Achim achilles 166

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DA S H AT N O C H G E F E H LT

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P SYC H O K R I E G von Achim Achilles

iedlich, der Kleine, wie er sich da abmüht. Ist natürlich viel zu schnell losgerannt. So sind sie, unsere Kinder. Sie wollen zu viel, können zu wenig. Ganz wie die Erwachsenen. Mal sehen, wann der Zwerg eingeht. Vati rennt gleich dahinter und mahnt: „Langsam, Theo!“ Doch der zieht an. Bewährte Technik: einfach das Gegenteil machen. Wie Mona.

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ti mahnt: „Langsamer, Theo.“ Theo zieht an. Mir ist heiß. Die Beine brennen. Ich kann nicht mehr. Theo spiele eigentlich Fußball, erklärt der Vater abgehackt, weil er im anaeroben Bereich operiert. Aber seit drei, vier Wochen wolle Theo laufen. Keine Ahnung warum. Vielleicht eine Form von ADHS, die ich auch gern hätte. Laufen-Wollen – wie wundervoll.

„Wie alt bist du denn“, frage ich in der Hoffnung, dass Theo durch die Kombination von Sprechen und Laufen Seitenstiche bekommt und schlappmacht. „Acht“, antwortet er. Ich meine, ein Gähnen zu sehen. Ausgepumpt sieht er nicht aus. Aha, acht. War ich auch mal. Bundesjugendspielzeit. Traumatisch, vor allem die Runden im Stadion. Ich hatte immer Knie, in Wirklichkeit aber Lunge. Und Gesamtsituation. Eigentlich war ich ein Monstertalent, bin aber immer zu schnell losgerannt. Theo ist anders. Er wetzt einen flotten Schnitt von fünf Minuten auf den Kilometer, exakt jene Belastung, die mich systematisch übersäuert, muskulär wie mental. Aber von diesem Pimpf werde ich mich nicht blamieren lassen.

Theo trägt keine hochfeinen Läuferklamotten, sondern ein ukrainisches Nationaltrikot aus der präsowjetischen Zeit. Ich habe ja keine Vorurteile, aber Theo kommt bestimmt aus dem Osten. Merkt man ja gleich, die alte Schule: Biss, Wille, Taktik. Der kleine Kerl hat sich an meiner Seite festgesogen und lässt jetzt einfach nicht mehr los. Er will mich zermürben. Psychokrieg mit einem Drittklässler.

„Langsamer, Theo“, sagt Vati. Theo zieht an. Lausige Technik. Die Schuhe platschen auf den Asphalt. Wahrscheinlich Waldorf-Schule, wo beim Fußball jeder einen Ball bekommt, wegen der Gerechtigkeit, und dafür die Tore abgeschafft sind, damit keiner diskriminiert werden kann. Typisch deutsche Jugend. Alle verwöhnt, verweichlicht, das Leben ein Streichelzoo. Wenn die jungen Hüpfer wüssten, was wir damals alles durchgestanden haben: Wim Thoelke, Apfelkorn, Milli Vanilli. Da machen sich die Kinder ja gar keinen Begriff von.

Noch 500 Meter. Die kleine Kröte beschleunigt doch tatsächlich spürbar. Viel zu früh, Jungspund, Du wirst gnadenlos eingehen. Theo zieht noch mal an. Jetzt ist aber Schluss, Sportsfreund. Meine langen, schlanken Beine tupfen nur noch die Bahn, jede Gazelle würde sich vor Neid in der Spree ertränken. Doch Theo bleibt vorn. Wie macht er das? Und vor allem: Wie lange muss ich noch? Endlich – der Zielstrich ist in Sicht. Jetzt die Charakterfrage: Soll ich Theo auf den letzten Metern demütigen? Vielleicht wäre ich eines Tages der Olympiasieger-Besieger. Oder soll ich seine zarte Seele schonen und mich zurückhalten. Die Frage stellt sich leider nicht. Theo rennt mir einfach weg. Okay, ich hätte ihn kriegen können, wenn ich gewollt hätte. Aber das wäre stillos gewesen. Unsere wenigen Talente müssen wir pflegen. Ich habe meinen Beitrag geleistet.

Die ersten zwei von fünf Kilometern sind geschafft. Ich auch. Klassisches Volkslauf-Syndrom: viel gewollt, aber nach zehn Minuten keine Lust mehr. Aussteigen geht nicht. Zu viele Zeugen. Theo ist am Wasserstand einfach vorbeigerannt. Va-

„Noch ein Kilometer“, hechelt Vati. Panik. Was, wenn Theo auch noch ein begnadeter Schluss-Spurter ist, also das Gegenteil von mir? Meine Knöchel knicken weg. Theos Schritte klingen immer noch hart und kraftvoll. Theo nervt.

Das ist Achim Achilles FOTO: FRANK JOHANNES

Achim Achilles, Jahrgang 1964, ist Deutschlands bekanntester Hobby-Läufer – nie erfolgreich, aber immer gut gelaunt. Er lebt verheiratet mit einer verständnisvollen Frau in Berlin, läuft aber überall, wo es wehtut. Motto des Wunderathleten und Spiegel-Online-Kolumnisten: „Qualität kommt von Qual.“ Mehr von ihm gibt es auf seiner Website www.achim-achilles.de oder in seinen Bestsellern „Achilles’ Verse“, „Achilles’ Laufberater“ und „Keine Gnade für die Wade“.

RUNNING | 2/2015

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