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RIESENZELLARTERIITIS
Steroideinsparung mit Secukinumab, Baricitinib und Tocilizumab im Fokus
Bei Patienten mit Riesenzellarteriitis (RZA) bilden Glukokortikoide (GK) die Basis des Therapiemanagements, zur Vermeidung langfristiger Nebenwirkungen oder im Falle von Rezidiven bedarf es steroidsparender Medikamente. Empfohlen werden hierfür Methotrexat und vermehrt – als Konsequenz aus der GiACTA-Studie – der Interleukin (IL)-6-Rezeptorinhibitor Tocilizumab. Der Versuch, mit diesem fast gänzlich auf GK zu verzichten, hat in der GUSTO-Studie nur bedingt funktioniert. Da zumindest in den ersten 8 Wochen GK unverzichtbar scheinen, haben US-amerikanische Experten ein solches Regime plus Tocilizumab mit gutem Erfolg in einer Pilotstudie eingesetzt. Zunächst seien jedoch die Studiendaten zu neuen steroidsparenden Medikamenten präsentiert: dem IL-17A-Inhibitor Secukinumab und Janukinase (JAK)-Inhibitor Baricitinib.
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Nachdem erste Versuche mit dem IL-12/23-Hemmer Ustekinumab bei RZA durchaus positive Ergebnisse erbrachten, aber auch nicht ganz konklusiv waren, führten jetzt deutsche Rheumatologen um Nils Venhoff , Freiburg, eine erste randomisierte, doppelblinde, placebokontrollierte Phase-II-Parallelgruppenstudie namens TitAIN zur Effektivität und Sicherheit des IL-17A-Inhibitors Secukinumab durch – auch vor dem Hintergrund dessen relativ guter Verträglichkeit in den zugelassenen Indikationen Plaque-Psoriasis, Psoriasis-Arthritis und axiale Spondyloarthritis.
Erfolgreiche Phase-II-Studie zu Secukinumab vorgestellt
In die Proof-of-concept-Studie wurden 52 Patienten in einem Alter ≥50 Jahre mit de-novo (diagnostiziert innerhalb von 6 Wochen vor Baseline) oder rezidivierender (diagnostiziert >6 Wochen vor Baseline) RZA eingeschlossen, die noch Biologika-naiv waren. Es erfolgte im Verhältnis 1:1 eine Randomisierung auf Secukinumab 300 mg (n=27) oder Placebo (n=25) zu Beginn wöchentlich (5 Dosen) und danach alle 4 Wochen bis Woche 48 (letzte Dosis) – jeweils in Kombination mit einem 26-wöchigen Prednisolon-Tapering ab Baseline. Primärer Endpunkt war der Anteil von Patienten in anhaltender Remission bis Woche 28 (mit Non-Responder Imputation, NRI). Wichtige sekundäre Endpunkte waren der Anteil von Patienten mit einer anhaltenden Remission bis Woche 52 (NRI) sowie die Zeit bis zum ersten Rezidiv.
Insgesamt 71,2 % (n=37) der Patienten schlossen die Studie ab, unter Secukinumab waren es 81,5 %, unter Placebo nur 60,0 %. Von den Teilnehmern hatten die meisten (80,8 %) eine de-novo RZA, lediglich 19,2 % wiesen zu Baseline eine rezidivierende Erkrankung auf. Der Anteil (posteriorer Median mit 95%-Glaubwürdigkeitsintervall) von RZA-Patienten in einer anhaltenden Remission bis Woche 28 (primärer Endpunkt) war unter Secukinumab im Vergleich zu Placebo deutlich höher mit 70,1 vs. 20,3 % (Odds ratio, OR 9,31; 3,54-26,29), gleiches galt für den sekundären Endpunkt, das Erreichen einer anhaltenden Remission bis Woche 52 mit 59,3 vs. 8,0 % (Abb.). Die mediane Zeit bis zum ersten Rezidiv ab Baseline wurde für Secukinumab nicht erreicht und betrug 197 Tage unter Placebo. Unerwünschte Ereignisse (UE) waren ähnlich verteilt, schwere UE waren unter Secukinumab sogar seltener (100 vs. 96 % bzw. 22 vs. 44 % der Patienten). In beiden Gruppen gab es je einen Todesfall (nicht therapieassoziiert) und je zwei Patienten, die infolge UE die Therapie abbrachen. Es wurden keine neuen Sicherheitssignale verzeichnet.
Fazit: Secukinumab führte zu einer höheren Rate anhaltender Remission und längeren Zeit bis zu einem ersten Rezidiv über 52 Wochen, sodass dessen weitere Entwicklung in Kombination mit einem 26-wöchigen GK-Tapering in dieser Indikation wohl vielversprechend wäre. (1)
Anteil von Patienten (%) 80
70
60
50
40
30
20
10
0 70,1
20,3
Woche 28 Secukinumab (n=27) Placebo (n=25)
59,3
8,0
Woche 52
Auch bei der JAK-Inhibition liegt eine gute Wirksamkeit bei RZA nahe, wenn man bedenkt, dass der Nutzen der IL-6-Inhibition in dieser Indikation überzeugend nachgewiesen wurde und der Granulozyten-Makrophagen-Kolonie-stimulierender
Faktor (GM-CSF)-Rezeptor-α-Inhibitor Mavrilimumab kürzlich in einer Phase-II-Studie ebenfalls gute Ergebnisse bei RZA lieferte. JAK-1-Inhibitoren decken u. a. sowohl IL-6 als auch GM-CSF ab, eine große Phase-III-Studie mit 420 Patienten zu Upadacitinb läuft derzeit, mit ersten Daten ist aber wohl erst 2023 zu rechnen.
Derweil stellten auf dem ACR Convergence US-amerikanische Rheumatologen um Matthew Koster, Rochester, eine prospektive, monozentrische Open-label-Pilotstudie zu dem JAK-1/2Hemmer Baricitinib in einer Dosierung von 4 mg/Tag vor. In die Studie gingen 15 RZA-Patienten ein (73 % Frauen, mittleres Alter 72 Jahre, mediane Krankheitsdauer 9 Monate, mit median einem Rezidiv; 100 % waren GK-vorbehandelt, 13 % mit Methotrexat und je 7 % mit Cyclophosphamid und Sirukumab). Bei 27 % betrug die Prednison-Dosis zu Baseline 30 mg/Tag, bei 40 % 20 mg/Tag und bei 33 % 10 mg/Tag. 14 Patienten schlossen die 52-wöchige Studie mit Baricitinib ab. Primärer Endpunkt war die Rate aller und schwerer UE bis Woche 52, sekundäre Endpunkte waren Rezidive bis Woche 24 bzw. 52 sowie der Verlauf der ESR- und CRP-Werte und der GK-Dosis ab Baseline.
Bei 93 % der Patienten kam es zu mindestens einem UE, meistens handelte es sich um Infektionen (bei 86 %). Zwei Patienten hatten eine COVID-19-Infektion, die aber jeweils mild verlief. Nur in einem Fall trat ein schweres UE auf (transiente Thrombozytopenie; nicht Baricitinib-bedingt). ESR und CRP nahmen signifikant bis Woche 24 und 52 ab. Nur bei einem von 14 Patienten (7 %) kam es zu einem Rezidiv, bei den übrigen 13 gelang ein vollständiges Absetzen des GK und sie blieben bis 52 Woche in Remission. Nach Beendigung der Studie (und dem Absetzen von Baricitinib) kam es in einer 12-wöchigen Follow-up-Periode bei 4 Patienten (29 %) zu einem Rezidiv. Unter Berücksichtigung der geringen Fallzahlen sind die Ergebnisse positiv zu werten: Bei gutem Sicherheitsprofil gelang bei Patienten mit refraktärer RZA mit Baricitinib 4 mg/Tag fast durchweg ein Absetzen des GK verbunden mit einer anhaltenden Remission. Eine größere randomisierte, kontrollierte Studie wäre auch hier wünschenswert. (2)
Gute Daten für Tocilizumab plus 8 Wochen Prednison
Nachdem in der GUSTO-Studie eine zu kurze Hochdosis-GKTherapie (für 3-4 Tage) plus Tocilizumab nicht in ausreichend hohen Remissionsraten mündete, versuchten es Mark Matza, Boston (USA), und Kollegen mit einem weniger „radikalen“ Ansatz und untersuchten, ob sich die GK-Exposition von üblicherweise 6 Monaten in Kombination mit Tocilizumab auf 2 Monate reduzieren lässt. In die prospektive, einarmige Openlabel-Studie wurden 30 Patienten mit aktiver RZA (im Mittel 74 Jahre, 60 % Frauen, 57 % de-novo, bei 77 bzw. 47 % Nachweis durch Biopsie oder Bildgebung, ESR 50,3 mm/h, CRP 53,2 mg/l) eingeschlossen. Als aktive Erkrankung zählten innerhalb von 6 Wochen ab Baseline therapiebedürftige kranielle oder Polymyalgia rheumatica-Symptome. Alle Patienten erhielten Tocilizumab s.c. 162 mg/Woche sowie ein 8-wöchiges Prednison-Tapering ausgehend von 20 bis 60 mg/Tag. Der primäre Endpunkt, eine anhaltende Prednison-freie Remission war definiert als kein Rezidiv (erneute Symptome, die unabhängig von ESR/CRP eine Therapieintensivierung erfordern) ab der Remissionsinduktion bis Woche 52 bei protokollgerechtem Prednison-Tapering.
Von den bislang 22 Patienten, die die Studie abgeschlossen haben, erreichten alle eine Remission innerhalb von 4 Wochen. Den primären Endpunkt erreichten 82 % der Patienten (n=18). Die mittlere kumulative GK-Dosis bei diesen 18 Patienten betrug 1.037 mg. Nach im Mittel 20,5 Wochen war es bei 4 Patienten (18 %) zu einem Rezidiv gekommen – in allen Fällen nach abgeschlossenem Prednison-Tapering. Bei gleichfalls 18 % der Teilnehmer kam es zu einem schweren UE, nicht aber zu einem Visusverlust.
Die finale Analyse bleibt noch abzuwarten, die vorläufigen Daten deuten aber an, dass die Kombination aus wöchentlicher Tocilizumab-Gabe für 12 Monate in Kombination mit einem 8-wöchigen Prednison-Tapering (also so lange, bis der volle Wirkspiegel der IL-6-Inhibition erreicht ist) effektiv genug für eine andauernde Remission bei vielen RZA-Patienten sein könnte. Ein derartiges Protokoll wäre aber gleichfalls zunächst in einer größeren randomisierten, kontrollierten Studie zu evaluieren. (3) m
Quellen:
1 ACR Convergence 2021: Abstr. L19 2 Arthritis Rheumatol 2021; 73 (Suppl 10): Abstr. 1396 3 Arthritis Rheumatol 2021; 73 (Suppl 10): Abstr. 1413
VASKULITIDEN
Gemeinsame ACR/EULAR-Klassifikationskriterien enthüllt
Im Rahmen des ACR Convergence 2021 wurde das von ACR und EULAR getragene Update der Klassifikationskriterien für fünf Groß- und Kleingefäßvaskulitiden vorgestellt – nicht zuletzt Fortschritte in der diagnostischen Bildgebung hatten eine Überarbeitung unumgänglich gemacht. Auf einer eigenen Session stellte zunächst Peter Grayson, Bethesda (USA), die Klassifikationskriterien für Riesenzell- (RZA) und Takayasu-Arteriitis (TA) vor, Raashid Luqmani, Oxford (Großbritannien), präsentierte im Anschluss die neuen Klassifikationskriterien für die ANCA-assoziierten Vaskulitiden (AAV): Granulomatose mit Polyangiitis (GPA), mikroskopische Polyangiitis (MPA) und eosinophile Granulomatose mit Polyangiitis (EGPA).
Riesenzellarteriitis und Takayasu-Arteriitis
Ganz beträchtlich – die letzten ACR-Klassifikationskriterien wurden 1990 publiziert – war angesichts der Verfügbarkeit moderner Bildgebungsverfahren (Ultraschall, Angiografie, PET) der Bedarf für eine Überarbeitung bei der RZA. Die neuen Klassifikationskriterien wurden auf Basis von 2.068 Patienten und über 1.000 Datenelementen von einem internationalen Expertenpanel entwickelt. Explizit handelt es sich um Klassifikations- und nicht Diagnosekriterien – die Diagnose sollte deren Anwendung vorausgehen.
Das Schlüsselkriterium für RZA ist ein Alter ≥50 Jahre zum Zeitpunkt der Diagnosestellung. Zusätzliche klinische Kriterien werden mit einem Punktesystem gewichtet, dazu zählen Morgensteifigkeit (Kopf oder Nacken), plötzlicher Visusverlust und Claudicatio (Kiefer oder Zunge). Mit in den Algorithmus fließen zudem Labor-, Bildgebungs- oder Biopsie-Befunde ein, so die ESR- und CRP-Cut-off-Spiegel und bildgebende Befunde zur Temporalarterie und einer bilateralen Beteiligung der Arteria axillaris. Ausgehend von diesen 10 Items wurde ein Punktwert ≥6 für die Klassifikation als RZA festgelegt.
Für die TA wurde als primäres Kriterium ein Alter von 60 Jahren oder niedriger und mit bildgebendem Nachweis einer Vaskulitis definiert. Klinische Einzelkriterien sind weibliches Geschlecht, Angina oder ischämische Herzschmerzen, Claudicatio (Arm oder Bein) oder Gefäßgeräusche. Zusätzlich werden die Anzahl betroffener Arterien, eine symmetrische aortale und abdominale Aortenbeteiligung ins Kalkül gezogen. In diesem Fall reichen bei den wiederum 10 einzelnen Items ≥5 Punkte für die Klassifizierung als TA aus.
ANCA-assoziierte Vasulitiden
Besonders bemerkenswert sind die neuen Kriterien für die Kleingefäßvaskulitiden, die auf Basis der Daten von 4.994 Vaskulitis-Patienten (und 1.997 Vergleichspersonen) in weltweit 136 Zentren in der bis dato größten Vaskulitis-Studie gesammelt wurden. Zwar kommt auch bei GPA, MPA und EGPA ein Punktesystem zum Tragen, im Unterschied zur RZA und TA wurden hier aber positive und negative Kriterien definiert, die eine Klassifizierung entweder wahrscheinlicher (Pluspunkte) oder unwahrscheinlicher (Minuspunkte) machen.
In puncto GPA ist das Vorliegen von PR3-ANCA das stärkste Positivkriterium, gefolgt von nasalen Symptomen. Lungenknötchen, Knorpelbeteiligung, Granulome (in Biopsie) und Hörverlust sprechen ebenfalls für die Klassifikation als GPA, während umgekehrt eine Eosinophilie oder das Vorliegen von MPO-ANCA als Negativkriterien gegen eine GPA sprechen.
Hingegen ist der Nachweis von MPO-ANCA das stärkste Kriterium für eine Klassifizierung als MPA. Weitere Positivkriterien sind in diesem Fall eine pauci-immune Nephritis in der Biopsie und eine interstitielle Lungenerkrankung (ILD) oder Lungenfibrose, während Eosinophilie, PR3-ANCA und nasale Symptome als Negativkriterien definiert wurden.
Im Hinblick auf die EGPA bringt die Eosinophilie die meisten Punkte für eine entsprechende Klassifizierung ein, gefolgt von Asthma und Nasenpolypen. Positivkriterien für EGPA sind ferner der Nachweis von Eosinophilen in der Biospie und eine Mononeuritis. Vice versa sprechen der Nachweis von PR3ANCA und einer mikroskopischen Hämaturie gegen eine Klassifikation als EGPA. Bei GPA, MPA und EGPA muss bei jeweils 10 Einzelitems ein Punktewert von ≥5 für die jeweilige Klassifizierung erreicht werden. Auch hier wird – analog zu den vorgenannten Vaskulitis-Formen – die vorherige Diagnose einer Klein- (oder auch Mittel-)gefäßvaskulitis für die Anwendung der neuen Klassifikationskriterien vorausgesetzt. m