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Väterkram: Coronaeltern
from Kinderkram 220
by Rönne Verlag
Coronaeltern
Ich weiß nicht wie es Ihnen geht, aber ich bin gerade eine Mischung aus erschöpft und wütend. Ihres und mein Leben wurde durch die Pandemie auf den Kopf gestellt, wir mussten uns umorganisieren, neu sortieren, im Akkord Kinder betreuen, nebenher noch die Arbeit geregelt kriegen und noch so einiges mehr. Dass das in den letzten Wochen nicht nur Eltern betroffen hat, steht vollkommen außer Frage. Dass Eltern oftmals – verzeihen Sie mir den Ausdruck – bis zum Hals in der Scheiße steckten allerdings auch. Denn die Coronakrise hat in aller Deutlichkeit offenbart, wie wenig familienfreundlich Politik und Gesellschaft in diesem Land sind, obwohl zugleich überdeutlich wurde, wo die Prioritäten liegen müssten: Ohne Kinderbetreuung funktioniert überhaupt nichts! Kümmern, Pflegen, Erziehen, Unterrichten, Betreuen – das sind keine Tätigkeiten wie alle anderen. Das sind die Tätigkeiten, die alle anderen überhaupt erst möglich machen. Auch die vielbeschworenen systemrelevanten Jobs sind erst dann machbar, wenn die Vierjährige Zuhause nicht verhungert und der Zehnjährige sich einigermaßen wohl und gut betreut fühlt, so dass er sich nicht jede Nacht vor Angst und Stress die Seele aus dem Leib brüllt. Die Selbstverständlichkeit mit der in dieser Krise Eltern die Arschkarte zugeschoben wurde, ist eine Frechheit, die Betroffene nicht so schnell vergessen sollten. Nicht die peinlichen Muttertagsglückwünsche aus dem Familienministerium, die so aussahen, als müsste sich „unsere liebe Mutti“ einfach nur ein bisschen mehr anstrengen und dann ist alles super. Nicht die herablassenden Aussagen des Brandenburger Wirtschaftsministers Jörg Steinbach darüber, dass „er sich freuen würde, wenn Eltern durch Corona ihre Kinder auch mal wieder richtig kennengelernt hätten“. Und schon gar nicht die politischen Maßnahmen, die ergriffen beziehungsweise nicht ergriffen wurden. So hat man Alleinerziehenden faktisch den Anspruch auf Arbeitslosengeld gestrichen, weil sie aufgrund der fehlenden Kinderbetreuungsmöglichkeiten ihre Kinder ganztägig selbst betreuen müssen und somit nicht dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Ist aber auch ganz schön frech von Alleinerziehenden, sich zu klonen und alles gleichzeitig zu machen. Vom Homeschooling, das „so nebenbei“ auch noch erledigt werden muss, mal ganz zu schweigen. Außerdem wurden ja gigantische Maßnahmenpakete geschnürt, um den Druck von den Betroffenen zu nehmen: Coronaelterngeld, sofortige Umsetzung des Digitalpakts für Schulen, Freiraumschaffung in kommunalen Einrichtungen, um ausreichend Flächen für Notfallbetreuung sicherzustellen, flächendeckende Hygienekonzepte und Tests für Kitas und Schulen. Ach nee, Moment, das hab ich jetzt mit der Automobilindustrie und der Fußballbundesliga verwechselt. Für die gab es entsprechende Maßnahmenpakete. Für Eltern gab es – halten Sie sich fest – die gesetzliche Zusicherung, dass sich Kurzarbeit nicht negativ auf die Berechnung des Elterngelds auswirken wird. Als ich das hörte, musste ich spontan so begeistert klatschen, dass mir immer noch die Hände wehtun. Wenn das nicht die Art Wertschätzung ist, auf die wir alle gewartet haben. Tatsächlich glaubt man einfach nur, es mit Ihnen und mir ja machen zu können. Weil wir unsere Kinder lieben, weil wir für unseren Nachwuchs selbst verantwortlich sind und weil diese Pandemie schließlich für alle eine schwierige Zeit ist. Das ist alles richtig. Es ist aber auch verlogen bis ins Mark, weil es vollkommen außer Acht lässt, wie essentiell Kinderbetreuung ist. Wenn eine Gesellschaft auch nur halbwegs funktionieren will, dann gibt es dazu keine Alternative. Kümmern ist keine Nebensache und keine Kleinigkeit. Aber genau so wird es behandelt, wenn pauschal unterstellt wird, man könne doch wohl im Homeoffice das bisschen Kinderbetreuung nebenher stemmen. Wenn das hier alles vorbei ist, müssen wir dringend miteinander über Prioritäten reden. Ich mag erschöpft sein, aber bis dahin reicht meine Wut noch. Ich hoffe, Ihre auch.
Nils Pickert ist vierfacher Vater, Journalist und Feminist. Jeden Monat lässt er uns an seiner Gedankenwelt teilhaben.