REPORTAGE | Namibia
250 Kilometer durch die älteste Wüste in der die Landschaft der wahre
von Michele Ufer
Was tun, wenn man Elefanten auf der Laufstrecke begegnet, Skorpione im Schlafsack findet oder man ohne Wasser für einen Tag in der Wüste verschwindet? Zugegeben, bei meiner Ankunft in Namibia bin ich irritiert. Anstatt Chaos und Lebendigkeit erlebe ich in der Hauptstadt Windhoek eine Beschaulichkeit, die mich eher an deutsche Kleinstädte erinnert. Wohl nicht ohne Grund. So groß ist die Stadt nicht und die Vergangenheit als ehemalige deutsche Kolonie ist sehr präsent. Im Supermarkt fragt mich gar jemand in deutscher Sprache: „Kann ich Ihnen helfen?“
Recht gilt das Land für viele Abenteurer und Naturliebhaber als TopDestination. Gute Voraussetzungen für ein schönes Laufabenteuer. MICHELE UFER
Beim Desert Ultra werden in fünf Etappen 250 Kilometer zurückgelegt. Das Ganze in Selbstversorgung: Persönliche Ausrüstung wie Schlafsack, Wechselkleidung sowie die komplette Verpflegung müssen während des Events von den Athleten selbst transportiert werden. Die Landschaft ist der wahre Luxus. Der Lauf ist Teil der Rennserie „Beyond the Ultimate“,
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ber Namibia ist auch anders. Zwei Millionen Einwohner verteilen sich auf eine Fläche, die zweieinhalb Mal so groß wie Deutschland ist. Hier finden sich einige der schönsten Landschaften Afrikas. Naturwunder wie der tief in die Erde eingeschnittene Fish River Canyon zählen ebenso zu den Attraktionen wie die ältesten Sanddünen der Welt in der Namib-Wüste und die einmaligen Tierparadiese EtoshaNationalpark und Kalahari. Hier kann man innerhalb eines Tages Tausende (Groß-) Wildtiere beobachten. Zu
Luxus ist
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der Welt, welche die Teilnehmer in den Dschungel, die Berge, in Schnee sowie Eis und eben die Wüste führt. Das Motto lautet „Nothing tougher“ und wir sollten am eigenen Leib erleben, was das bedeuten kann. Eine Ausfallquote von fast 50 Prozent spricht für sich. Treffpunkt Windhoek. Gepäck und Teilnehmer werden in einen beeindruckenden Expeditions-Truck geladen. Keiner weiß genau, wie alt dieses Höllen-Gerät wirklich ist, selbst die Besitzer nicht, aber es fühlt sich verdammt gut an, genau so in die Weite der NamibWüste einzutauchen und an Wildtieren vorbeizusausen. Unser erstes Camp liegt wunderschön an den Spitzkoppe Mountains. Imposant setzen sich die Granitfelsen von der Umgebung ab. Wir haben eineinhalb Tage Zeit zum Akklimatisieren. Eine gute Gelegenheit für Wanderungen in die Umgebung und nette Schwätzchen am Lagerfeuer.
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Bereits die Auftaktetappe ist für einige Läufer alles entscheidend. Auf brutale Weise werden wir daran erinnert, solche Trips mit gebührendem Respekt zu bestreiten. Angekommen bin ich als Sechster, aber so viel Glück hat nicht jeder. Mitstreiter George stürzt unglücklich und schleppt sich mit blau verfärbtem Arm zum zweiten Checkpoint. Verdacht auf Knochenbrüche. Die mehrfache Weltrekordhalterin Mimi Anderson knickt um und steigt hier bereits aus. Der Ire Neal und der Wuppertaler Dennis verlaufen sich und finden nicht mehr allein zurück auf die
Strecke. Für beide ist das Rennen beendet, bevor es angefangen hat. Dennis hat sich sogar derart verfranzt, dass eine große Rettungsaktion gestartet werden muss. Flugzeug, Helikopter, Fährtenleser, Menschenketten. Das ganze Programm. Im Camp Ungewissheit und Zwangspause. Der Start zur zweiten Etappe wird um einen Tag verschoben und deshalb das letzte Teilstück über 15 Kilometer gestrichen. Niemand weiß, wie es Dennis geht, niemand will sich Schlimmeres ausmahlen. Ein Tag in der Wüste, ohne Wasser, ohne Orientierung, das kann böse ausgehen. Aber die Sache nimmt ein glückliches Ende. Dennis wird gegen Mittag des Folgetages geborgen, ziemlich dehydriert, aber ansonsten wohlauf. Er hatte viel Glück, war pfiffig und fand in einer kleinen Steinbehausung Schatten. Wenn das Trinkwasser ausgeht, die Zunge unangenehm anschwillt und die einzige zur Verfügung stehende Flüssigkeit aus dem eigenen Körper kommt, dann ist man nicht mehr wählerisch. „Aber dank Elektrolyten mit Erdbeergeschmack war’s dann halb so wild“, schmunzelt Dennis später. Ich gebe zu: Auch andere Teilnehmer haben sich zu Beginn kurzzeitig verlaufen, ich gehöre ebenfalls dazu. Und so ist mir bei der nächsten Etappe eins klar. Ich möchte nicht allein unterwegs sein. Sechs oder acht Augen sehen mehr als zwei. Ich klem-
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Mit einer Distanz von 100 Kilometern hat es der nächste Tag in sich. Eine solche Entfernung bin ich noch nie am Stück gelaufen. Als wichtiger Meilenstein gilt für mich die 50-Kilometer-Marke. Denn wer diese bis 17.00 Uhr nicht erreicht, wird von dort per Jeep zu Kilometer 80 transportiert, erhält eine Zeitstrafe und kann von dort das Rennen finishen. Der Grund: Nach
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Die dritte Etappe ist glücklicherweise kürzer. Wir werden darauf hingewiesen, dass wir Elefanten begegnen können und dann bitte schön ruhig bleiben sollen. Ah ja. „Aber wie genau sollten wir uns verhalten?“, ist meine Frage. Abstand halten, gegebenenfalls warten und aufgrund des exzellenten Geruchssinns der Tiere möglichst an der windabgewandten Seite vorbei, so die Antwort. Na denn. Wir laufen überwiegend
auf Schotterpisten. Die Ausblicke sind spektakulär, auch ohne Elefanten. Der Brandberg, höchste Erhebung des Landes, steigt tiefrot leuchtend aus der Wüste auf. An den Hängen kleben zunächst mystische Nebelschwaden, die es der Sonne erschweren, mich durchzugaren. Für die gut 30 Wüstenkilometer benötige ich als Drittplatzierter 2:30 Stunden. Darauf kann ich stolz sein. Bei mir verstärkt sich jedoch ein innerer Zwiespalt. Soll ich schnell laufen und vorne dabei sein oder langsam trotten und schöne Fotos machen? Ich entscheide mich für Ersteres, vor allem aufgrund der Orientierung.
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me mich an die Führenden und bin überrascht, dass ich deren Tempo mithalten kann. Die letzten 15 Kilometer haben es besonders in sich. Auf zehn Kilometer Sand in einem ausgetrockneten Flussbett folgt zum Abschluss die Überquerung einer Hügelkette. Das Gelände ist anspruchsvoll, die Temperaturen erbarmungslos. Die mit 55 Kilometer angekündigte Strecke erweist sich als circa 60 Kilometer lang. Zu lang für einige Athleten. Der mehrfache Everest-Bezwinger Pat muss aufgeben. Jedoch erreiche ich nach 6:03 Stunden überraschend als Zweiter das Ziel.
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Einbruch der Dunkelheit gerät die Durchquerung eines Kraters aufgrund der nachtaktiven Wildtiere zu einem unkalkulierbaren Risiko.
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Kurz vor der 50er-Marke holen der Däne Allen und ich den Niederländer Edwin ein. Er hat Probleme mit seinen Füßen, kann kaum laufen. Bei Temperaturen von weit über 40 Grad entscheiden wir uns für Teamwork: Die nächsten Kilometer gehen wir gemeinsam, lassen niemanden allein. Aber ich merke, dass mich das Gehen auf Dauer mehr anstrengt als das Laufen, weshalb ich die Jungs immer wieder zum Weiterlaufen motiviere. Bei Kilometer 60 ist ein weiterer Meilenstein erreicht: „Ab jetzt nur noch ein Marathon“, denke ich. Wir kämpfen uns in den Abend und die Dunkelheit hinein, es wird angenehm kühl, später richtig frisch. Um 23.30 Uhr überquere ich gemeinsam mit Allen als Dritter die Ziellinie. Die Knochen tun weh, aber ich sitze noch eine Weile zufrieden am Lagerfeuer. Es war unglaublich!
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