SACHEN MIT WOERTERN - Pausen. - 2. Ausgabe

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Zeitschrift für Literatur und Ähnliches. 2. Ausgabe, Januar 2013

SACHEN MIT WœRTERN

Pausen.

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AR|BEITS|PAU|SE // ATEM|PAU|SE // BE|RA|TUNGS|PAU|SE // DURCH| SCHLAG // BLAU|PAU|SE // DENK| PAU|SE // DREH|PAU|SE // DURCH| PAU|SEN // KO|PIE // ENT|SPAN| NUNGS|PAU|SE // ER|HO|LUNGS| PAU|SE // EIN|SCHNITT // FRÜH| STÜCKS|PAU|SE // GE|NE|RAL|PAU| SE // GEH|PAU|SE // RAST // HALB| ZEIT|PAU|SE // STAG|NA|TI|ON // KAF| FEE|PAU|SE // KAMPF|PAU|SE // KRE| A|TIV|PAU|SE // HALT // KUNST|PAU| SE // MARSCH|PAU|SE // PAU|SA| FORM // PAU|SE // STILL|STAND // PAU|SEN // PAU|SEN|BROT // UN| TÄ|TIG|KEIT // PAU|SEN|CLOWN // ER|HO|LUNG // PAU|SEN|FÜL|LER // PAU|SEN|GONG // PAU|SEN|GYM| NAS|TIK // PAU|SEN|HAL|LE // PAU|


Sachen mit Wรถrtern Pausen.

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Editorial

Liebe Leser_innen, in Sachen Pause-Machen ist die Sachen mit Wörtern-Redaktion erste Sahne. Nicht umsonst haben wir uns für diese – zweite – Ausgabe ganze 14 Monate Zeit gelassen. Auch wenn langes Währen kein Gütegarant ist, meinen wir doch, etwas ganz besonders Schönes zusammengeschustert zu haben. Wir bedanken uns sehr bei jeder helfenden Hand und jedem helfenden Kopf!* Und weil Literatur bekanntlich eine ganz hervorragende Möglichkeit ist, um sich dem Alltag zu entziehen und einmal Pause von der Wirklichkeit zu machen, wünschen wir nicht nur eine angenehme Lektüre, sondern auch die nötige Muße, sich mitnehmen und -reißen zu lassen, Neues zu erkunden, Vetrautes hinter sich zu lassen und am Ende wohlbehalten wieder zurückzukehren. Denn was wäre eine Pause, wenn sie nicht früher oder später zu Ende wäre und man das Unterbrochene mit frischem Blick sehen könnte. Eine gute Reise wünscht: die Redaktion

* Ihr wollt mithelfen und mitdenken? Dann schickt uns entweder eure Beiträge zum Thema „Takt“ an sachen_mit_woertern@gmx.de oder unterstützt uns bei der redaktionellen Arbeit! Ihr findet uns auch unter facebook.com/sachenmitwoertern. Wir freuen uns über jede Idee, jeden Handgriff, jeden neuen Kontakt und jedes Feedback! 4


Inhaltsverzeichnis White out // Jakob Straub Between the Acts (Auszug) // Virginia Woolf o.T. // Petrus Akkordeon Pause // Wilhelm Müller „Weltunterbrechung: über Stille im Wahn“ - Ein Gespräch mit der Berliner Lyrikerin Jinn Pogy „Ein Beitrag über … äh … Pausenfüller“ von Judith Daute o.T. // Laura Schlingloff Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge (Auszug) // Rainer Maria Rilke Berlin. Nacht. (Auszug) // Kai Gutacker Die Ruhigen // Georg Heym Werbepause // Franziska Nestler Selbstbepausung // Samuel Thoma Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken (Auszug) // Daniel Paul Schreber „Eine Lettern-Liebe“ von Magdalena Sporkmann Tonight // Poppy Dillon Mittagsruh // Joseph von Eichendorff „Ideal ist Fußball“ - Ein Interview mit dem Autor Falko Hennig stillstand medusa (Auszug) // Sannah Jahncke Pause // Emanuel Geibel Seegang // Yulia Marfutova Der Mann ohne Eigenschaften (Auszug) // Robert Musil „Warten können“ - Ein Interview mit der Literaturagentin Susann Bindermann

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„Für Pausen fehlt mir die Zeit“ - Kolumne von Anneke Lubkowitz 100 Wörter zum Thema von Andrew Sean Greer 5


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Jakob Straub . . . here was the Interval. Writing this skimble-skamble stuff in her cottage, she had agreed to cut the play here; a slave to her audience — to Mrs. Sands’ grumble — about tea; about dinner; — she had gashed the scene here. Just as she had brewed emotion, she spilt it. (aus: Between the Acts // Virginia Woolf)

White Out // Jakob Straub „Alles auf Anfang.“ Mit übereinandergeschlagenen Beinen sitzt er da, tief in den Stuhl gesunken. Sein Leinenhemd klebt in der Hitze an seinem Rücken, und langsam wird auch die Lehne durchnässt. Im Schatten des Sonnenzeltes hat er die Ellenbogen auf die Holzlehnen rechts und links gestützt und beide Hände als Trichter zum Mund geführt. Schirmmütze und Sonnenbrille verdecken den Rest seines Gesichtes, die hervorschauenden weißen Haare dünn und strohig. Alle warten auf sein Zeichen. Alle warten auf ihn. Wie ein Netz liegt das Warten über allen. Bei den Schauspielern Ungeduld. Ein Zeichen von Größe, vielleicht Genie, für den Regieassistenten. Routine für den Kameramann. Was ist es für ihn selbst? Er nimmt die Hände vom Mund und lehnt sich nach rechts. Sofort beugt sich der Regieassistent zu ihm herunter. Er spürt, wie sich das Hemd langsam von seinem verschwitzten Rücken abzieht und seine Haut ein Stück aufatmet. „Streicht es weiß“, sagt er zur Seite. Der Assistent starrt sein Spiegelbild in der Sonnenbrille an. Seine Stimme zischt nervös. „Was?“ fragt er. „Streicht es weiß“, wiederholt er, nickt mit dem Kopf nach vorne, „das Haus.“ „Jetzt?“ fragt der Assistent ungläubig, während er sich aufrichtet und das Haus anschaut. „Wir sind bereit, die Szene zu drehen“, sagt er. „Jetzt, sofort.“ „Aber es ist weiß“, sagt der Assistent verzweifelt. „Es war weiß“, sagt er. „Jetzt ist es vergilbt, ausgeblichen. Es muss weiß sein, strahlend weiß, es muss in der Sonne gleißend hell erscheinen.“ „Streicht es weiß“, sagt er mit einer wedelnden Handbewegung, „und beeilt euch.“ Er lässt sich in seinen Stuhl zurückfallen und beobachtet das Treiben, das seine Worte in Gang gebracht haben. Kaum hat der Regieassistent „Drehpause!“ gerufen, entfernen sich die Schauspieler von ihren bezogenen Positionen. Alles sucht den Schatten und die Kühle. 7


Er rührt sich nicht aus seinem Stuhl. Lange hatte er eine Drehgenehmigung für dieses Dorf ersehnt. Er hatte schließlich dieses alte Haus kaufen müssen, um davor zu filmen. Die Hitze ist genau richtig, wolkenlos der Himmel, die Sonne unerbittlich, und das Licht, das Licht tut in den Augen weh, wo man auch hinsieht, flimmert die Luft. „Nimm den empfindlichsten Film, den du hast, für die Fassade“, sagt er zu dem Kameramann, während er den Fortschritt der Streicharbeiten beobachtet. Der Kameramann protestiert: „Wenn ich das tue, wird das grelle Weiß der Hauswand das ganze Bild überstrahlen.“ „Es wird genau richtig sein“, sagt er, und der Kameramann wirft fassungslos und ergeben die Arme nach oben und verdreht die Augen. „Genau richtig.“ Er will diese weiße Fassade, die er in seinem Kopf hat, aus seiner Erinnerung brennen. Schweißüberströmt hängen die Streicher auf den Leitern. Langsam und zäh schmatzen die Farbrollen. Endlich klatscht er in die Hände und ruft: „Das reicht, das ist weiß genug!“ Tatsächlich, die Fassade strahlt, und das Filmteam kann sie gar nicht direkt ansehen, ohne schützend eine Hand vor die Augen zu halten, geblendet von diesem in der Sonne unerträglichen Weiß. Er steht auf und geht auf das Haus zu, um sich die Arbeit aus der Nähe anzusehen. In der Hitze ist die ohnehin stehende Luft vom Geruch der Farbe voll und ganz durchdrungen. Dieser Geruch: feucht, fast modrig und doch frisch, chemisch, stechend. Er nimmt die Sonnenbrille ab. Aus der Nähe betrachtet, ist das Weiß nicht perfekt: Kleine Blasen sind überall in der noch feuchten Farbe. Der Regisseur zerdrückt eine mit seinem Zeigefinger. Er dreht sich um, während er die Farbe von seinem Finger reibt, schaut auf das Filmteam, die alle geblendet dastehen, die Augen mit den Händen schützend, und ihn ansehen. Er fühlt das Weiß der Fassade hinter sich, als wären die blendenden Strahlen spürbar, als dampfte aus der Hauswand das Weiß. Die Leute dagegen erscheinen als Silhouetten im Gegenlicht, und das Warten liegt erneut über ihnen. Die Hitze umfängt ihn. Auch er wartet, und jetzt weiß er, was es für ihn bedeutet: eine Leere, in die sich langsam das Gefühl schleicht, dass etwas nicht stimmt. Er hatte lange vorher gewusst, dass es nicht dasselbe Dorf wie damals sein würde. Aber das kann es nicht sein, er weiß, wie man eine Aufnahme auch ohne Originalschauplatz authentisch wirken lässt. Was wollte er zeigen? Er schließt die Augen, läuft die Straße entlang, stellt sich vor, wie er sie als Kind gesehen hat, die Häuser links, rechts, identisch. Die gegenüber liegenden Fassaden strahlten sich an, starr wie Sphinx-Blicke, sodass man durch das reflektierte Weiß schritt, als läge zu beiden Seiten nichts, als hätten die Häuser keine Augen, die für einen Moment blinzelten, wenn eine Hand eine Gardine bewegte, nur ein kleines Stück, um hinauszuspähen. 8


Was war da noch? Ein Wispern, das sich hinter seinem Rücken erhob. Es wurde immer trockener, je heißer die Tage wurden, und alles wurde braun gebrannt, was aus den kurzen Hosen und Hemden an Gliedmaßen herausragte. Nur seine nicht. Die anderen ließen ihre Köpfe hängen mit den in der Sonne dünn gewordenen Haaren, von denen er hoffte, die Sonne möge sie auch ausbleichen, dass sie so weiß würden wie seine. Auf dem Dorf lag die Sehnsucht nach einem Sommergewitter, einer fortspülenden Reinigung, die nie kam. Es gab nur das Weißeln, das Knarren der Holzleitern mit der festgetretenen Farbe, das zähe Schmatzen der Farbrollen auf den Fassaden. Das Weiß, das er braucht, soll weh tun, man soll sich ihm nicht entziehen können, so wie ein blauer Fleck auf nackter, weißer Haut, den man immer wieder drücken muss, ein Schmerz, von dem man nicht genug bekommt, dessen man sich vergewissern muss, wieder und wieder. Als sie nach ihm suchten, als sie für ihn kamen, von links und rechts die Straße entlang, da drückte er sich flach, mit ausgestreckten Armen an eine frisch gestrichene Hauswand, dass seine weißen Haare sofort in der Farbe klebten, sich mit ihr verbanden, wie auch sein Hemd und die Shorts aus weißem Stoff. Bis heute könnte er schwören, dass sie ihn nicht gesehen hätten, wenn er nur die Augen geschlossen hätte, aber voll Schrecken sah er starr geradeaus auf das Weiß gegenüber, bis seine Augen tränten, und es müssen diese zwei roten Punkte seiner Augen gewesen sein, die ihn verrieten. „Da ist der Albino“, riefen sie, und der erste mit Farbe gefüllte Luftballon prallte gegen seinen Oberkörper, zerbarst und verteilte seinen roten Inhalt quer über seine Brust und die Hauswand. Gegen seinen Kopf, in sein Gesicht flogen die Farbbeutel, und als sie keine mehr hatten, rissen sie ihn weg von der Wand, rieben die Farbe in seine Haare, verteilten sie in seinem Gesicht. Bunt besprenkelt und durchtränkt von Farbe erkannten sie ihn nicht mehr, das machte den ersten Schlag leichter; es klatschte, wenn sie seine feuchte Kleidung trafen, es knallte in seinem Gesicht. Als er zu Boden ging, traten sie auf ihn ein, hinterließen Schuhabdrücke aus Farbe. Weil er sich nicht rührte, ließen sie schließlich von ihm ab. Als der Staub sich legte, fiel sein Blick auf die vielen Farbspritzer am Boden vor der Hauswand, bunte Kleckse, die im Staub körnten, und hier und dort immer wieder ein weißer Fleck dazwischen. Er schloss die Augen, und der Schmerz riss ihn fort. Er wartete, bis es dunkel wurde, aber auch in der Abenddämmerung war sein fleckiger Leib klar vor den weißen Fassaden zu erkennen, als er sich nach Hause schleppte. Jetzt wird er sich der Zeit bewusst, die er verstreichen lässt. Die Drehpause dauert an. Es war ihm immer egal, wie sie ihn sahen, als den Exzentriker, den Tyrannen, den Schinder; egal war, wie lange er sie war9


ten ließ. Seine Filme sprachen für sich. Aber jetzt weiß er nicht, wie er zeigen kann, worauf es ihm ankommt, und genau mit diesem einen Film darf er nicht scheitern. „Alles auf Anfang“, ruft er, „wir drehen!“ Das Filmteam kommt in Bewegung, die Schauspieler lösen sich aus ihrer Starre, laufen einer Choreographie gleich durcheinander, um ihre Startpositionen einzunehmen, der Kameramann nimmt den Deckel vom Objektiv, reibt sich das Auge. Der Regieassistent sucht seinen Blick und hält mit ausgestrecktem Arm seinen Daumen in die Sonne. Allein er hängt noch der Pause nach, gefangen zwischen seinen eben durchlebten Erinnerungen, den Erwartungen, die auf ihm lasten, und seinem eigenen, unermesslichen Anspruch. Da bemerkt er den Boden der hölzernen Veranda, auf der er sich befindet. Die Streicher haben hastig gearbeitet und nicht darauf geachtet, die Rollen ordentlich abtropfen zu lassen, bevor sie damit über die Wand fuhren. Auf den dunklen, alten Holzlatten ist ein weiträumiges Muster verschieden großer Farbkleckse verteilt, er steht mittendrin. Er geht langsam in die Hocke, um sich die Kleckse aus der Nähe anzusehen. Je nachdem, aus welcher Höhe die Farbtropfen gefallen sind, hat die Wucht des Aufschlages die Farbe in einem größeren oder kleineren Kreis um den Mittelpunkt verteilt, aus dem wiederum kleinere Spritzer wie Zacken austreten. Jeder Klecks ein kleines Zahnrad. Manche der Zahnräder greifen ineinander, andere stehen alleine. Er stellt sich das dumpfe, satte Geräusch des Aufpralls vor, das Klatschen. Manche Tropfen sind gar nicht bis zum Holz durchgedrungen, zu dick ist die Schicht aus Staub und Schmutz, die die Latten überzieht. So haben sich aus dem Weiß und dem Staub dreckige Klümpchen gebildet. An anderen Stellen wiederum ist die Farbe schon ins Holz eingesickert. Langsam, ganz langsam, den Blick weiter auf das Farbmuster geheftet, richtet er sich auf und wedelt mit seinem rechten Arm den Regieassistenten herbei. „Wir streichen die Szene“, sagt er entschlossen und deutet auf die Farbflecken. „Das werden wir filmen. Das Weiß im Staub.“ Jakob Straub alias Jake the Snake wuchs in Konstanz am Bodensee nach der Devise lesen und lesen lassen auf. Als einer der vielen Berliner Autoren schreibt er Gedichte und Prosa, kurz und lang, sowohl auf Deutsch als auch auf Englisch. Trotz kleiner Veröffentlichungen in Anthologien und Zeitschriften hat er seine Seele noch nicht für einen Autorenvertrag hergegeben, aber die Gelegenheit wird kommen. Bei Pause fällt ihm als erstes die Pause-Taste ein, der Knopf, den es im Leben nicht gibt. 10


Petrus Akkordeon Pause // Wilhelm Müller Meine Laute hab ich gehängt an die Wand, Hab sie umschlungen mit einem grünen Band – Ich kann nicht mehr singen, mein Herz ist zu voll, Weiß nicht, wie ich`s in Reime zwingen soll. Meiner Sehnsucht allerheißesten Schmerz Durft ich aushauchen in Liederscherz, Und wie ich klagte so süß und fein, Meint ich doch, mein Leiden wär nicht klein. Ei, wie groß ist wohl meines Glückes Last, Daß kein Klang auf Erden es in sich faßt? Nun, liebe Laute, ruh an dem Nagel hier! Und weht ein Lüftchen über die Saiten dir, Und streift eine Biene mit ihren Flügeln dich, Da wird mir bange und es durchschauert mich. Warum ließ ich das Band auch hängen so lang? Oft fliegt`s um die Saiten mit seufzendem Klang. Ist es der Nachklang meiner Liebespein? Soll es das Vorspiel neuer Lieder sein?

Petrus Akkordeon, 1971 in Westberlin als Arbeiterkind geboren, beschloss mit 13 Künstler zu werden und hat seitdem nicht mehr aufgehört zu zeichnen, malen, schreiben, sich zu verwandeln. Er hat einiges studiert, auch Kunst, und ist recht zufrieden, wenn er in Ruhe sein Pferd streichelt. Petrus sagt: Pausen mache ich nicht. Eventuell, weil ich mich über meine Arbeit erfahre und fühle. Ich drücke mich aus und bin dadurch. Ich kann aber ganz gut die Luft anhalten und Atempausen machen, auch dem Pferd gönne ich viele Pausen, er mag wirklich seine Weidezeit.

o.T. // Petrus Akkordeon erstnoch sage ich ganzbesonders viel in dein ohr alles was ich weiß über gefühle also schweige ich dann warte ich pause und schweige ein anderes schweigen o.T. // Petrus Akkordeon dann und wann hat dich dein leben bis du fast genug davon hast doch glücklicherweise bricht dir bald ein engel die knochen schlägt dich wund stellt dir alle beine eine pause im dreck sei in watte fliege über die straße aus schorf mach alles wieder o.T. // Petrus Akkordeon zufällig gestorben sein wie unpraktisch schnell füttere ich die geister man weiß da nie wann wieder gelebt werden muß 11


„Weltunterbrechung“: ü Jinn Pogy lebt in Berlin und verfasst sowohl Lyrik als auch Prosa. 2012 erschien ihr Debüt Golems Totems, Million-Dollar-Kirschen und verstimmte Vögel im Verlagshaus J. Frank. Ihr künstlerisches Schaffen erstreckt sich auch über den intermedialen und digitalen Bereich; so zeigte sie innerhalb der transmediale 2011 in der Gruppenperformance Palenquita Club in der Berliner Galerie Open eine Environmental- und Video-Installation ihres Gedichtes Palenquita, Palenquita. Interview: Anneke Lubkowitz und Theresa Lienau Sachen mit Wörtern: Woran denkst du, wenn du Pause hörst? Pause ist kein schönes Wort. Pause ist ein Wort, das schulisch geprägt ist. Es erinnert mich an Pausenhöfe und Pausenbrote und ... Pausen-Werbung: Mach mal Pause und so. Ja, insofern könnte es schon wieder trashig sein, so eighties. Wie wäre es mit Synonymen? In deinen Texten kommt zum Beispiel das Wort Rast vor. Ist das schöner? Rast ist seventies: Raststätte, Rasthaus. Ich weiß nicht, Pause, Rast, sind vielleicht beide nicht so schön. 12

Dann ist Slow Media, mit dem du deinen Blog beschreibst, ein aktueller Begriff? Ja, vielleicht schon. Slow Media ist natürlich schon etwas anderes, als wenn ich von Pause rede. Slow Media ist ja ein schon feststehender Begriff. Es meint ein Medium, das sich nicht den fragwürdigen Gesetzmäßigkeiten von Informationsfrequenzen unterwirft. Es ist schlichtweg eine Weigerung, Erwartungen zu bedienen. Aber das Konzept Slow Media geht schon in die Richtung der Pause, oder? In der Pause steckt ja auch der Aspekt der Entschleunigung, ein bewusstes Innehalten, ein bewusster Stillstand. Aber ist das so bewusst? Es wäre toll, wenn das immer bewusst wäre. Ich glaube, der Moment der Pause ist eher unbewusst. Wir nehmen nämlich gar nicht wahr, wenn wir eine Pause haben. Wir

„Ich begebe mich direkt in die Waschmaschine des urbanen Lebens“ stehen an einer Bushaltestelle oder warten auf jemanden, und das ist eigentlich schon deine Auszeit oder der Moment, in dem du draußen bist. Du nimmt es nicht wahr, weil du schon wieder nach vorne, auf ein Ziel hin schaust. Was mich interessiert, ist das absolute Rausgehen; ob du die vollständige Unterbrechung der Zeit schaffst, egal, wie sehr sich um dich herum die Welt dreht und wendet, im Augenblick aber trotzdem seiend – nicht tot.


ber Stille im Wahn Und wie schaffst du das? In meiner Arbeit schaffe ich das, indem ich mir gerade die Dinge anschaue, die wild sind, indem ich mich direkt hineinbegebe in die Waschmaschine des urbanen Lebens. Mir die Redundanzen anschaue, die Wiederholungen oder die Banalitäten und Surrealitäten. Und damit bin ich eigentlich schon draußen. Ich betrete dann einen Moment der Schwebsamkeit, wenn man es so nennen könnte. Das aus der Zeit Heraustretende ist ja auch das innere Wesen der Poesie. Eigentlich sind wir alle in einem permanenten Zustand des Draußen-Seins, wir müssen es sein, müssen in vielen Dingen automatisch agieren, weil wir das Leben im vollen Bewusstsein nicht aushalten würden. Automatismus und Poesie, das klingt widersprüchlich, ist es aber gar nicht. Das Wechselspiel aus Geschwindigkeit und Entschleunigung und damit zusammenhängend Besinnung ist offenbar auch ein wichtiges Thema und ein auffallendes Strukturmerkmal deines künstlerischen Schaffens, zum Beispiel in deinem Gedicht Giddy Up, in dem sich Giddy Up, das Anfeuern eines Pferdes, und sein Beruhigen durch die Lautfolge Brrrr abwechseln. Ja, einen Schritt vor, einen Schritt zurück, ohne Ziel. Ich beabsichtige auch nichts. Ich habe keine sogenannten Ziele in meinen Texten. Ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, ich habe Absichten. Ich lebe einfach! Ich habe natürlich Pläne und Projekte – ich schreibe und

Im Gespräch mit Jinn Pogy

filme, weil dies eben meine Ausdrucksform ist, aber ich verfolge keine „Absichten“, wie ein Marketingmanager oder so. Nach vorne – zurück, aber nicht unbedingt zurück an den gleichen Ausgangspunkt. Wenn man ein Pferd zügelt und es sich dabei bewegt, steht man schon

„Ich arbeite an der Störung, dem Imperfekten“ nicht mehr an dem gleichen Punkt. Alles ist vergänglich: Sobald ich einen Schritt nach vorne gehe, komme ich niemals an den gleichen Punkt zurück. Aber Schnelligkeit hat auch schon die Futuristen interessiert und interessiert mich immer noch: Wie schnell können wir eigentlich noch werden bis zum Super-Overkill? Da stehe ich, genau wie die Fluxus-Künstler, mit denen ich mich verbunden fühle, wie die Futuristen und Neo-Dadaisten, vor der Geschwindigkeit und dem urbanen Wahn und die Frage ist: Was machst du als Dichter daraus? Die Fluxus-Bewegung ist ein gutes Stichwort, da sie eng im Zusammenhang zu sehen ist mit Intermedialität. Wenn du deine Texte vorträgst, arbeitest du häufig mit Unterbrechungen durch Klangelemente. Wie würdest du deine Kunst selbst beschreiben? Es ist ja so, dass die Ursprünge der Lyrik oral sind. Wenn ich mir da einzelne Punkte herausnehme, ausprobiere, wie einzelne Vokale klingeln, experimentiere ich. Was passiert, wenn ich Brrr mache – was passiert dann mit dem Raum? Meine 13


Sprache geht in den Raum hinein und verändert etwas im Raum. In dem Moment interessiert mich nur, was dort und bei mir passiert. Ich bin erfahrungsgeil.

„Nichts ist langweiliger als ein ebenmäßiges Gesicht“ Ich gucke, was es mit mir macht, wenn ich eine Pause lasse, wenn ich ein Wort verfälsche. Ich arbeite an der Störung, am Imperfekten. Es ist nichts langweiliger als ein ebenmäßiges Gesicht. Was ist denn die absolute Schönheit? Sie ist da, wo die Störung auftritt, im Moment des Nachdenkens. Da bist du wach! Schönheit – das ist der Tod Ophelias, wie sie im Wasser schwimmt und gen Himmel blickt. Der Begriff der Störung bringt uns auf deinen Videoclip Commercial Break Welt_unterbrechung. Geht es da um eine Pause von der riesigen Werbepause, die das Leben in einer Konsumgesellschaft ist? Es ist ein sehr naives Video. Es zeigt meine Beine oder meine Füße, wie ich laufe, die ganze Zeit. Das ist eine Zen-Praxis. Du läufst und läufst irgendwo lang. Und das ist ja, was wir die ganze Zeit tun. Wir

„Eine Hommage an die Absichtslosigkeit“ laufen irgendwohin und glauben, dass wir irgendwelche wichtigen oder noch wichtigeren, je nach Priorität einteilbar wichtigen Ziele haben. Und daran glaube ich eben nicht. Eine kommerzielle Welt will uns ja immer etwas sagen, will immer mit uns kommunizieren. In diesem Video will ich mit gar keinem kommunizieren. Ich verweigere mich der Kommunikation. Und da wir seit Paul Watzlawick wissen, 14

dass man nicht nicht kommunizieren kann, kann ich mich also nicht einmal der NichtKommunikation hingeben. Schade. Aber dann werde ich doch wenigstens künstlerisch in meiner Kommunikation. Damit ist es eine Hommage an die Absichtslosigkeit. Gleichzeitig entlarvt dieses Video auch die Sinnfreiheit der kommerziellen Welt. Ich habe ein anderes Video, das ich für eine Installation in der Galerie Open gemacht habe, Palenquita, da gibt es keinen Ton, nur neun Minuten lang Bilder, aneinandercollagiert. Da haben mich die

„Es muss das Ziel der Kunst sein, den Resonanzkörper in uns zu erwecken“ Leute völlig irritiert gefragt: „Warum gibt es keinen Ton – ich brauch doch –.“ Ich brauch doch. Dieses Etwas muss so sein, weil irgendjemand mal ein Konzept entworfen hat, etwas müsste so am besten funktionieren stimmt ja auch gar nicht. Es gibt massenhaft Momente der Stille in der Kunst, wie John Cages Orchesterwerk 4`33. Das ganze Orchester sitzt dort, der Raum ist voll und wenn es losgeht, hörst du 4.33 Minuten lang absolut nichts. Das ist wunderschön. Du stellst plötzlich fest, dass es in der Kunst auf deine eigenen, inneren Dimensionen ankommt. Und das könnte doch eine Absicht der Kunst sein, wenn sie denn eine bräuchte: dass sie auf irgendeine Art den Resonanzkörper im Betrachter weckt. Dass du in dir plötzlich merkst: Ich bin der Künstler, ich bin das Werk, nicht das, was ich da angucken, konsumieren, wegschalten, kaufen oder nicht kaufen, ablehnen, kritisieren, rezensieren kann. Mehr über Jinn Pogy unter: jinn-pogy.de lostinpostpoetry.wordpress.com


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Ein Beitrag über … äh Nach beiden Seiten hin antwortete Gregor: „Bin schon fertig“, bemühte sich, durch die sorgfältigste Aussprache und durch Einschaltung von langen Pausen zwischen den einzelnen Worten seiner Stimme alles Auffallende zu nehmen. (aus: Die Verwandlung // Franz Kafka)

Jeder kennt diese Vorträge, bei denen man die besprochene Thematik kaum erfassen kann, weil „ähs“ und „ähms“ das Gesagte derart zerstückeln, dass man seine gesamte kognitive Leistung auf die Identifizierung von für den Vortrag relevanten Wörtern richtet. Die Person, die spricht, wird auf Grund der vielen Unterbrechungen häufig als unsicher, schlecht vorbereitet oder inkompetent wahrgenommen. In Rhetorikkursen trainiert man das Sprechen ohne „äh“ und „ähm“ und jeder bemüht sich, diese Füllwörter nicht in einem Vorstellungsgespräch zu gebrauchen. „Eeto“, „ano“ und „konoo“ Obwohl die Füllwörter „äh“ und „ähm“ kein großes Ansehen in der Sprachgemeinschaft genießen, sind sie in der alltäglichen Kommunikation weit verbreitet. Das gilt nicht nur für das Deutsche. In allen Sprachen der Welt gibt es Wörter, die ähnliche Funktionen erfüllen, wie das deutsche „äh“ und „ähm“: Sie sind Pausenfüller. Japaner nutzen „eeto“, „ano“ und „ko16

noo“, Franzosen haben die Ausdrücke „euh“ oder „eh“, und im Hebräischen finden sich „ah“ und „am“. Auffällig ist die Ähnlichkeit der Wörter auch in Sprachen, die nicht eng miteinander verwandt sind. Der Grund für diese Ähnlichkeit ist jedoch nicht genau bekannt. Alle Sprachen wählen kurze und einfach strukturierte Wörter, deren Produktion nicht viel Aufwand erfordert. Vokale werden unter Einsatz der Stimmbänder produziert, klingen damit, und es ist möglich, sie länger oder kürzer zu realisieren. Das ist wichtig, damit man die Länge der Füllwörter an die Länge der Pause im Sprachfluss anpassen kann. In vielen Sprachen bestehen die Füllwörter darüber hinaus aus den Konsonanten „m“ und „n“, welche ebenfalls unter Einsatz der Stimmbänder produziert werden. Solche Konsonanten werden auch stimmhaft genannt. Auch diese sind in ihrer Länge variabel. Überbrückung von Informationslücken Bei oberflächlicher Betrachtung scheint es nicht so, als erfüllten diese Füllwörter eine spezielle Funktion, sondern eher, als wären sie ein Ausdruck von mangelnder Konzentration. Forscher haben jedoch heraus-


… Pausenfüller gefunden, dass die verschiedenen Füllwörter systematisch eingesetzt werden, um Sprechpausen zu kennzeichnen. Man geht davon aus, dass Sprechpausen in der Kommunikation dort entstehen, wo Probleme beim Abrufen von Informationen oder bei der Produktion der sprachlichen Äußerung entstehen. So fällt einem im falschen Augenblick zum Beispiel der Name seines Vorgesetzten nicht mehr ein oder man hat das Bild eines Gegenstandes genau vor Augen, kommt aber auch mit großer Mühe nicht auf die Bezeichnung dieses Dings aus Stoff oder Leder, das man sich im Winter über die Hände zieht, um sie warm zu halten. Wie diese Probleme beim Abrufen von Informationen entstehen, wird wohl auch in einigen Jahren noch nicht vollständig erforscht sein, aber sicher ist, dass diese Schwierigkeiten bei Faktoren wie Stress oder Müdigkeit zunehmen. Diese Sprechpausen könnten auch ohne gesonderte Kennzeichnung vom Sprecher gemacht werden, doch oft werden sie nicht einfach im Raum stehen gelassen, sondern mit Hilfe von Füllwörtern überbrückt. Der häufigste Grund ist wohl der, dass man seinem Gesprächspartner signalisieren möchte, dass man seinen Redebeitrag trotz der Pause noch nicht beendet hat. Manchmal setzt man Füllwörter aber auch ein, um den Gesprächspartner zum Reden aufzufordern. Man bittet um Hilfe bei einer Produktionsschwierigkeit.

von ... ähm ... Judith Daute

Systematisches „Äh“-en Die Gründe für den Einsatz von Pausenfüllern können vielfältig sein und ihre genaue Bedeutung ist vom Kontext der Gesprächssituation abhängig. Damit können sie zu der Wortart der Interjektionen gerechnet werden. Diese haben ebenfalls keine festgeschriebene, ihnen inhärente Bedeutung, sondern bekommen diese je nach Kontext zugeschrieben. Außerdem werden sie systematisch eingesetzt; die Wörter „ah“ und „aha“ sind nicht einfach austauschbar, sondern sie werden an unterschiedlichen Stellen in der Kommunikation genutzt. Untersuchungen der Pausenfüller haben ergeben, dass auch der Einsatz von „äh“ und „ähm“ System hat. Äh oder Ähm? Sprechpausen nach einem „ähm“ sind deutlich länger als Pausen, vor denen ein „äh“ kommt. Damit noch nicht genug. Beide Ausdrücke können sowohl normal als auch in die Länge gezogen ausgesprochen werden. Diese „langen“ Ausdrücke stehen jedoch meist nicht vor, 17


sondern nach einer Pause. Nutzt man lange „ähs“ und „ähms“, so weist man damit auf eine bestehende Schwierigkeit bei der Sprachproduktion hin, während die kurzen Ausdrücke eine noch folgende Unterbrechung anzeigen. Ein zusätzlicher Produktionsstrang? Es klingt erst einmal paradox, dass „äh“ und „ähm“ systematisch und gezielt eingesetzt werden, wenn ein Problem bei der Sprachverarbeitung besteht. Dafür muss das Problem bemerkt und an einer Lösung gearbeitet werden, während gleichzeitig die Produktion eines anderen sprachlichen Ausdrucks, der ursprünglich gar kein Teil der geplanten Äußerung war, vonstattengeht. Das würde bedeuten, dass es mehrere Produktionsstränge gibt, die gleichzeitig in die Äußerung einfließen. Wieder einmal hält die Wissenschaft für diese Frage noch keine Lösung bereit. Die Abläufe bei der Produktion von Sprache

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sind eng mit generellen Abläufen im Gehirn verbunden und damit weiterhin ein Mysterium. Man sieht also bereits, dass noch viel Forschung notwendig ist, um die Pausenfüller „äh“ und „ähm“ in all ihren Facetten zu erklären. Fest steht jedoch, man sollte nicht von dem Gebrauch dieser Füllwörter auf schlechte Vorbereitung schließen; auch diese Wörter haben ihre Funktion innerhalb einer Unterhaltung oder einer Rede. Betrachtet man das „ähm“ als linguistisches Phänomen, lässt sich die Langeweile des zerstückelten Vortrags also schnell in ein Forschungsinteresse umwandeln. Sobald man seine äh(m)- Strichlisten durch Notizen über Position und Länge ergänzt, ist man schon mitten im wissenschaftlichen Experiment und so bekommt die schlechte Präsentation sogar noch einen Sinn. Zum Weiterlesen: Clark, Herbert/ Tree, Jean: Using uh and um in spontaneou speaking. In: Cognition 84 (2002), Seite 73-111.


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Laura Schlingloff o.T. // Laura Schlingloff Und die Welt ist so eingerichtet, daß es Menschen giebt, die ihr ganzes Leben lang in der Pause vorbeikommen, wenn er, lautloser als alles was sich bewegt, weiter rückt wie ein Zeiger, wie eines Zeigers Schatten, wie die Zeit. (aus: Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge // Rainer Maria Rilke) Laura Schlingloff möchte am liebsten alles verstehen und trotzdem die Welt lieben oder sie vielleicht dann sogar gerade deshalb lieben – und fängt erstmal bei sich selber an. Sie hat als Kind entdeckt, dass in der Notenschrift das Zeichen für eine Viertelpause aussieht wie ein halber Mädchenkopf und kommt von diesem Bild nicht mehr los: Vielleicht wartet das Mädchen darauf, dass endlich wieder Musik gespielt wird? Eigentlich hat sie ja die Zügel in der Hand und entscheidet, wann es losgeht...

das große und bittere will gekannt werden aber es ist flüchtig und es hasst die einfachheit und es schert sich einen dreck um dich: es schert sich um sich selbst und um sein bewusst-werden. das große, bittere schmeckt rostig und warm. und es ist voll hohn verabscheut, was die großen männer der geschichte mit „wahrheit“ fassen wollten. wahrheit, denkst du, ist wie ein schlimmer traum aus deiner kindheit: sie hört da auf, wo du beginnst. und deshalb trudeln wir durch die welt wie betrunkene planeten und finden uns – auch wenn wir das selbst nicht merken – im umkehrmoment: am höchsten punkt des pendels: wenn für einen wimpernschlag keine bewegung in dir ist: und dein impuls noch nicht weiß, wohin er dich zieht. die großen, bitteren, wahrheit verachtenden wahrheiten … sie finden dich immer und sie bringen dich immer mit einem faustschlag in den bauch zum stehen.

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Kai Gutacker Berlin. Nacht. (Auszug) // Kai Gutacker 5 Uhr

Die Ruhigen // Georg Heym Ein altes Boot, das in dem stillen Hafen Am Nachmittag an seiner Kette wiegt. Die Liebenden, die nach den Küssen schlafen. Ein Stein, der tief im grünen Brunnen liegt. Der Pythia Ruhen, das dem Schlummer gleicht Der hohen Götter nach dem langen Mahl. Die weiße Kerze, die den Toten bleicht. Der Wolken Löwenhäupter um ein Tal. Das Stein gewordene Lächeln eines Blöden. Verstaubte Krüge, drin noch wohnt der Duft. Zerbrochne Geigen in dem Kram der Böden. Vor dem Gewittersturm die träge Luft. Ein Segel, das vom Horizonte glänzt. Der Duft der Heiden, der die Bienen führt. Des Herbstes Gold, das Laub und Stamm bekränzt. Der Dichter, der des Toren Bosheit spürt.

Kai Gutacker, Jahrgang 90, studiert Deutsche Literatur und Kulturwissenschaft an der HU Berlin. Von 2008-10 war er dreimal unter den Jahressiegern des Lyrix-Preises des Deutschlandradios. Kai mag: südamerikanische Literatur und russische Küche. Kai mag nicht: Alles, was mit Kiwis zu tun hat und Theodor Fontane. Derzeit arbeitet er an einem Erzählband. Pausen sind für ihn Käsestangen für 50 Cent vom Schulbäcker.

Im Nachtclub beginnt weißes Fleisch zu vertropfen, das Blut kratzt gelangweilt ans Trommelfell, niemand hat jetzt noch verwertbare Absichten übrig. Der Alkohol welkt und wird schal, manche steigen auf Farbchemie um, ihrer Stimmung zuliebe. Die anderen gehen – die schmutzigen Straßen sind feucht, alter Schweißfilm auf schuppiger Haut. Am Hackeschen packen die Nutten zusammen und schminken sich ab, ihre Blicke sind dunkel. Ein Hund bellt. Verwaiste Laternen benagen die Schatten. Die Häuserfront schweigt. Die Luft hier ist ein Sedativum, man atmet, wird langsam, die Schritte – man merkt gar nicht mehr, dass man läuft und die Sinne verfangen sich nirgends, sie gleiten nur über die Dinge und rutschen dann ab. Noch einmal die Tram (Linie eins bis Schönhauser). Die Formen der Körper erweichen zur halbgrauen Schmelzmasse, schwanken – die Bremse als ganz fernes Surren, dann nichts mehr. Man ruht in den Schößen der dämmernden Stadt. 21


Werbepause // Franziska Nestler

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Werbung Ende

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Samuel Thoma Solange ich auf die Stimmen hörte und unwillkürlich hören mußte, war die oft sekundenlang andauernde Verzögerung der erwarteten Fortsetzung für mich über die Maßen peinlich; nachdem aber neuerdings die Verlangsamung noch weiter fortgeschritten ist, so daß die Stimmen, wie bereits erwähnt, überwiegend zu einem unverständlichen Gezisch ausarten, ist es mir möglich geworden, mich daran zu gewöhnen, daß ich, solange ich nicht eine Beschäftigung (Klavierspielen, Lesen, Schreiben usw.) treibe, die die Stimmen ohnedies untergehen läßt, ich einfach in der Nervensprache anhaltend 1, 2, 3, 4 usw. zähle und mir damit Pausen des Denkens (den sog. Nichtsdenkungsgedanken) verschaffe. (aus: Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken // Daniel Paul Schreber)

Selbstbepausung // Samuel Thoma Jetzt sehe ich, dass: alles was ich bisher getan habe – nichts Neues. Alles Teil einer bestimmten Haltung, die ich vor Jahren eingenommen habe. Ich war nichts Anderes als diese Haltung. Doch vielleicht habe ich begonnen, diese Haltung zu verstehen. Vielleicht ist dieses Verständnis das Einzige, was ich im Moment vermag – ein winzig kleiner Schritt aus mir heraus; nur zu verstehen und sagen zu können, das bin ich. Immer schon. Dort fing ich an. Dort. Doch dieser Schritt ist so winzig, ich weiß gar nicht, wie und wo ich ihn ausmachen soll. So sehr bin ich ich. So sehr bin ich mir nahe. Nach langer Überlegung beginne ich also das Projekt einer Selbstanalyse. Unter Vorbehalt: kein Unbewusstes und keine Traumdeutung. Verständnis meiner ursprünglichen Haltung, die mich zu dem macht, was ich bin. Ich will mich von mir kurieren. Ich habe endlich einen Termin mit mir gemacht. Ohne Wartezeit, nicht einmal telefonische Anmeldung ist nötig. Ich kann einfach bei mir vorbeikommen und die Sitzung beginnt. Oder vielmehr: Liegung: Ich lege mich aufs Bett und höre mir zu. Ich habe mich am Anfang gefragt, ob es mich stört mit dem Diktiergerät. Doch ich gewöhnte mich schnell daran und mittlerweile habe ich schon fast das Gefühl, es fehlt etwas, wenn ich es nicht einschalte. Pausetaste, Selbstbepausung – unter laufendem Diktiergerät, abpausendem Diktiergerät. Ich weiß gar nicht, wofür ich das aufnehme. Es ist wahrscheinlich nur, damit irgendetwas läuft und in Bewegung ist, während ich still stehe, auf „Pause“ gestellt bin. Auf „Pause“ gestellt das Laufen sehen, summende Kassetten-Bewegungen. Das bewegte Duplikat von mir, das sich vor mir auf- und abspult. Und vielleicht fange ich ja eines Tages damit an, diese Spulungen nochmal durchzugehen, dann wieder auf „Pause“ gestellt. Wir, ich und ich, wir sind noch dabei, uns kennenzulernen. Wir haben ein seltsames Verhältnis. Zuerst hatten wir ziemlich Angst voreinander. Da ist sicherlich viel Übertragung dabei – Projektionen von mir aus meiner eigenen Kindheit in mich und von mir in meine Kindheit und so hin und her, immerfort. Wir haben die Übertragung aber gleich ausdis26


kutiert. Ja, es stimmt, ich habe mal wieder vor, mich mit mir anzufreunden. Vielleicht auch – mich zu zähmen und zu ent-zähmen. Als ich mir diesen Vorschlag gemacht hatte, schrie ich sofort auf – „Das hattest du doch schonmal versucht! Schon so oft! Ging doch immer nach hinten los! Ging doch immer in die Hose!“ Ich musste mir das erklären ... Ich will mich vielleicht mit mir anfreunden, aber ich habe nicht vor, mich zu verlieben. Denn jede Liebesbeziehung birgt die Gefahr, entweder sich vollkommen für den anderen aufzugeben oder, nachdem man vom anderen enttäuscht wurde, sich ganz in sich selbst zurückzuziehen. Und in beiden Fällen büßt man in der Regel an sozialen Kontakten ein. Diese Risiken wollten natürlich weder ich noch ich durch unsere Beziehung eingehen. Nachdem ich mich ein wenig beruhigt hatte, konnte es also beginnen. Natürlich war da noch das Sprachproblem, da Französisch ja weder meine noch meine Muttersprache ist. Aber einer von uns bestimmte dann einfach, dass die Therapiegespräche zukünftig in der Fremdsprache laufen sollten – dann lernen wir beide auch noch etwas dabei. Ich widersprach, dass der Sinn einer Therapie nur die Therapie selbst sei und nicht der, eine Sprache zu lernen – außer einer ganz besonderen Art von Sprache vielleicht. Doch ich wollte nicht hören. Zu gegebener Zeit werde ich mich nochmal darauf ansprechen. Warum komme ich überhaupt zu mir an mein Bett und höre mir zu? Der Sinn einer Therapie ist die Therapie ...? Weil ich die ganze Zeit schon da bin! Ich behaupte immerzu, ich sei nicht da. Doch ich ahne stets das Gegenteil, dass ich hinter mir die Zügel halte, dass also in Wirklichkeit nicht ich, sondern ich bestimme! Diese Ahnung macht mir Angst und lässt einen Kampf entstehen zwischen mir und mir. Dieser Kampf nimmt mich manchmal so ein, dass ich ganz vergesse, wo und wer ich gerade bin. Ich stehe dann ganz neben mir. Doch ich und ich, das wird mir langsam klar, wir sind uns so ähnlich – man könnte fast sagen, ich wäre ich. Und aus diesem Grund halte ich es für nötig, denjenigen, der mir so nahe ist, endlich einmal zu besuchen. Um den Kampf mit mir zu beenden und den Ring zu schließen. Ich habe beschlossen, mir endlich ins Gesicht zu sehen und „Guten Tag“ zu sagen. Warum man sich auch immer mit den Leuten streitet, die man nicht kennt?! Woher kommt dieser innere Fremdenhass? In diesem Sinne ist es ein zutiefst politischer Akt, den ich unternehme. Doch wie gesagt, ich will mich weder hassen, noch lieben. Ich glaube, ich will einfach nur verstehen. Samuel Thoma, unentschiedener Gelegenheitsautor, unentschiedener Gelegenheitsphilosoph, unentschiedener Gelegenheitspsychiater und -psychiatrisierter. Das alles in Berlin, weil sonst alles zu einfach wäre. Auf die Frage nach seinem ersten Gedanken zum Thema Pausen fragt er zurück: Wie viele schreiben hier wohl wirklich, was ihr erster Gedanke und nicht viel eher ihr letzter und äußerster (d.h. aufs Äußere bedachte) ist? Zweiter Gedanke (also eigentlich erster oder doch letzter?): Ein Terminkalender hat aus Prinzip keinen Platz für Pausen. 27


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Eine Lettern-Liebe In der Historischen Druckerei Otto Schneider im Kreuzberg Museum scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Oder aber auch: Eine vergangene Ära wird wiederbelebt – die Zeit, in der noch mit Bleisätzen und Walzen gedruckt wurde. Dieses mühsame und relativ langwierige Verfahren kann dort in Workshops ausprobiert werden. Warum aber sich diesen zeitaufwändigen Techniken widmen, wenn es doch heutzutage viel schneller, einfacher und unter Umständen auch „sauberer“ mit Offsetdruck & Co. geht? Wer einmal die fertigen Druckerzeugnisse aus der Presse sieht und betastet, erkennt: Der Aufwand lohnt sich, weil eine haptische Dimension entsteht, an der es modernen Drucken oder gar E-Books mangelt.

von Magdalena Sporkmann

Ornamente und Messing- bzw. Schmucklinien, einen sogenannten „Heidelberger Tiegel“, eine Automatic-Frontex-Schnellpresse und eine faszinierende und monströs wirkende Linotype-Setzmaschine zu bewundern. Wer sich von Frau Krenz` Leidenschaft hat anstecken lassen, kann darüber hinaus auch an Kursen zum Erlernen des Schriftsetzens und Druckens sowie Buchbindens teilnehmen. So sei es durchaus möglich, selbst unter ihrer Anleitung ein komplettes Buch herzustellen: vom Satz über den Druck bis zur Illustration durch Verfahren der Lithografie, der Radierung oder des Linolschnittes, ermutigt Frau Krenz.

Die Historische Druckerei umfasst den Bestand der Buchdruckerei Otto Schneider. Die ehemals im „Exportviertel Ritterstraße“ befindliche Druckerei wurde 1928 von Otto Schneider gegründet und bis 2001 von dessen Sohn Gerd weitergeführt. Heute ist die Druckerei ein Museum und wird gemeinsam von Gerd Schneider und ehrenamtlichen Buchdruckern und Maschinensetzern betreut.

Sie selbst hat den Beruf der Schriftsetzerin erlernt und ausgeübt, doch entgegen ihrem Glauben, in diesem Beruf alt zu werden, musste sie sich neu orientieren und ihre Arbeit am Computer aufnehmen. Das Handwerk fehlte ihr so sehr, dass sie diesem Fortschritt den Rücken kehrte, um im Museum mit den alten Maschinen zu arbeiten. Obsolet im heutigen Buch- und Zeitschriftendruck sind nicht nur die Druckerpressen, sondern auch zahlreiche damit verbundene Berufszweige geworden: Hand- und Maschinensetzer, Stereotypeur, Ableger und Gießer sind heute „ausgestorbene“ Berufe.

Während einer kostenlosen Führung erklärt Frau Krenz, die Museumspädagogin, gern und ausführlich die alten Drucktechniken und -maschinen. Es gibt unzählige historische Bleischriften,

Dennoch ist ein neuer Trend zu verzeichnen, wie Frau Krenz berichtet: „Sogar viele junge Leute kommen heute in die Museumswerkstatt und wollen die alten Techniken erlernen.“ Dabei gehe es 29


den meisten um den Wert des Unikats, bzw. der limitierten Auflage, um die tastbare Qualität der Bücher und Druckerzeugnisse und nicht zuletzt um das Selbst-Machen. Viele entdeckten dabei ihnen bislang verborgene Talente in sich, schmeichelt die Museumspädagogin. Doch nicht nur Erwachsene seien ermutigt, sich in der historischen Druckerei auszuprobieren, sondern auch Kinder ab dem Kindergartenalter, von deren Fähigkeiten eine kleine Ausstellung mit Linolschnitten in den Räumlichkeiten des Museums zeugt.

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Museumsdruckerei Otto Schneider geöffnet Mi-Fr 12-16 Uhr Telefonnummer: 030/50585233 im Kreuzberg Museum für Stadtentwicklung und Sozialgeschichte Adalbertstraße 95A 10999 Berlin-Kreuzberg


Poppy Dillon

Mittagsruh // Joseph von Eichendorff Über Bergen, Fluß und Talen, Stiller Lust und tiefen Qualen Webet heimlich, schillert, Strahlen! Sinnend ruht des Tags Gewühle In der dunkelblauen Schwüle, Und die ewigen Gefühle, Was dir selber unbewußt, Treten heimlich, groß und leise Aus der Wirrung fester Gleise, Aus der unbewachten Brust, In die stillen, weiten Kreise.

Poppy Dillon studiert an der University of Edinburgh. Gerade ist sie für ein Jahr in Berlin, um Deutsch zu lernen, und weil sie sich unwiderruflich in Berlin verliebt hat. Sie hat sich zum Ziel gesetzt, Gedichte auf Deutsch zu schreiben, bevor sie auf die Insel zurückkehrt. Sie sagt: A pause is to stop thinking, to stop worrying, to look yourself in the eye for a change.

Tonight // Poppy Dillon 4.05 am, Saturday 3rd November, 2011. Tonight I don`t want to sleep Tonight I want to fly in the face of instinct, material need and convention Tonight I want to think, live and be, while everyone else is blissfully unconscious. Tonight I revisit my old university halls Tonight I see myself in the 3 am traipsers and strays, all starry-eyed from their night on the town Tonight it isn`t me I see but the person I was last year and Tonight I ask my brain what it thinks of me now. Tonight the moon is irresistible Tonight the parks are oceans Tonight street lamps are enemies Tonight I have no fear of people. Tonight I walk into a 24 hour cafe I buy a coffee and make it last until morning Tonight is perfect but always too short Tonight the sun`s first rays are mongrels Tonight I don`t want anyone to wake up because Tonight is mine. Tonight I am a chrysalis, Tonight I start moving for the first time. Tonight I release myself from my intellect and Tomorrow I`ll be a butterfly.

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„Ideal ist Fußball“ Der Schriftsteller Falko Hennig wohnt in Berlin und ist Mitglied der Autoren-Fußballnationalmannschaft Autonama. Hier spricht er über Pausen vom und durch das Schreiben. Interview von Susanne Rothmund und Anneke Lubkowitz Wie sieht dein Alltag als Schriftsteller aus? Betrachtest du die schriftstellerische Tätigkeit als 9-to-5-Job oder hast du nie Feierabend? Erfreulich abwechslungsreich, da ich meine journalistische Arbeit dazuzählen würde, ich komme durch Recherchen und Lesungen viel herum und habe mit unterschiedlichsten Menschen und Situationen zu tun. Da sich das Gehirn nicht bewusst abschalten lässt, wird jede geplante Arbeitszeit überschritten. Welche Rolle spielen Pausen in der Schreibpraxis? Pausen sind sehr wichtig, je höher das Arbeitspensum ist, desto wichtiger sind zur Bewältigung die Pausen. Ideal ist Fußballspielen, weil damit noch immer meine Gedanken für zwei Stunden von der Arbeit auf den Ball abgelenkt worden sind. Hat ein Schriftsteller je Urlaub oder ist er immer dabei, für den nächsten Roman Ideen zu sammeln? 32

Interview mit Falko Hennig

Der Schriftsteller aus Leidenschaft hat keinen klassischen Urlaub; vielleicht sieht es anders aus bei Menschen, die diesen Beruf aus kühler Berechnung ergriffen haben. Denen muss man allerdings eine Rechenschwäche attestieren. Ungewollte Pausen: Wann treten bei dir Schreibblockaden auf und was machst du dagegen? Hinsetzen oder Hinstellen zum Schreiben. Dem Text merkt man die Schwierigkeiten seiner Entstehung nicht an. Schreibblockaden kenne ich bei mir nicht, aber etwas, das ich Textekel nenne, ein starker Widerwillen gegen den Text, an dem ich arbeite. Auch dagegen hilft die Arbeit an genau diesem Text am besten. Die alten Griechen sahen Muße und Muse in engem Zusammenhang. Können deine Erfahrungen das bestätigen? Schreiben ist eine Tätigkeit, die bei mir ungefähr in der Mitte zwischen Nichtstun und Arbeit angesiedelt ist. Ich sehe das Nichtstun als Quelle der Fantasie. Sehr gern begebe ich mich in eine äußerliche Urlaubssituation: Sonnen im Liegestuhl, an einem See. Der Text, der am Schreibtisch entsteht, ist aber bestimmt nicht schlechter. Stellt das Schreiben für dich eine Pause vom Alltag, von der Realität dar?


Nein, eher ist das Schreiben für mich eine Fixierung des Alltags und der Realität. Wenn Thomas Mann schrieb, hatte im ganzen Haus Ruhe zu herrschen. Ist es für dich wichtig, die Welt sozusagen „auszuschließen“, um dich auf deinen

Text konzentrieren zu können? Ich kann überall und in vielerlei Situationen schreiben: in Zügen, mit tobenden Kindern, im Kaffeehaus, am Strand. Bei dringenden Terminsachen habe ich das Telefon schon ausgeschaltet und mir verboten, ins Internet zu schauen.

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Sannah Jahncke Pause // Emanuel Geibel Wer will`s denn leugnen, daß in unsern Tagen Ein rascher Pulsschlag sich lebendig regt, Daß rings ein frischer Geist die Welt bewegt Und die Gedanken neue Flüge wagen? Die Wissenschaft zertrümmert ohne Zagen Manch dumpfe Schranke, die uns eingehegt, Der Baum der Freiheit, der schon Blüten trägt, Verheißt dereinst uns goldne Frucht zu tragen. Ein Großes aber mangelt dieser Zeit: Das eigne Dach und Fach, das mit Vertrauen Die Brust erfüllt und drin die Rast gedeiht.

Welch eine Qual, sich die Fingernägel an der rechten Hand zu schneiden! Anton Tschechow in einem Brief an Olga Knipper

Noch heimatlos, bei Sonn` und Wettergrauen Sitzt sie auf Trümmern der Vergangenheit Und Quadern, für der Zukunft Bau gehauen.

stillstand medusa (Auszug) // Sannah Jahncke a medusas verharren zwischen hals und brustwirbelsäule zieht der schmerz flockig ins mark – einsam im aushalten des innen, als wandre ein korkenzieher durch knochen, metalle spreizen ihre betonung, enthusiastisch dröhnt es vom jucken des fells, ja, ins leben stürzen neben den puppen huckepack vor betäubung, ein schatten aus mut leckt meine pelzige nase – geschmack von blend a med und ekel, medusa – alles nur methode, erwartung, siehst du, wir werden projektion sein, jede nacht frisch genäht. eingeschlossen in innenwelten aus denen kein weg – und überhaupt, gibt es ein draußen, oder bleiben wir? zieh ins zwischenmark, kleiner schmetterling wandre die brustwirbelsäule rauf, runter, verharre. 34


b medusas schongang setzung des nichts erreicht, langsames umschlagen, zwischen kontrast und performanz. wie das pflaster uns verzehrt, in seinem wesen aus hexenschuss und schlangenbiss, die nacht ist voll methode, aber die existenz hinkt. unser körperfund reift hölzern am wegrand, kalte schuppen spannen sich um stolze kiemen, stillstand der kommunikation. unwürdige ruinen, hilflos, zerkratzt von versuchen, panflöte im untermull, schrauben brechen, die inszenierung hustet ohne erbarmen. bis dahin fällt blickkontakt, zögernder schongang, hautpartikel, risse im transmitter klemmen sich zwischen trojanische pferde im galopp zum nächsten highway east, theorien der einsamkeit durch theorien der zweisamkeit ersetzen, ich schäle wachteln, die federn kleben zwischen zahnfleisch und torso, wir laufen mit den augen die ins bild gerutschte hypothese entlang, es könnte, medusa, es könnte. c medusas flaumhäute über dem siedepunkt tauen flaumhäute gefleckter tiger, im rücken überbleibsel, eine ahnung von apokryphen zupfen kopfhäute, fallen herab als schuppen und verteilen ihren reiz – hinterlassen einen fahlen geschmack im zentrum des kopfs und dann ein halbes jahr leere. säuerlich setzt sich staub auf unsere wangen, zwei porzellanfiguren, larvenzeit, eingeflochten in spinnweben, netze aus gewellten indischen haaren, weben einen orakelspruch in unsere ohren, ich höre rauschen, stille, höre schaltjahre, höre zuckende käfer über parkett kriechen, pelle avocadoschalen aus deinem bauchnabel, als es nicht mehr darum ging, zu lügen, brach die zeit ihr rückrad, mittig des blicks setzt sich eine fliege, kratzt ein loch in deine hüften, scharrt in der kalten asche, ohjeh, die nachtzigarette brennt in flaumhäute gefleckter tiger verhüll die fakten, medusa. in glasvitrinen sieht man uns nicht. 35


d medusas elfenbeinhund sag was, im vibrato der sinne vom speicher der sprache gelöst, wischundweg, verkrustet und achtlos

Sannah Jahncke, im Dezember 1990 in Kassel geboren, studiert Deutsche Literatur und Kulturwisschenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin. Seit ihr Buchstaben bekannt sind, macht sie erste Gehversuche in Prosa und Lyrik – mit konstanter Weiterführung. Pause ist für sie das Absetzen des Zigarettenrauchs auf Pullover und Haar nach der Luftschwebe.

im takt aus dir heraus verschluckt, löffle metapher – hast abgenommen, wie du wieder rauchst, mit asche vom hoffen entstellt – elfenbeinhund, veratme tristesse, schluck das uns weg, callgirls warten auf love zwischen lapsus und exitus, medusa röchelt, zerbrochen verschwitzt, röchelt nebel im vibrato der sinne. e medusas lasuren dessert: transparente brustwarzen, nach dreien davon – danke ich bin satt, reizlose resonanzräume verglimmt, ausrutschen auf fiktion, entzahnt mir den rachen, zu dunkel im schlund, da schlagen meine leiber, gedimmt im darkroom, aufeinander ein, medusa stop it, konstrukte des realen, und wenn nur ich existiere? alles andere fake, nur maskerade, einbildung, nur neurotransmitter, ohne substanz rinnt mir die vorstellung den wortschatz hinunter, verklebt, lasuren von medusa und der sound nistet sich schattig am rand der sprache ein, lausche lispelnden lippen, bis mir hornhaut zwischen den kiemen meines dritten arms wächst.

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Yulia Marfutova

. . . da es schließlich, wenn schon Fußballspieler und Pferde Genie haben, nur noch der Gebrauch sein kann, den man von ihm macht, was einem für die Rettung der Eigenheit übrigbleibt, beschloß er, sich ein Jahr Urlaub von seinem Leben zu nehmen, um eine angemessene Anwendung seiner Fähigkeit zu suchen. (aus: Der Mann ohne Eigenschaften // Robert Musil)

Seegang // Yulia Marfutova Eine Hafenstadt mit Neonreklame und Tanzmusik. Der 26-jährige Horst Buchholz wird von einer Prostituierten um sein Geld und, wichtiger noch, um seine Papiere gebracht. Wirklich eine dumme Sache, damit aber ist sein Schicksal besiegelt. Who enters here/ Will no longer have existence. Neunmalklug wer sagt: Ein flackerndes Schwarzweißbild. Keine Ahnung hat, wer nüchternen Tones verkünden kann: Eine schaukelnde Heterotopie auf hoher See. Die YORIKKE ist ein dunkles Schiff, besser, man steigt nicht in ihren Bauch, besser, man bekreuzigt sich, besser noch, man nimmt die Beine in die Hand und dann schnellschnell. Wo sind die Amulette, die man sich um den Hals hängen könnte, wo die Abwehrzauber, wo. Und überhaupt. Hilfe, bitte, aber schnell. Die letzte Szene: Horst Buchholz treibt auf einem Stück Schiffsplanke auf dem Meer. Zoom out – und nur noch ein Punkt ist er und weit die See. Fade out. Das ist das Ende. Hanna und Jan sind zwei sehr unterschiedliche Kinogänger. Wenn Jan ins Kino geht, lehnt er sich zurück, isst Popcorn und geht dann wieder nach Hause. Wenn Hanna ins Kino geht, pult sie an ihren Nägeln; eine schlechte Angewohnheit, aber im Kino bemerkt das ja keiner, weil es dunkel ist. Hanna und Jan sind ein Paar. Der Film – Das Totenschiff heißt er – tut sehr wohl etwas zur Sache. Jan sagt: Mach dich nicht lächerlich. Aber es hilft nichts. Seit diesem Film fürchtet sich Hanna vor Schiffen. Das ist eine wirklich dumme Sache, schließlich sind sie gerade an der Nordsee. Am Dienstag will Jan die Meyer Werft besichtigen. Sie ist nicht so weit weg, von hier aus, sagt er. Die Meyer Werft ist eine große Werft, ein Familienbetrieb, in sechster Generation in den Händen der Meyers. Erst Holzschiffe gebaut, dann auf Stahl und Dampfantrieb umgestellt. Während des Zweiten Weltkriegs baute man

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hier U-Jagdboote. Heute stellt man hier Träume her. Hannas Träume sind das allerdings nicht. Große Kreuzfahrtschiffe, ganze Städte, die zu Wasser gelassen werden. Sie heißen AIDA oder Disney Cruise Line. Wenn sie Disney Cruise Line heißen, steuern sie Castaway Cay an, eine private Insel in den Bahamas, dafür hat The Walt Disney Company Korallen wegsprengen lassen. After disembarking to Castaway Cay, you can obtain beach towels. Check out the exclusive beachwear, hats, souvenirs and collectible pins with Disney‘s Castaway Cay logo! Ein Kreuzfahrtschiff hat nicht nur Kabinen. Da gibt es Restaurants und Geschäfte mit hübschen Kleidern und mindestens einen Friseursalon und ein Theater und einen Swimmingpool, und was es nicht alles gibt, sogar ein Gefängnis gibt es da. Hanna möchte die Werft nicht besichtigen, weil sie sich doch seit dem Film vor Schiffen fürchtet, am Ende aber gewinnt Jan. Weil Jan fragt: Wovor fürchtest du dich? wovor genau? ja aber was denkst denn du, was passiert, wenn wir eine Führung dort machen? Und weil Hanna es einfach nicht erklären kann, nicht einmal sich selbst erklären könnte, und sich dann doch nicht lächerlich machen will. Weil das alles so ist, wie es ist, trotten Hanna und Jan hinter einem älteren Herrn her, der ganz viel zu der Meyer Werft im Speziellen und Schiffbau im Allgemeinen zu erzählen hat. Im sogenannten Besucherzentrum pressen sie ihre Nasen an dicke Plexiglasscheiben, hinter den Scheiben das Baudock und ein riesiges Schiff, an dem gerade geschweißt wird. Und natürlich gibt es noch Fotos, Hochglanzfotos und Hochglanzprospekte zum Thema Kreuzfahrt, fast fühlen sie sich wie auf einer Kaffeefahrt. Plötzlich bricht Jan in ein Lachen aus, geradezu unheimlich klingt das. Komm, sagt er dann, lass uns gehen. Er sagt es fast zärtlich. Und Hanna erschrickt. Denn nun ist es andersherum, nun ist sie es, die nicht versteht, ausgerechnet jetzt, ausgerechnet, wenn Jan meint, sie zu verstehen. Jan fasst Hannas Hand. Er fragt: Was meinst du, was mit all dem Abfall geschieht? es muss doch sehr viel Abfall produziert werden auf so einem großen Schiff. Und sie sagt: Ich weiß nicht, wahrscheinlich wird der Müll irgendwo im Schiffsinneren gelagert. Und Jan fängt wieder an zu lachen, kriegt und kriegt sich einfach nicht mehr ein. Jan!, sagt Hanna, Jan?

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Jan fasst Hannas Hand. Aber wer soll das sein: Jan und Hanna. Hanna und Jan. Auf die Reihenfolge kommt es nicht an. Im Grunde ist es doch so, dass sich da zwei Namen bei der Hand fassen. Im Grunde ist es doch so, dass, würde man etwas beschreiben wollen, eine Aufsplitterung beschrieben werden müsste. Im Grunde ist es doch so: Da ist zum einen eine Hanna, die Jans Hand hält. Da ist zum anderen eine Hanna, die einen Film sieht und ab da weiß: besser, man betritt kein Schiff, und erst recht steigt man nicht in den Bauch des Schiffes. Da ist aber auch eine Hanna, die kann ihre Nase in echt gegen eine Plexiglasscheibe drücken und sich nichts weiter dabei denken, obwohl doch ihre Filmangst das Gegenteil vermuten ließ. Im Grunde ist es doch so: Bei Jan ist es andersherum. Da ist ein Jan, der fasst eine Hand, da ist einer, der denkt sich nichts weiter im Kino, und dann ist da einer, der lacht und kriegt und kriegt und kriegt sich einfach nicht mehr ein. Im Grunde ist es doch so: Da ist einer, nennen wir ihn ruhig: Jan, und da ist noch jemand, sagen wir: Hanna. Und Hanna und Jan werden kaum durch Buchstaben zusammengehalten, während sie doch in Wahrheit eine Pause von sich nehmen. Da, schau mal da! Sagt einer. Und zeigt genau dorthin. Wo? Fragt der andere und folgt der Fingerlinie. Eine Fingerlinie ist nicht gerade ein präzises Ausdrucksmittel. Und doch: Diese Linie führt zu einem Schiff. Es ist ein Schiff, das sein Innerstes nach außen gekehrt hat, wäre es nicht so albern, wäre es doch geradezu gruselig. Aus 12.000 miteinander verschnürten, ausgedienten Plastikflaschen besteht es. Und trägt den lächerlichen Namen The Plastiki. Zieht vorbei, und an Deck steht David de Rothschild und winkt. Und am Ufer stehen Menschen und winken, und natürlich sind da noch Kamerateams, und sie filmen und filmen. Da beugt sich einer seekrank vornüber und kotzt. Und dann richtet sich einer wieder auf, wendet sich ab und geht. Fasst eine ausgestreckte Hand und jeder Schritt ist wie ein Zusichzurückkehren. Yulia Marfutova, 1988 in Moskau geboren, lebt in Berlin. Studium der Germanistik und Geschichte. Stipendiatin des Klagenfurter Literaturkurses 2012. Veröffentlichungen in Anthologien und Zeitschriften, u.a. lauter niemand und um[laut]. Beim Thema Pause geht es in ihrem Kopf: Pause – Pausenklingel – Pausenbrot – Pauspapier – Blaupause – Teepause – pausenlos – – 40


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Warten können Susann Bindermann ist Literaturagentin in der Agentur Literatur. Ihr Aufgabenbereich erstreckt sich von der Ideenentwicklung für ein Projekt über dramaturgische Fragen bis hin zum kleinteiligen Lektorat von Szenen. Mit dem Thema Autorenbetreuung kennt sie sich also bestens aus. Interview: Anneke Lubkowitz Frau Bindermann, was fällt Ihnen zum Thema Schreibblockade ein? Das hat häufig nicht so sehr mit dem Text, als mit der Nähe des Autors zum Text zu tun, da es ja immer auch um die ästhetische Sublimierung eigener Erlebnisse geht. Ich mag die Bezeichnung „Schreibblockade“ nicht, denn für meine Begriffe handelt es sich um die Frage der rationalen Fassung emotionaler Fragen, die „Blockierung“ läge mithin „tiefer“ als im Aufzeichnen. Manchmal muss man in dem Sinne auch „warten“ können, bis der Text zu einem kommt. Und an den vielen „Anführungszeichen“ sehen Sie also schon, dass ich hier den Fall der „Blockade“ exemplifiziere ... Warten ist manchmal leichter gesagt als getan: Auch im Literaturbetrieb spielen Fristen, Abgabe- und Erscheinungstermine eine zentrale Rolle, deren (Nicht-) Einhalten mitunter wirtschaftliche Folgen für das Unternehmen haben kann. Haben Sie eine Art Trickkiste, auf die Sie zurückgreifen können, wenn der Abgabetermin für das Manuskript

Interview mit Susann Bindermann

immer näher rückt und der Autor über die ersten Kapitel einfach nicht hinauskommt? Da sind wir schon wieder bei den Schreibblockaden. Im Fall des Falles, dies träte tatsächlich ein: Der Agent ist auf Seiten des Autors, wir backen keine Brötchen, sondern begleiten künstlerische Schaffensprozesse. Insofern gilt auch hier: Man muss warten können. Aber jemandem Queneaus Stilübungen als eine Erweiterung des Möglichkeitenspektrums in die Hand zu drücken, kann durchaus hilfreich sein. Der Schritt, mit einem Text in die Öffentlichkeit zu gehen, sollte nicht unterschätzt werden, man macht sich angreifbar, verletzbar, kann die Entscheidung nicht zurücknehmen. Da gilt es schon, den Autor in das Stadium der Zufriedenheit mit dem eigenen Werk zu begleiten, ihm dann gegebenenfalls aber auch Zweifel zu nehmen. Schreibpausen kann man natürlich auch anders sehen: Raten Sie einem Autor vielleicht auch manchmal dazu? Nein, das würde ich nicht tun, denn damit entzieht man Lebenselixier. Manchmal kann es hilfreich sein, einen Text ruhen zu lassen, sich eine Weile anderen Dingen zu widmen, aber der Autor trägt das Ganze ja doch mit sich herum und „schreibt“ innerlich weiter. Es sei denn, ein Thema, ein Text hat sich „erledigt“, und sei es auch nur für die aktuelle Lebensphase, aber dann reden wir nicht mehr von einer Pause, auch nicht von einem „Ende“, sondern von einem Neuanfang.

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Für Pausen fe Kolumne: Anneke Lubkowitz Gibt es einen stupideren, gibt es einen schöneren Werbespruch als den eines weltbekannten Schokoriegelherstellers? Have a break, have a ... will mir beim Nachdenken über Pausen vielleicht deswegen nicht aus dem Kopf, weil es für mich Ausdruck eines bestimmten Lebensgefühls ist. Zum Beispiel denke ich da an den Mann im Anzug, der in der S-Bahn seinen coffee to go schlürft, oder vielleicht auch nur abkühlen lässt, um ihn dann schnell im Hochhaus-Lift runterstürzen zu können, damit er beim nächsten Meeting hellwach und natürlich gerade noch pünktlich erscheint. Have a break – die Pause in abgepackter Form, am liebsten aus dem Automaten, ohne Anstehen und auch für unterwegs, sodass sie möglichst wenig Zeit raubt. In Phrasendrescher-Manier ließe sich weiterführen: Denn Zeit ist Geld. Kein Wunder also, dass, wer sich einfach Zeit lässt, ohne sie zu sparen oder zu einem günstigen Zinssatz anzulegen, geradezu an den Rand der Gesellschaft gedrängt wird. Wer möchte schon ständig verfügbar sein? Wer nicht seinen Terminkalender zücken muss, wenn es darum geht, ein gemeinsames Kaffeetrinken auszumachen, ist schon durchaus zu bemitleiden. Vielleicht hat es etwas mit dem Tausendsassatum der Geisteswissenschafts-Student_innen zu tun, dass ich eigentlich ständig zu hören kriege und deswegen selbst schon quasi automatisch wiederhole: „Ich bin grad so im Stress, hab überhaupt keine Zeit.“ Das

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hlt mir die Zeit ist zum Normalzustand geworden, aber auch zu einem Statussymbol. Ich habe gemeinsame Kaffepausen nach und vor stundenlanger Arbeit in der Bib abgelehnt, weil ich „keine Zeit“ hatte. Es ist viel sicherer, an seinem Platz zu bleiben und, sobald der Gedankenfluss ins Stoppen gerät, nicht etwa einen Schokoriegel zu essen (was die Gefahr birgt, auf dem Weg zum Süßigkeitenautomaten jemanden zu treffen, an dem man seine Kommunikationswut auslassen könnte), sondern mal zu gucken, was es so Neues auf Facebook und Twitter gibt. Und die E-Mails zu checken – natürlich im privaten E-Mailfach – und dem Konto für die Uni und dem für die Zeitschrift. Und da Paul fragt, ob wir nicht ins Theater gehen wollen, schau ich gleich mal nach, was so kommt. Bis mir einfällt – wo war ich stehen geblieben? Ach ja, beim Stoppen des Gedankenflusses. Wenn ich mal eine Pause von meiner Hausarbeit brauche, schreibe ich eine Kolumne für die Zeitschrift. Wofür ich nochmal googeln muss, seit wann es eigentlich das Wort prokrastinieren gibt. Für mich existiert es seit dem dritten Semester. „Ich kann nichts dafür, dass ich es nie schaffe, meine Hausarbeiten rechtzeitig abzugeben, in der psychologischen Studienberatung haben sie festgestellt, dass ich prokrastiniere …“ Ich prokrastiniere, du prokrastinierst, weil er wie sie prokrastiniert, weil wir alle prokrastinieren. Und das ist gut so. Wir brauchen es, weil wir Pausen brauchen, die wir nicht mehr so nennen dürfen. Und wir brauchen Pausen, um Zeit zu haben. Damit wir nicht alle werden wir die grauen Herren mit ihren grauen Zigaretten und Aktentaschen in Momo.

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100 Wörter zum Thema: Andrew Sean Greer

Lolita, light of my life, fire of my loins. My sin, my soul. Lolee-ta: the tip of the tongue taking a trip of three steps down the palate to tap, at three, on the teeth. Lo. Lee. Ta.

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Containing no complete sentences, Nabokov‘s first paragraph is made entirely of rhythm, and of that great drama: the pause. Take note of the colon: it pauses without breaking. Take note of the periods. Lo. Lee. Ta. The narrator gasps between syllables. Lolita. Lo-lee-ta. Lo. Lee. Ta. The entire novel is there in the sound of that paragraph; study it carefully, and you will know how to write with passion.

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(Andrew Sean Greer, Schriftsteller)

Impressum Herausgabe, Redaktion und Vertrieb: Anneke Lubkowitz Theresa Lienau Kontakt: Theresa Lienau, Flughafenstraße 65, 12049 Berlin eMail: sachen_mit_woertern@gmx.de Illustration: Petrus Akkordeon und Franziska Nestler Layout: Theresa Lienau Alle Rechte zu den abgedruckten Texten liegen bei den Autoren. Ausgabe 02, Januar 2013 46


SEN|HOF // RUHE // PAU|SEN|LOS // PAU|SEN|PFIFF // PAU|SEN|PLATZ // PAU|SEN|RAUM // PAU|SEN|STAND // UN|TER|BRE|CHUNG // PAU|SEN| TEE // PAU|SEN|ZEI|CHEN // PAU|SIE| REN // PAUS|BA|CKE // NEU|BE| GINN // PAUS|BÄ|CKIG // VER|LANG| SA|MUNG // PAUS|PA|PIER // PAUS| ZEICH|NUNG // RU|HE|PAU|SE // SCHUL|PAU|SE // LÜ|CKE // SEN|DE| PAU|SE // STÖ|RUNG // SPIEL|PAU| SE // SPRECH|PAU|SE // STILL|PAU| SE // ZWI|SCHEN|RAUM // UN|TER| RICHTS|PAU|SE // VER|HAND|LUNGS| PAU|SE // VER|LE|GEN|HEITS|PAU| SE // ER|HO|LUNG // VES|PER|PAU |SE // ZI|GA|RET|TEN|PAU|SE // UN| TÄ|TIG|KEIT // ZWANGS|PAU|SE // ZWEI|UND|DREIS|SIGS|TEL|PAU|SE



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