COOL DOWN | Das hat noch gefehlt
DA S H AT N O C H G E F E H LT
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PA S S M A L A U F, K L E E N E von Achim Achilles
emüseläden machen mir Angst. Ich leide an Mangold-Allergie. Der Geruch von Fenchel macht mich depressiv. Insofern muss ich es als unfreundlichen Akt verstehen, wenn meine Frau mir per SMS eine Einkaufsliste schickt, die allenfalls einem Hasen Appetit macht. „Wir bekommen Besuch“, hatte Mona erklärt, „von Anna.“ Anna? Welche Anna? Anna Loos? Wäre okay. Anna Kournikova? Sehr gern.
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Aber nein, es handelt sich um Anna, eine entfernte Verwandte aus der Schwippnichtenklasse. Irgendwas zwischen Tante und Kusine, wahrscheinlich verrüscht, vegan und aus dem Westerwald. Ich bin ja nicht so der Familientyp. Wahrscheinlich ist diese Anna eine alleinstehende Drahtbürste, die uns nur besuchen kommt, um unseren ungesunden Lebensstil zu kritisieren. „Anna wohnt jetzt in Berlin“, sagte Mona, „sie möchte sich mit ihrem Onkel und ihrer Tante vernetzen. Und weil sie joggen will, braucht sie deine Tipps.“ Aha. Was soll das bedeuten: Sie braucht meine Tipps? Klingt spannend. Eigentlich laufen junge Frauen ja nie, wegen ihrer komischen Schuhe. Und aus Angst um die Frisur. Junge Frauen tragen Matten spazieren. Die machen Yoga und gucken vorwurfsvoll auf ältere Herren. Wehe, diese Anna sagt ein einziges Mal „Onkel“ zu mir. Dann erwürge ich sie mit dem Gurt ihres Getränkehalfters, das sie zweifellos beim Laufen trägt. Wahrscheinlich in Pink. Die gute Nachricht: Anna ist nicht vegan. Sie macht weder Yoga noch ist sie kenianisch mager. Sie trinkt sogar Wein,
wenn auch in besorgniserregender Langsamkeit. Meinen Auftakt-Jägermeister zur allgemeinen Lockerung hat sie verschmäht. Dabei habe ich extra generationenadäquates Red Bull hineingeträufelt. Sieht man von den lila Schuhen mal ab, hat sie sogar Geschmack, denn sie schätzt meine Expertise. Schwer zu sagen, ob sie Talent hat; Hauptsache, sie findet mich toll und akzeptiert die bewährte Rollenverteilung: Ich bin der Checker, der Schnellere und der Anführer. Sie hört anmutig zu, nickt, guckt bewundernd, aber nicht aus Unterwürfigkeit, sondern aus echter Überzeugung. Dann und wann stellt sie Fragen, aber nur solche, die ich mit Weisheit und Esprit beantworten kann. Meine Laufkompetenz habe ich bereits vor der Nachspeise aufblitzen lassen. Anna wollte wissen, welche Laufschuhe denn die richtigen seien. Sie wolle erst mal eine Laufbandanalyse machen. Haha, habe ich entgegnet, da könne sie genauso gut einen kirgisischen Schamanen um eine Ferndiagnose bitten: Ob totgedämpft oder barfuß – am Ende sehen wir uns doch alle bei der Physiotherapie. Sie habe da was am Knie, erklärte Anna mit dem anfängertypischen Leidensblick. „Pass mal auf, Kleene ...“, dachte ich bei mir, „wer ohne Knieschmerzen losrennt, der ist gar kein richtiger Läufer. Knie ist kein Handicap, sondern Bedingung.“ Aber Mona trat mir auf den Fuß. „Ich habe noch jeden Schuh passend gelaufen“, kam es stattdessen aus mir heraus. Sie sah mich an, aber nicht ganz so bewundernd, wie ich mir das erhofft hatte. Demnächst zeige ich ihr den Grunewald. Wollen doch mal sehen, wie belastbar unsere Familienbande sind.
Achim Achilles, Jahrgang 1964, ist Deutschlands bekanntester Hobby-Läufer – nie erfolgreich, aber immer gut gelaunt. Er lebt verheiratet mit einer verständnisvollen Frau in Berlin, läuft aber überall, wo es wehtut. Motto des Wunderathleten und Spiegel-Online-Kolumnisten: „Qualität kommt von Qual.“ Mehr von ihm gibt es auf seiner Website www.achim-achilles.de oder in seinen Bestsellern „Achilles’ Verse“, „Achilles’ Laufberater“ und „Der Lauf-Gourmet“.
RUNNING | 2/2014
FOTO: BEATRICE BEHRENS
Das ist Achim Achilles
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