COOL DOWN | Das hat noch gefehlt
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GEIL AUF ADRENALIN von Achim Achilles in Date mit Angelina Jolie? Eine Audienz beim Papst? Kandidat beim Dschungelcamp? Alles nichts gegen das letzte Abenteuer der Menschheit: die Minuten vor dem Marathon-Start im Kreise anderer Irrer. Achim Achilles beschreibt die verrücktesten Adrenalin-Junkies.
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Der Minimalist: Trägt ein ärmelloses Hemd, sehr knappe Shorts, Schuhe ohne Socken und hat sonst nur zusammengebissene Zähne. Kauert bis zur letzten Sekunde am Heizkörper in der Umkleidekabine. Kann frostbedingt nicht reden. Rennt eine Bestzeit, wahrscheinlich, weil er ins Warme kommen will. Die Aktivistin: Unserer Welt mangelt es an vielem, nur an einem nicht: T-Shirts mit Botschaften. Gleichwohl gibt es immer noch Menschen, die mit einem Hemden-Satz Aufsehen erregen wollen. Aber niemand sieht auf, da fast jeder was mit Kindern oder Tieren, Finishen oder Herzinfarkten auf dem Bauch stehen hat. MarketingTipp: mal ein blütenweißes Shirt versuchen. Fällt garantiert auf. Hat nämlich keiner. Der Laufcomputer: Hat die Strecke je nach Gefälle oder Steigung in metergenaue Abschnitte gegliedert und sich eine präzise Schrittzahl pro Kilometer verordnet. Wird die zweite Hälfte schneller als die erste laufen. Zwischenzeiten sind auf den Unterarm laminiert. Andere malen, er läuft nach Zahlen. Der Doper: Zum Frühstück acht doppelte Espressi, damit sich die Schmerztabletten besser auflösen, die das Ziepen des nahenden Magendurchbruchs verscheuchen sollen. Knabbert seit drei Tagen Blutverdünner. Fleht den Hausarzt seit Jahren um Epo an. Inhaliert bis 30 Sekunden vor dem Start cortisonangereichertes Asthma-Spray – leider schon wieder alle. Läuft sehr breitbeinig, denn das handtuchgroße Testosteronpflaster zwischen den Beinen juckt ab Kilometer zwei gewaltig.
Der Midlife-Crisler: Guckt traurig, da seine Gattin die Lauferei zu Recht als Flucht vor Familienpflichten betrachtet. Guckt hasserfüllt, weil er die Jüngeren verachtet und die Alten auch. Guckt gequält, da die zerfaserte Achillessehne schmerzt. Guckt böse, denn er muss heute unbedingt eine Bestzeit abliefern, um im Büro endlich mal wieder einen Erfolg vorweisen zu können. Die Eisbärin: Panische Angst vor Kälte. Trägt unterm Trainingsanzug Thermounterwäsche und darüber eine Fleecejacke. Dazu eine Umschnalltasche mit Regenjacke und Handy. Den Keller- und Büroschlüssel muss sie unbedingt dabei haben. Dazu die Monatskarte für den öffentlichen Nahverkehr im wasserdichten Klarsichtbeutel, falls trotz klarem Himmel doch die Sintflut aufzieht. Steigt nach drei Kilometern aus dem Rennen aus und in die U-Bahn ein. War doch etwas warm. Der Hippie: Wollsocken, Baumwollhemd mit OM-Symbol, Zopf und weithin riechbares Duschdefizit. Läuft im Trippelschritt des chronisch Untervögelten entweder barfuß, in Zehenschuhen oder originalen Adidas Samba mit Hanfschnürsenkeln. Den Besuch auf der Pastaparty am Vorabend kann man ihm vom Bart ablesen. Der Arni: Freigänger mit Hantelhintergrund, der sich mit osteuropäischen Nahrungsergänzungsmitteln feuerwehrschlauchdicke Adern auf die Muskelhaufen gezüchtet hat. Trägt sein Leibchen vom unteren Rücken bis zum Bauchnabel ausgeschnitten, damit die Muckis und chinesische Schriftzeichen zu sehen sind, die der Tätowierer von einer Packung Nudelsuppe abgeschrieben hat. Rennt die ersten 300 Meter in der Spitze mit, täuscht dann einen Ermüdungsbruch vor, um sich von seinem Harley-Kumpel zurück ins Studio fahren zu lassen.
Achim Achilles, Jahrgang 1964, ist Deutschlands bekanntester Hobby-Läufer – nie erfolgreich, aber immer gut gelaunt. Er lebt verheiratet mit einer verständnisvollen Frau in Berlin, läuft aber überall, wo es wehtut. Motto des Wunderathleten und Spiegel-Online-Kolumnisten: „Qualität kommt von Qual.“ Mehr von ihm gibt es auf seiner Website www.achim-achilles.de oder in seinen Bestsellern „Achilles’ Verse“, „Achilles’ Laufberater“ und „Keine Gnade für die Wade“.
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RUNNING | 1/2015
FOTO: FRANK JOHANNES
Das ist Achim Achilles