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Vielfalt statt ein Einfalt

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Vielfalt statt Einfalt

Immer, wenn ich in meine alte Heimatstadt Berlin zurückkehre, finde ich meinen Aufenthalt dort zu gleichen Teilen anziehend wie abstoßend. Die Stadt ist dreckig, laut, unglaublich stressig und wird immer voller. Berlin hat aber auch viel zu bieten: Freunde und Familie, Orte, die mir vertraut sind, ein Nahverkehrsnetz, bei dem ich auch um drei Uhr nachts noch weiß, wo ich bin und wann ich umsteigen muss. Und so voll Berlin auch sein mag: An jeder Ecke hört man ein halbes Dutzend Sprachen, die Leute laufen rum wie sie wollen und gehen ihren Geschäften nach. Klar kann man das auch als Desinteresse werten, dass niemand wissen will, was genau du eigentlich machst. Aber Berlin is dit nich nur ejal, die Stadt lässt dich och einfach machen. Die Selbstverständlichkeit des Multikulturellen. Lassen Sie sich nicht erzählen, dass das irgendwie aufgesetzt oder gar gescheitert wäre: Während in Teilen von Sachsen, Thüringen und Brandenburg Menschen gegen eine sogenannte „Umvolkung“ protestieren oder sich explizit mit Verweis darauf, dass sie keine Verhältnisse wie in Berlin Neukölln haben wollen, gegen die Aufnahme von Geflüchteten wehren, gehen in eben diesem Berlin Neukölln Tausende auf die Straße, um klarzustellen, dass Fremdenfeindlichkeit mit ihnen nicht zu machen ist. Ist das nicht seltsam? In faktisch rein weißen Landstrichen beschweren sich Leute darüber, dass „zu viele“ kommen, die nicht so aussehen wie sie, und da wo das bunteste Gemisch, um nicht zu sagen Chaos, herrscht, sind die Menschen am offensten und tolerantesten. Vielfalt wird also da am besten aufgenommen, wo es schon vielfältig ist. Und genau das fehlt mir an der Förde ein bisschen. Damit meine ich nicht, dass man „im schönsten Bundesland der Welt“ allgemein unfreundlich oder intolerant wäre – ganz im Gegenteil. Zumal es gerade in Kiel ja auch Anlässe und Gründe genug gibt, sich weltoffen zu geben und Weltoffenheit zu leben. Im März zum Beispiel beginnen wieder die Internationalen Wochen gegen Rassismus, an denen sich Kiel beteiligt. Aber die Stadt tut es in meinen Augen ein bisschen steifbeinig und unter dem Eindruck, dass sich das eben so gehört. Das merkt man den Veranstaltungen auch an. Ziel dieser Wochen ist es laut der Stadt „mit Projekten und Aktionen eine Stadt ohne Rassismus zu schaffen“. Damit wir das gleich vom Tisch haben: Es gibt keine Stadt ohne Rassismus. Auch Berlin nicht. Es gibt Städte, die sich gegen Rassismus positionieren, die Geld in die Hand nehmen, Dinge regeln und Menschen verbinden. Aber Menschen werden auch immer diskriminieren. Aufgrund von Hautfarbe, Geschlecht, Herkunft, Sprache, Behinderung oder irgendeines Merkmals, auf das wir selbst in hundert Jahren nicht kommen würden. Das steckt in uns drin, genauso wie die Fähigkeit zu Güte, Nachsicht, Toleranz und Freundschaft. Und was wir brauchen, ist ein gesellschaftlicher Aushandlungsprozess darüber, wie wir miteinander sein wollen. Mehr „Willkommen!“, weniger „Verpisst euch“. Mehr offene Hand, weniger Faust. Das gelingt am besten durch Pluralität. Durch gelebte Vielfalt und nicht durch behauptete und verordnete. Und jetzt sind wir mal für einen Moment brutal ehrlich miteinander: Wie oft haben Sie so eine Floskel schon gehört? Und wie sehr nervt sie Sie mittlerweile? Ich schreibe diese Floskel als sehr mittelschichtiger, weißer Mann, der als Journalist in einem sehr weißen Berufsfeld tätig ist und seine Kinder auf sehr weiße Schulen und Kitas schickt. Ich kann Berlins Vielfalt aus sicherer Entfernung vermissen, weil ich nicht in all die mühevollen Integrationsprozesse eingebunden bin, in die Missverständnisse, das Scheitern und den Frust, die immer auch damit verbunden sind. Verbunden sein müssen. Trotzdem bin ich mir sicher, dass sie sich lohnen. Damit unsere Kinder weite statt enge Horizonte erfahren. Vielfalt statt Einfalt. Und sich nicht damit beschwichtigen lassen, dass ihre Heimatstadt auf dem besten Weg ist, „ohne Rassismus“ zu sein. Sondern gemeinsam laut sind gegen Rassismus. Verschieden sein in Deutschland: S-H: 1,80/1,66 m, 86,4/68,9 kg. B-W: 1,78/1,65 m, 83,7/67,4 kg Durchschnittliche Größe und Gewicht von Männern/Frauen nach Bundesländern

Nils Pickert ist vierfacher Vater, Journalist und Feminist. Jeden Monat lässt er uns an seiner Gedankenwelt teilhaben.

Neu: Gruppe für Eltern von Sternenkindern in Kiel

Für Eltern von Kindern, die während der Schwangerschaft oder kurz nach der Geburt gestorben sind Ansprechpartnerin: Kirsten Leidecker Tel. 0431 / 14 98 332 anmeldung@christliche-beratung-kiel.de www.vesh.de

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