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Freitag, 8. April 2016
Ausgabe für Luxemburg Diese Beilage erscheint exklusiv im Die monatlichen Beilagen erscheinen in verschiedenen Sprachen in führenden internationalen Tageszeitungen: The Daily Telegraph, Le Figaro, The New York Times and El Pais.
F Ü R D E N I N H A LT I S T AU S S C H L I E S S L I C H D I E R E DA K T I O N VO N R U S S I A B E YO N D T H E H E A D L I N E S ( R U S S L A N D) V E R A N T WO R T L I C H .
RUSSLAND UND LUXEMBURG Trotz Sanktionen gibt es Lichtblicke im Austausch beider Länder TAUWETTER IN DEN BEZIEHUNGEN ZUM WESTEN? Die unerwartete Ankündigung des Abzugs eines Großteils der russischen Truppen beeinflusst nicht nur die Regelung der Syrienfrage, sondern auch die Beziehungen zwischen Moskau und den anderen an diesem Konflikt beteiligten Ländern, in erster Linie den Staaten des Westens.
Handelsbeziehungen in bewegten Zeiten
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EUROPA IM KRIEGSZUSTAND? Nach der Brüsseler Tragödie sagte François Hollande: „Wir sind im Kriegszustand.“ Aber ist die EU dazu bereit? Offensichtlich nicht. Das Verhältnis Westeuropas zum Krieg beruht auf dem Versprechen «Nie wieder Krieg!». Und auf dem Unvermögen, von Prinzipien abzurücken und damit ihre Auflösung zu riskieren. SEITE 6
ACHT DINGE ÜBER DAS BOLSCHOITHEATER
NATALIA MIKHAYLENKO PRESSEBILD
Anlässlich des 240. Geburtstages sammelte RBTH einige weniger bekannte Fakten aus der bewegten Geschichte des weltberühmten russischen Schauspielhauses. SEITE 8
Die Abwertung des Rubels hat die Investitionen aus Luxemburg in die russische Wirtschaft sicherlich noch attraktiver gemacht, aber andererseits bremst dieser Faktor die Zunahme des Handels zwischen den beiden Ländern. KSENIA ILIINSKAÏA
Investitionen gehen zurück
erungsabkommen, das bereits 2011 unterzeichnet wurde. In seiner neuen Fassung ist der Vertrag seit dem 1. Januar 2014 gültig und gestattet es russischen Unternehmen, die Steuersatzuntergrenze auf fünf Prozent zu senken. Zudem gibt es in Luxemburg keine Börsenumsatzsteuer und die Verteilung der Dividenden ist einfach geregelt, wodurch sich russische Unternehmen sehr effektiv finanzieren lassen.
Die Beliebtheit Luxemburgs bei der russischen Geschäftswelt hat ihren Grund im Doppelbesteu-
LESEN SIE WEITER AUF SEITE 4
keinesfalls nur auf diesen Sektor. Enge Kontakte gibt es auch in der Metallurgie und in der chemischen Industrie. Vor dem Hintergrund des Rubelverfalls werden Investitionen in die russische Wirtschaft wieder interessanter, aber dieser Faktor steht der Zunahme des Handelsumsatzes beider Länder im Wege.
FÜR RBTH
In Russland kennt man Luxemburg vor allem als großes Finanz- und Bankenzentrum, doch die Zusammenarbeit der beiden Länder beschränkt sich
IHRE VERLÄSSLICHE QUELLE FÜR DIE BERICHTERSTATTUNG ÜBER RUSSLAND, WELTWEIT IN 10 SPRACHEN!* 83 % der Leser vertrauen RBTH als Quelle für Expertenmeinungen. 81 % sagen, dass RBTH Informationen und Analysen über die gewöhnliche Russland-Berichterstattung hinaus bietet. 77 % erachten die Online-Ausgaben von RBTH als relevant für jeden – nicht nur für Russlandinteressierte.
*laut einer Leserumfrage für alle RBTH-Produkte vom März 2015
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Freitag, 8. April 2016
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Eine Beilage des Rossijskaja Gaseta Verlags, Moskau
POLITIK
TRUPPENABZUG AUS SYRIEN Bricht nun Tauwetter in den Beziehungen zum Westen an?
Der Waffenstillstand hat gehalten militärischen Kurses der Türkei“ provozieren. Alexej Fenenko vom Institut für Probleme der internationalen Sicherheit bei der RAW ist der Meinung, Ankara könnte nun nach der Kürzung des russischen Kontingents seine Truppen nach Syrien schicken, um die Entstehung eines weitgehend unabhängigen syrischen Kurdistans in der Nähe ihrer Grenze zu verhindern. Die Entsendung türkischer Truppen würde die Situation ernsthaft verkomplizieren, da sie unweigerlich eine Gegenreaktion sowohl der Kurden, als auch der syrischen Regierungstruppen hervorrufen würde.
Der Teilabzug russischer Truppen beeinflusst nicht nur die Syrienfrage, sondern auch die Beziehungen zwischen Moskau und den anderen an dem Konflikt beteiligten Ländern, insbesondere den Staaten des Westens. ALEXEJ TIMOFEJTSCHEW RBTH
Die Position Teherans
EPA/VOSTOCK-PHOTO
Russlands Präsident Wladimir Putin verkündete am 14. März den Abzug eines Großteils des russischen Truppenkontingents aus Syrien. Es ist offensichtlich, dass die Folgen dieser kaum zu erwarten gewesenen Entscheidung nicht nur die Lage in Syrien selbst betreffen, sondern sich auch auf das Verhältnis zwischen den anderen betroffenen Akteuren auswirken. So kündigte Washington nur einen Tag nach Putins Erklärung den Besuch seines Außenministers John Kerry in Moskau an, der dann auch knapp zehn Tage später vom 23. bis 24. März stattfand. In der russischen Hauptstadt nannte Kerry den Abzug eines Teils der russischen Truppen vor dem Hintergrund des bis jetzt anhaltenden Waffenstillstands in Syrien eine „sehr wichtige Entscheidung“. Beobachter würdigen die ungewohnt freundschaftliche Atmosphäre des Besuchs. Es lässt sich nicht daran zweifeln, dass dieser wie auch die anschließenden versöhnlichen Erklärungen aus Moskau und Washington über die Notwendigkeit einer Wiederbelebung der Beziehungen eine direkte Folge der Entscheidung des Kremls vom 14. März darstellen. Nach Meinung Wladimir Sotnikows vom Orientalistik-Institut der Russischen Akademie der Wissenschaften (RAW) ermögliche der Truppenabzug bei allen zwischen der Russischen Föderation und den USA verbleibenden Widersprüchen doch eine Auflockerung der Beziehungen zwischen den beiden Ländern. „Dieser Schritt hat die Position derjenigen im Westen entkräftet, die immer noch von einer automatischen Verlängerung der Sanktionen gegen Russland [die vor zwei Jahren vor dem Hintergrund der Ukrainekrise veranlasst wurden] sprechen“, glaubt der Experte. Auch andere Beobachter meinen, die Entscheidung Russlands könne frischen Wind in das abgekühlte Verhältnis des Westens zu Moskau bringen. Nach den Worten Alexander Schumilins, Direktor des Analysezentrums für Nahostkonfl ikte am Institut für USA- und Kanadaforschung der RAW, sei das „ein Mosaikstein beim Aufbau positiverer Beziehungen, darüber hinaus aber auch ein Zeichen für einen sich verändernden Charakter dieser Beziehungen.“ Die neue Art der Zusammenarbeit werde aber noch seine Zeit dauern.
IS eine ernsthafte Niederlage bedeuten und der syrische Präsident Bashar Assad, dessen Position ohnehin in den vergangenen Monaten gestärkt worden ist, würde dadurch zu einer Kraft, an der der Westen, und allen voran die USA, nicht mehr vorbeikommen. Aber vorerst rufen die Erfolge der Assad-Armee im Kampf gegen den IS keine allzu große Begeisterung bei den USA und deren Bündnispartnern hervor. Die offizielle Vertreterin des russischen Außenministeriums Maria Sacharowa bemerkte am 31. März , dass sie erstaunt sei von der „recht zurückhaltenden Reaktion vonseiten einiger einflussreicher Mitglieder der internationalen Gemeinschaft“ auf die Befreiung Palmyras, die sie als einen Wendepunkt im Kampf gegen den IS bezeichnete.
Zitat
« Die gemeinsamen Anstrengungen der USA und Russlands zur Einrichtung der Feuerpause [in Syrien] waren von Erfolg gekrönt. Dies ist ein positives Ergebnis.
Die Position Ankaras Der Abzug eines Teils der russischen Truppen und die Erfolge der Regierungsarmee könnten sich auch positiv auf die russisch-türkischen Beziehungen auswirken, meint Sotnikow. Hinderlich auf diesem Wege ist jedoch die Weigerung der türkischen Führung, sich für den Abschuss eines russischen Militärflugzeugs durch das
JOHN KERRY IN EINEM INTERVIEW MIT TASS VOM 25. MÄRZ
Es scheint offensichtlich, dass das Tauwetter zwischen Moskau und dem Westen in erster Linie die Positionen in der Syrienfrage berühren wird. Wie Wladimir Sotnikow glaubt, ist der Hauptfaktor, der die Positionen beider Seiten in der Syrienfrage annähern lässt, der Erfolg der syrischen Armee. Ende März eroberten die Truppen Bashar Assads die Stadt Palmyra, ein wichtiges kulturelles und strategisches Zentrum, von den Kämpfern des „Islamischen Staats“ zurück. Militärisch gesehen macht dies den Weg nach Ar-Raqqa frei, das vom IS als seine Hauptstadt angesehen wird. Die Einnahme dieser Stadt würde für den
TASS
Reaktion des Westens auf die Befreiung Palmyras
türkische Militär im November vergangenen Jahres zu entschuldigen. Allerdings ließen die türkischen Medien am 31. März verlauten, dass der potenzielle Mörder des russischen Piloten im Land verhaftet worden sei. Beobachter schließen nicht aus, dass dies eine bewusst versöhnliche Geste der türkischen Regierung in Richtung Moskau sein könnte. Andere Stimmen beurteilen die Situation im konträren Sinne. Der Abzug der russischen Truppen könne ganz im Gegenteil „eine Aktivierung des
Der Besuch von US-Außenminister John Kerry in Moskau Ende März – hier mit seinem Amtskollegen Sergej Lawrow – brachte beide Seiten näher zusammen.
Russlands Syrieneinsatz Seit dem 27. Februar ist in Syrien der von Russland und den USA initiierte Waffenstillstand in Kraft, der sich jedoch nicht auf die Verbändes des IS erstreckt. Am 27. März befreite eine Einheit der syrischen Streitkräfte mit Unterstützung der russischen Luftwaffe die zum UNESCO-Weltkulturerbe gehörende Stadt Palmyra. Der Militäreinsatz Russlands gegen den IS in Syrien begann am 30. September 2015. Er hat das Land bisher ca. 450 Mio. Euro aus dem Verteidigungshaushalt gekostet. Nach Angaben des russischen Verteidigungsministers Sergej Schojgu haben die syrischen Streitkräfte mehr als 400 Orte befreit. Sie flogen ca. 9000 Einsätze und töteten dabei um die 2000 aus Russland stammende IS-Kämpfer. Die russische Luftwaffe vernichtete 200 Erdölfördereinrichtungen des IS und konnte die Rohstoffversorgung der Terroristen vollständig unterbrechen.
Eine ungewisse Auswirkung könnte die Entscheidung über den Abzug der Truppen aus Syrien nicht nur auf die Türkei, sondern auch auf den Iran haben. Dieser unterstützt ebenso wie Russland Bashar Assad, habe aber ein angespanntes Verhältnis zu Moskau, wie Alexander Schumilin ausführt. Der Iran würde gern auch weiterhin die russischen Luftstreitkräfte für die eigenen Syrienpläne nutzen, die jedoch um einiges rigoroser als die russischen ausfielen. Der Iran sei nicht so sehr an Verhandlungen interessiert, als vielmehr an einem bedingungslosen Sieg Assads. Nach Ansicht Alexej Fenenkos sähe der Iran jedoch momentan seine wichtigsten Ziele in Syrien bereits realisiert: Das Assad-Regime ist immer noch an der Macht, während die von Saudi-Arabien protegierten radikalen Sunniten besiegt sind. Allerdings könnten sich die durch die Erfolge Bashar Assads brüskierten Wahhabiten durch die neue Situation gezwungen sehen, sich aktiver in der Syrienfrage einzubringen, was die Situation abermals deutlich verkomplizieren würde.
Militärtechnik über den Syrienexpress Gleichzeitig sei es, unterstreicht Fenenko, noch zu früh, um über den Abzug eines Großteils oder gar der gesamten russischen Armee aus Syrien zu sprechen. Der Experte erinnert an die russischen Luftangriffe im Kampf gegen den IS. Wie es auch ausführlich in den Medien berichtet worden sei, habe die russische Luftwaffe die syrische Armee während des Sturms auf Palmyra aktiv unterstützt. Und das russische Verteidigungsministerium hat mehrfach unterstrichen, dass sich der Teilabzug seiner Streitkräfte nicht auf den Kampf gegen radikale Islamisten auswirken werde. Neuerliche Luftschläge richteten sich in keinem Fall gegen die Gruppierungen, die die Bedingungen des ausgehandelten Waffenstillstands akzeptiert haben. Gleichsam parallel zu der Einschätzung Alexej Fenenkos teilte die Nachrichtenagentur Reuters am 30. März mit, dass die Russische Föderation gemäß einer offiziellen Erklärung Putins über den Truppenabzug dabei sei, mehr Militärtechnik nach Syrien hineinzubringen, als tatsächlich von dort abzuziehen. Dazu analysierte Reuters den russischen Schiffsverkehr nach Syrien und von dort zurück nach Russland – den sogenannten Syrienexpress. „Russland arbeitet verstärkt an der Befestigung seiner militärischen Infrastruktur in Syrien und hält an dem Versprechen gegenüber der syrischen Armee fest, im Notfall erneut und entschlossen seine militärische Präsenz auszubauen“, schlussfolgert man in der Agentur.
SONDERBEILAGEN UND SONDERRUBRIKEN ÜBER RUSSLAND WERDEN VON RBTH, EINEM UNTERNEHMEN DER ROSSIJSKAJA GASETA (RUSSLAND), PRODUZIERT UND IN DEN FOLGENDEN ZEITUNGEN VERÖFFENTLICHT: TAGEBLATT, LE JEUDI, LUXEMBURG • LE FIGARO, FRANKREICH • THE DAILY TELEGRAPH, GROSSBRITANNIEN • THE NEW YORK TIMES, FOREIGN POLICY, USA • EL PAÍS, SPAINIEN • EL PERUANO, PERU • NEDELJNIK, GEOPOLITICA, SERBIEN • NOVA MAKEDONIJA, MAZEDONIEN• DESHBANDHU, INDIEN • MAINICHI SHIMBUN, JAPAN • HUANQIU SHIBAO, CHINA • NATION, PHUKET GAZETT, THAILAND • EL OBSERVADOR, URUGUAY • LA RAZON, BOLIVIEN.
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INTERNATIONAL
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INTERVIEW ANDREJ KELIN
DER DIALOG ZWISCHEN RUSSLAND UND DER EU LIEGT AUF EIS. WIE KÖNNTEN LÖSUNGSANSÄTZE AUSSEHEN? Andrej Kelin, Direktor der Abteilung für gesamteuropäische Zusammenarbeit des russischen Außenministeriums, spricht im Interview über die aktuellen Herausforderungen in den Beziehungen zwischen Russland und der Europäischen Union, einschließlich der Differenzen in der Ukrainefrage und einer möglichen Wiederaufnahme der Zusammenarbeit. Wie sieht Russland heute seine Beziehung zur Europäischen Union und welche neuen Ansätze kann Moskau vorschlagen? Die Beziehungen zur EU befinden sich zurzeit fast am Nullpunkt. Das ist das Ergebnis der EU-Beschlüsse zur Krim und zur Ukrainekrise. Es gab schon lange keinen Gipfel mehr. De facto sind alle 18 sektoralen Dialoge eingefroren worden, geblieben sind gerade einmal gelegentliche Treffen auf Außenministerebene zwischen Lawrow und Mogherini und vielleicht vereinzelte Ministertreffen. Kontakte gibt es in bestimmten Handelsfragen und einigen politischen Bereichen, aber systemumfassend funktioniert das nicht. Das Ergebnis liegt auf der Hand: ein Handelsrückgang um 40 Prozent im letzten Jahr. Die Probleme häufen sich in allen Bereichen: im Handel, Energiebereich oder in der Wirtschaft. Aber sie können nur im Rahmen normaler Beziehungen gelöst werden, die auf Basis des Abkommens über Partnerschaft und Zusammenarbeit seit 1996 gestaltet wurden. Jetzt funktioniert das nicht mehr. Russland ist indirekt und direkt im Syrienkonflikt involviert. Was sagen Sie über eine Zusammenarbeit bezüglich der Flüchtlingskrise in Europa? Wie kann Russland helfen?
Migration ist ein Punkt, der die EU zurzeit sehr stark, Russland aber kaum betrifft. Wir haben unsere eigenen Probleme. Die EU hat es mit vielen Asylsuchenden aus dem Nahen Osten zu tun, aber wir haben zu Beginn des Ukrainekonflikts bis zu einer Million Menschen aus der Ostukraine aufgenommen und auch wir meistern das irgendwie. Häufig wenden sich Botschafter europäischer Länder an uns und beklagen sich über ihre Migrationsprobleme. Wir können nur mitfühlen, konkret helfen können wir nicht. Es gibt in diesem Punkt keine breit angelegte Zusammenarbeit oder ein Abkommen zwischen uns und der EU, auch wenn ein Dialog geführt wird. Wir bekämpfen nicht die Folgen, sondern die Ursachen. Und die Hauptursache für den Flüchtlingsstrom ist die Instabilität im Nahen Osten und der Bürgerkrieg in Syrien, der bereits über fünf Jahre dauert.
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Russland setzt auf bilaterale Gespräche Was genau trennt Moskau und Brüssel?
Biografie
PROBLEM 1: SANKTIONEN
Andrej Kelin (58) ist Berufsdiplomat. 1979 schloss er sein Studium an der Fakultät für Internationale Journalistik am Moskauer Institut für Internationale Beziehungen ab. Er arbeitete in den Niederlanden, in Belgien und als ständiger Vertreter bei der NATO. Zurzeit leitet er die Abteilung für gesamteuropäische Zusammenarbeit in der OSZE.
Die Sanktionen wurden von der EU und den USA gegen Russland infolge der Ukrainekrise verhängt. Sie werfen einen großen Schatten auf die Beziehungen ebenso wie das Embargo, das Russland als Antwort auf die Sanktionen für zahlreiche Waren aus der EU und den USA verhängt hat. In einigen Monaten entscheidet Brüssel erneut über die wirtschaftlichen Sanktionen gegen Russland. Beobachter gehen von einer Verlängerung aus.
PROBLEM 2: MINSKER ABKOMMEN Das Minsker Abkommen ist ein ständiger Zankapfel zwischen Russland und dem Westen. Bislang sind noch keine Fortschritte bei der Umsetzung des Abkommens zu beobachten, insbesondere bei der notwendigen Verfassungsänderung über den Status der abtrünnigen Donbass-Region. Das ukrainische Parlament hat diese auf unbestimmte Zeit aufgeschoben. Deswegen steht das Schicksal der Vereinbarungen noch in den Sternen.
PROBLEM 3: SYRIENKONFLIKT Im Syrienkonflikt sind sich Russland und die EU uneins, auch darüber, wie man den Dialog von Moskau und Washington in der Syrienfrage beurteilen soll. Dies beeinträchtigt die Entscheidungen Moskaus und Brüssels hinsichtlich Syriens oder der Flüchtlingskrise. Einige europäische Politiker unterstellen Russland, den Militäreinsatz genutzt zu haben, um Vorteile aus der Flüchtlingskrise zu ziehen. Putins Anordnung über einen Teilabzug des Militärs könnte Entspannung in das russischeuropäische Verhältnis im Bezug auf Syrien bringen.
Wie stabil ist die Situation mit der Krim heute? Westpolitiker und einige Beobachter schließen eine Rückkehr der Krim zur Ukraine nicht aus. Das kann ich mir kaum vorstellen, dort passiert nichts Dramatisches. Wir beobachten die Situation sehr genau. Aber auf der Krim herrschen immer noch jene Strukturen vor, die sich während ihrer 23-jährigen Zugehörigkeit zur Ukraine herausgebildet haben. Dazu gehören übermäßige Bürokratie und Korruption – viele Beamte, die Bestechungsgelder annehmen, sind noch auf ihren alten Posten. Das ist das größte wirtschaftliche Hindernis auf der Krim. Die russische Gesetzgebung, die Korruption rigoros bekämpft, fasst schwer Fuß in diesem Umfeld, es geht nur langsam voran.
Es hat den Anschein, Russland falle es schwerer, mit der Europäischen Union als Ganzer zu verhandeln, als mit einzelnen europäischen Ländern. Denkt der Kreml über einen Taktikwechsel nach – statt die Beziehungen zur EU wieder aufzubauen, gezielt politischen und ökonomischen Kontakt zu den einzelnen Ländern auf bilateraler Ebene zu suchen?
Wir arbeiten in der Tat jetzt mehr an bilateralen Beziehungen. Aber wenn wir normale bilaterale Beziehungen zu einzelnen EU-Staaten pflegen wollen, müssen wir dies auch mit deren Institutionen tun, die in Europa in erster Linie mit der Europäischen Union verknüpft sind. Und hier liegt die Schwierigkeit: Ohne die Institutionen der EU kann es keine normale Beziehung zu einem Mitgliedsstaat geben. Als der außenpolitische Dienst geschaffen und eine gemeinsame Außenpolitik entwickelt wurde, legte man dieser das Prinzip des kleinsten gemeinsamen Nenners zugrunde: Man nimmt die Positionen vieler Länder und filtert alles Überflüssige heraus. Was dann bleibt, ist eine sehr schmale Position. Mehr noch, wenn ein Land nicht über eine eigens erarbeitete und durchdachte Position zu einer Frage verfügt, wird häufig die Sichtweise Washingtons übernommen. Erstmals begegnete ich diesem Phänomen, als ich bei der NATO war: Tatsächlich kamen da die Länder zur NATO-Ratssitzung ohne eigene Position und verließen die Versammlung mit der Vorgabe Washingtons, weil diese durchdacht, begründet und argumentativ untermauert war. Sie wurde den anderen Ländern entweder aufgedrängt oder von diesen vorbehaltlos übernommen. Momentan agiert der europäische außenpolitische Dienst, wie mir scheint, genau nach dieser Formel. Deshalb haben wir große Schwierigkeiten mit den Institutionen der Europäischen Union – viel mehr als in den Beziehungen zu den einzelnen Ländern auf bilateraler Ebene. Das Gespräch führte PAWEL KOSCHKIN. Die ungekürzte Fassung des Gesprächs erschien zuerst auf russia-direct.org
ATOMBRANCHE Russlands Antwort auf die Frage der nuklearen Sicherheit
Plutonium in falschen Händen ALEX KUPER FÜR RBTH
Wie kann vermieden werden, dass radioaktives Material in die Hände von Terroristen gelangt und wie können nukleare Objekte geschützt werden? Diese Fragen standen im Mittelpunkt des Gipfeltreffens für nukleare Sicherheit in Washington, das vom 31. März bis 1. April stattgefunden hat. Die größte Gefahr zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist nach Meinung vieler Atomexperten der Fall, dass Uran und Plutonium in die Hände von Terroristen gelangen und zum Bau einer „schmutzigen Bombe“ verwendet werden könnten. „Wir wissen, dass Terroristen Zugang zu solchem Material erlangen und über Nukleartechnik verfügen wollen. Das betrifft Al-Qaida und natürlich den IS“, bemerkte der stellvertretende Berater für nationale Sicherheit des US-Präsidenten Ben Rhodes während eines Sonderbriefings zu diesem Treffen. Nach den Worten der Expertin Michelle Cann von der NGO Partnership for Global Security könnten solche Veranstal-
tungen wie das Gipfeltreffen in Washington jedoch dazu beitragen, die Gefahr zu verringern: „Die internationale Gemeinschaft hat mehr als 1500 Kilogramm hoch angereichertes Uran und Plutonium entsorgt. Seit 2010 haben sich zwölf weitere Länder ihrer Reserven an hoch angereichertem Uran entledigt.“ In diesem Jahr fand das Treffen ohne Russland statt. „Wir haben ein gewisses Defizit in der Zusammenarbeit bei der Vorbereitung des Gipfels verspürt, weshalb die russische Seite in diesem Jahr nicht daran teilnehmen wird“, erklärte der Pressesprecher des russischen Präsidenten Dmitri Peskow im Vorfeld. Allerdings plane Russland, beim Gipfeltreffen für nukleare Sicherheit im Dezember mit dabei zu sein, das unter Vorsitz der UNO stattfinden wird. „Mir scheint, dass diese Entscheidung absolut richtig ist. Probleme wie die nukleare Sicherheit müssen gemeinsam angegangen werden, sie sollten nicht unter der Ägide eines einzelnen Landes verhandelt werden. Schließlich handelt es sich um eine UNO-Konferenz – dort können Russland, China, Indien, die USA und Frankreich zusammen agieren“, sagt der unabhängige Experte für Atomenergiewirtschaft Alexander Uwarow.
NTI RankingListe
PRESSEBILD
Auf dem Gipfel für nukleare Sicherheit in Washington traf sich die Welt. Auch wenn Russland seine Teilnahme abgesagt hat, verweigert es sich nicht einer Lösung der nuklearen Probleme.
In Schelesnogorsk errichtete Russland einen Betrieb zur Umwandlung waffenfähigen Plutoniums in Kernbrennstoff.
Neue Produktion in Sibirien Zugleich setzt Russland sein Programm zur Umwandlung von Plutonium fort. Bis 2018 müssen Russland und die USA 34 Tonnen Plutonium entsorgen – diese Verpflichtung ist in einem Abkommen festgehalten, das bereits 2010 durch die Außenminister Russlands und der USA, Sergej Lawrow und Hillary Clinton, unterzeichnet wurde. Zur Umsetzung dieses Abkommens errichtete Russland einen Betrieb zur Umwandlung waffenfähigen Plutoniums in Kernbrennstoff. Dazu wurde unter anderem ein Werk in der Stadt Schelesnogorsk (Region Krasnojarsk), in dem früher waffen-
2015 belegte Russland den 18. Platz (eine Verbesserung um zwei Plätze) bei der Diebstahlsicherheit (theft ranking) in der internationalen Rangliste NTI Nuclear Security Index. Eine sehr gute Bewertung erhielt Russland unter anderem bei der Cybersicherheit nuklearer Objekte.
fähiges Plutonium produziert wurde, umgerüstet. Seit Herbst 2015 werden dort innovative MOX-Brennelemente für Kernkraftwerke mit einem modernen Neutronenreaktor produziert. Diese Fertigungskette ist bisher weltweit einzigartig. Die neue Technologie gestattet es, die Menge der radioaktiven Abfälle zu verringern und eröffnet den Weg zu einer abfallfreien Technologie in der Atomwirtschaft.
Unterschiedliche Ergebnisse bilateraler Zusammenarbeit Der Aufbau des MOX-Werkes und des Kraftwerkblocks mit dem schnellen Neutronenreaktor BN-800 war der schwierigste Teil der Roadmap zur Umsetzung der Verpflichtungen aus dem russisch-amerikanischen Abkommen. Die Erfolge auf amerikanischer Seite hingegen sind nicht ganz so beeindruckend und eine Reihe US-amerikanischer Experten zweifelt mittlerweile an der fristgerechten Umsetzung. Der Generalstaatsanwalt des Bundesstaates South Carolina Alan Wilson äußerte in einem Interview mit der Washington Post, dass das Energieministerium der Vereinigten Staaten alle Anstrengungen unternehmen sollte, um auch seinem Teil der Verpflichtungen nachzukommen. Das geplante Werk zur Umwandlung waffenfähigen Plutoniums sei noch immer nicht errichtet worden, unter anderem, weil die Finanzierung nicht sichergestellt sei.
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DAS THEMA
RUSSLAND UND LUXEMBURG LUXEMBURG IST WEGEN SEINER INTERESSANTEN FINANZMITTEL FÜR RUSSISCHE GESCHÄFTSLEUTE SO ATTRAKTIV – UND IN RUSSLAND BIETET DER ZURZEIT NIEDRIGE RUBEL CHANCEN FÜR LUXEMBURGISCHE INVESTOREN
DER HANDEL HAT TRADITION FORTSETZUNG DER ERSTEN SEITE
Doch nichtsdestotrotz ist das Investitionsvolumen in den letzten Jahren gesunken: Die Unternehmen scheuen das Risiko. 2014 gingen die Investitionen nach Angaben der Russischen Zentralbank um 693 Mio. US-Dollar zurück. Im Jahr zuvor konnte noch ein Plus von 11,6 Mrd. US-Dollar verzeichnet werden. „Luxemburg bietet für die Geschäftswelt immer noch sehr interessante Finanzinstrumente, die in Russland leider ihresgleichen suchen“, bemerkt der Leiter der Belgisch-Luxemburgischen Handelskammer in Russland Oleg Prosorow. „Luxemburg ist das einzige internationale Finanzzentrum in der EU mit einem Rating von ААА, deshalb ist das Land für russische Geschäftsleute so attraktiv. Wir glauben, dass für russische Unternehmen mit internationalen Geschäften Luxemburg der ideale Standort im Herzen Europas ist.“
Rubelabwertung drückt die Importe In den vergangenen zwei Jahren ist der Import von Waren aus Luxemburg nahezu auf die Hälfte gesunken: Betrug er 2013 noch 204 Mio. US-Dollar, waren es 2015 nur noch 111 Mio. US-Dollar. Der Hauptgrund dafür ist die nahezu halbierte Rubelwährung. Die Abwertung des Rubels beschleunigte sich im vergangenen halben Jahr dramatisch und die Wareneinfuhr nach Russland ging um 37,4 Prozenht zurück. Dieser prozentuale Rückgang ist aber immer noch geringer als der Importrückgang von Waren aus Frankreich (– 44 %) und aus der Europäischen Union im Ganzen (– 41,5 %). Der Import besteht im Wesentlichen aus Industriewaren: allen vorab Papier und Zellulose (17 %), Autoreifen (13 %), Kunststoffbodenbeläge (11 %) und Maschinen (12 %). Die Lebensmittel importe waren aufgrund der Wirtschaftssanktionen gegen Russland und des darauffolgenden russischen Embargos ohne größere Bedeutung: So wurden 2013 aus Luxemburg Milch und Milchprodukte im Wert von gerade einmal 300 Tsd. USDollar eingeführt. Gleichzeitig nimmt der russische Export nach Luxemburg rasant zu: In den beiden vergangenen Jahren stieg er auf das Dreifache, auch wenn das Volumen nicht gerade beeindruckte: Von 13 Mio. US-Dollar 2013 stieg es auf 46 Mio. US-Dollar 2015. Den größten Teil machten die Lieferungen fossiler Brennstoffe und Erdölprodukte aus (85 % des Gesamtexports). Um 50 Prozent nahm im vergangenen Jahr die Ausfuhr von Eisenmetallen (7,2 %) und um 70 Prozent die von chemischen Produkten zu. Dafür gingen die Lieferungen russischer Maschinen 2013 um 12,7 Prozent und 2015 um 3,1 Prozent zurück.
in Russland tätig, unter anderem der Maschinen- und Anlagenbauer Paul Wurth, der Glasproduzent Guardian Industries, das Bauunternehmen Astron Buildings und die Frachtfluggesellschaft Cargolux. „Wenn man über die Zukunft von Investitionen spricht, muss man verstehen, dass Russland unter Berücksichtigung des Kurses der Nationalwährung vom Standpunkt eines europäischen Investors, der in ausländischen Währungen investiert,
INTERVIEW WIKTOR SOROKIN
„Besonders wichtig ist die Zusammenarbeit im Investitionsbereich“ Wiktor Sorokin, der neue russische Botschafter in Luxemburg, trat am 15. Februar seinen Dienst an. RBTH hat sich mit dem Diplomaten getroffen, um über die wichtigsten Fragen der Beziehungen beider Länder zu sprechen.
ALYONA REPKINA
Die Geschäftswelt spricht sich gegen die Sanktionen aus Sanktionen, Embargo und Rubelverfall haben sich negativ auf die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Russland und Luxemburg ausgewirkt, aber beide Seiten unterstreichen die Notwendigkeit eines Kurswechsels. Bei seinem Besuch in Moskau im Februar dieses Jahres erklärte der stellvertretende Premier- sowie Wirtschaftsminister Luxemburgs Etienne Schneider, dass „die Sanktionen für die Geschäftswelt beider Länder gleichermaßen schädlich sind“, und rief dazu auf, eine Gesamtlösung zu finden. Sein Gesprächspartner, der stellvertretende Ministerpräsident Russlands Dmitrij Rogosin, rief seinerseits die Luxemburger Geschäftsleute dazu auf, in die russische Wirtschaft zu investieren. Eine Reihe Luxemburger Großunternehmen ist bereits seit einiger Zeit
gegenwärtig von sehr großem Interesse ist“, bemerkt Oleg Prosorow. „Aber man darf natürlich die durch die geopolitische Situation bedingten momentanen Hürden nicht außer Acht lassen. Da die russische Wirtschaft heute ein Teil der globalen Wirtschaft ist, bin ich davon überzeugt, dass diese Hürden in naher Zukunft überwunden werden können“, gibt sich der Leiter der BelgischLuxemburgischen Handelskammer in Russland optimistisch.
Als eines der Kernziele Ihrer Tätigkeit im neuen Amt formulieren Sie die Entwicklung der russischen und luxemburgischen Wirtschaft. Welche Schritte müssen Ihrer Ansicht nach unternommen werden? Es ist unerlässlich, das akkumulierte „Kapital“ der bilateralen Wirtschaftsbeziehungen zu erhalten und zu mehren. Angesichts der heutigen Abkühlung zwischen Russland und den westlichen Ländern dürfen keine Rückschritte zugelassen werden. Schließlich wurde am 7. März das 125-jährige Jubiläum der diplomatischen Beziehungen beider Länder begangen. Bei den Prioritäten ist die Zusammenarbeit im Investitionsbereich besonders
Trotz Sanktionen demonstrieren die Wirtschaftskreise beider Länder gegenseitiges Interesse.»
hervorzuheben. Luxemburg nimmt den dritten Platz beim gesamten Investitionsvolumen in Russland nach Zypern und den Niederlanden ein und den zweiten Platz nach Zypern bei Direktinvestitionen. Auf das Jahr 2015 gesehen ist der Umfang direkter Investitionen Luxemburgs in Russland im Vergleich zum Vorjahr zurückgegangen. Ich hoffe, dieser Trend ändert sich in nächster Zeit. Welche Branchen sollten russische und luxemburgische Wirtschaftsvertreter vom Standpunkt der Investitionsattraktivität aus ins Auge fassen? Der Finanz-, Innovations- und Weltraumsektor sind es wert, in Betracht gezogen zu werden. Auch die Logistik verdient Interesse: die Weiterentwicklung der Zusammenarbeit in den Logistik-Hubs für europaweite Warenströme etwa – im Luxair Cargo Center, im Luxembourg Freeport oder im multimodalen Hub in Bettemburg. Ungeachtet des instabilen Umfelds in der Wirt-
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DAS THEMA UNTERNEHMEN Die Turbulenzen auf dem russischen Markt schrecken die Geschäftsleute nicht ab
Die Wirtschaft im Zeichen der Sanktionen
RG
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kehrter Richtung der Fall“, erklärt Max Kremer. Nicht zuletzt deshalb, weil durch den Absturz des Rubels die russischen Produkte von einen Tag auf den anderen äußerst konkurrenzfähig geworden sind. Obwohl Kanada vor Kurzem die Sanktionen gegen einige Russen und mehrere russische Finanzinstitute verschärft hat, herrscht in der luxemburgischen Gemeinde in Moskau das Gefühl vor, die EU werde nicht nachziehen, was allerdings nicht heißen soll, dass die Sanktionen kurzfristig aufgehoben werden, doch Kremer gibt sich entschieden optimistisch: „Innerhalb von zwei Jahren wird all das vergessen sein.“
LOUIS BONAVENTURE FÜR RBTH
Die EU sollte ihre Sanktionen nicht ausweiten Durch ihren Kontakt zu luxemburgischen Anwälten, die sich in Russland niedergelassen haben, hat Arendt & Medernach SA von der schwierigen Situation profitiert und ihre Strategie für die Moskauer Zweigstelle überdacht. So fiel die Entscheidung, die Aktivitäten in Russland, aber auch in anderen GUSStaaten und insbesondere in Kasachstan und Usbekistan auszuweiten und verstärkt auf die Klienten zuzugehen. Und der Erfolg gibt ihnen recht. „Viele russische Klienten konsultieren uns, um zu erfahren, wie sie ihre Geschäftsfelder ausbauen können, ohne die Sanktionen zu verletzen, und das ist auch in umge-
DE.RBTH.COM SCHMERZHAFTER ÜBERGANG ZU NEUEN WIRTSCHAFTSFORMEN
Seit einigen Wochen erbebt die Wirtschaft in Russland. Doch die luxemburgische Geschäftswelt hat Möglichkeiten entwickelt, sich aus der Affäre zu ziehen.
Anlässlich der Gala der BelgischLuxemburgischen Handelskammer in Russland war der Saal der Russischen Industrie- und Handelskammer in Moskau am 21. April brechend voll. Das zeigt, dass die Geschäftswelt die Sanktionen gegen Russland zur Kenntnis genommen hat, sich den Turbulenzen anpasst und nun auf gute Geschäfte hofft. Und trotz Sanktionen stehen manche Wirtschaftsbereiche wider Erwarten gut da. „Wir haben viele russische Kunden, die ihr Vermögen oder ihre Aktivitäten auf Luxemburg ausrichten, in dieser Hinsicht haben die Sanktionen die Geschäfte nicht beeinträchtigt“, merkt Max Kremer an, Teilhaber der Anwaltskanzlei Arendt & Medernach SA.
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Kalender
GESCHÄFTS-
Schwierigkeiten steigern den Einfallsreichtum
REISE NACH
Inzwischen übt sich die Geschäftswelt in Geduld – und wie Oleg Prosorow, Leiter der belgisch-luxemburgischen Handelskammer in Russland betont: „Die Leute haben sich daran gewöhnt und versuchen weiterhin, Geschäfte zu machen.“ Als Beweis führt er an, dass trotz der beiden vergangenen schwierigen Jahre die Geschäftsaktivitäten der Belgisch-Luxemburgischen Handelskammer in Russland fortgesetzt worden sind. Doch das ist nicht überall so. Bei der Astron, Produzent von Metallkonstruktionen und Industriegebäuden, hat sich die Anzahl der Projekte in diesen beiden Jahren um 50 bis 70 Prozent reduziert. „Die Sanktionen betreffen uns auch heute, doch die Schwierigkeiten haben uns motiviert, andere Lösungen zu finden“, betont Marc Buchheimer, Direktor von Astron in Russland. Statt Fabrikanlagen entwirft das Unternehmen nun Schulgebäude, Sportanlagen und Logistikzentren. „Die Zahlen sind positiv und seit einigen Wochen kommen wieder Anfragen herein. Der
ASTRACHAN 21. – 24. APRIL Lukoil und die BelgischLuxemburgische Handelskammer in Russland laden Sie zur Wirtschaftsmission in der südrussischen Stadt Astrachan ein. Die Teilnehmer werden sich mit den zukünftigen Handelspartnern aus der kaspischen Region treffen. Die Delegation wird von dem Gouverneur der Oblast Astrachan Alexander Zhilkin empfangen. › www.ccblr.com
Markt bebt natürlich aufgrund des leichten Anstiegs des Benzinpreises und der Wiedererstarkung des Rubels, doch noch ist nichts entschieden“, erläutert der Direktor. Astron bleibt zuversichtlich und wartet auf die Rückkehr der ausländischen Investoren, denn auf lange Sicht bleibt das Potenzial des russischen Marktes verlockend. Reichhaltige Rohstoffressourcen, die Notwendigkeit zur Modernisierung der Industrie und der Binnenmarkt mit fast 150 Millionen Einwohnern machen ihn äußerst attraktiv. Doch aktuell sei es ausgesprochen wichtig, die gewinnträchtigen Bereiche zu erkunden. Die Logistik hält momentan interessante Perspektiven bereit, sodass im Februar Repräsentanten von Luxembourg Freeport nach Russland gekommen sind. „Sie wollten ihr Expertenwissen im Rahmen eines Bauprojekts für den Freihafen Wladiwostok einbringen, der für die Lagerung von Luxusgütern ausgebaut werden soll“, erklärt Oleg Prosorow. Doch das ist noch nicht alles. „Die Russen sind erfahrene Internetnutzer und kaufen viele Dinge online. In Luxemburg ansässige Unternehmen sind dabei, ein Logistikzentrum in Moskau aufzubauen, um dort ihre Kunden zu betreuen“, fährt er fort. Und im Gegenzug wurde Jewgenij Kaspersky, der Entwickler von Antiviren-Software, kürzlich vom luxemburgischen Wirtschaftsminister empfangen, um über eine Zusammenarbeit im Bereich der Software-Entwicklung zu sprechen. Diese Beispiele zeigen, dass der Dialog zwischen dem Großherzogtum und Russland weitergeführt wird und es trotz der schwierigen konjunkturellen Lage zur Kollaboration und zu konkreten Partnerschaften kommt. Oleg Prosorow ergänzt: Er wünsche sich, dass „sich Russland und die EU bald wieder als Nachbarn und Partner betrachten“.
Obwohl die Wirtschaftssanktionen auch luxemburgische Firmen in Russland betreffen, hat sich das Unternehmen Astron an die neue Situation angepasst. Statt Industrieanlagen entwirft es nun Schulgebäude, Sportanlagen und Logistikzentren. Langfristig sieht Astron ein großes wirtschaftliches Potenzial in Russland.
Russlands Minister für wirtschaftliche Entwicklung Alexej Uljukajew hat exklusiv mit RBTH über die Auswirkungen der Sanktionen gesprochen – und über die Möglichkeiten, die die russische Wirtschaft internationalen Investoren bietet. DE.RBTH.COM/580033
LEITZINSSENKUNG ALS CHANCE FÜR DEN RUSSISCHEN MARKT REUTERS
In der EU gibt es nach der Senkung des Leitzinses durch die Europäische Zentralbank nun Geld zum Nulltarif. Der russische Markt mit seinen hohen Zinsen könnte dadurch attraktiver für ausländische Investoren werden. DE.RBTH.COM/577543
RANGELEI UM NORD STREAM 2 REUTERS
Erneut regt sich Protest gegen den Ausbau der Gaspipeline Nord Stream. Das Machtwort liege jedoch nicht bei Brüssel, meinen russische Experten: Über das Schicksal der Pipeline entscheiden Deutschland und die USA. DE.RBTH.COM/577919
EDITPRESS/JEAN-CLAUDE ERNST
schaftskooperation bleiben Investitionen in den Realsektor zukunftsweisend. 2015 haben luxemburgische Unternehmen die Weiterentwicklung ihrer Produktionen in Russland fortgesetzt. In Toljatti (Region Samara) hat Accumalux ein Werk für Fahrzeugkomponenten eröffnet. Zudem wurde ein Vertrag zwischen der luxemburgischen Paul Wurth und der russischen NLMKGroup unterzeichnet. Was würden Sie über luxemburgische Unternehmen in den russischen Regionen sagen? Letztes Jahr haben luxemburgische Wirtschaftsdelegationen Moskau, Sankt Petersburg, die Regionen Murmansk, Samara, Wolgograd, Nischni Nowgorod und Chabarowsk besucht. Vertreter des Ministeriums für die Entwicklung des Fernen Ostens haben dem Großherzogtum einen Besuch abgestattet, um die Erfahrungen luxemburgischer Kollegen bei der Anwendung des
Biografie Wiktor Sorokin (59) ist Berufsdiplomat. 1978 schloss er sein Studium an der Fakultät für Internationales Recht am Moskauer Institut für Internationale Beziehungen ab. Er arbeitete im Kongo und in Frankreich, danach in Genf bei der ständigen UN-Vertretung. Von 1999 bis 2016 koordinierte er die russischen Beziehungen zu der Ukraine, Weißrussland und Moldawien.
Rechtstatus eines freien Hafens zu erkunden. Im Zuge der Verhandlungen haben die Seiten vereinbart, ihre Kontakte mit dem Ziel der gemeinsamen Entwicklung des freien Hafens in Wladiwostok fortzusetzen. Am 18. Februar 2016 hat in Moskau ein wichtiges Ereignis für die Beziehungen stattgefunden: die Sitzung der Gemischten Kommission für Wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen Russland und der Benelux-Union. Auf der Sitzung legte Dmitrij Rogosin, Vizepremier der Russischen Föderation, luxemburgischen Unternehmen die Pläne der russischen Regierung zur administrativen Unterstützung derjenigen dar, die bereit sind, die Wirtschaft im Fernen Osten und in Sibirien zu entwickeln. Momentan sprechen wir über die Organisation einer Reise von Spitzenvertretern der luxemburgischen Wirtschaft in die Region mit der Option auf den Besuch der größten Industriezentren, beispielsweise in Wladiwostok und Irkutsk. Ungeachtet der Krisensituation in der russischen Wirtschaft und der EUSanktionen ist das Handelsvolumen im vergangenen Jahr gestiegen. Worauf ist Ihrer Ansicht nach der stetige Anstieg zurückzuführen? Leider ist die Situation nicht so positiv, wie Sie sagen. Der negative Einfluss der antirussischen EU-Sanktionen und der von unserem Land unternommenen Gegenmaßnahmen konnte nicht ohne Auswirkung auf die Handelsbeziehungen bleiben. Aufs Jahr 2015 gesehen ist
das Handelsvolumen zwischen Russland und Luxemburg im Vergleich zu 2014 um 26,4 Prozent zurückgegangen. Russlands negative Handelsbilanz mit Luxemburg belief sich in 2015 auf 56,9 Millionen Euro. Trotzdem demonstrieren die Wirtschaftskreise beider Länder selbst unter den Bedingungen des nicht immer legitimen Kurses der EU bei der Erhaltung des Sanktionsdrucks auf Russland ein weiterhin nicht nachlassendes gegenseitiges Interesse. Welche weiteren Aspekte der Zusammenarbeit halten Sie für besonders wichtig? Ich setze große Hoffnung auf den Austausch im Bereich der Kultur, Bildung und Wissenschaft. Eine Vereinbarung über die Zusammenarbeit in den genannten Bereichen wurde bereits am 28. Juni 1993 unterzeichnet. Vor Kurzem kam das Ausführungsprotokoll für den Zeitraum zwischen 2015 und 2018 hinzu. Das Russische Zentrum für Wissenschaft und Kultur und die Vertretung von Rossotrudnitschestwo dienen der Festigung kultureller Beziehungen. Für das laufende Jahr planen sie zahlreiche Bildungs- und Kulturevents, die bedeutenden Daten der russischen Geschichte und Kultur gewidmet sein werden. Herr Botschafter, wir danken Ihnen für das Gespräch. Das Gespräch führte WIKTOR ONUTSCHKO.
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Russlands Wirtschaft: Die vier größten Herausforderungen de.rbth.com/567255
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Freitag, 8. April 2016
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Eine Beilage des Rossijskaja Gaseta Verlags, Moskau
MEINUNG
FJODOR LUKJANOW POLITOLOGE Präsidiumsvorsitzender des Russischen Rats für Außen- und Verteidigungspolitik und Chefredakteur der Zeitschrift Russia in Global Affairs
m November vergangenen Jahres nach den Terroranschlägen von Paris wurde sehr schnell klar, dass die Spur in die belgische Hauptstadt führt. Seitdem richtet sich die Aufmerksamkeit sämtlicher europäischer Geheimdienste auf Brüssel. Die Führung des Landes veranlasste aktive Sicherheitsmaßnahmen und es gelang, den Organisator der Pariser Anschläge zu verhaften. Nun folgte der nächste Schlag in Brüssel. Aber es wird wenig in der Öffentlichkeit diskutiert, ob es ein Scheitern der Geheimdienste war, das die Attentäter entwischen ließ. Unter den dramatischen Umständen ist es angemessen anzunehmen, dass die Sicherheitsstrukturen alles in ihren Kräften Stehende leisten. Doch dann stellt sich auch sogleich die Frage: Was steht in ihren Kräften? Der französische Präsident François Hollande wandte sich nach der Brüsseler Tragödie an die Nation und machte deutlich: „Wir befinden uns im Kriegszustand.“ Aber ist das wirklich so? Ein Krieg sieht keine Bewahrung des gängigen Status quo vor. Er ist immer mit Sondergesetzen und einem abweichenden Verwaltungsstil verbunden. Krieg produziert Opfer – im weitesten Sinne des Wortes. Er bedeutet nicht so sehr die Bereitschaft, für sein Land das Leben zu lassen, als vielmehr den Verlust von Komfort. Und zwar nicht nur des materiellen, sondern eines moralischen Komforts, der es gestattet, dem kategorischen Imperativ zu folgen, der im gesamten Universum als „richtig“ gilt. Ein Krieg impliziert die Konkretisierung des Wertekanons, die Verknüpfung dieser Werte mit einer kulturell historischen Grundlage und einer klaren Aufgabe. Ist dazu das in der Europäischen Union vereinigte Europa bereit? Offensichtlich nicht. Die typische Reaktion auf die Anschläge in Westeuropa ist die Versicherung, es werde den Verbrechern nicht gelingen, eine Aufgabe des Lebensstils und der liberalen Werte zu erzwingen. Die größte Befürchtung besteht darin, die eigene Gesellschaft zu polarisieren. Es ist ein verständlicher Wunsch, sich an jene Prinzipien zu halten, die der Alten Welt mehrere Jahrzehnte lang
DMITRIJ DIWIN
EUROPA IM KRIEGSZUSTAND I
Frieden und Wohlstand beschert haben. Sie halfen, die Schrecken zu bewältigen, die sich die Europäer in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gegenseitig zugefügt haben. Die Abkehr vom Krieg als Stil der Politik ist die Grundlage der europäischen Integration. Das Modell, dessen Fundament in den Fünfzigerjahren gelegt wurde, sollte bewaffnete Konflikte durch eine Verringerung des eigenen militärischen Potenzials ausschließen und dies durch eine Änderung der staatlichen Beziehungen zwischen den Teilnehmern dieses Integrationsprojektes untermauern. Der Sieg in der ideologischen Konfrontation mit der Sowjetunion ließ an die Richtigkeit des eigenen Systems glauben und so wurde dieses als nachahmenswertes Beispiel propagiert. Gleichzeitig stiegen die Ansprüche des europäischen Wertekanons an sich selbst und an die anderen. Die Expansion der Normen wurde zum politischen Instrument der Europäischen Union. In der Praxis führte das zu einer wachsenden kompromisslosen Haltung sowohl im Inneren als auch nach außen
hin. Mittlerweile hat sich die europäische Gemeinschaft in ein System verwandelt, das es immer weniger vermag, eine gewisse Flexibilität unter Beweis zu stellen. Das aktuelle Verhältnis Westeuropas zum Krieg ist eine Kombination aus zwei Faktoren: Zum einen ist die Grundsäule des Projekts Europa das Versprechen „Nie wieder Krieg!“. Zum anderen herrscht ein strukturelles Unvermögen, von den Prinzipien abzurücken, ohne die Zerstörung des gesamten Konstruktes zu riskieren. Die Angst vor einer Zerstörung der Gesellschaft von innen her ist auch mehr als verständlich. Der Feind greift nicht von außen an – die Terroranschläge sind jedes Mal von Bürgern der Europäischen Union ausgeführt worden, ein Teil von ihnen wurde dort geboren. Es besteht kein Zweifel, dass die Wurzeln der Gewalt in den Nahen Osten führen, aber es ist trotz allem ein innerer Konflikt, von dem unklar ist, wie mit ihm umgegangen werden soll. Deshalb erfolgen als erste Reaktion auf die immer dreister werdenden Terror-
« Aller Wahrscheinlichkeit nach wird es in der EU zu einer Umstrukturierung der politischen Landschaft kommen.
Die ungekürzte Fassung erschien zuerst auf gazeta.ru.
DIE PRÄSIDENTSCHAFTSWAHLEN IN DEN USA AUS RUSSISCHER SICHT
D JURI ROGULJEW POLITOLOGE Leiter des FranklinD.-RooseveltZentrums für USA-Forschung an der Moskauer Staatlichen Universität
ie russischen Massenmedien wie auch die in anderen Ländern widmen den Präsidentschaftswahlen in den USA große Aufmerksamkeit, was vor allem durch die dominante Rolle der englischsprachigen Presse in der Informationswelt zu erklären ist. Die US-amerikanischen Massenmedien berichten nicht nur ausführlich über diese politische Show, sie nehmen auch aktiv an ihr teil und produzieren so eine Informationsflut für die Medien aus anderen Ländern. All dies verleiht dem eigentlich lokalen Ereignis weltweite Aufmerksamkeit. Es gibt aber auch noch einen anderen Grund für das große Interesse an den Wahlen. Die Vereinigten Staaten sind immer noch die mächtigste Volkswirtschaft der Welt und verfügen über ein beeindruckendes militärisches Potenzial, das durch den weltweit größten Verteidigungshaushalt aufrechterhalten wird. Dies zwingt andere Länder, insbesondere Russland mit seiner nicht gerade einfachen Beziehung zu Washington in den vergangenen Jahren, die US-amerikanischen Politiker in ihrem Kampf um den Präsidentensessel aufmerksam im Auge zu behalten.
Wer über die Ressourcen der Exekutive im amerikanischen Staat verfügt, wird in starkem Maße die Weltwirtschaft und -politik der nächsten vier oder gar acht Jahre beeinflussen. Der Präsident der USA hat weitreichende Vollmachten, gleichzeitig ist er in seiner Handlungsfreiheit aber deutlich durch die Legislative, das heißt den Kongress, eingeschränkt. Die Wahl des Präsidenten ist das Ende einer Geschichte und der Beginn einer neuen Geschichte, eines Wechselspiels zwischen Exekutive und Legislative, die in den USA unabhängig voneinander agieren. Darüber hinaus war in den USA die Politik der Beziehungen zur Sowjetunion und später zur Russischen Föderation immer schon durch das Zweiparteiensystem geprägt und hing in weit geringerem Maße von der Person des Präsidenten und dessen Parteizugehörigkeit ab. Unsere Länder verbinden in erster Linie militärstrategische Abkommen auf dem Gebiet der Kern- und Raketenwaffen, die zwar durch die Exekutive mit dem Präsidenten an ihrer Spitze initiiert werden, die aber anschließend durch den Kongress zu ratifizieren sind. Der Handel zwischen unseren Staaten hat ein
eher kleines Volumen, die wirtschaftlichen und kulturellen Bande sind im Vergleich zu anderen Staaten nicht sehr eng, aber auch darauf hat die Legislative der USA einen großen Einfluss. Insofern ist die Politik der Beziehungen zu Russland nicht nur durch das Zweiparteiensystem, sondern im stärkeren Maße auch durch die beiden Säulen der staatlichen Gewalt geprägt. Dieser Umstand lässt den Schluss zu, dass sich die Politik nach den Präsidentschaftswahlen kaum nennenswert ändern wird. Um einen spürbaren Wechsel herbeizuführen, müssten nämlich der neue Präsident und seine Partei über eine stabile Mehrheit und die Unterstützung im Kongress verfügen. Im aktuellen Wahlkampf wird diese Option sowohl durch das politische Kräfteverhältnis als auch durch die Kandidaten selbst erschwert. So hat zum Beispiel Hillary Clinton gute Chancen auf einen Sieg. Aber sollte sie ins Weiße Haus einziehen, müsste sie mit einem starken Widerstand im Kongress vonseiten der Republikaner rechnen, die über die Mehrheit in beiden Kammern verfügen. In ihrem Verhältnis zu Russland zeichnete sich Hillary
operationen Solidaritätsbekundungen, deshalb gibt es jedes Mal ein neues „Je suis …“, den Aufruf zu einer religiösen oder ethnischen Spaltung der Gesellschaft. Aber Lösungsansätze, ob nun allgemein politischer oder operativ polizeilicher Art, sind im Großen und Ganzen nicht vorhanden. Europa 2016 kann keinen Krieg im eigentlichen Sinne dieses Wortes führen und beabsichtigt das auch gar nicht. Das bedeutet, dass auf jeden neuen Terroranschlag mit dem gleichen Maßnahmenpaket reagiert werden wird, das auch schon jetzt zum Einsatz kommt: eine Verschärfung der Migrationspolitik, die engere Zusammenarbeit der Geheimdienste (die innerhalb der Europäischen Union beschränkt ist), Passkontrollen an den EU-Innengrenzen oder eine peniblere Kontrolle der Informationsströme. Die Effekte dieser Maßnahmen sind offenkundig begrenzt, da sie die geltenden Prinzipien nicht in Frage stellen – weder die verwaltungstechnischen noch die verhaltensmäßigen oder gar jene, die die Werte betreffen. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird es in der EU zu einer Umstrukturierung der politischen Landschaft kommen. Eine äußerst rechtsgerichtete Politik baut allmählich ihre Basis aus. Der Zentrismuskult, durch den die europäische Politik der vergangenen zwanzig Jahre geprägt gewesen ist, wird höchstwahrscheinlich einer neuen Polarisierung weichen. Die Trennlinie wird wohl nicht entlang der gewohnten ideologischen Grenzen (Linke/Rechte, Konservative/ Sozialisten/Liberale usw.) verlaufen, sondern sich nach dem Verhältnis der Menschen zur Hauptgefahr (einer Symbiose aus Migration und Terrorismus) herausbilden und hier nach dem Vermögen, konkrete Sicherheitsmaßnahmen anzubieten. Die EU befindet sich an der Schwelle unausweichlicher Veränderungen und an Europa als Symbol des Friedens, der Ruhe und der Berechenbarkeit wird man sich in Zukunft höchstwahrscheinlich nur noch wie an einen schönen Traum erinnern.
«
Die Wahl des Präsidenten ist das Ende einer Geschichte und der Beginn einer neuen Geschichte, eines Wechselspiels zwischen Exekutive und Legislative.
Clinton schon immer durch einen recht rigorosen, aber pragmatischen Ansatz aus. Deshalb kann sie für Russland allein schon vom Standpunkt der Berechenbarkeit aus als bevorzugte Kandidatin gelten. Aber selbst wenn Donald Trump, der Kandidat der Republikanischen Partei, den Sieg davontragen sollte, würde dies wohl kaum dramatische Auswirkungen für die Russische Föderation haben. Ganz im Gegensatz zu Clinton ist Trump nur schwer berechenbar, besitzt keinerlei politische Erfahrung oder auch nur ein ernsthaftes Programm und ist eine „One-Man-Show“ ohne profilierte Mannschaft, die das Rückgrat seiner Regierung bilden könnte. Er ist in seiner Partei eher ein Außenseiter und verfügt weder über ihre Unterstützung noch über ein größeres Ansehen bei der Parteispitze und deren Vertretern im Kongress. Ihm würde es wahrscheinlich erheblich schwerer fallen, seine Politik um- und durchzusetzen, als Hillary Clinton, die in Washington hoch angesehen ist. Die anderen beiden Kandidaten – der Republikaner Ted Cruz und der Demokrat Bernie Sanders – spielen bei den Vorwahlen nur noch eine Außenseiterrolle und haben geringe Chancen, für die US-Präsidentschaftswahlen im November nominiert zu werden. Deshalb geht man wohl kein Risiko ein, wenn man voraussagt, dass der für das Jahresende bevorstehende Wechsel im Weißen Haus für Moskau nur von nebensächlicher Bedeutung ist.
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Eine Beilage des Rossijskaja Gaseta Verlags, Moskau
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MENSCHEN
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GESELLSCHAFT Was bringt junge Russen dazu, auf die Halbinsel zu ziehen?
Ein entschleunigtes Leben auf der Krim GETTY IMAGES
TATJANA SCHRAMTSCHENKO RBTH
Die Krim war unabhängig von ihrer völkerrechtlichen territorialen Zugehörigkeit schon immer ein beliebtes Urlaubsziel der Russen. Seit der Eingliederung der Krim in die Russische Föderation im März 2014 haben es die Bewohner aber noch mit einer weiteren Gruppe zu tun: den Downshiftern – Menschen, die des Großstadttrubels überdrüssig sind. Aussteiger nannte man sie früher und ihre Ziele hießen oft Goa oder Thailand. Heute finden wir sie immer häufiger auf dem Landzipfel am Schwarzen Meer. RBTH ist zwei Downshiftern begegnet. Sie erzählen, was sie dazu bewegt hat, hochbezahlte Jobs in den russischen Metropolen aufzugeben, das Großstadtleben hinter sich zu lassen und auf der Krim einen Neustart zu wagen.
Daria und Alexander sind glücklich mit ihrem Umzug und führen jetzt einen Familienbetrieb. Sie planen eine Touristikplattform für Behörden, Unternehmen und Verbraucher.
1. Darias Suche nach Abenteuern Das Ehepaar Daria Karsanowa-Iwanowa, 29 Jahre alt, und Alexander Iwanow, 28, stammt aus Uljanowsk. Vier Jahre haben die beiden in Moskau gelebt, bevor sie nach Sewastopol umgesiedelt sind. Daria erzählt: „Seit 2012 haben wir hin und wieder Urlaub in Sewastopol gemacht. Anfang 2014 feierten wir hier Silvester. Damals entstand auch der Wunsch, einen ganzen Sommer auf der Krim zu verbringen. Im Juli vor zwei Jahren war es dann soweit – und aus geplanten zwei Monaten wurden vier. Zwischenzeitlich heirateten wir und kehrten zurück in unsere Heimatstadt Uljanowsk. Anfang 2015 – wir hatten mittlerweile unsere gut bezahlten Marketing-Jobs gekündigt – haben wir uns gefragt, wie es weitergehen soll. Es zog uns schließlich zurück nach Sewastopol. Dort planten wir die Eröffnung eines Quest Rooms (Raum, in dem Besuchergruppen Aufgaben oder Rätsel lösen müssen, Anm. d. Red.). Das war damals schon in Russland eine beliebte Freizeitaktivität.“
Sprung ins kalte Wasser „Wir hatten selbst noch keine Erfahrung mit dem Thema Quest Rooms oder Escape Games, wie es anderswo heißt. Also stürzten wir uns – nach einer Marktanalyse – einfach ins Abenteuer. Am 27. Februar 2015 war es, als wir den Sprung ins kalte Wasser gewagt haben. Die Finanzierung war zwar nur teilweise gesichert. Doch trotz aller Unsicherheiten haben wir uns unglaublich frei gefühlt.“ Viele von Darias und Alexanders Freunden reagierten zunächst mit Unverständnis auf die Pläne des Paares. In der Ukraine war der militärische Konflikt in vollem Gange und viele fürchteten eine Ausweitung des Krieges. Doch letztlich gaben Freunde und auch die
4 FAKTEN ÜBER DIE HALBINSEL KRIM
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Die Krim liegt im nördlichen Schwarzen Meer und südlich der Ukraine. 175 verschiedene Ethnien leben hier. Den Großteil der Bevölkerung stellen Russen mit 1,5 Millionen Einwohnern (68 %). Die Anzahl der Ukrainer beträgt etwa 344 500 (15,7 %) und die der Krimtataren rund 232 000 (10,7 %).
AUS DEM PERSÖNLICHEN ARCHIV (2)
Mehr Zeit für sich und das Wesentliche: Downshifting nennt man diese Suche nach einem einfachen Leben. Immer mehr junge Russen zieht es dazu auf die Krim.
Familie den beiden ihren Segen. Daria erinnert sich an die erste Zeit als KrimNeubürgerin: „Zuerst lag Spannung in der Luft. Wir waren besorgt über die Entwicklung während unserer halbjährigen Abwesenheit. Die Preise für Lebensmittel und Immobilien waren in die Höhe geschossen. Gemessen an den Löhnen waren sie fast höher als in Moskau. Doch gleichzeitig stellte sich nach unserem Umzug wieder das Gefühl von Freiheit ein. Außerdem herrscht hier einfach ein wunderbares Klima. Meer und Sonne liefern Energie. Auch beruflich läuft es. Zurzeit betreiben wir insgesamt fünf Projekte: unsere Quest Rooms, das Kaffeehaus und eine Marketingberatung. Mein Mann betreut zwei Projekte, unter anderem ist er als Personal Coach tätig. Momentan eröffnen wir den dritten Raum. Für 2016 planen wir mindestens zwei weitere Spielräume. Zudem wollen wir ein Franchise-Konzept entwickeln. Kürzlich haben wir neue Partner und große Investoren gewinnen können.“
Ein schwieriger Anfang „Doch der Anfang war schwer. Wir kannten den Markt noch nicht und kannten auch sonst niemanden auf der Krim. Die Suche nach Partnern gestaltete sich schwierig, weil viele Unternehmen noch keine Internetpräsenz haben. Wir mussten uns also persönlich auf die Suche machen. Beim Bau der Quest Rooms gab es Probleme mit der Lieferung von Baumaterial, denn die Fährverbindung durch die Meerenge von Kertsch, die die Halbinsel mit dem russischen Festland verbindet, war wegen schlechten Wetters ständig unterbrochen. Die Lkw stauten sich dort endlos. Wir haben auch nicht mit der typischen Gelassenheit der südländischen Bevölkerung gerechnet, uns ging hier vieles zunächst zu langsam. Aber letztlich waren wir erfolgreich. Zwei Monate nach unserem Umzug konnten wir den ersten Quest Room eröffnen. Kontakt haben wir vor allem zu Umsiedlern aus Moskau, Sankt Petersburg oder Donezk. In unserer Community sprießen ständig neue Ideen, alle sind mit etwas beschäftigt, möchten etwas auf die Beine stellen.“ Auf die Frage, ob sich der Neuanfang gelohnt hat, reagiert Daria strahlend: „Wir sind glücklich mit dem Umzug. Unser Leben und
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Die Krim war von 1783 bis 1954 ein Teil Russlands, bis die sowjetische Führung sie an die Ukrainische Sowjetrepublik als „Geschenk“ zum 300. Jubiläum des Vertrags von Perejaslaw im Jahr 1654 übertrug. Nach dem Zerfall der UdSSR verblieb die Krim in der nun unabhängig gewordenen Ukraine.
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unsere Einstellung haben sich komplett verändert. Die Ereignisse des vergangenen Jahres haben sich auch positiv auf unsere Paarbeziehung ausgewirkt. Wir wissen jetzt, was es bedeutet, einen Familienbetrieb zu führen. Wir möchten über unsere Erfahrungen schreiben. Dabei wollen wir unsere beiden Sichtweisen, als Mann und als Frau, auch unter dem Gesichtspunkt eines Geschäftspaares in den Vordergrund stellen.“
Auch der 29-jährige Jewgenij Tschernjachowskij und seine Familie haben den Neustart auf der Halbinsel gewagt.
2. Freiheit für Jewgenij „2013 haben meine Frau und ich unsere gut bezahlten Stellen im Büro gekündigt. Wir haben unseren zehn Monate alten Sohn gepackt und sind zu einer langen Reise aufgebrochen. 15 Länder haben wir bereist, bevor wir nach Sankt Petersburg zurückkehrten. Nun stand die Frage im Raum: Wo wollen wir zukünftig leben, wie wollen wir uns weiterentwickeln? Die Krim erschien uns ideal: Hier konnten wir unser Know-how in IT und neuen Medien zusammen mit unseren Erfahrungen, die wir auf unseren Reisen in anderen Ländern und fremden Kulturen gesammelt hatten, einbringen. Unsere Freunde waren überrascht, aber niemand versuchte uns aufzuhalten. Wir haben uns im Vorfeld beraten lassen, den Markt analysiert, unser Profil definiert und los ging es. Als wir 2015 auf der Krim ankamen, hatte ich ständig das Gefühl, am freiesten Ort der Erde zu sein. Die Menschen waren in Jubelstimmung: Hier kannst du dein Recht aussprechen, hier kannst du es durchsetzen. Alte Lebensvorstellungen wurden dekonstruiert, die Wirtschaft erfand sich neu, das Kapital und das Top-Management wurden neu verhandelt.“
Die Zukunft? Töpfern und Tanzen
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Neustart erfolgreich „Gerade hinsichtlich der IT bot sich auf der Krim ein weites und freies, weil weitgehend unreguliertes Feld. Wir haben hier eine Reihe erfolgreicher Internetplattformen installiert. Außerdem haben wir das öffentliche Wlan-Netz aufgebaut. Wir waren schon die zweite Unternehmergeneration und hatten es daher leichter. Unmittelbar nach der Krim-Angliederung waren die Big Player noch nicht da oder wegen der Sanktionen wieder weg. Kleinunternehmer konnten sich in der Umbruchphase nicht
Wem gehört die Krim? Aus Sicht der russischen Gesetzgebung gehört die Halbinsel zur Russischen Föderation, jedoch betrachten die Ukraine sowie die westlichen Staaten und internationale Organisationen (G7, Nato- und EU-Mitglieder) die Krim immer noch als Teil der Ukraine.
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halten. Kein Wunder: Google funktionierte auf der Halbinsel mehr schlecht als recht, Visa funktionierte gar nicht, die Navigationsdienste beharrten darauf, dass die Krim ukrainisches Territorium sei, und wenn wir bei staatlichen Stellen Informationen anforderten, schauten sie uns an, als wären wir von einem anderen Stern. Dann kam der Stromausfall (im November 2015 sprengten Unbekannte auf ukrainischem Gebiet die Stromleitungen, die die Krim versorgen, Anm. d. Red.). Nichts ging mehr. Aber wir hatten Glück. Unser Haus steht in derselben Straße wie das örtliche Krankenhaus. Deshalb hatten wir weiterhin Strom und Internet. Und so verwandelte sich unser Haus in eine Firmenzentrale. Tagsüber wurde gearbeitet, abends dann gemeinsam gefeiert. Das waren wertvolle Erfahrungen, die wir als ein Start-up in Krisenzeiten gewonnen haben.“
Halbinsel Krim: Sieben Fragen und Antworten de.rbth. com/576001
„Ich will aber nicht so tun, als wäre das hier das Gelobte Land. Die Krim ist eine Region mit Problemen, die sich über Jahre angestaut haben. Auch wenn sie inzwischen effektiv gelöst werden. Das Stromproblem wurde mit einer Professionalität behoben, die alle unsere Erwartungen übertraf. Highspeed-Internet ist mittlerweile in nahezu allen touristischen Städten verfügbar, Straßen werden gebaut, es wird in die Infrastruktur investiert. Wir machen uns über Russland keine Illusionen, aber wir leben in einem hinreichend freien Land. Und auch Russland ist ein Land der Möglichkeiten, so versprechen es die Werbeplakate. Die Pläne unseres Teams sind ambitioniert: Das Ziel ist eine gemeinsame Touristikplattform für die Krim, auf der Behörden, Unternehmen und Verbraucher zusammenkommen. Damit soll die Planung einer Krim-Reise aus einer Hand möglich sein. Und wir wollen die Halbinsel im In- und Ausland als Reiseziel promoten. Meine persönlichen Pläne sind einfach: Eines Tages bin ich alt und höre auf zu arbeiten. Meine Frau wird töpfern und ich werde ihre Ware bemalen. Und dann werden wir Wein trinken und in einer Vollmondnacht in schneeweißer Kleidung auf der Straße tanzen. So in etwa stelle ich mir das vor.“
Wegen der Massenproteste in Kiew Ende 2013 und Anfang 2014 wurde das Parlament von der Opposition übernommen, Präsident Janukowitsch ohne Verfahren seines Amtes enthoben. Die Krim war gegen einen „verfassungswidrigen Machtwechsel in Kiew“ und trennte sich de facto von der Ukraine, vor
allem aufgrund russlandkritischer Stimmen im Land. Die Verantwortlichen auf der Krim erklärten ihre Unabhängigkeit und führten zur eigenen Legitimierung ein Referendum durch: 95,6 Prozent stimmten dafür, dass die Halbinsel der Russischen Föderation beitreten solle. Gegen dieses Vorgehen hagelte es Kritik aus dem Westen.
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Eine Beilage des Rossijskaja Gaseta Verlags, Moskau
GESCHICHTE
KULTUR Am 28. März feierte das Bolschoi-Theater seinen 240. Geburtstag
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Bolschoi: Neue Erkenntnisse über ein altes Theater RBTH bat Lydia Charina, Direktorin des Theatermuseums, einige weniger bekannte Fakten aus der Geschichte des berühmtesten Schauspielhauses Russlands zu erzählen.
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OLEG KRASNOW RBTH
Ausschreibung für den Bau
Ausländische Investoren Nach drei Jahren musste Titow aufgrund der hohen Steuern Konkurs anmelden und den Auftrag der Zarin für den Betrieb des Theaters abtreten. Es wurde von den beiden Italienern Belconti und Chinti erworben, die es zwei Jahre später an ihren Landsmann Gratti weiterverkauften. Erst nach weiteren fünf Jahren betrat Fürst Urussow die Bühne – das war 1776, also zu jener Zeit, die man bislang für den offiziellen Beginn der Ära des Bolschoi-Theaters gehalten hatte. Das von Urussow eigens errichtete Gebäude brannte jedoch noch vor seiner Eröffnung nieder und Urussow beschloss, das Unternehmen an Michael Maddox zu veräußern. Maddox war ein Mathematiker aus Oxford und unterrichtete den Zarensohn Pawel. Er suchte jenes Baugrundstück aus, auf dem das Theater bis heute steht, und ließ dort ein dreistöckiges Ziegelsteingebäude errichten. Am 30. Dezember 1780 fand schließlich die feierliche Einweihung des Theaters statt.
1. Historisches Gemälde des Bolschoi-Theaters aus dem 18. Jahrhundert 2. Porträt der Zarin Katharina die Große 3. Auf dem Deckengemälde des Theaters sind die Musen abgebildet. 4. Die BronzeQuadriga aus dem Jahr 1825 überragt den Portikus. Sie wird dem Bildhauer Peter Clodt von Jürgensburg zugeschrieben. Den Streitwagen lenkt Apoll, der Gott der Künste.
Adelige Claqueure Maddox’ Theater bot eintausend Zuschauern Platz. Direkt über der Bühne befanden sich die Logen, in denen die „Kenner“ saßen, die praktisch alle dem Adel angehörten. Sie gaben dem Publikum entsprechende Zeichen: Zwei erhobene Finger bedeuteten zum Beispiel, dass laut geklatscht werden sollte. Man kann deshalb wohl von einer frühen Form von Claqueuren sprechen.
Theater vom Abriss bedroht 1918 forderte Lenin den Abriss des Bolschoi-Theaters – die Oper sei eine Kunstform der Bourgeoisie und zu kostspielig. Zudem seien die Tänzer dreist und forderten zu viel Gage. Erstaunlicherweise waren es Joseph Stalin und der erste sowjetische Kulturminister
FRISCHES DESIGN
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Anatolij Lunatscharskij, die sich für den Erhalt des Theaters einsetzten.
Zensur hinter den Kulissen Zensur herrschte sowohl unter den Zaren als auch in der UdSSR. Im Russischen Reich gab es eine Librettosammlung russischer Autoren – nur aus dieser durfte der zuständige Komponist ein Stück auswählen. Zu Sowjetzeiten, im Jahre 1948, gab es einen aufsehenerregenden Fall: Die gesamte Führung des Theaters, vom Generaldirektor bis hin zum Chefdirigenten, wurde wegen der Inszenierung der Oper „Die große Freundschaft“ des georgischen Komponisten Wano Muradeli entlassen. Sie zeigte erstmals Lenin als Bühnenfigur. Die Partei warf den Betroffenen Formalismus und eine Verdrehung historischer Fakten vor. Im Libretto war die Rede von einer Feindschaft zwischen Russen, Georgiern und Osseten in den 1920er-Jahren.
Flucht aus der Sowjetunion Alle sowjetischen Tänzer und Tänzerinnen träumten davon, im BolschoiTheater arbeiten zu können – dies war mit einem ansehnlichen Gehalt und etlichen Privilegien verbunden. Im Sommer 1979 kam es zu einer spektakulären Flucht: Bei einem Gastspiel in New York bat der Tänzer Alexander Godunow um politisches Asyl. Die sowjetische Regierung versuchte, seine Ehefrau Ludmila Wlassowa nach Moskau zurückzuholen, aber die Amerikaner hielten ihr Flugzeug drei Tage lang auf
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und verweigerten die Freigabe des Abflugs. Am Ende konnte Wlassowa überzeugt werden, doch noch in ihre Heimat zurückzukehren. Godunow machte in den Jahren darauf Karriere beim American Ballet Theatre.
Sowjetische Musen Das Deckengemälde „Apollo und die Musen“ entstand Mitte des 19. Jahrhunderts. In den 1940er-Jahren beschloss die Regierung, die Musen im „sowjetisch-proletarischen Stil“ übermalen zu lassen und den Auftrag öffentlich auszuschreiben. Viele namhafte Künstler nahmen an dem Wettbewerb teil. Im Zweiten Weltkrieg wurde das Deckengemälde dann von einer Fliegerbombe beschädigt und musste restauriert werden – es entstanden die Kolchosbäuerinnen ähnelnden Musen des Malers Pawel Korin.
Das Geheimnis der Quadriga Die Quadriga befindet sich seit 1825 auf dem Theatergebäude. Die erste Skulptur war aus Alabaster gefertigt und wurde bei einem Brand zerstört. Sie war nicht zum Betrachter hin ausgerichtet, sondern stand etwas seitlich. Die Bronzeskulptur, die heutzutage auf dem Gebäude thront, wird gemeinhin dem Bildhauer Peter Clodt von Jürgensburg zugeschrieben, der auch die Figuren auf der Anitschkow-Brücke in Sankt Petersburg kreierte. Neue Erkenntnisse räumen auch mit diesem Mythos auf. Demnach ist die Urheberschaft Clodts keineswegs gesichert.
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Bis vor Kurzem glaubte man, die Geschichte des Bolschoi-Theaters habe im März 1776 begonnen, als Fürst Pjotr Urussow von Zarin Katharina der Großen die Genehmigung für den Betrieb eines öffentlichen Theaters in Moskau erhalten hatte. Doch vor ein paar Jahren wurde bekannt, dass die Zarin für den Bau eines öffentlichen und nicht nur dem Hofe zugänglichen Theaters eine, wie man es heutzutage nennen würde, Ausschreibung durchgeführt hatte. Vier Vorschläge wurden eingereicht: Neben dem Russen Nikolai Titow bewarben sich ein Franzose und zwei Italiener. Titow gewann die Ausschreibung, ihm wurde das Opernhaus an der Jausa zur Verfügung gestellt und am 21. Februar 1766 fand dort die erste Aufführung statt.
D E . R B T H . C O M / M U LT I M E D I A
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