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Reise

25. Juli 2015

Rotterdam, Manhattan an der Maas Text und Fotos Valerie Blass

Lange Zeit stand die Stadt für Hässlichkeit und Verwahrlosung – Inzwischen trifft sich dort die internationale Architekturelite

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anhattan an der Maas – so wird Rotterdam genannt. Die Stadt ist das Gegenteil von dem, was viele erwarten, wenn sie an die Niederlande mit ihren Windmühlen, Grachten und Tulpenfeldern denken. Mit Wolkenkratzern und stählernen Brücken, Hafengebäuden aus der Gründerzeit und breiten Avenuen hat die mit 600 000 Einwohnern zweitgrößte Stadt des Landes das Gesicht einer nordamerikanischen Großstadt.

Erster Wolkenkratzer „Rotterdam hatte schon immer die Ambition, eine Metropole zu sein“, sagt Rob Noordhoek vom Museum Rotterdam. 1898 wurde in der Stadt der erste Wolkenkratzer auf europäischem Boden gebaut. Der Hafen wuchs im 19. Jahrhundert sehr schnell, ist immer noch größter Seehafen in Europa und drittgrößter der Welt. Die Ärmel hochkrempeln und machen sei schon immer die Devise in dieser rauen Arbeiterstadt gewesen, die lange Zeit für Hässlichkeit und Verwahrlosung stand, erzählt Noordhoek weiter. Bei einem Angriff der deutschen Luftwaffe am 14. Mai 1940 wurde Rotterdam dem Erdboden gleichgemacht, nur drei Gebäude in der Innenstadt überstanden den Feuersturm. „In der Katastrophe sahen die Planer von damals die Möglichkeit, die Stadt nach modernen Standards aufzubauen“, erklärt er. Die Vision der Metropole entstand in wenigen Tagen auf dem Papier: Genügend Platz für die Autos der Zukunft, zeitgemäßer Wohnraum, die erste Einkaufspassage der neuen Zeit. „Rotterdam hat Modernität in seinen Genen“, sagt Noordhoek.

Wahrzeichen Erasmusbrücke Doch es brauchte Jahrzehnte, um die Brachen für urbanes Leben zu erschließen. „Als ich Kind war, gab es Hirsche direkt neben dem Hauptbahnhof, die haben wir am Wochenende oft gefüttert“, erinnert sich der 51jährige Rathausmitarbeiter Edwin Cornelisse. Seitdem hat sich Einiges verändert. Inzwischen schaut die internationale Architekturszene begeistert auf die Stadt an der NordseeMündung. Ihr Star Rem Koolhaas, in der Stadt geboren, hat mit seinem Büro OMA einen monumentalen Hochhauskomplex direkt am Wahrzeichen Erasmusbrücke geschaffen – das „De Rotterdam“. Die zusammengesetzten Wolkenkratzer am Wilhemina-

Lage 50 km

NIEDERLANDE

Nordsee Amsterdam

Enschede

Rotterdam Eindhoven BELGIEN

DEUTSCHLAND HSt-Grafik

pier, die aussehen wie quer gestapelte Container, sind benannt nach einem Passagierschiff, das bis Anfang der 1970er Jahre regelmäßig von dort aus Kurs auf New York nahm. Die Hotelkette Nhow ist im „De Rotterdam“ eingezogen, außerdem sind Wohnungen und Büros entstanden. Der Komplex hat im Kopvan-Zuid-Quartier auf einer ehemaligen Hafeninsel angedockt. Der Bereich südlich der Maas wird nach und nach zu einem Stadtviertel umgebaut, in dem einmal das Herz der Innenstadt schlagen soll. Zur Eröffnung des „De Rotterdam“ pilgerte die Weltpresse an den Wilheminapier. Kurz darauf eröffnete König Willem-Alexander den neuen Bahnhof Rotterdam Centraal. Ein weiteres Schlüsselprojekt der Stadtentwicklung für den Verkehrsknotenpunkt mit über 110 000 Passagieren täglich – genauso viele wie am nahe gelegenen Großflughafen Amsterdam-Schiphol. Dann folgte noch ein Meilenstein: die Markthalle, die aussieht wie ein riesiger Monolith, den jemand mitten in der Innenstadt abgelegt hat. Auch in diesem Gebäude sind viele Funktionen vereint. Innen wird Handel getrieben, es gibt Restaurants und Cafés. Entlang der gewölbten Außenfassade sind Wohnungen und Büros angeordnet. Das ist der neue Ansatz in der Stadt. Moderne Architektur soll viele Funktionen erfüllen, sie soll Raum zum Leben und zum Arbeiten bieten. Das, so der Plan, wird Quartiere in der City beleben, die bislang nur tagsüber, während der Bürozeiten, bevölkert waren.

Stararchitekt Rem Koolhaas hat mit dem De Rotterdam einen monumentalen Hochhauskomplex geschaffen.

Brutkasten für Kreative „Rotterdam ist nicht typisch holländisch“, sagt Kim Heinen vom Tourismusbüro Rotterdam Partners. „Es ist ein Ort, an dem nach dem Zweiten Weltkrieg viel Platz war, um neue Ansätze auszuprobieren.“ So sei Schönes und Hässliches nebeneinander entstanden. „Diese Collage macht es so spannend.“ Die Kunsthistorikerin Nina Swaep hat die Facetten der Stadt im Reiseführer „100 Prozent Rotterdam“ zusammengestellt – über drei unterschiedliche Rundgänge können Touristen Swaeps Heimat erkunden. Sie stoßen dabei auch auf Gebäude wie den Schieblock – ein Betonkasten aus dem Jahre 1959. Der Bau wird wohl irgendwann abgerissen, in der Zwischenzeit dient er als Brutkasten für Kreative, ein Arbeitsplatz und Treffpunkt für Pioniere, die sich auf verschiedenste Weise mit Stadtentwicklung auseinandersetzen. Im „Warenhaus Groos“ verkaufen einheimische Künstler ihre Artikel, im rückwärtigen Bereich ist ein Biergarten, der nachts überquillt von jungen Partygängern. Auf dem Dach des Schieblock pflanzen die Mieter Gemüse für den Verkauf an, halten sich ein Bienenvolk. Wer auf cooles Design steht, ist in Rotterdam ebenfalls richtig. Im Vintageladen „Dearhunter“ am Eendrachtsweg etwa. Kleidungsstücke – meist aus den 70er und 80er Jahren – sind nach Farbe und Aufdruck geordnet. Betsy Palmer an der Ausgehmeile Witte de Withstraat ist der Laden für alle, die sich für auffälliges Schuhwerk begeistern. Nach der Shoppingtour kann man einkehren in einer der zahlreichen Bars entlang der pulsierenden Straße – zum Beispiel im „Nieuw Rotterdams Café“ oder im „De Witte Aap“ – „Weißer Affe“. Nina Swaep schwärmt: „Rotterdam pulsiert. Die Stadt ist einfach immer in Bewegung.“

Die Hotelkette Nhow im De Rotterdam setzt auch im Inneren auf Design.

Alt und neu, schön und heruntergekommen nebeneinander: Das macht Rotterdam so spannend.

Reisetipps Man kann die City auch joggend erkunden. Entlang der Maas gibt es gut ausgebaute Pfade für Radler und Fußgänger. Ein Ziel: die SS Rotterdam. Das ehemalige Kreuzfahrtschiff, das jetzt als Hotel dient, hat auf der Halbinsel Katendrecht zwischen Maashafen und Rheinhafen geankert. Auch am Abend lohnt sich ein Besuch des ehemaligen Seemannviertels. Coole Bars haben sich in den Lagerhallen angesiedelt – etwa die Posse Espressobar, in der es auch tolles Essen gibt. Die meisten Kneipen öffnen erst ab mittwochs. Infos im Netz: https://de.rotterdam.info

Ein Wahrzeichen der Stadt ist die Erasmusbrücke über die Maas.

Nina Swaep hat über ihre Heimat geschrieben.


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