REPORTAGE | Free-Running
Wenn ein Flugzeugfriedhof zum Spielplatz wird
von Edith Zuschmann
„Tempest Pro Takeover“ – Ende Februar 2013 wurde diese Aktion zu einem historischen Meilenstein für die Free-Running-Szene. Denn erstmals in der Geschichte dieser Sportart trafen sich die weltbesten Athleten an einem Ort zu einer gemeinsamen Trainingswoche mit einem gemeinsamen Ziel: ihre Leidenschaft in eine neue Dimension zu heben. Ein Camp, um sich auszutauschen, Spaß zu haben, voneinander zu lernen – all das zu leben, wovon sie lange geträumt hatten. RUNNING – Das Laufmagazin erhielt einen Einblick hinter die Kulissen.
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ree-Running – eine Sportart, die ihre tiefste Überzeugung bereits in ihrer Bezeichnung trägt. Anstatt in vorgegebenen Bahnen zu laufen, ist der kreativste Weg das Ziel. Freiheit und Spaß zu erleben gilt als das oberste Credo. Konkurrenzkampf liegt dieser Ideologie fern. Vielmehr will jeder von jedem lernen, um weiterzukommen, um noch mehr in
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die Leidenschaft einzutauchen. Auf jedem Kontinent entstanden in den letzten Jahren Free-Running-Teams. Ihre Mitglieder fanden über die unterschiedlichsten Wege zu diesem Sport: die einen über das Kunstturnen, wie die Österreicherin Pamela Forster. Die anderen gelangten über Internetvideos in die Szene, aus denen sie ihre eigenen Kreationen entwickelten. Alles ist er-
laubt, nichts ist falsch. Ein Paradebeispiel dafür ist der 22-jährige Lette Pasha Petkuns. Er gilt in der Szene derzeit als Maßstab. Ohne jegliche Sportvergangenheit begann er seine heimatliche Umgebung spielerisch zu erlaufen. Dank seiner kreativen Ader, gepaart mit einer großen Portion Konsequenz entwickelte er eigene Tricks und begeistert damit seine Fans.
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APE CONNECTION
Einmal pro Jahr bietet das Festival „Art of Motion“ die große Bühne, auf der Athleten aus aller Welt ihre Künste zeigen. Auch wenn seitens des Veranstalters ein Wertungsmodus eingeführt wurde, so nehmen die Teilnehmer diesen nicht so ernst. Im Gegenteil: „Das erzeugt bei uns keinen Druck. Denn für uns stehen nicht Bewertung oder Platzierung im Vordergrund, sondern der Spaß an der Sache, zusammen zu sein und diesen Event gemeinsam zu erleben“, stellt Pamela Forster, mehrfache Teilnehmerin und eine der Besten ihrer Zunft, klar. Beim jährlichen Showdown schloss sie Freundschaften mit Gleichgesinnten:
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„So großartig Art of Motion auch ist, der Schwerpunkt liegt auf den einzelnen Darbietungen. Es bleibt leider kaum Zeit für ein gemeinsames Training“, erklärt Pamela. Ein Zustand, den alle Läufer immer wieder beklagen. Und so wurde auf Initiative von „Tempest Freerunning“ aus Los Angeles, einem der führenden Teams weltweit, Anfang des Jahres der große Traum wahr: ein gemeinsames Trainingscamp. Die 15-köpfige Truppe, die mittlerweile mit ihrer Leidenschaft Geld verdient, lud die weltbesten Free-Runner-Teams zum „The ProTakeover“ nach Los Angeles ein.
Quartiere und Programm organisierte die US-Gruppe. Nur für die Flugtickets kam jeder selbst auf. Finanziell möglich machten dieses Projekt Sponsoren sowie der eigene monetäre Einsatz der Tempest-Crew. Sie verdienen unter anderem mit Stunts in der Traumfabrik von Hollywood ihren Unterhalt. Das Geld wird in die Errichtung der weltweit ersten FreeRunning-Trainingshalle im Chatsworth Commerce Center investiert. „Es ist das wahre Paradies“, kommt Pamela ins Schwärmen. Von Sprungböcken, Matten bis hin zu vielen weiteren Turngeräten wartet alles unter einem Dach auf die Laufkünstler. Die-
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Österreich, Team Farang aus Thailand und French Freerun Family aus Frankreich. Sie alle waren nicht zum Urlauben nach Kalifornien gekommen: Die Teams wollten Action. Aufnahmen einzelner Athleten gibt es im Internet mittlerweile zuhauf. Alle „Big Deals“ zusammen, gemeinsam laufend, so etwas gab es noch nie. Mit
dem Video „The Takeover“ sollte die historische Zusammenkunft festgehalten werden. Passend dazu wählten die Initiatoren eine außergewöhnliche Location: einen Flughafenfriedhof. Der ideale Spielplatz, um ihre Leidenschaft auszuleben. Rund zwei Autostunden von Los Angeles entfernt wurde zwei Tage lang in der Wüste gedreht. Nicht irgendwie, sondern unter der Führung TEMPEST FREERUNNING
se Einrichtung nützen sie nicht nur zum eigenen Training, sondern bieten dort mit ihrer Tempest Freerunning Academy Kurse an. Mitte Februar trafen sie ein: rund 40 Athleten aus 14 Nationen – unter anderem von namhaften Teams wie Storror und 3Run aus Großbritannien, Air Wipp aus Schweden, Pamela’s Team, die Ape Connection sowie 4 Elements aus
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TEMPEST FREERUNNING TEMPEST FREERUNNING
eines professionellen TV-Teams. Im Gegensatz zu den bisherigen Free-Running-Videos gab es dieses Mal eine vorgegebene Choreografie, definierte Kameraeinstellungen und fixierte Aktionspunkte. Zur großen Freiheit der Athleten blieb die Wahl der eingebauten Tricks. „Ziel des Videos war es, den grenzenlosen Spaß wiederzugeben, den wir beim Free-Running erleben. Es gibt
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kein Gegeneinander, nur ein im ersten Moment erscheinendes Chaos, das sich schlussendlich zu einem harmonischen Ganzen zusammenfügt“, beschreibt Pamela. Doch ohne Anführer kein klares System. Und so wurde das große Vorbild, Pasha „The Boss“, zum Kapitän erkoren. Er führte die Crew an und machte das Video zu einem Insider-Hit. Knapp 400.000 Mal wurde das Video „The Takeover“ auf YouTube angesehen und unzählige Male auf diversen Social-Media-Plattformen geteilt. Das Wesentliche: Die unglaubliche Euphorie der Sportler springt beim Ansehen regelrecht über. Leidenschaft, die ansteckt und diesen Sport so einzigartig macht, ließ „The Pro Takeover“ in den zweiten Höhepunkt gipfeln. Unter dem Motto „Believe.the.hype“ konnten Free-Running-Fans ihre großen Idole hautnah erleben. Wer der Elite beim Hallentraining auf die Füße schauen wollte, war mit einem Ticket von zehn Dollar dabei. Als Zugabe warteten zwei dreistündige Workshops, einer für Erwachsene sowie einer für Kinder und Jugendliche, geleitet von den TopStars. Gegen eine Teilnahmegebühr von 50 Dollar konnten Interessierte an zehn unterschiedlichen Stationen ihr Können dank Profianleitung erweitern.
„Viele nahmen Anreisen von bis zu fünf Stunden in Kauf, um dabei zu sein. Wir als Trainer, das war schon eine großartige Erfahrung und extrem aufregend. Alle hatten großen Spaß und jeder, die Teilnehmer und wir, konnten neue Erfahrungen sammeln“, berichtet Pamela begeistert und meint fasziniert: „Verständigungsproblem gab es trotz der Sprachenvielfalt nie. Die Körpersprache reichte aus, jeder verstand jeden.“ Mit der Heimreise ging für Pamela und ihre Kollegen der Spirit von „The Takeover“ hinaus in die Welt. „Wir nutzten unser Zusammenkommen auch für sehr intensive Diskussionen, wie wir unsere Disziplin bekannter machen können, wie wir uns präsentieren, wie wir mit der Welt da draußen kommunizieren. Das Video „The Takeover“ war meiner Ansicht nach ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung“, so die Österreicherin. Mit ihrem Engagement und ihrer Leidenschaft kam die Community in Los Angeles ihrem Ziel ein großes Stück näher und erhielt ein neues Bewegungsterritorium sowie jede Menge Aufmerksamkeit.
SURFTIPPS ZUM THEMA: www.tempestfreerunning.com www.protakeover.com
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