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CITÉ DE L’AUTOMOBILE

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ALFA ROMEO: TONALE

ALFA ROMEO: TONALE

Wie die größte Bugatti-Sammlung zurück nach Frankreich gelang

Text & Fotos: David Gulick ∙ Bugatti

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Seine Liebe zu Bugatti war so groß, dass Fritz Schlumpf möglichst viele dieser seltenen Fahrzeuge besitzen wollte – eine Obsession, von der wir hier anlässlich der Sonderausstellung Bugatti zur RETRO CLASSICS® Stuttgart berichten. Er hat die umfangreichste Sammlung an Bugatti-Fahrzeugen aufgebaut.

Die „Cité de l’Automobile – Musée National – Collection Schlumpf“ („Die Stadt des Automobils – Nationalmuseum – Sammlung Schlumpf“) ist mit einer Ausstellungsfläche von 25.000 Quadratmetern, davon 17.000 in einer einzigen riesigen Halle, das wohl größte Automobilmuseum der Welt. Der Grundstock des Museums besteht aus rund 400 Oldtimern, überwiegend aus der Frühphase der Automobilzeit bis in die 1930er-Jahre, die von den Gebrüdern Fritz und Hans Schlumpf gesammelt wurden. Die beiden Schlumpf-Brüder waren ehemals die bedeutendsten Textilfabrikanten des Elsass. Ihren Reichtum ruinierten sie sich durch ihre Sammelleidenschaft speziell von sündhaft teuren BugattiOldtimern. Für etliche Exponate aus dem Museum wurden bereits Gebote von bis zu 30 Millionen Euro abgegeben. Inzwischen zählt die Sammlung einschließlich ihrer noch in den Depots befindlichen Fahrzeuge zum französischen Kulturgut und diese sind daher unverkäuflich.

Bei der Cité de l’Automobile handelt sich um ein einzigartiges und eindrucksvolles Ensemble, das dem Automobil von seinen ersten Anfängen bis zur heutigen Zeit huldigt. Im Vordergrund stehen dabei die prestigeträchtigsten Automobile der Welt – wie die 123 Fahrzeuge der Bugatti-Sammlung der Gebrüder Schlumpf mit dem persönlichen Bugatti Royale von Ettore Bugatti. Und so ist es nicht verwunderlich, wenn Bugatti und Schlumpf in einem Atemzug genannt werden. Das ist etwas ganz anderes als wenn man über Bugatti und Rimac spricht. Es ist vielleicht so etwas wie der „heilige Gral“ der Automobilgeschichte. Die Passion beginnt, als Fritz Schlumpf mit gerade 22 Jahren im Jahre 1928 seinen ersten Bugatti kauft und damit bei Autorennen mitfährt. Der Auto-Enthusiast hält fortan den Kontakt zum Elsässer Unternehmen Bugatti, auch wenn seine Sammelleidenschaft erst ab 1961 richtig ausbricht.

Schlumpf arbeitet als Makler für Wolle, 1929 steigt sein zwei Jahre älterer Bruder Hans mit ins TextilUnternehmen ein. 1935 gründen sie Société Anonyme pour l'Industrie Lainière (SAIL), eine Aktiengesellschaft, die mit Wolle handelt. Die Brüder kaufen nach Kriegsende mehrere Fabriken und Spinnereien im Elsass auf, bis sie die Textilindustrie im Osten Frankreichs fast völlig dominieren. 1957 erwerben sie im elsässischen Mulhouse eine stillgelegte Wollmanufaktur, um dort ihr eigenes Automobilmuseum zu errichten: zu Ehren ihrer geliebten Mutter und Ettore Bugattis, aber vor allem für Fritz Schlumpf selbst. Denn das Sammeln von Bugatti-Fahrzeugen ist bei Fritz Schlumpf längst zur Obsession geworden. Ab 1961 erwirbt er viele klassische Fahrzeuge und steigt damit zum bedeutendsten Bugatti-Sammler auf.

Schlumpf kontaktiert weltweit Bugatti-Besitzer Um das zu erreichen schreibt Schlumpf Anfang der 1960er-Jahre Bugatti-Besitzer weltweit an. Die Adressen erhält er aus einem Register von Hugh Conway aus dem britischen Bugatti Owners Club, der ihm 1962 einen Kontakt zum amerikanischen Sammler John W. Shakespeare aus Hoffman, Illinois, herstellt. Shakespeare widmet sich schon seit den 1950er-Jahren Bugatti-Fahrzeugen, sein erstes Auto war ein Bugatti Type 55 von 1932, dazu kamen ein Type 41 Royale Park Ward, das dritte und letzte Kundenfahrzeug, zwölf Type 57, drei Type 55 sowie Ettore Bugattis persönliches Elektro-Auto Type 56 von 1931. Insgesamt besitzt Shakespeare mit etwa 30 Bugatti-Fahrzeugen die damals größte BugattiSammlung weltweit.

Schlumpf muss diese Autos einfach haben! Er bietet Shakespeare pauschal 70.000 US-Dollar an. Der fordert mindestens 105.000 Dollar, worauf Schlumpf 1963 die Sammlung von dem Bugatti-Kenner Bob Shaw aus Illinois prüfen lässt. Der kommt zu einer wenig schmeichelhaften Einschätzung: „Die meisten Autos befinden sich in einem Teil des Gebäudes mit einem schmutzigen Boden, zerbrochenen Fenstern, undichtem Dach und nistenden Vögeln. Jedes Auto ist in irgendeinem Zustand der Demontage und seit mindestens 18 Monaten ist keines von ihnen gelaufen.“ Shaw rät vom Kauf ab, doch Schlumpf hat sich in die Verhandlung verbissen, bietet nun 80.000 Dollar für alle Fahrzeuge. Nach zähen Verhandlungen sowie gegenseitigen Drohungen und Erpressungen, einigen sich Schlumpf und Shakespeare ein Jahr später auf die Kaufsumme von 85.000 Dollar (aktuell etwa 720.000 Dollar) inklusive dem Transport nach Frankreich. Aus heutiger Sicht ein mehr als gutes Geschäft – ein wahres Schnäppchen geradezu.

SCHON IMMER GEFRAGT, WIE MILLIONEN AN EURO’S IN BUGATTIS AUSSEHEN?

Seine Liebe zu Bugatti war so groß, dass Fritz Schlumpf möglichst viele Bugattis besitzen wollte – er holte 30 Fahrzeuge aus den USA zurück.

Am 30. März 1964 verlassen die 30 Bugatti-Fahrzeuge Illinois auf einem Zug der Southern Railway Richtung New Orleans, um dort auf ein niederländisches Frachtschiff verladen zu werden. Ein Foto zeigt den offenen Zug mit den vielen seltenen Fahrzeugen. Wenige Wochen später erreicht der Frachter den französischen Hafen Le Havre, wo Fritz Schlumpf seinen Schatz entgegennimmt. Damit ist er seinem Ziel, der größte Bugatti-Sammler zu werden, ein Riesenstück näher gekommen. Erst 1965 machen die Schlumpf-Brüder ihre Sammlung durch einen kleinen Pressebericht öffentlich – und die Idee eines Museums entsteht. Doch offiziell eröffnet wird es von Fritz Schlumpf nie. Auch hält die Freude über die schönen Autos nur wenige Jahre an, denn die Brüder Schlumpf haben wenig Gelegenheit, ihre einzigartige Autosammlung zu genießen: Großflächige Streiks, die ihre fragwürdigen Geschäftspraktiken kritisieren, und der Niedergang der französischen Textilindustrie in den 1970erJahren veranlassen sie zur Flucht in die Schweiz. Die Geschichte der verblüfften Arbeiter, die 1977 den heimlich angehäuften Schatz finden, geht in die Automobilgeschichte ein.

Geblieben sind die exklusiven Fahrzeuge in einer außergewöhnlichen und einzigartigen Ausstellung: Mitten im Elsass, in Mülhausen, befindet sich heute die größte Automobilausstellung der Welt: die „Cité de L´Automobile – Nationalmuseum – Collection Schlumpf“, die Sammlung Schlumpf. Auf über 25.000 Quadratmetern stehen 400 der wertvollsten, prachtvollsten und seltensten Autos der Welt – darunter rund 100 Bugatti-Modelle, wie zwei der nur sechs gebauten Bugatti Type 41 Royale. Eines davon ist das ehemalige Shakespeare-Fahrzeug mit der Karosserie Park Ward. Andere Modelle der 30 Fahrzeuge parken im unrestaurierten Originalzustand im Mullin Automotive Automobile Museum in Oxnard in Kalifornien. Dort, dauerhaft im Elsass und aktuell auf der RETRO CLASSICS® Stuttgart, können die Besucher diese besonderen Automobile bewundern.

DIE SAMMLUNG IST ALS „MONUMENT HISTORIQUE“ EINGESTUFT.

BUGATTI SONDERSCHAU RETRO CLASSICS® Stuttgart 2022

DER „KÖNIGLICHE“ BUGATTI

BUGATTI · SONDERSCHAU

Er macht seinen hohen Anspruch bereits im Namen deutlich: Ein Wagen für Könige sollte er sein, ein luxuriöses Fahrvergnügen für alle, die sich einen „Bugatti Royale“ leisten konnten –vorausgesetzt, man erhielt dazu den Segen seines Schöpfers, denn der exzentrische Ettore Bugatti verkaufte nicht an jeden.

Die sündhaft teure Edelkarosse, die RollsRoyce, Mercedes-Benz oder Cadillac scharfe Konkurrenz machen sollte, wurde von 1926 an ganze sechs Mal gebaut, und der „Royale“ – offiziell: Typ 41 – geriet zu einem legendären Flop der Automobilgeschichte. Auf der Stuttgarter RETRO CLASSICS® 2022 steht der seltene Klassiker im Fokus einer Sonderschau (L-Bank-Forum/Halle 1, Stand Nr. G11) Die Faszination für Konstrukteur und Marke geht freilich weit über schnöde Verkaufszahlen hinaus. „Ettore Bugatti war ein Genie“, sagt Bernard Jaeggy, Ehrenpräsident des Internationalen Vereins der Museumsfreunde des Museums Schlumpf in Mulhouse und Organisator der Bugatti-Sonderschau, die einige besonders kostbare Exemplare aus dem Museumsbestand zeigt. „Sein erstes Auto hat er mit nicht einmal 20 Jahren in einer kleinen Garage bei seinen Eltern gebaut. Für ihn waren Autos nicht nur vier Räder zum Fahren. Sie mussten auch schön sein. So entstanden prachtvolle, teure Automobile, die während der Weltwirtschaftskrise jedoch nur sehr schwer zu verkaufen waren.“ Wer dennoch einen bestellte, durfte durchaus Sonderwünsche äußern. Jaeggy erzählt: „Der grüne Bugatti Royale-Roadster Armand Esders etwa wurde für einen Textilfabrikanten entworfen, dem jedoch die Frontscheinwerfer optisch nicht gefielen. Da Esders ohnehin nicht bei Nacht fuhr, konnte man sie abnehmen und im Heck unterbringen. Als Prachtstück der Sonderschau auf der RETRO CLASSICS® ist eine vollständig aus Originalbauteilen erstellte Rekonstruktion dieses Fahrzeugs zu sehen, mit der die Brüder Fritz und Hans Schlumpf noch persönlich begannen und die später durch das Museum Schlumpf vollendet wurde. Da man auf einem Original-Fahrgestell aufbauen konnte, handelt es sich sozusagen um den ‚siebten‘ Bugatti Royale.“ Weitere Exponate sind ein 16-Zylinder-Wagen Typ 45, von dem 1930 lediglich zwei Exemplare entstanden (heute beide im Besitz der Collection Schlumpf), sowie ein Typ 35C aus dem Jahre 1929.

BUGATTI · SONDERSCHAU

RETRO CLASSICS® Stuttgart 2022 21. BIS 24. APRIL 2022 HALLE 1, STAND NR. G11

Weitere Informationen unter: www.retro-classics.de www.musee-automobile.fr

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