8 minute read
MANN GROSSER WORTE
Millionen kennen seine Texte für Badmómzjay oder Apache 207. Die wenigsten wissen, wer dahinter steckt. Takt32 ist einer der prägendsten Player im Deutschrap, weil er den Battle-Modus genauso beherrscht wie große Gefühle. Wir haben den Rapper und Songwriter in Berlin besucht.
Das Treffen findet im BeWake Studio statt, irgendwo in Berlin-Kreuzberg. Ein kleiner Raum mit einer beigen Ledersitzgruppe, auf dem Beistelltisch steht eine Flasche Champagner für die nächste Gelegenheit, bei der es etwas zu feiern gibt – einen Nummer-eins-Hit zum Beispiel. Hier ist der Ort, an dem Takt32 – dunkle Basecap zu beigem Sweater –neben seinen Gastspielen in den Red Bull Studios den Großteil seiner wachen Zeit verbringt. Und zwar zum einen als eigenständiger Künstler, der mit „On the Run“ Anfang des Jahres zusammen mit Khrome und Liquit Walker seine jüngste Single über das atemlose Leben in den Straßen der Großstadt veröffentlicht hat.
Zum anderen ist er ein begehrter Songschreiber. Von ihm stammen Zeilen wie „Und wenn ich geh, dann so, wie ich gekommen bin / Wie ein Komet, der zweimal einschlägt“, mit denen Apache 207 und Udo Lindenberg im vergangenen Jahr die Charts anführten. Millionen kennen seine Texte, die wenigsten aber wissen, wer sich dahinter verbirgt. Takt32 ist wahrscheinlich der unbekannteste Star des Deutschrap.
Aus dem Plattenbau steil nach oben
Es war ein langer Weg bis hierher, und er beginnt im Plattenbauviertel Hohenschönhausen im Osten der Stadt. Dort kommt Marco Tscheschlok als zweitgeborenes Kind zweier Juristen auf die Welt. Nach der Wende dürfen die Eltern nicht mehr als Anwälte praktizieren und schlagen sich als Hilfskraft in einer Kanzlei und als Versicherungsmakler durch. Über Grafti fndet Marco zum Hip-Hop, doch statt Musik nur zu hören, will er bald auch selbst welche machen. Also kauft er sich mit gerade mal dreizehn Jahren im Supermarkt einen billigen Laptop, funktioniert das Kellerabteil seiner Familie zum Studio um und baut seine ersten Beats. Als Vorbilder dienen ihm französische Rapper wie Booba und Ali, die damals gemeinsam unter dem Namen Lunatic auftreten. Genau dort, wo die beiden herstammen –aus den französischen Vorstädten –, landet Takt32, wie sich Marco mittlerweile nennt, dann selbst. Um seine Sportlerkarriere als Wasserballer voranzutreiben, geht er Mitte der Nullerjahre nach Frankreich. In den Banlieues von Paris, Marseille und Rennes saugt er die dortige Hip-Hop-Kultur auf, deren Musik genauso stark vom US-Rap wie von nordafrikanischen Einfüssen der Migrantenkids aus den ehemaligen französischen Kolonien geprägt ist.
In seine Zeit in Frankreich fallen die gewaltsamen Proteste gegen Polizeiübergrife und, etwas später dann, gegen eine Arbeitsmarktreform der Regierung. Immer wieder kommt es zu Ausschreitungen zwischen der Polizei und Demonstrierenden an den Schulen und Unis, aber auch in den Hochhaussiedlungen der Vorstädte. „Die Musik wurde damals politisiert“, erinnert sich Takt32. „Sie lief auf den Demos, wurden aber auch dazu benutzt, um sich vor den Randalen aufzuheizen. Hip-Hop war der Soundtrack der Proteste, als hätte jemand dafür komponier t.“ Hier fängt er an, eigene Texte zu schreiben. Nach dem Abitur zieht es ihn erneut weg aus Berlin. Er landet in der 300.000-EinwohnerStadt St. Louis im US-Bundesstaat Missouri, wo ihm ein Sportstipendium ein kostenloses Studium ermöglicht. Wieder hat er ständig mit Musik zu tun. „Während Hip-Hop in Deutschland und Frankreich noch Nischenmusik war, war er in den USA schon voll präsent.“ Die Open-Bar-Kultur der Stadt, die es jedem mit genug Mut erlaubt, eine Bühne zu betreten und zu performen, half ihm dabei, seine RapSkills zu entwickeln. Genau wie der Umstand, dass niemand seine deutschen Texte verstand, sondern es erst mal allein auf seinen Flow ankam.
Zurück in Berlin, steigt Takt32 in die Battle-Szene der Hauptstadt ein. In den 2010er-Jahren findet zweimal im Monat eine Veranstaltung namens „Rap am Mittwoch“ statt, bei der alle, die nach Rang und Namen streben, gegeneinander antreten. Bis heute findet sich auf YouTube ein Video aus dem Jahr 2013, das die Begegnung zwischen Takt32 und dem Mainzer Separate zeigt. Von der ersten Minute an ist klar, wer das Battle für sich entscheiden wird.
Schlag auf Schlag mit Kool Savas
Von da an geht es Schlag auf Schlag: Zusammen mit seinem Kumpel fx gründet Takt32 das Label Kiezkunst, auf dem seine Alben bis heute erscheinen. Er lernt Jumpa kennen, der sein Debüt „Gang“ produziert. Kool Savas entdeckt ihn als Back-up-Rapper, es folgen drei Jahre Tour. Der befreundete Rapper ist es auch, der ihn dazu ermutigt, seine Songwriting-Fähigkeiten für andere einzusetzen. Im Jahr 2018 ist es dann so weit: Takt32 schreibt den ersten Text für Fler, zehn weitere sollen folgen. Das erste Mal lebt er nicht mehr von der Hand in den Mund. Der erste große Erfolg stellt sich jedoch ein, als er beginnt, für Rapperinnen zu arbeiten. Sein erster Nummer-eins-Hit wird „Highway“ für Katja Krasavice und Elif. Ganze acht Wochen lang führt der Song die Spitze der Charts an. „Das Arbeiten mit Rapperinnen ist eine interessante Nische für mich“, erzählt er. „Wenn ich für andere schreibe, versuche ich, mein Ego, so gut es geht, zu vergessen. Dann geht es nur um den Song und darum, eine bestmögliche Form der künstlerischen Freiheit zuzulassen.“ Dazu kommt, dass er bei auf Frauen gemünzten Zeilen wie „Meine Brüder schauen von oben zu / Ich schwöre, ich mach euch stolz“, geschrieben für Krasavice, oder „Top zwei in Sachen Sexappeal / Nach diesem Jahr bin ich die Beste hier“ für Badmómzjay nicht Gefahr läuft, sie anschließend selbst performen zu wollen.
Seine Karriere als Rapper und die als Songschreiber gehören dabei für ihn untrennbar zusammen. Der Umstand, dass er beim Schreiben für andere gezwungen ist, neue Blickwinkel einzunehmen, bringt ihn auf Ideen für seine eigenen Texte. Vielleicht ist die Musik, die er unter seinem Namen veröffentlicht, auch darum so vielseitig. Auf seinem 2023 erschienenen Album „Unlösbare Gleichung“ beweist er, dass er nicht vergessen hat, wie BattleRap geht, viel öfter aber zeigt er sich kritisch, zum Beispiel gegenüber dem branchenüblichen Geprotze, wer das meiste Geld hat. Die Stimme dunkel, legt er in vielen Stücken eine große Sensibilität an den Tag; ab und zu rappt er ein paar Zeilen auf Französisch – eine Reminiszenz an seine Zeit in den Banlieues. Das wahrscheinlich beste Stück des Albums, „ Als dein Kind“, eröffnet mit einem 1960erJahre-Sample und lässt bis zuletzt in der Schwebe, wem die Hassliebe gilt, von der er hier erzählt: einem Freund aus Kindheitstagen, einem Elternteil, einer Frau? Erst ganz am Ende wird klar: Es geht um Berlin. „Du bist meine Liebe, auch wenn’s Schmerzen mit sich bringt / Du bist die Stadt, die mich gemacht hat, und ich sterbe als dein Kind“.
Hits im Pingpong-Verfahren
So viel zu seinen eigenen Themen. Wie aber funktioniert das Schreiben für andere? „Meistens ist es so, dass wir uns zusammen hinsetzen und schauen, dass wir gemeinsam einen musikalischen Weg fnden“, erklärt Takt32. Danach gebe es diejenigen, die ihm vollends vertrauten und den weiteren Prozess an ihn abgäben, oder die, die im Pingpong-Verfahren weiter mit ihm am Song arbeiteten. Dabei sei es wichtig, dass sein Gegenüber sich ihm öfne. Je mehr, desto besser. „Meine erfolgreichsten Songs sind die, bei denen der Künstler oder die Künstlerin mich unter die Oberfäche gelassen und mir ihr emotionales Ich gezeigt hat.“ Musik sei schließlich nichts anderes als ein Weg, Gefühle zu transportieren. Seine Aufgabe sei dabei die eines Sprachrohrs. Auf die Frage, was einen erfolgreichen Song ausmacht, sagt er: „Der beste Text wirkt nicht, wenn der Performer nicht gut ist. Damit meine ich nicht, dass jemand technisch versiert sein muss, sondern dass er oder sie Ausstrahlung braucht, um das Ganze authentisch rüberzubringen.“
Apropos Gefühle: Wie sieht er als jemand, der seit mehr als zehn Jahren Teil der Branche ist, deren Entwicklung? „Hättest du früher einen Song über deine depressive Phase geschrieben, hättest du die Konsequenzen daraus schnell körperlich gespürt. In der Generation von Leuten wie Badmómzjay ist so was viel akzeptierter. Das hat auch mir die Augen geöffnet und mich für solche Themen sensibilisier t.“ Wie in weiten Teilen der Gesellschaft habe auch im Hip-Hop ein Bewusstseinswandel stattgefunden. Nichtsdestotrotz handele es sich nach wie vor um ein männerdominiertes Genre, in dem Frauen, die erfolgreich sein wollen, sich als maskulin geltende Codes und Sprechweisen zu eigen machen müssen.
Angesichts von sechs Nummer-eins-Hits mit Künstlerinnen und Künstlern wie Loredana, Badmómzjay, Katja Krasavice und Apache 207 sowie fünf eigenen Alben: Wo will der prägende Player im Deutschrap als Nächstes hin? Im Herbst steht erst einmal seine Tour an, die ihn durch Deutschland und bis nach Österreich und in die Schweiz führen wird. Zu Hause in Berlin wurde das Konzert wegen der anhaltenden Nachfrage gerade in eine größere Venue verlegt. „Musikalisch geht es mir sowohl im Schreiben auch als in meiner eigenen Musik nach wie vor darum, etwas Zeitloses zu schaffen. Songs, die man auch in 20 oder 30 Jahren noch hör t.“ So, wie es ihm mit „Komet“ schon gelungen ist. Wie heißt es da an einer Stelle? „Ich will ein’n Fußabdruck von mir, stärker als die Zeit“. Wir werden ganz sicher noch viel von Takt32 hören.
Instagram: @takt32_official