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Ein Leben für die Forschung: Wir stellen Forscher*innen aus Kiel vor

Ein Leben für die Forschung

Jeder weiß, dass Albert Einstein der Vater der Relativitätstheorie ist und kennt Charles Darwin, der als erster erkannt hat, dass sich die Arten im Laufe der Zeit verändern und an die Umwelt anpassen. Aber wer kennt die sechs Nobelpreisträger, die einen Bezug zur Kieler Universität haben und deren Büsten im Ratsdienergarten am Kleinen Kiel stehen? Und die anderen Gelehrten und Forscher*innen aus unserer Region, die ihr Leben der Forschung und der Wissenschafft gewidmet haben? Sechs von Ihnen stellen wir Ihnen vor.

Samuel Reyher lehrte in Kiel ab 1665, dem Gründungsjahr der Universität, Mathematik. 2004 wurde die Grundschule in Kiel-Neumeimersdorf nach Johanna Mestorf benannt. Max Planck als 16-jähriger Schüler

Samuel Reyer (1635 – 1714)

Samuel Reyer wird 1635 in Thüringen als Sohn eines Schulrektors geboren. Nach dem Besuch des Gymnasiums studiert er Philosophie, Mathematik und Rechtswissenschaft. Er unternimmt mehrere Reisen durch Holland und geht zu weiteren Studien der Mathematik und der Jurisprudenz, aber auch der orientalischen Sprachen, nach Leyden. 1665 wird er Professor für Mathematik an der neu gegründeten Universität in Kiel. Reyher ist ein Universalgelehrter. Zahlreiche Schriften widmet er der Rechtswissenschaft und der Universalgeschichte. Als Naturforscher befasst er sich unter anderem mit astronomischen, meteorologischen und meereskundlichen Experimenten, richtet ein Observatorium ein und wird ein Fachmann für militärische Baukunst. In Kiel gehört er schon bald zu den beliebten Professoren. Auf Wunsch seiner Studenten organisiert er neben den Pflichtvorlesungen zahlreiche Privatveranstaltungen und baut und repariert seine astronomischen Instrumente selbst. Sein Interesse gilt der praktischen Frage: „Wie kann die Mathematik am besten zur Erklärung und Nutzbarmachung von Naturphänomenen herangezogen werden?“ Reyher betrachtet mit seinen Instrumenten Sonnenflecken, Sonnen- und Mondfinsternisse. Über 44 Jahre hinweg beobachtet er am Sternhimmel den pulsierenden Mira-Stern im Walfisch. Ein notwendiges Hilfsmittel für astronomische Beobachtungen sind genau gehende Uhren. Daher begann Reyher schon früh mit der Konstruktion eigener Zeitmesser. Mit Hilfe einer dieser Uhren bestimmt er die Jahreslänge auf 365,2418 Tage. Der heutige Wert ist 365,2422.

Johanna Mestorf (1828 – 1909)

Johanna Mestorf wird als viertes von insgesamt neun Kindern 1828 in Bad Bramstedt geboren. Sie wird die erste Museumsdirektorin in Deutschland und die erste Professorin im Königreich Preußen. Schon als Kind, vermutlich durch die archäologischen Studien ihres Vaters und dessen umfangreiche Sammlung von Altertümern beeindruckt, entwickelt Johanna Mestorf großes Interesse an der Archäologie. Doch zunächst scheint ihr Lebensweg eine andere Richtung zu nehmen, sie arbeitet bis zum Alter von 31 Jahren als Erzieherin und Gesellschafterin in Schweden, Frankreich und Italien. 1859 kehrt sie zu ihrer Mutter nach Hamburg zurück. Dort wird der Direktor der Hamburger Staatsbibliothek Christian Petersen ihr Mentor und ebnet ihr den Weg in die Welt der Wissenschaft. Zunächst übersetzt sie die wichtigsten Bücher über Archäologie aus Skandinavien. Von 1869 an nimmt Johanna Mestorf an internationalen Archäologenkongressen teil. Zu der Zeit beginnt auch ihre zunächst ehrenamtliche Arbeit für das „Museum für Vaterländische Altertümer“ in Kiel. Ihr Ziel ist es, dort als Kustodin angestellt zu werden. Durch Kontakte und Fürsprache erhält sie schließlich 1873 im Alter von 45 Jahren diese Stelle. 1891 wird sie dann Direktorin des Museums. 71-jährig verleiht ihr die Christian-Albrechts-Universität den Titel einer Honorarprofessorin. Ihr großer Verdienst ist der Aufbau und die Katalogisierung der Bestände des Museums. Diese bildet bis heute den Kern der archäologischen Sammlung des Landes.

Max Planck (1858 – 1947)

Max Planck wird als sechstes Kind seiner Eltern 1858 in Kiel geboren. Er ist zunächst Schüler der Sexta auf der Kieler Gelehrtenschule, bis seine Familien 1867 nach München umzieht. Nach Abschluss der Schule fällt ihm die Wahl eines Studienfachs nicht leicht, zunächst schwankt er zwischen Naturwissenschaften und einem Musikstudium. Planck, der über ein absolutes Gehör verfügt, spielt Klavier und Cello und begleitet regelmäßig Gottesdienste an der Orgel. Da er in der Musik aber keine Berufsperspektive sieht, studiert er Physik in München und Berlin. 1885 tritt Planck seine erste Professur in Kiel an und legt sich endgültig auf die theoretische Physik als Fachgebiet fest, was für die damalige Zeit zunächst eine ungewöhnliche Entscheidung ist. In Deutschland gibt es nur zwei Lehrstühle für diese Richtung der Physik, die von den dominierenden Experimentalphysikern oft lediglich als Hilfswissenschaft für ihre Forschungen gesehen wird. Von 1889 bis zu seinem Ruhestand 1926 lehrt er in Berlin. Bei der Entwicklung einer Formel erkennt Max Planck, dass Strahlung sich nicht kontinuierlich, sondern in Energiepaketen, sogenannten Quanten, ausbreitet. Das ist ein Bruch mit dem philosophischen Prinzip der Stetigkeit von Vorgängen in der Natur, das bis dahin in der Physik wie in der Philosophie galt und laut dem es keine sprunghaften Veränderungen geben sollte. 1900 stellt er auf der Sitzung der Deutschen Physikalischen Gesellschaft seine Erkenntnisse vor. Dieser Tag gilt als die Geburtsstunde der Quantentheorie. Für seine Entdeckung erhält er 1919 den Nobelpreis für Physik des Jahres 1918.

Rudolf Hell präsentiert 1968 in Kiel seinen Wetterkartenschreiber auf der Ausstellung „Telecom – Fortschritt für alle“.

Rudolf Hell (1901 – 2002)

Als Sohn eines Bahnhofsvorstehers wird Rudolf Hell 1901 in einem Bahnhofsgebäude in Bayern geboren. Nach der Volksschule besucht er die Oberrealschule – Physik und Mathematik sind seine Lieblingsfächer. Die Faszination des Eisenbahnwesens am Arbeitsplatz seines Vaters und die beginnende Elektrifizierung der Bahn prägen den Wunsch, Elektrotechnik zu studieren. Nach dem Studium und einem ersten Unternehmen in Berlin gründet Hell nach dem Krieg 1947 in Kiel-Dietrichsdorf eine Firma für Nachrichtengeräte und elektronische Reproduktionstechnik. Ab 1949 beschäftigt sich Hell verstärkt mit der Bildtelegrafie und entwickelte entsprechende Geräte für Post, Presse, Polizei und Wetterdienste. Mit der Erfindung des Klischographen 1951 leitet Hell ein neues Zeitalter der Drucktechnik ein. 1956 erfindet er das Faxgerät. 1961 expandieren die Hell-Werke und eröffnen einen zweiten Standort in Kiel-Gaarden. 1963 wird der Chromagraph, ein Scanner, vorgestellt und 1965 stellt Rudolf Hell erstmals den elektronische Schriftsatz mit digitaler Speicherung (Computersatz) vor, der weltweit den Schriftsatz revolutionieren wird. Der Unternehmer zählt zu den berühmtesten Erfindern des 20. Jahrhunderts. Er schafft die wesentlichen Voraussetzungen zur Mechanisierung, Rationalisierung und Qualitätsverbesserung der modernen Medientechnik. Er meldet in seinem Leben 131 Patente an und wird mit dem Bundesverdienstkreuz und dem GutenbergPreis ausgezeichnet. 2002 stirbt Rudolf Hell im Alter von 100 Jahren in Kiel und wird auf dem Parkfriedhof Eichhof beigesetzt.

Foto: Kieler Stadtarchiv Mojib Latif setzt sich seit vielen Jahren dafür ein, Ergebnisse der Klima- und Meeresforschung einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Mojib Latif (1954)

Der Klimaforscher Mojib Latif wird in Hamburg geboren und studiert dort zunächst Betriebswirtschaftslehre und dann Meteorologie. Anschließend ist Latif als wissenschaftlicher Mitarbeiter und später als Privatdozent am Hamburger Max-Planck-Institut für Meteorologie beschäftigt. Seit 2003 ist er Professor am ehemaligen Institut für Meereskunde und heutigen Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel an der Christian-Albrechts-Universität (CAU) zu Kiel. Seit 2007 ist er Mitglied im Exzellenzcluster Ozean der Zukunft der CAU Kiel. Ferner ist er seit 2012 Vorstandsmitglied des Deutschen Klima-Konsortiums e.V., seit 2015 dessen Vorsitzender und Präsident der Deutschen Gesellschaft Club of Rome. Neben wissenschaftlichen Publikationen veröffentlicht Professor Latif auch allgemein verständliche Bücher wie „Die Meere, der Mensch und das Leben. Bilanz einer existenziellen Beziehung“ oder „Das Ende der Ozeane – Warum wir nicht ohne die Meere überleben werden“. Diese Bücher sowie seine Auftritte als Referent und Diskussionsteilnehmer zum Thema Klimawandel und Klimaschutz machten ihn in der Öffentlichkeit bekannt. Zu den Zielen seines Engagements sagt Professor Latif: „Ich sehe den Schwerpunkt meiner Arbeit im Bereich Nachhaltigkeit darin, die Öffentlichkeit über die wissenschaftlichen Ergebnisse der Klima- und Meeresforschung in möglichst verständlicher Art und Weise zu informieren. Dazu gehört es auch, immer wieder deutlich zu machen, wie faszinierend und wie fragil zugleich die Erde ist.“

Foto: Superbass/CC-BY-SA-4.0 (via Wikimedia Commons)

Im September erhielt Daniela Berg den Wissenschaftspreis 2021 der Stadt Kiel.

Daniela Berg (1967)

Daniela Berg ist seit 2016 Professorin für Neurologie an der Medizinischen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und Direktorin der Klinik für Neurologie am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein. Die wissenschaftlichen Arbeiten von Daniela Berg und ihrem Team haben wesentlich dazu beigetragen, dass die Parkinsonerkrankung heute völlig anders und besser verstanden wird als dies noch vor wenigen Jahren der Fall war. Daniela Berg ist leidenschaftliche Forscherin, engagierte Hochschullehrerin und eine erfahrene Ärztin. Ihr besonderes wissenschaftliches Interesse gilt der Früherkennung und Prävention neurodegenerativer Erkrankungen. Im Zentrum ihrer Forschung steht dabei die Entdeckung von Biomarkern und bildgebenden Verfahren, die eine möglichst frühe Diagnose dieser Erkrankungen und eine Beurteilung des Krankheitsverlaufs erlauben. Sie hat hierzu mehrere große Studien aufgebaut, zuletzt eine über 20 Jahre angelegte mit über 1200 Teilnehmerinnen und Teilnehmern, die sie nach wie vor mit leitet. Bereits Mitte der 1990er Jahre entwickelte Berg mit ihrem damaligem Mentor Professor Georg Becker eine Ultraschalluntersuchung, die sogenannte transkranielle Sonographie, mit der parkinsonbedingte Veränderungen im Gehirn zu sehen sind, noch bevor Patientinnen und Patienten an Bewegungsstörungen oder dem typischen Händezittern leiden. Damit hat die Wissenschaftlerin die Diagnostik und vor allem das Verständnis der Jahre bis Jahrzehnte vor Diagnose bereits erkennbaren Risiko- und Früherkennungsmerkmale entscheidend vorangebracht.

Foto: UKSH

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