M ei n kleiner
Garten
der bauch Ein kleines Paradies hoch über dem Engelberger Tal. 1992 packte mich das Entdeckerfieber. Auf der Suche nach einem unberührten Felsen wurde ich in Engelberg fündig. Mitten in einer riesigen Wand, 300m über dem Talboden, erspähte ich unter einer bauchförmigen Felsformation mit dem Fernglas einen Absatz, mit Bäumen und wilden Rosen. Schon bald stand ich aufgeregt mit zwei Bohrhaken und 170m Seil ausgerüstet, am Abgrund über der Wand. Der Plan war, durch die
mehrere hundert Meter hohe Wand direkt über den Bauch abzuseilen. Mit dem letzten Meter Seil landete ich zwischen den Rosen auf dem Absatz. Mit dem Bauch verbindet mich seit dem Tag eine tiefe Freundschaft, jedes Mal wenn ich an diesen Ort zurückkehre bin ich Glücklich. Matthias Trottmann
„Das war unser lieber Lex, der junge Holländer, der noch kaum einen Berg je zu Gesicht gekriegt hat. So schöne grosse Augen sieht man selten, nicht erstaunlich bei Feuer und Sternennacht auf dem bauch. Ich glaub er würd lieber hier in der Schweiz bleiben, als in die Ebene zurück zukehren.“ U n bek a n n t
DER AUFSTIEG Der Aufstieg, das notwendige Übel, denken wir. Notwendig, weil wir nur so zu unserem abgelegenen Gärtchen kommen. Das vermeidliche Übel schafft immerhin eine Grenze, gar eine Hürde, zwischen den Orten wo alle sind und demjenigen, den wir gerne für uns behalten. Das Stück Fels dort oben, zu dem man nicht einfach so hinkommt, für das es keine Kletterführer gibt. Doch dann erkennen wir: Der Aufstieg hat sein eigenes Geheimnis. Er ist ein Moment des Einkehrens. Wir tragen Lasten mühselige Pfade hoch, drücken uns mit zu grossen Rucksäcken zwischen Bäumen und Felsen durch, der Schweiss im Gesicht vermischt sich mit mitgerissenen Spinnennetzen. Diese aus dem Gesicht putzend, wird man kurz unaufmerksam und tritt neben den Weg. Dazu gibt es keine Sprüche, keine anfeuernden
Worte: Jeder ist alleine mit sich und fängt an, auf nichts als den Weg zu achten. Man greift die nächste Sprosse, setzt den Fuss, atmet aus. Diese Einkehr zu sich selbst ist wohl die deutlichste Grenze zwischen dem Unten und dem Oben. Und die schönste. Und da ist er ja schon, der unten noch kaum zu erwartende Felsriegel. Fast zu früh, werden wir aus dieser Aufstiegsmeditation gerissen.
„Ein wunderschöner Platz, einer für Aussteiger. Die dann doch einsteigen. Super schöne Touren mit viel Luft unterm Füdli. Da kommt man wieder, nicht alle Jahre, sondern gleichen Morgen wieder!“ P. S.
Der LaGERPLATZ Ich werfe meinen Rucksack hin, ziehe mich fast vollständig aus, wedle mir mit dem nassen Leibchen Luft zu. Doch die zweite Amtshandlung kann keine andere sein, als die Kaffemaschine zu füllen und auf den Kocher zu stellen. Schon die Herren Heckmair, Harrer, Kasparek und Vörg pflegten das Kaffeetrinken ausgiebig, damals am Eiger. Jeder sortiert sich etwas ein, das Seil wir abgerollt und bald schon heizt der Kocher dem zweiten Kaffee ein. Einer macht sich auf, eine neue Route zu vollenden. Andere klettern entspannt irgendwo hoch, sitzen dazwischen im Schatten und geniessen die Aussicht. Die ersten Flammen aus der kleinen Feuerstelle lösen die Sonne ab, welche schnell hinter dem Titlis verschwindet. Wenn wir hier Abenteuer erleben, dann sicherlich auch ein kulinarisches. Jeder hat so ein bisschen quer eingekauft, in der Annahme ein anderer bringe dann das dazu passende. So vermischen sich Honigmelonen mit durch-
zogenem Schwein, welchem wiederum gefüllte Peperoni angehängt werden. Diese hinterlassen abgerundet mit einem Schluck Wein und nachgedoppelt mit einer Tomate eigentlich einen ganz exquisiten Nachgeschmack. Die kreisende Weinflasche, eine wärmende Jacke, das lodernde Licht des Feuers und der Sternenhimmel machen das Leben leicht. Neidische Sprüche über die dicke Matte des andern und Dinge, die hier nicht mehr erwähnt werden sollen, sind das letzte, was unser Biwak noch von sich gibt. Dann strecken wir unsere Glieder in die laue Sommernacht.
Nacht Man sagt, dass der Prozess des Erinnerns viel mit Sinngebung zu tun hat. Unsere Erinnerung stellt die Dinge so zusammen, dass sie für unser inneres Ich Sinn ergeben. So werden die einzelnen Erlebnisse zu einer Geschichte verknüpft, die eben sehr individuell ist. Wenn man jetzt davon ausgeht, dass dies im Schlaf passiert, so stelle ich mir den Schlaf unruhiger vor, je komplizierter das Verknüpfen der Erlebnisse ist. Vielleicht hat es mit dem simplen Leben im Biwak zu tun, dass man so gut schläft…
„Morgens um 10:00 schien die Welt noch in Ordnung. Fels kalt, Finger kalt, Zehen kalt. Um 14:00 war dann alles vorbei. Das Baby hatte gebrannt, zumindest für Adi nicht zu schlimm…“ A di u n d Dom i nik
„Also Variante A geht besser wenn man B versucht hat und wütend ist auf B probiert man dann A und es geht doch nicht grrrr. Versöhnt ma sich wieder mit B zwischendurch hört und sieht man ein Schimmer von C der aber gleich wieder verschwindet und kann wieder (klar) sehen muss A oder B. Also soll man jetzt abwechseln zwischen A und B konsequent auch wenn z.B. plötzlich B mehr Hoffnung macht? Dom sagt B ist unmöglich was eigentlich sagen würde: klarer Fall A. Aber A geht schlechter als B und sowieso Domi ist gar nicht oben gewesen! Ich sags Euch dann wie ichs gemacht hab. Geschrien hab ich so: aaaaahhhhhhhh also vielleicht mach ich doch A weil schrei du mal bbeeeeehhhhhh! So bescheuert!“ Pac si
AB GEHTS! Warum sind wir eigentlich hier? Ach ja: Zum Klettern! Einbinden und ab geht’s! Der Bauch ist bloss eine kleine Plattform, geklettert wird aber auch links und rechts dieses Gärtchens. Wir huschen also zunächst flink - an Fixseilen gesichert - über eine abschüssige Platte, bis an den rechten Rand des Bauches. Die Route „Sommernachtstraum“ klingt nicht nur schön lau, sie ist geradezu ideal, die noch kalten Muskeln vom Koffeinzittern zu befreien. Danach definitiv im Tag angekommen, wetzen wir zurück zur Plattform. „Frühlingserwachen“ startet glücklicherweise direkt aus dem Biwak und der Name verspricht zudem, in die nächste BewusstseinsStufe befördert zu werden.
Und tatsächlich, danach sind wir definitiv wach. Jetzt wollen wir unsere Kraft nicht mehr vergeuden, ganz nach oben soll’s gehen, in eine bisher noch undurchstiegene Route am Bauch. Klettern am Kalk hat eine ganz besondere Ästhetik. Es ist vielleicht die tänzerischste Form des Kletterns. Dagegen ist Granit-Kletterei das reinste Fitnesscenter.
Die Hand Griffe „schauen“ im Kalk oft in die falsche Richtung, weshalb man mit dem Fuss irgendwo dagegen ziehen muss, ihn hochnehmen zur Hand, sich verdrehen, eine Hand lösen, um mit der andern nach dem nächsten Leistchen zu greift. Dabei ist man stets von der Hoffnung getragen, dass einem die Reibung bei den am Fels verbleibenden Füssen und der Hand keinen Streich spielt. Sonst findet man sich alsbald ein paar Meter tiefer im Seil baumelnd mit der Frage beschäftigt, ob jetzt der Fuss oder doch die Hand zuerst den Halt verlor. Man trifft eine Annahme, zieht sich an die Wand, steigt über den letzten Sicherungspunkt bis zur fraglichen Stelle, setzt die Füsse, bleibt ruhig und doch im Fluss und trotzdem reicht es auch diesmal nicht. Irgendwann sind die Batterien leer, die Schatten länger und wir räumen auf am Bauch, packen unsere sieben Sachen und seilen müde und glücklich ins Tal ab.
„Es war super schön an einem heissen Junitag. Alles was hier oben noch fehlt ist ein Kühlschrank oder Bier.“ Dav e
Mit bestem Dank an: Matthias Trottmann und Thomas Scheuner, welche das Shooting am Bauch möglich machten. Rawcut - ohne sie gäbe es kein Fotobuch! Und nicht zu vergessen, alle die über die Jahre den „Buuch“ zu dem gemacht haben, was er jetzt ist.
Impressum: Fotografie: Alessandro Fischer Text: Thomas Scheuner Kletterer: Matthias Trottmann, Thomas Scheuner Konzept: Harun Dogan Grafik & Design: Florian Baier, Sarah Furrer copywrite: Alessandro Fischer