werbetreibenden zu steuern. Früher wurde W. meist in der Bedeutung ‹Um eine Frau werben› oder ‹zum Militärdienst (an)werben› verstanden und erst im 20. Jh. auch im Sinne von ‹Kunden werben› gebraucht.[...] Werbung in der kritischen Diskussion: W. ist ein konstitutives Element der Marktwirtschaft. Grundsätzl. Kritik am kapitalist. Wirtschaftssystem - marxistisch, aber z. T. auch konservativ geprägt - bedeutete daher stets auch Kritik an der W., die als Ausdruck der diesem Wirtschaftstypus innewohnenden Bestrebungen verstanden wurde, andere Menschen entgegen ihren Interessen zu manipulieren, sie sich selbst zu entfremden oder hinsichtlich der eigenen Zielsetzungen zu funktionalisieren (künstl. Weckung von Bedürfnissen, Konsum als Ersatz für zwischenmenschl. Kommunikation). Das breite Interesse an Videoclips, Werbespots in Film und Fernsehen sowie an fantast., erot. und exot. Bild- und Tonaufnahmen belegt allerdings, dass die Wirkung von W. nicht nur darin besteht, manipulierte Wünsche und Sehnsüchte zu befriedigen. Vielmehr spielt auch die im Menschen vorhandene Bereitschaft zur Suggestion und Überschreitung von gewohnten Wahrnehmungsgrenzen eine Rolle. Da W. wirken will, muss sie vorhandene Einstellungen und Verhaltensmuster aufnehmen und in ihrem Sinn, d. h. interessengc1eitet und zielgruppenorientiert, gestalten. Dies gilt für Produkt-W. ebenso wie für Aufklärungskampagnen und für den Einsatz von W. in polit., gesellschaftl. und kulturellen Bereichen.[...] W. sucht den beworbenen Produkten hzw. Markennamen ein positives Image zu verleihen, indem sie sie mit angenehmen Assoziationen in Verbindung bringt sowie Wünsche nach Glück, Freiheit, Abenteuer oder Geborgenheit und Sicherheit, nach gesellschaftl. Anerkennung, Gesundheit, jugendl. Erscheinung, erot. Ausstrahlung u. a. anspricht. Damit ist W. ebenso sehr ein Spiegel der jeweiligen gesellschaftl. Wertvorstellungen und Leitbilder (und ihres Wandels, z. B. bezüglich der Darstellung sozialer Rollen), wie sie diese in den Dienst ihrer Absicht stellt, Kaufentscheidungen und Konsumgewohnheiten zu beeinflussen.

*  *  Brockhaus – die Enzyklopädie: in 24 Bänden 1999 a: Band 23

In Berlin spielt Werbung eine besondere Rolle. Neben den in ganz Deutschland üblichen Litfaßsäulen und Großwerbeflächen, finden sich in der ganzen Stadt verteilt Plakatwände. Sie sind meist freistehende Objekte des öffentlichen Raumes und tragen maßgeblich zu dessen visueller Gestaltung bei. In Berlin sind diese Plakatwände oft Zentimeter dick, in vielen Schichten übereinander geklebt und oftmals Inspirationsquelle und Materialressource für Künstler. Doch immer sind sie singulär und punktuell im öffentlichen Raum.


171

Sao Paulo hat seit dem Jahr 2006, im Rahmen des »Lei Cidade Limpa« (Gesetz der sauberen Stadt), Werbung in der Öffentlichkeit verboten. Der ehemalige Bürgermeister, Gilberto Kassap, schränkte Werbung im öffentlichen Raum radikal ein. Dadurch wurde das ursprüngliche Gesicht des öffentlichen Raumes, durch die neuen alten Fassaden, in all ihrer Vielfalt und »Schönheit« wieder frei gelegt und zu seinem originären Charakter zurückgewandelt. Werbung, in einem alles überdeckenden Ausmaß, durch Leuchtreklamen, meterhohe Plakatfassaden, Schilder, Logos und Flaggen, führte zu einer penetranten Reizüberflutung im öffentlichen Raum. Durch die Reduktion oder gar Abstinenz von diesen Reizen, kommt es zu einer Entspannung und Steigerung der Raumqualität. Roberto Pompeu de Toledo schreibt zu »Lei Cidade Limpa« folgendes: »Die Paulistanos sind erstmals stolz auf ihre Stadt, denn es ist ein noch nie dagewesener Sieg der Ordnung über das Chaos, ,des Gemeinschaftssinns über den Egoismus, der Zivilisation über die Barbarei.« Für diese Beruhigung des öffentlichen Raumes und die damit verbundene Steigerung seiner Aufenthaltsqualität wurder der Stadt Sao Paulo und Prefeito Kassap das Werkbund-Label 2012 verliehen.* *  vgl. Laudatio Werkbund-Label 2012 Deutscher Werkbund

Die Werbeschriftzüge mit denen die Fassaden der Gebäude überzogen sind stellen ein japanische Tradition dar. Das Stadtbild Tokyos (früher Edo genannt) wir seit Jahrhunderten geprägt von Werbeschildern. Das Besondere hier ist, dass die Konstruktion der Werbeschilder raumhaltig ist und die Häuser als bunte Schichte meist vollständig einhüllt. Ursprung haben diese zweite Gebäudehülle in den Jahrhunderte alten Werbefahnen, mit denen lokale Geschäftsleute auf ihre dahinter verborgenen Räumlichkeiten verweisen. Diese Fahnen sind heut zu Neoreklamen mit Lichtund Soundeffekten transformiert und bespielen den öffentlichen Raum mit einer Flut an Sinneseindrücken. Diese bunte und oft auch interaktive Werbeschichte lässt die eigentlichen Fassaden der Bauten in den Hintergrund rücken. Auch dient Werbung als Übergang zwischen Innen und Außen. Das Interieur der Geschäfte weitet sich durch Auslagen im Strassenraum in den öffentlichen Raum aus, und verbindet sich so mit ihm. Da diese Auslagen je nach Öffnungszeit variieren findet eine kontinuierliche Transformation des Stadtbildes statt und schafft so eine lebhafte und geschäftige Atmosphäre.* *  vgl. Krusche, Roost 2010 a:61


Beobachtung

A Zentimeter dicke Plakatwand

Bilder oben : C  © http://andikumamoto.wordpress.com zu letzt abgerufen 13.202.13 04:20

B  »Lei Cidade Limpa«

C   Shibuya


Conclusio

173

Werbung im Stadtraum hat große Auswirkung auf den öffentlichen Raum. Zum einen belebt Werbung den öffentlichen Raum und verleiht ihm eine lebendige und sich kontinuierlich wandelnde Atmosphäre. Zum anderen jedoch kann sie, wenn im Übermaß vorhanden, eine penetrante Reizüberflutung evozieren, welche zur Meidung dieser öffentlichen Räume führt. Welches Maß an Werbung da richtige ist, hängt stark von den kulturellen Gegebenheiten ab. So sind wir Europäer bei weitem nicht so ‹werbefest›, wie die Japaner in deren Konsumtradition Werbung tief verankert ist.

Werbung kann öffentlichen Raum beleben und kontinuierlich transformieren. Doch die ertragbare ‹Dosis› an Werbung ist stark kulturell bedingt.

W Werbung_ AZIT


Wohnen in Deutschland unterscheidet sich insofern von den beiden anderen Kulturen, als dass der dafür vorgesehene Raum, deutlich mehr Funktionen in sich aufnimmt und daher auch größer ist. So finden sich bei uns viel Raum für kommunikative und gesellschaftliche Aktivitäten innerhalb unseres Wohnraumes.

W Wohnen Brockhaus*: privat [lat. ‹gesondert›; ‹nicht öffentlich›] persönlich; nicht offiziell, nicht amtlich; nicht für die Öffentlichkeit bestimmt.

»Wohnen[...] eine feste Stelle im raum haben, an diese Stelle hingehören und in ihr verwurzelt sein.« *  Duden Online 01.02.13 18:20

Otto Friedrich Bellnow


175

Auch hier findet sich wieder eine Mischung zwischen maximaler Privatisierung von Raum und der Verwendung des öffentlichen Raumes für gesellschaftliche Handlungen. Trotz der Möglichkeiten für solche Handlungen im Wohnraum, wird meist der öffentliche Raum bevorzugt. Aufgrund der großen Distanzen zwischen den Orten des Lebensalltags, findet eine Auslagerung der gesellschaftlichen Prozesse in den öffentlichen Raum statt. Man frühstück ( trinkt Kaffee und ißt ein Brötchen) auf dem Weg zur Arbeit oder in der Bar um die Ecke. Nach dem Arbeiten lohnt es oft nicht, den weiten Heimweg anzutreten, um sich dann erneut außerhalb der eigenen vier Wände mit Freunden zu treffen. So finden sich viele Orte für gesellschaftliche Aktivitäten in einem dichten Netz über die Stadt verteilt. Bis zum nächsten Restaurant oder zur nächsten Bar ist es meist immer nur ein ‹Katzensprung› von da, wo man sich gerade aufhält. So gibt es wenig Anlass, sich im Privaten mit anderen zu treffen.

» Der für Tokyo charakteristische fließende Übergang von einer vormodernen Großstadt mit traditionellen urbanen Qualitäten, zu einer postmodernen Metropole mit großer Nutzungsvielfalt, prägt auch die alltäglichen Aktivitäten und Wege der Bewohner, die die große Bandbreite von Dienstleistungsangeboten in den dichten innerstädtischen Quartieren intensiv nutzen.«* Wegen der hohen Dichte der Bebauung, sind die Wohnungen auf ein Minimum an Fläche konzipiert. Hierdurch sind viele Alltäglichkeiten in den öffentlichen Raum ausgelagert oder in gemeinschaftlichen Einrichtungen, mit guter direkter Anbindung an das Wohnquartier, untergebracht. Dieses »Wohnen außer Haus«**, das ursprünglich typisch war für die vorindustrielle Stadt, reduziert das Wohnen auf einen Schlaf- und Lagerplatz. Das Wohnen ist, zu in der Stadt verteilten Einzelfunktionen, fragmentiert. Der Bewohner wird zum modernen »Stadtnomaden«*** Neben Essen und Kochen wird auch Körperpflege vielfach in den Stadtraum ausgelagert. Vor allem abends, gehen vielen Menschen für die privateste Tätigkeit, das Sich-waschen, in sogenannte sento-Badehäuser, um anschliesend im Bademantel durch die dichten rojiGassen nach Hause zu gehen. * Krusche, Roost 2010 a:101 ** Christian Hagender Arch+ 151/2000 a:46-51 *** Krusche, Roost 2010 a:101


Beobachtung

A  zu Gast bei Freunden

Bilder oben : A   ©djd/Knauf Bauprodukte q: http://www.ratgeberzentrale.de/rubriken/bauenwohnen/artikel/echtes-fuers-esszimmer.html zu letzt abgerufen 12.1.13 14:15 C  © Julia Baier q: Julia Baier: Sento 2008 S.56

B  ein kalten Chope (Bier) in der Strassenkneipe

C   ein sento-Badehaus


Conclusio

177

Das »Wohnen außer Haus«* wir ermöglicht durch Auslagerung von Einzelfunktionen des Wohnens in den Stadtraum. Voraussetzung hierfür ist ein dichtes Netz an vielfältigen Nutzungen und deren optimale Anbindung an das Wohnen. Durch eine fußläufige Anbindung dieser Nutzungsinseln, entstehen zwischen Wohnraum und den spezifischen Einrichtungen ein Art halböffentlicher Raum, ähnlich dem Charakter eines Wohnungsflures. Diese Halböffentlichkeit erzeugt ein Gefühl der Vertrautheit mit dem Stadtraum. Die Grenzen zwischen Öffentlichem und Privatem werden dadurch fließend.

Durch fragmentarische Auslagerung von Einzelfunktionen des Wohnens in den Stadtraum, entstehen Wohninseln unterschiedlichster Funktion. Der Stadtraum wird Wohnraum. Zwischen diesen Inseln spannt sich ein Netzt von halböffentlichen Räumen, die ein Gefühl von Geborgenheit im urbanen Raum evozieren.

*

Christian Hagender Arch+ 151/2000 a:46

W Wohnen_ AZIT


X


179

»Archietcture is the thoughtful making of space.« Louis Kahn


y


181

»The success of the masterpieces seems to lie not so much in their freedom from faults — indeed we tolerate the grossest errors in them all — but in the immense persuasivness of a mind which has completely mastered its perespective.« Virginia Woolf


Z Zeit Brockhaus*: Zeit [ahd. zlt, eigtl. ‹Abgeteiltes›], das im menschl. Bewusstsein unterschiedlich erlebte Vergehen von Gegenwart; die nicht umkehrbare, nicht wiederholbar Abfolge des Geschehens, die als Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft am Entstehen und Vergehen der Dinge erlebt wird. Wir erfahren die Welt als gerichteten Prozess, der eine begriffl. Aufspaltung m Raum und Z. zulässt. Z. ist somit der durch Abstraktion herausgehobene Verlaufsaspekt der veränderl. Zustände der Realität. Soweit wir heute wissen, ist es nicht möglich, die Zeitlichkeit der Natur mittels Theorien auf fundamentalere Eigenschaften zurückzuführen. Die Eigenschaften der Z. lassen sich deshalb beschreiben, aber die Z. kann nicht erklärt werden. Nach A. EINSTEINS Relativitätstheorie ist die Z. eine von dem umfassenderen Begriff der Raum-Z. künstlich abgespaltene Dimension. Dennoch besitzt die Z. eigenständige Qualitäten, die sie vom Raum wesentlich unterscheiden. Vom objektiven Verlauf zeitl. Geschehens, das. durch menschl. Z.-Einteilung und Z.Messung in Perioden von Bruchteilen von Sekunden bis zu Jahren gegliedert sein kann hebt sich das subjektiv unterschiedl. Erleben zeitl. Geschehens ab.

*  Brockhaus – die Enzyklopädie: in 24 Bänden 1999 a: Band 24

GMT +1 Die Zeit manifestiert sich im Raum über chronologische Abfolge von Einzelräumen. So sind den verschiedenen Funktionsräumen innerhalb des Wohnens unterschiedliche Benutzungszeiten zugeschrieben. Morgens wird, neben dem Schlafzimmer, die Küche und das Bad benutzt, mittags hingegen vermehrt die Aufenthaltsräumlichkeiten.


183

GMT -3

GMT +11 Die Zeit manifestiert sich im Raum über chronologische Abfolge von Transformationsprozessen desselben Raumes. Wegen des minimierten Wohnraumes, birgt ein Raum viele unterschiedliche Nutzungen in sich. Diese werden durch Umwandlung des Raumes, durch mobile Einrichtungsgegenstände, wie Futon und selbst Ofen und Feuerstelle, möglich. Abhängig von der Zeit, ändert sich die Nutzung des einen Raumes. Was morgens das ‹Schlafzimmer› ist, ist mittags das ‹Ess- oder Arbeitszimmer›.


Beobachtung


Conclusio

185

Zeitliche Nutzungsänderungen erzeugen eine Multifunktionalität von öffentlichem Raum. Die mit der Zeit gebunden Handlungen, erzeugen Raum und schreiben sich in ihm ein.

Die Zeit manifestiert sich im Raum durch Nutzungsänderungen und Transformationsprozesse. Öffentlicher Raum sollte zu unterschiedlichen Zeiten verschiedene Nutzungen für unterschiedlichste Benutzer bieten.

Z Zeit_ AZIT


Z Zentrum Brockhaus*: Zentrum das, -sj. .. ren. [lat. centrum ‹Mittelpunkt›, von gleichbed. griech. kéntron, eigtl. ‹ ruhender Zirkelschenkel›, zu kenteín ‹(ein)stecken›] allg.: Mitte, Mittelpunkt.

*  Brockhaus – die Enzyklopädie: in 24 Bänden 1999 a: Band 24

Berlin weist eine klare Mitte auf — Berlin Mitte. Hier finden sich die Spuren der historischen Stadteinfriedung. Sie umfasst, neben Dienstleistungs- und Handelszentren, ebenfalls das Regierungsviertel. Daher findet sich hier eine Verdichtung von öffentlichem Raum, zulasten der angrenzenden Wohnquartiere.


187

Hier wird das ehemalige Zentrum um den Jesuitenorden nach und nach von neuen Zentren abgelöst. Diese schieben sich zunehmend weiter Richtung Peripherie und stellen spezialisierte Dienstleistungen zur Verfügung. So gibt es die Av. Paulista, mit ihren Banken und Museen, die Rua Oscar Freire, als luxuriöses Einkaufsgebiet und der Stadtteil Villa Madalena, mit kleinen exklusiven Designerläden, Galerien, Bars, Restaurants und Nightclubs. Der Stadtbewohner steuert, je nach Wunsch, die entsprechenden Zentren an. Er wir auch hier zum Stadtnomaden.

Das Stadtgefüge von Tokyo ist polyzentristisch. Das alte Zentrum um den Kaiserpalast wird zunehmend von hoch spezialisierten Dienstleistungszentren abgelöst, die sich auf das Stadtgebiet verteilen. Diese sind mit einer, sie umschließenden Ringbahn, untereinander sehr gut vernetzt. Sie bilden mit ihren Bahnhöfen und durch die hohe Umsteigerate der Pendler, selbst wieder Subzentren aus, mit multifunktionaler Nutzung.


Beobachtung


Conclusio

189

Zentren bilden Anlaufstellen des täglichen Lebens. Hier findet sich eine Verdichtung von öffentlichem Raum. Durch die Aufteilung eines heterogenen Zentrums in mehrere spezialisierte Dienstleistungszentren, kommt es verstärkt zu Bewegung durch die Stadt und ihren Raum. Diese Bewegungsprozesse sind begleitet von Handlungen und schaffen zusätzlichen öffentlichen Raum unterschiedlichster Nutzung.

Zentren sind Orte mit verdichtetem öffentlichem Raum. Durch Aufsplitterung in spezialisierte Dienstleistungszentren, wird der öffentliche Raum über das Stadtgebiet verteilt und geweitet.

Z Zentrum_ AZIT



ÂťLeben bedeutet zu Hause zu sein, wo immer man hingeht.ÂŤ Fransesco Careri



193

My Learning from...


»Die Eigene Welt mit fremden Augen Betrachten.« Marc Augé

Für die Stadtsoziologen Hartmut Häussermann und Walter Siebel entsteht Urbanität durch lebendige öffentliche Räume*. Sie ermöglichen eine »unvollständige Integration«, ephemere Momente der Begegnung und sie schaffen dadurch überhaupt erst Öffentlichkeit.** »Urbanität kann man nicht bauen, sie widersetzt sich der zweckvollen Inszenierung und sie entsteht nicht von heute auf morgen. Aber doch hat sie ihre Orte, an denen sie gleichsam materielle Gestalt gewinnt und erlebbar wird. Solche Orte sind oft Ergebnis des Alterns der Stadt, des Zerfalls, der Lücken hinterlässt, in denen urbanes Leben sich breit machen kann. [...] Räume des Dazwischen und Zonen des Übergangs zuzulassen [...] ist das Beste, was die Planung für den Erhalt der urbanen Stadt tun kann.«***. Die durch »unvollständige Integration« erzeugte Vielfalt und Lebendigkeit ist nicht kontrollierbar oder gar bewusst zu gestalten. »Die Unvollständigkeit ist wichtiger Bestandteil des öffentlichen Raums, denn vor allem in den ungeplanten Leerstellen kann sich das Unerwartete und Flüchtige ereignen.«**** Das Unerwartete war es, das mich inspiriert hat, Collagen meines Wohnumfeldes in Konstanz anzufertigen, in denen sich Elemente der un* Hartmut Häussermann, Walter Siebel: Stadt und Urbanität, Opladen/ Farmington Hills 2007, a:139 ** Hand Paul Bahrdt: Die moderne Großstadt, Reinbek bei Hamburg 1961, a:40ff. *** Häussermann&Siebel, 2007, a:139 **** Krusche, Vogt: Strassenräume Berlin, Shanghai, Tokyo, Zürich, Baden 2010, a:14


195

terschiedlichen Kulturen mit den heimischen überlagern und dadurch neue Möglichkeiten entstehen. Natürlich kommt hier die Frage auf, wie Elemente aus einer Megacity in das beschauliche Konstanz transportiert werden können. Interessanterweise sind die drei Metropolen, Berlin, São Paulo und Tōkyō zwar alle unterschiedlich groß und unterschiedlich dicht, doch die von mir herausgefillterten Elemente sind ausschließlich auf der Quartiersebene wirksam. Die Quartiersebene ist der vergleichende Maßstab. Das Quartier ist als öffentlicher Raum direkt in mein Alltagsleben eingebunden. Hier wird man sich seines Umfelds bewusst, bemerkt Veränderungen, sieht Probleme. Die Quartiersebene ist der Bereich der Stadt, in dem man sich mit seinem sphärischen Selbst noch ausdehnt, ohne zuviel von sich zu verlieren. Die Qualität von gutem öffentlichen Raum lässt sich nicht an seiner Ästhetik festmachen, vielmehr an seiner Multifunktionalität und Durchmischtheit. Je mehr Raum für kreative Zweckentfremdung geschaffen wird und diese auch zulässt, desto breiter wird das Spektrum seiner Nutzer. Das Zweckgerichtet-sein des eigenen Handelns wird dadurch überwunden und es kommt zu einer Annäherung an das Fremde, zu einem Aufsaugen, Verdauen und Transformieren zu Neuem. Gelebte und sich überlagernde

Differenzen, ebenso wie die ephemere Form von Gleichzeitigkeit und Nähe, sind Zeichen von Qualität des öffentlichen Raumes. Durch unterschiedliche Werkzeuge und Maßnahmen werden Differenzen erzeugt. Dies aufzuzeigen, klar herauszustellen und zur Diskussion in die Öffentlichkeit zu bringen, war die Intension dieser Collagen. Wir sollen uns nicht nur mit dem Fremden anfreunden, sonder es als Bereicherung der eigenen Lebenswelt verstehen. Im erlebten Raum vermischen sich die unterschiedlichen Handlungen seiner Benutzer bzw. Erschaffer zu immer komplexen Handlungskonstellationen und Objektzusammenhängen. Urbanität und Öffentlichkeit keine Frage der Größe sind, sondern eine Frage der Raumqualität. Diese soll auszudifferenzieren und extrahiert werden zu klaren Werkzeugen. Bereits die Darstellungsmethode der Fotografie stellt eine Abstraktion durch mich als Fotografen dar. Die Fotos sind also keinen Falls als objektive Abbildung der Wirklichkeit zu sehen, sondern zeigen meine Sicht auf ‹meine Welt›. Durch deren Überzeichnung zu Collagen, wird das Bild abermals abstrahiert. Die Überlagerung des dargestellten öffentlichen Raumes mit Elementen aus den beiden fremden Kulturen (Brasilien und Japan) konfrontiert den Betrachter mit der Fremde und zeigt, durch die so geschaffene Neukomposition, ungewohnte


Perspektiven auf Altbekanntes. Die kontextuelle Erweiterung des öffentlichen Raumes in Petershausen, durch die Überzeichnung mit Elementen der Metropole São Paulo und Tokio, erzeugt eine räumliche Dualität und Dichotomie, ähnlich dem japanischen Gestaltungsprinzip Gegensätze in einem vermittelnden Zustand zu vereinen. Durch die Transformation mir vertrauter Orte, ihre Aufwertung durch Fehlendes, soll für die Gemeinschaft, ebenso für das Private, ein Mehrwert geschaffen werden. Diese Transformation des Bekannten führen zu Inspiration zu Handlungen, zu einer eingenständigen Raumproduktion, zu einem Mehrwert, einem Plus — TransformationPLUS


197

Hofeinfahrt mit Blick auf die Garagen. Wohnen schottet Halböffentlichkeit des Hinterhofes vom umgebenden öffentlichen Raum ab. Dadurch ist semiprivater Raum nicht länger Kommunikationsraum, sondern reine Abstellfläche. Diese gilt es wieder aufzuwerten.

Durch das Einbringen des Roji-Strassensystems, wird das Quartier in sich fußläufig und durchquerbar. Mit Raumerfahrung durch Bewegung wird neuer Raum geschaffen, den jeder individuell annehmen und formen kann.


Lochfassade mit addierten Filtern wirken als Abschottung. Gerade die Lochfassade in den Hochparterren sind meist stark durch Filter von der Aussenwelt abgegrenzt. Durch die starken Kontraste treten sie als schwarze Löcher in Erscheinung und evozieren einen voyeuristischen Blick.

Durch Auflösung der Kontraste wird das Fenster zum Vermittler und zum Filter zugleich. Durch das Einsetzen von opaken Fenstern, wird zwar das Private als solches nach außen lesbar, doch nicht sein Inhalt. Zudem werden die Kontraste optisch gemildert und der abweisende und eindringliche Ausdruck aufgehoben. Das Innen verschmilzt mit dem Außen.


199

Schwellenräume als Teil des privaten Raumes, ohne Aufenthaltsqualität und Möglichkeiten zum Austausch. Die Schwellenräume sind stark introvertiert und eher dem Privaten zugeordnet. Sie stellen den ersten Kontakt zur Außenwelt her und sollten daher eher zum öffentliche Raum hin orientiert sein.

Durch Öffnung der Schwellenräume nach außen, bis hin zu ihrer fast vollständigen Auflösung, verwischt die Grenze zwischen dem Öffentlichen und dem Privaten, ohne die Privatssphäre des Einzelnen zu verletzen.


Verwaister Gottmannsplatz. Klarer Durchgangsort, ohne Identität und Aufenthaltsqualität.

Durch sichtbare kommunikative Vorgänge, wie Essen und Trinken, wird der öffentliche Raum belebt und als solcher angenommen.


201

Vรถlliges รถffnen wirkt als Magnet und zieht weiter Bewohner in den Bann.


Auch in Europa finden sich Ansätze von offenen Erdgeschossen als öffentlicher Raum. Doch kaum einmal findet sich eine sinnvolle und sinngebende Ausgestaltung dieser Begegnungszonen im urbanen Geflecht.

Durch die Beruhigung der Fassade mit flächigen Gestaltungselementen wird die Betonung auf das offene Erdgeschoss gelenkt. Es wird als Bewegungsraum gelesen und als solchen auch angenommen. Wird dieser Bewegungsraum nun mit vielseitiger Nutzung gefüllt, entstehen neue Möglichkeitsräume


203

Die Horizontalität durch einheitliche Traufhöhen lenkt den Blick in die Ferne und lässt das Nahe ausser Acht.

Durch Einbringung von Großformen werden Akzente gesetzt und der Blick vom Horizont auf den öffentlichen Raum gelenkt.


Abschottung des Privaten vor eindringlichen Blicken der Öffentlichkeit.

Offene Bodenflächen verbinden das Innen mit dem Aussen, ohne Verletzung der Privatssphäre.


205

Die Aufhebung jeglicher privater Nutzungen im Erdgeschoss, führt zu einem großen Angebot im dadurch erweiterten öffentlichen Raum und zur maximalen Wahrung der Privatsphäre der Bewohner, trotz der Nähe zur Öffentlichkeit.


Bibliografie

Augé, Marc: Nicht-Orte, Beck, 3.Aufl., Berlin 2012 Arndt, Hanna: Vita Activa oder Vom täglichen Leben, Piper, München, Zürich 2002 Bahrdt, Hans Paul : Umwelterfahrung – soziologische Betrachtungen über den Beitrag des Subjekts zur Konstitution von Umwelt, Nymphenburger Verl.-Hdlg, München 1974 Bahrdt, Hans Paul: Die moderne Großstadt. Soziologische Überlegungen zum Städtebau, Wegner Verlag, Reinbek bei Hamburg 1969 Bellnow, Otto Friedrich. Mensch und Raum, W. Kohlhammer, Stuttagrt 1963, 6.Aufl. 1990 Careri, Francesco: Walkspaces — Gehen als ästhetische Praxis, in: Arch+ 183 (Mai) Certeau, Michel de: Kunst des Handelns – Theorie der unheimlichen Vertrautheit mit der Stadt, Merve, Berlin 1989 Dünne, Jörg & Günzel, Stephan: Raumtheorie – Grundlagentexte aus Philisophie und Kulturwissenschaft, Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M. 2006 Dürckheim, Graf Karlfried von: Untersuchung zum gelebten Raum (1932), hg- Jürgen Hasse, (=Natur-RaumGesellschaft, Bd.4), Institut für Didaktik der Geografie, Frankfurt a.M. 2005 Eco, Umberto: Das offene Kunstwerk, Suhrkamp Verlag; 1.Aufl., Frankruft a.M.1977 FEHN, Sverre: The Pattern of Thoughts by Per Olaf Fjeld,The Monacelli Press 2009 Fehrer, Wolfgang: Das Japansiche Teehaus, Niggli Verlag, Sulgen 2005


207

,

Häussermann Hartmut & Siebel ,Walter: Stadt und Urbanität, zitiert nach: Martina Löw, Silke Steets, Sergej Stoetzer: Einführung in die Stadt- und Raumsoziologie,UTB Verlag, Opladen/ Farmington Hills 2007, S.139 Hagender, Christian: Wohnen außer Haus, Arch+ 151/2000 S. 46-51 Janson, Alban & Wolfrum, Sophie: »Leben bedeutet zu Hause zu sein, wo immer man hingeht«, in: Die Stadt als Wohnraum, hg. Jürgen Hasse, Verlag Karl Alber, Freiburg 2008 ; S. 94-107 Joisten, Karen: Philosophie der Heimat – Heimat der Philosophie, Akademie Verlag, Berlin 2003 Krusche, Jürgen: Strassenräume in BERLIN SHANGHAI TOKYO ZÜRICH. Eine foto- ethnografische Untersuchung, hg. Günther Vogt, Lars Müller Publishers, 1. Aufl.,Baden 2010 Krusche, Jürgen & Roost, Frank:

Oswald, Philipp: Berlin – Stadt ohne Form; Strategien einer anderen Architektur, Prestel Verlag, München 2000 Rowe, Collin & Slutzky, Robert: Transparenz, 1968, kommentiert durch Werner Oechslin, Birkhäuser Verlag, Basel 1997 Schroer, Markus: Räume, Orte, Grenzen – Auf dem Weg zu einer Soziologie des Raumes, Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M. 2006 Sennett, Richard: Civitas. Die Großstadt und die Kultur des Unterschieds, Fischer TB, Frankfurt 1994 Spiro, Annette: Paulo Mendes da Rocha – Bauaten und Projekte, Niggli, Zürich 2002 Tokyo Houses: teNeues Publishing Group, Barcelona 2002

Tokyo. Die Strasse als gelebter Raum, Lars Müller Publishers,1. Aufl., Baden 2010 Krusche, Jürgen (Hg): Der Raum der Stadt – Raumtheorien zwischen Architektur, Soziologie, Kunst und Philosophie in Japan und im Westen, Jonas Verlag, 1.Aufl.,Marburg 2008 Lefebvre, Henri : Die Produktion des Raums, in: Raumtheorie. Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften, hg.Dünne, Jörg/ Günzel, Stephan, Suhrkamp Taschenbuch Verlag, Frankfurt a.M. 2006; S. 330 – 342 Niemeyer, Oscar: Curves of Time – The Memoirs of Oscar Niemeyer, Phaidon Press, London 2000 Niemeyer, Oscar: Paroles d’Architecte, Mailand 1996, übers. Robert Schediwy, Städtebilder, LIT Verlag, Wien 2005, S. 50 ff.

2G, N50: Sou Fujimoto 09/11


Impressum

Die Inhalte des Buches wurden sorgfältig nach persönlichem Ermessen zusammengestellt. Für den Inhalt kann jedoch keine Haftung und keine Gewähr übernommen werden. Alle Rechte, sowohl der fotomechanischen als auch der auszugsweisen Wiedergabe soweit nicht anderweitig vermerkt, sind vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung und des öffentlichen Vortrags,auch einzelner Teile. Kein Teil der Masterthesis darf ohne schriftliche Genehmigung des Herausgebers reproduziert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. © Alyssa Lena Rau, Konstanz 2013 HTWG Konstanz, University of Applied Sciences, Fakultät für Architektur und Gestaltung, Fachbereich Architektur, Brauneggerstr. 55, D-78462 Konstanz, Germany Herausgeber: Alyssa Rau Kontakt: alyssa-rau@web.de www.rau[m]designs.com Redaktion & Gestaltung: Alyssa Rau Betreut durch Prof. Myriam Gautschi Druck: Digital Centrum Konstanz Bindung: Buchbinder Gaupmann, Konstanz Umschlag von Alyssa Rau


209

»Das Befremdliche ist nicht in der Fremde — das Fremde sind wir selbst.« Nigley Barleys


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