Magazin für Christen im Gesundheitswesen 2/2015
Armut und Gesundheit
ChrisCare
ChrisCare
T TEN E P KOM END R E I R I INSP AH N S I X PRA
Armut und Gesundheit Gesundheit Armut und LEBENSERWARTUNG
TEUFELSKREISLAUF
NOTVERSORGUNG
ZUSATZBEITRÄGE
SCHAM VERSORGUNGSSYSTEM ZWEI-KLASSEN-GESELLSCHAFT L E B E N S U N T E R H A LT W Ü R D I G U N G BEHANDLUNGSKOSTEN AUSGRENZUNG AUSWEG
PFLEGE
Mai 2015 // (D) € 5,80 // (A) € 6,00 // (CH) SFr. 10.30 // www.chriscare.info // ISSN 1869-9944 // ZKZ 18 381
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INHALTSÜBERSICHT
SS. 4 SS. 6 SS. 8 SS. 9 SS. 10 SS. 14 SS. 16 SS. 18 SS. 21 SS. 22 SS. 24 SS. 28 SS. 30 SS. 33 SS. 34 SS. 38 SS. 40 SS. 40 SS. 42
Befreit zum Leben Lieber arm und gesund als reich und krank „Was willst du, dass ich dir tue?“ Mehr oder weniger? Empört Euch! Land ohne Eltern Zwei-Klassen-Medizin? „Danke, dass du mich mir gibst“. Zeichen setzen Blickpunkt Versichertenkarte? Fehlanzeige Suizidassistenz Wo treffen Sie Christen, die vom Fach sind? Hier rät Dr. Rottweil! Der Arzt vor dem Wunder Für Sie gelesen Termine Impressum Der Umgang mit bettelnden Menschen
Inhal t
Redaktionskreis: Sr. Patricia Baumann (Untermarchtal), Pflegeheimleiterin; Pastor Frank Fornaçon (Ahnatal), Redaktion ChrisCare; Bettina Gundlach
(Aumühle), Ärztin im Sozialpsychiatrischen Dienst, Vorstand Christen im Gesundheitswesen (CiG); Günther Gundlach (Aumühle), Geschäftsführer CiG; Prof. Dr. Annette Meussling-Sentpali (Pfaffenhofen), Dipl.-Pflegewirtin, MScN, OTH Regensburg; Dr. med. Georg Schiffner (Aumühle), Chefarzt Geriatriezentrum Wilhelmsburger Krankenhaus Groß-Sand, Hamburg, Vorsitzender CiG; Pastoralreferent Bruno Schrage (Köln), Dipl. Theologe, Dipl. Caritaswissenschaftler, Referent für Caritaspastoral im Erzbistum Köln; Kathrin Städler (Havelberg), Religionswissenschaftlerin und Krankenschwester; Hans-Arved Willberg (Karlsruhe), Theologe und Pastoraltherapeut; Dr. med. Monika Windsor (Zwochau), Anästhesistin, palliative care
Fachbeirat: Dr. theol. Peter Bartmann (Berlin), Gesundheitsökonom, Diakonie Bundesverband; Reinhild Bohlmann (Hofgeismar), Bund freiberuflicher Hebammen Deutschlands BfHD e.V.; Prof. Dr. med. Andreas Broocks (Schwerin), Ärztl. Direktor Carl-Friedrich-Flemming-Klinik, HELIOS-Kliniken; Ulrike Döring (Wiesbaden), Vorsitzende des Evangelischen Berufsverbandes Pflege; Paul Donders (Niederlande), Leitung xpand international; Prof. Dr. theol. Ralf Dziewas (Bernau), Theologisches Seminar (Fachhochschule) Elstal; Heribert Elfgen (Aachen), Physiotherapeut, Dipl. Musiktherapeut; Claudia Elwert (Karlsruhe), Physiotherapeutin, Mitarbeiterin Zentrum für Gesundheit-Therapie-Heilung; Sr. Hildegard Faupel (Springe), Theologin, Pädagogin; Dr. theol. Astrid Giebel (Berlin), Diakoniewissenschaftlerin, Krankenschwester, Diakonie Bundesverband; Dr. med. Martin Grabe (Oberursel), Chefarzt Psychosomatik Klinik Hohe Mark, Vorsitzender Akademie für Psychotherapie und Seelsorge e.V.; Dr. med. René Hefti (Langenthal), Chefarzt SGM Klinik Langenthal, Ltg. Forschungsinstitut Spiritualität & Gesundheit; Sr. M. Basina Kloos (Waldbreitbach), Franziskanerin, Generaloberin; Sr. Anna Luisa Kotz (Untermarchtal), Vorstand Genossenschaft der Barmherzigen Schwestern vom Hl. Vinzenz von Paul; Reinhard Köller (Aumühle), Arzt für Allgemeinmedizin, Naturheilverfahren; Pfarrer Ulrich Laepple (Berlin); Dipl.-Kfm. Cord Meyer (Lübeck), Hauptgeschäftsführer Albertinen-Diakoniewerk e.V.; Dr. med. Gabriele Müller (Frankfurt a. M.), Anästhesistin am Schmerz- und Palliativzentrum Rhein-Main; Rolf Nussbaumer (Herisau), Schule für christliche Gesundheits- und Lebensberatung; Weihbischof Thomas Maria Renz (Rottenburg), Diözese Rottenburg-Stuttgart; Dr. theol. HeinrichChristian Rust (Braunschweig), Pastor der Evangelisch Freikirchlichen Gemeinde Braunschweig, Friedenskirche; Dr. med. Claudia Schark (Blankenburg), Chefärztin Klinik für Geriatrie und Innere Medizin; Oberin Andrea Trenner (Berlin), Oberin Johanniter Schwesternschaft; Dr. phil. Michael Utsch (Berlin), Psychotherapeut, Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen
EDITORIAL
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Liebe Leserin, lieber Leser, wer arm ist, muss früher sterben. Diese Binsenweisheit gilt im internationalen Vergleich, aber auch in Mitteleuropa. Es besteht ein Zusammenhang: Wenn die Bevölkerung eines Landes arm ist, sterben mehr Säuglinge im Kleinkindalter und auch gut behandelbare Krankheiten der Erwachsenen führen zum Tod. In der Süddeutschen Zeitung hieß es schon vor zwei Jahren: „Männer mit einem hohen Einkommen werden im Schnitt 10,8 Jahre älter als solche, die in relativer Armut leben. Bei Frauen beträgt der Unterschied immerhin noch acht Jahre, wie der Direktor des Instituts für Medizinische Soziologie am Uniklinikum Hamburg in seinem Vortrag auf dem Deutschen Ärztetag in Hannover darlegte. Einen Umstand, den Ärztepräsident Ulrich Montgomery nicht weiter hinnehmen will: Es sei „eine ‚Schande, dass die Lebenserwartung in unserem reichen Land‘ von der sozialen Schicht abhänge.“ Mit dieser Schande dürfen sich gerade die Christen in Deutschland oder der Schweiz nicht abfinden. Es darf uns nicht kalt lassen, wenn Kinder ohne Frühstück zur Schule gehen. Dass hunderttausende Menschen in Deutschland ohne Krankenversicherung auskommen müssen, ist ebenfalls ganz und gar inakzeptabel. Und wenn Menschen mit geringen Einkommen eher krank werden, dann senkt das ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt, wo die Gesunden, die Leistungsfähigen und Fitten gefragt sind. Gegen den Teufelskreislauf von Armut und Krankheit leisten viele Christen Widerstand. Sie engagieren sich in ihrem Umfeld. Ärzte behandeln illegal hier lebende Flüchtlinge ohne auf die Kosten zu blicken. Senioren sorgen dafür, dass die Kinder ihrer Nachbarn nicht mit knurrendem Magen zur Schule gehen. Pflegende bringen auch gegenüber Patienten Respekt auf, die nach Armut riechen. Jesus sagt: „Arme habt ihr allezeit bei euch“. Damit leistet er keinem Fatalismus Vorschub. Er ist Realist und ermutigt darum seine Leute, der Armut entgegenzutreten und den Armen zur Seite zu stehen. Jeder kann etwas tun. Das beginnt damit, dem Armen die Würde zu geben, die ihm zusteht. Es geht um die Bekämpfung der Armut, nicht der Armen. Wir wünschen Ihnen, dass Sie von den ermutigenden Beispielen in dieser Ausgabe von ChrisCare angeregt werden, selbst ein Zeichen gegen die Armut zu setzen. Und wir würden uns freuen, wenn Sie in Leserbriefen darüber berichten, welche Erfahrungen Sie dabei machen. Ihre Bettina Gundlach, Ärztin im SozialpsyFrank Fornaçon,
chiatrischen Dienst,
Pastor, Verleger und
Vorstand Christen im
Chefredakteur von
Gesundheitswesen
ChrisCare
(CiG), Aumühle
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KUNST
Befreit zum Leben Wenn es nicht mehr weiter geht
Betonblöcke in der Vinzenzkirche in Untermarchtal Der Weg hinein in die Vinzenzkirche führt den Besucher
Es fällt zwar Licht von oben in den Raum, aber ein Ausweg
über eine Rampe hinauf in die Kirche. Bevor der Blick
ist nicht zu erkennen. Nichts geht mehr.
auf den Altar fällt, schreitet man entlang der geschwungenen Rückwand der Kirche hinauf. Die weiße Wand
Der Weg in die Kirche gleicht dem Weg des Lebens. Dem
wird unterbrochen durch massive Betonblöcke. Sie
Besucher werden eigene Erfahrungen in den Sinn kommen:
versperren den Weg, erinnern an die Trümmer eines
Welche Blockaden hemmen mein Leben? Was hat sich mir in
Felsmassivs oder an aufeinander getürmte Eisschollen.
den Weg gelegt? Gibt es eine Chance weiterzukommen?
KUNST
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Was hindert mich, glücklich zu sein?
Wer als Pilger oder Seminarteilnehmer nach Untermarchtal kommt, der wird die Vinzenzkirche nicht links
Wer die Trüm-
liegen lassen.
mer und damit die Schwere des
Auf einem Hügel liegt die 1972 eingeweihte moderne
Lebens pas-
Rundbaukirche. Sie wurde nach den Plänen von Archi-
siert, der blickt
tekt Professor Hermann Baur, Basel, einem Schüler von
hinunter auf
Le Corbusier, erbaut.
den Altar. Dieser steht nicht hoch
Der Diözesankonservator der Diözese Rottenburg-Stutt-
oben. Gott ist
gart, Wolfgang Urban, meint zu der modernen Kirche:
bei denen zu
„Sie ist geradezu ein Wunder architektonischer Klarheit
finden, die ganz
und schlichter Eleganz. Nichts ist dem Zufall überlas-
unten sind. Der
sen. In ihrer Gesamtheit wie auch in ihren Details ist sie
Gottesdienst
erfüllt von theologischem Gehalt. Hier wurde Architek-
konzentriert
tur zum Träger und Ausdruck von Spiritualität, finden
sich auf diesen
Gottesdienste und geistliches Leben architektonische
Mittelpunkt. Wer
Gestalt und führt die Erfahrung des Baukörpers wieder
zum Heiligen
hin zu spiritueller Wahrnehmung. Der Besucher wird in
will, muss
den Dialog von österlicher Botschaft und architektoni-
hinuntergehen,
scher Gestaltung mit einbezogen“.
vorbei an der Gestalt des
Vom Propheten Jesaja stammt das Wort: „Kommt, wir
Heiligen Vin-
ziehen hinauf zum Berg des Herrn“(Jes 2,3), das dem
zenz von Paul,
neuen Kirchenführer der Vinzenzkirche in Untermarchtal
dessen Schwes-
den Titel gegeben hat und zugleich Thema der moder-
tern im Kloster
nen Rundbaukirche ist.
Untermarchtal leben.
Wolfgang Urban spricht von „Theologie in Architekturgestalt“. Gekonnt, erfahren und profund hat er den
Wendet man
Zusammenhang von „Architektur und Spiritualität“
sich wieder dem
nicht nur zur Sprache, sondern vielmehr auch zu Herzen
Ausgang zu,
gebracht. n
dann trifft der Blick wieder auf die Trümmer in der Wand. Aber aus dieser Perspektive ändert sich alles. Zwischen den Betonblöcken öffnet sich ein Fenster hinaus ins Grüne. Es ist nicht alles versperrt. Da ist Hoffnung. Zum Leben befreit kann der Besucher wieder in den Alltag zurückkehren. n Frank Fornaçon
Edgar Briemle, Superio
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ERFAHRUNGEN
Lieber arm und gesund als reich und krank Erfahrungen einer Physiotherapeutin Ist das wirklich so oder erlebe ich eigentlich eher, dass arm sein krank machen kann oder dass arm sein deutliche Verzögerung im Gesundungsprozess oder sogar Verschlimmerung der bestehenden Beschwerden mit sich bringt?
Handlauf herabzusteigen, um die jetzt sehr wichtige
Nach einer Knie-Operation behandle ich Herrn Müller
Herr Schmidt bewohnt ein sehr altes kleines Haus. Das
im Hausbesuch. Unter anderem ist Gehen mit Stöcken
Badezimmer befindet sich im 1. OG und ist nur über
einzuüben. Doch die Wohnung ist viel zu klein und eng, so
eine schmale Treppe ohne Handlauf zu erreichen. Auf
dass eine solche Übungsbehandlung in guter Qualität fast
Nachfrage zeigt er mir, wie er auf allen Vieren treppauf
nicht möglich ist. Er wohnt in einer kleinen Wohnung im
und treppab dann rückwärts diese Hürde nimmt. Eine
8. Stock eines Hauses. Facharztbesuche sind für ihn dringend
massive Sturzgefahr! Die einzige Chance, die ich in der
notwendig, doch da der Aufzug in dieser sehr einfachen
Übungsbehandlung sehe, ist, auf kreative Weise das
Wohnanlage sehr häufig ausfällt, mussten besagte Termine
Beste daraus zu machen und mit ihm auf diese Weise
schon mehrfach abgesagt werden; neue Termine waren erst
Treppensteigen zu üben.
ambulante Fuß-Sprechstunde im Krankenhaus wahrzunehmen. Auf Nachfrage beim Hausarzt kann eine Verordnung für eine Abholung im Sitzen nicht mehr verordnet werden. Die Beschwerden steigern sich massiv.
mehrere Wochen später möglich, der Hausarzt übernimmt keine Hausbesuche mehr und verweist auf das Krankenhaus.
Wie viel unkomplizierter und selbstverständlicher für
Kritische Folgebeschwerden stellen sich ein und ich erlebe
Frau Lehmann, die im großzügigen eigenen Wohnraum
eine deutliche Verschlechterung der Symptomatik.
lebt, sich gerade informiert über den Einbau eines Treppenlifters und solange aber ein freies Zimmer im Erdge-
Bei Frau Meier, die nach dem Bruch des Mittelfußkno-
schoss nutzt und ebenerdig vor die Tür im Rollstuhl fährt,
chens und Operation an einer massiven Schwellung
um Untersuchungen und Therapien aufzusuchen.
am Fuß leidet, hat sich durch das erschwerte Laufen die vorher bestehende Kniegelenksarthrose verschlimmert
Herr Klaro begrüßt mich seit mehreren Monaten mit
und es ist ihr nicht möglich, ihre sehr enge Treppe ohne
lächelnden Augen, jedoch mit vor den Mund gehaltener
ERFAHRUNGEN
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Hand. Eine Schneidezahnprothese ist ausgefallen und es
besser situierten Menschen in gesundheitlich vergleich-
übersteigt seine Möglichkeiten, die nötige Zuzahlung für
barer Lage.
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eine Reparatur zu leisten. Er schämt sich, so unter Leute zu gehen und seine sowieso wenigen sozialen Kontakte sind für ihn im Moment fast nicht zu gestalten.
Was können wir denn tun – mit sowieso viel zu wenig Zeit? Einer sehr wenig deutsch sprechenden Dame mit
Teilweise sind Familien überfordert, wenn die Zahlung
nicht gesicherter Existenz konnte ich einen Tipp geben
der Pflegekasse nur einen Teil der nötigen Kosten des
bezüglich der Eingruppierung der Pflegestufe für ihre,
Pflegedienstes abdecken kann und die Eigenleistung
in hohem Aufwand hilfsbedürftige Mutter. Nun gibt es
nach Rechnungsstellung oft erschreckt. Auch Zuzahlun-
Erleichterung durch finanzielle Unterstützung.
gen in Apotheke oder die Rezeptgebühren bei uns sind für manche fast nicht zu packen.
Die Vermittlung zu einem mir bekannten ambulanten Hospizdienst bewirkte für den Ehemann seiner schon mehrere
Herr Franzen erhielt die Bewilligung einer stationären
Jahre pflegebedürftigen Frau, die auf dem letzten Weg-
Rehabilitation. Kurz vorher sandte man ihm Informatio-
stück angekommen war, enorme Ermutigung und Ent-
nen der Einrichtung mit einer Liste der mitzubringenden
lastung. Für ihn war durch aufmerksames Hinhören und
Dinge wie Sportschuhe für Innen- und Außenbereich,
Weitergabe einer Telefonnummer Hilfestellung möglich. n
Trainingsbekleidung, Bademantel, etc. Er war drauf und dran, diese für ihn sehr wichtige Maßnahme abzusagen, da er die Anschaffung all dieser Dinge, die er noch nicht besaß, finanziell nicht bewältigen kann. Claudia Elwert, Physiotherapeutin, Ja, ich finde tatsächlich, dass Armut krank machen kann.
Mitarbeiterin Zentrum für Gesundheit-
Wenn Krankheit in das Leben armer Menschen einbricht,
Therapie-Heilung (ZfG), Vorstand CiG,
sind die Folgen teilweise verheerender als bei finanziell
Karlsruhe
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ERFAHRUNGEN
„Was willst du, dass ich dir tue?“ Arm und krank und trotzdem ernst genommen Mir zerriss es fast das Herz, als ich bei einem Hausbesuch das Elend sah: Ein fünfzigjähriger magerer Mann mit einem riesigen ulzerierten Tumor am Hals. Er konnte nur durch ein schlecht gereinigtes Tracheostoma rasselnd atmen. Der Mund stand ihm wegen der geschwollenen Zunge offen. Die Wohnung war klein, aufgeräumt wie eine Müllhalde, mit undichten Fenstern und nur mit
Dr. Carsten Ottenthaler in seiner Praxis
einem alten Holzofen geheizt. Sofort hatte ich einen ganzen Hilfsplan im
zigen verwahrlosten Zimmer. Er war
hatte, über 40° Fieber, seine Beine
Kopf: die schöne warme Palliativ-
nur auf der Durchreise und trug alles,
waren heiß, geschwollen und gerö-
station in unserem Krankenhaus,
was er besaß, am Leib. Seine Hose
tet, er zitterte am ganzen Leib. Im
frische Kleidung, Wundmanage-
und lange Unterhose waren nass,
Krankenhaus konnte man ihn gerade
ment, liebe Hospizkräfte, optimierte
schmutzig, zerrissen und rochen nach
noch retten. Er hatte eine Sepsis. Ich
Schmerztherapie usw. Aber davon
Alkohol und Urin. Als ich ihm aus der
hatte die seit langer Zeit bestehende
wollte der Patient überhaupt nichts
Hose helfen wollte, protestierte er mit
Symbiose zwischen ihm und seinen
wissen. Mit viel Mühe (die Sprech-
rotweinschwerer Zunge: „Lass mich
Larven nicht erkannt. Aber vor allem
kanüle war gerade nicht zu finden)
in Ruhe, das ist bei mir immer so!“
habe ich ihn nicht ernst genommen,
erklärte er mir, dass er genau so
als er meine Behandlung überhaupt
leben wollte, wie er es tat. Er wollte
Aber ich setzte mich durch und legte
nicht wollte!
weiter rauchen und mit seinen
seine leicht geschwollenen, mit teils
Freunden, die genauso ungepflegt
zirkulären Ulcera übersäten Beine
Jesus fragte den Blinden, bevor er
wie er waren, aber sich fast rund um
frei. Die Wunden waren verblüffend
ihn heilte: „Was willst du, dass ich dir
die Uhr hingebungsvoll um ihn küm-
sauber mit kaum geröteter Umge-
tue?“ (Mt 20, 32-33, Mk 10,51, Lk 18,
merten, zusammensitzen und chillen.
bung, aber voller weißer Fliegen-
40-41) Offensichtlich war diese Frage
Sicher könne er im Krankenhaus
larven. Es wimmelte gerade so.
nicht so dumm, wie sie beim ersten
auch nicht immer wieder einen Joint
Geduldig begann ich die Ulcera mit
Hinhören klingt! Denn hätte auch
in sein Atemloch ziehen. So ließ ich
Octenisept zu reinigen und deckte
ich dem Mann im Obdachlosenasyl
ihm seinen Willen und behandelte
sie mit einem kleinen Vermögen
diese Frage gestellt, hätte ich ihm
ihn so gut wie möglich ambulant,
an silberhaltigen Schaumverbän-
viele Schmerzen erspart. n
ohne seine Privatsphäre zu stören.
den ab. Anschließend versorgte ich meinen Patienten noch mit einem
Vor einigen Jahren war ich nicht so
qualifizierten Kompressionsverband –
zurückhaltend: Die Leiterin unseres
Schlauchverband, Wattebinden, Kurz-
Obdachlosenasyls rief mich zu einem
zugbinden und nochmals Schlauch-
etwa 55 Jahre alten Mann wegen
verband. Ich war stolz auf mich!
„offener Beine“.Was ich damals zu
Dr. Carsten Ottenthaler, Arzt für Allge-
sehen bekam, war wirklich beeindru-
Am nächsten Tag hatte der arme
meinmedizin, Markt
ckend. Der Patient lag in einem win-
Mann, den ich so reich beglückt
Oberdorf
TITELTHEMA
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Mehr oder weniger? Gastkommentar
worden, spricht man in der Medizin von einem Patienten. Die Übergänge zwischen gesund und krank sind aber fließend. Ich kenne zwei Menschen, die beide an
Deutschland ist ein reiches Land. Trotzdem sind Deutsche nur im Mittelfeld beim Glücklichkeitsindex. Logisch erscheint, dass man in meinem Heimatland Rumänien noch unglücklicher ist. Ist doch der Standard in vielem schlechter als in Westeuropa. Doch warum fühlen sich Menschen mancher Entwicklungsländer glücklicher als die Deutschen?
Multipler Sklerose (MS) erkrankt, in etwa gleich alt sind und bei denen MS mit 30 Lebensjahren diagnostiziert wurde. Doch sie beide gehen gänzlich unterschiedlich mit „ihrer“ MS um, so dass die gemeinsame Diagnose einzig als Idee anmutet, ohne Bezug zu einer Realität. Auch die oft gehörte Aussage, dass bei jedem Menschen die MS anders verlaufe, reicht wenig als Erklärung aus. Die eine Person geht mit der Krankheit offensiv um, ja lässt noch
Armut, ein Faktor, der die Zufriedenheit relativiert?
nicht einmal das Wort Krankheit zu, bewältigt Marathon-
Arm ist in Deutschland derjenige, der weniger als 60 Pro-
läufe, um so viel wie möglich Muskelmasse aufzubauen
zent des mittleren Einkommens besitzt. Die Armutsgrenze
und zu erhalten. Ernährer einer Familie mit Vollzeitjob.
gibt an, um wie viel sich die untersten Einkommen von
Die andere Person fühlt sich krank. Nimmt vorsorglich
den anderen Einkommensgruppen unterscheiden. Der
Krücken mit und ab und zu auch einmal den Rollstuhl,
Indikator ist eine relative Zahl. Denn es ist völlig gleich-
wenn sie die Wohnung verlässt. Eigenständiges Arbei-
gültig, ob die 60% Schwelle bei tausend oder bei zehntau-
ten mutet sie sich schon seit Jahren nicht mehr zu, eine
send Euro liegt. Wenn also morgen alle Bundesbürger das
Familie gründen, geht wegen der MS nicht.
Doppelte verdienen würden, wäre die Anzahl der Armen im Lande immer noch gleich groß – obwohl jeder „Arme“
Gibt es was zu lernen?
über Nacht doppelt so viel Einkommen besitzen würde.
Der Vergleich mit anderen – die uns als reicher, gesünder,
Der Mensch ist ein Gesellschafts- und Beziehungswesen,
kraftvoller erscheinen – macht uns arm, ja manchmal
deshalb ist der Unterschied zu anderen Menschen für uns
sogar krank. Nicht wirtschaftlich arm, sondern in unseren
relevant. Für das Verlangen nach „mehr“ gibt es kaum
Herzen. Fehlt uns die Dankbarkeit? Oder schlimmer, die
Grenzen. Hat der Nachbar mehr als ich, beginne ich mich
Erkenntnis? Vielleicht hilft mir mein Referenzpunkt, eine
bereits ärmer zu fühlen, auch wenn ich wirtschaftlich sehr
Sozialisierung in einem viel ärmeren Land, die Dankbar-
gut abgesichert sein sollte. Und das Wort „Armut“ ruft
keit in den Herzen – oder viel mehr ihr Fehlen – wahrzu-
existentielle Ängste hervor – finanzielle Not, Obdachlosig-
nehmen. Deswegen schreibe ich diese Zeilen: als Erinne-
keit und Suppenküchen. Zwischen diesen beiden Polen –
rung. Konsum und konsumieren als nicht so wichtig zu
dem immer „mehr“ und der Angst vor bedrohlicher Armut
nehmen, dagegen öfters Innehalten und die Schöpfung
– bewegen sich die meisten unserer Gedanken, wenn wir
bewundern; am eigenen Charakter und an der inneren
das Wort „arm“ hören. In Deutschland muss kaum jemand
Stärke arbeiten; mehr Zuwendung und Achtsamkeit den
hungern, soziale Einrichtungen und gut ausgebaute
Mitmenschen gegenüber einüben.
öffentliche Infrastruktur, kostenlose Bibliotheken, eine Pflegeversicherung im Alter und gebührenfreie Beratungsstel-
Aber was nur tun mit unserer angeborenen Neigung
len, Schulen und Universitäten stehen den meisten von
zum Wettbewerb und zum `Verlangen nach Mehr`?
uns zur Verfügung. In Rumänien, immerhin ein EU-Land,
Na eben: Verlangen nach mehr Mitgefühl. Nach mehr
sieht Armut grotesk anders aus. Hunger gibt es gerade bei
Dankbarkeit im Herzen. Und was ist, wenn ich eben keine
älteren Menschen wirklich, die durch keine Sozialversiche-
Dankbarkeit empfinde? Die Antwort steht im Buch der
rung vor einem Unterschreiten eines Existenzminimums
Bücher: „Bittet, und es wird euch gegeben werden.“ Klare
geschützt sind. Wer arm ist, dem ist in Rumänien meistens
Worte... ohne Bedingungen... ein Geschenk! n
auch der Zugang zu Wissen und Weiterbildung und damit zum sozialen Aufstieg verschlossen. Adriana Hasenberg, Gerontopsychiat-
Umgang mit Krankheit wie mit Armut:
rische Pflegefachkraft, Spezialisierung
Krank steht etymologisch für „schwach, leidend, in Not
„Demenz". Geboren in Bukarest, Rumä-
sein.“ Hat ein Mensch das Gefühl krank zu sein, oder
nien, Wahlheimat Deutschland seit 25
ist bei jemandem eine Krankheit bereits diagnostiziert
Jahren, in Berlin lebend.
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TITELTHEMA
Empört Euch! „Armut ist die schlimmste Form von Gewalt.“ (Mahatma Gandhi) Armut nimmt in Deutschland zu. Ein Skandal! Obwohl es zahlreiche fundierte wissenschaftliche Expertisen und empirische Daten gibt, die eindeutig verursachende Faktoren von Armut darlegen, zeigt sich ein Großteil gesellschaftlicher Entscheidungsträger beratungsresistent. Von Armut und Ausgrenzung betroffen zu sein, bedeutet nicht lediglich einen Verzicht auf Konsumgüter, auf Annehmlichkeiten, auf gesellschaftliche Teilhabe, sondern ist häufig mit körperlichem und seelischem Leid, mit höheren Erkrankungsraten, bis hin zu einer signifikant geringeren Lebenserwartung verbunden.
schnittlichen monatlichen Haushalts-
Zusätzlich zum Kontext der Psycho-
einkommens besitzt (2014 entspricht
somatik treten psychiatrische Erkran-
dies einem Betrag von ca. 570 €).
kungen in den Vordergrund, insbesondere Depressionen bishin zum
Nach Berechnungen des 4. Armuts-
Suizid. Armut verursacht Stress und
und Reichtumsberichtes der Bundes-
die damit assoziierten Erkrankungen.
regierung (4. Armuts- und Reichtums-
Neben der Erkrankungsrate ist auch
bericht 2012, Daten für das Jahr 2010)
die Sterberate von Armut betroffener
sind 15,3% der Gesamtbevölkerung,
Menschen in unserer Gesellschaft
25,9% Menschen mit Migrationshin-
erhöht. So besteht ein Lebenserwar-
tergrund, 43,5% Alleinerziehende,
tungsunterschied von 11 Jahren bei
51,1% Arbeitslose und 14,7% der über
den Männern und von 8 Jahren bei
65-Jährigen von Einkommensarmut
den Frauen zwischen dem reichsten
betroffen. Nach dem Bericht des
und dem ärmsten Viertel der deut-
Deutschen Paritätischen Wohlfahrts-
schen Bevölkerung.
verbandes zur regionalen Armutsentwicklung in Deutschland 2014 (DPWG,
Was beeinflusst, bestimmt die
2015) liegt die Armutsquote bei
Gesundheit von Menschen, die von
15,5%. Damit sind ca. 12,5 Millionen
sozialer Benachteiligung betroffen
Menschen von Armut betroffen. Die
sind? Was sind Gesundheitsrisikofak-
Kinderarmut hat ein Rekordhoch von
toren? Natürlich ist von einem mul-
Es wird zwischen absoluter Armut,
19,2% erreicht. Schon Goethe stellte
tikausalen Geschehen auszugehen.
die physische Existenz bedrohend,
fest: „Arm im Beutel, krank am Her-
Individuelles Risikoverhalten (Ernäh-
und relativer Armut differenziert.
zen.“ Dass es einen Zusammenhang
rungsgewohnheiten, Zigarettenkon-
Definitionsversuche relativer Armut
zwischen sozialer Lage und Krankheit
sum, Alkoholkonsum, Bewegungs-
orientieren sich schwerpunktmäßig
gibt, haben zahlreiche sozial- und
mangel), Belastungen durch Arbeit
an der finanziellen Ausstattung. Es
naturwissenschaftliche Untersu-
oder auch Arbeitslosigkeit, einschnei-
wird daher von Einkommensarmut
chungen belegt. Konkrete Zusam-
dende Lebensereignisse (Trennung,
gesprochen. Folgende Definitionen
menhänge zwischen dem sozialen
Scheidung, Tod des Partners usw.),
werden diesbezüglich angewandt:
Status und Krankheit konnten für alle
Wohnort und damit einhergehenden
Erkrankungen aufgezeigt werden. Der
Umweltbelastungen (Lärm, Luftver-
1. Armutsgefährdet ist, wer 60%
Herzinfarkt ist keine Managerkrank-
schmutzung), Bildung, aber auch
oder weniger des durchschnittlichen
heit mehr, sondern kommt deutlich
gesellschaftsstrukturelle Faktoren
monatlichen Haushaltseinkommens
häufiger bei von Armut betroffe-
sind beeinflussende, bestimmende
„Arm im Beutel, krank am Herzen.“ eines Landes besitzt (Empfehlung
nen Menschen vor. Ebenso wie
Parameter. Die Lösung des Problems
der Europäischen Union); entspricht
insbesondere Krebserkrankungen,
wird in großen Teilen der Politik, aber
in Deutschland im Jahre 2014 ca.
Stoffwechselerkrankungen, Erkran-
auch generell in der Öffentlichkeit,
860 €, da das Durchschnittseinkom-
kungen der Verdauungsorgane und
teilweise auch in der Fachöffentlichkeit,
men bei ca.1430 € lag)
der Atmungsorgane. Bei von Armut
einseitig im Konzept einer Bildungs-
betroffenen Kindern treten gehäuft
förderung gesehen, d.h. auch, dass
2. Von strenger Armut ist betroffen,
Zahnerkrankungen und psychoso-
das Armutsphänomen individualisiert
wer 40% oder weniger des durch-
matische Beschwerdekomplexe auf.
wird. Es handelt sich demzufolge
TITELTHEMA
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Armut mitten in Europa
Was ist konkret zu tun?! Praktisch Handeln und strukturelle Verbesserungen fordern.
um einen Mangel, um Defizite des
heitsversorgungssystem. Hieraus
einzelnen Betroffenen, gesellschaftli-
folgt die Erkenntnis: Die derzeitige
che Korrelationsmechanismen werden
Gesundheitsversorgung von zahl-
negiert, oder es wird zumindest davon
reichen Bevölkerungsgruppen ist
abgelenkt. Der Gesundheitsrisikofak-
absolut unzureichend. Zahnbehand-
Diese wissenschaftlichen und
tor „Soziale Transferleistungen“ und
lungen, notwendige Brillenanschaf-
empirischen Erkenntnisse deuten auf
„Gesundheitsversorgungssystem“
fungen, Hörgerätezusatzmaterialien
einen dualen Handlungsbereich hin.
werden immer noch zu selten hin-
(Hörgerätebatterien), physikalische
Zum einen muss auf der praktischen
terfragt und kritisch reflektiert. Seit
Maßnahmen, um nur einige wenige
Ebene schnell, kompetent, betrof-
Die derzeitige Gesundheitsversorgung von zahlreichen Bevölkerungsgruppen ist absolut unzureichend. 1989 wurde und wird systematisch
zu benennen, sind für von Armut
fenenzentriert agiert werden. Die
die Errungenschaft des gesundheitli-
betroffene Menschen nicht finanzier-
klassische Komm-Struktur im ärzt-
chen Solidarprinzips ausgehöhlt und
bar! Das notwendige Geld kann von
lichen Bereich (Patient kommt zum
teilweise abgeschafft. Zuzahlungen
399 € Grundsicherung nicht angespart
Arzt) ist durch die Praktisierung einer
und Zusatzbeiträge, Eigenbeteili-
werden. Ca. 17 € Gesundheitsbudget
Geh-Struktur (der Arzt geht zum
gungen, komplizierte administrative
innerhalb des Regelsatzes sind für eine
Patienten) zu ergänzen. Ein niedrig-
Antragsverfahren behindern und
sinnvolle und notwendige Gesund-
schwelliges medizinisches Versor-
verhindern den Zugang zum Gesund-
heitsfürsorge zu wenig.
gungsangebot „vor Ort“, innerhalb
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TITELTHEMA
sozialer Brennpunkte, Wohnungslo-
rische Beratung in Anspruch zu neh-
zinischen Fachgruppen, im Sinne
seneinrichtungen, Drogenberatungs-
men. Diagnostiziert und behandelt
eines biopsychosozialen Behand-
stellen, Arbeitsämtern, Schulen,
wird auch ohne gültigen Krankenver-
lungskonzeptes, gibt. Innerhalb des
Kindergärten wurde partiell in den
sicherungsschutz. Zusätzlich werden
medizinischen Bereichs werden u.a.
vergangenen Jahren verschiedent-
mobile Sprechstunden (Arztmobil,
allgemeinärztliche, kinderärztliche,
lich praktisch umgesetzt und zeigte
fahrende Ambulanz), die eine medi-
dermatologische, chirurgische, gynä-
durchweg eine hohe Inanspruchnah-
zinische Erstversorgung von Woh-
kologische, zahnärztliche und psych-
mequote durch die Zielgruppe.
nungslosen direkt auf der „Straße“
iatrische Sprechstunden angeboten.
gewährleisten sollen, im Sinne einer
Darüber hinaus finden insbesondere
Zum anderen sind die gesellschafts-
aufsuchenden medizinischen Betreu-
krankenpflegerische, sozialarbeite-
strukturellen Umverteilungsmecha-
ung („medical-streetwork“), ange-
rische und psychologische Sprech-
nismen zu benennen, zu kritisieren
boten. In den letzten Jahren wurde
stunden statt. Die Besetzung der
und zu beheben. Dabei müssen
deutlich, dass der Anteil nichtver-
Sprechstunden wird einerseits durch
nachhaltig die Versorungsangebote
sicherter wohnungsloser und nicht
festangestellte Mitarbeiter gewähr-
verbessert werden, die sich in Geset-
wohnungsloser Patienten zunimmt.
leistet. Andererseits, und dies ist der
zestexten, Bestimmungen, Hand-
Z.B. Menschen ohne Papiere
größte personelle Anteil, werden die
lungsanweisungen etc. niederschla-
(„Papierlose“), illegalisierte Men-
Sprechstunden durch freiwillig Tätige,
gen. Die Verbesserungen müssen
schen oder sich legal in Deutschland
pensionierte, mit hoher Fachkompe-
nicht nur implementiert, sondern
befindende EU-Ausländer, besonders
tenz ausgestattete Ärzte, Psychologen
auch manifestiert werden. Eine men-
aus Osteuropa, die z.B. für eine Sai-
und Sozialarbeiter angeboten. Sämt-
schenrechtskonforme und würdevolle
sontätigkeit umworben wurden und
liche Gesundheitsversorgungs- und
gesundheitliche Versorgung wird zum
dann keine weitere Beschäftigung
Beratungsleistungen sind kostenfrei.
Beispiel in Mainz erprobt. Die dortig
erhielten, in Deutschland blieben
Gerade die Sozialarbeit leistet hier
Medizinische Ambulanz / Poliklinik
und häufig ebenfalls keine Kran-
einen wichtigen Integrations- und
ohne Grenzen sowie das Mainzer
kenversicherung besitzen. All diese
Inklusionsbeitrag.
Modell der Gesundheitsversorgung
Entwicklungen im Gesundheitssektor
der von Armut betroffenen Menschen
machen neue Versorgungsstrukturen
Es soll mit dieser „Poliklinik für
sind wegweisend.
für sozial benachteiligte Menschen
Arme“ keine Alternativversorgungs-
notwendig, die ein multidisziplinäres
struktur etabliert werden, sondern
Angebot beinhalten.
eine dringend notwendige komple-
Eine solche Versorgungsstruktur besitzt das „Mainzer Modell der
mentäre Versorgungseinrichtung für
medizinischen Versorgung woh-
Aufgrund dieser praktischen Erfah-
die Menschen geschaffen werden,
nungsloser Menschen“ (siehe
rungen eröffnete im Mai 2013 der
die immer häufiger durch die Aus-
www.armut-gesundheit.de). Das
Verein Armut und Gesundheit in
höhlung unseres Gesundheitsversor-
sogenannte „Mainzer Modell“
Deutschland eine Medizinische
gungsnetzes nicht mehr menschen-
versucht die zunehmenden Versor-
Ambulanz (Poliklinik) ohne Gren-
würdig, kompetent und umfassend
gungslücken in unserem Gesund-
zen (www.armut-gesundheit.de)
sozialmedizinisch betreut werden.
heitssystem durch ein entsprechend
für sozial benachteiligte Menschen.
Deshalb ist ein wichtiger Bestandteil
niedrigschwellig angelegtes und
Die Medizinische Ambulanz ohne
dieses Versorgungskonzeptes die
interdisziplinär ausgerichtetes
Grenzen beinhaltet ein sowohl
enge Kooperation und Vernetzung
medizinisches Versorgungsangebot
medizinisch interdisziplinäres als
mit niedergelassenen ärztlichen
zu schließen. So finden regelmäßige
auch multidisziplinäres Angebot. Dies
KollegInnen, den stationären Ein-
medizinische Sprechstunden in Ein-
bedeutet, dass es Sprechstunden
richtungen (Krankenhäuser, Instituts-
richtungen der Wohnungslosenhilfe
und Gesundheitsberatungsangebote
ambulanzen), Beratungsstellen und
statt. Dieses Konzept reduziert die
von verschiedenen medizinischen
Selbsthilfeeinrichtungen sowie dem
Hemmschwelle, eine ärztlich-pflege-
Fachdisziplinen und auch nicht medi-
Job-Center und dem Sozialamt.
TITELTHEMA
2/2015 CHRISCARE
13
Das Aufdecken, Entlarven und
wird. Fangen wir an, Widerstand zu
Diesen Begriff gibt es im Deutschen
Kennzeichnen von Benachteiligungs-
leisten gegenüber einer unsozialen,
nicht, wohl aber in anderen Spra-
und Ausgrenzungsstrukturen in
ungerechten Politik, uns konstruk-
chen. Für mich drückt dieser Begriff
diesem Kontext ist eine elemen-
tiv und konsequent zu empören, in
eine fundamentale menschliche
tare Aufgabe einer solidarischen
Solidarität mit und Beteiligung von
Beziehungs- und Kommunikati-
und partizipativen sozialen Arbeit,
betroffenen Menschen.
onsebene aus. Menschen in Würde
eines christlichen Agierens. Darüber hinaus ist Kreativität und Phantasie, im Hinblick auf eine emanzipatorische, wertschätzende Förderung und Unterstützung ausgegrenzter und armer, sozial benachteiligter Menschen gefragt. Hier müssen selbstkritisch Entmündigungsprozesse und -einstellungen hinterfragt und korrigiert werden. Wir müssen
Christlichen Begriff der Nächstenliebe als Handlungsmaxime und Orientierung heranziehen
zudem viel stärker über Reichtum in
Nach meinen zahlreichen medi-
zu begegnen und ihnen damit
dieser Gesellschaft diskutieren, auch
zinischen Hilfseinsätzen in den
ein Stück Würde, die bei armen
den Reichtum der Institution Kirche,
verschiedensten Regionen der Erde
Menschen oft verloren gegangen
denn es ist keine Frage der vorhan-
werde ich oft mit der Frage bzw.
ist, wieder zurückzugeben. Man
denen oder angeblich nicht vorhan-
Feststellung konfrontiert: „Jetzt hast
könnte natürlich auch den christli-
denen Ressourcen, sondern es ist
Du wirkliche Armut gesehen!?“ Ich
chen Begriff der Nächstenliebe als
und bleibt eine Frage der Verteilung.
halte nichts davon, Armut mit Armut
Handlungsmaxime und Orientie-
Stéphan Hessel, ein 93-jähriger
zu vergleichen. Aber dennoch habe
rung heranziehen. Ich frage mich
in Berlin geborener französischer
ich oft das Gefühl, dass die Men-
allerdings oft, wo diese fundamen-
Staatsbürger und Résistance-Mit-
schen in der sogenannten „Dritten
tale christliche Grundeinstellung
glied, der das Konzentrationslager
Welt“ physisch verhungern, weil
in unserer Gesellschaft wahrhaft
Buchenwald der Nazis überlebte und
sie nichts zu essen haben, während
gelebt wird. Darüber Reden und
Mitverfasser der Menschenrechts-
immer mehr Menschen bei uns psy-
Schreiben verändert wenig, Handeln
erklärung der Vereinten Nationen
chisch verhungern, weil sie schein-
ist angesagt. n
ist, hat im Jahre 2010 eine bemer-
bar für unsere Leistungsgesellschaft
kenswerte Streitschrift verfasst, mit
nicht mehr als wertvoll angesehen
dem Titel: „Empört Euch!“. In dieser
werden. Eine Tendenz, Armut gegen
Streitschrift kritisiert Hessel den
Armut in Deutschland auszuspielen
Umgang mit armen Menschen in
(z.B. bei der Verteilung von Geldern
Prof. Dr. med., Dipl.-
der Mitte Europas. Dies tut er, indem
zur Unterstützung von Einrichtun-
Sozialpädagoge
er die gezielte Unterdrückung, den
gen der Wohnungslosenhilfe und
Gerhard Trabert, Lei-
Verlust an Menschenrechten bean-
der von Asylbewerbern) darf nicht
ter der Arbeitsgruppe
standet und die Macht des Finanz-
geschehen. Dies ist unbegründet
Armut und Gesund-
kapitalismus anprangert. Er schließt
und kann fatale gesellschaftliche
mit den Worten: „Neues schaffen
Folgen haben.
heißt Widerstand leisten. Widerstand
heit der Nationalen Armutskonferenz (NAK), Stellvertretender Sprecher der NAK Deutsch-
leisten heißt Neues schaffen.“ Wir
Der dänische Therapeut Jesper Juul
land, Sprecher der Landesarmutskon-
sollten uns alle empören, wie mit
hat einen interessanten Begriff in
ferenz Rheinland-Pfalz, 1. Vorsitzender
sozial benachteiligten Menschen in
die deutsche Sprache „eingeführt“,
des Vereins Armut und Gesundheit.
unserer Gesellschaft umgegangen
den Begriff der Gleichwürdigkeit.
E-Mail: gerhard.trabert@hs-rm.de
14
TITELTHEMA
Land ohne Eltern Wanderarbeiter aus Moldavien Andrea Diefenbach hat 2006 ihr Fotografie-Studium an der Fachhochschule Bielefeld mit der Serie AIDS IN ODESSA beendet. Die Arbeit wurde bei der Plat(t)form 2007 des Fotomuseums Winterthur ausgewählt und ehrenvoll erwähnt, erhielt den Dokumentarfotografie Förderpreis 2007/2008 der Wüstenrot Stiftung und wurde im Sommer 2008 als Buch im Hatje Cantz Verlag veröffentlicht. Es folgten Einzel- und Gruppenausstellungen, u.a. in Hamburg, Mannheim und New York. Sie arbeitet für deutsche
und internationale Magazine, mit Unterstützung diverser Stipendien an eigenen Projekten, sowie 2009 und 2010 als „Artist in Residence“ auf Einladung des Goethe-Instituts in Sarajevo.
„In Deutschland sind rund 150.000 ausländische Frauen
in der Erzdiözese Köln in einem Rückblick auf das Projekt
in Privathaushalten älterer, pflegebedürftiger Menschen
„Die Zukunft der Pflege ist bunt“. Dessen Ziel war es, pre-
beschäftigt – die wenigsten von ihnen in regulären
kär in der häuslichen Betreuung Beschäftigten – in aller
Ihr zweites Buch LAND OHNE ELTERN ist im November 2012 im Kehrer Verlag Heidelberg erschienen. Dafür erhielt sie ehrenvolle Erwähnungen beim UNICEF Fotowettbewerb 2012 und dem Kindernothilfe Medienpreis 2013, den zweiten Preis beim Photographic Museum of Humanity Grant 2014, sowie den n-ost-Reportagepreis 2012 und den Abisag-Tüllmann-Preis 2013.
Arbeitsverhält-
Regel Frauen – in Krisensituationen Zugang zu Beratung
nissen. Offiziell
und Unterstützung zu ermöglichen.
„Haushaltshilfen“, leisten sie
Im Herbst 2014 trafen sich 70 T eilnehmer aus verschiede-
in Wirklichkeit oft
nen Berufsgruppen im Kölner Maternushaus zur Fachta-
viel mehr: Neben
gung: „EU-Mobilität und prekäre Beschäftigung in den
dem Putzen,
Grauzonen der häuslichen Betreuung“. Die Teilnehmer
Kochen, Einkau-
fragten sich zum Beispiel: „Wie sieht prekäre Beschäftigung
fen und Bügeln
aus der Perspektive der Betroffenen aus? Welche Hilfen
wird von ihnen
und Unterstützungen brauchen sie? Welche Folgen haben
meist auch die
diese Beschäftigungsformen sozialpolitisch und gesell-
körperpflegende
schaftlich?“
bis hin zur fach-
Olga beim Geschirrspülen
pflegerischen
In einem der Hauptreferate zitierte der Münsteraner
Versorgung der
Wissenschaftler Prof. Dr. Dietrich Thränhardt den Frei-
schwer Pflegebe-
burger Erzbischof Zollitsch: „Im Souterrain des deut-
dürftigen erwar-
schen Arbeitsmarktes haben sich unhaltbare Zustände
tet. Daraus kann
ausgebreitet“. Und Dr. Helmut Loggen, stellvertretender
komplette Über-
Diözesan-Caritasdirektor (Köln), forderte: „Wir müssen
forderung resul-
lernen, unsere westeuropäischen Wünsche nach stets
tieren: Mangelnde Deutschkenntnisse, die Erwartung, für
verfügbaren, preisgünstigen Produkten und Dienstleis-
die Pflegebedürftigen rund um die Uhr zur Verfügung zu
tungen nicht auf Kosten von Menschen aus anderen
stehen, die Trennung von ihren Familien – all das lässt
Ländern zu befriedigen.“
diese Frauen in soziale Isolation und oftmals emotional schwierige Situationen geraten. Sie werden regelgerecht
Begleitet wurde die Tagung durch die Ausstellung der
ausgebeutet.“ So beschreibt es die Homepage der Caritas
Fotografin Andrea Diefenbach (Jahrgang 1974). Sie hatte in
TITELTHEMA
2/2015 CHRISCARE
15
Ausstellung im Diözesan-Caritasverband für das Erzbistum Köln e. V. im Rahmen des Projektes „Die Zukunft der Pflege ist bunt“ im September 2014.
den Jahren 2008 bis 2012 zehn mehrwöchige Reisen nach
sie, denn sie hat ein krankes Herz. Meine Oma hat fünf
Moldavien und Italien unternommen. Dabei dokumentierte
Kinder großgezogen. Mama war eins davon. Mama wohnt
sie das Schicksal von Kindern, deren Mütter in Italien arbei-
jetzt nicht bei uns, weil sie in Italien arbeitet. Wenn sie zu
teten, um den Lebensunterhalt der Familie zu sichern. Die
Besuch kommt, sagt sie, dass Italien ein sehr schönes,
mehrfach ausgezeichnete Fotografin schreibt:
sonniges Land ist. Aber für mich ist es ein fremdes, fernes Land und überhaupt nicht sonnig, denn es hat mir Mama
„Als ich im April 2008 in der ersten Klasse der Schule
weggenommen. Ich warte jeden Tag auf sie.“
eines kleinen Dorfs im Südosten der Republik Moldau stand, wo die Lehrerin fragte: ‚Wessen Eltern leben
Am Ende der Tagung wünschte Loggen sich mehr
in Italien?‘ und etwa zwei Drittel der Kinder mit einer
Nachdenklichkeit zum Thema, auch wenn es bisher keine
Mischung aus Stolz und Verlegenheit aufzeigten, war ich
zufriedenstellende Antwort der Kirchen auf die Armuts-
erschrocken. Es ist etwas völlig anderes, all die Statisti-
migration gebe. n
ken über Arbeitsmigranten und Rücküberweisungen zu lesen, als in einem kalten Klassenraum vor 30 Sechs-
Frank Fornaçon
jährigen mit Wollmützen zu stehen und zu wissen, diese Kinder haben ihre Eltern oft seit Jahren nicht gesehen ...“ Die Bilder dokumentierten eindrucksvoll, wie verlassen die Kinder sind, welche Schmerzen die Mütter spüren und wie hoffnungslos verfahren die Lage ist, in die Armut die Familien in Ost- und Südosteuropa bringt. Helmut Loggen zitierte in seinem Vortrag Walik, einen elfjährigen Jungen aus einem Dorf in der Ukraine. Im Buch „Skype Mama“ erzählt er seine Geschichte: „Ich wohne bei meiner Oma, die ich sehr gerne habe. Sie ist für mich Mama und Papa und bester Freund in einem. Wenn ich mein tägliches Gebet spreche, dann bitte ich den Allmächtigen um wenigstens ein bisschen Gesundheit für
Mehr: Andrea Diefenbach, Land ohne Eltern, Kehrer Verlag, 2012, 124 Seiten, 73 Farbabbildungen, Texte von Nicola Abé, Dumitru Crudu, Grigore Vieru ISBN: 978-3-86828-337-2 SKYPE MAMA, Herausgegeben von Kati Brunner, Marjana Sawka und Sofia Onufriv, edition.fotoTAPETA, 152 Seiten, ISBN 978-3-940524-23-2, Preis: € (D) 12,80, SFr. 15.40 Zur Fotografin: www.andreadiefenbach.com Zur Tagung: http://caritas.erzbistum-koeln.de/dicv-koeln/ hilfe_beratung/arbeitsmarktpolitik/projekte/die_zukunft_der_ pflege_ist_bunt/dokumentation_der_fachtagungen
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TITELTHEMA
Zwei-Klassen-Medizin? Eine der größten Krankheitsursachen: Armut Das deutsche Gesundheitswesen ist eines der besten der Welt. Doch Ärzte, Kliniken und Medikamente reichen nicht, um einer der größten Krankheitsursachen wirksam zu begegnen – der Armut.
Die Nationale Armutskonferenz (nak) beschäftigt dieses Thema sehr. Schon vor über zehn Jahren hat die nak auf einer Fachtagung diesen Trend bestätigt und ausgeführt: „Bei Erwachsenen führt Krankheit im verstärkten Maße zu Armut, bei Kindern führt die Armut im späteren Leben
Stellen Sie sich vor, Sie wachen morgens auf, ohne von
gehäuft zu Krankheit.“1
einem Wecker oder einem anderen Menschen geweckt worden zu sein. Sie stehen auf, gehen ins Bad, waschen
Wo liegen die Ursachen? Die Lebenslagen armer Men-
sich komplett mit kaltem Wasser, denn der Warmwasser-
schen sind objektiv ungünstiger, ihre Wohnungen
boiler ist schon seit Wochen defekt. Sie brauchen keine
schlechter, ihre Arbeitsplätze gesundheitlich belastender
großen Gedanken daran zu verschwenden, was Sie heute
und ihre Freizeit- und Erholungschancen eingeschränkt.
anziehen, denn Sie haben praktisch keine Wahl. Den
Wer wenig verdient, ist außerdem durch Zuzahlungen
Gang in die Küche können Sie sich auch sparen, denn
oder hohe Mobilitätskosten zum nächsten Arzt, Kran-
gestern war der Kühlschrank schon leer. Sie verlassen die
kenhaus oder für Hilfsmittel benachteiligt. Diese werden
Wohnung, ohne ein weiteres Familienmitglied zu Gesicht
längst nicht alle von der Krankenkasse übernommen.
bekommen zu haben. Stellen Sie sich vor, Sie sind auf
Hinzu kommt, dass Menschen – und gerade solche in
dem Weg in die Schule, denn Sie sind sieben Jahre alt.
prekären Lebenssituationen – nicht über die notwendigen Informationen verfügen, welche Gesundheitsleistun-
Es ist offensichtlich, dass ein Kind unter solchen
gen ihnen zustehen.
Bedingungen kaum gesund aufwachsen kann. Es wird kaum jemanden haben, der ihm kundige Gesundheits-
Menschen mit geringem Einkommen gehen zudem sel-
hinweise gibt oder zeigt, welche Leistungen unser
tener zum Arzt, sie nehmen Impfungen und kostenlose
Gesundheitssystem zu bieten hat. Die Gefahr ist groß,
Vorsorgeuntersuchungen seltener wahr, ernähren sich
dass auch der Bildungserfolg leidet. Am Ende der Kind-
schlechter, bewegen sich weniger und rauchen häufiger.
Arme und ausgegrenzte Menschen bleiben außen vor.
Das Thema Armut greift auch stark in den Bereich der Pflege. Deutschland steuert mit Vollgas in eine Zwei-Klassen-Gesellschaft hinein, weil sich immer mehr Menschen in Armut eine fachkundige Pflege überhaupt nicht leisten können. Auch im Bereich der privaten Pflege sehen
heit ist die Frage, ob da ein junger Mensch mit oder
sich viele Menschen durch ihre finanziellen Möglichkeiten
ohne Schulabschluss, mit oder ohne Impfschutz, Karies
abgehängt und allein gelassen. Armut macht einsam.
und Adipositas steht, in Teilen schon vorentschieden. Den Zusammenhang zwischen Armut und Krankheit
Daraus zu schließen, dass die Betroffenen ihre Situation
machen sich die Wenigsten bewusst. Oder hätten Sie
selbst verantworten und es deshalb keine Notwendig-
gewusst, dass langzeitarbeitslose Menschen statistisch
keit zur Veränderungen im Gesundheitssystem gibt,
20 Mal häufiger Suizid begehen als Erwerbstätige?
wäre zynisch. In der Allgemeinen Erklärung der Men-
Dass Kinder und Jugendliche, die in Armut aufwach-
schenrechte (1948) Artikel 25.1 heißt es: „Jeder hat das
sen, häufiger unter Infektionskrankheiten, Asthma,
Recht auf einen Lebensstandard, der seine und seiner
Zahnkrankheiten, Kopfschmerzen oder Rückenschmer-
Familie Gesundheit und Wohl einschließlich Nahrung,
zen leiden und häufiger in Unfälle verwickelt sind?
Kleidung, Wohnung, ärztliche Versorgung und notwen-
Dass bei den Eingangsuntersuchungen für die Schule
dige soziale Leistungen gewährleistet sowie das Recht
der finanzielle Status am Zustand der Zähne abgelesen
auf Sicherheit im Falle von Arbeitslosigkeit, Krankheit,
werden kann?
Invalidität oder Verwitwung, im Alter sowie bei ander-
TITELTHEMA
2/2015 CHRISCARE
17
weitigem Verlust seiner Unterhaltsmittel durch unver-
sind zurzeit absolut notwendig. Aber solche oft eher
schuldete Umstände.“
regional zufällig vorhandenen Hilfsangebote von Stiftungen wie auch die vielen engagierten Ehrenamtlichen im
Tatsache ist: Unser hochkomplexes Gesundheitssystem
Rahmen einer Armutsfürsorge reichen nicht aus.
lässt viele arme und ausgegrenzte Menschen außen zurecht. Ärztliche Hinweise auf eine gesunde Ernährung,
Die Nationale Armutskonferenz benennt die notwendenden Veränderungen:
sportliche Aktivitäten oder bessere Zahnpflege gehen an
• Freie Fahrt zum Arzt! Insbesondere Kinder und ältere
ihnen vorbei oder aber sie können sie mangels Einkom-
Menschen sowie ihre Angehörigen müssen kostenlos mit
men schlicht nicht berücksichtigen.
öffentlichen Verkehrsmitteln zu ihrem Arzt fahren können.
vor, denn sie finden sich in ihm nicht oder nur schlecht
• Allgemein verständliche und zugängliche InformatiDarauf, dass Armut krank machen kann, hat der Deut-
onen zu Gesundheitsleistungen, insbesondere größere
sche Caritasverband 2012 in einer bundesweiten Kam-
Transparenz bei den Erstattungsmöglichkeiten gegenüber der Krankenkasse. • Härtefallregelungen für Menschen in besonderen Lebenslagen müssen erweitert werden, unter anderem bei Zahnbehandlung, Sehund Hörhilfen. •
Wiederaufnahme der Tätig-
keit der Arbeitsgruppe Armut und Gesundheit beim Bundesgesundheitsministerium.2 Gesundheit ist ein hohes Gut, das Durch Armut bereits jetzt ausgegrenzt
wir mit allen Kräften und Mitteln erhalten müssen. Einkommens-
pagne hingewiesen. Die damalige Forderung nach der
armut und der systemimmanente Ausschluss ganzer
Abschaffung der Praxisgebühr ist inzwischen umgesetzt.
Personengruppen (etwa Wohnungslose, Nichtversicherte,
Ein Appell aber, die Zugänge zum Gesundheitssystem
Illegale, Flüchtlinge) verhindern aber, dass alle Menschen
für alle zu verbessern und niedrigschwelliger zu gestal-
angemessenen Zugang zu einer angemessenen Versor-
ten, verhallte bislang. Weitere wichtige Forderungen,
gung haben. Für dieses Menschenrecht erheben wir die
etwa nach einer besseren Gesundheitsversorgung von
Stimme. n
Flüchtlingen, blieben im Gerangel um Verantwortung und Finanzierung stecken. Auch die Landesgesundheitskonferenz NRW hat
Quellen
unlängst noch einmal die Zusammenhänge von Armut
1
und Gesundheit und die Lücken im Gesundheitssystem insbesondere für Wohnungslose, Flüchtlinge, Illegale und
Sozialpolitische Bilanz der Nationalen Armutskonferenz 2004, S.5 2 Schattenbericht der nak, S. 15, Oktober 2012
Menschen ohne Krankenversicherung aufgezeigt. Für diese Menschen gilt immer häufiger eine Notversorgung, die meist von engagierten Menschen aus dem Gesund-
Dr. med. Frank Johannes Hensel,
heitswesen ehrenamtlich geleistet und verantwortet
Sprecher der Nationalen Armutskonfe-
wird. Die Notversorgung stellt sich zwar der Notlage der
renz, gebürtig aus Wuppertal, verhei-
Menschen und hilft natürlich, kann aber die Ursachen
ratet, Vater von vier Kindern, Facharzt
nicht bekämpfen. Das gilt auch für die vielen Stiftungen,
für Innere Medizin, Gesundheitswissen-
die im Einzelfall für Brillen, Hörgeräte, Spezialfahrräder
schaftler, seit 2005 Direktor des Diöze-
oder medizinische Versorgung aufkommen. Diese Hilfen
san-Caritasverbandes für das Erzbistum Köln.
18
TITELTHEMA
„Danke, dass du mich mir gibst“. Christliche Spiritualität: für ein Geben und Empfangen auf Augenhöhe „Es gibt kein schöneres Vergnügen, als einen Menschen
liert die Schuld und den Nutzen auf Seiten des Spenders:
dadurch zu überraschen, dass man ihm mehr gibt, als er
Du gibst mir einen Geldschein, und ich ermögliche dir
erwartet.“ Dieser Aphorismus von Charles Baudelaire ist
dadurch, dass du dich von deinem schlechten Gewissen
einem kritischen Zusammenhang entwendet. Ein wohl-
freikaufst. Also sind wir quitt.
habender Mann gibt einem Bettler eine Goldmünze (dass diese auch noch Falschgeld ist, soll uns hier nicht weiter
Allerdings werden bei einem solchen „Deal“ beide zu
interessieren), und kommentierend sagt er zu seinem
Verlierern. Was auf der Strecke bleibt, ist der Fluss der
Begleiter ebendiese Worte. Dieser, der Ich-Erzähler von
Anerkennung. Dafür wäre es zum Beispiel notwendig,
Baudelaires kleiner Geschichte, bemerkt dazu: „Ich blickte
dass Gebender und Empfangender einander in die
ihm tief in die Augen und sah mit Entsetzen, dass seine
Augen schauen. Genau dies wird aber meist vereitelt
Augen von unbestreitbarer Treuherzigkeit leuchteten. Da
durch eine Scham auf beiden Seiten; auch der Gebende
erkannte ich denn, dass er zugleich ein Almosen geben
schämt sich, wenn er spürt, dass er durch sein Almosen
und ein gutes Geschäft machen wollte; zwanzig Groschen und Gottes Herz dazu gewinnen, das Paradies erknausern und zuletzt noch kostenlos als ein Wohltäter dastehen wollte. ... seine törichte Berechnung werde ich ihm nie verzeihen.“
Ökonomisierung der Gabe-Verhältnisse Nicht nur unser Umgang mit sogenannten „Armen“ ist durch Geben und Nehmen bestimmt; Gleiches gilt
Scham verhindert gegenseitige Anerkennung
für alle sozialen Verhältnisse. Bereits archaische Völker sicherten durch zeremoniell regulierte Praktiken von
den Empfänger beschämt, indem er ihn gerade durch
Schenken, Gegengabe und Weitergabe ihre sozialen
seine milde Gabe auf die unterlegene Position eines
Beziehungen. Durch das gegenseitige Schenken auch
Almosenempfängers fixiert. Und wo der Blick in die
von wenig nützlichen Dingen werden Bande der Aner-
Augen des Anderen dennoch mühelos erfolgt (Mitleid hei-
kennung und Wertschätzung geknüpft. Das ist auch heute
schend oder neugierig), hat es unter Umständen nicht mit
noch so; aber charakteristisch für unsere gegenwärtige
Freiheit von Scham zu tun, sondern mit Schamlosigkeit: in
Welt ist eine weitgehende Ökonomisierung unserer
der Weigerung, den anderen als Person anzuerkennen.
Gabe-Verhältnisse. Für immer mehr Bereiche gilt: Alles hat seinen Preis, und wer den bezahlt hat, braucht nicht
Beglückender Austausch
mehr danke sagen oder sich auf andere Weise erkennt-
Doch jenseits von Scham und Schamlosigkeit gibt es auch
lich zeigen. Lieber bezahlt man für den Bau seines Hau-
das ganz andere: etwa den beinah freundschaftlichen
ses, unter Umständen mit jahrzehntelangen Krediten, als
Austausch von Kunden mit einem ausländischen Verkäufer
dass man sich – wie früher in Dörfern – durch Nachbar-
einer Obdachlosenzeitschrift vor dem Supermarkt. Solcher
schaftshilfe zu Dankesschuld und lebenslangen Gegen-
Austausch auf Augenhöhe ist offensichtlich beglückend für
diensten verschuldet. „Arme“ – Mittellose, Obdachlose,
beide. Auf einmal stehen beide als dankbare Empfänger da.
Migranten – haben hingegen nicht die Mittel, sich
„Danke, dass du mich anschaust, erkennst und anerkennst“
freizukaufen, und so stehen sie in Gefahr, ihre eigene
könnte einer zum anderen sagen. Und dabei weiß jeder,
Würde durch fortgesetzte Dankesschuld zu verlieren.
dass nicht er der Verursacher dieser geglückten Begegnung
Es ist entwürdigend, ständig Gaben zu erhalten, ohne
ist. So könnten beide miteinander sagen: „Danke, dass wir
selber geben zu können. Es sei denn, ein Bettler kalku-
einander anerkennen und wertschätzen können“.
TITELTHEMA
2/2015 CHRISCARE
19
Letzter Ausweg: Betteln an der Kirchentür Als Christen können wir diesen Dank an Gott richten. Von
ihn hinterrücks verschuldet, in der Erwartung gesteiger-
Grund auf können wir uns als Geschöpfe begreifen, die
ter Gegengaben oder indem ich ihn in seiner Rolle als
vom göttlichen Schöpfer umfassend beschenkt sind:
Almosenempfänger festschreibe.
• Danke, dass du mir verschiedene Dinge gibst – zum
Wir empfangen uns selbst
Beispiel die „Früchte der Erde und der menschlichen
Wir empfangen also nicht nur Gaben von Gott, sondern
Arbeit“, in der Gabenbereitung der Eucharistie;
uns selbst mit der Fähigkeit, Gaben in Freiheit anzunehmen
• Danke, dass du (auch vermittels dieser Dinge) dich
und unsererseits selber frei und liebend zu geben. Nicht nur
mir gibst, – zutiefst in den Abendmahlsworten Jesu:
weil wir alles, was wir geben könnten, von Gott empfangen
„Nehmt und esst, das ist mein Leib, der für euch hinge-
haben, sondern weil wir unser ureigenstes Gebenkönnen
geben wird“;
Ihm verdanken, kann König David betend bekennen:
• Danke, dass du – als mein Schöpfer – mich mir selber gibst.
„Wer bin ich, und was ist mein Volk, dass wir imstande waren, auf solche Weise freigebig zu sein? Denn von Dir
Zum letzten Punkt: Nicht nur am zeitlichen Anfang mei-
kommt alles, und aus Deiner Hand haben wir Dir gege-
ner Existenz, sondern in jedem Augenblick meines Seins
ben“ (1 Chr 29,14).
empfange ich mich von Gott. Dieser Strom eines fortlaufenden Sichverdankens bricht die geschlossenen Sys-
Indem ich Gott solcherart danke, nehme ich die von Ihm
teme von ökonomischen Gabe-Kreisläufen zwischen den
geschenkte Ermächtigung, auf eine heilvolle Weise zu
Menschen auf. Ich kann frei und rückhaltlos geben – auch
geben, an, – auch in meinem Geben gegenüber Mit-
dort, wo ich keinen Dank zu erwarten habe –, weil ich
menschen. Gott gibt mir, dass ich meinem Mitmenschen
mich schon vorweg beschenkt, wertgeschätzt und geliebt
nicht nur etwas gebe, sondern darin zugleich mich selber,
weiß. So wird reines Geben möglich, welches nicht den
etwas von mir selber, – im Vollzug von Wertschätzung,
Empfänger für dessen frühere Gaben bezahlen will oder
Anerkennung, Liebe. Und mehr noch: Gott gibt mir, dass
20
TITELTHEMA
ich dem Anderen ihn sich selber geben kann. Gemeint ist
und Nehmenkönnens. Und diese Erlösung verwirklicht
damit ein freisetzendes und freilassendes Geben. Wenn
sich in einer tiefen Dankbarkeit gegenüber Gott, dem
es darum geht, in meinem Geben Liebe fließen zu lassen,
All-Gebenden – einer Dankbarkeit, die wir nicht leisten,
so braucht es dafür zweierlei: Nähe und Abstand. Eine
sondern selber nur als Gnadengabe erfahren können.
Selbstgabe, die nicht zugleich den Anderen darin unterstützt, dass er im Unterschied zu mir er selber sein kann,
Eine Gabe als Gabe annehmen können
wird vereinnahmend und im Extremfall missbrauchend.
Diese Überlegungen sind nicht nur die Frucht von Nachdenken und Studium in meiner universitären Tätigkeit,
Gott als Urheber anerkennen
sondern verdanken sich einer mittlerweile jahrelangen
Aber kann ein Mensch wirklich so schenken, dass sich
Praxis in einem kleinen Gebetshaus, in dem wir täg-
das mit den Worten ausdrücken lässt: „Ich gebe dich dir“?
lich auch „Armen“ und Belasteten begegnen.In diesen
Ist dies nicht die subtilste Bemächtigung und Manipula-
Begegnungen, in denen ich gewiss auch viel gegeben
tion, wenn ich mich anschicke, für den Anderen ermögli-
habe, erfuhr ich mich durchwegs selber als Beschenkter.
chender Grund für dessen Freiheit zu sein? Nicht, wenn
Ob reich oder arm, gesund oder krank... miteinander
ich Gott als den eigentlichen Urheber dieses Selbersein-
sitzen wir Jesus zu Füßen. Vor Gott sind wir alle Emp-
könnens anerkenne und mich in den Dienst stelle, so zu
fänger, aber nicht in einer verschuldenden, sondern in
geben, dass das gottgewirkte Freilassen des Anderen von
einer freisetzenden Weise, die jeden von uns gleicher-
mir unterstützt wird. Es handelt sich hier um das Gegen-
maßen zum potentiellen Geber macht – unabhängig von
teil eines bemächtigenden Gebens, welches den Ande-
Besitz, Begabung und sozialem Status. Diese Gleichran-
ren abhängig macht. Ein solches freilassendes Geben
gigkeit ist zunächst eine atmosphärische Erfahrung: vor
beginnt bereits, wenn man den Dank für eine Gefälligkeit
allem in den Eucharistiefeiern und den anschließenden
mit den Worten „keine Ursache“ beantwortet. Und es
Mahlzeiten. Dadurch werden Bedürftige dazu frei, wirk-
kann noch viel tiefer reichen.
lich empfangen zu können, – weil keine Scham sie daran
Andere wollen nur empfangen, in grenzenloser Gier
hindert. Und wer wirklich empfängt, das heißt eine Gabe auch als Gabe annehmen kann, bringt damit erst das Geben an sein Ziel und bereichert so den Geber, der seinerseits
Zementierte Heillosigkeit
dafür danken kann. Diese Atmosphäre einer alle ver-
Eine christliche Spiritualität des Gebens kann das ganze
bindenden Dankbarkeit – „Danke, dass wir einander so
Leben durchformen, denn unser ganzes Sein in all seinen
annehmen können“ – ermöglicht Ganzwerden, Heilwer-
Beziehungen ist von Geben und Nehmen durchwirkt
den oder „Subjektwerdung“ zugleich bei Reichen und
– beginnend mit dem Rhythmus des Atmens, der ein
Armen. So wird das Wunder möglich, dass Menschen
unausgesetztes Wechselspiel von Nehmen und Geben
einander auf doppelte Weise sich selbst geben können:
markiert. Eine tiefe, auch gesellschaftlich zementierte
„Danke, dass du dich mir gibst“ und „Danke, dass du
Heillosigkeit kann von daher als spirituelle Atemlosigkeit
mich mir gibst“. n
bezeichnet werden. Manche Menschen wollen nur geben und können es nicht, weil sie nicht tief genug empfangen können. Andere wollen nur empfangen, in grenzenloser Gier, weil sie nicht wirklich empfangen können (nicht die Liebe in den Dingen) und auch weil sie jenes Empfangen vernachlässigen, das einen nur im Vollzug eines absichts-
Dr. theol. Willibald Sandler, Ao. Univ.-
losen freilassenden Gebens erreicht. Erlösung bedeutet
Prof. am Institut für Systematische Theo-
auch ein Heilwerden unseres beeinträchtigten Geben-
logie der Universität Innsbruck
CHRISTLICHER GESUNDHEITSKONGRESS
2/2015 CHRISCARE
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Zeichen setzen 5. Christlicher Gesundheitskongress in Kassel Zeichen setzen – Heilen und Begleiten in Gesundheitswesen und Gemeinde. Das wollen die Veranstalter des Christlichen Gesundheitskongresses. „Manchmal überfordern sich die am stärksten motivierten Mitarbeiter in den Gesundheitsberufen“, meint Dr. Georg Schiffner (Hamburg), Mitglied im Kongressvorstand. „Das gilt vor allem, wenn sie übersehen, dass der christliche Glaube nicht den Himmel auf Erden schafft, sondern Zeichen setzt, die Hoffnung wecken“. Als Chefarzt eines katholischen Krankenhauses in Hamburg kennt er die Chancen und Herausforderungen, christlichen Glauben und berufliche Existenz miteinander zu verbinden.
Kongressen waren bis zu 1200 Teilnehmer gekommen. An drei Tagen finden neben den Plenumsveranstaltungen wieder bis zu 60 Seminare statt. An den Abenden wird viel gelacht, aber auch mitreißende Musik gemacht. Referenten, die bereits zugesagt haben, sind unter anderem Prof. Heribert W. Gärtner, Prof. Stefen Fleßa, Prof. Eckhard Nagel, Diakoniepräsident Ulrich Lilie, Dr. Gisela Schneider. Schwerpunktthema wird am Samstag sein: Und wenn ich selbst betroffen wäre? Wie selbstbestimmt kann ich den Grenzen meines Lebens begegnen? Über das Thema wird – wie 2014 über die Organspende – ausführlich diskutiert. Dabei soll die besondere Chance des christlichen Glaubens zur Debatte stehen.
Die Pflegewissenschaftlerin Professor Dr. Annette Meussling-Sentpali (Regensburg) ist überzeugt, dass der
Zum 4. Mal wird in Kassel der Christliche Gesundheits-
Kongress Orientierung bietet: „Inzwischen wissen viele
preis verliehen. Mit ihm werden Initiativen ausgezeich-
Fachleute, dass Spiritualität Kranken hilft und Mitarbeiter stärkt. Aber: Wie sieht eine solche heilende und ermutigende Spiritualität aus? Und was können Arbeitgeber und Kirchen dazu beitragen, sie zu fördern?“ Auch Kirchengemeinden sollten ihre eigene Botschaft ernster nehmen. Pfarrer i.R. Christoph Sieckermann (Siegen): „Wer überzeugt ist, dass Gottes Liebe Menschen verändern kann, der sollte mutig damit rechnen, dass der Glaube auch für die Gesundheit eine Rolle spielt.“ Sieckermann, der in der Geistlichen Gemeindeerneuerung in der Evangelischen Kirche zu Hause ist, will vor allem
Hotel La Strada in Kassel
Seelsorger ermutigen, Kranke und Behinderte in den Blick zu nehmen und zu fördern.
net, die sich um das Miteinander von Gesundheitswesen und christlicher Gemeinde verdient gemacht haben.
Insgesamt, so der Geschäftsführer des Kongresses, Günther
Bereits jetzt sollten sich entsprechende Initiativen mit
Gundlach (Aumühle), dürfte der Kongress noch breiter
der Ausschreibung beschäftigen.
aufgestellt sein als bisher: „Wir wünschen uns sowohl Mitarbeiter und Führungskräfte aus kirchlichen Einrichtungen
Nach drei Kongressen in Kassel und einem in Bielefeld
und Gemeinden als auch aus privaten, kommunalen oder
kehrt die Veranstaltung wieder in die Stadt in der Mitte
anderen gemeinnützigen Diensten für Kranke und Pflegebe-
Deutschlands zurück. Diesmal ins Hotel La Strada. Das
dürftige.“ Er erwartet, dass 2016 die internationale Perspek-
moderne Tagungshotel hat bis zu 1000 Betten und mit
tive eine noch stärkere Rolle spielen wird. „Wir brauchen die
„allem unter einem Dach“ eignet es sich optimal für
Erfahrungen anderer Teile der Welt, um von der Nabelschau
eine stärkere Vernetzung der Teilnehmer. Schon beim
der europäischen Gesundheitspolitik los zu kommen.“
Frühstück lernt man Kolleginnen und Kollegen kennen, die im eigenen Beruf oder in verwandten Professionen
Zum 5. Mal sind vom 14.-16. April 2016 Mediziner, Pfle-
das Anliegen teilen, Glaube und Beruf in Einklang zu
gende, Therapeuten, Seelsorger und Angehörige ande-
bringen. Der Wellnessbereich des Hotels bietet gute
rer Gesundheitsberufe eingeladen. Zu den bisherigen
Möglichkeiten zu entspannen. n
Blickpunkt Gott ist parteiisch.
ChrisCare
Er steht auf der Seite der Armen.
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TITELTHEMA
Versichertenkarte? Fehlanzeige Gesundheitsvorsorge mit 40 Dollar monatlichem Einkommen
Ursula Kohler, Referentin für Gesundheitsdienste und Rose Mumbere, Gründerin der Krankenkasse, Buni, DRC, Deutsches Institut für Ärztliche Mission e.V.
Neun von zehn Menschen in Afrika südlich der Sahara haben keinen Zugang zu einer Krankenoder Unfallversicherung. Krankheit bedeutet nicht selten eine existenzielle Bedrohung für ganze Familien. Im Ostkongo unterstützt daher das Deutsche Institut für ärztliche Mission (Difäm) in Tübingen den Aufbau einer lokalen Krankenversicherung: die Mutuelle de Santé Canaan, MUSACA.
Wenn Krankheit die Existenz bedroht
bereich, wo eigentlich 15 Prozent erforderlich wären.
Viele Menschen im Ostkongo haben keinen Zugang zu den Gesundheits-
In den meisten Krankenhäusern
diensten. Oft ist die medizinische
müssen die Patienten ihre Behand-
Versorgung nicht ausreichend. Die
lung inklusive der Medikamente
langjährigen politischen Konflikte
selbst bezahlen. Viele Menschen
erschweren die Entwicklung des
können sich das nicht leisten. Sie
Landes und die Infrastruktur befindet
behandeln sich entweder selbst oder,
sich in einem schlechten Zustand.
wenn sie ins Krankenhaus kommen,
Nur 6,4 Prozent aller staatlichen Aus-
verlassen sie es vorzeitig. Umge-
gaben fließen in den Gesundheits-
kehrt fehlen den Krankenhäusern
2/2015 CHRISCARE
Frauen aus dem Dorf unterwegs zum Krankenhaus
Eine Krankenstation
die Einnahmen. Sie können dann ihre Angestellten nicht bezahlen. Um diesem Kreislauf von Armut und Krankheit ein Ende zu setzen, fördert das Difäm den Aufbau einer solidarischen Krankenversicherung.
Krankenkasse als Versöhnungsprojekt Rose Mumbere leitet ein Krankenversicherungsprojekt im Ostkongo. Die Mutuelle de Santé Canaan
Büro der Krankenkasse, Komitee Meeting
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RUBRIK TITELTHEMA
(MUSACA) sichert nicht nur kos-
tragen.“ Nicht selten sei die Existenz
einen Jahresbeitrag von 20 Dollar
tengünstigen Zugang zur Gesund-
einer ganzen Familie dann bedroht.
auch kostspielige Notoperationen
heitsversorgung. Sie stärkt auch die
wie Blinddarm oder Kaiserschnitt ab. „Bei einem monatlichen Ein-
ethnischen Gruppen und trägt so zur
Krankenversicherung statt Sterbekasse
Versöhnung nach dem Bürgerkrieg
2008 begann Rose Mumbere den
für viele Menschen sehr viel Geld“,
bei. Mittlerweile hat MUSACA 1922
Aufbau der MUSACA mit dem Ziel,
sagt die Difäm-Partnerin. MUSACA
Mitglieder aus unterschiedlichen
allen Menschen in Bunia eine gute
räume ihren Mitgliedern deswegen
Volksgruppen. Das Difäm begleitet,
und bezahlbare Gesundheitsversor-
auch die Möglichkeit ein, das Geld
evaluiert und berät die MUSACA seit
gung zu ermöglichen. Zusammen
in Raten zu zahlen.
der Anfangszeit.
mit Kollegen führte sie vom Cen-
Solidarität unter den verschiedenen
kommen von rund 40 Dollar ist das
„Viele Menschen erreichen wir in
Situations- und Machbarkeitsanalyse
Verantwortung füreinander übernehmen
unserer Kultur während der Toten-
durch. Über das Radio informier-
Fünf Festangestellte und 20 Mul-
wache“, sagt Rose Mumbere. „Im
ten sie die Bevölkerung über ihr
tiplikatoren verbreiten in Schulen
Tod sind alle gleich und genau dort
Vorhaben und die Funktion einer
und Dörfern die Idee der Kran-
setzen wir an.“ Die gelernte Kranken-
Krankenversicherung. „Der Spar-
kenversicherung. Ein Plakat zeigt,
schwester unterrichtet neben ihrer
und Vorsorgegedanke ist in unserer
wofür das Projekt steht: Solidari-
Arbeit für MUSACA an Krankenpfle-
Kultur vorhanden. Aber der Zweck
tät, gegenseitige Hilfe, Liebe und
geschulen in Nyankunde und Bunia.
war bisher ein anderer“, sagt Rose
Beteiligung an der Gemeinschaft.
Im französischen Lyon hat sie inter-
Mumbere. Es gebe beispielsweise
Die Mitglieder der MUSACA
nationale Entwicklung studiert. Dort
informelle Sterbekassen, in die die
haben nicht nur freien Zugang
kam sie auch auf die Idee, in ihrer
Menschen einzahlten, um später ein
zu medizinischer Versorgung, sie
Heimat eine Krankenkasse aufzu-
ordentliches Begräbnis zu bekom-
übernehmen auch Verantwortung
bauen. „Als der Bürgerkrieg endlich
men. „Aus Respekt vor den Toten
füreinander. So erhalten Werte wie
tre Médical Évangélique aus eine
Warum zahlt ihr für den Tod? Spart doch lieber für eure Gesundheit! zu Ende war, zogen sich viele inter-
geben die Menschen in meinem
Zusammengehörigkeit und Solida-
nationale Nichtregierungsorganisa-
Heimatland traditionell viel Geld
rität eine neue Bedeutung.
tionen aus dem Ostkongo zurück,
für Begräbnisse aus. Wir fragen sie:
und die Gesundheitsversorgung bei
‚Warum zahlt ihr für den Tod? Spart
Solidarität unter den Kontinenten
uns verschlechterte sich rapide“, sagt
doch lieber für eure Gesundheit!‘“
Das Difäm unterstützt den Aufbau
die Mutter dreier Töchter. Da keine
der Krankenkasse, fördert aber auch
Gratismedikamente mehr verfüg-
Zehn Dollar für Basisgesundheit
medizinische Behandlung, indem
bar waren, hätten die Menschen
Für einen Beitrag von zehn Dollar
es in Deutschland Spenden für das
aus Blättern Arznei hergestellt oder
pro Jahr und Person erhalten die
Projekt einwirbt. n
billige und schlechte Arzneimittel in
Mitglieder der MUSACA Basis-
Straßenläden gekauft. „Bei uns gibt
gesundheitsversorgung in drei
es keine bzw. keine erschwingliche
Einrichtungen: Erstbesuch beim
Ursula Kohler,
Krankenversicherung. Die Familien
Arzt, Routine- und Laboruntersu-
Referentin für
müssen die Kosten für medizinische
chungen, Geburtshilfe und einen bis
Gesundheits-
Behandlungen und den Arbeitsaus-
zu siebentägigen Klinikaufenthalt.
dienste, Difäm,
fall des Familienmitglieds selbst
Eine zweite Kategorie deckt für
Tübingen
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2/2015 CHRISCARE
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INTERVIEW
Suizidassistenz Gottes Liebe ist stärker als der Tod Extremes Leid und Einsamkeit müssen aber dank der Palliativ- und Hospizversorgung nicht sein. Nur müssen diese Angebote auch überall vorhanden sein. Hier werden wir die Anstrengungen deutlich verstärken. Grundsätzlich gilt: Unsere Rechtsordnung ist dem Schutz des Lebens und der Achtung des Selbstbestimmungsrechts verpflichtet. Deswegen ist die Beachtung des Patientenwillens in Bezug auf mögliche Therapien oder auch die Beendigung einer Therapie ein ganz wichtiger Punkt. Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe
Rechtsprechung und Gesetzgeber haben deshalb die Verbindlichkeit
Antworten von Bundesminister Hermann Gröhe auf die Fragen von Thomas Sitte für den Newsletter der Deutschen Palliativ Stiftung zum Thema Suizidassistenz
der Patientenverfügung gestärkt. Der Angst davor, in der letzten Lebensphase gegen den eigenen Willen lebensverlängernden Maßnahmen unterworfen zu sein, kann also wirksam begegnet werden.
1. Eine große Mehrheit der Bevölkerung ist für eine Legalisierung von Tötung auf Verlangen und gegen eine Sanktionierung von organisierter Beihilfe zur Selbsttötung. Kann/darf die Stimmung in der Bevölkerung die Gesetzgebung beeinflussen? Oder sollte sich Ihrer Meinung nach der Staat davon völlig unbeeinflusst gegenüber Patienten mit (nachvollziehbarem) Sterbewunsch verhalten; könnte eine gewisse staatliche Bevormundung, evtl. sogar der betroffenen Patienten vielleicht sogar notwendig sein, weil die Bevölkerung und auch die Ärzte eigentlich Nachhilfe im Fach Ethik bräuchten?
Schließlich halte ich es für richtig, dass unser Recht zum Drama der Selbsttötung schweigt und damit auch Beihilfehandlungen straffrei sind.
2. Sollte der Gesetzgeber Ärzte in ihren Handlungen bei aktiv lebensverkürzenden Maßnahmen, wie z.B. Beihilfe zur Selbsttötung und Tötung auf Verlangen anders behandeln als Nicht-Ärzte? Das heißt, was spräche aus Ihrer Sicht für oder gegen eigene Regeln für Ärzte in der Beihilfe zur Selbsttötung?
Die Meinungen, Wünsche und Sorgen der Menschen sind
Für Ärztinnen und Ärzte sollten keine gesonderten
mir wichtig. Dies gilt gerade bei höchstpersönlichen, exis-
gesetzlichen Regelungen in Bezug auf die Suizidhilfe gel-
tentiellen Fragen. Deshalb spreche ich viel mit Menschen
ten. Aber neben den allgemeinen Gesetzen gelten ärztli-
über das Thema Sterbebegleitung und tausche mich mit
ches Standesrecht und Berufsethos – und da hat sich die
Experten darüber aus. Zum Thema der Legalisierung der
Ärzteschaft einmütig aufgestellt: Ich begrüße, dass die
Tötung auf Verlangen und der Selbsttötungshilfe erhalte
Bundesärztekammer zusammen mit allen Landesärzte-
ich auch viele Bürgerbriefe, die oft unter die Haut gehen.
kammern im Dezember letzten Jahres klargestellt hat, dass die Suizidbeihilfe keine ärztliche Aufgabe ist.
In Gesprächen und Briefen erkenne ich aber auch, dass hinter der Befürwortung einer Zulässigkeit der Tötung
Es ist vor allem wichtig, dass zwischen Arzt und
auf Verlangen häufig die Angst steckt vor Situationen
Patient ein absolutes Vertrauensverhältnis herrscht.
extremen Leidens und die Angst vor der Einsamkeit am
Auch mit Selbsttötungsgedanken muss sich ein Patient
Lebensende.
seinem Arzt anvertrauen können. Es mag einzelne
2/2015 CHRISCARE
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Extremfälle geben, in denen Ärzte in Überschreitung
Von einer solchen strafrechtlichen Regelung würden keine
der standesrechtlichen Norm Suizidhilfe leisten. Ob
Menschen erfasst, die z.B. in einer einmaligen Extremsi-
in solchen Extremfällen eine Sanktion unterbleiben
tuation einem Nahestehenden Suizidhilfe leisten. Auch
kann, ist dann eine Frage der Rechtsanwendung. Eine
müssen alle Formen verantwortlicher ärztlicher Therapien
Rechtsaufweichung wäre ein gefährlicher Irrweg. Sol-
und palliative Therapiemaßnahmen zur Symptomkontrolle
che Extremfälle menschlichen Leidens dürfen nämlich
bei schwer erkrankten Personen möglich bleiben. Hier
niemals Anlass sein, geschäftsmäßige oder ärztliche
muss die gesetzliche Regelung eine deutliche Abgrenzung
Suizidhilfe als allgemeine und normale Behandlungs-
leisten, und ich bin der Überzeugung, dass dies möglich ist.
variante zu betrachten.
3. Welche juristischen Maßnahmen sind aus Ihrer Sicht angemessen, welche realistisch umsetzbar, um gewerbsmäßige oder organisierte Beihilfe zur Selbsttötung zu unterbinden?
4. Und bitte gestatten Sie uns zum Schluss noch diese ganz persönliche Frage: Wie wollen Sie einmal sterben und was sollte Ihrer Meinung nach jeder schon jetzt für sein Lebensende bedenken und tun? Wie viele Menschen möchte auch ich möglichst schmerz-
Die Frage der gesetzlichen Regelung wollen wir noch
frei und von lieben Menschen begleitet sterben. Und als
dieses Jahr im Deutschen Bundestag entscheiden. Als
Christ füge ich hinzu: im Frieden mit meinen Mitmen-
Abgeordneter setze ich mich für ein Verbot der organi-
schen und mit Gott, dessen Liebe stärker ist als der Tod.
sierten Suizidhilfe ein. Dies ist nach meiner Auffassung durch eine Regelung im Strafgesetzbuch umsetzbar.
Tod, schwere Krankheit und Pflegebedürftigkeit in unse-
Dabei müssen wir sicherstellen, dass durch ein solches
rer Familie haben dazu geführt, dass über diese Fragen
Verbot alle diejenigen erfasst werden, die Selbsttö-
bei uns zu Hause immer wieder gesprochen wird. Solche
tungshilfe zum Gegenstand eines regelmäßigen Ange-
Offenheit ist mir wichtig. Sie kann es Angehörigen erleich-
bots machen.
tern, im Bedarfsfall wichtige Entscheidungen zu treffen. n
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CHRISTEN IM GESUNDHEITSWESEN
Wo treffen Sie Christen, die vom Fach sind? Christliche Gesundheitskongresse – ein Kernanliegen von CiG Netzwerkarbeit ist aber auch Öffentlichkeitsarbeit, ein Bereich, der große Bedeutung hat. 2006 haben wir verstärkt begonnen, diesen Vernetzungsgedanken auf Bundesebene mit anderen christlichen Werken, Bewegungen und Institutionen, die ähnliche oder ergänzende Aufträge und Visionen haben wie wir, zu teilen. Unser Ziel ist, eine größere Öffentlichkeitswirkung zu erlangen und die wertvollen Charismen, die bereits durch die vorigen Kongresse sichtbar wurden, weiter zu bündeln und auf Kongressebene Eindrücke des Christlichen Gesundheitskongresses 2014 in Bielefeld
sichtbar zu machen.
Über 25 Jahre befassen wir uns bei CiG damit, „Konfessions- und Berufsgruppen-verbindend“ zu arbeiten. Der Gedanke dahinter ist das Anliegen, ein bundesweites Netzwerk von christlich engagierten Mitarbeitenden im Gesundheitswesen aufzubauen und sowohl für die Professionellen als auch die Patienten verfügbar zu machen.
Seit Beginn der CiG-Arbeit investie-
Die vier zurückliegenden Kon-
ren wir in Regionalgruppen, die zum
gresse haben uns begeistert. Die
Rückgrat von CiG geworden sind. Hier
hohe Kompetenz der Referenten
vernetzen sich Christen in der Region,
aus Gesundheitswesen, Kirche und
die Beziehung leben und dadurch Stär-
Politik haben dazu beigetragen,
kung und Motivation für den Berufs-
dass viele Mitarbeitende aus den
alltag bekommen. Durch die bundes-
Gesundheitsberufen und Einrichtun-
weite Akademiearbeit unterstützen
gen aus Gemeinde / Kirche diesen
wir die Regionalgruppen mit Themen-
Kongress als Ort der Vernetzung
angeboten, um Interessierte auf das
und Diskussionsplattform angenom-
Netzwerk aufmerksam zu machen.
men haben.
Folgende Ziele verfolgt der Christliche Gesundheitskongress:
Krankheit und Gesundheit verständ-
umsetzbare Konzepte anzubieten für
lich machen und praktische Konse-
die Begleitung kranker Menschen
1. ein ausgewogenes theologisches
quenzen davon ableiten;
sowie für vielfältige heilende und
Verständnis vermitteln zu Krankheit /
3. Christen, die im Gesundheitswe-
ehrenamtliche Dienste;
Heilung / Gesundheit, welches bib-
sen in den verschiedenen Arbeits-
5. Mitarbeitende aus Gesundheits-
lisch fundiert ist und die unterschied-
und Verantwortungsbereichen tätig
wesen und Gemeinde inspirieren,
lichen Erfahrungen im christlichen
sind, durch Praxiserfahrungen und
die modernen pflegerischen, the-
Heilungsdienst reflektiert;
Leitlinien ermutigen, den Berufs-
rapeutischen und medizinischen
2. den aktuellen wissenschaftlichen
alltag auf der Grundlage des christli-
Erkenntnisse zu verbinden mit dem
Forschungsstand zum Einfluss von
chen Glaubens aktiv zu gestalten;
kirchlichen Glaubens- und Erfah-
Spiritualität und Religiosität auf
4. den christlichen Gemeinden
rungsreichtum im Sinne einer christ-
CHRISTEN IM GESUNDHEITSWESEN
2/2015 CHRISCARE
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Die Arbeit von CHRISTEN IM GESUNDHEITSWESEN (CiG) CiG e.V. ist eine bundesweite konfessionsverbindende Initiative von Mitarbeitern unterschiedlicher Berufsgruppen im Gesundheitswesen: Pflegende, Ärzte, Therapeuten, Mitarbeiter aus Management und Verwaltung, Seelsorger, Sozialarbeiter und weitere Berufsgruppen des Gesundheitswesens. Basis der Zusammenarbeit sind die Bibel, das apostolische Glaubensbekenntnis sowie die Achtung des Einzelnen in seiner jeweiligen Konfessionszugehörigkeit. Wir CHRISTEN IM GESUNDHEITSWESEN wollen • einander fördern, unseren Glauben im Berufsalltag zu leben, • zur Neubelebung an der Bibel orientierter Werte im Gesundheitswesen beitragen, In Deutschland ist dieser Kongress
• Patienten und Kollegen die heilende Liebe Jesu Christi erfahrbar machen,
einzigartig. Sicherlich haben wir ein
• in Einheit mit Kirchen und Gemeinden den biblischen Auftrag von Diakonie,
sehr gutes und inspirierendes Ange-
Caritas und Heilungsdienst in unserem Land wahrnehmen.
bot der einzelnen Gruppierungen in unserem Land. Das muss es auch
Die ökumenische Arbeit von CHRISTEN IM GESUNDHEITSWESEN verbindet
weiterhin geben, damit jeder sein
seit über 25 Jahren Christen im Umfeld des Gesundheitswesens – inzwischen
Charisma leben kann. Die Öffentlich-
rund 10.000 in regionaler sowie in bundesweiter Vernetzung.
keit braucht aber auch ein Sichtbarwerden, damit unsere christlichen
Wichtiges Element sind die CiG-Regionalgruppen, die von Mitarbeitern vor
Werte für das Gesundheitswesen
Ort geleitet und verantwortet werden und die sich in unterschiedlichen, z.B.
hörbar sind und in die öffentliche
monatlichen Abständen treffen. Beruflicher Austausch, biblischer Impuls und
Diskussion eingebracht werden
Gebet sind wiederkehrende Bestandteile der Treffen. Einige Gruppen bieten
können. Von daher sind die christli-
Regionalveranstaltungen an, zu denen öffentlich eingeladen wird. Kontakt zu
chen Gesundheitskongresse für uns
den Regionalgruppen vermittelt die Geschäftsstelle.
als beteiligte Gruppen inspirierend, ermutigend und Glauben-fördernd.
Die Veranstaltungen der Akademie werden dezentral meist in Zusammenarbeit
Für unsere Gesellschaft kann eine
mit den CiG-Regionalgruppen angeboten: Seminare zu berufsspezifischen The-
gemeinsame Stimme von Chris-
men aus christlicher Sicht, Fachgruppentreffen wie auch Angebote für Kranke
ten zu Fragen von Krankheit und
und Angehörige. Wenn Sie in Ihrer Region ein Seminar initiieren wollen, neh-
Gesundheit, Glaube und Heilung
men Sie gern mit uns Kontakt auf. Weitere Infos: www.cig-online.de.
überzeugend sein. n Die bundesweit ausgerichtete Arbeit von Christen im Gesundheitswesen wird von rund 20 Mitarbeitern aus unterschiedlichen Gesundheitsberufen im Bundesweiten Leitungskreis verantwortet und geleitet. Günther Gundlach, Geschäftsführer
In der Geschäftsstelle in Aumühle bei Hamburg wird die Arbeit koordiniert.
Christen im
Hauptamtliche, geringfügig Beschäftigte und rund 130 Ehrenamtliche sorgen
Gesundheitswesen
für die Umsetzung von Projekten und unterstützen die Arbeit des Bundesweiten Leitungskreises. Die Arbeit von CiG finanziert sich wesentlich aus Spenden. Ein Kreis von z.Zt.
lich fundierten Heilkunde;
500 Förderern bildet hierfür die Grundlage, indem sie den gemeinnützigen Ver-
6. das Zusammenwirken von
ein jeweils mit einem Mindestbeitrag von 10 € im Monat finanziell unterstützen.
Gesundheitswesen und Gemeinden fördern und anhand von Modellerfahrungen Möglichkeiten gegenseitiger Befruchtung aufzeigen;
Förderer können an den Fortbildungsseminaren der CiG-Akademie für den ermäßigten Beitrag teilnehmen und erhalten das ChrisCare-Abo kostenfrei. Wir laden Sie herzlich ein, dem Förderkreis beizutreten! n
7. im Blick auf die ethisch und ökonomisch zu verantwortende Weiter-
CHRISTEN IM GESUNDHEITSWESEN e.V.
entwicklung der Strukturen unseres
Bergstraße 25, D-21521 Aumühle
Gesundheitswesens die christliche
Tel.: (+49) (0) 4104 917 09 30, Fax: (+49) (0) 4104 917 09 39
Stimme verstärken.
Email: info@cig-online.de, Internet: www.cig-online.de
32
NACHRICHTEN
Zusammenarbeit
sche Theologin Katharina Klöcker
„Krieg und Zerstörung im biologi-
aus Münster in den Stimmen der
schen Leben ist eine Zuschreibung
Zeit. Sie schreibt in einem Aufsatz
kranker Hirne“. Dahinter stecke das
über die Problematik postnataler
Schwarz-Weiß und Gut-Böse-Den-
Gendiagnostik: „Eine in dieser
ken, das die christlichen Kirchen
Weise kritische Hinterfragung der
den Menschen über Jahrhunderte
individuellen Risikoverantwortung
eingetrichtert hätten. Zum anderen
könnte schließlich auch die Augen
vermutet er hinter der schulmedi-
für die nicht zu unterschätzende
zinischen und wissenschaftlichen
Winterthur, Bochum, Wien: Neue
Gefahr mit all ihren fatalen Konse-
Behauptung des Gegenteils diverse
Forschungsergebnisse zeigen, dass
quenzen öffnen: dass Krankheit im
Verschwörungen. Im Jahr 2011
sich eine gute Zusammenarbeit
Zeitalter prädiktiver Medizin dazu
hatte Lanka im Internet einen Preis
von Gesundheitsfachleuten aus
tendiert, wieder moralisiert zu wer-
von 100.000 Euro für denjenigen
unterschiedlichen Berufen lohnt:
den.“ Dem müsse die theologische
ausgelobt, der ihm die Existenz
nicht nur für die Patienten, sondern
Ethik widersprechen. Mehr: Stim-
von Masernviren beweise. Der Arzt
auch für die Health Professionals
men der Zeit 1 2015. n
David Bardens legte ihm daraufhin
Berufsgrenzen: überwinden
Zusammenarbeit von Fachleuten
selbst. Wie gut die Kooperation tatsächlich funktioniert, bewerten die einzelnen Berufsgruppen allerdings unterschiedlich. Dies steht in der ersten Ausgabe der Open-Access-
Verschwörung
Impfgegner: Verlorener Prozess
eine Reihe Studien vor und ging, als Lanka die Zahlung verweigerte, vor Gericht. Pünktlich zur jüngsten Häufung von Maserninfektionen in Deutschland wurde Bardens Recht
Zeitschrift «International Journal of
gegeben und Lanka zur Zahlung
Health Professions», die seit Anfang
des Preisgeldes verurteilt. n
Dezember online ist. Dass sich eine erfolgreiche interprofessionelle Zusammenarbeit darüber hinaus auf die Arbeitszufriedenheit der Gesund-
Alles nur Verschwörung?
heitsfachleute auswirkt, zeigt Mirjam Körner in ihrem Beitrag für die erste
Berlin: Der Impfgegner und lang-
Ausgabe des IJHP. Je besser jemand
jährige Vertreter der Germanischen
die berufsübergreifende Teamarbeit
Neuen Medizin, der promovierte
bewertet, desto zufriedener ist er
Biologe Stefan Lanka, hat einen
auch mit seiner Arbeit. Mehr: Inter-
Prozess um den Nachweis von
national Journal of Health Professi-
Masernviren vor dem Landgericht
ons, Vol 1, Issue 1 n
Ravensburg verloren. Lanka vertritt
Pflege
Glaube: Privatsache?
Zurückhaltung respektiert Glaubensfreiheit
die Theorie, es gebe keine patho-
Oslo: Norwegische Pflegende stehen
genen Viren, sondern die angeblich
den religiösen Bedürfnissen von
dadurch verursachten Krankheiten
Heimbewohnern oft hilflos gegen-
(Masern, Ebola, HIV/AIDS, Vogel-
über. Häufig fehle es an Vorwissen,
grippe usw.) seien jeweils anderen
heißt es in einer Studie, die zeigte:
Ursprungs. In einer Reihe von
Pflegende hielten Religiösität und
Schriften im Eigenverlag bezeich-
Glaube eher für eine Privatsache und
net er Impfen und AIDS unter
fühlten sich unwohl, wenn sie mit
anderem als „neuen Holocaust“.
Bewohnern beten oder Lieder singen
Grundlage seiner Überzeugungen
sollten. Die Pflegenden hielten ihre
ist zum einen eine esoterisch-
Zurückhaltung für ein wichtiges
harmonisierende Weltsicht, in der
Element, um die Glaubensfreiheit
Freiburg: „Statt eine genetische
es „keine negativen biologischen
der Bewohner zu respektieren. Aller-
Selbstverantwortungsgesellschaft
Strukturen“ gebe. Also gebe es
dings seien sie oft hilflos, wenn es
zu propagieren, wäre eine solidari-
keine negativen Auswirkungen von
um die Vorbereitung auf das Sterben
sche Gemeinschaft gesunder Kran-
Leben auf Leben, sondern nur die
ging. Mehr: Journal of Advanced
ker zu fördern“, fordert die katholi-
Koexistenz, die Symbiose.
Nursing 71 (2) 2015 n
Diagnostik
Theologie: Widerspruch
Über postnatale Gendiagnostik
HUMOR
2/2015 CHRISCARE
33
Hier rät Dr. Rottweil! Die etwas andere Rubrik
ein paar Kleinigkeiten, sonst wäre es ja schon verhungert! A: Und was sind das für Kleinigkeiten?
Liebe Leser, heute rate ich erst mal nicht. Ich lehne mich genüsslich zurück und führe Ihnen anhand eines Beispiels die Ratlosigkeit der niedergelassenen Kollegen vor. Werden Sie nun Zeuge eines Schauspiels, wie es Tag für Tag in zahllosen Kinderarztpraxen aufgeführt wird. Aber für jeden bedauernswerten Kollegen ist einmal immer das erste Mal. Und da hat man noch Illusionen…
M: Na, ab und zu ein Keks, ein Stück Schokolade oder eine halbe Banane. A: Und wenn Sie ihm das nicht geben würden? M: Dann würde es jammern, und ich habe eben ein Herz für mein Kind – im Gegensatz zu Ihnen.
Hauptdarsteller: Mutter (M) und Arzt (A), in der Nebenrolle die Hauptper-
A: Vielleicht bin ich nicht der richtige
son: das Kind. (Fürs Nachspielen: Regieanweisungen in Klammern. Alle
Arzt für Ihr Kind.
Rechte beim Kind.)
M: Das scheint mir auch so. Aber Sie werden doch nicht so herzlos sein
MEIN KIND WILL NICHT ESSEN
nicht um Sie geht, schließlich bin ich
zu verlangen, dass mein Kind sich
A (am Schreibtisch, vielbeschäftigt,
Kinderarzt.
umgewöhnen soll, nachdem es in
mit raschem Blick auf die Uhr):
M (stutzt): Wie – heißt das, Sie wür-
dieser Praxis schon acht Impfungen
Schon ½ Stunde Rückstand. Aber
den mich nicht behandeln, nicht mal
und fünf antibiotische Behandlungen
beim nächsten Patienten kann ich
im Notfall?
überlebt hat!
bestimmt Zeit aufholen. Da steht im
A: Doch, doch. Aber jetzt sind Sie ja
A (blickt auf die Uhr): Ich muss jetzt
Bestellplan: „Ess-Schwierigkeiten“.
kein Notfall.
weitermachen, ich bin eine ganze
Das kann ja nicht lang dauern.
M: Nein. (Pause.) Aber mein Kind!
Stunde im Verzug!
A (blickt das kerngesund wirkende
M: Das ist nicht meine Schuld, dann
Kind erstaunt an): Ja?
müssen Sie die Sache besser orga-
M (jedes Wort betonend): Mein Kind
nisieren. Ich habe jedenfalls einen
will nicht essen.
Termin hier.
A: Dafür sieht es aber noch ganz
A: Aber nicht zwei.
gut aus.
M (steht auf): Gut, dann lasse ich mir
M: Haben Sie eine Ahnung. Es isst
demnächst drei Termine nacheinan-
wie ein Spatz und hat seit Monaten
der geben, damit Sie genug Zeit für
kein Gramm zugenommen. Wenn
mein Kind haben. Auf WIEDERsehen!
ich es nicht füttere, isst es gar nichts.
A: Leben Sie wohl. (Mutter und Kind
Jede Mahlzeit dauert eine Stunde.
verlassen den Raum.)
Ich bin immer fix und fertig.
A: Die Frau ist wirklich ein Notfall.
A: Dann füttern Sie es eben nicht.
Mutter im Notfalleinsatz
M (sich vorbeugend, ihn fixierend):
Liebe Leser, kein praktischer Arzt zu
Ich sagte doch: MEIN KIND WILL
sein, das macht mich hierbei froh.
NICHT ESSEN!
Denn bei mir geht das so: M (ruft
A (sich vorbeugend, sie fixierend):
an): Mein Kind will nicht essen, was
KINDER MÜSSEN NICHT ESSEN!
soll ich tun? Ich: Nichts. (Lege auf.) n
M (fährt entsetzt zurück): Wollen Sie mein Kind umbringen?
M (trägt ein etwa zweijähriges
A: Papperlapapp, es hat eben
pausbäckiges Kind herein, setzt sich
keinen Hunger, sonst würde es sich
umständlich, hält das Kind auf dem
schon melden.
Schoß fest, holt tief Luft): Herr Dok-
M: Es isst nichts zum Frühstück, nichts
tor. (Pause. A. trommelt nervös auf
zu Mittag und nichts zu Abend. So.
den Tisch.) Es geht um mein Kind.
A: Und zwischendurch?
Ihr
A: Ich dachte mir schon, dass es
M: Natürlich isst es zwischendurch
Dr. G. R., Löwenwalde
34
LITERATUR
Der Arzt vor dem Wunder aber auch von bereits etablierten
Wer nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist
onkologischen Therapieverfahren – ohne eine Abgrenzung zu spontanen Tumorrückbildungen unmöglich sei.
Der Arzt Reinhard Köller befasst sich mit dem Buch eines Kollegen, der sich mit dem Wunder beschäftigt. Speziell mit der Spontanheilung bei Krebs. Was ist davon zu halten? Der Arzt und Psychotherapeut
• psychologische Wirkfaktoren
Schon vor diesem Auftrag, schreibt
bzw. psychoneuroimmunologische
Prof. Gallmeier sinngemäß in seinem
Mechanismen als Schnittstelle zwi-
Vorwort zur ersten Auflage 2003, hät-
schen körperlichen und seelischen
ten ihn solche selten vorkommenden
Einflüssen auf Krankheits- und Hei-
Spontanremissionen fasziniert und
lungsprozesse sowie
zugleich gelehrt, „wie bescheiden wir
• religiöse Deutungen und Aspekte
mit unserem medizinischen Wissen
übernatürlicher Heilungserfahrungen.
umgehen müssen und wie vorsichtig
Herbert Kappauf führt facettenreich
wir mit Prognosen sein müssen“ (S.11,
in das Thema ein. Er wendet sich
Zum Schluss erteilt er seine voran-
2. Abs.). Und auch sein Erstaunen
sowohl an medizinisch, theologisch
gegangenen Darlegungen zuspitzend
entfacht, „wie wenig systematisch
und psychotherapeutisch interes-
dem „alten Zopf“ einer „Krebsper-
wissenschaftliche Aufmerksamkeit
sierte Laien als auch an Fachleute.
sönlichkeit“ als auch einer „Spontan-
dieses seltene Phänomen bisher in der
remissionsper-
Medizin erhalten hat“ (S.10, 3. Abs.).
sönlichkeit“ eine
Herbert Kappauf, Wunder sind möglich. Spontanheilung bei Krebs, Kreuz Verlag. 2. Auflage 2014, 220 Seiten, ISBN 978 3 451 61007 3 € (D) 16,99, SFr. 24.50
klare Absage und
Diesen Geist brillianter Fachlichkeit,
gibt hilfreiche
einfühlsamer Patientenbegleitung
Tipps für Krebs-
sowie wissenschaflicher Klarheit und
kranke. Meh-
zugleich Bescheidenheit atmet das
rere Gedichte
ganze Buch. Kappauf zitiert mehrfach
von Susanne
seinen ehemaligen Chef mit dem in
Szentandrási
den Ohren eines Wissenschaftlers
laden zum Medi-
provokant klingenden Satz: „Wer nicht
tieren und zum
an Wunder glaubt, ist kein Realist.“
Gebet ein. Der Autor positioniert sich zusamDer Autor, lang-
men mit seinem ehemaligen Chef
jährig Oberarzt
und persönlichen Freund Prof. Gall-
in der onkologi-
meier als ein Wissenschaftler, der
schen Abteilung
auch gegen Anfeindungen aus den
unter Leitung
eigenen Reihen diesen von der Natur
Anschließend entfaltet er in vier
von Prof. Walter Gallmeier, schildert
präsentierten Heilungsverläufen auf
Abschnitten die wesentlichen Dimen-
in seinem ausführlichen Vorwort und
den Grund gehen will.
sionen des Begriffes „Spontanre-
ersten Kapitel packend, wie es zum
mission“ im Kontext von bösartigen
1988/89 von der Deutschen Krebshilfe
So überschreibt er sein 2. Kapitel
Tumorerkrankungen:
initiierten Untersuchungsauftrag zur
bezeichnenderweise „Wunder in
Bewertung von unkonventionellen
der Medizin staunen und sich wun-
• Spontanremissionen in der Medi-
Behandlungsmethoden kam. Der
dern trauen“. Er verschafft Einblicke
zingeschichte,
Nürnberger Arbeitsgruppe „Biologi-
in das an seiner Nürnberger Klinik
• biologische Mechanismen, die
sche Krebsmedizin“ wurde schnell klar,
neu ins Leben gerufene Projekt zur
im Kontext von Spontanremissionen
dass ein Wirksamkeitsnachweis von
Untersuchung von unkonventionel-
diskutiert werden,
alternativen Krebstherapien – genauso
len Heilverfahren, insbesondere von
LITERATUR
2/2015 CHRISCARE
35
Spontanheilungen bzw. Spontan-
die Medizingeschichte. Gerade Krebs
onkologische Forschung wieder in
remissionen. Und in die schillernde
hat einen Geschmack von bedrohlich
die Breite. Standardisierte Klassifi-
Dynamik unterschiedlichster Reaktio-
und faszinierend, Krebsmedizin zwi-
zierungssysteme, Weiterentwicklung
nen des in den Medien präsentierten
schen Erfolg und
Anliegens. Von betroffenen Krebs-
völligem Ausge-
kranken, die sich neue Therapiewege
liefertsein. Dem
erhoffen. Von der Presse, die seriös
fortwährenden
wissenschaftlich oder reißerisch mit
Bedürfnis nach
Falschinformationen Leser oder Ein-
einem schlüs-
schaltquoten toppen wollen. Oder von
sigen Kausal-
Wissenschaftlern, die sehr gründlich
konzept stellt
zum Thema recherchierten, aber von
Kappauf deutlich
der „scientific community“ freundlich
die Grenzen der
lächelnd missachtet werden. Nicht
Medizin gegen-
zuletzt von „Therapeuten“, die mit
über:
ihren bekannten oder ausgefallen
Dr. med. Herbert Kappauf, Facharzt für Innere Medizin, Hämatologie und Internistische Onkologie, Palliativmedizin und Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Belegund Konsiliararzt am Klinikum Starnberg
wundersamen Verfahren schon längst
•
routiniert Krebs besiegen und unheil-
von Forschung
baren Krebserkrankungen gegenüber
und Krankenver-
entrückt sind. Und dem Autor ein
sorgung (from
„bescheidenes Eingeständnis seiner
bench to bedside)
scheinbaren Inkompetenz“ entlocken.
• die beherrschende Rolle der
supportiver Therapien, interessante
Medizintheorie gegenüber der
Neuerungen der Immunsystemfor-
Es folgen knapp gehaltene Über-
täglichen Erfahrung (jahrzehntelang
schung, Erkenntnisse der Psychoneu-
legungen zu „Wunder“ aus dem
dominierte die Mutationstheorie
roimmunologie und neue Offenheit
Blickwinkel der Religion/ Theologie,
(mutierter Zellklon verhält sich wie
für ungewöhnliche Genesungsver-
Wissenschaft und Philosophie.
eine Lawine, die einmal talwärts
läufe förderten die Bereitschaft, sich
Auch die Spannungen zwischen der
auf dem Weg nicht mehr zurück
auch rechts und links etablierter Wege
Hochschul- und Alternativmedizin
bergwärts redifferenzieren kann) die
mit Phänomenen auseinanderzuset-
kommen kurz zur Sprache.
Onkologie und verneinte streng die
zen. Internationale Beachtung fanden
Möglichkeit zur Redifferenzierung
die 1991 von der Deutschen Krebs-
Im folgenden Kapitel differenziert
entarteten Gewebes oder die schon
hilfe initiierte Konferenz von Experten
Dr. Kappauf die Begriffe Spont-
früh formulierte Virushypothese zur
zu Psychoneuroimmunologie und
anremission, Spontanregression,
Krebsentstehung)
Krebs in Starnberg und 1997 in Hei-
Spontanheilung. Er identifiziert sich
• die Bedeutung des Immunsystems
delberg das Symposium „Spontan-
mit der Definition von Eversone &
(Immunüberwachung...) zur Krebsent-
remissionen in der Onkologie“.
Cole zur „spontaneous remission of
stehung und Tumorbewältigung
die Trennung
occult diseases“ und erläutert die
In einem ausführlichen Kapitel inten-
in der Medizin üblichen Begriffe zur
Er zeigt auf, wie diese Einflüsse die
siviert Dr. Kappauf Sachinformationen
Beschreibung von Tumorverläufen
Forschungsvielfalt ausbremsten und
und die konkrete Auseinandersetzung
wie Voll- und Teilremissionen, „minor
damit auch die wissenschaftliche
mit den „Wundern, die möglich sind“.
response“ oder „stable disease“,
Aufarbeitung von Spontanremissio-
Er differenziert die Wahrscheinlich-
langsamer Progress.
nen an den Rand drängten.
keit für eine Spontanheilung nach
Sehr aufschlussreich, interessant und
In den siebziger Jahren des 20.
Tumore wie das kindliche Neuroblas-
spannend liest sich das Kapitel über
Jahrhunderts entwickelte sich die
tom, Nierenzellkarzinome, Malignome
Tumorart und zeigt, dass einige
36
LITERATUR
der Haut oder Lymphome eine deut-
Ebenfalls einen breiten Raum nehmen
Der „existentielle Geist“, der seine
lich höhere Spontanremissionsrate
die religiösen und psychologischen
Genesung vor allem einer deut-
aufweisen als andere, vor allem solide
Aspekte bzw. Untersuchungen im
lichen Veränderung seiner Ein-
Tumorarten. Nachgewiesen wurden
Kontext von Spontanremissionen ein.
stellungen und seines Verhaltens
sie aber bei sehr vielen Tumoren.
Auch wenn einzelne Kranke ihr Heil-
zuschreibt. Hier kann auch das
Immer wieder streut er konkrete
werden als „übernatürliches Eingrei-
religiöse (Wieder-)Erwachen eine
Krankheitsverläufe von Patienten aus
fen“ Gottes erlebt haben, beschränkt
größere Rolle spielen. Genesung
der eigenen Klinik oder aus dem Pool
Kappauf die religiöse Dimension
wird als eine „Geschichte der Got-
von zugesandten Berichten ein.
keinesfalls auf diesen Blickwinkel oder
tesgnade“ begriffen.
auf eine christliche Glaubenspraxis. Ab dem 6. Kapitel werden Kasuistiken,
„Religiöses Erwachen“ und „existen-
Der „selbst transformierende Geist“.
also Krankheitsverläufe, ausführlicher
tieller Wandel“ kann ein Krebskranker
Menschen, die die Krebserkrankung
geschildert und auch die Komplexität
im Raum der einen oder anderen Reli-
als integralen Bestandteil ihres
der zur Anwendung kommenden eta-
gion erfahren. Bei der Beschreibung
Lebens, Botschaft an sich selber
blierten Therapien. Dazu gehören wis-
psychologischer Faktoren lehnt sich
verstehen. Sie wollen nicht primär
senschaftlich umstrittene biologische
Kappauf an die Arbeit des renommier-
gesund werden, sondern versuchen
Therapieverfahren, zuwendungsorien-
ten japanischen Kulturanthropologen
die Zeichen der Krankheitsbotschaft
tierte Pflege, Psychotherapie und die
Hiroshi Oda an,
psychologischen Phasen der eigenen
der verschiedene
Krankheitsverarbeitung der Betroffe-
Reaktions- und
nen. Der Autor verschweigt nicht die
Verarbei-
unterschiedlichen, z.T. gegensätzlichen
tungsmuster
Interpretationen zu Verläufen der
beschrieb, die er
Krankheit und ihren z.T. ungewöhn-
bei von Lang-
lichen Heilungsverläufen. Manchmal
zeit – Spontan-
scheint es, als verbuche jede beteiligte
remissionen
Profession den Erfolg auf ihr Konto.
betroffenen
Dem stellt der Autor aktuelle Modelle
Krebskranken
zur Krebsentstehung und Krebsbewäl-
herausarbeiten
tigung auf medizinisch-biologischer
konnte:
Anzeige
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Haben Sie Berufserfahrung als Dialysepflegende/r?
als auch auf psychosozialer und •
Möchten Sie chronisch kranke Menschen
religiöser Ebene gegenüber. Er vertritt
Der „Kämpfer-
die These, dass sich unterschiedliche
geist“ – Men-
Wirkmechanismen durchaus ergän-
schen sehen die
zen können. Immer wieder flechtet er
Krankheit als
Beobachtungen zu Zusammenhängen
Eindringling von
zwischen Spontanremissionen, bio-
außen, den es
logischen Signalwegen zur Krebsbe-
mit verschiede-
wältigung und etablierten Therapien
nen, einander
und Persönlichkeit in ein Team von gläubigen
ein. So werden Spontanremissionen
ergänzenden
Christen einbringen?
speziell nach inkompletter operativer
Mitteln zu
Tumorentfernung beobachtet. Oder
bekämpfen gilt.
er deutet die wechselvollen Entwick-
Eine Änderung
lungen von Therapien an, die das
des Selbstkon-
Immunsystem zur Tumorregression
zeptes findet hier
nutzen (wollen).
nicht statt.
ganzheitlich betreuen? •
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Möchten Sie ihr Fachwissen, Ihre Erfahrung
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LITERATUR
zu verstehen, zu deuten und danach
dass ich bereits
zu leben. Heilung ist dann ein
aktiv nutzte. Das
Nebenprodukt der Transformation.
Buch inspirierte mich, in diesen
Seine im Rahmen der Nürnberger
Quellen weiter
Arbeitsgruppe für Biologische Krebs-
zu lesen und
therapie dokumentierten 21 Fälle von
noch tiefer in
Spontanremissionen teilte er hin-
dieses interes-
sichtlich der Krankheitsverarbeitung
sante Thema
in 4 Gruppen ein. Die zweite Gruppe
einzudringen.
von Oda teilte er in eine Gruppe, die
Als Querdenker
stärker den existentiellen Wandel
zwischen Natur-
unterstrich und eine, die die religiöse
heilkunde und
Deutung in den Vordergrund stellte.
Schulmedizin.
Die vierte Gruppe überschrieb er mit
Als jemand, der
„Verstricktes Beobachten“.
sich mit Patienten beschäftigt,
2/2015 CHRISCARE
37
Weissbuch Heilung Ja, dieses Buch lohnt die Lektüre, auch wenn sein Autor manches über einen Kamm schert, was der Christ gerne auseinander halten möchte. Ich habe selten so kompakt und eingängig gelesen, was es über die evidenzbasierte Medizin hinaus über heilende Faktoren zu wissen gibt. Der Medizinjournalist und ehemalige Krebspatient geht in seinem Buch den Fragen nach, wie sich Glaube und Vertrauen, soziale Netzwerke und andere weiche Faktoren auf die Gesundheit auswirken und wie sie Heilung fördern. Dabei präsentiert Langbein die jüngsten Forschungsergebnisse der Medizin. Kapitel wie „Dem Hirn heilen helfen“, „Erwartung heilt oder kränkt“, „Beziehung als Heilmittel oder Risiko“, sensibilisieren den Leser, auf die Dinge zu achten, die nicht in jedem Lehrbuch stehen. Der Autor bezeichnet sich als Atheist, der glaubt. Manche seiner Beispiele kommen aus dem esotherischen Bereich. Vielleicht ist das ein Zeichen, dass sich die Bedeutung Christlicher Heilkunde noch nicht überall herumgesprochen hat. Es ist aber auch eine Aufforderung an engagierte Christen, in diesem Bereich forschend aktiver zu sein.
Das Phänomen der Spontanre-
die in den eta-
mission, so resümiert Kappauf
blierten Pfaden
als Mediziner und Psychothera-
der Schul-
peut, gibt dem Kranken Hoffnung.
medizin oder
Auch sei ihm bewusst geworden,
der Heilpraxis
wie sehr sich die Denkwelten von
(gemeint ist
Kranken und ihren Ärzten oft unter-
die Erfahrungs-
scheide. Und nochmals betont er
medizin, die in
zum einen, dass es definitiv keine
Deutschland
Krebspersönlichkeit gebe. Dass die
durch Heilprak-
o.g. Muster von Bewältigungsstra-
tiker tradiert
tegien niemals in Reinform vorkom-
dem Patienten
men. Dass es auch keinen „gemein-
zur Verfügung
samen Nenner“ gebe, der eine
steht) alleine
„erfolgreichere“ Bewältigung der
nicht weiter-
Krankheit wahrscheinlicher mache.
kommen bzw.
In der Gruppe der ungewöhnli-
an ihre Gren-
chen Genesung gab es auch einen
zen stoßen. In
Betroffenen, der sein Leben so
dieser Heraus-
weiterführte wie bisher. Statistisch
forderung hilft mir das Buch, mich
turen geschaffen und jedes Leben
gesehen hat sich der überwiegende
ohne Vorurteile stets neu auf einen
segnen will. Ich glaube, dass ich hier
Teil jedoch aktiv mit der Erkrankung
einzigartigen Menschen mit einer
mit dem Autor eins bin. n
auseinandergesetzt. Zum anderen
individuellen Krankengeschichte
betonte er, dass die unerwarteten
einzustellen, der eine wohl dosierte
Reinhard Köller, Arzt
Therapieerfolge in der Medizin
und individuell komponierte Beglei-
für Allgemeinmedizin
mehr Aufmerksamkeit verdienen!
tung braucht. Dabei wünsche ich
und Naturheilverfah-
Frank Fornaçon
Kurt Langbein, Weissbuch Heilung, Wenn die moderne Medizin nichts mehr tun kann, Ecowin Verlag, 2015, 208 Seiten, ISBN-13 978-3-7110-0042-2, € (D) 22,95, SFr. 32.90
mir als Therapeut eine einladende
ren, Mitglied im bun-
Im Anhang findet sich ein sehr
Rückbindung an den Schöpfer, der
desweiten Leitungs-
ausführliches Quellenverzeichnis,
uns Menschen als lebendige Krea-
kreis CiG, Hamburg
38
LITERATUR
Für Sie gelesen Abschied von der freudigen Erwartung. Werdende Eltern unter dem wachsenden Druck der vorgeburtlichen Diagnostik „Vielleicht ist man sogar darauf angewiesen, im Kind von Anfang an eine verborgene Überraschung zu sehen und ein Geheimnis. Das ist etwas Entscheidendes; das Kind wird nicht bestellt, geliefert und gemustert, sondern das Kind ist eine Überraschung, eine Gabe, ein Geschenk, das uns auffordert, es anzunehmen.“ Giovanni Maio
und dem Kind zu dienen. Die Kehrseite der zunächst segensreichen Pränataldiagnostik zeigt sich aber darin, dass immer mehr Schwangerschaften als Problemfälle eingestuft werden, obwohl 97% der vorgeburtlichen Ultraschalluntersuchungen unauffällig sind. In der Realität werden aber in Deutschland von Seiten der Ärzte 70-80% der Schwangerschaften als Risikoschwangerschaften eingestuft.
Das Buch des Medizinethikers Professor Giovanni Maio, ein sehr überzeugender, klarer Arzt, ist ein mutmachendes Buch. Jede Hebamme oder Geburtshelferin sollte es haben und sich damit auseinander setzen. Aber auch für alle anderen, die sich mit Werten in der Medizin befassen, lohnt die Lektüre.
Maio beklagt den Verlust eines unbefangenen Umgangs mit der Schwangerschaft. Bei allem heute Machbaren in der Reproduktionsmedizin stellt er etwas ganz Entscheidendes heraus: Das Kind wird nicht bestellt, geliefert und gemustert oder ausgemustert, sondern das Kind ist eine Überraschung, eine Gabe, ein Geschenk, das man nicht verdienen kann. Dabei fordert er uns alle zu einer Grundhaltung der Demut auch im Angesicht eines Kindes im Mutterleib auf. Auch dann, wenn dieses Kind im Mutterleib behindert ist oder auch nur der Verdacht einer Behinderung besteht, ruft er zu bedingungsloser Bejahung des Kindes auf.
Er beschreibt u.a., dass der Sinn der Pränataldiagnostik darin besteht, die Schwangere psychisch zu entlasten
Bei allen Ängsten und Fragen der werdenden Eltern fragt der Mediziner: Wo sind die Ärzte, aber auch Freunde, Ver-
Barmherzigkeit provoziert Der Leiter des Qualitätsmanagements und der Leitbildkoordination der Franziskus-Stiftung in Münster legt mit dem schmalen Buch eine Spur: Wie findet gelebte Barmherzigkeit zeitbedingte Ausdrucksformen? Professor Fischer entfaltet das in vier Abschnitten. Er fragt nach der Bedeutung der Barmherzigkeit für christliche Dienstleistungsunternehmen, untersucht die Entwicklung einer Ordensgemeinschaft, überlegt, in wieweit christliche Werke wie ganz normale Unternehmen geführt werden müssen. Schließlich geht es um die anstehenden Veränderungen in christlichen Krankenhäusern und um die Bedeutung theologischer Arbeit für die Neuausrichtung. Frank Fornaçon
Michael Fischer, Barmherzigkeit provoziert, Vom heilenden Dienst zum kirchlichen Dienstleistungsunternehmen, Rheinbach, 178 Seiten, 2012, 2. Verb. Auflage, ISBN 978-3-87062-132-2, € (D) 15,00, SFr. 20.40
Hilfe für Helfer Am Anfang musste ich mich daran gewöhnen. Spiritualität wird von der Autorin sehr weit gefasst. Sie nutzt den Begriff für alle inneren Kraftquellen, die einem Menschen zur Verfügung stehen. Daher ist das Wort nicht unbedingt christlich gefüllt. Christine Behrends, Theologin, Sozialmanagerin und Transaktionsanalytikerin schöpft aus ihrem reichen Reser-
LITERATUR
wandte oder Kollegen, die diesen Paaren Mut machen und ihnen in ihrer schwierigen Lage Alternativen zur Abtreibung zeigen. Obwohl Prof. Maio als sehr hebammenfreundlich bekannt ist, hat er in seinem Buch diesen Berufsstand nicht in seinem Blickfeld, obwohl doch jede Schwangere von Anfang an einen Anspruch auf Hebammenhilfe hat und es deren Aufgabe ist, gerade diese Familien besonders zu betreuen. Prof. Giovanni Maio hat den Lehrstuhl für Medizinethik an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg inne und leitet dort ein eigenes Institut. Er ist sowohl Philosoph als auch Arzt mit einer langjährigen eigenen klinischen Erfahrung und der wortmächtige Befürworter einer neuen Medizinkultur der Besonnenheit. Für diese Besonnenheit danke ich ihm. Reinhild Bohlmann
Giovanni Maio, Abschied von der freudigen Erwartung, Werdende Eltern unter dem wachsenden Druck der vorgeburtlichen Diagnostik, Edition Sonderwege, Waltrop, 144 Seiten, ISBN 978-3-937801-93-3. Auch als eBook erhältlich. € (D) 9,80, SFr. 14.90
voir an Erfahrungen im Gesundheitswesen und bietet mit dem Buch einen ausgesprochen praxisnahen Leitfaden. Er ermöglicht Mitarbeitenden durch einfache Übungen, den Alltag erträglich zu gestalten. Dabei zeigt sie zum Beispiel, wie Rituale helfen können, den Alltag zu unterbrechen. Weitere Stärken sieht sie unter anderem im konzentrierten Tun, in Empathie und dem bewussten Achten auf den eigenen Körper. Ein eigenes Kapitel widmet sie dem Team in der Pflege. Wie geht man mit Perfektionisten, Verbissenen, Eiligen und Ungeliebten um? Die Lektüre hat sich für mich am Ende gelohnt. Ein hilfreiches Buch, vor allem, wenn man als Christ noch ein wenig weiter denkt. An Stelle eines kurzen Interventionsrituals könnte ja auch ein Stoßgebet treten, wenn man denn zu Beten versteht. Frank Fornaçon
Christine Behrens, Hilfe für Helfer, Wie Pflegekräfte ihre spirituellen Ressourcen nutzen können, Schlütersche, 2015, 133 Seiten, ISBN 978-3-89993-344-4, € (D) 16,95, SFr. 21.90
2/2015 CHRISCARE
39
Konflikte bewältigen „Die wenigsten Menschen streiten gern. Doch Konfikte sind wichtig und oft unumgänglich. Lösungsorientiert und fair ausgetragen bergen sie viel Neues: vertiefte Beziehungen, persönliches Wachstum und stärkende Klärung. Jeder kann lernen, zu streiten, Auseinandersetzungen nicht aus dem Weg zu gehen und gemeinsame, passende Lösungen zu finden. Ein anwendungsfreundliches und herausforderndes Training für einen sinnvollen Umgang mit Konflikten. Ein praktisches Geschenk für Mitarbeiter und zur gemeinsamen Arbeit in Gruppen.“ Selten habe ich ein Buch in einer so komprimierten, praktischen und guten Handhabung gesehen, das sicher dazu noch nachhaltige Auswirkungen im Alltag zeigt! Das kleine quadratische Büchlein (Quadro) inspiriert und begleitet durch den Tag mit 4 Impulsen pro Tag: ein prägnantes Zitat, ein anregender Denkanstoß, eine provokante Frage, ein praktischer Handlungsimpuls… Es ist dabei sehr hilfreich so aufgeteilt, dass der Leser oder Learner in konkreten und einfachen Schritten über einen Zeitraum von 4 Wochen für sich selbst einen großen Lernschritt gehen kann. Er erhält Hilfe, sein Verhalten in Konflikten zu erkennen und zu verstehen (Selbsterkenntnis) und seinen Umgang mit ihnen zu verändern (Handeln). Darin steckt ein großes Potential an Ermutigung, Ängste vor Konflikten werden abgebaut und Neues kann werden. Ideal für Menschen, die konstruktiv Konflikte lösen und dazu selbst etwas beitragen wollen. Eine klare Empfehlung, unverzichtbar im oft so trubeligen, zeitlich engen und daher auch konfliktträchtigen Arbeitsalltag aller unserer Gesundheitsberufe! Bettina Gundlach
Johannes Stockmayer, Konflikte bewältigen. Auseinandersetzungen konstruktiv gestalten, Down-to-earth Verlag, 2014, 40 Seiten, ISBN: 978-3-86270-857-4, € (D) 5,00
40
TERMINE + ANZEIGE + RECHTLICHES
Termine 10.10.: Brandenburg/Iller, Heilungsgebetstag (Lobpreis, Vortrag, Aussetzung, Beichtmöglichkeit, Hl. Messe mit Heilungsgebet und Einzelsegen), www.kloster-brandenburg.de
Tagungen, Seminare & Konferenzen 31.5. – 2.6.: Bern, 1st International Conference on Intercultural Spiritual Care and Counseling, Seelsorge in den Religionen, www.theol.unibe.ch/ipt/content/index_ger.html 13.6.: Brandenburg/Iller, Heilungsgebetstag (Lobpreis, Vortrag, Aussetzung, Beichtmöglichkeit, Hl. Messe mit Heilungsgebet und Einzelsegen), www.kloster-brandenburg.de 13.6.: Sießen, Ermutigungstag für Christen im Gesundheitswesen, www.cig-online.de 15. – 17.6.: Kloster Drübeck, Die heilende Kraft der Spiritualität entdecken, www.baptisten.de/akademie 18. – 21.6.: Dassel, Jahrestagung Christen im Gesundheitswesen, ,,Sehnsucht nach Alternativen – Gottes Geist eröffnet Wege“, www.cig-online.de 2. – 3.7.: Schwäbisch Gmünd, Resilienz – Trotz hoher Belastungen gesund und motiviert bleiben, www.schoenblick.de 10.7.: Hamburg-Harburg, Patientengottesdienst, www.cig-online.de 8. – 11.7.: Washington DC, 7th Annual Spirituality and Health Summer Institute, https://smhs.gwu.edu 18.7.: Raum Stuttgart, Workshop für Therapeuten, www.cig-online.de 19. – 22.8.: Woltersdorf/Berlin, Kreativität in der ärztlichen Praxis, www.medecinedelapersonne.org 17.9. – 15.10.: Sittensen, Patientenabende, www.cig-online.de 27.9.: Reinbek bei Hamburg, Patientengottesdienst, www.cig-online.de
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Abgabe einer Allgemeinpraxis Seit 40 Jahren wirtschaftlich erfolgreich geführte Allgemeinpraxis, gelegen in idyllischer Natur des Appeltals in der Pfalz, aus Altersgründen abzugeben. Geregelter Notdienst durch Bereitschaftsdienstzentrale gewährleistet. Kleine Ortsgemeinde in der Nordpfalz mit vielfältigen Freizeitmöglichkeiten in der Umgebung und gut funktionierender Infrastruktur. Christliche Gemeinde Chara ist vor Ort (u.a. Physiotherapeutische Praxis). Kontakt: DrHWKoch@yahoo.de
23. – 25.10.: Flensungen, Workshop für Hebammen, www.cig-online.de 29.10. – 1.11.: Schloss Craheim, Soaking – Stille im Sturm, www.cig-online.de 15.11.: Hamburg, Patientengottesdienst, www.cig-online.de 21.11.: Hamburg, Gott begegnen in Bewegung und Tanz, www.cig-online.de 4. – 9.2.16: Gnadenthal, Ökumenische Exerzitien, CiG-Akademie, www.cig-online.de
Impressum Herausgeber und Verlag: ChrisCare erscheint im Verlag Frank Fornaçon, Ahnatal, und wird von Christen im Gesundheitswesen e.V. herausgegeben. Chefredaktion: Frank Fornaçon (FF) (V.i.S.d.P.), Korrektorat Julia Eberwein. Die Beiträge wurden sorgfältig ausgewählt, dennoch übernimmt die Redaktion keine Haftung für die Inhalte. Verantwortlich ist der jeweilige Autor. Zur leichteren Lesbarkeit wird bei Begriffen, die männlich und weiblich gemeint sind, in der Regel eine gemeinsame Form verwendet, z.B. „Patienten“. Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Fotos übernimmt der Verlag keine Haftung. Copyright: Christen im Gesundheitswesen e.V., ChrisCare wird in CareLit ausgewertet: www.carelit.de Redaktionsanschrift: Verlag Frank Fornaçon, Am Gewende 34, 34292 Ahnatal, Deutschland, Tel.: (+49) (0) 56 09 806 26, Fornacon-Medien@web.de, www.verlagff.de Gestaltung: FRANK.COMMUNICATION., Werner-von-Siemens-Str. 25, 78224 Singen, Deutschland, www.frank-com.de Druck: Grafische Werkstatt von 1980 GmbH, Yorkstraße 48, 34123 Kassel, Deutschland Anzeigenverwaltung Deutschland und Österreich: Verantwortlich: Günther Gundlach, Christen im Gesundheitswesen e.V., Aumühle, Bergstraße 25, 21521 Aumühle, Tel.: (+49) (0) 4104 91 709 30, Fax: (+49) (0) 4104 91 709 39, info@cig-online.de, www.cig-online.de. Anzeigenverwaltung Schweiz: Verantwortlich: Niklaus Mosimann, SCM Bundes-Verlag (Schweiz), Rämismatte 11, Postfach 128, CH-3232 Ins, Tel.: (+41) (0) 43 288 80 15, werben@bvmedia.ch, www.bvmedia.ch. Es gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 1/2012. Trotz sorgfältiger Prüfung kann der Verlag keine Verantwortung für die veröffentlichten Anzeigen, Beilagen und Beihefter übernehmen. ChrisCare erscheint jeweils in der Mitte eines Quartals. Preise: Einzelheft € (D) 5,80, € (A) 6,00, SFr. (CH) 10.30. Jahresabonnement (4 Ausgaben) € (D) 19,20, € (A) 19,80, SFr. (CH) 31.30, jeweils zuzüglich Versandkosten. Anschriftenänderungen sind rechtzeitig vor Erscheinen des nächsten Heftes dem ChrisCare-Aboservice in Deutschland oder dem SCM Bundes-Verlag (Schweiz) in der Schweiz mitzuteilen. Die Post liefert Zeitschriften nicht automatisch an die neue Anschrift. Bestellungen aus Deutschland und Österreich: ChrisCare-Aboservice, Bergstraße 25, 21521 Aumühle, info@cig-online.de, Tel.: (+49) (0) 4104 917 09 30, Fax: (+49) (0) 4104 917 09 39, Vertrieb auch über die J.G.Oncken Versandbuchhandlung, Postfach 20 01 52, 34080 Kassel, Tel.: (+49) (0) 561 5 20 05-0, Zeitschriften@oncken.de Bestellungen aus der Schweiz: SCM Bundes-Verlag (Schweiz), Rämismatte 11, Postfach 128, CH-3232 Ins, abo@scm-bundes-verlag.ch, www.scm-bundes-verlag.ch, Tel.: (+41) (0) 43 288 80 10, Fax: (+41) (0) 43 288 80 11 Konto Deutschland: Christen im Gesundheitswesen, Evangelische Bank, IBAN: DE55520604100206416179, BIC: GENODEF1EK1 Konto Schweiz: Postkonto 85-622703-0, IBAN: CH90 0000 8562 2703 0, BIC: POFICHBEXXX ISSN 1869-9944 Heft 2/ 2015: Armut und Gesundheit Fotos: S.1 © Christine Rosenthal; S.11 © Roman_23203 / fotolia.com; S.14/15 © Andrea Diefenbach; S.17 © bramgino / fotolia.com; S.19 © Shooter / fotolia.com; S.21 Hotel La Strada in Kassel; S.22/23 © pogonici / fotolia.com; S.27 Copyright ThomasPlaßmann; S.28 Copyright Bundesregierung / Steffen Kugler; S.32 © Miriam Dörr / fotolia.com, © hywards / fotolia.com, © Dan Race / fotolia.com, © Hunor Kristo / fotolia.com; S.42 © Photographee.eu / fotolia.com; alle anderen Bilddaten: privat und FRANK.COMMUNICATION. Illustrationen: FRANK.COMMUNICATION. (www.frank-com.de) Texte: Rechte bleiben gewahrt Beilagen: Christlicher Gesundheitskongress Das Heft 3/2015 erscheint mit dem Thema „Kulturelle Vielfalt“ im August 2015.
2/2015 CHRISCARE 41 ChrisCare Abos!
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„ChrisCare ermutigt Christen, ihre Berufung in den unterschiedlichen Berufen des Gesundheitswesens zu entdecken und zu entfalten. Die Zeitschrift trägt dazu bei, die Bedeutung des Glaubens für die Medizin, die Pflege und andere therapeutische Angebote zu erkennen und in die fachliche Diskussion einzubringen. Dabei erwartet sie Anregungen aus allen Konfessionen.“
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Bestellungen an: D + A: ChrisCare-Aboservice, Bergstraße 25, D 21521 Aumühle, Telefon: (+49) (0) 4104 917 09 30, Fax: (+49) (0) 4104 917 09 39, info@cig-online.de, www.cig-online.de CH: SCM Bundes-Verlag (Schweiz), Rämismatte 11, Postfach 128, CH-3232 Ins, Tel.: (+41) (0) 43 288 80 10, Fax: (+41) (0) 43 288 80 11, abo@scm-bundes-verlag.ch, www.scm-bundes-verlag.ch
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1/2010 Heilkraft des Glaubens 2/2010 Macht und Ohnmacht
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4/2010 Heilen in einer multikulturellen Gesellschaft 1/2011 Besser miteinander 2/2011 Krisen bewältigen 3/2011 Am Lebensende 4/2011 Kraftquellen erschließen 1/2012 Spiritualität im Alltag 2/2012 Berufung – Karriere und das liebe Geld 3/2012 Existentiell herausgefordert 4/2012 Heilige Momente 1/2013 Die Kraft innerer Bilder 2/2013 Nähe und Distanz 3/2013 Der Seele Gutes tun 4/2013 An der Grenze 1/2014 Beruf und Lebensformen 2/2014 Leidenschaft im Dienst 3/2014 Der mündige Patient 4/2014 Aggression – was tun?
Ausgabe ist für Sie gratis. Empfängeradresse: Name: ......................................................................................... Adresse: .................................................................................... ..................................................................................................... Rechnungsadresse (Auftraggeber, nur bei Geschenkabo): Name: ......................................................................................... Adresse: .................................................................................... ..................................................................................................... E-Mail-Adresse: ......................................................................... ..................................................................................................... Datum: .................... Unterschrift: ..........................................
1/2015 Humor & Lebensglück Ihre Kollegen sollten ChrisCare auch kennenlernen. Bestellen Sie kostenlose Probehefte zum Weitergeben.
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TITELTHEMA
Der Umgang mit bettelnden Menschen Den Menschen sehen
Schicksalsschläge sind oft Auslöser für Obdachlosigkeit, Sucht und Armut
Wie kann ich auf bettelnde Menschen rund um die Jesuitenkirche verantwortlich reagieren? Die folgenden Hinweise können eine Hilfe sein.
Manchmal ist es für den Betroffenen schon eine Erleichterung, wenn er jemandem seine Geschichte erzählen kann. Hören Sie zu, wenn es Ihre Zeit erlaubt. Zugleich dür-
Menschen dürfen betteln. Es ist ein Menschenrecht.
fen Sie die nötige emotionale Distanz wahren.
Bettelnde Menschen „stören“, weil sie Armut sichtbar werden lassen, die in unserer Gesellschaft sonst verdeckt bleibt.
Sie allein entscheiden, ob und wie Sie helfen wollen. Lassen Sie sich nicht durch flehentliche Appelle oder dramatische Schilderungen unter Druck setzen, einen
Wie auch immer ich auf eine Bettelanfrage reagiere,
bestimmten Betrag zu spenden.
es entsteht eine Beziehung zwischen demjenigen, der fragt, und mir. Meistens weckt ein Bettler meine Emotio-
Ohne schlechtes Gewissen dürfen Sie auch Nein sagen.
nen, in welcher Weise auch immer. Nicht alles brauchen Sie sich gefallen zu lassen – Schön ist es, wenn ich in dem anderen die Person entdecken kann, dann ist er für mich nicht nur ein „Fall
wenn beispielsweise der andere beleidigend wird oder sich aggressiv zeigt, brechen Sie das Gespräch ab.
von Bedürftigkeit“, sondern ein Mensch. Im Evangelium lädt Jesus sogar dazu ein, im armen Menschen ihn selbst zu erkennen (vgl. Mt 25,35).
Die Unsicherheit, ob eine Hilfe wirklich sinnvoll ist, lässt sich nie ganz ausräumen. Letztlich dürfen Sie Ihr Herz sprechen lassen.
Versuchen Sie, im anderen den Menschen zu sehen – unabhängig davon, ob Sie etwas geben oder nicht und
Text eines Flugblatts der Jesuitenkirche Innsbruck,
wie der andere auf Sie wirkt.
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