REPORTAGE | Women’s Trail
erklärt sie, „das habe ich mir selbst zum Geburtstag geschenkt!“ Ich finde das klasse. Nathalie arbeitet in der Pathologie, hat drei Kinder und nach 14 Jahren Lauf-Pause wieder angefangen. Morgen wird sie 48 Jahre alt. Die Verpflegungsstelle der Veranstalters macht Freude. Es gibt neben Getränken auch Nüsse, Gels, Obst und Gemüsestückchen. Dann folgt der Anstieg zum Wasserfall. Auf den letzten Kilometern am Fluss kommt Urlaubsstimmung
Zwei Kilometer vor dem Ziel wechselt der Weg in einen schmalen Pfad. Eine Frau feuert uns an: „Weiter so! Gleich wird es ein wenig abwechslungsreich!“ Wenige Meter später müssen wir lachen, denn es wird steil und anstrengend. Im Ziel überwältigen die Aussicht und ein irres Freiheitsgefühl. Ich sehe es in allen Gesichtern: Die Seele atmet auf. Natürlich gibt es hier schnelle „Bergziegen“, wie die junge Sarah oder Siegerin Stefanie Felgenhauer. Aber auch Großmütter aus dem Flachland,
Berge, Wellness und Frauenpower Der Viking Women’s Trail gen und beruflicher Stress brachten sie zum Laufen: „Ich weiß noch genau, wie ich zum ersten Mal mit müdem Körper und ruhigem Kopf im Bett lag – und endlich wieder schlafen konnte.“ Das Laufen hat ihr Leben entstresst. Und gerade an den höchsten Punkten der Strecke ist es wirklich herrlich, über Stock und Stein zu laufen.
von Tabitha Bühne
Tag 1: Der Nacht-Lauf, die Stille und das Abenteuer. Im kleinen idyllischen Städtchen Neukirchen versammeln sich am 19.09.2014 mehr Frauen als sonst. Aus verschiedensten Ecken der Welt, jung und „alt“, schnell und weniger schnell. Sie stehen beisammen, quatschen und setzen sich die Stirnlampen auf. Die Einheimische Sarah ist mit 19
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Jahren die jüngste Teilnehmerin und will es auf das Podest schaffen. Aber sie ist keineswegs verbissen. Wie alle hier genießt sie entspannt die Gemeinschaft. Um 20.00 Uhr geht es dann in Einzelstarts los. Wir laufen fünf Kilometer durch die Nacht über kleine Feldwege zum Fluss. Helfer mit Lampen deuten uns den Weg. In der Dunkelheit wirkt und klingt alles anders – auch das Rauschen des Flusses und die leichte Brise. Es ist wie ein Ausflug in die Kindheit. Als es mitten durch einen Wald steil bergauf geht, knacken die Äste, die Muskeln und das Herz arbeiten schneller, aber die sonstige Stille und die frische Luft machen die Seele ruhig. Wie im Flug vergeht die Zeit. Im Ziel und beim Grill-&-Chill-Abend ist die Stimmung ausgelassen. Als ich später im
Hotel einchecke, lerne ich die älteste Teilnehmerin Christiane kennen, die 65 Lebensjahre sieht man ihr aber nicht an. Wie heißt es doch treffend: „Wir laufen nicht, weil wir altern – sondern wir altern, wenn wir nicht laufen!“ Ihre Töchter haben der bergunerfahrenen Hamburgerin dieses Wochenende geschenkt, um zusammen einen spaßigen Familienausflug zu erleben. Tag 2: Laufen, Yoga, Sauna und leckeres Essen. Ein toller Tag – die Sonne scheint, das Frühstück ist lecker und wir freuen uns auf 15 Kilometer mit 500 Höhenmetern durch Wälder und Wiesen, hinauf zum Wasserfall und am Fluss entlang zurück nach Neukirchen. Vor dem Start treffe ich Samia, die in Algerien geboren, in Frankreich aufgewachsen und jetzt in München beheimatet ist. Schlafstörun-
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FOTOS: HARALD WISTHALER
„Was in aller Welt hast Du vor?“ Meine gute Freundin Anna schaut irritiert in den Koffer: Trail-Schuhe, Stöcke, Stirnlampe und Sporttextilien ... „Ich dachte Du willst mal entspannen?“ Ich lache, denn genau das ist der Plan. Gleich verlasse ich den Ruhrpott in Richtung Berge – zum Viking Women’s Trail in Österreich. Drei Tage Laufen, Wellness, Yoga und leckeres Essen. Klingt doch nach Erholung, oder?
Die Sonnenstrahlen zaubern Lichtspiele auf den Blättern der Bäume. Immer wieder halte ich kurz an, um die Natur zu genießen, die Bilder einzusammeln: das Wurzelwerk, die Tiere, den Wasserfall, die Aussicht auf das Tal ... Bergab treffe ich auf Nathalie. Sie läuft etwas unsicher auf einem schmalen Trail und fragt, ob ich sie überholen will. Ich muss schmunzeln – das ist mir bei einem Straßenlauf nie passiert. Da macht man sich breit, fährt die Ellenbogen aus ... „Nö, bin doch nicht auf der Flucht! Alles gut bei Dir?“ – Nathalie fällt dieser Bergab-Weg ein bisschen schwer. „Ich bin hierhergekommen, um meine Höhenangst zu besiegen!“,
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auf. Das türkisfarbene Wasser plätschert, und auf dem hellen Sand läuft es sich angenehm weich. Im Ziel warten wir aufeinander und chillen nach einem Snack auf der Wiese. Der schöne Tag geht entspannt weiter – mit Yoga, Saunagängen und einem Fünf-Gänge-Menü am Abend. Tag 3: Der Berg ruft – und ändert unser Leben. Heute warten neun Kilometer mit 1.300 Höhenmetern auf uns, die Sonne ist wieder am Start und alle sind gut drauf. Bei den Geh-Abschnitten lässt sich die fast märchenhafte Landschaft noch intensiver genießen. Es würde mich nicht wundern, wenn plötzlich Elfen oder Trolle um die Ecke kommen. Doch stattdessen treffe ich das Geburtstagskind Nathalie. „Happy Birthday! Was macht die Höhenangst?“ – Sie grinst. „Die sitzt mir im Nacken, aber ich schüttele sie ab.“ Ich bewundere Nathalie, die mit den Jahren nicht ängstlicher, sondern immer mutiger wird. 2015 will sie zum Fallschirmspringen.
Frauen mit Höhenangst und RuhrpottMädels meistern diese Läufe mit viel Freude. Siegerin Stefanie meint: „Das Trail-Laufen in den Bergen ist Entspannung pur. Nichts ist so befreiend, nirgends ist es so still. Nur hier kann ich den Kopf richtig frei bekommen.“ Die mehrfache Mutter hat Recht. Und so nehmen wir alle eine Portion Bergfrieden und Frauenpower mit nach Hause. Ich komme wieder.
◗ Die Autorin (Mitte) zusammen mit der jüngsten und ältesten Teilnehmerin.
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