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Unser analoges Hirn in digitalen Zeiten

Ob Standards oder neue Angebote zu virtuellem Teamwork und digital classrooms, wie wir sie gerade alle erleben: Was macht das mit unserem Gehirn? Droht uns die «digitale Demenz»? Bekommen wir die Digitalisierung und unser Steinzeithirn zusammen?

Die Antwort vorneweg: Ja, es kann funktionieren. Wenn wir erst unser Gehirn einschalten und dann unsere digitale Welt betreten. Dazu ist es wichtig, einige Gehirn-Basics zu kennen:

· Prinzipiell ist unser Gehirn extrem wandelbar und anpassungsfähig. Es ist zu grandiosen Leistungen fähig, wenn es richtig benutzt wird. Wichtig dafür ist die Grundversorgung: Ausreichend Getränke über den Tag verteilt und eine ausgewogene Ernährung bilden die Basis für einen konzentrierten und fokussierten digitalen Alltag.

· Wenn unser Gehirn gut funktioniert, schüttet es Botenstoffe und Hormone in den richtigen Massen aus: Serotonin sorgt dafür, dass wir uns wohl fühlen und guter Stimmung sind. Wenn wir ins Tun kommen wollen, brauchen wir Dopamin. Glückshormone, sogenannte Opioide, folgen, wenn wir ein Ziel erreicht haben.

· Ein wichtiger Faktor für die Leistungsfähigkeit unseres Gehirns ist unser Stresslevel. Mässiger Stress macht uns konzentriert und aufmerksam. Wird der Stress hingegen zu viel, werden wir vergesslich und unkonzentriert. Sehr starker Stress über lange Zeit schädigt gar das Gehirn.

· Unser Gedächtnis schliesslich arbeitet umso besser, je mehr wir es nutzen. Es ist aber schnell überlastet. Nur ein Bruchteil unserer Eindrücke schafft es ins Bewusstsein. Dann müssen noch viele Faktoren stimmen, damit wir Fakten langfristig abspeichern. Das sind neben dem richtigen Hormoncocktail und mässigem Stress vor allem Interesse, vorhandenes Wissen sowie die richtige Dosis an Informationen.

Warum das Homeoffice uns müde macht

Der neu entstandene Begriff «Zoom- Fatigue», also «Zoom-Müdigkeit» beschreibt die Tatsache, dass wir Webmeetings als extrem ermüdend empfinden. Das Problem liegt darin, dass unser Gehirn in «normaler, analoger» Kommunikation aus der Körpersprache des Gegenübers Informationen sammelt und wir deshalb in einer bestimmten Art und Weise reagieren. Online sehen wir oft nur den Kopf unserer Gesprächspartner. Wir hören den Atem nicht, wir sehen die Mikromimik nicht. Unser Gehirn versucht während Online-Meetings die ganze Zeit, nonverbale Signale zu erkennen – ohne Erfolg. Dafür verbraucht es ziemlich viel Energie. Und das macht müde.

UNSER GEHIRN VERSUCHT WÄHREND ONLINE-MEETINGS DIE GANZE ZEIT, NONVERBALE SIGNALE ZU ERKENNEN – OHNE ERFOLG.

Ein wichtiger Faktor im Homeoffice ist, dass wir meist nicht allein sind. Wir können uns nie auf das, was vor uns liegt, fokussieren. Unbewusst sind wir immer im Alarm-Modus. All das bedeutet für unser Gehirn: Stress. Statt Kuschel-

Unser Gehirn ist zu grandiosen Leistungen fähig, wenn es richtig benutzt wird.

hormone wie Oxytocin auszuschütten, wenn wir uns beim analogen Meeting die Hand geben, sind die Stresshormone Adrenalin und Noradrenalin angesagt. Statt im kurzen Small Talk vor dem Meeting die Atmosphäre und Stimmung der Kolleginnen und Kollegen auszuloten, versucht unser Gehirn, neben der Konzentration auf das Inhaltliche, am Bildschirm alle Teilnehmer im Blick zu haben. Auch nach einem langen virtuellen Meeting wissen wir oft nicht, wie es den anderen wirklich geht.

Das Smartphone und unser ineffizientes Multitasking

Wenn wir an einem Webmeeting teilnehmen, checken wir sehr wahrscheinlich ab und zu wenigstens kurz E-Mails oder WhatsApp. Das gibt uns das Gefühl, effizient zu sein. Für unser Gehirn heisst das jedoch: Multitasking. Und das funktioniert nicht. Wenn wir fokussiert und effizient arbeiten wollen, dann geht das nur an einer einzigen Aufgabe. Sobald eine andere dazukommt, sind wir nicht mehr aufmerksam bei der Sache. Das merken wir spätestens dann, wenn wir

die E-Mail, die wir während eines Telefongesprächs geschrieben haben, noch einmal senden müssen, weil wir den Anhang vergessen haben. Gehirngerecht arbeiten bedeutet: eine Aufgabe nach der anderen erledigen, nicht gleichzeitig. So schärfen wir den Fokus.

Das Google-Gedächtnis und unsere schwindende Merkfähigkeit

Ein grosser Vorteil der Digitalisierung ist, dass das Wissen dieser Welt ständig und in nie vorstellbarem Ausmass zur Verfügung steht. Wir müssen nur googeln. Während wir früher auf der Suche nach Antwort in Büchern nachgeschlagen haben, schauen wir jetzt kurz ins Internet. Weil dieser ausgelagerte Teil unseres Gedächtnisses immer verfügbar ist, machen wir uns nicht mehr die Mühe, uns etwas zu merken. Doch das ist fatal. Hier hilft dem Gehirn: Denken Sie bewusst nach, bevor Sie googeln. Sie werden sich erinnern, wenn Sie Ihrem Gedächtnis nur die Chance dazu geben. Sprechen Sie miteinander, vielleicht finden Sie gemeinsam die richtige Antwort heraus.

WENN WIR FOKUSSIERT UND EFFIZIENT ARBEITEN WOLLEN, DANN GEHT DAS NUR AN EINER EINZIGEN AUFGABE.

Nutzen wir einfach beides: Die faszinierende digitale Welt und die Freude des analogen Lebens 1.0. Lassen wir unser Gehirn 4.0 das tun, was es am liebsten tut: arbeiten. Mit unseren fünf Sinnen, die unser Gehirn zu einem Gesamtbild verarbeitet. Dem Abbau von Stresshormonen und Anschub der Dopaminproduktion bei Bewegung. Dem haptischen Erlebnis beim Blättern in Lexikon oder Atlas. Merken Sie es? Die Dopaminproduktion läuft schon auf Hochtouren, ganz analog.

ZUR AUTORIN: Julia Kunz, Personal Brain Coach, ist Master of cognitive neuroscience (aon) und Diplom-Kulturwirtin (Univ.). Sie weiss, wie das Gehirn funktioniert, warum es manchmal nicht so tickt, wie wir uns das wünschen, und was zu tun ist, damit wir auch in Stresszeiten fokussiert bleiben. Ihre Expertise in den Neurowissenschaften fliesst in ihre Trainings und Vorträge rund um «Soft Skills» und «Persönlichkeitsentwicklung» ein. www.juliakunz.de

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