11 Rodelle, um Graz-Reininghaus auf die Landkarte zu bringen.
Arbeitsbericht Oktober 2006 – Februar 2007 von Ernst Giselbrecht kleboth lindinger partners Gertraud Monsberger Helmut Reinisch Hartmut Skerbisch
Inhalt I 3
Hintergrund Selbstverständnis Begriffe und Schnittflächen Anforderungen an das Rodell Der Weg zu den Rodellen
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Rodelle 01 – Die Landnahme 02 – Der weiße Fleck auf der Landkarte 03 – Zelle 04 – Monitor 05 – M 10:1 06 – Der Suchgraben 07 – Abstraktion – Simulation – Manifestation 08 – StartGrün 09 – Die Reininghaus-Kiste 10 – Leuchttürme 11 – Grenze und Verbindung
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Nächste Schritte Inspirationsquellen Impressum
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Hintergrund – Selbstverständnis I 5
Selbstverständnis
Verantwortungsträger Die Planungsgruppe versteht sich als Verantwortungsträger sowohl gegenüber der Asset One als auch gegenüber Graz-Reininghaus und seinen zukünftigen Nutzern. Es gilt gesellschaftliche Entwicklungen zu erkennen und vorwegzunehmen, gleichzeitig aber auch, genügend Spielräume einzuplanen. Nur dann kann in Graz-Reininghaus mehr als das entstehen, was sich bei noch so sorgfältiger Planung absehen lässt. Dazu werden gemeinsam mit der Asset One und dem IFMG die-jenigen Eigenschaften und Merkmale für Graz-Reininghaus gesucht, die das Besondere ausmachen: Graz-Reininghaus soll ein erkennbares Gesicht bekommen und sich dafür eignen, von den Menschen emotional besetzt zu werden.
Leitlinien für die Ver-Räumlichung Diese Überlegungen übersetzt die Planungsgruppe in die Sprache von Räumen, Prozessen und Inszenierungen. Gerade wegen der Fülle allgemeiner Anforderungen an Graz-Reininghaus sieht es die Gruppe als eine ihrer wichtigsten Funktionen an, diese zu verdichten und der Asset One konkrete Handlungsempfehlungen für den jeweiligen Prozessschritt zu geben. Die Planungsgruppe initiiert den Prozess und gibt ihm eine klare Richtung, damit die anderen Projektbeteiligten den Zielvorstellungen auch später folgen können. Die nachfolgenden Planungs- und Umsetzungsschritte werden laufende Inputs anderer Projektbeteiligter einbeziehen müssen: Dies soll aber unter Rückgriff auf die ursprünglichen Zielsetzungen möglich sein.
Entwicklungsphasen inhaltlich verbinden Die Arbeit vollzieht sich auf zwei Zeitebenen: einerseits der kurzfristigen Entwicklung von Vorschlägen für das „Rodell“ und andererseits der Definition von Leitlinien für das „Stadtmodell Reininghaus“, die mittel- und langfristigen Geltungsanspruch haben. Besonders wichtig ist es der Planungsgruppe, dass Graz-Reininghaus von Anfang an zu einem lebensfähigen Stadtmodell wird und in jedem Entwicklungsschritt eine unverwechselbare Qualität aufweist. Die Planungsgruppe beantwortet die gestellten Fragen und bekennt sich darüber hinaus auch zur aktiven Suche nach Themen und Lösungen. Dabei spielen subjektive Arbeitserfahrungen, persönliche Wertungen und die Kenntnis historischer Probleme in der Stadtentwicklung eine wichtige Rolle.
Hintergrund – Begriffe und Schnittflächen I 7
Begriffe und Schnittflächen
Die Aufgabenstellung der Planungsgruppe unterscheidet sich deutlich von herkömmlichen Stadtentwicklungsprozessen. Einerseits wollte man sich den gedanklichen Raum geben, ungewöhnlich abstrakte Ausgangspunkte zu berücksichtigen, andererseits mündet der Prozess in eine „gebaute Stadt“, die nur dann errichtet werden kann, wenn der Konkretisierungsgrad von Konzepten schrittweise steigt. Um für die eigene Arbeit – und für den Dialog mit der Asset One – klare Denkkategorien zu setzen, wurden zwei zentrale Begrifflichkeiten unterschieden.
Rodell Die Wortschöpfung durch Verkürzung von „Reininghaus-Modell“ wird zum Synonym für die Ansprüche „größtes Modell der Welt“ und „Graz im Bewusstsein internationaler Investoren verankern“. Es beschreibt eine temporäre Intervention auf dem Areal von GrazReininghaus, die medial und kommunikativ verwertbar ist und dadurch Glaubwürdigkeit erhält, dass die angestrebten Qualitäten des späteren Stadtteils erkennbar werden.
Stadtmodell Reininghaus Der Begriff „Stadtmodell Reininghaus“ steht für die Zielsetzung des nächsten Entwicklungsschrittes, jenes Zeitraums also, in dem das Rodell seine Wirkung entfaltet hat und die ersten Gespräche mit Investoren stattfinden. Hier konzentriert sich die Arbeit auf die Ver-Räumlichung von unterschiedlichen Stadtideen, auf die Materialisierung von gesuchten Qualitäten für Graz-Reininghaus; das beinhaltet auch die Übersetzung der „wünschenswerten Eigenschaften“ in städtebauliche und architektonische Kategorien. Dieses Stadtmodell soll ein klar erkennbares Idealbild des späteren Stadtteils definieren, jenes Ziel, auf das alle Akteure und notwendigen Tätigkeiten konzentriert werden. Neben diesen zwei Arbeitsdefinitionen könnte der Begriff „Stadtplanung“ oder „Stadteilplanung“ treten: Ab Februar 2007 sind nämlich in jedem Fall auch klassische städtebauliche Aufgaben zu erfüllen. Über diesen unterscheidbaren Begriff soll sowohl in der Diskussion als auch beim konzeptiven Arbeiten sichergestellt werden, dass kleinteilige, konkrete und oft anlassbezogene Umsetzungsschritte nicht gedanklich mit der Arbeit am Stadtmodell vermischt werden.
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Anforderungen an das Rodell
Die Planungsgruppe war damit beschäftigt, die Anforderungen an das Rodell herauszuarbeiten. Die Prämisse war es, bewusst abstrakt zu bleiben und frei zu assoziieren über Anforderungen, Qualitäten und Referenzen, die für das Rodell zutreffen sollen. Die Kriterien sind umfassend und zur Verprobung geeignet, erzwingen allerdings keine Lösung. Die Anforderungen wurden in folgende Gruppen (Cluster) gesammelt.
Verbindend Was immer man inszeniert: Es sollte Graz-Reininghaus mit den Grazern (wieder) verbinden; und es soll Graz mit außen verbinden, also mit internationalen Investoren, mit der europäischen Städtelandschaft.
Gesellschaftsrelevant Lebendigkeit „Mitten im Leben“ zu sein, das ist die Vision für die neue Stadt, für die gesuchte Qualität, die in GrazReininghaus entstehen soll. Mitten im Leben: Da geht es um Vielseitiges, Intensives, Dichtes. Es geht um sicht- und fühlbare Farben: Blutrotes, also herzhaftes Leben; oder grasgrünes, also naturnahes, erdiges Leben.
Die Suche nach Verbindung kann auch als sozialer und soziologischer Anspruch verstanden werden: Jung mit Alt, In- und Ausländer, angestammte und neue Bewohner. Die Art des Zusammenlebens, des Diskutierens soll in Graz-Reininghaus anders sein als überall sonst (Bewusstseinsänderung).
Signifikanz Mehrwert Um tatsächlich den Weg in die Zukunft zu weisen, muss das Rodell beständig sein, einen bleibenden Eindruck hinterlassen, einen Mehrwert darstellen. Einen Wert von Anfang an: Für die spätere Stadt und für die weitere Zukunft. Weitaus „mehr Wert“ als an anderen Standorten, als andere Visionen. Graz-Reininghaus wird zum Vorbild, ist exemplarisch.
Weil es eine klare und deutliche Aussage hat, ist es einzigartig. Und unverwechselbar, einprägend und damit sogar unvergesslich, (un)beschreibbar, daher sehenswert – eine Sehenswürdigkeit, die magisch anzieht, elektrisiert und sich so sehr einprägen soll, dass sie zum „Weltwunder“ wird.
Hintergrund – Anforderungen an das Rodell I 9
Entwicklung
Raumgreifend
Das Rodell ist erweiterbar und prozesshaft, entwicklungsfähig, nicht statisch und schon gar nicht technisch, sondern dynamisch, stets im Fluss. Diese Eigenschaften nähren sich selbst: Konstante Weiterentwicklung.
Das Rodell bietet Menschen und Ereignissen Platz und soll Graz auf die Landkarte bringen.
Inszenierung Emotion Es weckt Emotionen. Ob geliebt oder gehasst, es dringt ins Innere, ist sinnlich erlebbar, ein Fest für die Wahrnehmung. Voller Lebenslust und Atmosphäre, erlebbar, erfrischend. Hauptsache: Emotionen erregend – bloß keine Gleichgültigkeit.
Ortsbezug Das Rodell definiert einen klaren, eindeutigen Ort. Es ist typisch für den Ort. Es setzt ein deutliches „landmark“, einzigartig, unverwechselbar, charakteristisch. Tief verwurzelt an seinem Platz, verortet und trotzdem in deutlicher Differenz zu Graz.
Inspiration Es inspiriert, ist visionär. Die Geistesblitze zucken und treffen Kerne, spalten sie, und aus den Bruchstücken erwachsen stets neue Ideen und Vorstellungen, manchmal leichtsinnige, andere wieder abgehoben, wieder andere ätherisch.
„Mitten im Leben der Zukunft“, aber das Vorher nicht vergessend. Es bilden sich Legenden, Mythen, die inszeniert werden. So sehr Aufsehen erregend, dass es ein medialer Hit ist, an dem niemand vorbei kann, niemand vorbei will. Weil es spannend ist, einzigartig und Legenden initiierend und dennoch sympathisch und wärmend. Ge-myth-lich, könnte man sagen.
Trotz aller Vision muss das Rodell glaubwürdig sein. So glaubwürdig, dass es selbstverständlich ist. Die Glaubwürdigkeit wird somit zum zentralen Handlungsprinzip. Die Anforderungen an das Rodell treffen auch auf das Stadtmodell und in späterer Folge auf den Stadtteil zu. Das Rodell darf nichts versprechen, was die Stadt nicht einlösen kann.
Hintergrund – Der Weg zu den Rodellen I 11
Der Weg zu den Rodellen
Mit der erarbeiteten Auflistung der Anforderungen, die ein Rodell erfüllen soll, wurde anfangs eine unsystematische Sammlung angelegt. Die Beiträge wurden von den Mitgliedern der Planungsgruppe unabhängig voneinander entwickelt und eingebracht. Diese Materialsammlung wurde nach rund 30 Vorschlägen abgeschlossen. Im Verlauf der genaueren Auseinandersetzung mit den einzelnen Beiträgen waren Ähnlichkeiten, thematische Überschneidungen und parallele Ansätze zu erkennen. Es folgte ein beanspruchender und spannender Prozess des Komprimierens und Zusammenfassens. Immer wieder entstanden anhand der konkreten RodellVorschläge intensive Diskussionen über die grundsätzlichen Intentionen, über die gesuchten Qualitäten, über gescheiterte und erfolgreiche Entwicklungsprojekte Kleingruppen in unterschiedlicher Zusammensetzung übernahmen die weitere Verdichtung und Redaktion.
Schrittweise wurde die Vielzahl von Ideen in Gruppen zusammengetragen und schließlich auf ihre Kerninhalte konzentriert. Das Ziel dieses Verfahrens war eine Auswahl der tragfähigsten Konzepte, ohne dadurch etwas von der Bandbreite der unterschiedlichen Entwicklungsideen, Themenschwerpunkte und Herangehensweisen zu verlieren. So fanden elf Rodelle Eingang in den Arbeitsbericht, die jeweils für sich – oder auch in wechselnden Kombinationen – weitergedacht werden können.
Rodell 01 – Die Landnahme I 13
Die Landnahme
Idee Ein Tag im Jahr 2017: Niemand kann verlässlich sagen, wie die physische Umgebung in zehn Jahren aussehen wird; aber welche Themen die Menschen bewegen werden, vor welchen Herausforderungen sie stehen, das lässt sich in Umrissen vorwegnehmen.
Das Rodell ergründet in Form von offenen Fragen, sozialer Inszenierung und interaktivem Experiment dieses „Gefühl der Zukunft“. Damit wird eine neuartige innere Haltung zum Thema Stadtentwicklung transportiert: Es geht in erster Linie um die Menschen und ihr Leben, nicht um Steine und Bauformen.
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Herangehensweise 15.000 Menschen – also eine Richtgröße für die zukünftige Bewohnerzahl von Graz-Reininghaus – werden eingeladen, einen Tag nach Werten zu leben, die für das Jahr 2017 von Bedeutung sein werden; eine Art „sozialer Science Fiction“, wobei die Gäste gleichzeitig zu Akteuren und Publikum werden. Von Beginn an sind dabei Fragen wichtiger als fertige Antworten. So wird Graz-Reininghaus auch ohne Bauten zu einem Experimentierfeld für die Zukunft. Im Mittelpunkt stehen die Menschen, die sich das Land nehmen und dieses besiedeln. Noch bevor der erste Stein gesetzt wird, werden jene Plätze gefunden, an denen sich Menschen tatsächlich wohl fühlen; werden Themen vertieft, die jetzt noch ungewohnt sind, aber bald große Bedeutung bekommen könnten. Dabei werden die physischen Vorgänge, die persönlichen Reaktionen und die Bewertungen der Menschen in Graz-Reininghaus dokumentiert und in einen städtischen Kontext gestellt. Eine Befundaufnahme des Wohlfühlens, ein Schlaglicht auf den Umgang mit Neuem, das mit wissenschaftlichen Daten ergänzt und belegt wird.
Methodisch wichtige Leitlinien sind das Primat der Frage vor der Antwort und eine völlige Ergebnisoffenheit. Fragenkreise, die sich als Ausgangspunkt für die Inszenierung eignen, könnten sein: Kommunikation – wie kommunizieren Menschen ohne vorgegebene Zwänge? Kann man Schranken aufheben, ohne gleichzeitig das notwendige Maß an Ordnung und Selbstorganisation zu zerstören? Die Abschaffung welcher „Zwänge“ (im Sinn von Restriktionen) befreit das Denken und Handeln, wo hingegen tritt durch Schrankenlosigkeit nur Verunsicherung ein? Die Kräfte des Unternehmerischen – wie verändert sich eine Gesellschaft, wenn dem Unternehmerischen ein besonders hoher Stellenwert gegeben wird? Was heißt „etwas unternehmen“ im Alltag? Gastfreundschaft – in einer Zeit, in der immer mehr Menschen unterwegs, mobil, nicht dauerhaft sesshaft sind, erscheint es besonders verlockend, einen Ort der Gastfreundschaft und des Willkommenseins für alle zu etablieren. Kann man Gastfreundschaft „verordnen“? Wie kann eine Gesellschaft funktionieren, in der ein Gutteil nur befristet teilnimmt? Kreativitätszentrum – Kann Kreativität durch ein inspirierendes Umfeld anregen? Kann die geplante Kombination von räumlichen Strukturen, Bewohner-Mix und thematischen Setzungen ein anhaltendes Hoch an Motivation und gedanklicher Flexibilität schaffen?
Rodell 01 – Die Landnahme I 15
Umsetzung Das Rodell findet entweder als einmalige Inszenierung statt oder – stärker in Wirkung und Aussage – als jährlich wiederholtes Ereignis. So könnte der „Reininghaus-Tag“ bereits jetzt im Bewusstsein der Grazer, von Investoren und vielleicht auch in der Wahrnehmung von Fachkreisen aus Städtebau, Soziologie und Zukunftsforschung verankert werden. Es ist denkbar, dieses Format auch über das Jahr 2017 hinaus zu erhalten, ganz im Sinne von Mythos und Legende, um jeder Welle von Bewohnern den ursprünglichen Geist und die bestehenden Traditionen am Ort begreifbar zu machen. Medial wird der Inhalt bereits lange im Vorhinein transportiert. Das Ereignis kreist um eine zentrale Fragestellung (siehe oben); sie dient als Ausgangspunkt für eine oder mehrere Impulshandlungen am Gelände, die den Menschen einen zeitlichen und emotionalen Übergang von „Graz heute“ in den Kontext des Experiments ermöglichen. Rund um die Fragestellung wird ein Ziel für die Teilnehmer definiert, das deren Aufmerksamkeit und Energie bündelt. Die Themen werden so gewählt, dass sie nur in kleinen oder größeren Kollektiven bearbeitet werden können. Damit wird ein Höchstmaß an sozialer Interaktion und gegenseitigem Austausch sichergestellt, über die draußen bestehenden Grenzen von Schicht, Bildung, Gesinnung und Nationalität hinweg. Ohne sorgfältige Entwicklung ist es problematisch, bereits jetzt Beispiele für derart vielschichtige Inszenierungen zu geben. Daher werden hier bewusst nur freie Assoziationsketten zu zwei Kandidaten angeboten:
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Rodell 01 – Die Landnahme I 17
Verantwortung säen Natur – Umwelt – eigener Beitrag zur Erhaltung – gemeinsames Pflanzen von Bäumen – fortgesetzte Verantwortung für diese „Naturkinder“ – Kollektive bleiben über die Aktion hinaus miteinander verbunden – kümmern sich abgestimmt um ihre Setzlinge – Erleben, das eigenes Handeln einen sichtbaren Unterschied macht – Freude und Wertschätzung für Freiräume. Vielfalt nähren Ernährung als Grundfunktion menschlicher Selbsterhaltung – Kochen als Ausdruck von Zivilisationsgeschichte und Tradition – Unterschiede in Herkunft und ethnischer Zugehörigkeit sinnlich erfahrbar machen – gemeinsames Essen und Austausch von Nahrung als älteste Form von friedlicher Annäherung bislang fremder Menschen – Kochutensilien und Ausgangsprodukte zur Verfügung stellen – eine Aufgabe erteilen, die das größte Maß an unterschiedlichen Speisen, Zubereitungsformen und kulturübergreifenden Experimenten sicherstellt – anschließend Öffnen des Experimentierfeldes und Einladen von noch mehr Menschen zu einem köstlichen, überraschenden und kostenlosen Mahl in Graz-Reininghaus – gelebte Gastfreundschaft und Offenheit – kultivierte, kulturverbindende Geselligkeit und neue Freunde bis spät in die Nacht – öffentliches Feiern als wiederentdecktes Ritual.
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Der WeiĂ&#x;e Fleck auf der Landkarte
Der Bauch sagt uns, dass man selbst in einem komplexen Entwicklungsprozess nicht vergessen sollte zu spielen. Was wiederum ein guter Grund ist, einen weiĂ&#x;en Fleck auf der internationalen Landkarte durchaus ernst zu nehmen.
Rodell 02 – Der Weiße Fleck auf der Landkarte I 19
Pure white, what else. Eine weiße Fläche ist ein vertracktes Ding. Es gibt die einen, die halten Orte der Leere nicht aus. Sie müssen sie füllen. Das Schlimmste für den handelnden Menschen ist die freie Fläche. Sei es in der Freizeit: Sie wird verplant. Sei es in der Stadt: Sie wird verbaut. Die anderen fürchten sich geradezu vor ihr. So geht es dem Maler vor dem ersten Strich. Dem Schriftsteller vor dem ersten Wort. Weil die erste Tat dem Nichts die Unschuld raubt. Weil sie determiniert. Weil im ersten Strich der Code der nächsten Striche bereits enthalten ist. Damit wird die Last des Ganzen zur Last des ersten Strichs. Diese Widersprüchlichkeit steht am Beginn eines jeden Prozesses. Einer jeden Entdeckung. Deshalb symbolisiert ein weißer Fleck ein neues, noch nicht erkundetes Terrain. Im 18. Jahrhundert waren Karten von Afrika weitgehend weiß. Nur die Küsten waren erkundet. Erst schrittweise mit den Expeditionen wuchs das Wissen. Und mit ihr die Verortung. Schrittweise wich das Weiß des Nichts den Farben der Erkenntnis. Deshalb ist am Beginn einer Entwicklung ein weißer Fleck eine Projektionsfläche für Neues, für Wünschenswertes. Wie die Leinwand des Kinos wird sie erst durch die Projektion zum Leben erweckt.
Die Projektionsfläche des Wünschenswerten ist im Falle von Graz-Reininghaus 520.000 m2 groß. Sie ist ein öffentliches Signal des Neubeginns. Der Ernsthaftigkeit der Aufgabe. Sie ist ein symbolisches Innehalten vor dem ersten Strich. Eine öffentliche Geste der Kontemplation. Und sie ist eine weithin sichtbare Projektionsfläche für die Wünsche und Sehnsüchte der Menschen. Und vor allem für die Phantasien potentieller Investoren. Kurz: Sie arbeitet mit den Bildern im Kopf der Menschen. Und hilft, sie in Graz-Reininghaus in die Welt zu bringen.
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Rodell 02 – Der Weiße Fleck auf der Landkarte I 21
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Zelle
Rodell 03 – Zelle I 23
Graz-Reininghaus beginnt mit der Einsetzung einer Keimzelle. Die Keimzelle ist ein inhaltliches Pilotprojekt, um der Innovation und Zukunftsfähigkeit gerecht zu werden. In einer Größenordnung von 15 bis 20 Objekten entsteht eine physische und soziale Skulptur mit hoher Ereignisdichte und Atmosphäre. Die einzelnen Gebäude verorten den „Spirit“ von Graz-Reininghaus, seine Haltung, den Prozess: Gebäude als Themenhülsen, im Sinne von „to contain“ Inhaltsräume, flexibel, mit unterschiedlichster Gestaltung und Nutzung. So erreicht die Zelle von Anfang an Diversifizierung und Spannung. Sofort installieren sich dort die Exponenten des Reininghaus-Prozesses, von dort aus ziehen die Ideen, die Abschnitte des Prozesses und die konkreten Gestaltungsarbeiten ihre immer weiteren Kreise.
Umsetzung So wie es sinnvoll sein wird, das Kesselhaus für Veranstaltungen und Verortung verschiedenster Art zu adaptieren, entsteht – an einem zentralen Platz, möglichst auch von außen sichtbar – eine Reihe von mehrfunktionalen Räumen, Ateliers, Werkstätten und Ausstellungsräume für all jene Aspekte, die durch Eigenschaften, Visionen oder Zielsetzungen für das „Selbstverständnis der späteren Stadt“ von Bedeutung sind.
Themenanwälte und Verwirklichungskünstler Wie in einem Wettstreit gibt es „Paten“ für die als wesentlich definierten Motive und Eigenschaften Bespielt werden von Anfang an gerade jene Themen, die einerseits Signifikanz (den eigentlichen Unterschied zu anderen Orten) ausmachen und andererseits den Mehrwert, den geistigen, intellektuellen und kulturellen „Luxus“ definieren (Pareto-Prinzip und Ruskin’scher Luxus). Graz-Reininghaus beginnt nicht mit einem Büro- und Verwaltungsgebäude, sondern mit der Vorstellung eines unverwechselbaren und einzigartigen Prozesses. Erst wenn die Zelle keimt, ist jegliche Erweiterung und Verortung sinnvoll. Auch scheinbare Banalitäten wie Märkte, Cafés und Gastgärten sind mit maximaler Sensibilität zu behandeln, Ge-myth-lichkeit, Qualität und Flair sind oberste Prämissen. Es entstehen automatisch Anziehungspunkte, Qualitätsspitzen und Pluralität. Man besucht GrazReininghaus. Jetzt schon. Gerne und aufmerksam.
Selbstverständnis Unter dem Motto „Der einzige Beweis für das Können ist das Tun“ entsteht diese keimende Zelle bereits jetzt – unabhängig von späteren Zielen und Investoren – mit dem Selbstverständnis: Hier entsteht „sowieso“ ein Stadtteil – etwas Ungewöhnliches – eine Anwendung neuer Methoden – etwas Großartiges.
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Inhalte
Projekte
Kunst, Wissenschaft und andere luxus- oder mehrwertbezogene Themen manifestieren sich üblicherweise erst ab einer gewissen Größe der jeweiligen Siedlung oder Stadt.
In der installierten Keimzelle werden Themen wie Urbanität, Ökologie, Ernährung, Toleranz, Kunst oder Eigenschaften wie „Die Kultur des Scheiterns“, „Mit den Menschen leben lernen“, „Wir wollen doch nur spielen“ temporär bespielt. Beispiele dafür sind: - Abteilung Zukunft - Forum des Wünschenswerten, dauerhaft - Eine Ernährungswerkstatt als zeitweises Superrestaurant - Urbanitête, Stadt passiert zuerst im Kopf, nicht aus städteplanerischer Sicht: eine Zusammenfassung der bestehenden Zugänge von Kunstphilosophen - Ausstellung „Mit den Menschen leben lernen“, Bilder und Skulpturen zum Thema Randgruppen, Toleranz; ermöglicht Bewusstseinsveränderung ohne pädagogischen Zeigefinger - Die Erforschung der Grazer Sinneslandschaften, analog beispielsweise zur Universität für Bodenkultur in Wien - Wissenschafter-Meetings zu Forschungsthemen, etwa zur Ökologie
In Graz-Reininghaus zählt von Anfang an das Wesentliche. Nicht nur Wissenschaftler und Forscher werden befragt, sondern auch Kunstphilosophen, Kunstpädagogen und Künstler. Gerade sie bilden ein breites Feld für Interventionen und ermöglichen auch schwierigen Themen eine unpeinliche Bespielung. Die eingehende Beschäftigung mit der vielfältigen Sichtweise und Philosophie der Künstler dient dem Prozess nicht nur für wertvolle Salons und Ausstellungen, sondern primär dem Selbstverständnis von Graz-Reininghaus – ein Prozessmythos entsteht.
Die einzelnen Gebäude der Zelle wechseln je nach Event und Ausstellung, sind nicht automatisch immer Galerie oder Vortragswerkstatt.
Rodell 03 – Zelle I 25
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Monitor In Graz-Reininghaus werden Leuchten in einem Raster von 4 x 4 m aufgestellt. Diese Lichtpunkte ergeben aus der Luft gesehen einen 550.000 m2 großen Monitor. Auf diesem Monitor können – wie bei jedem gewöhnlichen Bildschirm – alle gewünschten stehenden und bewegten Bilder dargestellt werden.
Schirm
Lampe Verkabelung Stahlrohr
Rodell 04 – Monitor I 27
Umsetzung Die Leuchten werden auf 6 m hohen Stehern montiert und strahlen auf 1,5 m große Schirme. Jede Leuchte ist separat angesteuert, und über ein Netz – einer gitterförmigen Verkabelung, die einerseits der Stromversorgung und andererseits der statischen Befestigung dient – sind alle Lichtpunkte miteinander verbunden. Die elektrische Energie für die Laternen wird je nach Ausführung aus dem Stromnetz bezogen oder kann mittels Solarzellen bzw. Windrad vor Ort produziert werden. Die 40.000 Lichtpunkte werden zentral angesteuert, auf diese Art können ganz unterschiedliche Effekte vor Ort erzeugt werden: Bilder, Pläne, Filme werden am
größten Monitor der Welt gezeigt und von einer erhöhten Position, aus einem Hubschrauber, aus einem Ballon, von einem Turm aus betrachtet. Die Lichtpunkte reagieren interaktiv auf Ereignisse am Areal. Von Terminals, die in Graz, in Wien und in Cannes aufgestellt sind, können über das Internet verschiedene Motive bestellt und am Monitor angezeigt werden. Eine Panoramakamera – an einem Ballon über dem Gelände montiert – filmt den Monitor 24 Stunden am Tag. So kann man sich über das Internet und über die Terminals zu jeder Tageszeit ein Luftbild vom Monitor machen.
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Einsatzmöglichkeiten Von Oben Simulation des Stadtmodells: Mögliche Stadtgrundrisse werden im 1:1-Modell simuliert. Eben erst gedachte Stadtgrundrisse werden auf den Monitor übertragen, Gebäudedimensionen abgetestet, Straßenläufe auf ihre Anbindung zur Umgebung geprüft, Proportionen ausprobiert. Das Ganze spielerisch, schnell, ohne Aufwand. Sogar eine Stadtansicht bei Nacht kann visualisiert werden. Möglichen Investoren können Bauplätze in unterschiedlichen Größen und Zuschnitten demonstriert werden. Willkommensgruß im Überflug: Spielerisch können vielfältige Motive und Bilder dargestellt werden, die Mona Lisa, das steirische Wappen, das Porträt der Asset One Vorstände als überdimensionales Dreigestirn. Stadtleinwand: Ein Fußballspiel wird vergrößert am Reininghaus-Monitor übertragen. Beobachtet wird es von der Panoramakamera aus. Die größte Glückwünschkarte der Welt: in Echtzeit im Web gelesen.
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Von unten Der Joggingtrainer: Am Eingang von Graz-Reininghaus kann man an einem Terminal die gewünschte Streckenlänge und die Trainingsgeschwindigkeit eingeben. Anschließend wird man durch die nacheinander erleuchteten Bildpunkte durch das Areal geführt.
Jeden Tag läuft man eine andere Strecke, in der gewünschten Länge und der angestrebten Geschwindigkeit. Natürlich sind auch Treffpunkte mit Laufpartner einfach zu organisieren. Die Lichtpunkte helfen mit, dass die Läufer, ohne den genauen Ort zu fixieren, zur gleichen Zeit am gleichen Ort eintreffen.
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Fang den Leuchtpunkt: Ein Fitness-Spiel, bei dem die Akteure den schnell bewegten Leuchtpunkt einholen müssen. Vielleicht auch in Gruppen, die sich mehreren Leuchtpunkten widmen; Verwirrungen und Zusammenstöße, Ärger und Lachen. Die interaktive Straßenbeleuchtung: Durch eingesteckte Sensoren weiß die zentrale Lichtsteuerung stets, wo sich der Spaziergänger gerade befindet, und beleuchtet gezielt dessen Umgebung.
Von oben und am Boden Schachspiel am größten Schachbrett der Welt: Die Kapitäne sitzen am Computer und betrachten ihr Schachbrett aus der Luft. Die Spieler sind die Figuren und bewegen sich am Boden. Orientierungshilfe: Wo bin ich und wo muss ich hin? Ein kurzer Blick ins Web genügt und ein verirrter Besucher weiß durch ein Aufleuchten eines Lichtpunkts, wo er sich gerade in Graz-Reininghaus befindet und wo sein Ziel liegt.
Kommunikation Interessierte betrachten im Internet den ReininghausMonitor, sie verschicken ihre Botschaften aus der ganzen Welt. Investoren kommen per Flugzeug und werden im Überflug schon mit einem „WillkommenSchriftzug“ begrüßt. Anschließendes Betrachten vom Hubschrauber aus. Für die Grazer Bevölkerung kann der Reininghaus-Monitor ein riesiger Spielplatz sein. So wird Graz-Reininghaus zu einem sympathischen, geliebten Stück Stadt.
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Der Monitor bleibt Auch bei einer späteren Realisierung verschwinden die Lichtpunkte nicht, bei Neubauten werden diese auf den Dächern montiert, in unverbauten Gebieten bleiben sie als Beleuchtung, als Orientierungspunkte, als Wegbegleiter im Freiraum erhalten.
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M 10:1 Gewaltige Höhe, enorme Größe: Diese Qualitäten dienen als Ausgangspunkt für ein in sich geschlossenes Gestaltungsprinzip, das sich in einer sehr markanten Handhabung von Bauvolumen ausdrückt. Ein daraus resultierender Baukörper setzt im Areal in mehrfacher Hinsicht einen verdichteten Schwerpunkt, mit der Höhe als Hauptausdehnung, sodass die geringe Beanspruchung von Grundfläche das Areal weitgehend frei als Naturraum belässt. Zwei mögliche Umsetzungsvarianten für dieses Prinzip werden hier vorgestellt.
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Höhentest „Asset One testet die Dimensionen von Baukörpern zur Stadtteilentwicklung“: Bereits mit dem Titel soll auf die prozesshafte Praxis des Entwicklungskonzeptes von Graz-Reininghaus verwiesen werden. Es kann sich herausstellen, dass ein Baukörper mit Dimensionen, wie ihn die Testanordnung in den Raum stellt, für den zu entwickelnden Stadtteil nicht infrage kommt. Dennoch kann die Durchführung des Tests über die Attraktion des Skulptur-Ereignisses hinaus einen wichtigen Beitrag zur Diskussion über die zukünftige Stadtgestalt von Graz liefern. Der Impus für diese Auseinandersetzung kommt aus dem Prozess der Stadtteilentwicklung von Graz-Reininghaus. Als Konstruktionsteile dienen drei Schwebekörper mit Heliumfüllung oder thermischer Steuerung sowie Stahlseile. Die Formgebung ist klar: Ein steiler Pyramidenstumpf, an der Basis 60 x 45 m, mit einer Höhe von 270 Metern, die Kantenneigung beträgt 3 Grad. Ein System aus Stahlseilen hält die drei Schwebekörper in Höhen von 90, 180 und 270 Metern auf Position. Die Kanten des gedachten Baukörpers werden zur präziseren Sichtbarkeit bei Nacht durch Laserstrahlen markiert, die Seitenflächen der Schwebekörper werden von herkömmlichen Scheinwerfern angestrahlt und sollen entsprechende Logos und Aufschriften (Asset One) weithin sichtbar präsentieren.
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Graz-Reininghaus setzt neue Maßstäbe
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Großskulptur Graz-Reininghaus setzt neue Maßstäbe. Als Gegenpol zum Schlossberg gibt es im nur nieder bebauten Grazer Feld einen nicht nur horizontalen, sondern auch vertikalen „Höhepunkt“. Mit der Messlatte „Errichtung eines zweiten Schlossberges“ entsteht die Simulation einer Großskulptur als Modell für einen gigantischen lebenden Organismus. Die Skulptur wird zum Wahrzeichen der Stadt. Ausdruckskraft, Gestaltung und Größe bringen Graz auf die Landkarte. Die vertikale Verdichtung lässt am restlichen Areal noch viel offen für Park, Garten und „Agora“. Wesentlicher Parameter ist die eindeutige Differenzierung zum üblichen Graz: Im Gegensatz zu einzelnen Häusern oder Siedlungen entsteht hier die Simulation eines futuristischen Skulpturelementes in der Größe, Höhe und Verdichtung ähnlich dem Turmbau zu Babel. Weltwunder sehen nicht mehr wie Pyramiden aus, haben aber oft mit Größe, Höhe und dem Spiel mit der Schwerkraft zu tun (Koloss von Rhodos bis hin zu Twin-Towers, 9/11). Wie am Beispiel Bilbao ablesbar, führt eine neue Formensprache, die Größe und der Mut der Vorgangsweise zu internationalen Schlagzeilen.
Das Rodell besteht aus Kuben von Luftkörpern, die zumindest in den obersten Bereichen die tatsächliche Höhe und Größe einer Großskulptur simulieren. Vom Boden her können erste Funktionsräume entstehen (Keimzelle), Modell und Realität wachsen ineinander. Schon früh werden begehbare erhöhte Aussichtspunkte, Restaurant, Cafe und ein Lift installiert. Die selbst als „Blickpunkt“ definierte Skulptur bietet umgekehrt jene gesuchten und sympathieträchtigen „Ausblicke“, die man sonst nur von erhöhten Panoramapunkten oder in Penthäusern erlebt.
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Der Suchgraben Ein signifikantes Zeichen für einen Stadtteil der Neuen Aufmerksamkeit
Der Stadtteil der Neuen Aufmerksamkeit hat drei Themen, die demonstrativ aufgezeigt werden:
Der Suchgraben ist nicht nur ein weithin sichtbares Zeichen für die Aufmerksamkeit der gebauten Umwelt gegenüber, er wird auch durch seine Erlebbarkeit bzw. durch die Erschließung und Bespielung der ca. 20.000 m2 großen Flächen (Keller, Heizhaus, Gerstenboden) sehr weit in das Bewusstsein der Bevölkerung von Graz eindringen. Als Programm sind Ausstellungen, Konzerte, Events, aber auch Räume für die Dokumentation der Idee des Entwicklungsprozesses für das Stadtmodell Graz-Reininghaus vorgesehen. Der Stimmungsgehalt, die Größe und das Programm der durch den Suchgraben erschlossenen Räume sollen zum „Schwungrad“ nicht nur für den Stadtteil Graz-Reininghaus, sondern für ganz Graz werden.
Die Neue Aufmerksamkeit als Haltung gegenüber der gebauten Umwelt gegenüber der Natur gegenüber den Menschen
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Die Neue Aufmerksamkeit als Haltung gegenüber der gebauten Umwelt Der Suchgraben demonstriert diese Haltung und verläuft quer durch das Gelände. Er erschließt nicht nur das Heizhaus, sondern auch die brachliegenden Kellerräumlichkeiten sowie den Gerstenboden. Die Errichtung des Suchgrabens ist als Spatenstich für den Stadtteil GrazReininghaus zu sehen und im Gedanken des Startrituals angelegt. Jeder Schritt in der Errichtung des Suchgrabens wird als Erkundung inszeniert. Etappenziele wie das Öffnen des ersten Kellers oder die neue Nutzung des Heizhauses als Ausstellungsraum werden medienwirksam aufgezeigt und so zu einem ständig präsenten Thema nicht nur in Graz, sondern weit darüber hinaus. Unabhängig davon wird der Suchgraben nach Fertigstellung die verschiedenen Raumstimmungen („Poetiken“) aufzeigen und mit seinem Programm zu einer ganz spezifischen Qualität des neuen Stadtteils Graz-Reininghaus werden.
Ökologisch gesehen werden durch den Suchgraben die Kellerräume attraktiv erschlossen, natürlich belichtet und so vollwertig benutzbar. Dadurch werden bestehende Ressourcen mit neuen Qualitäten besetzt und müssen nicht abgebrochen werden. Die Räume, die durch den Suchgraben nun vollwertig erschlossen werden, stellen einen Wert von ca. 9 Millionen Euro dar. Ein Abbruch der bestehenden Keller würde 5 Millionen Euro kosten und ca. 10.000 LkwFahrten verursachen. In diesem Sinn ist der Suchgraben neben vielen kulturellen und künstlerischen Aspekten auch ein Beispiel für ökologisches Wirtschaften.
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Rodell 06 – Der Suchgraben I 43
Die Neue Aufmerksamkeit als Haltung gegenüber der Natur
Die Neue Aufmerksamkeit als Haltung gegenüber den Menschen
Ähnlich den künstlerischen Aktivitäten in den erschlossenen Räumen durch den Suchgraben soll parallel mit Aktionen und Inszenierungsarbeiten die Neue Aufmerksamkeit auf die Natur gelenkt werden. Künstler beschäftigen sich mit dem Naturraum Reinighaus und zeigen nicht nur die Wertschätzung der Natur, sondern auch ihre Veränderung durch die Jahreszeiten.
Der Mensch soll das zentrale Thema eines Märchens für Kinder und Erwachsene werden, das von Folke Tegetthoff als Auftragsarbeit gemeinsam mit Asset One geschrieben wird. Die ersten Worte „Es war einmal …“ sind Ausgangspunkt für eine Neue Aufmerksamkeit gegenüber den Menschen in diesem Gebiet. Die Vernetzung nach außen und alle Inputs in den Prozess werden von einem Redaktionsteam aufgearbeitet, es werden jährlich neue Auflagen des Buches „Werkstatt 017“ gedruckt und wandeln sich so zu einem qualitätvollen Logbuch für den Stadtteil Graz-Reininghaus. Auf diese Weise ist es möglich, einen besonderen Stadtteil zu zeigen, in dem nicht nur die Gäste, sondern auch deren Spuren vor Ort und in die Welt hinaus aufgezeigt werden.
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Abstraktion – Simulation – Manifestation Umsetzung
Motiv Ein dreidimensionaler gigantischer 1:1-Luftkörper bildet einen medienwirksamen Startup-Effekt, zeigt die Haltung gegenüber Graz-Reininghaus, begleitet den Prozess, verändert sich entsprechend der Entwicklung und endet mit der feststofflichen Umsetzung der tatsächlichen, gebauten Umwelt. Nicht nur aus der Luft, sondern auch für die Grazer ist das Modell eine lebende Attraktion und schafft einerseits spielerisch, andererseits durch bewusste Animationen in der Innenstadt unübersehbare Aufmerksamkeiten für Graz-Reininghaus und Belebung von ganz Graz. Das 1:1-Rodell selbst macht Graz-Reininghaus für jeden, der das Gelände betritt oder durchfährt, zu einem sensoriell überhöhten Lebensraum.
Auf rund 500.000 m2 Fläche bildet ein riesiger, annähernd runder, nach oben gewölbter Luftkörper ein weithin sichtbares Zeichen für die erste Inszenierung des entstehenden Stadtteils. Das Volumen entspricht etwa der später verbauten Masse von Graz-Reininghaus. Abends ist das gewölbte Riesenobjekt hinterleuchtet und so für Grazer und Besucher von leicht erhöhten Orten aus, von Hochhäusern, vom Plabutsch und insbesondere vom Schlossberg als gigantischer Leuchtkörper weithin sichtbar. Der anfangs abstrakte geschlossene Körper verändert sich mit jeder Intervention und Entscheidung. Werden Eigenschaften, Gebäude, Freiraum oder Leuchttürme definiert, so beginnt sich die Masse farblich und räumlich zu verändern. Gebäudestrukturen wachsen wie Pilze empor und simulieren als Skyline die spätere Stadt. Gebildet wird das lebende Monument aus höhenverstellbaren Luftkörpern, die in einem Raster nahezu die gesamte Fläche kreisähnlich überziehen und vom Boden aus mit Scheinwerfern angestrahlt werden. Der Übergang von Abstraktion über Simulation zur Manifestation ist fließend. Zuletzt ersetzen Gebäude die Simulation.
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Ein dreidimensionaler gigantischer Luftkörper als weithin sichtbares Zeichen für die erste Inszenierung.
Prozessbegleitung und Inhalte Eine wesentliche Rolle spielen die Motive der angefertigten Luftkörper: Vorgaben und Eigenschaften sowie künstlerische Interventionen sollen die Phantasie des Betrachters bewegen. Zuerst nur farblich differenziert, nehmen die Luftkörper später Symbole und Motive auf, können etwa von Yves Kleins „Architecture de l’air“ oder Erwin Wurms „Fat Cars“ und „Fat Houses“ sowie von neu entwickelten „Fat Trees“ als Anspielung auf die Klischeebilder des Vorstadtbürgers inspiriert werden. Ebenso leicht sind Motive für Ökologie, Ernährung und Gastfreundschaft zu (er)finden. Aufmerksamkeit und multifunktionale Nutzung vor Ort Man kann Graz-Reininghaus nicht mehr betreten ohne erhöhte Aufmerksamkeit auf das Projekt bzw. den laufenden Projektprozess. Durch die Straßen fahrend, befindet man sich in einer von Luftkörpern angedeuteten gigantischen Kuppel, wie in einem riesigen flachen Dom. Wegen des Rasterabstandes der Luftkörper ist der Blick zum Himmel über dem Betrachter frei, vor allem bei Straßen, von außen und von der Seite wird aber immer das geschlossene Bild des „offenen Körpers“ wahrgenommen. Durch Überziehen der Luftkörper mit Planen kann man je nach Bedarf überdachte, offene Räume für Veranstaltungen (Tribünen, Markthallen, Großzelte, etc.) schaffen.
Graz-Reininghaus – Aktionismus in Graz Mehr und mehr Luftkörper verschwinden aus dem Areal von Graz-Reininghaus, vor allem die spannenden Motivproduktionen, etwa „Fat Cars“ und „Fat Houses“, tauchen in der Stadt auf Straßen und Plätzen, auf Dächern und am Schlossberg hängend wieder auf. Spielerische Interventionen der Bevölkerungen (erlaubter Diebstahl) sind,erwünscht. In Graz beginnt eine aktive Auseinandersetzung mit dem Prozess und eine unbewusste Identifikation. Abgesehen von der Tatsache, dass es sich um die größte 1:1-Stadtsimulation der Welt handelt, dreidimensional und beweglich, gibt es gerade durch diesen Aktionismus zahlreiche Anlässe für Presseberichte.
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Der Reininghaus Luftkörper - medienwirksamer StartupEffekt. Prozess begleitend verändert sich das Rodell. Der Übergang von Abstraktion über Simulation (Skyline einer Stadt) zur Manifestation ist fließend.
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StartGrün Die Idee
Die Umsetzung
Das Rodell geht vom bestehenden Naturraum mit Eisteichen, Alleen und Sportflächen aus. Darauf aufbauend wird das Potenzial des Areals als Freizeitlandschaft genutzt. Das heißt: Dem Natur- und Freiraum wird von Beginn an oberste Priorität eingeräumt. Der Natur wird Raum und Zeit gegeben, ihr enormes Potenzial zur Veränderung zu entfalten.
Die Natur breitet sich nicht willkürlich aus, vielmehr soll sie sich wie ein Ornament über das Areal legen: Ein geordnetes Muster, das von der Luft aus sichtbar ist. Die Entwicklung des Areals geschieht in mehreren Phasen und Schichten. Den Ausgangspunkt setzt die bestehende Natur: Baumreihen, Eisteiche, der Sportplatz. Ihnen folgen zusätzliche Wasserflächen, Wiesen und Wälder sowie neue Sportflächen, die nach einem sorgfältig gewählten Muster angelegt werden; die gestalteten Freiräume entsprechen dabei keinem vorgefertigten Raster.
Mit der vorsichtigen Umgestaltung des Raumes in Richtung Freizeit- und Erholungslandschaft steigt die Qualität und Nutzbarkeit des Außenraums. Graz-Reininghaus steht so für eine aktive Freizeitgestaltung im Einklang mit der Natur. Damit verbunden ist auch eine positive Assoziation des Ortes bei Grazern und Investoren. Die Planung für eine spätere bauliche Nutzung bleibt zunächst bewusst unberücksichtigt, ganz absichtlich werden später Teile der gestalteten Landschaft mit neuen Nutzungen überlagert.
Sichtbar ist in diesem Raum auch die Veränderung, die die Jahreszeiten mit sich bringen. Das langsame Erblühen der Natur im Frühjahr oder die unerschöpfliche Farbenpracht des Herbstes. Platz gibt es in diesem Freiraum auch für ein Bewusst-machen der zeitlichen Dimension. Als Beispiel können Pappelwald und Eichenwald dienen: Während die Pappel bereits nach zehn Jahren meterhoch in den Himmel ragt, braucht es mindestens fünfzig Jahre für die Entstehung eines Eichenwaldes. Letztlich ist dieses Rodell eine riesige Spielwiese unter freiem Himmel, ein Erholungsraum mitten in Graz, der viele Freizeitbedürfnisse der Grazer abdeckt und in dem alles erlaubt ist.
Rodell 08 – StartGrün I 49
Alleen
Bestand
Wasser
Wald
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Sport
Bebauung
Wiese
Rodell 08 – StartGrün I 51
Die Nachnutzung Sobald eine konkrete bauliche Nutzung am Gelände von Graz-Reininghaus feststeht, wird der Freiraum sukzessive mit den späteren Strukturen überlagert. Das StartGrün ist dabei keine zwingende Vorgabe für die spätere Stadtplanung, sondern eine Inspirationsquelle für die Stadtraumgestaltung. Unweigerlich wird durch diese Vorgangsweise ein völlig neues Selbstverständnis der Architektur resultieren, das ein Miteinander aus Außenraum, Natur und städtischer Nutzung besonders berücksichtigt. So bürgt das StartGrün von Beginn an für Attraktivität und in Zukunft für ein inspirierendes Wohn- und Arbeitsumfeld.
Zusätzlich dämmt die Nähe von Obstgärten, Spielflächen und Wiesen die Notwendigkeit ein, zur Freizeitgestaltung Graz-Reininghaus zu verlassen; eine besondere Qualität für die Menschen und ein bewusster Beitrag zur Reduktion des Verkehrsaufkommens. Die Neunutzung von Graz-Reininghaus entwickelt sich durch diesen Prozess evolutionär und ohne Brüche zur bisherigen Geschichte des Ortes.
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Die Reininghaus-Kiste Kultobjekt in der heutigen Informationsgesellschaft: Baustein – Botschafter – Werkzeug Die Reininghaus-Kiste wird speziell entworfen und soll als Baustein die Entwicklung von Graz-Reininghaus aufzeigen. Die Verwendung der Reininghaus-Kiste soll so medienwirksam aufbereitet werden, dass sie zu einem Kultobjekt wird. Sie soll durch das auffallende Design neue Verwendungen provozieren und in den verschiedensten Sphären symbolhaft den einzigartigen Prozess der Entwicklung von Graz-Reininghaus aufzeigen. Die grundlegende Philosophie des Reininghaus-Prozesses ist in die Kiste integriert, und jede Kiste ist mit einem eigenen Code versehen. Auf einer Internetplattform wird dieser Code zur Eintrittskarte in ein Kommunikationsforum, in dem die Kistenbesitzer ihre persönlichen Themen austauschen. Dies unterstützt den Kultstatus.
In der Präsentation werden folgende Sphären anhand von exemplarischen Bildern aufgezeigt: Die Reininghaus-Kiste als Baustein Die Reininghaus-Kiste als Botschafter des Prozesses (im Sinne einer Flaschenpost) Die Reininghaus-Kiste als Werkzeug des Reininghaus-Nomaden
Rodell 09 – Die Reininghaus-Kiste I 53
Die Reininghaus-Kiste als Baustein Reininghaus-Kisten werden in einem exakten Raster auf dem Gelände verteilt. Beim Initial-Event werden die Kisten freigegeben und die Leute animiert, die Kisten als Bausteine für Architekturkreationen zu verwenden, ähnlich dem Bauen mit Ziegeln. Die aufgezeigten Werke werden fotografiert und prämiert, so zeigt dieser Prozess auch die Aneignung des Gebietes in Graz-Reininghaus durch die Menschen. Die Wirkung sollte so sein, dass diese Aktivitäten in Graz zu einem Thema werden, das über einen gewissen Zeitraum (einen Sommer) auf den Entwicklungsprozess von Graz-Reininghaus hinweist. Durch die Präsentation der ausgewählten Werke auf der Internetplattform wird dieses Thema auch international aufgezeigt.
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Die Reininghaus-Kiste als Botschafter Nach dem Initial-Event werden die Reininghaus-Kisten freigegeben, die Leute können diese also auch mitnehmen, was dazu führt, dass sie nicht nur in die Wohnzimmer und Studentenbuden in Graz gelangen, sondern dass sie – angeregt durch eine Animation – auch den weiten Weg in die Welt finden. Das Verreisen der Kisten erinnert daran, dass in der Hochblüte von Graz-Reininghaus die Bierkisten der Brauerei bis Sansibar geliefert wurden. Auf der Internetplattform werden die einzelnen Reichweiten der Kisten oder die Entfernungen sichtbar gemacht, es werden Bilder über ihre Platzierung, ihre Präsentation an ungewöhnlichen Orten und mit ungewöhnlichen Leuten ausgestellt.
Rodell 09 – Die Reininghaus-Kiste I 55
Reininghaus-Kiste als Werkzeug des Reininghaus-Nomaden Der Kultstatus des Objektes Reininghaus-Kiste soll dazu führen, dass es das kleinste Werkzeug (Tool) für einen Reininghaus-Nomaden des 21. Jahrhunderts darstellt. Die Reininghaus-Kiste soll als selbstverständliches Element gleichzeitig Träger und Behälter des Entwicklungsprozesses sowie dessen Ergebnis sein. Auch sollen alle Teilnehmer am Reininghaus-Prozess Erkenntnisse mitnehmen können, symbolisiert über das Mitnehmen der physischen Kiste. Unabhängig davon werden Kisten und ihre Eigentümer prämiert, wenn sie besonders originelle und außergewöhnlichen Verwendungen zugeführt werden (wie z.B. im Bereich Fashion).
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Leuchttürme Die Bezeichnung „Leuchttürme“ steht für eine Entwicklungsidee, bei der mehrere skulpturale Objekte, die keine herkömmliche Funktion erfüllen, das Areal Graz-Reininghaus durch ihre spezielle Beschaffenheit in unverwechselbarer Weise prägen.
Städtische Akupunktur Wie bei einer Akupunktur lädt die gezielte Platzierung der Objekte das Areal mit Kraftfeldern auf, so dass sie zu Kristallisationskeimen der weiteren Stadtteilentwicklung werden. Jeder Leuchtturm ist für sich allein genommen als Orientierungspunkt und Attraktion charakteristisch. Entscheidend bei diesem Konzept ist jedoch das komplexe Netz an Beziehungen, das von der Vielheit der Leuchttürme aufgespannt wird: Das Netz gibt die Energiefelder für die weitere Gestaltung des Areals vor. Mit diesem Ansatz wird städtebauliches Neuland betreten: Am Anfang stehen freie Imaginationen, die allein einer offenen Zukunft verpflichtet sind. Als Leuchttürme im Areal verwirklicht dominieren sie durch ihre Originalität alle von Notwendigkeit, Funktionalität und Zweckgebundenheit bestimmten Maßnahmen im Werden des Stadtteils. Es sind damit Entwicklungslinien vorgezeichnet, deren städtische Struktur Graz-Reininghaus zu einem außergewöhnlichen Platz werden lässt.
Rodell 10 – Leuchttürme I 57
Zwei Wahrnehmungsebenen Die Leuchttürme wirken auf zwei ganz unterschiedlichen Wahrnehmungsebenen: einerseits als charakteristische „landmarks“ und andererseits als spirituelle Platzhalter. Materiell sind die Leuchttürme Zielpunkte für Spaziergänge, sind Aussichtswarten, Rückzugsräume. Die Leuchttürme werden auch besetzt, genutzt, belebt. Aus profanen Nutzungen und den ungewöhnlichen Baustrukturen entstehen eigenwillige Beziehungen. Gedanklich sind die Leuchttürme Wegweiser in die Zukunft. Jeder Leuchtturm für sich hat eine ganz eigene Philosophie, ein eigenes Konzept, einen individuellen Inhalt. Manche Leuchttürme sind begehbar, man steigt
hinauf und nutzt sie als Aussichtswarte; andere speichern das Regenwasser und geben es nur langsam wieder ab; wieder andere nutzen die Sonnenenergie, um damit in der Nacht Graz-Reininghaus zu beleuchten. Es gibt vielleicht den Turm des Windes, den Turm der Nacht, den Turm der Vögel, den immateriellen Turm. Die Leuchttürme sind neue Sakralbauten.
Monumente der Gründerzeit Später, wenn die Leuchttürme mitten im Gebäudemeer stehen, dienen sie als Orientierungspunkte in der Stadt, als unverkennbare Zeugen des ungewöhnlichen Stadtentwicklungsprozess in Graz-Reininghaus. Ihre Innenräume werden im verdichteten Stadtraum zu kostbaren Leerräumen.
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Raum der Leere Eine Stadtteilentwicklung, deren Anspruch auch in der Mitgestaltung der Zukunft liegt, kann die tradierten Weltanschauungen nicht nur hinnehmen. Sie muss auch einen geistigen Rückhalt bieten für Haltungen und Bestrebungen, die sich darüber hinaus bewegen. Anstelle von Repräsentations- und Zeremonienräumen etablierter Konfessionen wird ein Raum geschaffen, der jenes Prinzip vergegenwärtigt, von dem alle Anschauungen, Lehrgebäude und Kulte ausgehen: Der „Raum der Leere“ ist nicht bloß ein leerer Raum – er soll die Leere als Idee ins Bewusstsein rufen.
In einem kubischen Raum von geeigneten Dimensionen stehen vier große quadratische Rahmen. Ausgerichtet nach den vier Himmelsrichtungen stehen sich jeweils zwei Rahmen in großem Abstand gegenüber. Die Basisbalken der Rahmen befinden sich in Hüfthöhe. Die gedachten Verlängerungen der Basisbalken schneiden einander in den Eckpunktes eines imaginären Quadrates. Der Raum innerhalb dieser Figur wird nie betreten und bleibt stets frei. Aufenthalts- und Durchgangsbereich für Passanten und Besucher ist der Raum außerhalb des beschriebenen Quadrates
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Solare Strukturen So wünschenswert der Einsatz von PhotovoltaikElementen zur Energiegewinnung auch ist, in unseren Breiten ist deren Verwendung in großem Stil problematisch. Werden größere Landschaftsbereiche damit überbaut, verödet der darunter liegende Erdboden. Allein dieser Mangel legt es nahe, spezielle Strukturen zu entwerfen, die weit vom Erdboden abgehoben sind und frei in den Lichtraum ausgreifen. Über den beträchtlichen Energieertrag hinaus, den eine solche Struktur liefert – und zusätzlich zum ästhetischen Reiz als Schauobjekt – signalisiert sie weithin ein hohes Maß an ökologischem Bewusstsein.
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Grenze und Verbindung Idee Graz-Reininghaus wird optisch und räumlich vom restlichen Graz losgelöst: Eine erlebbare Grenze wird um das Areal gezogen. Die Alte Poststraße hingegen wird zum Symbol der Verbindung und stellt eine funktionale und räumliche Anknüpfung an die Umgebung her. So wird kommuniziert, dass Graz-Reininghaus autark von bestehenden Strukturen Gültigkeit hat und gleichzeitig die intensive, organische Verknüpfung mit seinem Umfeld sucht.
Rodell 11 – Grenze und Verbindung I 63
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Umsetzung Die äußeren Grundgrenzen von Graz-Reininghaus werden durch eine dichte Bewaldung räumlich vom restlichen Graz getrennt: Graz-Reininghaus als Lichtung in Graz. Ein Mischwald aus Föhren, Eichen und Buchen bildet den Kern der Begrünung. Der innere Verlauf der Begrenzung folgt einer klaren Linie, die durch einen Wasserlauf betont wird. Von der Lichtung aus betrachtet wirkt der Grüngürtel – vielleicht effektvoll beleuchtet bei Nacht – wie ein Vorhang. Nur durch diesen grünen Vorhang gelangt man nach Graz-Reininghaus. Alle Durchfahrtsstraßen werden unter dem Grüngürtel durchgeführt (dies bietet sich bei dem tiefer gelegten Kreisverkehr besonders an). So bleibt der Grüngürtel als geschlossener Ring erhalten. Die Alte Poststraße wird nicht mehr als Trennung, sondern als Lebensader für den neuen Stadtteil verstanden. 20.000 Fahrzeuge am Tag schaffen eine Öffentlichkeit, die ideal ist, um Botschaften in Graz abzusetzen. Die Durchfahrtsstraße wird also zu einer überdimensionalen Informationswand, zu einer durchlässigen Stadtkulisse, die auf wichtige Aktivitäten in Graz-Reininghaus aufmerksam macht. Wände begleiten dabei den Straßenverlauf in einem Wechselspiel aus Enge und Weite: Dieser Effekt bewirkt, dass die projizierten oder affichierten Motive besser ablesbar sind, gliedert den Straßenraum erkennbar und öffnet das Areal zur Alten Poststraße hin.
Wenn in Graz-Reininghaus ein Ereignis stattfindet (ein Event wie das Tennisturnier, ein wichtiger Meilenstein in der Stadtentwicklung), so kündigen die Informationswände diesen Höhepunkt schon lange im Vorhinein an. An den Veranstaltungstagen werden die Wände selektiv an den richtigen Stellen geöffnet, wie durch überdimensionale Tore werden damit Einblicke in das Areal freigegeben. Vorgelagerte Plätze sammeln das Publikum und laden es ein, Graz-Reininghaus zu betreten. Der Höhenverlauf der Straßenbegrenzung wirkt dabei bewusst der Perspektive entgegen: So entsteht ein raffiniertes Raumgefüge, das trotz der Vielfalt von Situationen einen geradlinigen, dynamischen Eindruck vermittelt.
Rodell 11 – Grenze und Verbindung I 65
Kommunikation Das Rodell kommuniziert auf zwei Ebenen: Es spricht ortsbezogene Passanten und interessierte Investoren gleichermaßen an. Die Grazer lernen Graz-Reininghaus über die ständig aktualisierten Informationswände kennen. Die temporär geöffneten Tore erzeugen eine bewusste Inszenierung des Ortes. Auf diese Art wird Graz-Reininghaus für die Grazer zum Inbegriff von Aktivität und Entwicklung. Investoren interessieren sich naturgemäß mehr für das Potenzial des Areals. Der Grüngürtel steckt die Dimensionen deutlich ab und macht unmissverständlich klar, dass Graz-Reininghaus als autarker, selbständiger Stadtteil entwickelt werden soll. Besonders imposant ist diese grüne Grenze aus der Luft. Im Überflug wird spürbar, welche Chancen dieser Standort hat: Äußerst nahe am Stadtzentrum, perfekt erschlossen mittels Individualverkehr, angebunden an öffentliche Nah- und Fernverkehrsnetze, groß genug für Ideen und doch ausreichend kompakt, um zügig umgesetzt zu werden.
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Bedeutungswandel Wenn Graz-Reininghaus später bebaut wird, bildet der Grüngürtel den bereits gut verwurzelten Naherholungsraum für seine Bewohner. Der Stadtteil wird räumlich verdichtet auf der Lichtung realisiert.
Der Grüngürtel ändert nach und nach seine Aufgabe: Als Rodell ist er Zeichen für die exterritoriale Konzeption von Graz-Reininghaus, wandelt im Laufe der Entwicklung seine Bedeutung und wird zum selbstverständlichen Verbindungsglied mit der Umgebung. Aus der ursprünglichen Inszenierung wird ein unglaublicher Grünraum mitten in der Stadt: Läufer und Spaziergänger können kilometerlang ihre Runden drehen, ohne eine Straße zu überqueren; vom gesamten Grundstück aus ist man mit wenigen Schritten in einem riesigen Wald; und die intensive ringförmige Begrünung hat positive Auswirkungen auf das Mikroklima von GrazReininghaus.
Nächste Schritte I 69
Nächste Schritte
Die Präsentation der Rodelle beendet eine klar definierte Arbeitsphase der Planungsgruppe und des gesamten Entwicklungsprozesses. Dieser Abschnitt mündet in drei Arbeitsbereichen; diese lassen sich organisatorisch unabhängig voneinander betreiben, sollten jedoch inhaltlich gut abgestimmt sein.
Je nach Art und Umfang des Rodells und abhängig vom festgelegtem Zeitplan wird die beste Organisations- und Umsetzungsform gesucht und beauftragt. Bereits mit Beginn der Machbarkeitsanalyse sollte dieser Teilprozess mit den Arbeiten am Stadtmodell und der externen Projektkommunikation eng vernetzt werden.
Vom Konzept zum realen Rodell
Das Stadtmodell Graz-Reininghaus entwickeln
Die vorgestellten Rodelle verkörpern gleichsam Reinformen der konzeptionellen Überlegungen. Das bedingt, dass jeder Vorschlag spezifische Stärken aber auch Lücken aufweist. Daher ist es möglich, denkbar und wünschenswert, einzelne Rodelle – oder auch nur Gedankensplitter daraus – mit anderen zu überlagern. So kann beinahe jeder Vorschlag für sich alleine umgesetzt oder auch zusammen mit anderen realisiert werden.
Das Stadtmodell wird weitgehend unabhängig vom Rodell erdacht und konzipiert. Dieser Schritt ist ungleich komplexer als die Arbeit am Rodell. Man muss sich – in Form rein interner Realisierungsexperimente – ins Konkrete vorwagen, aus Schwierigkeiten bei der gedachten Verdinglichung lernen, ins Abstrakte zurückgehen. Dieses Pendeln zwischen Konzeption, Erprobung und Verwerfen wird so lange durchgehalten, bis glaubwürdige Ver-Räumlichungen für alle relevanten Ansprüche an das Stadtmodell Graz-Reininghaus gefunden sind.
Um größere Sicherheit für die Rodell-Entscheidung zu erhalten, wird es notwendig sein, Rodelle, die in die engere Wahl kommen, mit Präzision auszuarbeiten. Die Machbarkeit der Rodelle innerhalb des vorgegebenen zeitlichen und finanziellen Rahmens ist ebenso abzuklären wie technische Details und die längerfristigen Auswirkungen der Rodell-Vorschläge. Die kommunikativen Bedürfnisse für internationale Plattformen und die pre-sales-Phase werden die Entscheidung ebenfalls beeinflussen. Alle Überlegungen werden am leichthin formulierten, aber sehr ambitionierten Anspruch gemessen: „Graz – Graz-Reininghaus auf die internationale Landkarte bringen“.
Es gilt, aus den entwickelten Begriffsgeflechten – auch denen des IFMG – schrittweise umsetzbare, materialisierbare Handlungsanleitungen für die Stadtentwicklung herauszuschälen und diese an den Ansprüchen der Investoren zu schärfen. Die Resultate sind dann in Form von Axiomen, Planungsprinzipien und Prozessbeschreibungen dergestalt zu dokumentieren, dass sie als Verkaufsinstrument gegenüber Investoren Bestand haben und gleichzeitig die künftig Prozessbeteiligten in dem engen, selbst gewählten Korridor zu halten vermögen.
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Die Stadtplanung beginnen
Fazit
Parallel dazu dürfen die stadtplanerischen Agenden nicht vernachlässigt werden, einzelne Aspekte verlangen sogar eine aktive Steuerung. Einerseits dauern manche Planungen und Entscheidungen (im Speziellen solche mit überörtlicher Bedeutung) sehr lange und andererseits stehen ganz konkrete Entscheidungen an, die keine Rücksicht auf die mittel- und langfristige Ausrichtung des Stadtmodells nehmen.
Diese drei Arbeitsebenen sind in ihren Anforderungen sehr unterschiedlich, jeder einzelne Teilbereich ist aber unverzichtbar. Und sie haben alle ein klares Ziel: Das vorhandene Moment mitzunehmen, es weiter aufzubauen und einen friktionsfreien, immer gut gesteuerten Prozess sicherzustellen, damit Graz-Reininghaus in allen Entwicklungsschritten den großen Erwartungen gerecht wird.
Beispielhaft seien hier genannt: - Infrastrukturelle Versorgung am Areal (Strom, Heizung, Wasser, Abwasser und dgl.) - Anknüpfung an die überrangige technische Infrastruktur mit eventuell erforderlichem Leitungs- und Kapazitätsausbau - Übergeordnete Verkehrsplanung (MIV, ÖPNV) - Flächendwidmungsplanung - Einbindung in das Stadtentwicklungskonzept - Eventuelle Ausmietungen sowie Grundstückskauf und –verkauf - Klimaforschungen
Inspirationsquellen I 71
Inspirationsquellen
Bücher L. Benevolo / B. Albrecht Grenzen. Topographie, Geschichte, Architektur Campus Verlag, Frankfurt/Main 1995 La Biennale di Venezia (Hrsg.) Cities, Architecture and Society Marsilio, Venezia 2006 Richard Sennett Der flexible Mensch – Die Kultur des neuen Kapitalismus Berlin Verlag, Berlin 2002 Italo Calvino Die unsichtbaren Städte Hanser, München 1984 R. Venturi / D.S. Brown / S. Izenour Lernen von Las Vegas: Zur Ikonographie und Architektursymbolik der Geschäftsstadt Birkhäuser Verlag, Basel 2000 Christian Mikunda Der verbotene Ort. Oder: Die inszenierte Verführung Redline Wirtschaft bei Ueberreuter, 2002 Jacques Le Goff Die Liebe zur Stadt. Eine Erkundung vom Mittelalter bis zur Jahrtausendwende Campus Sachbuch, Frankfurt 1998
Michael E. Porter Wettbewerb und Strategie Econ Verlag, München 1999 G. Hamel / C. K. Prahalad Wettlauf um die Zukunft Carl Ueberreuter Verlag, Wien 1997 Robert A. Wilson Der neue Prometheus RoRoRo, Hamburg 1999 Jane Amidon Landschaftsdesign DVA, München 2001 Guy Cooper Gärten für morgen. Entwürfe für das 21. Jahrhundert Ulmer Verlag, Stuttgart 2000 Michael Spens Modern Landscape Phaidon Press, London 2003 Bund Deutscher Landschaftsarchitekten (Hrsg.) Event Landschaft? Event Landscape? Birkhäuser Verlag, Basel 2003 Garten + Landschaft (Hrsg.) Urban Design 1 – Standpunkte und Projekte Callwey Verlag, München 2006
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E. Urban-Reininghaus / G. Smola 100 Jahre Brüder Reininghaus. Gedenkblätter Styria, Graz 1953 Gaston Bachelard Poetik des Raumes Fischer Taschenbuchverlag, Frankfurt/Main 2001 Andy Goldsworthy Holz Zweitausendundeins, Frankfurt/Main 1996 Kunsthaus Graz (Hrsg.) M Stadt. Europäische Stadtlandschaften Verlag d. Buchhandlung Walther König, Köln 2005 H. Häußermann / W. Siebel Neue Urbanität Suhrkamp, Frankfurt/Main 1987 E. Hubeli / S. Hauser 100 % Stadt. Abschied vom Nicht-Städtischen Haus der Architektur Graz, Graz 2003 Yann A. Bertrand Die Erde von oben: ein Jahrhundert-Projekt Gruner + Jahr, Hamburg 1999 J. Apt / M. Helfert / J. Wilkinson Orbit: Die Erde in spektakulären Fotographien der NASA-Astronauten Steiger, Augsburg 1997
Kunst Gerhard Brandl „Re“ - Projekt zur „Zurückgewinnung von Welt“ Andre Heller Himmelszeichen (dokumentiert bei: Heyne Verlag, München 1986) Yves Klein Corps, couleur, immatériel Ausstellung im Centre Pompidou, Paris
Reisen und Städte Mexiko Stadt, Mexiko Ho-Chi-Minh-Stadt (Saigon), Vietnam Sana’a (Sana), Jemen
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M채rz 2007 Herausgeber Asset One AG www.asset-one.at www.graz-reininghaus.com Planungsgruppe Ernst Giselbrecht + Partner architektur zt gmbh, Graz Ernst Giselbrecht Bernhard Scherrer kleboth lindinger partners, Linz Andreas Kleboth Klaus Lindinger Barbara Ranetbauer Thomas Schwarz 3-D Modelle: architexture, Ralph Sobetz Monsberger Gartenarchitektur, Graz / Gleisdorf Gertraud Monsberger Hermann Simnacher, Teresa Wolf Helmut Reinisch, Graz Hartmut Skerbisch, Ilz
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