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Du bedeutest die Welt für mich. Aber was kostet die Welt eigentlich?
from Kinderkram 218
by Rönne Verlag
„Noch ein Kind können wir uns nicht leisten.“ Haben Sie diesen Satz schon mal gehört? Oder sogar selbst ausgesprochen? Ein Fünkchen Wahrheit wird wohl drinstecken, wenngleich sich die Menschheit diesbezüglich noch keine Sorgen um ihren Fortbestand machen muss. Familie bedeutet für viele das größte Glück. Doch man muss sich nicht schämen, sich einzugestehen, dass uns dieses Glück auch einiges kostet.
Geld
In erster Linie natürlich Geld. Durchschnittlich 200.000,- € kostet ein Kind, bis es das 18. Lebensjahr erreicht hat – das schließt die großen Posten wie Verpflegung, Betreuung oder Versicherung und die unzähligen kleinen mit ein. Kaum braucht man keine Windelberge mehr, muss das erste Fahrrad her. Ist der Spross aus dem Kindersitz herausgewachsen (der übrigens so teuer war wie das erste Auto zu Studentenzeiten), wird auch schon nach Markensneakers verlangt. Gutes Stichwort: Die letzten Schuhe haben gerade einmal drei Monate gepasst – Sie kennen das?! Kürzlich erst hat man beim Einkauf der Schulmaterialien nach Luft geschnappt, da geht einem bei der Finanzierung der Klassenfahrt die finanzielle Puste aus. Geburtstagsparty, Sportverein, Friseur, der Tank ist auch schon wieder leer. So sehr man sich auch bemüht, gut hauszuhalten, muss man doch immer wieder in den Geldbeutel greifen – und das bei weitem über das 18. Lebensjahr hinaus! Denn welches Azubi-Gehalt oder welcher Studentenjob finanziert sämtliche Lebenshaltungskosten, geschweige denn einen Führerschein? Doch am Ende ist alles, mal mehr, mal weniger, eine Investition in die Zukunft.
Zeit
Was uns der Nachwuchs ebenfalls kostet, ist Zeit – und zwar auch jene, die man vorher mal für Hobbys, Freunde, kurz: für sich selbst zur Verfügung hatte. Im Kleinkindalter ist Mama schon froh, wenn sie es zwischendurch schafft, einen Kaffee im Stehen zu trinken. Jeder Elternteil durchläuft verschiedene Evolutionsstufen und erreicht manchen Meilenstein: Dazu zählt dieser Moment, wenn man erstmals auf der Spielplatzbank sitzen bleiben kann oder wenn man sich beim Fußballtraining kurz zum Bäcker verdrücken kann, um erleichtert und ein bisschen stolz auf sich selbst in ein Stück Käsekuchen zu seufzen ... Früher waren Musik-Festivals das Jahreshighlight, heute ist es, alleine in Ruhe im Supermarkt einkaufen zu gehen. Seit man sich mit der besten Freundin nicht mehr dreimal die Woche, sondern mit Glück zweimal pro Quartal trifft, hat man sich eine ganz andere Sprechgeschwindigkeit angewöhnt, bei der Dieter Thomas Heck anerkennend nicken würde.
Rente
In der Regel sind es Frauen, die sich die Entscheidung für eine Familie die Karriere und dann in zweiter Instanz eine Rente kosten lassen, die uns den wohlverdienten Ruhestand unbesorgt genießen ließe. Teilzeit, Kinderkrankheiten, Ferienzeiten – viele Arbeitgeber zeigen Verständnis für Angestellte mit Kindern, vor allem wenn sie selbst welche haben. Und doch ringt man zusätzlich mit einem schlechten Gewissen gegenüber dem Chef, während man Salbe auf Windpocken tupft.
Nerven
Und machen wir uns nichts vor: Sie kosten auch Nerven, die lieben Kleinen. Als wenn Schlafentzug und die Sorge ums Wohl der Kinder nicht schon genug wären, bringen bockige Phasen, „Mamaaaaa?!“ im 20-Sekunden-Takt und Kaugummi in den Haaren Würze ins Daily Business einer ach so normalen Familie. Ein schwacher Trost: Damit ist man nicht allein auf der Welt. Zu guter Letzt kostet es einen schlimmstenfalls auch noch die Figur. Nun ja, das muss aber nicht passieren… Denn immerhin macht Deutschland eine verhältnismäßig gute Figur in Sachen Familien- und Bildungspolitik, Gesundheitswesen und Gleichberechtigung. Die Politik könnte dennoch nachbessern. Die gesetzlich geregelte Elternzeit für Väter war ja schon ein Schritt in die richtige Richtung. Island zum Beispiel macht es noch besser: Hier
Ab ins Blaue
Saison 2020 19. März – 18. Oktober
bekommen beide gleich viel Elternzeit. Der Vater kann seine Zeit nicht an die Mutter übertragen, wodurch sich mancher Karriereknick für Frauen von vornherein umbiegen lässt. Bei uns aber stehen Eltern schon bei den komplizierten Antragsverfahren vor meterhohen Hürden: Verschiedene Anlaufstellen und Internetseiten, kryptische Formulare und uneinheitliche Fristen zerren an den Nerven – vor allem bei Alleinerziehenden oder Nicht-Muttersprachlern. Die Regierung klopft sich auf die Schulter, dass das Kindergeld erhöht wurde. Allenthalben auf Holz klopfen ALG-II-Empfänger, denen das nämlich gleich wieder abgezogen wird. Mit dem Elternglück wird die Kluft zwischen Arm und Reich noch größer? Dann steckt die Politik wohl selbst noch in den Kinderschuhen … Unerlässlich ist außerdem, bessere Bedingungen für den Erzieherberuf zu schaffen. Davon profitieren alle Beteiligten! Denn was nützt der gesetzliche Anspruch auf professionelle Kinderbetreuung, wenn dem herrschenden Fachkräftemangel nicht entgegengewirkt wird? Vergünstigungen im ÖPNV würden gleichermaßen Familien und der Umwelt helfen. Parallel sollte die Lebensmittelindustrie stärker in die Pflicht genommen werden. Merchandising hat im Lebensmittelsektor eigentlich nichts zu suchen, schon gar nicht, wenn es vorrangig um überteuerte, ungesunde Produkte geht. Es gibt so viele Stellschrauben in unserem System! Abgesehen davon kann auch jeder selbst etwas tun: Networking heißt das Zauberwort. Viele Anzieh- und Spielsachen sowie Artikel für den täglichen Gebrauch überstehen in der Regel mehrere Kinder. Wer keinen Dachboden für Durchlaufposten hat, findet eine passende App. Und irgendwo in der Nähe ist ein RotKreuzMarkt mit Kinderecke. Hier kann man Ausgedientes spenden und die nächste Größe supergünstig mitnehmen. Summa summarum: Alle Kostenpunkte sind natürlich nicht aufzuwiegen mit dem, was man dafür zurückbekommt (Liebe und Stolz, Rührung und Lachmuskelkater) – bei durchgebrüllten Nächten, der Fernbedienung in der Toilette und spätestens ab der Vorpubertät muss man sich das allerdings hin und wieder ins Gedächtnis rufen. Nur Mut, nur Geduld! Es gibt Hilfen, Tipps und Tricks, die wir in dieser Ausgabe zusammengewürfelt haben. Denn am Ende möchte man Sohnemann und Töchterlein ja für kein Geld der Welt missen!
Tina Ott