Inhalt
Heft 1 | 2023
Schwerpunkt
Moderation: Grit Müller
2 Gesamtstädtisches Screening zur Identi kation von Verdachtsgebieten für die Ausweisung sozialer Erhaltungssatzungen –Das Beispiel Dresden
Jan Glatter
9 Screening umweltbezogener Ungerechtigkeit in Städten mit dem SUHEI-Modell – Das Anwendungsbeispiel Duisburg Myriam Vittingho , Daniel Simon, Heike Köckler
19 Das Stuttgarter Quartiersmonitoring Soziale Stadtentwicklung – Über die Entwicklung eines ämterübergreifenden, integrierten Beobachtungssystems Annette Hillerich-Sigg, Julian Noseck
27 Entwicklung eines Sozialindex mittels einer explorativen Hauptkomponentenanalyse Sören Werner, Kristina Kraus
32 Gewerbemonitoring in der Landeshauptstadt Hannover Katrin John
37 Sozialraummonitorings in der verwaltungsbezogenen Anwendung – Ergebnisse einer Nutzenden-Befragung in Berlin, Hamburg, Köln und Stuttgart
Tim Ott
46 Sozialmonitoring Integrierte Stadtteilentwicklung Hamburg –Ein Stadtbeobachtungssystem und seine Anwendung
Andreas Kaiser
52 Bildungsmonitoring im Bezirk Berlin-Mitte – Fünf Jahre Projekterfahrungen
Ulrike Rockmann
59 Funktionen der Innerstädtischen Raumbeobachtung – Perspektive der Kommunen und des Bundes Diana Andrä, Jürgen GöddeckeStellmann, Cornelia Müller
Stadtforschung
65 Babyboom durch COVID-19Pandemie? Eine Analyse des Geburtengeschehens in der Hansestadt Lübeck zwischen 2014 und 2021
Sophia Nestler
Statistik und Informationsmanagement
72 Neue Datenquellen und Methoden für die Stadtbeobachtung
Tobias Link
79 Statistiksatzung 2.0 –Der Weg zu einer modernen Statistiksatzung für die Stadt Kassel
Jürgen Wittig Entdeckt
85 Pandemie-Folgen – Gigantischer Reichtum einerseits, weltweit explodierende Ungleichheit und Armut andererseits
Hubert Harfst
86 Prognos Zukunftatlas
Hubert Harfst
87 The City – An Interdisciplinary Introduction to Urban Studies
Günther Bachmann
88 Dresden im Wandel –Kulturelle Repräsentationen und Soziale Transformationen
Günther Bachmann
STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 1|20231
Jan Glatter
Gesamtstädtisches Screening zur Identi kation von Verdachtsgebieten für die Ausweisung
sozialer Erhaltungssatzungen Das Beispiel Dresden
Die Anspannung der Wohnungsmärkte hat in vielen Städten zu einer Intensivierung der Aufwertungs- und Verdrängungsprozesse geführt. Ein Instrument, mit dem versucht wird, diese Folgen der Wohnungsmarktentwicklung zu begrenzen, ist die soziale Erhaltungssatzung. Für deren Anwendung ist jedoch eine fachliche Begründung erforderlich. Infolgedessen führen vielen Kommunen ein gesamtstädtisches Screening durch, um Verdachtsgebiete für die Ausweisung sozialer Erhaltungssatzungen zu identi zieren. Der Beitrag beschreibt das in Dresden entwickelte und angewandte Verfahren.
Satzungen zur Erhaltung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung sind ein Instrument des Städtebaurechts (§ 172 BauGB Abs. 1 Satz 1 Nr. 2) und werden auch als soziale Erhaltungssatzung oder Milieuschutzsatzung bezeichnet. Infolge der sich anspannenden Wohnungsmärkte haben soziale Erhaltungssatzungen seit 2010 eine deutliche Wiederbelebung erfahren. Nach eigenen Recherchen wenden derzeit mindestens 10 Kommunen soziale Erhaltungssatzungen in über 150 Quartieren an, weitere Städte bereiten ihre Anwendung vor oder diskutieren zumindest über deren Einführung.
Da es sich um ein baurechtliches Instrument handelt, muss der Schutz der lokalen Wohnbevölkerung städtebaulich begründet werden. Es geht daher nicht allein um den Schutz der Anwohner, sondern auch um die Vermeidung negativer städtebaulicher Folgen, die sich aus Veränderungen der lokalen Wohnbevölkerung eines Quartiers ergeben könnten. Zu den städtebaulich nachteiligen Folgewirkungen zählen insbesondere der Wegfall preiswerter Wohnungen, so dass diese an anderer Stelle im Stadtgebiet durch Ersatzwohnungen neu gescha en werden müssen, die Unterauslastung der lokalen Infrastruktur sowie eine verstärkte Segregation (sozialräumliche Ungleichverteilung), die in vielen Fällen mit sozialen Folgekosten – sogenannten Kontexte ekten – verbunden sein kann (empirica 2020: 53).
Die Ausweisung sozialer Erhaltungssatzungen bedeutet nicht, dass städtebauliche und sozialstrukturelle Verhältnisse „konstant gehalten“ oder gar „eingefroren“ werden. Zahlreiche gesellschaftliche Prozesse führen dazu, dass sich urbane Strukturen und damit auch Wohnquartiere kontinuierlich verändern. Das Instrument der sozialen Erhaltungssatzungen zielt daher darauf ab, überdurchschnittlich starke Verdrängungs- und Aufwertungsprozesse und die damit verbundenen städtebaulichen Folgen einzudämmen bzw. zu verlangsamen.
Dr. Jan Glatter
Geograph, seit 2015 Mitarbeiter im Amt für Stadtplanung und Mobilität der Landeshauptstadt Dresden, seit 2010 Sprecher des Arbeitskreises Geographische Wohnungsmarktforschung in der Deutschen Gesellschaft für Geogra e; Arbeitsschwerpunkte: Wohnungsmarktbeobachtung, Gentri zierung : jglatter@dresden.de
Schlüsselwörter:
Gentri zierung – Milieuschutz – Monitoring –Screening – soziale Erhaltungssatzung
Weil soziale Erhaltungssatzungen in die Rechte von Eigentümern eingreifen, müssen sie fachlich begründet werden. In vielen Fällen führt die Kommune dafür in einem ersten Schritt ein stadtweites Screening durch (auch Grobscreening genannt), mit dem anhand statistischer Daten die städtischen Teilräume selektiert werden, für die bauliche, immobilienwirtschaftliche und vor allem sozialstrukturelle Veränderungen erkennbar sowie sehr wahrscheinlich sind. In den meisten Kommunen erfolgen im Anschluss daran Detailuntersuchungen für die mittels Screening selektierten Verdachtsgebiete. Dabei werden durch Einwohnerbefragungen, Kartierungen und Experteninterviews weitere Merkmale der Verdachtsge -
2 STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 1|2023 Schwerpunkt Instrumente und Strategien der Stadtbeobachtung
biete dokumentiert, um die Ausweisung als Gebiet mit sozialer Erhaltungssatzung zu prüfen und ggf. zu begründen. Ergibt die Detailuntersuchung, dass die Voraussetzungen für eine soziale Erhaltungssatzung gegeben sind, wird die Erhaltungssatzung für das räumlich abgegrenzte Gebiet erstellt und politisch beschlossen. Für das dann bestehende Gebiet mit sozialer Erhaltungssatzung wird der Kommune ein Genehmigungsvorbehalt für den Abriss und Rückbau, für Modernisierungen sowie Nutzungsänderungen baulicher Anlagen und Immobilienveräußerungen eingeräumt. Liegt eine Landesverordnung zum Umwandlungsverbot vor, kann die zuständige Stelle auch die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen auf deren Vereinbarkeit mit den Satzungszielen prüfen. Die sozialen Erhaltungsatzungen gelten zumeist für fünf Jahre nach deren Ablauf eine mögliche Verlängerung erneut zu prüfen ist.
In vielen Kommunen ist die Ausweisung von Gebieten mit sozialer Erhaltungssatzung eine Reaktion auf den zunehmenden Gentri zierungsdruck (Riemann 2016, Roth 2018). Gentrizierung ist ein wissenschaftliches Konzept zur Beschreibung und Erklärung baulicher und immobilienwirtschaftlicher Quartiersaufwertungen, die mit einem beschleunigten Austausch und einer Verdrängung der bisherigen Bewohner einhergehen. Das heißt, Abriss-Neubau, Modernisierungen, Eigentümerwechsel und Mietsteigerungen führen dazu, dass sich ein Teil der angestammten Bevölkerung das Wohnen im Quartier nicht mehr leisten kann und in einen anderen Stadtteil umziehen muss (u.a. Friedrichs 1998, Holm 2012). Mit der seit 2010 deutlich steigenden Anspannung der Wohnungsmärkte haben sich auch die Aufwertungs- und Verdrängungsprozesse intensiviert, so dass von einer neuen Welle der Gentri zierung gesprochen werden kann (u.a. Glatter u. Mießner 2021).
In Dresden gibt es bisher keine Erfahrungen mit sozialen Erhaltungssatzungen. Im Jahr 2019 beauftragte jedoch der Stadtrat die Stadtverwaltung, die Anwendung des Instruments zu prüfen. Unter Federführung vom Amt für Stadtplanung und Mobilität der Landeshauptstadt Dresden wurde daher ein stadtweites Screening-Verfahren entwickelt, das auf den Modellen und Erfahrungen anderer Kommunen aufbaut (Landeshauptstadt Dresden 2021). Dieser Beitrag stellt das Dresdner Verfahren vor.
Methoden des Grobscreenings
Für die Vorgehensweise bei einem Grobscreening zur Selektion von Verdachtsgebieten zur Ausweisung sozialer Erhaltungssatzungen gibt es kein allgemeingültiges Verfahren. Auch das Baugesetz gibt keine klaren Prüfkriterien, Indikatoren oder Verfahrenshinweise vor. Für München wurde allerdings in den 1990er Jahren ein Verfahren entwickelt, das sich aufgrund seiner gerichtlichen Anerkennung als Vorbild etablierte (Landeshauptstadt München 2017). In München ist das Verfahren seit seiner Einführung mehrfach weiterentwickelt worden und inzwischen so weit anerkannt, dass sogar auf Detailuntersuchungen verzichtet wird. Weitere Städte, die Screenings anwenden sind Berlin, Hamburg, Köln, Frankfurt am Main, Freiburg, Leipzig, Karlsruhe, Darmstadt sowie Nürnberg. Im Aufbau be nden sich gesamtstädtische Screenings für Münster, Düsseldorf und Potsdam.
Ungeachtet der breiten Verwendung gibt es abgesehen von den Berichten der Anwenderstädte kaum eine fachlichfundierte Diskussion über die Methoden des Screenings. Zu diesem Schluss kam auch eine 2020 vom Institut empirica publizierte Studie, in der erstmals eine Diskussion über die Eignung diverser Variablen für die Voruntersuchung erfolgte (empirica 2020). Das Berliner Forschungs- und Beratungsbüro asum hat jüngst einen Leitfaden für die Durchführung von Voruntersuchungen erstellt und darin auch wesentliche Hinweise für Screenings formuliert (asum 2022).
In der Gentri zierungsforschung wird das Screening bisher nicht betrachtet, allerdings gibt es direkte Bezüge zum Konzept der Gentri cation-Map, bei dem anhand weniger Schlüsselindikatoren ein gesamtstädtischer Überblick über aktuelle Aufwertungs- und Verdrängungsprozesse erstellt wird (u. a. Holm u. Schulz 2016; Schulz 2019; Kadi et al. 2022).
Das Grobscreening der Stadt Dresden
Als Vorbild für das Screening-Modell der Stadt Dresden dienten insbesondere die Vorgehensweisen der Städte München und Leipzig (Landeshauptstadt München 2017 und 2020, Stadt Leipzig 2020). Um das Modell zu entwickeln und umzusetzen waren folgende Verfahrensschritte und Entscheidungen erforderlich:
-Festlegung des statistischen Raumbezugs,
-Erstellung eines Variablenmodells für die Datenerhebung,
-Abfrage bzw. Erhebung und Aufbereitung der Daten,
-Prüfung der Daten auf ihre Modellplausibilität,
-Bildung des Variablenmodells für die Index-Bildung,
-Modi kation der Variablen für die Index-Bildung,
-Bildung von Indizes,
-Auswertung und Interpretation der Ergebnisse.
Statistischer Raumbezug
Da es sich um eine gesamtstädtische Suche nach Verdachtsgebieten handelt, werden die Daten di erenziert nach städtischen Teilräumen erhoben. Auch hierfür gibt es kein allgemeingültiges Modell. In einigen Kommunen werden die Daten sehr kleinteilig erhoben – in München beispielsweise auf Ebene der Baublöcke. Generell spricht vieles für eine möglichst kleinräumige Erhebung. Der sind aber Grenzen gesetzt, da nicht alle relevanten Daten so kleinteilig vorliegen und kleine Gebiete häu g zu geringen Fallzahlen führen.
Für das Screening der Stadt Dresden wurden die Daten auf Ebene der 124 Sozialbezirke erhoben. Dabei handelt es sich um eine Raumebene des 2019 aufgebauten Sozialmonitorings der Landeshauptstadt Dresden. Die räumliche Abgrenzung orientiert sich an bestehenden Raumbezügen der amtlichen Statistik (Statistische Bezirke) sowie an möglichst homogenen städtebaulichen Strukturen. Die Größe der Sozialbezirke reicht von 900 bis 5.800 Wohnungen, wobei lediglich sieben Sozialbezirke mehr als 4.000 Wohnungen umfassen. Da Gebiete mit sozialer Erhaltungssatzung erfahrungsgemäß eine Mindestgröße von 1.500 Wohnungen aufweisen (Landeshauptstadt München 2017: 17), ist der gewählte Raumbezug für die Aufgabenstellung des Screenings, dem ja noch eine kleinräumige Analyse von Verdachtsgebieten folgen soll, weitgehend angemessen.
STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 1|20233
Schwerpunkt Instrumente und Strategien der Stadtbeobachtung
Variablenmodell für das Screening
Die Auswertung der Screening-Verfahren anderer Städte hatte ergeben, dass in die Modelle vor allem Daten zur Sozialstruktur sowie zum Wohnungs- und Immobilienmarkt eingehen. Dabei werden die Variablen zumeist zu inhaltlich ähnlichen „Dimensionen“ zusammengefasst. Das Münchner Modell unterscheidet beispielsweise die Dimensionen Aufwertungspotenzial, Verdrängungsgefahr, Gentri zierungsdruck und besondere Attraktivitätsfaktoren (Landeshauptstadt München 2020).
Für das Dresdner Modell wurden vier Dimensionen gebildet:
- das Aufwertungspotenzial, mit dem die Potenziale für eine bauliche und immobilienwirtschaftliche Aufwertung gemessen werden,
- das Verdrängungspotenzial, mit dem die Größenordnung verdrängungsrelevanter Bevölkerungsgruppen erfasst wird, - der Aufwertungsdruck, der bereits laufende bauliche und immobilienwirtschaftliche Aufwertungsdynamiken erfasst sowie - der Verdrängungsdruck, mit dem bereits bestehende Verdrängungsprozesse von Bevölkerungsgruppen erhoben werden sollen.
Die zu erhebenden Variablen sollten einen aktuellen Datenstand und einheitlichen Zeitbezug aufweisen. Für Dresden war das zum Zeitpunkt der Erhebung das Jahr 2018. Variablen zur Erfassung von Veränderungen beziehen sich auf die letzten drei bis fünf Jahre.
Um die Entwicklung in den statistischen Teilräumen vergleichbar zu machen, müssen die Daten mit den Werten der Gesamtstadt in Bezug gesetzt werden. Die Werte der Gesamtstadt gelten dann als „normal“ bzw. „durchschnittlich“, Stadtteile mit überdurchschnittlichen Abweichungen als „au ällig“. Einige Kommunen vergleichen die Quartiersentwicklungen auch mit größeren städtischen Teilräumen, zum Beispiel mit dem jeweiligen Stadtbezirk oder der Innenstadt. Das Screening-Modell der Stadt Dresden kontrastiert die Daten der Sozialbezirke mit der Gesamtstadt und mit der „Inneren Stadt“.
Die Erfahrungen mit Aufwertungsprozessen haben gezeigt, dass diese unter bestimmten Rahmenbedingungen deutlich seltener eintreten. Das ist beispielsweise der Fall, wenn es in einem Quartier sehr viele Eigenheime oder einen hohen Anteil genossenschaftlicher Wohnungen gibt. Aus diesem Grund wurden für das Screening der Stadt Dresden die Gebiete ausgeschlossen, die mindestens eines der folgenden Kriterien erfüllen:
- in dem Sozialbezirk gibt es weniger als 500 Wohnungen in Mehrfamilienhäusern,
- in dem Sozialbezirk sind mehr als 50 Prozent der Wohnungen in Mehrfamilienhäusern im Eigentum großer Wohnungsgenossenschaften,
- in dem Sozialbezirk liegt der Anteil der Wohnungen mit vertraglich vereinbarten Belegungsbindung an den Wohnungen in Mehrfamilienhäusern bei mehr als 50 Prozent.
Das Prüfverfahren auf diese drei Kriterien ergab, dass 27 Sozialbezirke Merkmale aufweisen, für die Verdrängungsprozesse eher unwahrscheinlich sind.
Auf den Ausschluss bestimmter Baualtersklassen, zum Beispiel Bauten der 1960er oder 1970er Jahre, wurde verzichtet. Der Grund liegt darin, dass sich ein großer Teil dieser Wohnquartiere im Eigentum privater Wohnungsunternehmen mit renditeorientierter Vermietungspolitik be ndet. Bauliche Aufwertungsprozesse und Verdrängungen sollten für diese Quartiere nicht von vornherein ausgeschlossen werden.
Erhebung und Aufbereitung der Daten Grundlage für die Datenerhebung war eine Liste mit 33 Variablen, die sich den vier zu untersuchenden Dimensionen zuordnen lassen. Die Erhebung erfolgte mittels Abfrage bei Fachämtern (u.a. Kommunale Statistikstelle, Gutachterausschuss für die Grundstückswertermittlung, Bauaufsichtsamt) und Datenbankauswertungen (u. a. Value-Marktdatenbank). Die Datenrecherche hatte ergeben, dass sechs Variablen nicht in auswertbarer Form vorliegen. Für die Auswertung standen daher 27 Variablen zur Verfügung.
Für einige Variablen waren umfangreiche Aufbereitungen erforderlich. So wurden die Daten zum Immobilienmarkt (Kau älle, Kaufpreise) auf Ebene der Bodenrichtwertzonen übergeben und die Daten zu den Abgeschlossenheitsbescheinigungen auf Ebene der Flurstücke. Diese Variablen waren aufwändig auf die Bezugsebene der Sozialbezirke zu übertragen.
Prüfung der Daten auf ihre Modellplausibilität Nach der Datenaufbereitung war die Eignung der Variablen für die Messung der vier Dimensionen zu prüfen. Die erste Eignungsprüfung untersuchte, ob die Ausprägungen der Variablen tatsächlich auf ein Aufwertungspotenzial, eine Verdrängungsgefahr etc. hinweisen. Zu diesem Zweck erfolgte eine Korrelationsanalyse, bei der die statistischen Zusammenhänge zwischen allen Variablen einer Dimension berechnet werden. Variablen, die innerhalb einer Dimension einen negativen Zusammenhang aufweisen, eignen sich nicht für das Berechnungsmodell. So ergab die Korrelationsanalyse für die Dimension des Verdrängungsdrucks keinen sinnvollen Zusammenhang zwischen der Variable Zunahme des Anteils der Einwohner mit Migrationshintergrund und den anderen Variablen. Aus diesem Grund fand diese Variable im Dresdner Modell keine Berücksichtigung.
Eine zweite Eignungsprüfung untersuchte, ob sich die Variablen in ihren Ausprägungen nicht zu ähnlich sind. Haben zwei Variablen eine fast gleichlaufende Ausprägung, messen sie zumeist das gleiche Phänomen, so dass auf eine der beiden Variablen verzichtet werden kann. In der Analyse der Dresdner Daten bestand ein sehr hoher Zusammenhang zwischen dem Anteil der Haushalte mit drei und mehr Kindern sowie dem Anteil der Kinder im Sozialbezirk. Aufgrund des hohen statistischen Zusammenhangs wurde daher die Variable Anteil der Kinder im Sozialbezirk bei der Berechnung des Verdrängungsdrucks aus dem Modell genommen.
Variablenmodell für die Index-Bildung
Nach Aufbereitung und Prüfung der Daten standen für die Index-Bildung insgesamt 18 Variablen zur Verfügung.
4 STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 1|2023
Schwerpunkt Instrumente und Strategien der Stadtbeobachtung
Schwerpunkt Instrumente und Strategien der Stadtbeobachtung
Wohnungszustand Anteil der unsanierten Wohnungen am Wohnungsbestand 2018
Angebotsmieten Di erenz zwischen Angebotsmiete im Sozialbezirk zum Mittelwert für Dresden 2018 (nur für Bestandswohnungen bis Baujahr 2009)
13,7%
7,37Euro/m²
Angebotsmieten
Bestand zu Neubau Di erenz zwischen der Angebotsmiete für Bestandswohnungen (Baujahr bis 2009) und für Neubauwohnungen im Sozialbezirk (ab 2010) im Vergleich zur Preisdi erenz zwischen Bestand- und Neubaumieten in der Gesamtstadt 2018
Preise für Eigentumswohnungen
Verdrängungspotenzial
Kaufpreis für sanierte Eigentumswohnungen im Bestand (ohne Neubau der letzten drei Jahre) 2018 im Vergleich zum städtischen Mittel
-3,13Euro/m²
1.975Euro/m²
einkommensschwache
Einwohner*innen Anteil der einkommensschwachen Haushalte – bestehend aus der Gruppe der Regelleistungsberechtigten nach SGB II, SGB XII und Arbeitslosen – an allen Einwohnern 2018
Alleinerziehende Anteil der alleinerziehenden Haushalte an allen Haushalten 2018
mit KindernAnteil der Kinder bis unter 18 Jahren an allen Einwohnern 2018
Bewohner Anteil der Bewohner im Alter ab 65 Jahren an allen Einwohnern 2018
10,8%
der Einwohner*innen mit Migrationshintergrund an allen Einwohnern 201812,1%
der Baugenehmigungen im Bestand (Um- und Ausbau) 2016 bis 2018 an Wohnungen bis Baujahr 1990
der Gebäude mit Abgeschlossenheitsbescheinigungen an allen Wohngebäuden im Mehrfamilienhausbau 2014 bis 2018
Wohnungsverkäufe Anteil der Wohnungsverkäufe sanierter Eigentumswohnungen 2014 bis 2018 am Wohnungsbestand
Änderung der Angebotsmieten Veränderung der Angebotsmieten für alle Wohnungen von 2014 zu 2018 im Vergleich zur Gesamtstadt +0,94Euro/m²
Änderung der Angebotsmieten im Bestand Veränderung der Angebotsmieten für Bestandwohnungen (Baujahr bis 2009) von 2014 zu 2018 im Vergleich zur Gesamtstadt
Änderung der KaufpreiseVeränderung der Kaufpreise für Eigentumswohnungen im Bestand (ohne Neubau der letzten drei Jahre) als Vergleich der Mittelwerte für 2014 bis 2016 und 2016 bis 2018 im Vergleich zur gesamtstädtischen Entwicklung
Verdrängungsdruck
Änderung einkommensschwache Einwohner*innen
Änderung der Familienhaushalte
+0,72Euro/m²
+167Euro/m²
Änderung des Anteils der einkommensschwachen Einwohner – bestehend aus der Gruppe der Regelleistungsberechtigten nach SGB II, SGB XII und Arbeitslosen – von 2014 zu 2018 -2,5%
Änderung des Anteils der Haushalte mit drei und mehr Kindern von 2014 zu 2018+0,3%
Modi kation der Variablen für die Indexbildung
Vor der Auswertung waren noch mehrere Schritte der DatenModi zierung erforderlich. In einem ersten Schritt wurden die Variablen mittels Z-Transformation standardisiert. Diese Standardisierung ist erforderlich, damit die Variablen unabhängig von ihrer Maßeinheit (Anzahl, Anteil etc.) und ihrer Größenordnung (Anteile von 0 bis 100, geringe oder hohe Spannen) in gleicher Wertigkeit in die Analyse eingehen. Erst so ist es möglich, unterschiedliche Variablen mittels Addition zu Indizes zu aggregieren.
Die zweite Modi kation richtete die Ausprägungen der Variablen einheitlich aus, so dass ausschließlich positive Abweichungen von Null auf Aufwertungs- und Verdrängungstendenzen hinweisen. Stadtteile mit geringen Angebotsmieten
weisen beispielsweise eine negative Di erenz zum städtischen Mittel auf, würden also eigentlich mit negativem Vorzeichen in die Indexbildung eingehen. Aus diesem Grund musste für diese Variable die Skala gespiegelt werden, so dass die negativen Werte zu positiven Werten wechseln.
In einem dritten Schritt wurden die transformierten Werte, die kleiner als Null sind, auf Null gesetzt. Daraus ergibt sich der Vorteil, dass bei der Bildung des Summenindex ausschließlich positive Werte eingehen. Gehen die Werte ohne diese Kappung bei Null ein, können Variablen mit negativen Werten die Daten mit positiven Abweichungen „neutralisieren“. Mit diesem methodischen Schritt wird das Screening möglichst „sensibel“ auf die positiven Abweichungen und damit auf die Identi kation von Aufwertungs- und Verdrängungsprozessen eingestellt.
STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 1|20235
Städtisches Mittel
Tabelle 1: Dimensionen und Variablen des Screenings
Aufwertungspotenzial
4,2% Haushalte
16,7%
Aufwertungsdruck BaugenehmigungenAnteil
4,3% Baufertigstellungen Anteil
6,0% Abgeschlossenheitsbescheinigungen Anteil
2,1%
3,7%
ältere
21,7% MigrationshintergrundAnteil
der Baufertigstellungen im Bestand (Um- und Ausbau) 2014 bis 2018 an Wohnungen bis Baujahr 1990
Als vierte Modi kation erfolgte für transformierte Werte über +2 eine Kappung auf diesen höchsten Wert. In Kombination mit der Kappung bei Null weist damit jede Variable eine einheitliche Spanne von 0 bis maximal 2 auf.
Bildung der Indizes
Nach der Modi kation der Daten erfolgte die abschließende Indexbildung. Die Variablen jeder Dimension wurden zu einem Summenindex addiert und durch die Anzahl der enthaltenen Variablen dividiert. Diese Berechnung hält den Index bei einer Spanne von 0 bis 2, wodurch die Ergebnisse der vier Dimensionen vergleichbar sind.
Abschließend wurden für die Bewertung der so gebildeten Summenindizes acht Klassen gebildet und mit einer verbalen Bewertung versehen.
-1,75 bis 2,00… extrem hohes Potenzial
-1,50 bis unter 1,75… sehr hohes Potenzial
-1,25 bis unter 1,50… hohes Potenzial
-1,00 bis unter 1,25… deutlich erhöhtes Potenzial
-0,75 bis unter 1,00… erhöhtes Potenzial
-0,50 bis unter 0,75 … leicht erhöhtes Potenzial
-0,25 bis unter 0,50… geringes Potenzial
-0,00 bis unter 0,25 … sehr geringes Potenzial
Auswertung und Interpretation der Ergebnisse
Soziale Erhaltungssatzungen sind erst dann zu rechtfertigen, wenn ein Zusammenhang zwischen baulich-immobilienwirtschaftlicher Aufwertung und sozialem Wandel besteht. Für das Prüfverfahren sind die Dimensionen daher nicht isoliert zu betrachten, sondern in Kombinationen miteinander.
Eine erste Betrachtung untersucht den Zusammenhang zwischen dem Aufwertungs- und Verdrängungspotenzial. Dadurch können Sozialbezirke identi zieren werden, die hinsichtlich ihrer baulich-immobilienwirtschaftlichen sowie ihrer sozialstrukturellen Merkmale unterdurchschnittliche Werte bzw. eine Lücke zum Dresdner Mittel aufweisen. Um eine Interpretation des Zusammenhangs zwischen den Dimensionen zu ermöglichen, wurde ein XY-Diagramm erstellt, wobei die X-Achse das Aufwertungspotenzial und die Y-Achse das Verdrängungspotenzial abbildet (Abb. 1).
Die Gegenüberstellung des Aufwertungs- und Verdrängungspotenzials zeigt, dass es einige Sozialbezirke gibt, die in beiden Dimensionen hohe Werte aufweisen. Das sind hauptsächlich Quartiere des industriellen Wohnungsbaus und mit sozialen Problemlagen. Ein großer Teil dieser Quartiere gehörte oder gehört zu Programmgebieten der Sozialen Stadt. Es sind also die Quartiere, für die sozialstrukturelle Aufwertungen eher angestrebt als verhindert werden sollen.
Im zweiten Schritt werden der Aufwertungs- und Verdrängungsdruck kombiniert, um Sozialbezirke mit bereits laufenden baulich-immobilienwirtschaftlichen sowie sozialstrukturellen Entwicklungsdynamiken zu identi zieren (Abb. 2).
Die Gegenüberstellung des Aufwertungs- und Verdrängungsdrucks ergab für vier Sozialbezirke überdurchschnittliche Werte. Diese Quartiere weisen aktuell eine hohe Bautätigkeit im Bestand und Neubau auf, was auf ein hohes Investitionsinteresse hindeutet. Für die Innere Altstadt lässt sich der Investitionsdruck durch die zentrale Lage und die Projekte um den Wiederaufbau des Dresdner Neumarktes erklären. Die anderen drei Sozialbezirke sind Quartiere mit
Abbildung 1: Zusammenhang zwischen Aufwertungs- und Verdrängungspotenzial
Südvs.-West (Budapester Str.)
Prohlis-Nord (Jacob-Winter-Platz)
Gorbitz-Süd (Ost)
Prohlis-Süd (Finsterwalder Straße)
Gorbitz-Süd (West) Stetzsch/Kemnitz
CossebaudeSüd/Oberwartha/Mobschatz
6 STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 1|2023 Schwerpunkt Instrumente und Strategien der Stadtbeobachtung
Johannstadt-Nord (Plattenbau) Johannstadt-Südwest Am Jägerpark (Plattenbau) Pieschen-Süd Trachenberge Wilschdorf, Hellerau Leuben/Dobritz-Süd
Prohlis-Nord (Dohnaer Platz)
0,00 0,25 0,50 0,75 1,00 1,25 1,50 1,75 2,00 0,000,250,500,751,001,251,501,752,00 Verdrängungspotenzial Aufwertungspotenzial sehr gering gering leicht erhöht erhöht dtl. erhöht hoch sehr hoch gering leicht erhöht erhöht sehr gering deutlich erhöht hoch sehr hochextrem hoch
Schwerpunkt Instrumente und Strategien der Stadtbeobachtung
Abbildung 2: Zusammenhang zwischen Aufwertungs- und Verdrängungsdruck
Pieschen-Nord (Riesaer Str.)
Pieschen-Nord (Trachenberger Str.)
Pieschen-Süd/Ost
Preußisches Viertel/Radeber
Leipziger Vorstadt Nord
Innere Neustadt (Hoyerswerdaer Str.)
Leipziger Vorstadt Süd
Alttrachau Übigau
Löbtauer Straße/Ostragehege
Innere Altstadt
Striesen-Ost (Ost)
Wilsdruffer Vs. (Schweriner Str.)
Wilsdruffer Vs. (Rosenstr.)
Leuben/Dobritz-Süd
Abbildung 3: Gegenüberstellung des Aufwertungs- und Verdrängungspotenzials mit dem Aufwertungs- und Verdrängungsdruck
Aufwertungs- und Verdrängungsdruck
sehr hoch
Löbtauer Straße/Ostragehege
Innere Neustadt (Hoyerswerdaer Str.)
Leipziger Vorstadt Süd Alttrachau
Innere Altstadt
Pieschen-Nord (Riesaer Str.)
Wilsdruffer Vs. (Rosenstr.)
Leuben/Dobritz-Süd
Wilsdruffer Vs. (Schweriner Str.)
Prohlis-Süd (Finsterwalder Straße) Südvs.-West (Budapesterstr.)
Am Jägerpark (Plattenbau)
Prohlis-Nord (Jacob-Winter-Platz)
hoch
dtl. erhöht
erhöht
leicht erhöht
gering
gering leicht erhöht erhöht sehr gering deutlich erhöht hoch sehr hochextrem hoch sehr gering
0,000,250,500,751,001,251,501,752,00 Aufwertungs- und Verdrängungspotenzial
STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 1|20237
Altlöbtau 0,00 0,25 0,50 0,75 1,00 1,25 1,50 1,75 2,00 0,000,250,500,751,001,251,501,752,00 Aufwertungsdruck Verdrängungsdruck sehr gering gering leicht erhöht erhöht dtl. erhöht hoch sehr hoch gering leicht erhöht erhöht sehr gering deutlich erhöht hoch sehr hochextrem hoch
Altlöbtau 0,00 0,25 0,50 0,75 1,00 1,25 1,50 1,75 2,00
überwiegend gründerzeitlicher Bebauung und größeren Freiächen, die Potenzial für bauliche Nachverdichtung bieten.
Um die Kombination aller vier Dimensionen zu prüfen, wurden die beiden Dimensionen Aufwertungs- und Verdrängungspotenzial sowie Aufwertungs- und Verdrängungsdruck durch Mittelwertbildung zu jeweils einem Index zusammengefasst. Zur Interpretation der Ergebnisse dient erneut ein XY-Diagramm (Abb. 3).
Die Kombination der vier Dimensionen zeigt, dass kein Sozialbezirk im oberen rechten Quadranten des Diagramms liegt. Damit hat keines der untersuchten Quartiere zugleich ein hohes Aufwertungs- und Verdrängungspotenzial sowie einen hohen Aufwertungs- und Verdrängungsdruck.
Für die Sozialbezirke „Altlöbtau“ und „Löbtauer Straße/ Ostragehege“ besteht ein hoher Aufwertungs- und Verdrängungsdruck, wohingegen die Potenziale für die bauliche Aufwertung und Verdrängung nur leicht überdurchschnittlich sind. Die überdurchschnittliche Aufwertungsdynamik weist auf fortschreitende städtebauliche und sozialstrukturelle Veränderungsprozesse hin, so dass für diese Sozialbezirke Detailuntersuchungen zur Vorbereitung sozialer Erhaltungssatzungen empfohlen wurden.
Um die Ergebnisse des Screenings für die Sozialbezirke nachvollziehbar zu machen, wurden diese anhand von Steckbriefen aufbereitet, die eine Karte, allgemeine Gebietsinformationen, die Daten der 18 in das Modell eingehenden Variablen sowie die Indexwerte der vier Dimensionen enthalten.
Zusammenfassung und Schlussfolgerungen
Das für die Stadt Dresden entwickelte Screening zu Identikation von Verdachtsgebieten für soziale Erhaltungssatzungen ist ein statistisches Monitoring, um möglichst frühzeitig Stadtteile mit Aufwertungs- und Verdrängungsprozessen zu erkennen. Das Dresdner Modell baut auf den Erfahrungen anderer Städte auf, die seit den 1990er Jahren vergleichbare
Literatur
asum (2022): Leitfaden zur Erstellung von Untersuchungen zur Überprüfung der Anwendungsvoraussetzungen des §172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB. Berlin.
empirica (2020): Aussagekräftige Kriterien zum Erlass sozialer Erhaltungssatzungen. Endbericht. Berlin. online https://www.empirica-institut.de/ leadmin/Redaktion/Publikationen_Referenzen/PDFs/2019057_Endbericht_lektoriert_end.pdf
Friedrichs, Jürgen (1998): Gentri cation. In: Häußermann, Hartmut (Hrsg.): Großstadt. Soziologische Stichworte. Opladen, S. 57–66. Glatter, Jan; Mießner, Michael (2021): Gentrizierung und ihre Erforschung im deutschsprachigen Raum. Historische Entwicklungen. In: dies. (Hrsg.): Gentri zierung und Verdrängung. Aktuelle theoretische, methodische und politische Herausforderungen. Bielefeld, S. 33–54. Holm, Andrej (2012): Gentri cation. In: Eckardt, Frank (Hrsg.): Handbuch Stadtsoziologie. Wiesbaden, S. 661–687.
Holm, Andrej; Schulz, Guido (2016): GentriMap: Ein Messmodell für Gentri cation und
Verfahren entwickelt haben und anwenden. In dem Modell werden 18 Variablen anhand von Indizes zu vier Dimensionen zusammengefasst. In der Auswertung werden die Zusammenhänge zwischen den Dimensionen untersucht, um die Gebiete zu extrahieren, bei denen sich bereits laufende bauliche und immobilienwirtschaftliche Aufwertung sowie Verdrängungsprozesse und gleichzeitig Potenziale für weitere bauliche Aufwertungen und sozialstrukturelle Veränderungen zeigen. Das Modell liefert plausible Ergebnisse. Die Stärken des statistischen Ansatzes liegen vor allem darin, auch die Aufwertungsgebiete zu erkennen, die in ö entlichen Debatten um Verdrängung und Gentri zierung weniger au allen.
Das Screening kann die Daten jedoch immer nur retrospektiv betrachten und läuft der Entwicklung daher hinterher. Um die Veränderungsprozesse dennoch zeitnah zu erfassen, ist das Screening in regelmäßigen Abständen zu wiederholen – am besten jährlich, aber spätestens nach drei bis fünf Jahren. Auf diese Weise entsteht ein kontinuierliches Monitoring, mit dem die Stadtverwaltung und die Gremien der Stadtpolitik eine aktuelle und fundierte Datengrundlage erhalten, um über die Ausweisung sozialer Erhaltungssatzungen zu entscheiden.
Auch wenn das Screening-Modell plausible Ergebnisse bietet, ist das Modell nicht als abgeschlossen zu betrachten. Die in das Modell eingehenden Variablen sollten weiterhin einer Eignungsprüfung unterliegen. Zudem wäre die Aufnahme zusätzlicher Variablen zu erproben. So gehen in das Screening der Stadt München „zusätzliche Attraktivitätsfaktoren“ ein, wie beispielsweise die Nähe zu großen Grün- und Frei ächen oder die Nähe zu städtebaulich bedeutsamen Neubauprojekten mit potenziellen Ausstrahlungse ekten. Weitere denkbare Variablen sind die Zweckentfremdung von Wohnraum durch Ferienwohnungen, die Neubautätigkeit in Baulücken (Nachverdichtung) und die Umzugsmobilität.
In jedem Fall lohnt sich ein stärkerer interkommunaler Austausch über die Screening-Verfahren und eine engere Verknüpfung mit der Gentri zierungsforschung.
Verdrängung. In: Helbrecht, Ilse (Hrsg.): Gentri zierung in Berlin: Verdrängungsprozesse und Bleibestrategien. Bielefeld, S. 287–318.
Kadi, Justin; Banabak, Selim; Schneider, Antonia (2022): Eine indikatorenbasierte Identi kation von Gentri zierungsgebieten in Wien. In: Wirtschaft und Gesellschaft 48, 1, S. 23–56.
Landeshauptstadt Dresden, Amt für Stadtplanung und Mobilität (Hrsg.)(2021): Gesamtstädtisches Screening zur Identi kation von Verdachtsgebieten für die Ausweisung sozialer Erhaltungssatzungen. Dresden.
Landeshauptstadt München, Referat für Stadtplanung und Bauordnung (2017): Erhaltungssatzungen in München. 30 Jahre Milieuschutz (1987–2017). München.
Landeshauptstadt München, Referat für Stadtplanung und Bauordnung Stadtplanung (2020): Überprüfung und Erlass von Erhaltungssatzungen nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB im Stadtbezirk 25 – Laim, Sitzungsvorlagen Nr. 14-20/V 17686. München.
Riemann, Charlotte S. (2016): Baurechtliche Instrumente gegen Gentri zierung. Wiesbaden.
Kommunal- und Schul-Verlag. (= Wissenschaft und Praxis der Kommunalverwaltung, Band 16)
Roth, Andrea (2018): Die Wirksamkeit des Einsatzes der sozialen Erhaltungssatzung in Verbindung mit dem Umwandlungsvorbehalt gegen die städtische Gentri zierung - Eine sinnvolle Alternative für die hessische Kommune Frankfurt am Main? Dissertation an der Hessischen Hochschule für Polizei und Verwaltung. Mühlheim am Main.
Schulz, Guido (2019): Messung von aufwertungsbedingter Verdrängung in Berlin mithilfe räumlich statistischer Methoden. In: Beran, Fabian; Nuissl, Henning (Hrsg.): Verdrängung auf angespannten Wohnungsmärkten. Ludwigsburg: Wüstenrot Stiftung, S. 44–54. Stadt Leipzig, Dezernat Stadtentwicklung und Bau (2020): Gesamtstädtische Voruntersuchung zum Einsatz von Sozialen Erhaltungssatzungen. Beschlussvorlage Nr. VI-DS-05896. Leipzig.
8 STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 1|2023 Schwerpunkt
Instrumente und Strategien der Stadtbeobachtung
Myriam Vittingho , Daniel Simon, Heike Köckler
Screening umweltbezogener Ungerechtigkeit in Städten mit dem SUHEI-Modell
Das Anwendungsbeispiel Duisburg
Das Spatial Urban Health Equity Indicators (SUHEI) Modell erlaubt es, gesundheitsrelevante Determinanten in einem innerstädtischen Vergleich darzustellen und Teilräume mit besseren gesundheitlichen Bedingungen von solchen mit schlechteren zu unterscheiden. Neben einem Screening von Einzelindikatoren ist auch eine Betrachtung von Mehrfachbelastungen sowie ein Bezug zu Bevölkerungsgruppen, die im Hinblick auf die Umweltfaktoren vulnerabel sind, möglich. Das SUHEI-Modell wird für die
Stadt Duisburg mit verschiedenen Indikatoren angewendet und umweltbezogene Verteilungsungerechtigkeiten deutlich.
Als Umweltindikatoren wurden für die Analyse zwei Stressoren –Lärm und Hitzebelastung – sowie zwei Ressourcen – Grün- und Blauräume – ausgewählt, die dann in einer Mehrfachbelastungsanalyse mit dem Vulnerabilitätsmerkmal SGB-II-Quote in Bezug gesetzt und kartogra sch dargestellt wurden.
Myriam Vittingho
Bachelor in Gesundheitsdaten und Digitalisierung an der Hochschule für Gesundheit im Department of Community Health, studiert derzeit im Master eHealth an der Hochschule Flensburg, arbeitet in verschiedenen Projekten zu digitalen Methoden partizipativer Sozialraumanalyse, hat in ihrer Bachelorarbeit das SUHEI-Modell für die Stadt Duisburg angewendet und um das Thema Wasser in der Stadt erweitert.
: mvittingho @hs-gesundheit.de
Daniel Simon
wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand am Department of Community Health der Hochschule für Gesundheit in Bochum, Forschungsschwerpunkt: gesundheitsfördernde Stadtentwicklung, Potenziale digitaler Partizipationsmethoden.
: daniel.simon@hs-gesundheit.de
Prof. Dr. Heike Köckler
Professorin für Sozialraum und Gesundheit im Department of Community Health der Hochschule für Gesundheit in Bochum, Forschungsschwerpunkte: gesundheitsfördernde Stadtentwicklung, umweltbezogener Gerechtigkeit, hat 2013 das SUHEI-Modell gemeinsam mit Dr. Johannes Flacke von der UT Twente entwickelt.
: heike.koeckler@hs-gesundheit.de
Schlüsselwörter:
StadtGesundheit – SUHEI-Modell – Umweltgerechtigkeit –Urban Health – Vulnerabilität
In der gleichen Stadt zu wohnen, bedeutet nicht, die gleichen Lebensverhältnisse zu teilen. Im Ballungsraum des Ruhrgebiets können sozioökonomische sowie umweltbezogene Verteilungen beobachtet werden, die sich geogra sch verorten lassen und quer durchs Ruhrgebiet verlaufen. Sie teilen diese Städteregion in einen deprivierten Norden und einen ökonomisch besser gestellten Süden. Die Autobahn A40 stellt hier die Grenze zwischen Nord und Süd dar und trägt daher den Beinamen „Sozialäquator“ (Jeworutzki et al. 2017: 33; Kersting et al. 2009: 142–145). Soziale Ungleichheit und ungleiche Lebensverhältnisse schlagen sich in verschiedenen Faktoren nieder, auch in Morbidität und Mortalität der Bevölkerung. Die während der Industrialisierung gewachsenen Strukturen haben auch eine Bedeutung für aktuelle Themen wie die Klimawandelfolgen. So sind die Folgen des Klimawandels nicht für alle Menschen in allen Lebensverhältnissen gleich. Mehrfachbelastungen sowie unterschiedliche Vulnerabilität in der Bevölkerung gegenüber Hitze, bspw. aufgrund von Vorbelastungen oder Alter, sind zu berücksichtigen (Köckler 2020). Die Betrachtung sozialer Ungleichheit im Hinblick auf Umweltfaktoren wird mit dem Begri der umweltbezogenen Ungerechtigkeit umschrieben, wobei umweltbezogene Gerechtigkeit ein Leitbild ist, das verfolgt wird (Köckler 2017). Häu g wird auch der Begri Umweltgerechtigkeit verwendet (Bolte et al. 2012). Die Beschäftigung mit der Thematik wird im Hinblick auf Städte und mit Fokus auf die menschliche Gesundheit unter dem Begri StadtGesundheit behandelt. Dieser Zugang legt demnach nahe, sich mit diesen ungleichen Verteilungen und deren Bewertung auseinanderzusetzen und sie unter dem Aspekt gleichwertiger Lebensverhältnisse zu betrachten (Baumgart et al. 2018: 48).
STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 1|20239 Schwerpunkt Instrumente und Strategien der Stadtbeobachtung
In diesem Beitrag wird eine Methode zu einem indikatorenbasierten räumlichen Screening umweltbezogener Ungerechtigkeit für Städte anhand bestehender kommunaler Daten beschrieben. Den theoretischen Rahmen liefert das Spatial Urban Health Equity Indicators Model (SUHEI-Modell). Das SUHEI-Modell wurde bereits mehrfach kontextbezogen angewendet (Flacke et al. 2016; Köckler et al. 2020). In diesem Beitrag werden erstmals Wasser ächen als gesundheitsbezogene Ressource in die Analyse einbezogen.
Im Folgenden werden das SUHEI-Modell im Allgemeinen, die GIS-basierte Methodik seiner Anwendung sowie die Integration von Wasser ächen neben weiteren Indikatoren am Beispiel der Stadt Duisburg als konkrete Anwendung des Modells dargelegt. Der Beitrag endet mit einer Diskussion über Nutzen, Grenzen und Entwicklungsmöglichkeiten des Modells.
Umweltbezogene Ungerechtigkeit erfassen
Ein Modell zur Erklärung gesundheitlicher E ekte von umweltbezogener Ungerechtigkeit ist das Modell von Bolte et al. (2012) (Abb. 1). Das Modell zeigt, dass die soziale Lage sowohl die lokale Lebensumwelt, in der jemand lebt, als auch die individuelle Vulnerabilität dieser Person beein usst. Verschiedene
Faktoren bestimmen sowohl die lokale Lebensumwelt als auch die individuelle Vulnerabilität. Vulnerabilität beschreibt die Verletzlichkeit eines Individuums oder einer Community in einer spezi schen Situation. Die verfügbaren Ressourcen und Lebensverhältnisse sind entscheidend dafür, wie vulnerabel eine Person ist, also wie gut sie mit dieser Situation umgehen kann (Blaikie 1994; Cutter 2006; Christmann et al. 2011). Nur wenn eine Belastung oder Ressource orts- und zeitgleich auf Bevölkerung tri t, also Teil der Lebensumwelt einer Person ist, ist von einer Exposition zu sprechen. Eine Über utung eines nicht bewohnten Auengebiets ist Teil des Ökosystems, während die Über utung im Ahrtal im Jahr 2021 zur Exposition der dortigen Bevölkerung geführt hat und die Vulnerabilität individuell, aber auch strukturell hoch war.
Das SUHEI-Modell
Das in Abbildung 2 dargestellte SUHEI-Modell (Spatial Urban Health Equity Indicators) (Flacke und Köckler 2015; Flacke et al. 2016) wurde als theoretischer Rahmen für ein indikatorenbasiertes Screening unter besonderer Berücksichtigung sozialer Ungleichheiten bei Gesundheit und Umwelt konzipiert. Es verknüpft – auf den städtischen Kontext bezogen – umweltbezogene und soziale Determinanten von Gesundheit in Form räumlicher Indikatoren und dient diesbezüglich als Screening-
Abbildung 1: Modell des Zusammenhangs zwischen sozialer Lage, Umwelt und Gesundheit
Quelle: Bolte et al. 2012: 26 (Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Hogrefe Verlags, vormals Hans Huber)
10 STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 1|2023 Schwerpunkt Instrumente
Strategien der Stadtbeobachtung
und
Werkzeug für gerechtigkeitsgeleitete räumliche Planung. Das SUHEI-Modell basiert auf dem DPSEEA-Indikatorenmodell (Driving Force, Pressure, State, Exposure, E ect, Action) (Briggs & WHO 1999; Morris et al. 2006, zur Ableitung siehe Flacke und Köckler 2015).
In Anlehnung an das Modell des Zusammenhangs zwischen sozialer Lage, Umwelt und Gesundheit in Abbildung 1 stehen drei Typen von Zustandsindikatoren im Zentrum des SUHEI-Modells: Umweltstressoren, Umweltressourcen und vulnerable Bevölkerung. Umweltstressoren und -ressourcen bilden lokal relevante umweltbedingte Belastungen ab, wie schlechte Luftqualität, Hitze oder Lärm, und Ressourcen wie Grün- oder Wasser ächen. Je nach Planungskontext können andere Indikatoren relevant sein. So sind für eine Spielleitplanung andere Grün ächen als Ressourcen zu betrachten als für Klimaanpassung. Für die Klimaanpassung können Friedhöfe und begrünte Straßenbahnschienen relevant sein, die beide als Spiel ächen auszuschließen sind.
Die vulnerable Bevölkerung wird durch Indikatoren der sozialen Lage, wie zum Beispiel Anteil der Personen mit Migrationshintergrund oder Einkommensverteilung pro Raumeinheit, abgebildet. Da viele Kommunen in Deutschland keine ächendeckenden Datenbestände zu den in Abbildung 1 dargestellten Indikatoren individueller Vulnerabilität haben, repräsentieren die Indikatoren sozialer Lage die Vulnerabilität der Bevölkerung gegenüber Umweltbelastungen.
Dem Leitbild umweltbezogener Gerechtigkeit folgend lässt sich innerhalb einer Stadt eine unverhältnismäßige Exposition bestimmter sozioökonomischer Gruppen zu ausgewählten Umweltbelastungsfaktoren und fehlenden Ressourcen abbilden. Diese Belastungen und Ressourcen werden ausgewählt, da sie in epidemiologischen Studien als bedeutende Gesundheitsdeterminanten nachgewiesen wurden (bspw. Landrigan et al. 2017; Watts et al. 2015). Das SUHEI-Modell dient somit nicht dem erneuten Nachweis gesundheitlicher Wirkungen
einzelner Determinanten und enthält keine Gesundheitsindikatoren zu Mortalität und Morbidität. Diese können in der Diskussion von Ergebnissen berücksichtigt werden.
Aufgrund der Relevanz von Mehrfachbelastungen bietet das Modell auch die Möglichkeit, diese basierend auf den Einzelindikatoren darzustellen und ins Verhältnis mit exponierter Bevölkerung zu setzen. Um als einfaches Screening Tool einsetzbar zu sein und die Themen umweltbezogene Gerechtigkeit und soziale Ungleichheit bei Umwelt und Gesundheit in den kommunalen Kontext zu integrieren, wird mit kommunal verfügbaren Daten gearbeitet. Das Ziel des SUHEI-Modells ist somit nicht, einen kommunalen Vergleich anzustellen, sondern eine dem spezi schen Planungskontext und der lokalen Datenverfügbarkeit entsprechende Analyse bereitzustellen.
Stressoren und Ressourcen werden durch Ein ussfaktoren (Driving-Force im DPSEEA-Modell) wie zum Beispiel Verkehrsbelastung auf verschiedenen räumlichen Ebenen determiniert und führen im Ergebnis zu einer spezi schen Exposition. Die folgende Analyse fokussiert auf die Darstellung von Verteilungsungerechtigkeit in Duisburg. Die Bedeutung der einzelnen Ein ussfaktoren wird nicht dargestellt.
Zur generellen Anwendung des SUHEI Modells Ausgehend von dem in Abbildung 1 skizzierten Modell sowie dem Anspruch, relative Ungleichverteilung von Umweltfaktoren in einer Stadt abzubilden, wird in Anwendung des SUHEIModells das folgende Vorgehen gewählt (Abb. 3).
In einem ersten Schritt werden Indikatoren zur Beschreibung des Zustands von Ressourcen und Stressoren für Teilräume der Stadt berechnet. Hierbei werden jeweils Flächenanteile des betrachteten Indikators je Raumeinheit ermittelt, zum Beispiel: der Anteil einer verlärmten Fläche in Prozent der Fläche des betrachteten Teilraums. Zur Ermittlung bestimmter Umweltbelastungsindikatoren werden gängige Richt- und Grenzwerte verwendet, wie etwa der Flächenanteil, der mit Lärm von mindestens 70 dB(A) Lden belastet ist (MUNLV 2008). Indikatoren der sozialen Lage werden als Quote mit dem jeweiligen Merkmal zur Gesamtbevölkerung der Raumeinheit ermittelt.
In einem zweiten Schritt wird jeder der betrachteten Indikatoren für sich über Quartile kategorisiert. Umweltstressoren werden von 1 = Belastung gering bis 4 = Belastung sehr hoch klassi ziert, Umweltressourcen genau andersherum (1 = Anteil sehr hoch, 4 = Anteil gering). So kann im Sinne umweltbezogener Verteilungsungerechtigkeit die relative Belastung verschiedener Teilräume verglichen werden. Indikatoren der sozialen Lage werden entsprechend von 1 (= wenig vulnerabel) bis 4 (= sehr stark vulnerabel) klassi ziert.
In einem dritten Schritt werden die über Quartile klassizierten Umweltindikatoren aufaddiert, um so Mehrfachbelastungen zu erfassen. In Abhängigkeit von der Anzahl der verwendeten Indikatoren wird die Mehrfachbelastung dargestellt. Werden beispielsweise vier Indikatoren verwendet, wäre ein Raum mit 16 Punkten maximal mehrfachbelastet, wohingegen ein Raum mit nur vier Punkten aus allen Kategorien zu den am wenigsten belasteten Räumen zählt. Der so ermittelte IndexWert sagt weder etwas über die Wechselwirkung der einzelnen Indikatoren aus noch über die Überschreitung gesetzlicher
STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 1|202311 Schwerpunkt Instrumente und Strategien der Stadtbeobachtung
Abbildung 2: Das Spatial Urban Health Equity Indicators Modell (SUHEI)
Quelle: Köckler et al. 2020: 101 (Abdruck mit freundlicher Genehmigung der IZR-Nachrichten)
Abbildung 3: Ermittlung der Mehrfachbelastung im SUHEI Modell
Grenzwerte, sondern bildet den relativen Vergleich im Hinblick auf gesundheitsrelevante Stressoren und Ressourcen innerhalb der Stadt ab. Über die Standardisierung der Quartilsbildung pro Indikator ist die Integration zu einem Index für umweltbezogener Mehrfachbelastung methodisch vertretbar.
In einem abschließenden vierten Schritt werden etwaige soziale Ungleichheiten in der Mehrfachbelastung abgebildet. Dazu wird die ächenhafte Kartendarstellung der Mehrfachbelastung in vier Klassen mit der Punktdarstellung der Vulnerabilität der Bevölkerung in Form eines ausgewählten Indikators der sozialen Lage überlagert.
Die Stadt Duisburg
Die kreisfreie Stadt Duisburg liegt im Dreieck zwischen dem westlichen Ruhrgebiet, der Region Niederrhein und dem Rheinland. Die industrielle Historie prägt das Stadtgebiet noch heute kontrastreich: Die Eisen- und Stahlindustrie bietet tausende Arbeitsplätze, rund 13% der Bevölkerung arbeiten in der Metallerzeugung und -bearbeitung (Stadt Duisburg 2021a). Stillgelegte Werke wurden zu Industriedenkmälern umgewidmet und bieten Platz für Erholung, Tourismus und Kultur, der Landschaftspark-Nord ist überregional bekannt. Die Duisburger Häfen sind Logistikdrehscheibe zwischen europäischer See und Land und prägen das Stadtbild nicht nur im Hafenstadtteil Ruhrort. Das Stadtgebiet zählt mehr als zwanzig Seen, zahlreiche Wälder und Naturschutzgebiete. Die rund 500.000 Einwohner*innen gelten jedoch im Vergleich zum Bundesdurchschnitt als arm, mit einem verfügbaren Pro-KopfEinkommen von 17.741 Euro belegt Duisburg den vorletzten
Quelle: Köckler et al 2020: 102 (Abdruck mit freundlicher Genehmigung der IZR-Nachrichten)
Platz der Einkommensstatistik vor Gelsenkirchen (Seils und Pusch 2022). Auch die SGB-II-Quote liegt über dem nordrheinwestfälischen Durchschnitt (Bundesagentur für Arbeit 2022). Als sozioökonomisch benachteiligt gelten in Duisburg meist die Stadtteile, die als ehemalige Hütten- und Bergbausiedlungen besonders vom Strukturwandel betro en waren.
Anwendung des SUHEI-Modells in Duisburg
Für die Anwendung des SUHEI-Modells boten sich aufgrund der Struktur von Duisburg und der Datenverfügbarkeit gleich vier gesundheitsrelevante Umweltindikatoren als Berechnungsgrundlage an: Lärm, Hitzeinseln, Grün ächen und Blauräume. Als Indikator der sozialen Vulnerabilität wurde die SGB-Quote zum Stichtag 31.12.2020 einbezogen. Die Berechnungen erfolgten über die Geoinformationssoftware QGIS 3.22.9 auf Ortsteilebene (N = 46) mit Datensätzen von der Stadt Duisburg, aus dem Open-Data-Portal der Stadt Duisburg und vom Regionalverband Ruhr.
Ausgewählte Indikatoren
Als Stressoren wurden Straßenverkehrslärm und Hitzebelastung in die Analyse einbezogen, als Ressourcen Grün ächen und Wasser ächen. In der vorliegenden Studie diente die SGB-II-Quote als Indikator der Dimension ‚Soziale Lage‘ und repräsentiert somit Bevölkerung, die gegenüber Umweltbelastungen vulnerabel ist. Die verwendeten Einzelindikatoren und ihre Operationalisierung sowie Datenquellen sind in Tabelle 1 abgebildet.
12 STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 1|2023 Schwerpunkt Instrumente und Strategien der Stadtbeobachtung
Schwerpunkt Instrumente und Strategien der Stadtbeobachtung
Tabelle 1: Indikatoren, Operationalisierung und Datenquellen
IndikatorLagemaßa Lagemaß ausformuliertb FlächenanteilDatenquelle
1.lnfraquartilbereich inklusive 1. Quartil
1.lnterquartilbereich inklusive 2. Quartil/Median
2.lnterquartilbereich inklusive 3. Quartil
3.Supraquartilbereich
gering mittel hoch sehr hoch
Stadt Duisburg, Umweltamt, Stand 2017
Blauräume (Ressource) ≤Q1 >Q1≤Q2 >Q2≤Q3 >Q3
SGB-II-Quote (Vulnerabilität) ≤Q1 >Q1≤Q2 >Q2≤Q3 >Q3
1.lnfraquartilbereich inklusive 1. Quartil
1.lnterquartilbereich inklusive 2. Quartil/Median
2.lnterquartilbereich inklusive 3. Quartil
3.Supraquartilbereich
1.lnfraquartilbereich inklusive 1. Quartil
1.lnterquartilbereich inklusive 2. Quartil/Median
2.lnterquartilbereich inklusive 3. Quartil
3.Supraquartilbereich
1.lnfraquartilbereich inklusive 1. Quartil
1.lnterquartilbereich inklusive 2. Quartil/Median
2.lnterquartilbereich inklusive 3. Quartil
3.Supraquartilbereich
1.lnfraquartilbereich inklusive 1. Quartil
1.lnterquartilbereich inklusive 2. Quartil/Median
2.lnterquartilbereich inklusive 3. Quartil
3.Supraquartilbereich
Räumliche Bezugsebene Ortsteil (N=46).
a Lagemaß: Quartil ,Q‘, Q2=Median
b ausformulierte Lagemaße nach Kutschmann et al. 2022
Straßenverkehrslärm
Straßenverkehrslärm kann zu gesundheitlichen Schädigungen führen, unabhängig davon, in welcher Intensität er subjektiv wahrgenommen wird (Arndt 2012: 85 .). Neben Hörschädigungen und Tinnitus kann Straßenverkehrslärm beispielsweise Ursache für Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Bluthochdruck oder Myokardinfarkt sein und zahlreiche weitere Erkrankungen begünstigen (WHO 2018: 30–48). Lärmpegelreduktionen um 10 dB(A) können bereits signi kante Verbesserungen bewirken (Babisch 2014).
Im Rahmen der Umgebungslärmrichtlinie der EU sind umfangreiche Lärmkartierungen erforderlich, der in diesem Zusammenhang erhobene Lärmindex STR-LDEN stellt einen über alle 24 Stunden des Tages und den Verlauf eines Berichtsjahres gemittelten Dauerschallpegel des Straßenverkehrslärms in Dezibel (dB[A]) dar (Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen 2020). Da Straßenverkehrslärm eine wesentliche urbane Lärmquelle ist und auch in Duisburg die größte Lärmbelastung darstellt (Stadt Duisburg 2021b), wurde dieser Indikator ausgewählt.
Hitzebelastung
Starke Hitzebelastung kann insbesondere bei Kleinkindern oder alten Menschen gravierende gesundheitliche E ekte hervorrufen, die sich im drastischsten Fall durch steigende Sterberaten abzeichnen oder akute Gesundheitsfolgen wie Hitzschlag oder Sonnenstich zu Folge haben (Kemen & Kistemann 2019: 116 f.). Steigende Temperaturen aufgrund klimatischer Veränderungen bringen zahlreiche gesundheitliche Folgen mit sich, für die Städte und der Gesundheitssektor gewappnet sein sollten (Huber et al. 2020: 9). Die Hitzebelastung wurde anhand vom Regionalverband Ruhr kartogra erter Hitzeinseln ermittelt (Snowdon und Rauch 2010).
gering mittel hoch sehr hoch
Stadt Duisburg, Open Data Portal, Hitzeinseln, Stand 2010 Grünräume
gering mittel hoch sehr hoch
gering mittel hoch sehr hoch
gering mittel hoch sehr hoch
Grün ächen
Regionalverband Ruhr (RVR) Flächennutzungskartierung, Stand 2019
Regionalverband Ruhr (RVR) Flächennutzungskartierung, Stand 2019
Stadt Duisburg, Umweltamt, Stand 31.12.2020
Grün ächen stellen eine gesundheitliche Ressource im städtischen Raum dar und umfassen vor allem unbebaute Vegetations ächen im Stadtgebiet (Rittel et al. 2014: 15). Grün ächen sind beispielsweise Parks, Wälder oder Friedhöfe oder punktuelle Begrünung in Form von Straßenbäumen, Straßenbegleit- oder Bauwerksgrün (ebd.; Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit [BMUB] 2015: 7). Urbanes Grün kann vielfältigen positiven Ein uss auf die Gesundheit der Stadtbevölkerung haben, beispielsweise die Lebensqualität erhöhen und zu Bewegung anregen und somit das Risiko für stressbedingte oder kardiovaskulären Erkrankungen senken (Brei und Hornberg 2009; Rittel et al. 2014: 18–21, 65 .; Claaßen und Bunz 2018). Erreichbarkeit von und Zugang zu Stadtgrün sind ausschlaggebend für die gesundheitliche Wirkung und haben auch im Rahmen der Corona-Pandemie an sozialer Bedeutung gewonnen (Ptock 2016; Claßen und Bunz 2018; Kleinschroth und Kowarik 2020). Zur Betrachtung von gleichberechtigter Allokation der Grün ächen im Stadtgebiet i. S. v. Umweltgerechtigkeit werden daher Flächen mit einer Pu erzone von 400 Metern in die Analyse einbezogen, die ö entlich nutzbar und unabhängig von Privateigentum zur Verfügung stehen.
Blauräume
Auch Gewässer – oder Blauräume – als sichtbares sowie erlebbares Inventar einer Stadt können gesundheitsschützende bzw. -fördernde Wirkung haben: Neben Klimaregulation, Durchlüftung und Schadsto reduzierung können sie Lärmbelastungen mindern und als Freizeit- und Erholungs ächen dienen sowie zur Stressminderung beitragen (Kistemann und Völker 2014: 8; Kistemann 2018; Völker und Baumeister 2020: 114; Beute et al. 2021). Duisburg liegt an Rhein und Ruhr, das
STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 1|202313
Lärm (Stressor) ≤Q1 >Q1≤Q2 >Q2≤Q3 >Q3
Hitze (Stressor) ≤Q1 >Q1≤Q2 >Q2≤Q3 >Q3
(Ressource) ≤Q1 >Q1≤Q2 >Q2≤Q3 >Q3
Stadtbild wird durch den größten Binnenhafen der Welt mit seinen zahlreichen Hafenbecken und den zum Wohn- und Freizeitgebiet umgewidmeten Innenhafen geprägt; im gesamten Stadtgebiet bieten mehr als 20 Seen Raum für Freizeit, Sport und Erholung. In die Analyse wurden daher Blauräume mit gesundheitsförderndem oder -schützendem Potenzial eingebunden – wie ießende Gewässer, Seen und Teiche, Kanäle und Hafengewässer – auch hier wurde ein Erreichbarkeitspuffer von 400 Metern einkalkuliert.
Ergebnisse der Einzelanalysen
Im Folgenden werden die Berechnungsergebnisse der be trachteten Indikatoren dezidiert betrachtet und beschrieben. Die einzelnen Indikatoren wurden, wie oben ausgeführt, be rechnet. Die kartogra sche Grundlage der Beschreibung ndet sich in Abbildung 4.
Umweltindikator (a): Straßenverkehrslärm
Im relativen Vergleich sehr hoch lärmbelastete Ortsteile durch Straßenverkehr im 24-Stunden Mittel (L östlichen Stadtrand in Form einer Nord-Süd-Achse mit zwei Ausläufern in Richtung Westen. In diesen Bereichen wird das Stadtgebiet von den Autobahnen A3 und A59 (Nord-Süd) sowie A40 und A42 (West-Ost) durchquert, die an vier Auto bahnkreuzen im Stadtgebiet aufeinandertre en. Ausgehend von diesem, durch Verkehrslärm sehr hoch belasteten Cluster,
Abbildung 4: Kartogra sche Darstellung der Einzelanalysen
vermindert sich die Lärmbelastung in Richtung Norden, Süden und Westen. Hier liegen überwiegend hohe bis mittlere Lärmbelastungen vor. Die relativ am geringsten von Verkehrslärm betro enen Ortsteile nden sich im äußeren Südwesten und Nordwesten der Stadt. Jene Bereiche sind in (unmittelbarer) Nähe des Rheins gelegen und grenzen teilweise an größere unbebaute Flächen. Der prozentuale Anteil lärmbelasteter Fläche je Monitoringraum ist im Ortsteil Alt-Walsum mit 5 % am niedrigsten, im nahe der Autobahn A3 gelegenen Bissingheim mit 94% am höchsten, der Median (Q2) liegt bei 43 % lärmbelasteter Fläche je Raumeinheit.
Kartogra sche Bearbeitung: lvlyriam Vittingho , Daniel Simon Grün ächen, Wasser ächen (2019): Regionalverband Ruhr
Lärmkarte STR Lden (2017), Hitzeinseln (2010, CC BY 3.0 DE), Ortsteile (2019, CC BY 3.0 DE): Stadt Duisburg
Schwerpunkt Instrumente und Strategien der Stadtbeobachtung
Umweltindikator (c): Grün ächen
Die Ortsteile mit den geringsten Grün ächenanteilen konzentrieren sich im geogra schen Zentrum Duisburgs. Darin enthalten sind das Stadtzentrum (Altstadt 12%) sowie das Gebiet des Binnenhafens. Weiter nördlich ndet sich ein weiteres Cluster von drei Stadtteilen und geringer Grün ächenversorgung. Ortsteile der mittleren Versorgungsklasse bilden eine zentrale Nord-Süd-Achse, die die gering versorgten Ortsteile umschließt. Am westlichen, östlichen und südlichen Stadtrand existiert jeweils ein Cluster mit relativ hohen Grün ächenanteilen, während die Ortsteile der höchsten Versorgungsklasse eher vereinzelt in den Randbezirken vorzu nden sind. Die Ortsteile der höchsten Versorgungsklasse (bis zu 70% in Mündelheim und Rahm) beherbergen häu g Wald ächen sowie Dauerwiesen, Weiden und Ackerland, während sich Parkanlagen und Dauergärten über das Stadtgebiet verteilen und vereinzelt auch in gering versorgten Gebieten gelegen sind.
Umweltindikator (d): Blauräume
Hinsichtlich der Blauräume in Duisburg lässt sich eine Teilung entlang der Nord-Süd-Achse der Stadt erkennen. So sind Ortsteile mit geringen und mittleren Wasser ächenanteilen fast ausschließlich im Osten der Stadt zu nden, Ortsteile mit hohen und sehr hohen Anteilen hingegen deutlich überwiegend im Westen Duisburgs. Im Nordosten spannen gering versorgte Gebiete einen zusammenhängenden Bogen (Wasser ächenanteil max. 1%), dem sich südlich ein Cluster von Ortsteilen der mittleren Versorgungsklasse anschließt. Hoch versorgte Bereiche sind über das Stadtgebiet verteilt, konzentrieren sich jedoch vorrangig im Süden und Südwesten. Die am besten versorgten Gebiete liegen allesamt direkt am Rhein. Zudem zählt dazu das im geogra schen Zentrum der Stadt gelegene Hafenareal (Ruhrort 23%), ferner ein Stadtteil im Südwesten, in dem sich mehrere Seen nden.
Sozialindikator: SGB-II-Quote
Im Kontext des SUHEI-Modells wird das bevölkerungsbezogene Vulnerabilitätsmerkmal SGB-II-Quote, ebenso wie die betrachten Umweltfaktoren, auf Ebene der Bezugs ächen über Quartile klassi ziert. Das Ergebnis der Klassi zierung ist im Unterschied zu den Umweltfaktoren jedoch nicht Gegenstand eines weiteren Berechnungsschrittes, sondern wird der Gesamtbelastungskarte als weitere Kartenebene überlagert.
Der Anteil von SGB-II-Empfänger*innen betrug im Jahr 2020 im stadtweiten Durchschnitt 13,4% (73.916 von 499.854 Einwohner*innen). Damit lag Duisburg weit über dem NRWDurchschnitt von 10,9% (MAGS NRW 2023). Kontextualisiert
mit Ruhrgebietsstädten vergleichbarer Größe wie Dortmund (17,5 %) oder Essen (18,2%) (ebd.), nimmt Duisburgs SGB-IIQuote jedoch keinen ungewöhnlichen Wert an. Die Spannweite der SGB-II-Quote beträgt 32 Prozentpunkte und reicht von 1,6% im Ortsteil Baerl bis zu 33,6% im Ortsteil Hochfeld. Das Klassi zierungsergebnis der SGB-II-Quote über Quartile ist Tabelle 2 zu entnehmen, eine kartogra sche Darstellung ndet sich in der Gesamtkarte (Abb. 5).
Ergebnisse der Mehrfachbelastungs-Analyse
Im Folgenden werden die Ergebnisse der Mehrfachbelastungsanalyse, dem SUHEI-Index beschrieben. Die kartograsche Darstellung der Mehrfachbelastungen im Stadtgebiet besteht aus dem klassi zierten SUHEI-Index (choroplethisch dargestellt), der mit dem Vulnerabilitätsmerkmal (SGB II) als Zentroid überlagert wurde. Die Klassi zierung der summierten Punktzahlen der einzelnen Umweltfaktoren erfolgt mittels natürlicher Unterbrechungen (Jenks und Caspall 1971), das Vulnerabilitätsmerkmal ist über Quartile, folgend der Logik des innerstädtischen Vergleichs der betrachteten Umweltfaktoren, klassi
Vulnerabilitätsmerkmal (Quartile)
Klasse KlassengrenzenKlassengröße
Gering 1,6 bis 5,2% 12
Mittel 5,3 bis 12,4% 11
Hoch 12,5 bis 18,8% 12
Sehr hoch18,9 bis 33,7% 11
STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 1|202315
Schwerpunkt Instrumente und Strategien der Stadtbeobachtung
ziert.
Tabelle 2: Klasseneinteilung der SGB-II-Quote
Abbildung 5: Gesamtkarte der SUHEI-Analyse
Kartogra sche Bearbeitung: Myriam Vittingho , Daniel Simon Ortsteile (2012, CC BY 3.0 DE), SGB-II-Quote n (2020): Stadt Duisburg
Verteilung umweltbezogener Mehrfachbelastungen und vulnerabler Bevölkerung
Der SUHEI-Index kann, ausgehend von den vier betrachteten Umweltfaktoren, Werte zwischen 4 und 16 annehmen, wobei ein höherer Wert eine stärkere Mehrfachbelastung indiziert. Die Klassen des SUHEI-Index in Abbildung 5 (Gesamtkarte) sind in Tabelle 3 (SUHEI-Index Klassen) aufgeschlüsselt.
Zentral im nördlichen Stadtgebiet bilden die Ortsteile der höchsten Belastungsklasse ein Cluster, ebenso etwas weiter südlich die beiden Quartiere, die die Stadtmitte bilden. In allen Ortsteilen dieser Belastungsklasse ist der Anteil der SGB-IIEmpfänger*innen an der Gesamtbevölkerung hoch bis sehr hoch. Ortsteile, die gleichzeitig der höchsten Belastungsklasse angehören und einen sehr hohen Anteil vulnerabler Bevölkerung besitzen, werden als Hotspots umweltbezogener Verteilungsungerechtigkeit interpretiert.
Diese zentrale Achse wird nahezu unterbrechungsfrei von Ortsteilen mit hoher Mehrfachbelastung umschlossen. Ausgenommen drei Ortsteile im Südosten sind auch hier überwiegend hohe und sehr hohe Anteile von Haushalten im SGB-IIBezug vorzu nden. Die mittlere Belastungsklasse bildet zwei Cluster. Eines beginnend im Westen bis ins Zentrum, ein weiteres im Süden der Stadt. Hinsichtlich des Anteils vulnerabler Bevölkerung unterscheiden sich die beiden Cluster deutlich.
So nden sich im zentral-westlichen Cluster mittlere bis sehr hohe Anteile von SGB-II-Bedarfsgemeinschaften, während alle Quartiere im südlichen Cluster eine geringe Vulnerabilität ausweisen. Ferner nden sich drei vereinzelte Ortsteile mittlerer Belastung im Südosten, Nordosten und Norden mit geringen bis mittleren Anteilen vulnerabler Bevölkerung.
Gering belastete Ortsteile nden sich überwiegend unzusammenhängend verteilt über das Stadtgebiet, jedoch vornehmlich in äußeren Ortsteilen. Lediglich in zwei Fällen grenzen zwei Ortsteile dieser Belastungsklasse aneinander an (im zentralen Süden und Nordwesten). Die Anteile vulnerabler Bevölkerung innerhalb dieser Belastungsklasse sind überwiegend gering bis mittel. Lediglich für einen Ortsteil im Norden der Stadt ist ein hoher Anteil von SGB-II-Empfänger*innen ausgewiesen. Ortsteile mit der besten Umweltgüte bzw. geringsten Belastungsklasse sind, mit einer Ausnahme im Südosten, am westlichen Stadtrand gelegen. In allen Stadtteilen sehr geringer Mehrfachbelastung nden sich geringe Anteile vulnerabler Bevölkerung.
Zur Prüfung eines statistischen Zusammenhangs zwischen dem SUHEI-Index und der SGB-II-Quote in Duisburg wurde in JASP 0.16.2 der Korrelationskoe zient nach Pearson berechnet. Im Ergebnis liegt eine statistisch signi kante starke positive Korrelation (r = 0.644***) der betrachteten Faktoren vor. Die kartogra sch erkennbaren Muster werden durch das Ergebnis des statistischen Tests untermauert: in Duisburger Ortsteilen mit einer hohen Umweltbelastung leben viele Menschen, die Transferleistungen beziehen.
Ergebnisdiskussion
Abbildung 6: Korrelation zwischen SGB-II-Quote und Mehrfachbelastungen nach SUHEI
Die Ergebnisse der SUHEI-Analyse für Duisburg, in der erstmals Wasser als Umweltressource in eine SUHEI-Analyse integriert wurde, folgen den Mustern bisheriger Erkenntnisse zum Zusammenhang zwischen sozialer Lage und Umweltgüte am Wohnort. Sozioökonomisch benachteiligte Quartiere sind tendenziell mehr Umweltbelastungen ausgesetzt und somit stärker belastet als im innerstädtischen Vergleich bessergestellte Quartiere. Die Ergebnisse der statistischen Analyse des Zusammenhangs zwischen SGB-II-Quote und SUHEI-Score untermauern diese Beobachtung im Fall von Duisburg.
In Bezug auf den eingangs erwähnten Sozialäquator lassen sich auch in Duisburg Muster entlang von Raumkanten erkennen. Die Teilung in einen „armen“ Norden und „reichen“ Süden durch die A40 mag weniger eindeutig sichtbar sein als in anderen Ruhrgebietsstädten, dennoch liegen alle Duisburger Hotspots (höchste Umweltbelastungsklasse und höchste Klasse vulnerabler Bevölkerung) nördlich der A40. Zudem prägt der Verlauf des Rheins das räumliche Muster des Analyseergebnisses. Die linksrheinisch gelegenen Ortsteile weisen sowohl eine tendenziell höhere Umweltgüte als auch eine sozioökonomisch bevorteilte Bevölkerungsstruktur auf. Dies liegt sicherlich nicht in der bloßen Existenz des Rheins begründet, sondern hat strukturelle und historische Ursachen. Rhein und A40 bilden somit kartogra sch markante Raumkanten für die Verteilung von Umweltqualität in Duisburg.
Die zusätzliche Betrachtung von Wasser ächen als Eingangsgröße scheint aus methodischer Sicht möglich und
16 STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 1|2023 Schwerpunkt Instrumente und Strategien
Stadtbeobachtung
der
Gesamtbelastungsindex (Jenks) Klasse KlassengrenzenKlassengröße Sehr gering4 bis 6 Punkte 6 Gering 7 bis 8 Punkte 8 Mittel 9 bis 10 Punkte 11 Hoch 11 bis 13 Punkte 14 Sehr hoch14 bis 16 Punkte 7
Tabelle 3: SUHEI-Index Klassen
Pearsons Korrelationen n Pearsons rp SUHEIIndex SGB-II (%) 460.644*** <.001 * p < .05, ** p < .01, *** p < .001
sinnvoll. Ein mögliches Problem bei Umweltfaktoren, dass deren Flächenanteile je Bezugs äche zu schiefen Verteilungen neigen (z.B. Hitzeinseln) und somit keine aussagekräftige Klassenbildung in Quartile ermöglichen, wurde im Fall von Duisburg nicht beobachtet. Dies gilt jedoch nur auf der hier betrachteten Bezugsebene der Ortsteile. Bei einer höheren Au ösung der Bezugs äche, wie etwa 100m Rasterzellen oder Flurstücken, ist dieser Sachverhalt erneut zu bewerten, da eine kleinere Au ösung eine schiefe Verteilung verstärkt.
Zu beachten ist ebenfalls, dass die SUHEI-Analyse durch Wahl der Indikatoren und deren Ausprägung Spielraum für Forschungsdesiderate bieten. Die hier erstmalig einbezogenen Blauräume können im Duisburger Stadtgebiet sehr unterschiedlichen Funktionen zugeschrieben werden, die anhand der RVR-Flächencodes mitunter nicht di erenziert werden können. Gerade im Hafenbereich liegen Wasser ächen mit Ressourcenpotential nur wenige Schritte entfernt von industriellen Nutzungsgebieten; die Zusammenarbeit mit Ortskundigen ist zur Diskussion von Ergebnissen empfohlen.
Fazit und Ausblick
Mit dem Anwendungsfall Duisburg wurde nach Dortmund, Bochum und Herne eine vierte Ruhrgebietsstadt mit der SUHEI-Methode analysiert. Auch hier wurden ausschließlich bereits bestehende und teils ö entlich zugängliche Daten als Berechnungsgrundlage herangezogen. Neu ist hierbei die Betrachtung von Wasser ächen als Umweltressource. Somit wurden erstmalig zwei Stressoren und zwei Ressourcen dem Modell zugeführt. Es wurden keine methodischen Schwierigkeiten beobachtet und das Analyseergebnis ist plausibel. Das SUHEI-Modell ist als leicht anwendbares ScreeningTool konzipiert, das umweltbezogene Ungleichverteilungen
im relativen innerstädtischen Vergleich sichtbar machen soll. Bei der Interpretation bzw. dem Nutzen der Ergebnisse und der Auswahl der Eingangsdaten sollte der Nutzungskontext leitend sein. Dies gilt sowohl für die gewählten Umweltfaktoren als auch für das Vulnerabilitätsmerkmal oder auch mehrere derer. So ist es denkbar, dass die hier durchgeführten Analysen in die Hitzeaktionsplanung oder Lärmminderungsplanung der Stadt Duisburg ein ießen. In der Stadt Bochum wurden SUHEI-Analysen genutzt, um ruhige Gebiete auszuweiten (Stadt Bochum 2022) und in Herne werden sie zur Priorisierung von Maßnahmen in der Anpassung an den Klimawandel genutzt.
Für die Stadtstatistik wird deutlich, dass das Thema der umweltbezogenen Gerechtigkeit mit bestehenden Daten in verschiedene Prozesse der Stadtentwicklung eingebracht werden kann. Hierzu ist ein ressortübergreifender Blick, der in den Ämtern für Statistik und Geodaten häu g gegeben ist, erforderlich.
Das SUHEI-Modell ist in Ergänzung zum hier präsentierten Stand kontinuierlich in der Weiterentwicklung. So wird an Analysen gearbeitet, die Zusammenhänge nicht nur auf Ebene von Ortsteilen aufzeigen, sondern kleinräumigere Analyse, ggf. auch losgelöst von administrativen Grenzen erlauben. Hier treten neue Herausforderungen wie eine große Anzahl von Raumeinheiten, in denen ein Merkmal nicht ausgeprägt ist, auf. Dies hat Anpassungen der Quantilbildung zur Folge. Des Weiteren gilt es, dem theoretischen Modell in Abbildung 2 folgend nicht nur umweltbezogene Verteilungsungerechtigkeit aufzuzeigen, sondern auch die Wirkungsweise von Ein ussfaktoren darzustellen. Dies wäre dann beispielsweise der Straßenverkehr für Lärm oder die Versiegelung und fehlende Frischluftschneisen für Hitzebelastung. Durch eine Integration von Ein ussfaktoren ist wiederum ein deutlicher Bezug zu möglichen Instrumenten kommunaler Planung und Steuerung herstellbar.
Literatur
Arndt, Wulf-Holger (2012): Verkehrsplanung und Gesundheit – Stadtverkehr und seine gesundheitlichen Folgen. In: Böhme, Christa; Kliemke, Christa; Reimann, Bettina; Süß, Waldemar (Hrsg.): Handbuch Stadtplanung und Gesundheit (S. 85–102). Verlag Hans Huber.
Babisch, Wolfgang (2014): Updated exposureresponse relationship between road tra c noise and coronary heart diseases: A metaanalysis. In: Noise Health 16(68), 1–9.
Baumgart, Sabine; Hornberg, Claudia; Fehr, Rainer (2018): Räumliche Planung und StadtGesundheit – eine wechselvolle Geschichte. In: Fehr, Rainer; Hornberg, Claudia (Hrsg.): Stadt der Zukunft – Gesund und nachhaltig (S. 33–53). Oekom.
Beute, Femke; Davies, Zoe; de Vries, Sjerp; Glanville, J., Keune, H., Lammel, A.; Marselle, M.;
O’Brien, L.; Olszewska-Guizzo, A.; Remmen, R.; Russo, A. & Andreucci, Maria B. (2020): Types and characteristics of urban and peri-urban blue spaces having an impact on human mental health and wellbeing. Report prepared by an EKLIPSE Expert Working Group. UK Centre for Ecology & Hydrology, Wallingford, United Kingdom.
Blaikie, Piers; Cannon, Terry; Davis, Ian & Wisner, Ben (1994): At Risk: Natural Hazards, People‘s Vulnerability and Disasters (1st ed.). Routledge.
Bolte, Gabriele; Bunge, Christiane; Hornberg, Claudia; Köckler, Heike; Mielck, Andreas (2012): Umweltgerechtigkeit durch Chancengleichheit bei Umwelt und Gesundheit. Eine Einführung in die Thematik und Zielsetzung dieses Buches. In: Bolte, Gabriele; Bunge,
Christiane; Hornberg, Claudia; Köckler, Heike; Mielck, Andreas (Hrsg.): Umweltgerechtigkeit – Chancengleichheit bei Umwelt und Gesundheit: Konzepte, Datenlage und Handlungsperspektiven (S. 15–37). Verlag Hans Huber.
Brei, Björn & Hornberg, Claudia (2009): Die Bedeutung von Stadtgrün aus gesundheitswissenschaftlicher Sicht. In: Public Health Forum 17(1), 19–21.
Briggs, David J. & World Health Organization (1999): Environmental Health Indicators: Framework and methodologies. Prepared by David Briggs. In: Occupational and Environmental Health Team, Occupational and environmental health series: (WHO/SDE/ OEH/99.10). World Health Organization.
Bundesagentur für Arbeit (2022): SGB II-Hilfequoten - Deutschland, West/Ost, Länder und
STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 1|202317
Schwerpunkt Instrumente und Strategien der Stadtbeobachtung
Kreise (Monats- und Jahreszahlen), Bundesagentur für Arbeit. Online.
Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (2015): Grün in der Stadt − Für eine lebenswerte Zukunft: Grünbuch Stadtgrün. Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI).
Christmann, Gabriela B.; Ibert, Oliver; Kilper, Heiderose; Moss, Timothy (2011): Vulnerabilität und Resilienz in sozio-räumlicher Perspektive: Begri iche Klärungen und theoretischer Rahmen, Working Paper, No. 44, Leibniz-Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung (IRS), Erkner.
Claaßen, T., & Bunz, M. (2018). Ein uss von Naturräumen auf die Gesundheit – Evidenzlage und Konsequenzen für Wissenschaft und Praxis, in: Bundesgesundheitsblatt 61(6), 720–728.
Cutter, Susan L. (2006): Hazards Vulnerability and Environmental Justice (1st ed.). Routledge.
Flacke, Johannes & Köckler, Heike (2015): Spatial urban health equity indicators – a frameworkbased approach supporting spatial decision making, in: Sustainable Development and Planning VII, 365–376.
Flacke, Johannes; Schüle, Ste en A.; Köckler, Heike & Bolte, Gabriele (2016): Mapping Environmental Inequalities Relevant for Health for Informing Urban Planning Interventions – A Case Study in the City of Dortmund, Germany. In: Int. J. Environ. Res. Public Health 2016, 13, 711.
Huber, V., Krummenauer, L., Peña-Ortiz, C., Lange, S., Gasparrini, A., Vicedo-Cabrera, A. M., Garcia-Herrera, R., & Frieler, K. (2020): Temperature-related excess mortality in German cities at 2 °C and higher degrees of global warming. In: Environmental Research 186, 109447. Jenks, George F. & Caspall, Fred C. (1971): Error on Choroplethic Maps. De nition, Measurement, Reduction. In: Annals of the Association of American Geographers. Bd. 61, 1971, S. 217–244.
Jeworutzki, Sebastian; Knüttel, Katharina; Niemand, Catharina; Schmidt, Björn-Jan; Schräpler, Jörg-Peter; Terpoorten, Tobias (2017): Räumlich segregierte Bildungsteilhabe in NRW und im Ruhrgebiet. In: Schräpler, JörgPeter; Jeworutzki, Sebastian; Butzin, Bernhard; Terpoorten, Tobias; Goebel, Jan; Wagner, Gert G. (Hrsg.): Wege zur Metropole Ruhr (S. 27–215). Ruhr-Universität Bochum, Zentrum für interdisziplinäre Regionalforschung (ZEFIR). Kemen Juliane & Kistemann, Thomas (2019): Der Ein uss urbaner Hitze auf die menschliche Gesundheit. In: Lozán, J. L. S.-W. Breckle,
H. Graßl, W. Kuttler & A. Matzerakis (Hrsg.). Warnsignal Klima: Die Städte. 113-119. Online. Kersting, Volker; Meyer, Christian; Strohmeier, Peter; Terpoorten, Tobias (2009): Die A 40 – Der Sozialäquator des Ruhrgebiets. In: Prossek, Achim; Schneider, Helmut; Wessel, Horst A., Wetterau, Burkhard; Wiktorin, Dorothea (Hrsg.): Atlas der Metropole Ruhr. Vielfalt und Wandel des Ruhrgebiets im Kartenbild. (S. 142–145). Ruhr-Universität Bochum, Zentrum für interdisziplinäre Regionalforschung (ZEFIR).
Kistemann, Thomas (2018): Gesundheitliche Bedeutung blauer Stadtstrukturen, in: S. Baumgart, H. Köckler, A. Ritzinger, & A. Rüdiger (Hrsg.), Planung für gesundheitsfördernde Städte (S. 317–331). Verl. d. ARL.
Kistemann, Thomas & Völker, S. (2014): Wie urbane Wasser ächen die Gesundheit fördern, in: Magazin der Akademie für Raumforschung und Landesplanung 44(4), 7–10.
Kleinschroth, Fritz & Kowarik, Ingo (2020): COVID-19 crisis demonstrates the urgent need for urban greenspaces, in: Frontiers in ecology and the environment 18(6), 318–319.
Köckler, Heike (2017): Umweltbezogene Gerechtigkeit – Anforderungen an eine zukunftsweisende Stadtplanung. Peter Lang GmbH.
Köckler, Heike (2020): Klimapolitik. In: Böhm, Katharina; Bräunling, Stefan; Geene, Raimund; Köckler, Heike (Hrsg.): Gesundheit als gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Das Konzept Health in All Policies und seine Umsetzung in Deutschland. Springer VS. Wiesbaden.
Köckler, Heike; Agatz, Kerstin; Flacke, Johannes; Simon, Daniel (2020). Gesundheitsfördernde Stadtentwicklung. Das SUHEI-Modell nutzt hierfür Indikatoren. In: Informationen zur Raumentwicklung, 47, Heft 1, 96–109.
Kutschmann, Marcus; Vittinghoff, Myriam; Köckler, Heike; Simon, Daniel; Langohr, Klaus (2022): De nition von Bereichen unterhalb, zwischen und oberhalb besonderer Quantile. In: Hochschule für Gesundheit. 5. Community Health Konferenz. Bochum, 24.–25.11.2022. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2022. Doc22chk70 (22chk70) Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen (2020): Lärmbelastung: Umweltindikatoren. Umweltindikatoren des Landes Nordrhein-Westfalen. LaNUV. Online.
Landrigan, Philip J.; Fuller, Richard; Acosta, Nereus J. R., Adeyi, O Olusoji;, Arnold, Robert; Basu, Niladri; Baldé, Abdoulaye B.; Bertollini, Roberto; Bose-O‘Reilly, Stephan; Bou ord, Jo I.; Breysse, Patrick. N.; Chiles, Thomas; Mahidol, Chulabhorn; Coll-Seck, Awa M.; Cropper, Mau-
reen L.; Fobil, Julius; Fuster, Valentin; Greenstone, Michael; Haines, Andy; Hanrahan, David; … Zhong, Ma (2018): The Lancet Commission on pollution and health. Lancet (London, England), 391(10119), 462–512.
MAGS NRW (2023): Sozialindikatoren NRW. Indikator 7.6 SGB-II-Quote nach Regionen Online. Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen (o.D.): Umgebungslärm/Umgebungslärm in NRW. MULNV Umgebungslärmportal. Online.
Morris George P; Beck S.A., Hanlon P., Robertson R (2006) Getting strategic about the environment and health. In: Public Health 120, 889–907.
Ptock, Alexandra (2016): Stadtgrün statt Stress. Eine epidemiologische Studie zur gesundheitlichen Bedeutung urbaner Ökosystemleistungen am Beispiel der Stadt Bonn, in: Standort 40(2), 129–137.
Rittel, K., Bredow, L., Wanka, E. R., Hokema, D., Schuppe, G., Wilke, T. Nowak, D., & Heiland, S. (2014): Grün, natürlich, gesund: Die Potenziale multifunktionaler städtischer Räume (BfNSkripten 371). Bundesamt für Naturschutz.
Seils, Eric; Pusch, Toralf (2022): Ungleichheit, Umverteilung und Preise im regionalen Vergleich. In: WSI Policy Brief 70(4). Wirtschaftsund Sozialwissenschaftliches Institut, HansBöckler-Stiftung.
Stadt Bochum (2022): 1. Fortschreibung des Lärmaktionsplans: Für den Ballungsraum Bochum. Umwelt- und Grün ächenamt, Stadt Bochum.
Stadt Duisburg (2021a): Strukturmonitoring Wirtschaftsstandort Duisburg. Stadt Duisburg. Online.
Stadt Duisburg (2021b): Lärmaktionsplan der Stadt Duisburg – 3. Stufe. Stadt Duisburg, Amt für Stadtentwicklung und Projektmanagement, Abteilung Stadtplanung, Verkehrlicher Immissionsschutz. Online.
Völker, Sebastian & Baumeister, Hendrik (2020): Stadtblau – Gesundheitschancen für Stadtbewohner, in: Informationen zur Raumentwicklung 47(1), 110–119.
Watts, N., Adger, W.N., Agnolucci, P., Blackstock, J., Byass, P., Cai, W., Chaytor, S., Colbourn, T., Collins, M., Cooper, A., Cox, P.M., Depledge, J., Drummond, P., Ekins, P., Galaz, V., Grace, D., Graham, H., Grubb, M., Haines, A. and Hamilton, I. (2015). Health and climate change: policy responses to protect public health. The Lancet, [online] 386(10006), pp.1861–1914. World Health Organization (2018): Environmental Noise Guidelines for the European Region. WHO. Online.
18 STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 1|2023
Schwerpunkt Instrumente und Strategien der Stadtbeobachtung
Annette Hillerich-Sigg, Julian Noseck
Das Stuttgarter Quartiersmonitoring Soziale Stadtentwicklung
Wie können Veränderungsprozesse bestmöglich auf kleinräumiger Ebene beobachtet werden? Und wie muss ein Beobachtungssystem ausgestaltet sein, damit Handlungsbedarfe in einzelnen Wohnquartieren frühzeitig erkannt und zielgerichtet bewertet werden können? Als Antwort auf diese Fragen entwickelt die Landeshauptstadt Stuttgart das integrierte, ämterübergreifende Quartiersmonitoring Soziale Stadtentwicklung. Das kleinräumige Monitoringsystem nach einem Baukastenprinzip mit den Themenfeldern Armut, Wohnraum und Umwelt/Gesundheit nimmt die Stuttgarter Stadtviertel in den Blick. Im Beitrag werden Rahmenbedingungen, Aufbau und Funktionsweise, sowie Methodik und erste Ergebnisse des Quartiersmonitorings vorgestellt.
Einleitung
Die Sozialberichterstattung der Landeshauptstadt Stuttgart blickt auf eine 10-jährige Tradition des Monitorings zurück. Den Ausgang dafür bildet das Sozialmonitoring auf Ebene der 23 Stadtbezirke und 152 Stadtteile. Unter Federführung des Sozialamts steht seit September 2013 eine stadtweit abgestimmte Dateninfrastruktur mit ausgewählten Indikatoren zu den sozialen Lebensverhältnissen und Teilhabechancen zur Verfügung (Gunderlach 2013). Die im Stuttgarter Sozialmonitoring eingestellten Daten sind seitdem Grundlage für die Arbeit der Sozialberichterstattung, der Stadtplanung und der politischen Gremien.1 Auf diese Weise trägt das Sozialmonitoring dazu bei, messbare Facetten sozialer Ungleichheit in der Stadt zu identi zieren und ihnen angemessen zu begegnen.
Aus dem Gemeinderat und der Stadtverwaltung heraus entstand zuletzt jedoch der Wunsch nach einem noch feingliedrigeren Monitoringsystem, das über den Bereich des Sozialen hinausgeht. Mit dem Ziel ein System zu etablieren, das eine noch granularere Beobachtung von spezi schen Herausforderungen und Veränderungen in Wohnquartieren ermöglicht und die Identi kation von Quartieren2 mit potentiellem Handlungsbedarf erlaubt, wurde das Quartiersmonitoring Soziale Stadtentwicklung als ämterübergreifendes Projekt ins Leben gerufen. Thematisch umfasst das Quartiersmonitoring zunächst drei Bereiche:
-Armut
-Wohnraum
-Umwelt und Gesundheit
Dr. Annette Hillerich-Sigg
Ökonomin, Sachgebietsleitung seit 2022, Landeshauptstadt
Stuttgart Statistisches Amt, Arbeitsschwerpunkte: Wirtschaft, Quartiersmonitoring, Mietspiegel
: annette.hillerich-sigg@stuttgart.de
Dr. Julian Noseck
Politikwissenschaftler, Wissenschaftlicher Mitarbeiter seit 2022, Landeshauptstadt Stuttgart Statistisches Amt, Arbeitsschwerpunkte: Wirtschaft, Quartiersmonitoring, Wahlforschung
: julian.noseck@stuttgart.de
Schlüsselwörter: Monitoringsystem – kleinräumige Stadtbeobachtung –Armut – Wohnraum – Verdrängung
Die Grundlage für eine sinnvolle Betrachtung auf der Ebene der Stadtviertel musste im Vorfeld aber erst durch eine Neugliederung der Stuttgarter Stadtviertel (STV) gescha en werden. In einem ersten Schritt stellen wir also zunächst diese entscheidende Rahmenbedingung für die Entwicklung des Quartiersmonitorings Soziale Stadtentwicklung dar. In einem zweiten Schritt widmen wir uns der Zusammensetzung der Arbeitsgruppe und stellen den Aufbau und die Funktionsweise des Monitorings vor. Daran anschließend erläutern wir in einem dritten Schritt die Methodik zur Berechnung der eingehenden Indizes und der ihnen zugrundeliegenden Indikatoren. In einem vierten Schritt werfen wir einen Blick auf die Themenfelder Armut und Wohnraum sowie deren Zusammensetzung. Schließlich präsentieren wir in einem fünften Schritt die ersten Ergebnisse aus dem Themenfeld Armut.
STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 1|202319 Schwerpunkt Instrumente und Strategien der Stadtbeobachtung
Über die Entwicklung eines ämterübergreifenden, integrierten Beobachtungssystems
Schritt 1 – Die Neugliederung der Stuttgarter Stadtviertel als Voraussetzung
Eine entscheidende Rahmenbedingung für die Entwicklung des Quartiersmonitorings Soziale Stadtentwicklung stellt die Neugliederung der Stuttgarter Stadtviertel im Jahr 2019 dar. So orientiert sich die neue Gliederung der Stuttgarter Stadtviertel an den tatsächlich gelebten Sozialräumen der Stadt (vgl. Haußmann 2019) und bietet somit eine geeignete Grundlage für das Quartiersmonitoring Soziale Stadtentwicklung.
Ein Ziel der Stadtviertelrevision von 2019 war, die Gliederung der Stadtviertel an die zwischenzeitlichen baulichen und demogra schen Veränderungen anzupassen, um somit eine zeitgemäße und auch längerfristig gültige Gliederung zu erreichen. Darüber hinaus führt die Neugliederung zu einer homogeneren Aufteilung der Stadtviertel, das heißt zu Gebietseinheiten mit einer ähnlichen Anzahl an Haushalten und einer ähnlichen sozialräumlichen und baulichen Struktur. Unter verwaltungstechnischen Gesichtspunkten war die Stadtviertelneugliederung mit dem Ziel verbunden, die Stadtviertel als eine ämterübergreifend standardisierte räumliche Bezugsgröße zu etablieren und dadurch die Vergleichbarkeit der Stadtviertel zu gewährleisten.
Die Landeshauptstadt Stuttgart teilt sich somit aktuell in 23 Stadtbezirke, 152 Stadtteile und 457 Stadtviertel ein. Stadtviertel umfassen im Durchschnitt 741 Haushalte und 1.400 Einwohner*innen (Tab. 1). Das kleinste Stadtviertel hat einen Haushalt, das größte 2.428 Haushalte. Ein Stadtviertel setzt sich im Durchschnitt aus zwölf Baublöcken zusammen. Gegenüber der ehemaligen Kleinräumigen Gliederung hat sich nur der Zuschnitt der Stadtviertel verändert, die Anzahl der Stadtteile und Stadtbezirke blieb unverändert.
Die neue Einteilung der Quartiere basierend auf gelebten Sozialräumen, die grundsätzlich infrastrukturell zusammenhängende Gebietseinheiten darstellen, ist die entscheidende administrative Grundlage für das Quartiersmonitoring.
Schritt 2 – Arbeitsgruppe, Aufbau und Funktionsweise Seit Sommer 2018 ist eine ämterübergreifende Arbeitsgruppe mit Vertreter*innen aus -dem Statistischen Amt, -dem Amt für Stadtplanung und Wohnen, -Sozialamt und -Jugendamt mit der Entwicklung des Quartiersmonitorings für die Landeshauptstadt Stuttgart betraut (AG Quartiersmonitoring). Zum Doppelhaushalt 2020/2021 wurde schließlich seitens des Gemeinderats der Aufbau eines Systems des Quartiersmonitorings o ziell beschlossen und mit personellen Ressourcen ausgestattet (Landeshauptstadt Stuttgart 2019).
Während das Sozialmonitoring inhaltlich sehr ins Detail geht und spezi sche, betro ene Zielgruppen identi ziert, bleibt es allerdings räumlich gröber. Das Quartiersmonitoring analysiert die kleinräumigere Ebene der Stadtviertel, gibt dafür aber inhaltlich einen Gesamtüberblick über die Situation der Quartiere. Dieser Überblick wird mit verdichteten Indizes gescha en, die mehrere Indikatoren eines Themas zusammenfassen. Auf diesem Weg werden Stadtviertel identi ziert, die bedeutsam vom Stuttgarter Durchschnitt abweichen und somit ins Augenmerk der Stadtverwaltung und Politik rücken sollten.
Das Quartiersmonitoring Soziale Stadtentwicklung nimmt für die kleinräumige, systematische Beobachtung der Quartiere zunächst die folgenden drei zentralen Themenfelder in den Blick:
-Armut,
-Wohnraum sowie
-Umwelt und Gesundheit.
Entsprechend stellen die Stadtviertel die räumliche Grundlage des Quartiersmonitorings Soziale Stadtentwicklung dar. Von den 457 Stadtvierteln Stuttgarts (Tab. 1) werden allerdings 110 aufgrund ihrer Bevölkerungszahl oder ihrer geringen Be
Tabelle
Systematik der Stuttgarter Kleinräumigen Gliederung
Anmerkungen: Daten zum Stichtag 31.12.2020. Werte gerundet.
Statistisches Amt der Landeshauptstadt Stuttgart.
20 STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 1|2023 Schwerpunkt Instrumente
Strategien
Stadtbeobachtung
und
der
Aggregationsstufe Anzahl Anzahl von Haushalten durchschnittl. Anzahl durchschnittl. Einwohnerzahl durchschnittl. Anzahl Baublöcke 1) Baublockseite ca. 16.000 1 bis 500 ø 30 51 2) Baublock ca. 6.000 1 bis 700 ø 74 133 3) Stadtviertel 457 (darunter 104 dünn besiedelt) 1 bis 2.400 ø 741 1.400 12 4) Stadtteil 152 4 bis 8.200 ø 2.145 4.000 36 5) Stadtbezirk 23 3 600 bis 37.000 ø 14.000 26.500 234 6) Stuttgart gesamt 324.000 608.000
1:
Quelle:
-
siedlung ausgeschlossen.3 Somit werden 347 Stadtviertel im Quartiersmonitoring analysiert. Grundsätzlich stellt das Quartiersmonitoring erstmals für Stuttgart räumlich feingranulare Daten auf Ebene der einzelnen Stuttgarter Wohnquartiere systematisch dar. Wie oben bereits erwähnt, greift das Quartiersmonitoring teilweise auf Daten des Sozialmonitorings zurück, ergänzt diese aber mit weiteren – zum Teil neuen –Daten, um die drei Themenfelder zu erfassen.
Inhaltlich ist das Quartiersmonitoring Soziale Stadtentwicklung nach einem integrierten Baukastenprinzip aufgebaut (Abb. 1). Die Themenfelder setzen sich aus zwei oder mehr Teilindizes zusammen, die verschiedene Aspekte des Themenfelds beschreiben. Diese Teilindizes, die jeweils eine eigene Aussagekraft haben und somit für sich stehen, bilden die Basisebene des Baukastens. Sie können dann in der Analyseebene entsprechend der relevanten Fragestellungen der Stadt kombiniert werden. Neben der direkten Beantwortung von Fragestellungen, wie zum Beispiel ob ein statistischer Zusammenhang zwischen Armut und Gesundheitsrisiken besteht, werden auch sogenannte Analyseindizes gebildet. Wie aus einem Baukasten setzen sich diese aus zwei oder mehreren Teilindizes, auch mehrerer Themenfelder, zusammen.
Dies ermöglicht eine Vielzahl an Analyseoptionen und die Beantwortung vielfältiger Fragestellungen. Außerdem bietet dieser Aufbau die Möglichkeit, in Zukunft weitere Themenfelder in das Quartiersmonitoring zu integrieren, um zukünftige Fragestellungen der Stadtgesellschaft zu analysieren.
Auf der zeitlichen Ebene berücksichtigt das Quartiersmonitoring sowohl Status, also den Istzustand der Quartiere, als auch Dynamik, also die Entwicklung der Quartiere. Für den Status ist die Frage maßgebend: Wie ist die Lage in den einzelnen Quartieren im Vergleich zur Gesamtstadt? Während der Aspekt der Dynamik die Frage verfolgt: Wie verläuft die Entwicklung in den einzelnen Quartieren im Vergleich zur Gesamtstadt? Somit ist langfristig die Beobachtung der Quartiere im Zeitverlauf möglich.
Schritt 3 – Die Methodik zur Berechnung der Indizes Für die einzelnen Themenfelder werden jeweils ein Index oder mehrere Indizes entwickelt, die zusammen einen Überblick über die Situation und Entwicklung in den einzelnen Stuttgarter Quartieren geben.
Zur Bildung der Indizes werden die einzelnen Indikatoren zunächst standardisiert. Die Indikatoren bilden also nur noch die Abweichung vom Mittelwert (oder Median) der Stadtviertel Stuttgarts ab. Die Standardabweichung, die in der Skala unten abgetragen ist (Abb. 2), liegt bei den Indizes zwischen den Werten -2 und +2. Ein Stadtviertel mit einem stark überdurchschnittlichen Anteil an beispielsweise Langzeitarbeitslosen würde entsprechend einen Wert zwischen 1,5 und 2 annehmen, während ein STV mit vergleichsweise sehr wenigen Langzeitarbeitslosen einen Wert zwischen -1,5 und -2 annehmen würde. Bei STV, die im gesamtstädtischen Durchschnitt liegen, bewegt sich der Wert um die 0. Standardisierte
STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 1|202321 Schwerpunkt Instrumente und Strategien der Stadtbeobachtung
Abbildung 1: Aufbau des Quartiersmonitorings Soziale Stadtentwicklung
Quelle: Eigene Darstellung
Abbildung 2: Standardisierung der Indikatoren und Indizes
für Stuttgart hoher Anteil der Bevölkerung direkt von Armut betro en. Der Armutsindex weist somit auf Handlungsbedarfe zur Abmilderung sozialer Härten hin. Der Armutsrisikoindex beschreibt hingegen Stadtviertel, in denen relativ viele Gruppen leben, die häu g von Armut bedroht aber nicht unbedingt betro en sind. Er dient als Frühwarnsystem für die Akteure in Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft.
Quelle: Eigene Darstellung
Indikatorwerte, die unter -2 oder über 2 liegen, werden auf -2 beziehungsweise 2 gesetzt. Dadurch wird die Bedeutung von statistischen Ausreißern in einzelnen Indikatoren reduziert. Durch die Standardisierung entfallen zusätzlich datenschutzrechtliche Erwägungen, da selbst bei kleinen Stadtvierteln keine Rückschlüsse auf einzelne Personen möglich sind. Aber gleichzeitig werden die Informationen auch verdichtet und verallgemeinert.
Im Standardfall werden die (Teil-)Indizes aus den Mittelwerten der jeweils verwendeten Indikatoren gebildet. Eine Gewichtung einzelner Indikatoren ist möglich und kann sinnvoll sein, wenn inhaltlich weniger aussagekräftige Indikatoren den Mittelwert statistisch dominieren. In der Regel verhindert die Deckelung der Indikatoren auf -2/+2 die Dominanz einzelner Indikatoren. Es müssen mehrere Indikatoren in dieselbe Richtung deuten, um auf einen entsprechenden Gesamtwert zu kommen.
Sowohl für die Indikatoren als auch die Indizes gilt, dass sie immer nur die Abweichung vom Stuttgarter Durchschnitt abbilden und das Quartiersmonitoring somit nicht zum Vergleich mit anderen Städten oder bundesweiten Angaben geeignet ist.
Für Teilindizes, die eine Veränderung messen, wird für jeden Indikator die Veränderung zwischen den zwei Vergleichszeiträumen berechnet. Diese Veränderung wird standardisiert bezogen auf die Medianveränderung in Stuttgart insgesamt. Dann wird aus den standardisierten Indikatoren wieder der Index als Durchschnitt berechnet. Der Index beschreibt also nicht die Veränderung zwischen den zwei Indexwerten von zum Beispiel 2014 und 2020, sondern der Indikatoren. Das Vorgehen ist analog zum Status- und Dynamik-Ansatz der Stadt Köln (Stadt Köln 2021).
Schritt 4 – Die Themenfelder Armut und Wohnraum
Das Themenfeld Armut wird durch zwei Indizes beschrieben:
- Armutsindex
- Armutsrisikoindex
Armut ist hier eng, im Rahmen der kleinräumig verfügbaren Daten, vergleichbar zum Sozialmonitoring, de niert. Der Armutsindex beschreibt akute Armut, das heißt in Stadtvierteln mit einem überdurchschnittlich hohen Armutsindex ist ein
Um akute Armut in den Stadtvierteln zu erfassen, ießen in den Armutsindex die Anteile verschiedener Personengruppen an der Bevölkerung als Indikatoren ein (Tab. 2). BonuscardBerechtigte schließen fast alle der anderen Indikatoren automatisch mit ein, da die „Bonuscard + Kultur“ eine freiwillige Leistung der Stadt Stuttgart ist, die allen Personen zusteht, die sich im Transferleistungsbezug be nden (Landeshauptstadt Stuttgart 2022). Sowohl Arbeitslose ohne Berufsabschluss als auch Langzeitarbeitslose tun sich besonders schwer wieder in den Arbeitsmarkt zurückzu nden. Hinzu kommt bei fehlendem Berufsabschluss die höhere Wahrscheinlichkeit für instabile Arbeitsverhältnisse und geringe Bezahlung, sowie bei Langzeitarbeitslosigkeit der schon lange andauernde Leistungsbezug (Bundesagentur für Arbeit 2022). Steuerlich nicht-veranlagte Personen erfassen die Einwohner*innen, die zwar beschäftigt sind, aber ein so geringes Einkommen haben, dass sie keine Steuern bezahlen. Um Altersarmut und Armut von Kindern ein besonders Gewicht zu verleihen, werden die Indikatoren Empfänger*innen von HLU/GsiAE-Leistungen ab 65 Jahren sowie von Sozialgeld bis 18 Jahren zusätzlich aufgenommen.
In den Armutsrisikoindex ießen Indikatoren ein, die isoliert stehend nicht zwangsläu g auf ein Armutsrisiko hinweisen. So sind Arbeitslose, die Leistungen nach SGB III beziehen, in der Regel nicht akut von Armut betro en, sie stehen aber im Risiko von Armut betro en zu sein. Beschäftigte ohne Berufsabschluss und steuerlich nicht-veranlagte Personen sind häu g schlechterer Bezahlung und instabileren Arbeitsverhältnissen ausgesetzt. Die durchschnittlichen Nettoeinkünfte erfassen die Einkommensstruktur des Stadtviertels. Sowohl Alleinerziehende (vgl. BMFSFJ 2021) als auch Einwohner*innen mit Migrationshintergrund (vgl. Giesecke et al. 2017) sind häu ger von Armut bedroht als der Rest der Bevölkerung. Insbesondere bei den zwei letzten Indikatoren ist die verdichtete Darstellung im Index bedeutsam: Treten die verschiedenen Einzelrisiken gehäuft auf, kann dies ein Hinweis auf Mehrfachbelastungen sein, die möglicherweise zu einem Armutsrisiko führen.
Bei beiden Indizes des Themenfelds Armut gehen die in Tabelle 2 aufgelisteten Indikatoren jeweils einfach gewichtet ein. Es ist möglich, dass einzelne Personen in mehreren Indikatoren erfasst sind (zum Beispiel Langzeitarbeitslose, die gleichzeitig Bonuscard-berechtigt sind). Diese implizite Mehrfachgewichtung ist methodisch bewusst gewählt.
Beim Themenfeld Armut erfasst der Status die aktuelle Armuts- beziehungsweise Armutsrisikosituation in den Stadtvierteln. Die Dynamik – wie hat sich die Armutssituation verändert? – wird erst bei einer Aktualisierung untersucht.
Das Themenfeld Wohnraum setzt sich aus drei Teilindizes zusammen: -Wegzugtendenzen, -Dynamik der Wohnraumpreise und -Veränderungspotenzial.
22 STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 1|2023 Schwerpunkt Instrumente und Strategien der Stadtbeobachtung
Schwerpunkt Instrumente und Strategien der Stadtbeobachtung
Tabelle 2: Indizes im Themenfeld Armut – Indikatoren
Armutsindex
Merkmal
Bonuscard-Berechtigte (mit SGB II)
Arbeitslose ohne Berufsabschluss (SGB II+SGB III)
Langzeitarbeitslose (SGB II)
Armutsrisikoindex
Bezogen auf … Merkmal
Alle Einwohner*innenArbeitslose in SGB III
Einwohner*innen
18–64 Jahre
Einwohner*innen
18–64 Jahre
Steuerlich nicht-veranlagte PersonenEinwohner*innen ab 25 Jahren
HLU/GsiAE-Empfänger*innen (SGB XII) ab 65 Jahren
Sozialgeld-Empfänger*innen (SGB II) unter 18 Jahren
Einwohner*innen ab 65 Jahren
Einwohner*innen unter 18 Jahren
Bei allen Teilindizes des Themenfelds Wohnraum wird von vorneherein die Dynamik und nicht der Istzustand betrachtet. Relevant ist beim Teilindex Wegzugtendenzen weniger, ob in einem Stadtviertel viel oder wenig Fluktuation herrscht, sondern ob diese sich im Beobachtungszeitraum verstärkt oder abgeschwächt hat. Ähnlich verhält es sich mit dem Teilindex Dynamik der Wohnraumpreise: Es geht nicht um die Identi kation teurer oder günstiger Wohnlagen in Stuttgart, sondern darum Stadtviertel aus ndig zu machen, wo Wohnraumpreise gestiegen sind. Der Teilindex Veränderungspotenzial beschreibt, ob die bauliche Struktur Veränderungen, zum Beispiel Sanierungen oder Neubauten, wahrscheinlich macht.
Der Teilindex Wegzugtendenzen erfasst, ob ein Stadtviertel im Betrachtungszeitraum von Wegzugtendenzen geprägt ist. Der Fokus liegt auf Wegzügen, die nicht auf persönliche oder beru iche Veränderungen zurückgehen, sondern die tendenziell unfreiwillig erfolgen. Dazu werden Wegzüge aus dem Stadtviertel bis in die Region Stuttgart insgesamt und im Speziellen von relevanten Teilgruppen, wie Familien und Älterer, berücksichtigt (zur Vorgehensweise vgl. Landeshauptstadt München 2016). Erfolgt ein Umzug dieser Gruppen nur innerhalb der Region Stuttgart ist davon auszugehen, dass ein Wegzug auf eine Unzufriedenheit mit der Wohnumgebung, dem Wohnraum zum gegebenen Preis oder das Fehlen von passendem Wohnraum zurückzuführen ist. Zusätzlich wird aber auch das generelle Wanderungssaldo berücksichtigt, um entsprechende Tendenzen in der Gesamtbevölkerung zu erfassen.
Der Teilindex Dynamik der Wohnraumpreise misst, ob die Wohnraumpreise in einem Stadtviertel im Betrachtungszeitraum steigen. Hier ießen insbesondere die Entwicklung des Niveaus der Angebotsmieten ein, aber auch Indikatoren, die die Bewegung auf dem Immobilienmarkt beschreiben. Steigt die Anzahl der angebotenen Mietwohnungen und der Verkäufe von Wohnimmobilien ist zu erwarten, dass perspektivisch die Wohnraumpreise steigen.
Bei den beiden Teilindizes Wegzugtendenzen und Dynamik der Wohnraumpreise wird die Abweichung von der Medianveränderung der Indikatoren berechnet, um die Veränderung im Betrachtungszeitraum 2014 bis 2020 zu messen.
Sozialversicherungsp ichtig Beschäftigte ohne Berufsabschluss
Nettoeinkünfte je veranlagter Person
Steuerlich nicht-veranlagte Personen
Bezogen auf …
Einwohner*innen
18-64 Jahre
Einwohner*innen
25–64 Jahre
Einwohner*innen ab 25 Jahren
Alleinerziehende Alle Haushalte
Einwohner*innen mit Migrationshintergrund
Alle Einwohner*innen
Der dritte Teilindex des Themenfelds Wohnraum beschreibt das Veränderungspotenzial des Stadtviertels in Bezug auf seine bauliche Struktur. Die Indikatoren erfassen, ob ein erhöhtes Sanierungs- oder Neubaupotenzial besteht. So geben die Altersstruktur der Bebauung, aber auch Sanierungsgebiete und geförderte Wohnungen, die aus der Preisbindung fallen, Hinweise auf Sanierungsprojekte. Eine Häufung von Neubauprojekten und Baugenehmigungen sprechen für eine stärkere Veränderung durch Bauaktivitäten.
Die Teilindizes des Themenfelds Wohnraum beantworten zwar auch jeweils eigenständig relevante Fragen; für die Beantwortung besonders relevanter Fragestellungen müssen sie allerdings entsprechend dem Baukastenprinzip zusammengefasst werden. Für Fragestellungen, die langfristig und wiederholt beantwortet werden sollen, wird die Entwicklung von Analyseindizes angestrebt. So ist es perspektivisch möglich, durch die Datenaktualisierung auch die Entwicklung der Analyseindizes über die Zeit zu untersuchen.
In einer Stadt mit schon jetzt sehr hohen Wohnraumpreisen ist die Frage „Welche STV sind von Aufwertung betro en?“ für Stadtverwaltung und -gesellschaft äußerst relevant. Hier misst der Analyseindex Aufwertung, wo bauliche Veränderungen (Teilindex Veränderungspotenzial) mit Steigerungen der Wohnraumpreise (Teilindex Dynamik der Wohnraumpreise) einhergehen. Der Index unterstützt die Stadtverwaltung dabei, Aufwertung beobachten zu können und, falls notwendig, Maßnahmen zu ergreifen um Verdrängung zu vermeiden. Der Analyseindex Verdrängung ist ein erster Versuch, die Fragestellung „Welche Stadtviertel sind von Verdrängung betro en?“ zu beantworten. In diesen Analyseindex ießen alle Teilindizes des Themenfelds Wohnraum ein, sowie aus dem Themenfeld Armut der Armutsindex (gegebenenfalls alternativ der Armutsrisikoindex). Finden folgende Veränderungen in einem Stadtviertel gleichzeitig statt und geben somit Hinweise auf Verdrängung: Die Wohnraumpreise sind überdurchschnittlich stark gestiegen, gleichzeitig besteht im Stadtviertel ein relativ hohes bauliches Veränderungspotenzial und es bestehen verstärkte Wegzugtendenzen. Von Verdrängung soll aber auch in diesen Fällen nur gesprochen werden, wenn in dem Stadtviertel eine relativ arme Bevölkerung lebt, für die steigende
STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 1|202323
Wohnraumpreise eine existenzielle Schwierigkeit darstellen. Dafür wird einer der beiden Indizes des Themenfelds Armut berücksichtigt. Mit diesem Konzept orientieren wir uns an der wissenschaftlichen Literatur zu Verdrängungsprozessen (Freeman 2005, Holm und Schulz 2016, Üblacker 2017, Mujahid et al. 2019, Preis et al. 2020). Entsprechende Indikatoren ießen auch in vergleichbare Monitoringsysteme ein. So wird in der Literatur betont, dass eine Veränderung der Wohnraumpreise und der Wanderungsprozesse auf Verdrängung hinweist (und beispielsweise nicht ein generell hohes Mietniveau) (Holm und Schulz 2016).
Tabelle 3: Aufbau der Analyseindizes im Themenfeld Wohnraum
Aufwertung Verdrängung
Veränderung der Dynamik der Wohnraumpreise 2014–2020
Veränderung der Wegzugtendenzen 2014–2020
VeränderungspotenzialVeränderung der Dynamik der Wohnraumpreise 2014–2020 Veränderungspotenzial Armutsindex/ Armutsrisikoindex
Der genaue statistische Aufbau der Analyseindizes steht noch nicht fest. In einem ersten Versuch werden sie analog zu den Teilindizes als Mittelwert der Teilindizes aufgebaut. Es kann aber auch sinnvoll sein, eine Gewichtung vorzunehmen oder aber doch von der Zusammenfassung in einem Index abzuweichen und eher durch die kartogra sche Darstellung der relevanten Teilindizes Mehrfachbelastungen aufzuzeigen (vgl. Landeshauptstadt München 2016).
Schritt 5 – Erste Ergebnisse anhand des Themenfelds Armut Nachdem die Konzeption für das Themenfeld Armut bereits abgeschlossen ist, liegen für dieses Themenfeld auch erste Ergebnisse vor, die exemplarisch für das Projekt des Quartiersmonitorings präsentiert werden. Die Abbildungen 3 und 4 zeigen die Werte des Armutsindex beziehungsweise des Armutsrisikoindex für die einzelnen STV im Stuttgarter Stadtgebiet. Die Indexwerte werden in sieben Kategorien entsprechend Abbildung 2 unterteilt und farblich abgehoben dargestellt. Gelb markierte Stadtviertel liegen im Stuttgarter Durchschnitt, Stadtviertel ohne Farbgebung sind sehr dünn besiedelt und wurden deshalb nicht im Quartiersmonitoring berücksichtigt (siehe Abschnitt 3). Diese Indexwerte tre en nur Aussagen über die relative Armut beziehungsweise das relative Armutsrisiko in Bezug auf den Stuttgarter Durchschnitt. Die Indizes
Abbildung 3: Kartogra sche Darstellung des Stuttgarter Armutsindex
24 STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 1|2023
Schwerpunkt Instrumente und Strategien der Stadtbeobachtung
sind somit nicht vergleichbar mit bundesweiten Angaben zu Armutsrisiken oder mit Armutsindizes anderer Städte. Die Karten zeigen eine stärkere Ausdi erenzierung im Vergleich zu den oberen Ebenen der Kleinräumigen Gliederung. Dadurch werden tatsächlich von Armut beziehungsweise von einem Armutsrisiko betro ene Quartiere leichter identi ziert. Handlungsbedarfe seitens Politik und Verwaltung können somit präzisiert werden. Die Berechnung sowohl des Armuts- als auch des Armutsrisikoindex ermöglicht überhaupt die Unterscheidung zwischen akut und potenziell von Armut betroffenen Quartieren und somit kann das Quartiersmonitoring als ein „Frühwarnsystem“ im Bereich der sozialen Stadtentwicklung fungieren. Insofern stellt das Quartiersmonitoring mit seiner kleinräumigeren Analyse basierend auf verdichteten Indizes eine geeignete Ergänzung zum Sozialmonitoring der Landeshauptstadt Stuttgart dar. So ist es nun möglich, in Stadtteilen, die bisher als generell arm galten, genau die Quartiere zu identi zieren, in denen tatsächlich relativ große Armut herrscht. Die kleinräumigen Analysen zeigen, dass oft nur ein oder zwei der Stadtviertel innerhalb eines Stadtteils tatsächlich von Armut betro en sind, während andere Stadtviertel im selben Stadtteil im Stuttgarter Durchschnitt liegen.
Fazit und Ausblick
Mit den oben vorgestellten Indizes bietet das Quartiersmonitoring Soziale Stadtentwicklung für das Themenfeld Armut schon jetzt zahlreiche Analysemöglichkeiten. So können die Daten des Quartiersmonitorings im Bereich Armut mit anderen kleinräumigen Daten aus den verschiedenen Sachgebieten kombiniert werden. Zudem bietet das Quartiersmonitoring eine Ergänzung zu den Daten des Stuttgarter Sozialmonitorings, insbesondere zur Beantwortung von Fragestellungen für die die Stadtviertelebene eine besondere Relevanz aufweist. Eine fachlich-inhaltliche Diskussion und Re exion des Datenmaterials mit den Akteuren der Kinder- und Jugendhilfe, der Sozialplanung, sowie den Trägern der Wohlfahrtsp ege und Selbsthilfe wurde durch die beteiligten Fachämter bereits angestoßen. Auf dieser Basis kann schließlich auch ein Abgleich der Ergebnisse im Themenfeld Armut mit der bestehenden sozialen Infrastruktur zur Unterstützung von Armut Betro ener durchgeführt werden. Letztendlich dienen die Ergebnisse als Planungsgrundlage für die soziale Quartiersentwicklung, die Anknüpfung an den Prozess der Stuttgarter Armutskonferenz sowie die Evaluation und zukünftige Festlegung von möglichen Milieuschutzsatzungen.
Abbildung 4: Kartogra sche Darstellung des Stuttgarter Armutsrisikoindex
STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 1|202325
Schwerpunkt Instrumente und Strategien der Stadtbeobachtung
In den beiden anderen Themenfeldern Wohnraum und Umwelt/Gesundheit arbeitet die AG Quartiersmonitoring aktuell an deren weiterer Entwicklung, sowohl in konzeptioneller Hinsicht als auch in Bezug auf die Datensammlung. Dadurch soll es zukünftig in Stuttgart für die Stadtviertelebene möglich sein, im Themenfeld Wohnraum die Dynamiken in den Bereichen Verdrängung und Aufwertung abzubilden und im Themenfeld Umwelt/Gesundheit Belastungen in ebendiesen Bereichen zu erkennen.
Sobald alle drei Themenfelder konzeptionell abgeschlossen sind, werden die Daten des Quartiersmonitorings Soziale Stadtentwicklung in regelmäßigem Turnus aktualisiert, um die Entwicklungen über die Zeit in den STV messen zu können. Zudem ist eine GIS-gestützte Kartierung zur Darstellung der Daten des Quartiersmonitorings geplant. Dadurch ermöglicht das Quartiersmonitoring die frühzeitige Identi kation entstandener Problemlagen. Dies ist die Voraussetzung, um mithilfe entsprechender politischer Maßnahmen zielgerichtet auf die Situation vor Ort einwirken zu können.
1 Der Atlas Sozialmonitoring ist unter dem folgenden Link zu nden: www.stuttgart.de/sozialmonitoring.
2 Quartiere sind in diesem Fall gleichbedeutend mit Stadtvierteln. Dementsprechend werden auch nachfolgend die Begri e „Quartier“ und „Stadtviertel“ synonym verwendet.
3 Ausschlusskriterien sind eine Einwohnerzahl kleiner als 250 und/oder eine Stadtviertelnummer mit der Endzi er ***9, die Stadtviertel mit geringer Wohnbesiedlung kennzeichnet.
Literatur
BMFSFJ (2021): Allein- oder getrennterziehen – Lebenssituation, Übergänge und Herausforderungen. In: Monitor Familienforschung 43, Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
Bundesagentur für Arbeit (2022: Statistik der Bundesagentur für Arbeit – Arbeitsmarktstatistik: Abgang und Verbleib von Arbeitslosen in Beschäftigung, Nürnberg, Dezember 2022. Freeman, L. (2005): Displacement or succession?
Residential mobility in gentrifying neighborhoods. Urban A airs Review, 40(4), S. 463–491. Giesecke, J., Kroh, M., Tucci, I., Baumann, A. und El-Kayed, N. (2017): Armutsgefährdung bei Personen mit Migrationshintergrund - Vertiefende Analysen auf Basis von SOEP und Mikrozensus, In: SOEPpapers 907-2017, DIW Berlin. Gunderlach, R. (2013): Das Stuttgarter Sozialmonitoring. In: Statistik und Informationsmanagement, Monatsheft 11/2013, S. 296–300. Haußmann, M. (2019): Die neue sozialräumlich orientierte Stadtviertelgliederung Stuttgarts.
In: Statistik und Informationsmanagement, Monatsheft 4/2019, S. 132–141.
Holm, A. und Schulz, G. (2016): GentriMap: Ein Messmodell für Gentri cation und Verdrängung. In: Helbrecht, I.: „Gentri zierung in Berlin: Verdrängungsprozesse und Bleibestrategien“. Bielefeld: transcript Verlag, S. 287–318.
Landeshauptstadt München, Referat für Stadtplanung und Bauordnung (2016): Münchner Stadtteilstudie – Fortschreibung 2015. München.
Landeshauptstadt Stuttgart (2019): Quartiersmonitoring Soziale Stadtentwicklung Beobachtung der Lebenslagen und Stadträume in Stuttgart, GRDrs 317/2019.
Landeshauptstadt Stuttgart (2022): Zwei sich ergänzende Freiwilligkeitsleistungen der Landeshauptstadt Stuttgart: Bonuscard + Kultur und FamilienCard, GRDrs 146/2022.
Mujahid, M. S., Sohn, E. K., Izenberg, J., Gao, X., Tulier, M. E., Lee, M. M., & Yen, I. H. (2019): Gentri cation and displacement in the San
Francisco Bay area: a comparison of measurement approaches. In: International journal of environmental research and public health, 16(12), 2246.
Preis, B., Janakiraman, A., Bob, A. und Steil, J. (2021): Mapping gentri cation and displacement pressure: An exploration of four distinct methodologies. Urban Studies, 58(2), S. 405–424.
Stadt Köln (2021): Monitoring Stadtentwicklung Köln – Inhalte und Methodendokumentation. Kölner Statistische Nachrichten, 6.1/2021.
Üblacker, J. (2017): „Gentri cation-Forschung in Deutschland: Eine Bestandsaufnahme der Methoden zur Erfassung sozialen Wandels.“ In: Geschlossene Gesellschaften – 38. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Soziologie.
26 STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 1|2023
Schwerpunkt Instrumente und Strategien der Stadtbeobachtung
Sören Werner, Kristina Kraus
Entwicklung eines Sozialindex mittels einer explorativen Hauptkomponentenanalyse
Der Freiburger Sozialindex wurde anhand einer explorativen Hauptkomponentenanalyse entwickelt und dient dazu, die Multidimensionalität der sozialen Lage in den (statistischen) Bezirken auf einen Wert herunterzubrechen. Das zur Ermittlung verwendete multivariate Analyseverfahren erlaubt es, valide Vergleichswerte von Bezirken untereinander und Entwicklungen im Zeitverlauf abzubilden, und ist stabil genug, um nicht durch Ausreißer oder statistische Fehler beein usst zu werden. Der Sozialindex wird mittels sieben Indikatoren gemessen, die durch ein iteratives Verfahren aus insgesamt 130 Indikatoren ausgewählt worden sind.
Einleitung
Es gab zwei konkrete Anlässe, den Sozialindex ausgerechnet im Jahr 2022 zu entwickeln. Der erste war der Wunsch des Amtes für Soziales, soziale Benachteiligung zu messen und die Datengrundlage für die Quartiersarbeit zu aktualisieren. Dadurch wird ermittelt, welche Stadtgebiete hier stärker in den Fokus rücken können. Der zweite Anlass war eine bedeutende datentechnische Voraussetzung: die breite Verfügbarkeit von geeigneten Indikatoren aus verschiedenen Themengebieten und Datenquellen. Nach vielen Jahren des Aufschiebens wurde 2021 endlich das Indikatorenset der Freiburger Statistikstelle neu aufgesetzt: eine halbautomatisierte Zusammenstellung von Kennzahlen aus allen verfügbaren Datenquellen auf drei Raumebenen (Gesamtstadt, Stadtbezirke, statistische Bezirke) mit langen Zeitbezügen (teilweise zurückgehend bis in das Jahr 1990). Diese Datenstruktur ermöglicht es, mit wenig Aufwand vielfältige statistische Analysen anzustoßen.
Die Idee einer explorativen Hauptkomponentenanalyse
Sören M. Werner
(M.A. Soziologie) Sachgebietsleiter Kommunalstatistik, Stadt Freiburg i. Br.
: soeren.werner@stadt.freiburg.de
Kristina Kraus
(M.A. Soziologie, Politikwissenschaften) Mitarbeiterin Kommunalstatistik, Stadt Freiburg i. Br.
: kristina.kraus@stadt.freiburg.de
Schlüsselwörter:
Index – Indikatoren – Sozialindex – Faktorenanalyse –Hauptkomponentenanalyse – multivariate Statistik –Soziale Benachteiligung
Es war eine bewusste Entscheidung, die Ermittlung eines Sozialindex primär anhand statistischer Kriterien durchzuführen und sich nicht von theoretischen Vorüberlegungen oder Vorgaben beein ussen zu lassen. Die Idee, die Analyse unvoreingenommen mit allen verfügbaren Indikatoren zu beginnen und sich nach und nach dem Ergebnis zu nähern, konnte am besten mit einer explorativen Hauptkomponentenanalyse umgesetzt werden. Demzufolge wurden weder andere Fachämter noch andere externe, nicht-statistische Kriterien hinzugezogen. Die Auswahl der konstituierenden Indikatoren sollte durch das statistische Modell erfolgen. Selbstverständlich schließt dies nicht aus, dass eine fundierte Kenntnis über die in das Modell ein ießenden Indikatoren, darüber, was diese messen und wie die Daten zu interpretieren sind, nicht nur vorhanden sondern auch als Voraussetzung gelten kann.
Die technische Idee:
Das Ziel der explorativen Hauptkomponentenanalyse ist es, auf Grundlage der vorliegenden Daten die Beziehungen zwischen den Variablen mit einer möglichst geringen Anzahl an Dimensionen zu reproduzieren oder um auf latente Variablen („Faktoren“) zu schließen, ohne dabei Vorgaben zu den Bezie -
STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 1|202327 Schwerpunkt Instrumente und Strategien der Stadtbeobachtung
hungen der Variablen untereinander zu machen (wie bei der kon rmatorischen Faktorenanalyse). Die Anzahl der zu extrahierenden Faktoren ist unbekannt (Backhaus et al. 20211: 417). Es wird versucht, mit wenigen Komponenten die maximale Information/Varianz der Variablen (maximal = Anzahl der in Analyse einbezogenen Variablen) zu reproduzieren (Backhaus et al. 2021: 435, 440).
Die inhaltliche Idee: Eine einzelne Zahl, ein Index, soll möglichst adäquat die soziale Wirklichkeit und die Multidimensionalität der sozialen Lage wiedergeben bzw. die relativen Unterschiede zwischen den verschiedenen städtischen Gebieten deutlich machen. Dafür sollen in allen Daten geschaut werden, welche sich als geeignet darstellen, eine „Gemeinsamkeit“ abzubilden.
Dieser Ansatz erlaubt es, durch ein iteratives Verfahren nach und nach Indikatoren in einer Weise zu „eliminieren“, dass sich eine Komponente herauskristallisieren lässt und dabei die Modellgüte stetig verbessert wird.
Am Ende soll ein Set von Indikatoren stehen, die alle eine hohe Faktorladung aufweisen, durch verschiedene Modellmaße als geeignet befunden wurden und dabei trotzdem unterschiedliche Dimensionen der sozialen Lage abbilden.
Die Voraussetzung für eine explorative Hauptkomponentenanalyse
Infolge dessen wurden die vorliegenden 130 Indikatoren der Bereiche Arbeitsmarkt, Bevölkerungsbestand und -bewegungen, Fläche, Gebäudebestand, Haushalte, Kraftfahrzeuge, Soziales, Wahlen und Wohnungsmarkt analysiert. Es handelt sich dabei um klassische Kennzahlen wie z.B. Arbeitslosenquote, Beschäftigtenquote, Haushaltsquoten, Ausländeranteil, verschiedene Altersquotienten, diverse Geburtenzi ern, Quoten von staatlichen Transferleistungsempfänger*innen sowie Wahlbeteiligung und Wohndichte, aber auch speziellere Kennzahlen wie Neuwagenanteile (Pkw), Religionszugehörigkeiten, Briefwahlanteile, Anteile selbstgenutzten Wohneigentums, Räume je Wohnung, Scheidungsquote und Stimmenanteile von Parteien. Im Grunde ist der gesamte kleinräumig verfügbare Datenbestand der Statistikstelle abgebildet. Das Set soll laufend überprüft und erweitert werden.
Zu Beginn der Ermittlung des Index mussten drei Entscheidungen getro en werden:
- Raumbezug der Daten: hier war schnell klar, dass die Ebene der 167 statistischen Bezirke die geeignetste Ebene ist – groß genug für ausreichend Fälle, klein genug für eine ausreichende räumliche Di erenzierung des Stadtgebiets.
- Zeitbezug der Daten: hier sollte ein möglichst aktueller Zeitbezug gewählt werden, um zum einen valide Werte für die Gegenwart zu haben und da zum anderen für vergangene Jahre nicht alle Indikatoren zur Verfügung stehen. Gleichzeitig sollten es möglichst „durchschnittliche“ Jahre ohne besondere Ereignisse sein. Daher wurde eine Zeit nach der Zuwanderung von Schutzsuchenden des Jahres 2015 und vor der Pandemie gewählt. Um Ausreißer einzufangen
und um strukturelle Zusammenhänge besser erkennen zu können, wurde ein 4-Jahres-Mittel (2016–2019) gewählt. - Sachbezug der Daten bzw. Auswahl der Indikatoren: hier war die klare Entscheidung, zunächst alle Indikatoren in das Modell zu werfen, um ergebniso en zu denken und das Modell aufgrund statistischer Kennzi ern entscheiden zu lassen, welche Indikatoren nach und nach ausgeschlossen werden.
Alle Indikatoren wurden mithilfe der z-Transformation zudem auf eine einheitliche Skala standardisiert, um nicht „Äpfel mit Birnen“ zu vergleichen. Das bedeutet beispielsweise, dass ein Wohn ächenwert von 40 Quadratmetern pro Person vergleichbar gemacht wird mit einer Arbeitslosenquote von 6,5 Prozent. Alle Indikatoren erhalten durch die durchgeführte Standardisierung einen Mittelwert von 0 und eine Standardabweichung von 1.
Das Ergebnis: ein stabiler, multidimensionaler Sozialindex
Unter Anwendung der Hauptkomponentenmethode verbleiben folgende sieben Indikatoren, die untereinander stark korrelieren (Abbildung 1) und hinter denen ein Faktor erkennbar ist:
- Arbeitslosenquote Frauen: Dies ist nicht nur ein Indikator für die allgemeine Erwerbsbeteiligung, sondern tangiert auch Status und Rolle der Frau.
- Durchschnittsalter der Mütter bei der Geburt: Hier steht die These im Raum, dass dies nicht nur ein Hinweis auf den Erwerbsstatus ist, sondern auch ein indirekter Bildungsindikator.
- Anteil Personen mit persönlichem Migrationshintergrund: Hatte höhere Korrelationen als der Ausländeranteil und deutet auf die kulturellen und ökonomischen Ressourcen hin, auch nach Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit.
- Quote Leistungsempfänger*innen nach SGB XII (Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung): klassischer Indikator von Altersarmut und der Erwerbsbiographie.
- Quote Personen in Bedarfsgemeinschaften nach SGB II (0 bis unter 65 Jahre): klassischer, indirekter Indikator des Erwerbs- und Einkommensstatus.
- Wahlbeteiligung bei Bundestagswahlen: bewährter Indikator für die politisch-gesellschaftliche Partizipation der deutschen (!) Bevölkerung.
- Wahlbeteiligung bei Landtagswahlen: komplementärer Indikator zur Bundestagswahl, auch um fehlende Jahre ohne Bundestagswahl abzudecken.
Die erklärte Gesamtvarianz des Sozialindex beträgt 77,2 Prozent und in Abbildung 2 sind die Komponentenladungen und Kommunalitäten der einzelnen Indikatoren zu sehen.
Zuletzt werden die Faktorwerte des Sozialindex für die statistischen Bezirke mithilfe einer Regressionsanalyse bestimmt. Da die Ausgangsindikatoren standardisiert in die Berechnung eingehen, sind auch die Faktorwerte standardisiert. Die Faktorwerte der statistischen Bezirke sind deren ( ktive) Lagewerte.
28 STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 1|2023 Schwerpunkt Instrumente und Strategien der Stadtbeobachtung
Schwerpunkt Instrumente und Strategien der Stadtbeobachtung
Abbildung 1: Korrelationsmatrix der ausgewählten Indikatoren für den Sozialindex
Es werden stets 3-Jahres-Mittel zur Analyse herangezogen, d.h. der Sozialindexwert des Jahres 2016 beinhaltet die Jahre 2014, 2015 und 2016. Somit wurde über alle statistischen Bezirke eine Zeitreihe von 2016 bis 2021 gebildet. Anhand derer können Veränderungen der sozialen Lage gemessen und dargestellt werden.
Wozu dient der Sozialindex?
Nun stellt sich die Frage: Wozu das Ganze? Tatsächlich war neben der konkreten Anfrage des Sozialamtes, einen Index zur räumlichen Einteilung und Erweiterung der Quartiersarbeit zu haben2, eine große Portion stadtforscherischer Neugier im Spiel. Was kommt heraus, wenn wir alle verfügbaren Daten zusammen betrachten, welche Gemeinsamkeiten lassen sich nden, wo gibt es scheinbar wirkmächtige Faktoren, die hinter den vordergründigen Phänomenen stehen. Die Ausarbeitung der drei weiteren Indizes (siehe unten) war Ausdruck dieser Neugier und dieses Forschungsinteresses.
Unabhängig von der Freude an der Statistik stehen die Autor*innen trotzdem fachlich und inhaltlich voll hinter diesem Index: Er ist ein multidimensionales Maß der sozialen Lage und indiziert Gebiete mit Personen, die eine vergleichsweise geringe gesellschaftliche Teilhabe, eine „soziale Benachteiligung“, aufweisen, beobachtet deren Entwicklung und bietet Steuerungsbedarfe.
Deshalb ist es wünschenswert, dass möglichst viele Fachämter sich des Sozialindex annehmen und ihn nutzen. Aufgrund seiner Multidimensionalität ist er auch für verschiedene Ämter interessant: Amt für Migration und Integration, Amt für Soziales, Amt für Kinder und Jugend, Amt für Schule und Bildung, Stadtplanungsamt etc. Es ist an dieser Stelle jedoch schlicht zu früh, um hier eine Bewertung zur Akzeptanz und zum Einsatz in Planung und Steuerung machen zu können, aber es gibt bereits weitere Interessensanfragen.
Abbildung 2: Komponentenladung, Kommunalitäten und Anteil nicht erklärter Varianz der ausgewählten Indikatoren für den
Varianz, der nicht durch Faktor erklärt werden kann
STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 1|202329
Arbeitslosigkeit Frauen Alter Mütter b. Geburt Migrationshintergrund SGB XII Grundsicherung SGBII Personen in BG Wahlbeteiligung BTW Wahlbeteiligung LTW Arbeitslosenquote Frauen -0,620,720,710,94-0,82-0,72 Durchschnittsalter der Mütter bei Geburt -0,62 -0,74-0,49-0,670,700,67 Anteil Personen mit persönlichem Migrationshintergrund 0,72-0,74 0,630,78-0,80-0,76 Quote Leistungsempfänger*innen SGB XII (Grundsicherung) 0,71-0,490,63 0,72-0,73-0,65 Quote Personen in Bedarfsgemeinschaften nach SGB II 0,94-0,670,780,72 -0,83-0,74 Wahlbeteiligung Bundestagswahlen -0,820,70-0,80-0,73-0,83 0,90 Wahlbeteiligung Landtagswahlen -0,720,67-0,76-0,65-0,740,90
Komponentenladung Kommunalitäten Anteil
Arbeitslosenquote Frauen 0,900,820,18 Durchschnittsalter der Mütter bei Geburt -0,790,630,37 Anteil Personen mit persönlichem Migrationshintergrund 0,880,780,22 Quote Leistungsempfänger*innen SGB XII (Grundsicherung) 0,800,640,36 Quote Personen in Bedarfsgemeinschaften nach SGB
0,930,860,14 Wahlbeteiligung Bundestagswahlen -0,940,890,11 Wahlbeteiligung Landtagswahlen -0,890,790,21
Sozialindex
II
Abbildung 3: Sozialindexwerte der Freiburger statistischen Bezirke 2021
Weitere Anwendungsmöglichkeiten derselben Methode: Hochbetagtenindex, Wohnungsneubauindex, Familienwohnindex
Im Zuge der explorativen Hauptkomponentenanalyse für den Sozialindex sind Komponenten aufgefallen, die auf weitere Faktoren hindeuteten. In derselben Methodik wurden somit weitere Indizes herausgearbeitet. Die Namensgebung spiegelt dabei den Versuch wider, deren inhaltliche Aussage ein wenig zu überschreiben.
Hochbetagtenindex
Der Hochbetagtenindex mit einer erklärten Gesamtvarianz von 72,0 Prozent besteht aus folgenden Indikatoren:
- Greying-Index – ein Maß, welches das Verhältnis von Personen im Alter von 80 Jahren und älter zu Personen zwischen 60 und 80 Jahren anzeigt.
- Proportion der Alten zu den Jungen – ebenfalls ein Altersmaß, welches das Verhältnis der 65-Jährigen und Älteren zu den unter 15-Jährigen anzeigt.
- Natürlicher Saldo – zeigt entweder einen Geburtenüberschuss oder einen Sterbefallüberschuss an.
Abbildung 4: Komponentenladung, Kommunalitäten und Anteil nicht erklärter Varianz der ausgewählten Indikatoren für den Hochbetagtenindex
- Anteil Einpersonenhaushalte 75 Jahre und älter – ein Maß zur Anzeige des Anteils von allein lebenden Senior*innen an allen Haushalten.
- Quote Leistungsempfänger*innen nach SGB XII (Hilfe zur P ege) – die Quote zeigt an, wie hoch der Anteil in der Bevölkerung ist, der Hilfe zur P ege nach SGB XII bezieht.
Der Hochbetagtenindex zeigt Gebiete mit vielen älteren Menschen an und wird erwartbar stark von der Präsenz von Seniorenwohnanlagen und P egeheimen beein usst. Diese Bezirke können jedoch im interaktiven Indikatorenatlas mittels eines Filters ausgeblendet werden, wodurch man eine etwas abgeschwächte Verteilung erhält.
Wohnungsneubauindex
Der Wohnungsneubauindex ist ein sehr volatiler Index mit starken jährlichen Schwankungen. Er zeigt Gebiete an, in denen neu gebaut wird oder wurde und sich dementsprechend auch die Personen- und Haushaltszahl verändert hat:
- Bevölkerungsentwicklung (Veränderungsrate) – die Veränderungsrate beschreibt die relative Bevölkerungszu- oder -abnahme zum Vorjahr.
- Anteil Neubauwohnungen letzte fünf Jahre – der Anteil von neu gebauten Wohnungen, die in den letzten fünf Jahren entstanden sind, am gesamten Wohnungsbestand.
- Veränderungsrate Wohnungsbestand Fertigstellungen – Veränderung des Wohnungsbestandes durch fertiggestellte Wohnungen zum jeweiligen Vorjahr.
- Veränderungsrate Haushalte – die Veränderungsrate beschreibt die relative Haushaltszu- oder -abnahme zum Vorjahr.
Der Wohnungsneubauindex könnte behil ich sein, Veränderungen in der Bevölkerungs- und Sozialstruktur, die sich in anderen Indikatoren und Indizes im Laufe der Zeit bemerkbar machen, im Nachhinein zu bezi ern. Er weist eine erklärte Gesamtvarianz von 83,1 Prozent auf.
30 STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 1|2023 Schwerpunkt Instrumente und Strategien der Stadtbeobachtung
Komponentenladung Kommunalitäten Anteil Varianz, der nicht durch Faktor erklärt werden kann Greying-Index 0,910,820,18 Proportion der Alten zu den Jungen 0,780,600,40 Natürlicher Saldo -0,910,830,17 Anteil Einpersonenhaushalte 75 Jahre und älter 0,890,790,21 Quote Leistungsempfänger*innen SGB XII (Hilfe zur P ege) 0,740,550,45
Schwerpunkt Instrumente und Strategien der Stadtbeobachtung
Familienwohnindex
Der Fokus beim Familienwohnindex liegt genauso stark auf dem Aspekt Wohnen wie auf dem Aspekt Familie. Es ist kein reiner Familienindex, sondern er beinhaltet weitere Indikatoren, die auf die Wohnumgebung hindeuten:
- Jugendquotient – ein klassisches Altersmaß, welches den Anteil der unter 15-Jährigen an der Gesamtbevölkerung anzeigt.
- Durchschnittliche Anzahl Räume je Wohnung – hiermit werden große Wohnungen bzw. Wohnungen mit vielen Räumen angezeigt.
- Durchschnittliche Haushaltsgröße – die Anzahl der Personen pro Haushalt korreliert sehr stark mit dem Familienanteil.
- Anteil Familienhaushalte – hier sind alle Haushalte mit Kindern enthalten.
- Pkw pro Haushalt – zeigt die Anzahl der Personenkraftwagen pro Haushalt und damit typische „Mittelschicht“Familienwohngebiete an.
Der Familienwohnindex ist durch die verschiedenen Indikatoren stabiler und kann strukturelle Familienwohngebiete besser indizieren als der reine Anteil von Familienhaushalten, da Familien häu g in ihrer Gründungsphase noch umziehen. Die erklärte Gesamtvarianz beträgt 71,7 Prozent.
Schluss
Mit dem beschriebenen Verfahren ist ein valider, belastbarer Sozialindex entwickelt worden, der nun der Sozialplanung und der Beobachtung der sozialen Lage in den Freiburger Bezirken zur Verfügung steht.
Er ist sowohl im Informationsportal FR.ITZ3 als tabellarische Darstellung zu nden als auch im interaktiven Indikatorenatlas4. Dort sind jeweils die Indexwerte, deren Kategorisierungen als auch die zugrunde liegenden Indikatoren als Zeitreihe verfügbar. Auch die übrigen drei Indizes sind dort zu nden und können detailliert ausgewertet werden.
Abbildung 5: Komponentenladung, Kommunalitäten und Anteil nicht erklärter Varianz der ausgewählten Indikatoren für den Wohnungsneubauindex
nentenladung
nalitäten Anteil Varianz, der nicht durch Faktor erklärt werden kann
1 Backhaus, Klaus et al. (2021): Multivariate Analysemethoden, eine anwendungsorientierte Einführung, 16. Au age, Wiesbaden: Springer Gabler.
2 Tatsächlich gab es einen Vorgänger-Index, der allerdings nicht rein wissenschaftlich entwickelt wurde. Der Wunsch des Fachamtes war, diesen zu aktualisieren – die Autor*innen haben sich jedoch für die beschriebene Neuentwicklung entschieden.
3 https://fritz.freiburg.de/asw/asw.dll?aw=Indikatoren/Indizes_Z_interaktiv
4https://fritz.freiburg.de/indikatorenatlas/produktiv/atlas.html
Abbildung 6: Komponentenladung, Kommunalitäten und Anteil nicht erklärter Varianz der ausgewählten Indikatoren für den Familienwohnindex
nentenladung
nalitäten Anteil Varianz, der nicht durch Faktor erklärt werden kann
STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 1|202331
Kompo-
Kommu-
Bevölkerungsentwicklung insgesamt (Veränderungsrate) 0,920,850,15 Anteil Neubauwohnungen letzte 5 Jahre 0,880,770,23 Veränderungsrate Wohnungsbestand Fertigstellungen 0,900,810,19 Veränderungsrate Haushalte 0,940,890,11
Kompo-
Kommu-
Jugendquotient 0,850,720,28 Durchschnittliche Anzahl Räume je Wohnung 0,710,510,49 Durchschnittliche Haushaltsgröße 0,940,890,11 Anteil Familienhaushalte 0,910,830,17 Pkw pro Haushalt 0,800,630,37
Katrin John
Gewerbemonitoring in der Landeshauptstadt Hannover
Die wirtschaftliche Entwicklung und Situation in Gewerbegebieten ist eine wesentliche Informationsgrundlage für die Entwicklung dieser Flächen. Um diese Grundlage nutzen zu können, wertet die Stadt Hannover Daten des Unternehmensregisters auf Ebene der Gewerbegebiete aus und stellt diese der Verwaltung zur Verfügung. Die Aufnahme der Gewerbegebiete in die kleinräumige Gliederung der Stadt Hannover war dafür die erste Voraussetzung. Das Monitoring wird in R als Shiny Dashboard umgesetzt und als verwaltungsinternes Werkzeug im Intranet zugänglich gemacht. Die Auswertungen beziehen sich sowohl auf die Gewerbegebiete insgesamt als auch auf einzelne Gebieten. Enthalten sind Kennzahlen zu Betrieben, Beschäftigten, Wirtschaftsgliederungen, Größenklassen und wissensintensiven Dienstleistungen.
Seit dem Jahr 2020 gibt es in der Landeshauptstadt Hannover ein Monitoring der wirtschaftlichen Aktivitäten in Gewerbegebieten. Das Monitoring wurde in enger Abstimmung mit der Wirtschaftsförderung erarbeitet und wird überwiegend von dieser genutzt.
Grundlagen
Die Wirtschaftsförderung der Stadt Hannover hatte den Wunsch geäußert, statistische Planungsgrundlagen für die Beobachtung und Weiterentwicklung der Gewerbe ächen zu bekommen. Die vom Rat der Stadt Hannover 2019 neu aufgelegten Leitlinien für die Gewerbe ächenentwicklung sehen unter anderem die Hebung von Potentialen in der Innenentwicklung von Bestandsgebieten vor. Um diese Potentiale zu de nieren, werden neben Informationen zu Bedarfen, Flächen und Gebäuden auch Daten zur wirtschaftlichen Situation benötigt.
Um dem Wunsch nach Planungsgrundlagen zu entsprechen, mussten zwei Dinge geklärt werden: Erstens ging es um die Scha ung der benötigten räumlichen Grundlage und zweitens mussten passende Datenquellen geprüft werden.
Zum Zeitpunkt der Entwicklung war die räumliche Ebene der Gewerbegebiete nicht Teil der in der Statistikstelle genutzten kleinräumigen Gliederung. Für die statistische Nutzung der von der Wirtschaftsförderung bzw. Flächennutzungsplanung abgegrenzten Gewerbegebiete wurden Baublockseiten genutzt. Die Gewerbegebiete wurden mithilfe der Baublockseiten nachgebildet.
Dr. Katrin John
Diplom-Volkswirtin, seit 2019 Mitarbeiterin der Statistikstelle der Landeshauptstadt Hannover, Themenschwerpunkte: Verkehrs- und Wirtschaftsstatistik
: katrin.john@hannover-stadt.de
Schlüsselwörter:
Betriebsdaten – Gewerbegebiet – Unternehmensregister –Wirtschaftsabteilung – Wirtschaftszweig –wissensintensive Dienstleistung
Einige wenige Gewerbegebiete sind mithilfe der Baublockseiten nicht sauber abgrenzbar. Um hier exakt zu arbeiten, hätte die Abgrenzung der Gewerbegebiete anhand von Adressen erfolgen müssen. Da die Baublockseiten jedoch aus rechtlichen Gründen häu g die kleinste Ebene darstellen, auf denen Daten dauerhaft gespeichert werden dürfen, wurde hier analog diese Ebene gewählt. Hinzu kommt, dass es unwahrscheinlich ist, wesentliche Betriebe in den absoluten Randlagen der Gewerbegebiete zu verpassen. Abbildung 1 zeigt ein Beispiel, wo die Abgrenzung des Gewerbegebiets mithilfe von Baublockseiten nicht exakt möglich ist. Hier verläuft die Grenze des Gewerbegebiets (rote Linie) im Baublock 342004. Allerdings be nden sich keine Adressen (gelbe Punkte) im außerhalb des Gewerbegebiets liegenden Teil des Baublocks (gelb schra ert), so dass die nicht exakte Abgrenzung keine Auswirkungen hat.
32 STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 1|2023 Schwerpunkt Instrumente und Strategien der Stadtbeobachtung
Abbildung 1: Beispiel für eine nicht exakte Darstellbarkeit der Gewerbegebiete (rot) mithilfe von Baublöcken (blau)
Die Datenaufbereitung startet mit den standardmäßig aufbereiteten Datensätzen basierend auf dem kommunalstatistischen Abzug des Unternehmensregisters. Dieser wurde um die kleinräumige Gliederung (inkl. Gewerbegebiete) ergänzt und enthält verschiedene Gliederungsebenen der Klassizierung der Wirtschaftszweige 2008 sowie weitere abgeleitete Kennzahlen. In der weiteren Aufbereitung werden noch Größenklassen de niert, Namen von Wirtschaftszweiggliederungen dazu gespielt und wissensintensive Dienstleistungen abgeleitet (siehe nächster Abschnitt).
Als geeignete Datenquelle hat sich der kommunalstatistische Abzug des Unternehmensregisters nach § 9 StatRegG erwiesen, den die Statistikstelle jährlich vom Landesamt für Statistik Niedersachsen erhält. Zu allen Niederlassungen von Betrieben, die im Bezugsjahr Beschäftigte bzw. mind. einen Umsatz von 17.500 EUR hatten, enthält der Abzug einen Datensatz, so dass die gewünschte Ebene der Gewerbegebiete nach Zuordnung von Baublockseiten aggregiert werden kann. Zudem enthält er mit Angaben zu den tätigen Personen 1 relevante Informationen zur wirtschaftlichen Bedeutung und über die Informationen zum Wirtschaftszweig (Klassi kation der Wirtschaftszweige, Ausgabe 2008) sind auch inhaltliche Auswertungsmöglichkeiten gegeben. Nicht enthalten sind jedoch Betriebe der Wirtschaftsabschnitte „Land- und Forstwirtschaft, Fischerei“ (Abschnitt A), „Ö entliche Verwaltung, Verteidigung, Sozialversicherung“ (Abschnitt O), „Private Haushalte mit Hauspersonal, Herstellung von Waren und Erbringung von Dienstleistungen durch private Haushalte für den Eigenbedarf ohne ausgeprägten Schwerpunkt“ (Abschnitt T) und „Exterritoriale Organisationen und Körperschaften“. Da diese wirtschaftlichen Aktivitäten in Gewerbegebieten allerdings weniger zu erwarten sind, muss das eher für die Relation zur gesamten wirtschaftlichen Aktivität im Hinterkopf behalten werden.
Über die Daten des Unternehmensregisters hinaus werden bisher keine weiteren Daten für das Gewerbemonitoring verarbeitet. Eine Testauswertung der Fahrzeugstatistik für die Ebene der Gewerbegebiete wurde im letzten Jahr durchgeführt. Eine Erweiterung mit diesen Daten wäre denkbar, aber es gab bisher keine konkreten Anforderungen von Seiten der Nutzer*innen. Andere interessante Daten wie etwa Arbeitsmarktdaten der Bundesagentur für Arbeit liegen nicht auf der benötigten räumliche Ebene vor.
Umsetzung
Das Monitoring der Gewerbegebiete wird in R als Shinydashboard umgesetzt. Es ist als internes Werkzeug im Intranet der Stadtverwaltung Hannover erreichbar. Die App kann in verallgemeinerter Form für Mitglieder der KO.R KOSIS-Gemeinschaft vom Git-Server heruntergeladen werden. Verbesserungsvorschläge sind herzlich willkommen.
Insgesamt gibt es in der Landeshauptstadt Hannover 39 Gewerbegebiete auf Basis der Festlegung des Rates von 2012. Im Berichtsjahr 2020 waren mit 4.214 Niederlassungen 17,5 Prozent aller Niederlassungen in diesen 39 Gewerbegebieten der Stadt ansässig. In Bezug auf die Beschäftigung waren 37,9 Prozent aller tätigen Personen (134.316) und 40,8 Prozent aller sozialversicherungsp ichtig Beschäftigten (124.592) in Gewerbegebieten beschäftigt.
Betrachtete Kennzahlen
Neben Anzahl und Anteilen zu Niederlassungen und Beschäftigten allgemein werden Wirtschaftsabschnitte bzw. -abteilungen, Größenklassen von Betrieben und der Anteil wissensintensiver Dienstleistungen betrachtet.
Wissensintensive Dienstleistungen werden dabei anhand des Ausbildungsniveaus der Beschäftigten de niert (Gehrke et al., 2010). Arbeiten in einem den Dienstleistungen zugeordneten Wirtschaftszweig überdurchschnittlich viele Akademiker*innen bzw. insbesondere Naturwissenschaftler*innen 2 und Ingenieur*innen, so gilt dieser als wissensintensiv. Die Gruppierung nach diesen Wirtschaftszweigen ermöglicht also die Betrachtung der wissensintensiven Dienstleistungen. Universitäten und Fachhochschulen sind nicht Teil der Datengrundlage, da sie keine Betriebe im Sinne der Statistik sind. Forschungsinstitute sind jedoch Teil der Betriebsdaten. Häu g haben die Universitäten bzw. Fachhochschulen ausgegliederte Institute/ Unternehmen, die für sie wirtschaftlich tätig sind. Diese wären dann, wenn sie Beschäftigte bzw. einen Umsatz von mind. 17.500 EUR pro Jahr haben, in den Daten enthalten.
Neben den wissensintensiven Dienstleistungen können in ähnlicher Weise auch forschungsintensive Industrien betrachtet werden. Da aber pro Gewerbegebiet oft nur wenige Betriebe des produzierenden Gewerbes tätig sind, entstehen schnell Probleme der Geheimhaltung, so dass forschungsintensive Industrien hier nicht weiter betrachtet werden.
Aufbau des Monitorings
Das Monitoring startet mit einer Übersichtskarte über die Gewerbegebiete der Landeshauptstadt Hannover (siehe Abbildung 2). Hier kann eine erste Orientierung erfolgen, da der Name des jeweiligen Gebiets beim Darüberfahren mit der Maus („mouse-over“) angezeigt wird. Denkbar ist eine Erweiterung, dass über das Anklicken eines Gebietes die Auswahl für Teil zwei des Monitorings (Auswertung eines einzelnen Gebietes) erfolgt.
STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 1|202333 Schwerpunkt Instrumente und Strategien der Stadtbeobachtung
Schwerpunkt Instrumente und Strategien der Stadtbeobachtung
Eine Menüleiste (siehe Abbildung 3) ermöglicht das Navigieren zwischen den einzelnen Teilen der Auswertungen und bietet Downloadbuttons für bestimmte Auswertungen an. Das Monitoring gliedert sich in zwei große Teile. Der erste Teil folgt auf die Übersichtskarte und betrachtet die Gewerbegebiete in Summe. Hier werden die wirtschaftlichen Aktivitäten innerhalb und außerhalb von Gewerbegebieten verglichen. Das ermöglicht es, die Besonderheiten der innerhalb von Gewerbegebieten angesiedelten Betrieben zu erkennen. Jede im Folgenden betrachtete Kennzahl wird einerseits für „Niederlassungen von Betrieben“, für tätige Personen und für „sozialversicherungsp ichtig Beschäftigte“ ausgewertet. Neben dieser allgemeinen Betrachtung werden andererseits Wirtschaftsabschnitte, Größenklassen von Niederlassungen und wissensintensive Dienstleistungen betrachtet.
Abbildung 2: Übersichtskarte mit Gewerbegebieten als Einstieg ins Monitoring
Abbildung 3: Menüleiste des Monitorings
Abbildung 4: Auswertung zu Größenklassen von Niederlassungen außerhalb und innerhalb von Gewerbegebieten
34 STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 1|2023
Lea et, Landeshauptstadt Hannover, Geoinformation
Schwerpunkt Instrumente und Strategien der Stadtbeobachtung
Das Monitoring soll zeitliche Entwicklungen sichtbar machen. Dadurch, dass die Zuordnung der Gewerbegebiete erst ab dem Jahr 2020 möglich ist, startet das Monitoring mit dem Berichtsjahr 2019 des Unternehmensregisters, das damals aktuell war. Somit sind aktuell zwei Zeitpunkte (Berichtsjahre 2019 und 2020) enthalten. Die Abbildungen sind aber darauf angelegt, dass weitere Berichtsjahre darstellbar sind.
Die Auswertungen im ersten Teil ermöglichen es, strukturelle Unterschiede zu erkennen und im zeitlichen Verlauf
zu prüfen, ob diese stabil sind. So sind beispielsweise innerhalb von Gewerbegebieten größere Betriebe angesiedelt als außerhalb (siehe Abbildung 4). Die Erweiterung um weitere Berichtsjahre wird zeigen, ob sich an diesen Strukturen etwas ändert.
Die Daten dieses ersten Teils können als Exceldatei heruntergeladen werden. Dabei sind auch Daten, die in den Abbildungen nur für das jeweils aktuelle Jahr gezeigt werden, für alle verfügbaren Zeitpunkte enthalten.
STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 1|202335
Abbildung 5: Menüpunkt Gebietsinfo
Abbildung 6: Auswertungen auf Ebene einzelner Gewerbegebiete
Der zweite Teil des Monitorings geht auf die Ebene der einzelnen Gewerbegebiete. Über ein Drop-Down-Menü kann ein einzelnes Gewerbegebiet ausgewählt werden. Ist die Auswahl erfolgt, können über die Menüpunkte „Gebietsinfo“ und „Auswertung Gebiet“ Details abgerufen werden. Im Menüpunkt „Gebietsinfo“ erfolgt die Ausgabe einer gezoomten Karte des ausgewählten Gebiets mit Angaben zur Fläche und zu den Rängen mit Blick auf die Niederlassungen und die im Gebiet tätigen Personen, so dass eine erste Einordnung des Gebiets ermöglicht wird.
Das Kernstück schließlich ist der Menüpunkt mit den Auswertungen des ausgewählten Gebiets. Hier werden ähnliche Kennzahlen wie bei den Auswertungen innerhalb und außerhalb von Gewerbegebieten im ersten Teil dargestellt. Um jedoch mehr Detailinformation abzubilden, werden neben der Di erenzierung in Dienstleistungen und Industrie die wichtigsten Wirtschaftsabteilungen (2-Steller der WZ08) gezeigt. Hierbei erfolgt aus Gründen der Geheimhaltung eine Unterscheidung je nach Größe des Gewerbegebiets. Hat das Gewerbegebiet mindestens 200 Niederlassungen, so werden die Top 10 Wirtschaftsabteilungen ausgegeben, sind es weniger als 200 Niederlassungen, so werden nur die Top 3 Wirtschaftsabteilungen (siehe Abbildung 6) ausgegeben. Eine ähnliche Abhängigkeit ndet sich bei der Auswertung der Größenklassen der Niederlassungen. Hier entfällt jedoch die Auswertung ganz, wenn das Gewerbegebiet weniger als 200 Niederlassungen hat.
Die Daten des ausgewählten Gebietes können analog zum ersten Teil als Exceldatei heruntergeladen werden und umfassen zu allen Auswertungen die Daten aller Berichtsjahre. Denkbar wäre eine Erweiterung der Downloadmöglichkeit aller Gebiete in einer Datei. Diese Auswertung ist als Skript angelegt, aber nicht in der App integriert.
Nutzung des Monitorings
Als hauptsächliche Nutzerin des Monitorings ist die kommunale Wirtschaftsförderung gedacht. Da die Gewerbegebiete keine feststehende, nach außen kommunizierte Ebene sind, gibt es keine Anfragen wirtschaftlicher Akteure. Die Auswertungen dienen lediglich internen Planungsentscheidungen. Es hat sich aber gezeigt, dass das Wissen um die Verfügbarkeit von Daten durch das Monitoring auch in andere Planungsbereiche weitergetragen wurde, so dass die Statistikstelle auch Anfragen zu ähnlichen Auswertungen für spezi sche Gebiete bekommen hat.
Somit erscheint grundsätzlich die Sichtbarkeit und Zugänglichkeit planungsrelevanter Daten eine gute Möglichkeit zu sein, potentielle Nutzer*innen anzusprechen. Gleichzeitig ist so die Weiterentwicklung gewährleistet, da bestehende Produkte der Statistik an bisher noch unbekannte Bedarfe angepasst bzw. neu entwickelt werden können.
Die Daten des Unternehmensregisters stehen ab dem Berichtsjahr 2021 in erweiterter Form zur Verfügung. So können dann auch geringfügig Beschäftigte als Teilmenge der tätigen Personen ausgewiesen werden. Diese Beschäftigtengruppe ist jedoch nicht in besonderem Fokus der Infrastrukturplanung. Hier stellt die Größe der Beschäftigten insgesamt eine ausreichende Planungsinformation dar.
Der Umgang mit der anvisierten Überarbeitung der Klassi kation der Wirtschaftszweige ist in Teilen vermutlich unkritisch, da die genutzten Aggregierungen zu Industrie/ Dienstleistungen sowie in die Wirtschaftsabschnitte sicher auch mit einer überarbeiteten Klassi kation bruchfrei erstellt werden können. Für die wissensintensiven Dienstleistungen wird das sehr wahrscheinlich nicht der Fall sein. Hier müsste eine Anpassung der Ableitung abgewartet werden, bevor ein Umgang damit gefunden werden kann.
1 Die Zahl der tätigen Personen umfasst alle in der Niederlassung Beschäftigten. Dazu gehören z.B. auch tätige Inhaber, unbezahlt mithelfende Familienangehörige, Auszubildende, geringfügig Beschäftigte.
2 Die Zuordnungen basieren überwiegend auf der Beschäftigtenstatistik der Bundesagentur für Arbeit ausgewertet nach der Klassikation der Berufe. Diese unterscheidet nach Anforderungsniveau (Helfer, Fachkräfte, Spezialisten und Experten), wobei für die beiden letzten ein Studium die Voraussetzung ist. Auswertungen zu Berufen innerhalb von Wirtschaftszweigen führen zu Anteilen an Akademiker*innen. Die Zuordnung zu Naturwissenschaftler*innen und Ingenieur*innen erfolgt anhand der Berufsfelder.
Literatur
Gehrke, B., R. Frietsch, P. Neuhäusler, und C. Rammer. Listen der wissens- und technologieintensiven Güter und Wirtschaftszweige. Zwischenbericht zu den NIW/ ISI/ZEW-Listen 2010/2011. Studien zum deutschen Innovationssystem Nr. 19-2010, Berlin: Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI), 2010.
36 STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 1|2023 Schwerpunkt
Instrumente und Strategien der Stadtbeobachtung
Tim Ott
Sozialraummonitorings in der verwaltungsbezogenen Anwendung
Ergebnisse
einer Nutzenden-Befragung
in Berlin, Hamburg, Köln und Stuttgart
Sozialraummonitorings sind in vielen Stadtverwaltungen ein zentrales Instrument der Stadtbeobachtung. Sie dienen insbesondere verwaltungsinternen Verantwortlichen als Analyseinstrument und Argumentationsgrundlage für (planerische) raumbezogene Entscheidungen. Anhand quantitativer Daten wird sowohl die sozialräumliche Lage als auch die Entwicklung von Teilgebieten im gesamtstädtischen Kontext beobachtet und eingeordnet. Mittels eines teil-standardisierten Fragebogens wurden für diesen Beitrag verwaltungsinterne Nutzende in vier Untersuchungsstädten zu unterschiedlichen Aspekten der Nutzung, der Methodik, der Bedarfe sowie der Stärken der Sozialraummonitorings befragt. Am Beispiel von Berlin, Hamburg, Köln und Stuttgart werden Einblicke in einige der thematisierten Befragungsinhalte gegeben.
Einleitung
Sozialraummonitorings sind in den letzten Jahren in vielen deutschen Städten zu einem festen Bestandteil der verwaltungsbezogenen kleinräumigen Stadtbeobachtung geworden. Das wesentliche Ziel der Sozialraummonitorings ist es, anhand verschiedener quantitativer Indikatoren sowohl die sozialräumliche Lage in den Teilgebieten der Städte als auch deren Entwicklung im gesamtstädtischen Kontext zu untersuchen und zu visualisieren. Eine einheitliche Begri sverwendung für diese Art der Analyse gibt es nicht. Die Namensgebung erfolgt stadtspezi sch sehr individuell. So gibt es u. a. das Sozialmonitoring (Stadt Stuttgart 2022), das Monitoring Soziale Stadtentwicklung (Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen Berlin 2022) oder auch das Monitoring zur sozialen Segregation und Benachteiligung (Stadt Frankfurt 2021). In diesem Artikel wird Sozialraummonitoring als übergeordneter Begri verwendet (vgl. Pohl u. Ott 2019; Speringer u. Böing 2021).
Durch diese Form der Stadtbeobachtung sollen Gebiete identi ziert und lokalisiert werden, in denen sich sozial benachteiligte Bevölkerungsgruppen konzentrieren. Diese Gebiete sind für die soziale Stadtentwicklung aufgrund der Annahme von Quartiers-/Kontexte ekten von vorrangigem Interesse. Damit ist gemeint, dass der Wohnort das Leben der dort wohnenden Personen auf physischer, sozialer und symbolischer Ebene beein usst (vgl. u.a. Friedrichs u. Blasius 2000; Volkmann 2012). Aufgrund dessen ist es das Ziel zu verhindern, „dass sich die Konzentration von Benachteiligten zusätzlich benachteiligend für die Benachteiligten auswirkt, [so]dass aus benachteiligten Quartieren benachteiligende werden“ (Häußermann 2003: 148).
Tim Ott
M. Sc. Geographie, Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der HafenCity Universität Hamburg, Arbeitsgebiet Stadtentwicklung und Quantitative Methoden der Stadt- und Regionalforschung : tim.ott@hcu-hamburg.de
Schlüsselwörter: Sozialraummonitoring – Stadtbeobachtung – Soziale Ungleichheit – Stadtvergleich – Nutzenden-Befragung
Zumeist sind die betro enen Gebiete den Verantwortlichen innerhalb der Verwaltungen bereits bekannt. Ein Sozialraummonitoring soll den Zuständigen jedoch ein datenbasiertes Analyseinstrument bieten, dessen Befunde als Argumentations- und Entscheidungsgrundlage dienen können. Auf diese Weise sollen Entscheidungen und Maßnahmen nachvollziehbar und transparenter werden (Pohlan u. Kaiser 2015). Um zu analysieren, ob die Sozialraummonitorings ihre Zielsetzungen erfüllen und in welchen Bereichen sie in verwaltungsbezogenes Handeln ein ießen, habe ich teil-standardisierte Befragungen in Stadtverwaltungen durchgeführt. Bei den hier dargestellten Sozialraummonitorings handelt es sich um die Folgenden:
STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 1|202337 Schwerpunkt Instrumente und Strategien der Stadtbeobachtung
-Monitoring Soziale Stadtentwicklung Berlin (MSS)
- Sozialmonitoring Integrierte Stadtteilentwicklung Hamburg
-Monitoring Stadtentwicklung Köln
-Sozialmonitoring Stuttgart
Themen meiner Befragungen waren:
1. Nutzungsaspekte (u.a. Anwendungsbereiche, Häu gkeit, Inhalte, Darstellungsformate),
2. Methodische Aspekte (u.a. Räumliche Ebene, Indikatorenwahl, Nachvollziehbarkeit),
3.Stärken und Bedarfe bzw. Verbesserungsmöglichkeiten.
Ziel dieses Artikels ist es, am Beispiel der vier Untersuchungsstädte ausschnitthaft folgende Fragestellungen zu beantworten:
1. Was sind die Anwendungsbereiche von Sozialraummonitorings? Wofür werden die Sozialraummonitorings in den Städten genutzt?
2.Erfüllen die Sozialraummonitorings ihre Zielsetzungen?
3.Was sind die Stärken der Sozialraummonitorings?
4. Was sind Schwierigkeiten im Umgang und Verbesserungsmöglichkeiten?
Zu Beginn werden einige Hinweise zur Durchführung der Befragungen gegeben. Anschließend werden die untersuchten Sozialraummonitorings und die Ergebnisse der Befragung unter Bezugnahme zu den vier genannten Fragestellungen vorgestellt.
Hinweise zur Befragung
In den vier Untersuchungsstädten wurden mittels teil-standardisierter Online-Fragebögen in unterschiedlichen Zeitphasen im Jahr 2022 Befragungen durchgeführt. Primär adressiert wurden verwaltungsinterne Nutzende des jeweiligen Sozialraummonitorings sowie Personen in der Verwaltung, die aufgrund fachlicher Berührungspunkte potenzielle Nutzende
sein könnten. Die Durchführung der Befragungen erfolgte in Abstimmung und Kooperation mit den Verantwortlichen der jeweiligen Sozialraummonitorings. Die Fragebögen für die Untersuchungsstädte waren weitestgehend identisch. An einigen Stellen waren Inhalte (insbesondere Antwortkategorien) jedoch stadtspezi sch. Auf die Befragung wurde jeweils über Verwaltungskanäle aufmerksam gemacht. Zumeist handelte es sich um E-Mail-Verteiler der Verwaltung an bekannte Nutzendenkreise. Es wurde aber auch darum gebeten, die Befragung an diejenigen mit fachlichen Berührungspunkten weiterzuleiten. Eine Ausnahme stellte diesbezüglich die Befragung in Stuttgart dar. Die Teilnahme war dort ö entlich über die Website der Stadt Stuttgart zugänglich. Die in diesem Artikel dargestellten Ergebnisse beziehen sich allerdings zwecks Vergleichbarkeit ausschließlich auf die Nutzenden innerhalb der Verwaltung.
Die Zahl der Teilnehmenden variiert zwischen den Städten recht stark, weshalb die Vergleichbarkeit eingeschränkt ist. Die Antworten auf o ene Fragen sind teilweise sehr überschaubar. Dies hängt u.a. von den unterschiedlich großen adressierten Nutzendenkreisen ab. Andererseits gibt es in den Städten ungleich viele Nutzende, wobei die Grundgesamtheit der Nutzenden in den Städten unbekannt ist. Teilweise wurden nicht alle Fragen von den Teilnehmenden beantwortet, weshalb n jeweils in den Abbildungen angegeben wird. Außerdem sind die Fallzahlen manchmal sehr gering. Daher sind in den dazugehörigen Abbildungen zur besseren Einordbarkeit und im Wissen um die Problematik der Prozentuierung sowohl relative als auch absolute Werte (in Klammern) angegeben.
Sozialraummonitorings der Untersuchungsstädte
Die Auswahl der Untersuchungsstädte hing mit den unterschiedlichen Typen von Sozialraummonitorings zusammen. Die Formate und die Ausgestaltung von Sozialraummonitorings im Allgemeinen unterscheiden sich sehr stark. Sie reichen von umfassenden Berichten bis zu kompakten Kurzberichten
Abbildung 1: Übersicht Sozialraummonitorings der Untersuchungsstädte (eigene Darstellung)
Name des Sozialraummonitorings
Berlin Hamburg Köln
Monitoring Soziale Stadtentwicklung
Verantwortliche Verwaltungsstelle Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen
Format Kurz- und Langfassung (15 bzw. 80 Seiten)
Zentrales Ergebnis Gesamtindex (Status und Dynamik)
Teilnahme Befragung
61 verwaltungsbezogene Nutzende (76 Teilnehmende)
Sozialmonitoring Integrierte Stadtteilentwicklung
Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen
Mittellanger Bericht (30 Seiten)
Gesamtindex (Status und Dynamik)
33 verwaltungsbezogene Nutzende (39 Teilnehmende)
Monitoring Stadtentwicklung
Amt für Stadtentwicklung und Statistik
Aktive Benutzungsober äche (bisher einmaliger Bericht)
Stuttgart
Sozialmonitoring
Sozialamt
lnstant Atlas (Online-Atlas)
Gesamtindex (Status und Dynamik) und Teilindices Indikatoren
15 verwaltungsbezogene Nutzende (28 Teilnehmende)
46 verwaltungsbezogene Nutzende (185 Teilnehmende)
38 STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 1|2023 Schwerpunkt
Strategien
Stadtbeobachtung
Instrumente und
der
sowie digitalen, aktiven Ober ächen ohne jegliche Berichtsform. Ein Ziel meiner Befragungen war es, diese verschiedenen Sozialraummonitoring-Typen zu berücksichtigen. Außerdem sollte möglichst bereits ausreichendes Erfahrungswissen im Umgang mit dem Sozialraummonitoring bestehen. Eine Gegenüberstellung der Untersuchungsstädte ist in Kurzform in Abbildung 1 zu sehen.
Das MSS Berlin und das Sozialmonitoring Integrierte Stadtteilentwicklung Hamburg bestehen seit vielen Jahren (Berlin: 1998, Hamburg: 2010) und sind bereits etabliert. Sie dienten außerdem mehrfach anderen Städten als Orientierung für den Aufbau eines Sozialraummonitorings. Demzufolge besteht in diesen beiden Städten umfassendes Erfahrungswissen im Umgang mit dem Instrument. Sie werden in beiden Städten von den jeweiligen Verwaltungsbereichen, die für Stadtentwicklung zuständig sind, verantwortet. Mit den 542 Planungsräumen (Berlin) und den 941 Statistischen Gebieten (Hamburg) liegen die Analysen auf sehr kleinräumiger Ebene vor. Methodisch basieren beide auf einem Indexverfahren (siehe dazu auch den Beitrag von Andreas Kaiser in diesem Heft). Dabei werden mehrere ausgewählte Indikatoren, die auf soziale Benachteiligungen hinweisen, mittels z-Transformation normalisiert und anschließend aufsummiert. Betrachtet werden sowohl die aktuelle Lage als auch die Veränderungen zu Vorjahren. Insgesamt ergibt sich daraus ein Gesamtindex – bestehend aus Status und Dynamik. Während die Berichterstattung in Hamburg jedes Jahr in kompakter Form (etwa 30 Seiten) erfolgt, gibt es in Berlin zweijährlich eine Kurzfassung (etwa 15 Seiten) und eine Langfassung (ca. 80 Seiten) mit ausführlicheren Beschreibungen und Analysen (Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen Hamburg 2022; Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen Berlin 2022). In Berlin nahmen 61 Nutzende an der Befragung teil, in Hamburg waren es 33. Die Bezeichnung Nutzende bedeutet in diesem Kontext, dass die Teilnehmenden antworteten, das jeweilige Sozialraummonitoring entweder „regelmäßig zu nutzen“ oder „bereits genutzt zu haben“.
Das Monitoring Stadtentwicklung Köln wurde als themenübergreifendes Monitoring konzipiert. Dies ist vor dem Hintergrund einer für die Stadtentwicklung möglichst ganzheitlichen Betrachtungsweise besonders interessant. In der Konzipierung stellt dies jedoch eine besondere – vor allem methodische – Herausforderung dar. Betrachtet werden u.a. die Gesamtindices wirtschaftliche Benachteiligung und Bildungs- und Teilhabechancen. Der Gesamtindex wirtschaftliche Benachteiligung besteht aus den Teilindices Transferleistungen und Arbeitslosigkeit. Im Gesamtindex Bildungs- und Teilhabechancen sind die Teilindices Transferleistungen, Integrationsbedarf, Gesundheit, Bildungsbeteiligung sowie Umwelt- und Wohnqualität enthalten. Zusätzlich gibt es ergänzende Indikatoren. Der Entwicklungsprozess nahm sehr viel Zeit in Anspruch. Dementsprechend ist das Monitoring Stadtentwicklung bisher (noch) nicht so etabliert wie es in den anderen Städten der Fall ist. Zum Stand 2019 gibt es einen Bericht mit Methodendokumentation sowie einen Ergebnisband mit Gebiets-Steckbriefen (Stadt Köln 2021). Das zentrale Kommunikationsformat des Monitorings ist aber eine digitale aktive Benutzungsober äche, die nicht ö entlich zugänglich ist. In Köln nahmen 15 Nutzende an der Befragung teil.
Das Stuttgarter Sozialmonitoring hingegen hat stärker den Charakter einer Datenplattform. Es werden die Anteilswerte verschiedener Indikatoren zu sieben Handlungsfeldern online zur Verfügung gestellt. Die Handlungsfelder umfassen die Bereiche Demogra e, Haushalte, Einwohner, Erziehung/Bildung, Gesundheit, Arbeit/Einkommen/Transferleistungen und Wohnen. Auf eine Verdichtung zu einem Index oder andere Formen der Überlagerung der Indikatoren oder Handlungsfelder wird verzichtet. Die Daten werden jährlich aktualisiert. Die zuständige Verwaltungsstelle ist im Sozialamt verortet (Stadt Stuttgart 2022). An der Befragung in Stuttgart nahmen 46 verwaltungsbezogene Nutzende teil.
Anwendungsbereiche und Nutzungskontexte
Im Folgenden werden die Nutzungskontexte innerhalb der Untersuchungsstädte vor- und gegenübergestellt (Abb. 2). Die Nutzungskontexte wurden mittels der dargestellten Kategorien erfragt. Anschließend wurde um eine Konkretisierung gebeten. Neben den Nutzungskontexten wird an dieser Stelle stadtspezi sch auch Bezug auf die Anwendungsbereiche genommen.
Nutzende in Berlin gibt es sowohl in den Senats- als auch den Bezirksverwaltungen. Der überwiegende Anteil derer, die an der Befragung teilgenommen haben, arbeitet in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen. Vereinzelte andere Nutzende kommen aus den folgenden Senatsverwaltungen: „Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz“, „Bildung, Jugend und Familie“, „Inneres, Digitalisierung und Sport“ sowie „Integration, Arbeit und Soziales“. In den Bezirksverwaltungen handelt es sich insbesondere um Nutzende in den Stadtentwicklungsämtern (aus Stadtplanung, und Quartiersmanagement), in der Sozialraumorientierten Planungskoordination, in der Qualitätsentwicklung, Planung und Koordination sowie der Jugendhilfeplanung.
In Berlin wird das MSS von der Mehrheit der Befragten (61 %) als Planungsgrundlage genutzt. Die Hälfte (53%) verwendet Ergebnisse des MSS im Kontext fachlicher Berichterstattungen, etwa ein Fünftel nutzt das MSS für die Entwicklung neuer Instrumente der sozialen Stadtentwicklung (19 %), etwa ein Viertel (23%) für andere Nutzungen. Die Nutzung als Planungsgrundlage bezieht sich in Berlin vor allem auf den Kontext Förderprogramme. Im Fokus stehen hierbei u. a. die Gebietsauswahl für verschiedene Förderprogramme (u. a. Quartiersmanagement/Sozialer Zusammenhalt, Ressortübergreifende Gemeinschaftsinitiative zur Stärkung sozial benachteiligter Quartiere). Weitere mehrfach genannte Aspekte sind räumliche Analysen (bspw. Identi zierung sozialer Benachteiligung, Bewertung Gebietsentwicklung) und Konzeptentwicklungen (Soziale Infrastrukturkonzept, Integrierte Handlungskonzept Quartiersmanagement).
Die Nutzung zur fachlichen Berichterstattung bezieht sich am häu gsten auf die Kontexte Stadtentwicklung (bspw. Entwicklung der Gebiete der sozialen Stadtentwicklung, Lage und Entwicklung in Großsiedlungen), Armutsberichterstattung und Gesundheitsberichterstattung. Die Ergebnisse werden außerdem für die Erstellung von Gebietspro len genutzt. Darüber hinaus handelt es sich um Themen wie die Planung
STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 1|202339
Schwerpunkt Instrumente und Strategien der Stadtbeobachtung
Abbildung 2: Nutzungskontexte der Sozialraummonitorings (eigene
sozialer Infrastruktur, Förderkulissen, das Thema Umweltgerechtigkeit sowie Anfragenbeantwortung (Ö entlichkeit/Politik) oder Gremienarbeit. Die Nutzung des MSS im Kontext der Entwicklung neuer Instrumente der Stadtentwicklung und anderer Nutzungen dreht sich ebenfalls schwerpunktmäßig um Förderprogramme (bspw. um Freiwilliges Engagement in Nachbarschaften, EU-Förderprogramme, Mobile Stadtteilarbeit oder das Programm Sauberkeit und Sicherheitsemp nden in Großsiedlungen). Es gibt darüber hinaus noch vielfältige vereinzelte Nutzungsbereiche.
In Hamburg sind es ebenfalls die Bereiche der fachlichen Berichterstattung und die Nutzung als Planungsgrundlage, die vergleichsweise am häu gsten genannt werden. Ein Großteil der Befragten nimmt die Ergebnisse konkret für die Unterstützung bei der Gebietsauswahl, die Erstellung von ProblemPotenzial-Analysen und Integrierten Entwicklungs-Konzepten sowie Bilanzierungen der Gebietsentwicklung im Kontext des Rahmenprogramms Integrierte Stadtteilentwicklung zur Hilfe. Diese drei Antwortkategorien sind stadtspezi sch für Hamburg. Ähnliche Aspekte können in den anderen Städten in den vorhandenen Antwortkategorien enthalten sein. Die Nutzung zur fachlichen Berichterstattung umfasst u. a. Vermerke, die Beantwortung politischer Anfragen sowie Nachfragen aus der Ö entlichkeit, Regional-/Stadtteilpro le und die Identi zierung von Handlungsbedarfen. Die Nutzung zur Entwicklung neuer Instrumente wird kaum konkretisiert. Andere Nutzungen sind sehr divers von Bedarfslageneinschätzungen und Anfragenbeantwortung bis zu bezirksinternen Abstimmungen und Gebietssteckbriefen. Die Nutzenden kommen vor allem aus dem Bereich Sozialraummanagement in den Bezirken.
Daneben sind es Bereiche in der Behörde für Schule und Berufsbildung, der Stadt- und Landschaftsplanung sowie der Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen.
Die Befragten in Stuttgart kommen vorwiegend aus dem Referat Soziales und gesellschaftliche Integration (primär Sozialamt), dem Referat Jugend und Bildung (primär Jugendamt), dem Referat Sicherheit, Ordnung und Sport (primär Statistisches Amt, Amt für Sport und Bewegung) sowie dem Referat Städtebau, Wohnen und Umwelt (primär Amt für Stadtplanung und Wohnen). Die Nutzung als Planungsgrundlage (67%) bezieht sich vermehrt auf die Angebots-, Bedarfs- und Projektplanung für verschiedene Zielgruppen (bspw. Kinder, Jugendliche, Alleinerziehende, Familien) sowie für soziale Infrastrukturen. Weitere Nutzungsbereiche sind u. a. die Quartiersentwicklung und die Gebietsauswahl. Im Rahmen der fachlichen Berichterstattung (56%) handelt es sich überwiegend um Berichterstattungen in Gremien/Ausschüssen/Beiräten sowie im Gesundheits- und Armutskontext. Deutlich weniger Nutzende verwenden das Sozialmonitoring zur Entwicklung neuer Instrumente (16%). Sofern dies konkretisiert wird, handelt es sich um Aspekte der Quartiersentwicklung. Andere Nutzungen (18 %) umfassen vor allem die Verwendung als Informationsgrundlage, um sich einen Überblick zu verscha en.
In Köln spielt die fachliche Berichterstattung die zentrale Nutzungsrolle. Dabei handelt es sich u.a. um die Integrierte Sozialberichterstattung, ein Gesundheitsmonitoring und die Beantragung von Fördermitteln. Konkretisierungen bezüglich der Nutzung als Planungsgrundlage beziehen sich auf die kleinräumige Sozialplanung sowie die Jugendhilfe- und Schulentwicklungsplanung.
40 STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 1|2023 Schwerpunkt Instrumente und Strategien der Stadtbeobachtung
Darstellung)
Zielsetzungen
Im Rahmen der Befragungen wurde die Zustimmung zu bestimmten Aussagen erfragt. Vier dieser Aussagen werden in diesem Abschnitt vergleichend dargestellt.
Der Aussage „Das Sozialraummonitoring bildet sozialräumliche Ungleichheiten ab.“ wird von den Antwortenden in den unterschiedlichen Untersuchungsstädten mehrheitlich zugestimmt (Abb. 3). In Stuttgart fällt die Zustimmung mit 71 % im Vergleich am geringsten aus. In Berlin stimmen lediglich drei Personen der Aussage nicht zu, in Stuttgart gibt es je eine Person, die nicht zustimmt bzw. gar nicht zustimmt. Gesamtbetrachtend lässt sich aus den Rückmeldungen erkennen, dass diese Zielsetzung in allen Städten erfüllt wird.
Im Vergleich dazu fällt die Zustimmung zu der Aussage „Das Sozialraummonitoring hilft mir, frühzeitig kleinräumige Entwicklungstrends zu erkennen“ in allen vier Städten geringer
aus (Abb. 4). Sie liegt in Berlin und Hamburg dennoch über der Hälfte. In Köln stimmen vier von fünf Personen dieser Aussage zu. In Stuttgart liegt die Zustimmung bei knapp der Hälfte der Befragten. Die tendenziell geringere Zustimmung kann u. a. damit zusammenhängen, dass sich keine eindeutigen Entwicklungstrends erkennen lassen oder aber auch damit, dass sich die zukünftige Entwicklung von Gebieten anhand der zurückliegenden Veränderungen schlecht prognostizieren lässt.
Die Aussage „Das Sozialraummonitoring hilft mir, potenzielle Handlungsbedarfe zu identi zieren“ wird städteübergreifend hingegen zustimmend bewertet (Abb. 5). In Köln stimmen alle Befragten dieser Aussage zu. Mit vier von fünf Befragten fällt die Zustimmung in Stuttgart und Berlin ebenfalls sehr hoch aus. Der Anteil derer, die zustimmen oder voll und ganz zustimmen, ist in Hamburg vergleichsweise am geringsten. Die Sozialraummonitorings helfen demzufolge einem Großteil der Nutzenden mögliche Handlungsbedarfe zu identi zieren.
Abbildung 3: Das Sozialraummonitoring bildet sozialräumliche Ungleichheiten ab (eigene Darstellung)
Abbildung 4: Das Sozialraummonitoring hilft mir, frühzeitig kleinräumige Entwicklungstrends zu erkennen (eigene Darstellung)
STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 1|202341
Schwerpunkt Instrumente und Strategien der Stadtbeobachtung
Abbildung 5: Das Sozialraummonitoring hilft mir, potenzielle Handlungsbedarfe zu identi zieren (eigene Darstellung)
Abbildung 6: Das Sozialraummonitoring bietet eine verwaltungsübergreifend akzeptierte Datengrundlage (eigene Darstellung)
Die Aussage, dass das Sozialraummonitoring eine verwaltungsübergreifend akzeptierte Datengrundlage bietet, wird in Berlin, Hamburg und Stuttgart eindeutig bestätigt (Abb. 6). In Hamburg gibt es diesbezüglich nur zustimmende Rückmeldungen. In Berlin und Stuttgart liegt die Zustimmung jeweils bei etwa 85%. In Köln fällt die Zustimmung vergleichsweise geringer aus. Insgesamt lässt sich festhalten, dass die Sozialraummonitorings insbesondere in Berlin, Hamburg und Stuttgart als akzeptierte Instrumente bewertet werden.
Stärken
Um die Stärken der Sozialraummonitorings herauszustellen, wurden die Antwortbeiträge der o enen Frage nach den Stärken auf einzelne bzw. teilweise mehrere Schlagworte reduziert. Diese sind in Abbildung 7 in Wortwolken dargestellt, wobei n für die Summe der Häu gkeiten der Schlagworte steht. Die zentrale Stärke von Sozialraummonitorings wird darin gesehen, dass sie eine Datengrundlage bieten. Dies lässt sich städteübergreifend erkennen. In Berlin werden diesbezüglich insbesondere das kleinräumige Vorgehen sowie die Regelmäßigkeit betont. Weitere vermehrte Nennungen sind die Visu-
alisierung der Ergebnisse, das Darstellen der Entwicklungen, die räumliche Analyse, die Nutzbarkeit, der Überblick den das MSS bietet, der Umfang sowie die Etabliertheit/Akzeptanz des Instruments. In Hamburg stehen neben der Datengrundlage die dargestellten Entwicklungen, die Vergleichbarkeit, die Visualisierung, die Übersichtlichkeit sowie die Verbindlichkeit im Vordergrund der genannten Stärken. In Köln sticht neben der Datengrundlage die Visualisierung der Ergebnisse hervor. Die weiteren Nennungen kommen nur vereinzelt vor. In Stuttgart werden u.a. die Zugänglichkeit sowie die Transparenz, das Ämterübergreifende, das Themenübergreifende, die Visualisierung, die Vergleichbarkeit, die Planungsgrundlage sowie die Zeitreihe, der Überblick und die Raumebenen genannt.
Schwierigkeiten und Verbesserungsmöglichkeiten
Ein weiterer Bestandteil der Befragungen waren Schwierigkeiten und Verbesserungsmöglichkeiten, die in Verbindung mit den Sozialraummonitorings gesehen werden. Nachfolgend werden vier Aspekte, die in diesem Kontext adressiert wurden, ausschnitthaft thematisiert.
42 STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 1|2023 Schwerpunkt Instrumente und Strategien der Stadtbeobachtung
Schwerpunkt Instrumente und Strategien der Stadtbeobachtung
Indexverfahren
Die Indices (verwendet in Berlin, Hamburg und Köln) stellen eine relative Einordnung der Gebiete im gesamtstädtischen Vergleich dar. Einerseits ermöglicht dies, die Lage und die Entwicklung von einzelnen Gebieten im Vergleich einzuordnen. Es hilft demzufolge im gesamtstädtischen Kontext Bedarfe zu priorisieren. Die Dynamik wird in die Klassen positiv, stabil und negativ unterteilt. Aufgrund der Methodik des Indexverfahrens kann es sein, dass die Dynamik (Veränderung) als negativ eingeordnet und bewertet wird, obwohl sich die Anzahl und auch der Anteil an sozial benachteiligten Bevölkerungsgruppen in dem Gebiet verringert haben können. Dies wäre bspw. dann der Fall, wenn sich in allen Gebieten ein Rückgang sozialer Benachteiligungen zeigt. In den Gebieten mit einer negativen Dynamik ist dieser Rückgang im Vergleich nur nicht so stark ausgeprägt wie in anderen Gebieten. Für die Interpretation und Einordnung der Veränderungen einzelner Gebiete sind daher neben den Indices die Anteilswerte und teilweise zusätzlich auch die absoluten Werte hilfreich. Außerdem könnte darüber nachgedacht werden das Wording der
Dynamik zu ändern, da die Begri e positiv und negativ eine eindeutige Wertung der Entwicklung beinhalten.
Gebietsabgrenzungen
Die überwiegende Mehrheit der Befragten gibt an, dass die räumlichen Ebenen des jeweiligen Sozialraummonitorings dem Bedarf entsprechen. Dennoch gibt es vereinzelte Anmerkungen dazu, dass Gebiete besser abgegrenzt sein könnten. Gründe dafür können u.a. eine wachsende Heterogenität innerhalb der Gebiete aufgrund von Neubaugebieten sein, weshalb eine Anpassung folgerichtig wäre. Da sich Städte permanent verändern, sind solche Modi zierungen in gewissen Zeitabständen sinnvoll. Sie haben allerdings auch zur Folge, dass frühere Ergebnisse auf den neuen Gebietsstand umgerechnet werden müssen, sofern Zeitreihenvergleiche möglich sein sollen. In Berlin wurde dies bspw. in einer Modi kation der Gebietsebenen zum Jahr 2021 umgesetzt (Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen Berlin 2020). Die damit verbundenen Anpassungen führten allerdings auch zu einem erheblichen Mehraufwand.
Abbildung 7: Stärken Sozialraummonitorings der Untersuchungsstädte (eigene Darstellung)
STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 1|202343
Eignung/Wegfallen von Indikatoren
Aufgrund von Veränderungen in der Datenbereitstellung kann es immer wieder dazu kommen, dass bisher genutzte Indikatoren nicht mehr verfügbar sind und demzufolge nicht mehr genutzt werden können. Dies stellt vor dem Hintergrund des Anspruchs der Einheitlichkeit der verwendeten Indikatoren und der Vergleichbarkeit mit früheren Ergebnissen eine Schwierigkeit dar. Ursachen können u.a. sozialpolitische Reformen oder datenschutzrechtliche Rahmenbedingungen sein. In der Vergangenheit betraf dies beispielsweise den Indikator Langzeitarbeitslosigkeit, der nicht mehr kleinräumig zur Verfügung steht. Aus diesem Grund war bspw. in Berlin 2019 eine Modi zierung, der für die Indexbildung genutzten Indikatoren, erforderlich. Damit einhergehend wurden wie im Falle geänderter Gebietsstände Umrechnungen vorgenommen, um Zeitreihen abbilden zu können. Auch die Aussagkraft von Indikatoren kann sich im Zeitverlauf verändern oder neue Indikatoren werden verfügbar, die sich für die Messung sozialer Benachteiligung besser eignen. Dies sollte in gewissen Abständen überprüft werden.
Nutzungsfreundliche Ergebnisaufbereitung
Die Nutzbarkeit der Ergebnisse hängt wesentlich von der Aufbereitung der Ergebnisse ab. Eine interaktive, digitale Anwendung kann hierbei den Umgang erleichtern und zusätzliche Analyse-Tools ermöglichen (bspw. Überlagerung von Indikatoren). Dies setzt die technischen Fähigkeiten der Nutzenden im Umgang mit einem solchen Tool voraus. OnlineSchulungen oder Tutorials können Wege der Wissensvermittlung sein. Die Zugänglichkeit der Anwendung in Stuttgart wird sehr positiv wahrgenommen. Diesbezüglich ist wichtig auf die Exportfähigkeit der Ergebnisse zu achten, damit die Daten bei Bedarf individuell weiterbearbeitet werden können. Gebiets-Steckbriefe, welche die wesentlichen Kennzahlen, Vergleichszahlen und auch zeitliche Veränderungen beinhalten, können ebenfalls sehr hilfreich für die Nutzenden sein. Auf diese Weise ist ein schneller Überblick über räumliche Strukturen und Entwicklungsprozesse möglich.
Fazit
Die Nutzenden-Befragungen lassen erkennen, dass die Zielsetzungen der Sozialraummonitorings städteübergreifend überwiegend erfüllt werden. Sozialräumliche Ungleichheiten werden abgebildet und potenzielle Handlungsbedarfe identi ziert. Der Mehrheit der Nutzenden hilft ein Sozialraummonitoring außerdem, kleinräumige Entwicklungstrends zu erkennen. Als zentrale Stärke sticht das Sozialraummonitoring als Datengrundlage hervor. Es wird – stadtspezi sch – in bestimmter Regelmäßigkeit aktualisiert und lässt somit sowohl Aussagen zu der aktuellen Situation als auch der Entwicklung innerhalb der Gebiete zu. Die Visualisierung der Ergebnisse (Karten, Tabellen und Diagramme) wird von den Nutzenden als hilfreich bewertet.
In allen Untersuchungsstädten dient das Sozialraummonitoring den Befragten primär als Planungsgrundlage oder zur fachlichen Berichterstattung. Die Nutzung als Planungsgrundlage bezieht sich vor allem auf Förderprogramme, die Gebietsauswahl (Berlin und Hamburg) oder Angebots-, Bedarfs- und Projektplanung (Stuttgart). Bei der fachlichen Berichterstattung gibt es sehr vielfältige Nutzungen. Es handelt sich vermehrt um unterschiedliche Aspekte der Stadtentwicklung, Armuts- oder auch Gesundheitsberichterstattung. Weitere Nutzungen umfassen seltener die Entwicklung neuer Instrumente der Stadtentwicklung und die Nutzung als Informations- und Orientierungsgrundlage. Die Ergebnisse von Sozialraummonitorings sind häu g nicht das alleinige Kriterium für Entscheidungen, sondern sie dienen meistens als eines von mehreren Kriterien oder schlicht als ergänzende Information zur Orientierung und Einschätzung der Lage vor Ort.
Bei der Erstellung von Sozialraummonitorings muss immer wieder mit Herausforderungen wie veränderten Rahmenbedingungen umgegangen werden. Da Städte einem stetigen Wandel unterliegen, verändern sich auch Gebietsstände. Obwohl es zwecks Vergleichbarkeit und Zeitreihenbetrachtungen sinnvoll ist, die Sozialraummonitorings kontinuierlich einheitlich fortzuschreiben, kann es deshalb erforderlich werden, sie zu modi zieren. Auch die Aussagekraft von Indikatoren kann sich im Zeitverlauf verändern. Daher ist eine Überprüfung der methodischen und inhaltlichen Zielgenauigkeit in gewisser Regelmäßigkeit sinnvoll, um Modi zierungsbedarf identizieren zu können. Für eine nutzungsfreundliche Ergebnisaufbereitung bieten sich interaktive, digitale Anwendungen und übersichtliche Gebiets-Steckbriefe an.
Zusammengefasst lässt sich festhalten, dass die Ergebnisse der Nutzenden-Befragung den Mehrwert von Sozialraummonitorings für verwaltungsbezogene Nutzungen erkennen lassen. Die Sozialraummonitorings stellen eine verwaltungsübergreifend akzeptierte datenbasierte Informations-, Argumentations- und Entscheidungsgrundlage dar. Sie ermöglichen es, Teilgebiete untereinander sowie im gesamtstädtischen Vergleich einzuordnen und Bedarfe zu priorisieren.
44 STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 1|2023 Schwerpunkt Instrumente
Strategien der Stadtbeobachtung
und
Schwerpunkt Instrumente und Strategien der Stadtbeobachtung
Literatur
Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen Hamburg (2022): Sozialmonitoring Integrierte Stadtteilentwicklung 2021. URL: https://www. hamburg.de/sozialmonitoring/15711300/ sozialmonitoring-bericht-2021 (29.12.2022).
Friedrichs, Jürgen; Blasius Jörg (2000): Leben in benachteiligten Wohngebieten. Opladen. Leske und Budrich.
Häußermann, Hartmut (2003): Armut in der Großstadt. Die Stadtstruktur verstärkt soziale Ungleichheit. In: Informationen zur Raumentwicklung, Heft 3/4. 2003, S. 147–159.
Pohl, Thomas; Ott, Tim (2019): Von der Sozialraumanalyse zum Sozialraummonitoring. Evolution eines quantitativen Raumanalyseverfahrens. In: Geographische Zeitschrift, 107 (4), S. 282–304.
Pohlan, Jörg; Kaiser, Andreas (2015): Städte unter Beobachtung – Das Sozialmonitoring
Integrierte Stadtteilentwicklung in Hamburg. In: RaumPlanung, 177/1-2015, S. 8–15.
Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen Berlin (2020): Dokumentation zur Modi kation der Lebensweltlich orientierten Räume (LOR). URL: https://www. berlin.de/sen/sbw/_assets/stadtdaten/stadtwissen/lebensweltlich-orientierte-raeume/ dokumentation_zur_modi kation_lor_2020. pdf (08.02.2023).
Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen Berlin (2022): Monitoring Soziale Stadtentwicklung 2021. URL: https://www. berlin.de/sen/sbw/stadtdaten/stadtwissen/ monitoring-soziale-stadtentwicklung/bericht-2021 (29.12.2022).
Speringer Markus, Böing, Mira (2021): Sozialräumliche Monitoringsysteme. Ein Vergleich quantitativer Herangehensweisen für städtische Sozialraummonitorings im deutschsprachigen Raum. In: Raumforschung und Raumordnung, 79/6, S. 574–589.
Stadt Köln (2021): Inhalt, Methode und Ergebnisse des Monitoring Stadtentwicklung Köln. URL: https://www.stadt-koeln.de/artikel/71225/index.html (29.12.2022).
Stadt Frankfurt (2021): Monitoring 2021 zur sozialen Segregation und Benachteiligung in Frankfurt am Main. URL: https://frankfurt.de/ service-und-rathaus/verwaltung/publikationen/jugend--und-sozialamt/monitoring-zursozialen-segregation-und-benachteiligung/ musterseite-publikation (29.12.2022).
Stadt Stuttgart (2022): Stuttgarter Sozialmonitoring. URL: https://statistik.stuttgart.de/statistiken/sozialmonitoring/atlas (29.12.2022).
Volkmann, Anne (2012): Quartierse ekte in der Stadtforschung und in der sozialen Stadtpolitik. Die Rolle des Raumes bei der Reproduktion sozialer Ungleichheit. Graue Reihe des Instituts für Stadt- und Regionalplanung Technische Universität Berlin, 36.
STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 1|202345
Andreas Kaiser
Sozialmonitoring Integrierte Stadtteilentwicklung Hamburg
Ein Stadtbeobachtungssystem und seine Anwendung
Das Sozialmonitoring Integrierte Stadtteilentwicklung ist ein in Hamburg etabliertes kleinräumiges Stadtbeobachtungssystem. Die Verwaltung ist damit in der Lage, unterstützungsbedürftige Quartiere frühzeitig zu identi zieren und die Auswahl von Fördergebieten der Städtebauförderung auf eine objektive Datenbasis zu stützen. Die Ergebnisse des Sozialmonitorings und die Grundlagendaten werden von den unterschiedlichen Stellen in der Verwaltung als Grundlage für bezirkliche und gesamtstädtische sozialräumliche Planungen genutzt. Der Artikel stellt das Instrument und seine Methodik vor und skizziert einige Anwendungsfälle für den Umgang mit den Ergebnissen des Sozialmonitorings. Damit wird gezeigt, wie statistisch gewonnene Erkenntnisse aus der Stadtforschung Eingang in lokale und fachliche Entscheidungsprozesse nden.
Das Sozialmonitoring Integrierte Stadtteilentwicklung ist ein in Hamburg etabliertes kleinräumiges Stadtbeobachtungssystem. Seit 2010 bildet es eine wichtige Grundlage für die Stadtteilentwicklung aus gesamtstädtischer Sicht. Ziel des Sozialmonitorings ist es, Quartiere mit besonderen sozialen Herausforderungen im stadtweiten Vergleich frühzeitig erkennen zu können. Dazu werden die soziale Situation sowie die Entwicklung in den Teilräumen der Stadt anhand von Sozialindikatoren beobachtet und die Abweichungen zur durchschnittlichen Entwicklung in Hamburg bewertet. Die Verwaltung ist damit in der Lage, unterstützungsbedürftige Quartiere frühzeitig zu identi zieren und die Festlegung neuer Fördergebiete der Integrierten Stadtteilentwicklung auf eine objektive Datenbasis zu stützen. Die Ergebnisse werden jährlich in einem Bericht im Internet verö entlicht (www.hamburg. de/sozialmonitoring).
Geschichte
Andreas Kaiser
Freie und Hansestadt Hamburg, Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen, Amt für Wohnen, Stadterneuerung und Bodenordnung, Abteilung Integrierte Stadtteilentwicklung : Andreas.Kaiser@bsw.hamburg.de
Schlüsselwörter:
Dynamikindex – Integrierte Stadtteilentwicklung–Sozialindikator – Sozialmonitoring – Statusindex
Das Sozialmonitoring in Hamburg wurde 2009 mit der Einführung des Rahmenprogramms Integrierte Stadtteilentwicklung (RISE) konzipiert und wird seit 2010 jährlich fortgeschrieben. RISE fasst die Programme der Städtebauförderung unter einem Dach zusammen und zielt auf eine städtebauliche Aufwertung und soziale Stabilisierung von Quartieren mit besonderem Entwicklungsbedarf. Im Aufbau orientiert sich das Hamburger Sozialmonitoring am Berliner „Monitoring Soziale Stadtentwicklung“, das bereits seit 1998 entwickelt und fortgeschrieben wurde. Es steht damit in der Tradition der in Deutschland verbreiteten sozialräumlichen Monitoringsysteme (Pohlan und Kaiser 2015). Das 2009 entwickelte Monitoringkonzept wurde zunächst mit einem Pilotbericht, der mit wissenschaftlicher Unterstützung Hamburger Universitäten erarbeitet wurde, überprüft und angepasst (FHH 2010). Auf dieser Basis erfolgt seitdem die jährliche Fortschreibung mit nur kleineren Anpassungen, die durch sich verändernde Datengrundlagen erforderlich wurden.
Indikatoren und Methodik
Die räumliche Basis bilden die sogenannten Statistischen Gebiete, in die das Hamburger Stadtgebiet zur kleinräumigen Datenauswertung aufgegliedert wurde. Statistische Gebiete
46 STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 1|2023 Schwerpunkt Instrumente und Strategien der Stadtbeobachtung
sind eine kleinräumige Gebietseinheit unterhalb der Stadtteilebene mit durchschnittlich ca. 2.200 Einwohnerinnen und Einwohnern. Sie wurden im Anschluss an die Volkszählung 1987 nach städtebaulichen und sozialstrukturellen Homogenitätskriterien gebildet und sollen das Stadtgebiet in möglichst homogene Gebietseinheiten aufteilen (Hußing und Mausfeld 2002). Vorteil ist neben der Kleinräumigkeit die weitgehende Stabilität der Abgrenzungen, die entsprechend verlässliche Zeitreihen ermöglichen. In das Sozialmonitoring ießen aus methodischen Gründen die Ergebnisse von allen Statistischen Gebieten mit mindestens 300 Einwohnerinnen und Einwohnern ein. Dies sind aktuell 853 der 941 Statistischen Gebiete in Hamburg. Obwohl zurzeit fast 90 Statistische Gebiete aufgrund ihrer Einwohnerzahl nicht berücksichtigt werden, erfassen die untersuchten Raumeinheiten über 99 Prozent der Bevölkerung (am Haupt- und alleinigen Wohnsitz, gemäß Melderegister).
Die Auswertungen des Sozialmonitorings stützen sich auf sieben sogenannte Aufmerksamkeitsindikatoren. Dies sind Indikatoren, die im Zusammenspiel (nicht als einzelne Indikatoren) besondere Aufmerksamkeit für die soziale Situation in den Quartieren signalisieren sollen. Diese sind:
1. Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund: Anteil der Kinder und Jugendlichen mit Migrationshintergrund an der Bevölkerung unter 18 Jahren
2. Kinder von Alleinerziehenden: Anteil der Kinder von Alleinerziehenden an allen unter 18-Jährigen
3. SGB-II- und AsylbLG-Empfänger/-innen: Anteil der SGB-IIEmpfänger:innen sowie Anteil der AsylbLG-Empfänger/innen an der Bevölkerung insgesamt
4.Arbeitslose: Anteil der Arbeitslosen (SGB II) an der Bevölkerung zwischen 15 und 65 Jahren
5. Kinder in Mindestsicherung: Anteil nicht erwerbsfähiger Hilfebedürftiger (SGB II)
6. Mindestsicherung im Alter: Anteil der Empfänger/-innen von Mindestsicherung im Alter (SGB XII) an der Bevölkerung 65 Jahre und älter
7. Schulabschlüsse: Anteil der Schülerinnen und Schüler mit erstem allgemeinbildendem oder mittlerem Schulabschluss an allen Schulabschlüssen
Die Indikatoren werden jeweils unter den Gesichtspunkten des Status Quo (Statusindikatoren) und der Entwicklung der vergangenen drei Jahre (Dynamikindikatoren) betrachtet und jeweils zu einem Status- und einem Dynamikindex zusammengefasst. Für den Statusindex werden die aktuellsten Werte der Indikatoren herangezogen, lediglich beim Indikator „Schulabschlüsse“ werden zur Vermeidung geringer Fallzahlen die Werte der aktuellsten drei Schuljahre aufsummiert. Für den Dynamikindex werden die Entwicklungen der jeweiligen Werte in den vergangenen drei Jahren errechnet und ebenfalls aufsummiert. Da der Indikator „Schulabschlüsse“ bereits Daten mehrerer Jahre enthält, wird hier auf die Berechnung der Entwicklung verzichtet.
Für beide Indizes werden die Werte der Indikatoren mit Hilfe einer z-Transformation zunächst standardisiert und anschließend zu einer Status- und einer Dynamiksumme aufsummiert (Abb. 1). Anschließend werden diese Werte klassiert. Dazu wird die Standardabweichung als Schwellenwert genutzt, d.h. die Klassen ergeben sich aus der Streuung der Werte und es kann auf eine Setzung (wie z.B. die obersten 10 Prozent der Raumeinheiten) verzichtet werden. Es werden vier Status- und drei Dynamikklassen unterschieden („hoch“, „mittel“, „niedrig“, „sehr niedrig“ bzw. „positiv“, „stabil“, „negativ“). Im Ergebnis kann
Abbildung 1: Schema des Indexverfahrens (Quelle: FHH 2015, S. 80)
STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 1|202347
Schwerpunkt Instrumente und Strategien der Stadtbeobachtung
Abbildung 2: Karte Gesamtindex Sozialmonitoring-Bericht 2022 (Quelle: FHH 2022a)
hoch
mittel
niedrig
sehr niedrig
Dynamikindex positiv stabil negativ
Unbewohnte Gebiete sowie Statistische Gebiete unter 300 Einwohner/innen
Stadtteilgrenze
Gewässer
Datenquelle:
Statistikamt Nord, IfBQ Hamburg
Stand: 31.12.2021
Datenbearbeitung und Kartographie: GEOWS GmbH
48 STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 1|2023 Schwerpunkt
Stadtbeobachtung
Instrumente und Strategien der
Statusindex
jedem betrachteten Statistischen Gebiet anschließend eine Status- und eine Dynamikklasse zugewiesen werden. Diese werden kombiniert (gekreuzt) ausgewertet und in einer Karte wiedergegeben (Abb. 2). Eine ausführliche Beschreibung der Methodik kann dem Sozialmonitoring-Bericht 2014 entnommen werden (FHH 2015).
Die Ergebnisse zeigen, inwieweit die einzelnen Statistischen Gebiete vom Hamburger Durchschnitt abweichen. Ein mittlerer Status entspricht Werten, die nahe am Hamburger Durchschnitt liegen. Und eine stabile Dynamik zeigt, dass die Entwicklung in etwa der Entwicklung Hamburgs folgt. Mit dem Sozialmonitoring wird die Aufmerksamkeit auf Statistische Gebiete gelenkt, in denen die betrachteten Sozialindikatoren überdurchschnittlich ausgeprägt sind und daher soziale Herausforderungen in den Quartieren vermutet werden können. Es übernimmt so die Funktion eines Frühwarnsystems. Besonders im Fokus sind dementsprechend Statistische Gebiete mit einem „niedrigen“ oder „sehr niedrigen“ Statusindex. Ob in diesen Statistischen Gebieten tatsächlich ein stadtentwicklungspolitischer Handlungsbedarf gesehen wird, kann nicht allein anhand des Sozialmonitorings beurteilt werden. Eine Bewertung der Situation erfordert die Einbeziehung des Expertenwissens zur städtebaulichen Situation in den jeweiligen Quartieren.
Ergebnisse des Sozialmonitoring-Berichts 2022
Die Ergebnisse des Sozialmonitoring-Berichts 2022 zeigen eine hohe sozialräumliche Stabilität für Hamburg (FHH 2022a). Die räumliche Verteilung von Statistischen Gebieten mit hohem, mittlerem, niedrigem und sehr niedrigem Status über das Stadtgebiet hat sich im Laufe der letzten zehn Jahre nur wenig verändert. Unterschiedlich ist jedoch die Bevölkerungsentwicklung in den einzelnen Statusklassen: Während Hamburgs Bevölkerung seit 2012 um 8,5 Prozent gewachsen ist, ging der Anteil der Menschen, die in Statistischen Gebieten mit niedrigem oder sehr niedrigem sozialem Status leben, um 5,4 Prozent zurück. Nach wie vor besteht ein hoher Deckungsgrad von Statistischen Gebieten mit niedrigem und sehr niedrigem Status mit den aktuellen und ehemaligen Fördergebieten der Integrierten Stadtteilentwicklung: 80 Prozent der Statistischen Gebiete mit niedrigem oder sehr niedrigem Status sind oder waren RISE-Fördergebiete. Dies spiegelt die hohe Relevanz des Rahmenprogramms Integrierte Stadtteilentwicklung bei der Förderung des sozialen Zusammenhalts in der Stadt.
Nutzung der Ergebnisse und Wirkung in der Praxis
Das Sozialmonitoring in Hamburg wird jährlich nach Vorliegen der aktuellen Daten durchgeführt. Die Ergebnisse werden in einem Bericht zusammengefasst, der im Internet zum Download angeboten wird (www.hamburg.de/sozialmonitoring). Neben dem Bericht werden sämtliche Ergebnisse als Karten und Tabellen in einem separaten Band bereitgestellt. Hier sind auch die einzelnen Ergebnisse für alle untersuchten Statistischen Gebiete einsehbar. Gemäß den Vorgaben des Hamburgischen Transparenzgesetzes werden die Berichte sowie die Tabel -
len in das Hamburgische Transparenzportal eingestellt und können dort zur Nutzung heruntergeladen werden (https:// transparenz.hamburg.de/). Zusätzlich wird die Karte mit den zentralen Ergebnissen, dem Gesamtindex, zu den Fachdaten in das Hamburger Geoportal aufgenommen und kann dort als interaktive Karte genutzt werden (https://geoportal-hamburg. de/geo-online/). Sowohl die Ergebnisse als auch die Grundlagendaten für das Sozialmonitoring werden innerhalb der Hamburger Verwaltung in einen Sozial-Datenpool aufgenommen, den das Statistikamt Nord im Auftrag der Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen betreibt und p egt. Damit steht den Dienststellen der Hamburger Verwaltung eine breite Basis an regelmäßig aktualisierten kleinräumigen Daten zur Verfügung, die für sozialraumorientierte Planungen genutzt werden kann.
Nutzung im Kontext der Integrierten Stadtteilentwicklung
Regelmäßig geschieht dies im Zusammenhang mit neuen oder bestehenden Fördergebieten des Rahmenprogramms Integrierte Stadtteilentwicklung (RISE), dessen Grundlage die Bund-Länder-Programme der Städtebauförderung sind. Die Ergebnisse des Sozialmonitorings und die kleinräumigen Datengrundlagen werden regelmäßig bei der Festlegung neuer Fördergebiete, bei der Erarbeitung von gebietsbezogenen Integrierten Entwicklungskonzepten sowie bei der Bilanzierung der gebietsbezogenen Förderung herangezogen. Die Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen hat Hinweise zur Datenauswertung in einem Leitfaden für die Praxis aufgenommen (FHH 2022b). Zu beachten ist dabei, dass die Methodik des Sozialmonitorings gut geeignet ist, um im gesamtstädtischen Vergleich auf mögliche Herausforderungen aufmerksam zu machen, nicht jedoch, um die gebietsbezogenen Maßnahmen der Städtebauförderung zu evaluieren – direkte Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge lassen sich über das Sozialmonitoring nicht abbilden.
Weitergehende Nutzung bei quartiersbezogenen Planungen und im Sozialraummanagement
Die Ergebnisse des Sozialmonitorings und die über den SozialDatenpool bereitgestellten Daten werden darüber hinaus von den unterschiedlichen Stellen in der Verwaltung als Grundlage für bezirkliche und gesamtstädtische sozialräumliche Planungen genutzt. Sie unterstützen damit unterschiedliche Entscheidungsprozesse in der Hamburger Verwaltung. Beispielhaft sind im Folgenden einige Anwendungsfelder genannt.
Bei einer Vielzahl von quartiersbezogenen Planungsvorhaben (auch außerhalb von RISE) werden kleinräumige Daten als Planungsgrundlage herangezogen. Oftmals werden auch die Ergebnisse des Sozialmonitorings verwendet, um sozialräumliche Schwerpunktsetzungen in den Planungen zu begründen, beispielsweise für den Ausbau sozialer Infrastruktur oder für sozialräumliche Angebote der Jugend- und Familienhilfe (https://www.hamburg.de/sozialraeumliche-angebote/).
STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 1|202349
Schwerpunkt Instrumente und Strategien der Stadtbeobachtung
Soziale Erhaltungssatzungen
Soziale Erhaltungssatzungen (nach § 172 Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB; in Hamburg Verordnungen) kommen in Hamburg vor allem in Altbauquartieren mit urbaner Mischung und zunehmend auch in den Quartieren der Nachkriegszeit, die unter einem starken Aufwertungs- und Verdrängungsdruck stehen, zum Einsatz. Ziel der Sozialen Erhaltungssatzungen ist es, Verdrängungse ekten in diesen Stadtteilen entgegenzuwirken und weitere Verluste von noch verbliebenem günstigem Wohnraum einzudämmen, um die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung in diesen Quartieren zu erhalten und nachteilige städtebauliche Auswirkungen zu vermeiden. Zur Vorbereitung von Sozialen Erhaltungssatzungen werden umfangreiche Untersuchungen der in Frage kommenden Quartiere vorgenommen, bei denen neben anderen Informationen auch die kleinräumigen Datengrundlagen des Sozialmonitorings herangezogen werden, um eine Einschätzung zur sozialen Zusammensetzung der Wohnbevölkerung zu erhalten (vgl. https://www.hamburg.de/soziale-erhaltungsverordnungen/).
Wohnen
Im Bereich Wohnen nden Sozialmonitoring-Ergebnisse an verschiedenen Stellen direkt oder indirekt Eingang in Planungen oder Entscheidungsprozesse. Ein Beispiel ist das Hamburger Wohnlagenverzeichnis, das die Einstufung von Mietwohnungen in die Wohnlagenkategorien „gut“ oder „normal“ als Grundlage zur Erstellung des Hamburger Mietenspiegels bestimmt (https://www.hamburg.de/wohnlagenverzeichnis/).
Dabei wird der Statusindex des Sozialmonitorings neben anderen Indikatoren wie z.B. dem Grün ächenanteil, dem Bodenrichtwert, der Einwohnerdichte oder der Lärmbelastung zur Wohnlagenbestimmung herangezogen (Analyse & Konzepte 2022).
Hamburgs Ziel im Wohnungsneubau ist es, geförderten Wohnungsbau in der gesamten Stadt zu ermöglichen – auch, um verstärkte sozialräumliche Unterschiede in der Stadt zu vermeiden. So soll bei Projekten auf privaten Flächen grundsätzlich ein Anteil von 35 Prozent geförderten Wohnraums entstehen. Auf städtischen Flächen soll der Anteil an geförderten Wohnungen zwischen 35 und 100 Prozent liegen (BSW 2021a).
Im Wohnungsbestand werden u.a. die Ergebnisse des Sozialmonitorings herangezogen, um Grundlagen für einen di erenzierten Umgang mit den vorhandenen Beständen von gefördertem Wohnraum zu erhalten. Mit sogenannten Freistellungsgebieten fördert die Stadt Hamburg eine stärkere soziale Durchmischung in solchen Quartieren, in denen in den 1970er und 1990er Jahren eine sehr hohe Dichte an geförderten Wohnungen entstanden ist (BSW 2021b). In den Freistellungsgebieten dürfen Sozialwohnungen auch an Haushalte vermietet werden, deren Einkommen über den eigentlich für geförderten Wohnraum geltenden Grenzen liegen. Die Freistellungsgebiete wurden in der Vergangenheit regelmäßig mit Hilfe der kleinräumigen Sozialdaten überprüft.
Unterbringung von Ge üchteten
Anknüpfend an den Anstieg der Flüchtlingszahlen in den Jahren 2015 und 2016 wurde für Hamburg ein Orientierungs- und Verteilungsschlüssel zur Flüchtlingsunterbringung entwickelt (https://www.hamburg.de/sfa/15036438/ovs/). Dieser soll zu einer gerechteren Verteilung von Flüchtlingsunterkünften über das gesamte Stadtgebiet beitragen und berücksichtigt neben der Einwohnerzahl und der Fläche auch die Sozialstruktur aus den Ergebnissen des Sozialmonitorings.
Bildung und Schule
Im Bereich der Schulen nden kleinräumige Daten fast schon traditionell umfassende Anwendung. So wird in Hamburg ein eigener Schulsozialindex erstellt, der u.a. kleinräumige Statistikdaten verwendet (https://www.hamburg.de/bsb/ hamburger-sozialindex/). Zudem werden die sozialräumlichen Gegebenheiten der Schulen in einem Regionalen Bildungsatlas abgebildet, der auch die Ergebnisse des Sozialmonitorings einbezieht (https://geoportal-hamburg.de/bildungsatlas/). Eine Besonderheit ist die Möglichkeit, Daten über die Schulabschlüsse der Schülerinnen und Schüler wohnortbezogen erheben zu können. Damit ist neben der schulbezogenen Auswertung auch eine quartiersbezogene Auswertung möglich – eine Voraussetzung, damit diese Daten im Sozialmonitoring Verwendung nden können.
Integration in das Cockpit Städtische Infrastruktur
Behördenübergreifend werden die Sozialmonitoring-Ergebnisse auch in verschiedene elektronische Fachportale der Hamburger Verwaltung aufgenommen, um sie im entsprechenden Kontext verfügbar zu haben. Jüngstes Beispiel ist das „Cockpit Städtische Infrastruktur (CoSI)“, eine digitale, kartenbasierte Anwendung zur integrierten Quartiersplanung. In CoSI lassen sich Informationen zu städtischen Infrastrukturangeboten sowie kleinräumige statistische (Sozial-)Daten anzeigen, in Beziehung setzen und Analysen, etwa zur Versorgung und Erreichbarkeit, durchführen.
Zusammenfassung und Fazit
Nach mehr als 12 Jahren der kontinuierlichen Anwendung und 13 Sozialmonitoring-Berichten ist das Sozialmonitoring ein etabliertes Instrument in der Integrierten Stadtteilentwicklung in Hamburg. Daneben hat es zahlreiche weitere Anwendungsmöglichkeiten. Das Sozialmonitoring hat in Hamburg zu verbesserten, aktuellen und in der gesamten Verwaltung einheitlichen Datengrundlagen beigetragen. Außerdem wurde eine standardisierte und vergleichbare Auswertungsmethodik eingeführt. Damit wird gezeigt, wie statistisch gewonnene Erkenntnisse aus der Stadtforschung Eingang in lokale und fachliche Entscheidungsprozesse nden.
50 STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 1|2023 Schwerpunkt
Stadtbeobachtung
Instrumente und Strategien der
Schwerpunkt Instrumente und Strategien der Stadtbeobachtung
Literatur
Analyse & Konzepte (2022): Aktualisierung des Hamburger Wohnlagenverzeichnis 2021, Methodenbericht vom 29.03.2022. Im Auftrag der Freien und Hansestadt Hamburg (FHH), Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen, Amt WSB, Hamburg. Verfügbar unter https://www.hamburg.de/contentblob/16031 654/74f8aa09c8d72fc80044e7bd1897889c/ data/d-wohnlagenverzeichnis-methodenbericht-2021.pdf [29.12.2022]
Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen
(BSW) (2021a): „Wohnungsbauprogramm des Senats – Vertrag für Hamburg“. Pressemitteilung vom 17. November 2021. Verfügbar unter https://www.hamburg.de/bsw/vertrag-fuerhamburg/ [30.12.2022]
Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen
(BSW) (2021b): „1.270 geförderte Wohnungen zurück in der Belegungsbindung“. Pressemitteilung vom 16. Juni 2021. Verfügbar unter https://www.hamburg.de/pressearchiv-
fhh/15188524/2021-06-16-bsw-freistellungsgebiete/[30.12.2022]
Freie und Hansestadt Hamburg (FHH) (2022a): Sozialmonitoring Integrierte Stadtteilentwicklung Bericht 2022, Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen, Hamburg. Verfügbar unter https://www.hamburg.de/contentblob/16754 008/65349f69f87f36d5c687bee7e7b26667/ data/d-sozialmonitoring-bericht-2022.pdf [29.12.2022]
Freie und Hansestadt Hamburg (FHH) (2022b): Rahmenprogramm Integrierte Stadtteilentwicklung Leitfaden für die Praxis. Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen, Hamburg. Verfügbar unter https://www.hamburg.de/ publikationen-und-veranstaltungen/publikationen/ [29.12.2022]
Freie und Hansestadt Hamburg (FHH) (2015): Sozialmonitoring Integrierte Stadtteilentwicklung Bericht 2014. Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt, Hamburg. Verfügbar
unter https://www.hamburg.de/contentblo b/4596628/3146eccd0cc179a290ad5f17bb7 21d2d/data/sozialmonitoring-bericht-2014. pdf [28.12.2022]
Freie und Hansestadt Hamburg (FHH) (2010): Pilotbericht Sozialmonitoring Integrierte Stadtteilentwicklung. Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt, Hamburg. Verfügbar unter https://www.hamburg. de/contentblob/4603412/fe9857cb0a8f72db26da5467e4aa8e6f/data/pilotberichtrise-2010.pdf [30.12.2022]
Hußing, Ulrich; Mausfeld, Juliana (2002): Statistische Gebiete als räumliche Gliederungseinheiten Hamburgs. In: Statistisches Landesamt (Hrsg.): Hamburg in Zahlen, Heft I/2002, S. 15–19.
Pohlan, Jörg; Kaiser, Andreas (2015): Städte unter Beobachtung. Das Sozialmonitoring Integrierte Stadtteilentwicklung in Hamburg. In: RaumPlanung 177/1-2015, S. 8–15.
STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 1|202351
Ulrike Rockmann
Bildungsmonitoring im Bezirk Berlin-Mitte
Fünf Jahre Projekterfahrungen
Das Resümee von fünf Jahren „Bildungsmonitoring im Bezirk Berlin-Mitte“ ist durchwachsen. Es konnten viele Daten erschlossen und Problembereiche aufgedeckt sowie Informationslücken und unabgestimmte Erhebungen identi ziert werden. Die CoronaPandemie o enbarte die Anfälligkeit des ganzen Monitoring-, Informations- und Planungssystems. Die Etablierung eines stabilen projektüberdauernden Monitoringsystems ist bisher nicht gelungen, was letztlich auch auf die vielen involvierten Zuständigkeitsbereiche und deren Überlastung in den letzten zwei Jahren zurückzuführen ist. Das Projekt basiert auf einem Beschluss des Bezirks und wird in ressortübergreifender Zusammenarbeit von der bezirklichen Jugendhilfeplanung und dem Sprachförderzentrum koordiniert (https://www.berlin.de/ba-mitte/politikund-verwaltung/beauftragte/integration/bildungsmonitoring/).
Zusammenfassung
Das Projekt Bildungsmonitoring in Berlin-Mitte war 2017 aus der Idee entstanden, nicht nur alle zwei Jahre in dem Band „Bildung in Deutschland“ [https://www.bildungsbericht.de] über die Situation zu berichten, sondern vor Ort etwas für die Verbesserung der Informationslage und damit für die Kinder zu tun. Der Bezirk Berlin-Mitte war an diesem Ansatz sehr interessiert, unter anderem auch, da dort seit Jahren viele Jugendliche die allgemeinbildenden Schulen ohne Abschluss verlassen. Ziel des Projektes ist, alle verfügbaren Informationen zu sichten und zu nutzen sowie diese in aufbereiteter Form der Verwaltung und Politik bereitzustellen. Informationslücken sollen identi ziert werden, um im Ergebnis ein Gesamtkonzept für das kontinuierliche Monitoring vorzuschlagen.
Fünf Jahre später ist die Projektbilanz durchwachsen. Es wurde viel analysiert und geschrieben, Pro le und Auswertungen gemeinsam mit Verantwortlichen in der Bezirksverwaltung erarbeitet sowie Ergebnisse in Gesprächen und Sitzungen von Bezirksausschüssen vorgestellt (Rockmann u. Leerho 2018a, 2018b, 2019, Rockmann, Leerho u. Butler 2019, Rockmann 2020, 2021). Ob und in wie weit die Befunde systematisch und nachhaltig Eingang in Überlegungen und Entscheidungen der Verantwortlichen gefunden haben, bleibt jedoch intransparent. Festzustellen ist, dass es in den zurückliegenden fünf Jahren nicht möglich war, einen Standardprozess aufzusetzen, sodass bisher die Fortführung des Monitorings nach Projektende im September 2023 in Frage steht.
Datenbestände
Univ.-Prof. Dr. Ulrike Rockmann
Gastwissenschaftlerin am Institut für Schulqualität der Länder Berlin und Brandenburg e.V. an der FU-Berlin, Schwerpunkte: Bildungsmonitoring, Registermodernisierung, Wahlen : ulrike.rockmann@fu-berlin.de
Schlüsselwörter:
Bildungsmonitoring – Einschulungsuntersuchung –Kitapro le – Schulpro le – Sprachstand
Die einschlägigen Statistiken der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder sind aufgrund des gesetzlichen Auftrags häu g für die kleinräumige Steuerung nicht nutzbar. Ursächlich ist der gesetzliche Auftrag: Es sollen grundsätzliche Aussagen über Sachverhalte und deren Entwicklung in Deutschland, den Bundesländern und ggf. Gemeinden getro en werden. Daher sind die Daten in der hier benötigten Granularität meist nicht verfügbar. Hauptgründe für die fehlende Passung sind zu geringe Stichprobenumfänge und nicht erhobene, aber regional relevante, Merkmale. Di erenzierte regionale Auswertungen sind aber erforderlich, um näher zu den Ursachen von schlechten formalen Bildungsergebnissen vorzudringen und Ansatzpunkte für die Vermeidung zu nden.
52 STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 1|2023 Schwerpunkt Instrumente und Strategien der Stadtbeobachtung
Schwerpunkt Instrumente und Strategien der Stadtbeobachtung
Die Datensichtung aus dem regionalen Verwaltungsvollzug (Abb. 1) macht deutlich, dass viele Informationen über die interessierende Population vorliegen. Diese sind vom jeweils zuständen Verwaltungsbereich erhoben. Sie lassen sich aufgrund einer fehlenden gemeinsamen theoretischen Basis und inkompatibler Erhebungsinstrumente kaum zueinander in Beziehung setzen. Außerhalb dieses Projekts wird ihr Potential zwar bereichsspezi sch genutzt, aber auch dort nicht voll umfänglich ausgeschöpft. Die Einzelzuständigkeiten ohne eine Gesamtrahmung und verabredete Konventionen – wie die Nutzung (inter)nationaler Standardklassi kationen und wissenschaftlich fundierter Instrumente erschweren die integrierte Nutzung. Im Gegensatz zur amtlichen Statistik stehen diese Daten – zumeist als Individualdaten – aber in der benötigten regionalen Tiefe zur Verfügung.
Die in der Abbildung 1 mit 1 bis 6 bezeichneten Bestände wurden im Rahmen des Projekts genutzt. Sie umfassen den Zeitraum des Besuchs der Kindertageseinrichtungen bis zum Übergang in die Grundstufe. Zudem war es möglich, eine Befragung der Eltern zur familialen Situation und zu ihren Bildungsaspirationen durchzuführen, um eine Datenlücke zu schließen (Abb. 1, Nr. 6). Die Daten wurden über die „nicht sprechende“ Einschulungsuntersuchungsnummer (ESU-ID) datenschutzkonform in der abgeschotteten Projektstelle verknüpft. Die hierzu notwendige Zuordnung der ESU-ID zu den Originaldatenbeständen musste jedoch für die 3.500 Kinder je Schuljahr aufgrund abweichender Schreibweisen und Angaben bei den Datenbereitstellern weitgehend händisch erfolgen. Eine Automatisierung wäre leicht erreichbar, wenn alle Akteure die jeweils aktuellen Daten des Melderegisters verwenden würden. Sollte eine entsprechende rechtliche Grundlage gescha en werden, könnte zukünftig die PersonenKennzi er Abhilfe scha en.
Abbildung 1: Vorhandene und genutzte Verwaltungsdaten für den Zeitraum des Besuchs der Kindertageseinrichtung und den Übergang in die Grundstufe
Schulamt Bezirk
Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten
Familie
Jugendamt Bezirk
ISBJ-Kita
Kitas /Kitaträger
Gesprächsangebote
6) Zusatzerhebung
2) Einzeldaten für eingeschulte Kinder, aufnehmende Schule,Rückstellung, vorzeitige Einschulungen
Melderegister
3) Einzeldaten für Kinder und §55Kinder sowie Kitas
(c) Einzeldaten für Kinder zum Sprachstand aus der Kita-Erhebung
Einzeldaten für einzuschulende Kinder und Schulkinder
Abgeschottete Statistikstelle (Projekt)
1) ESUEinzeldaten zu in Berlin-Mitte gemeldeten Kindern und ihren Familien
5) Pädagogisches Gespräch bei Schulanmeldung
(d) LAUBE-Daten
4) Einzeldaten für DeutschPlus4 Sprachstands-Ergebnisse von Nicht-Kita-Kindern
Schulen
(b) Einzeldaten zu Kindern und Familien aus Kitareihenuntersuchung
KJGD - Bezirk Mitte
Abkürzungen
ESU Einschulungsuntersuchungen
ISBJ-Kita Integrierten Software Berliner Jugendhilfe
KJGD Kinder- und Jugendgesundheitsdienst
SFZ Sprachförderzentrum Berlin-Mitte
(a) ESU-Einzeldaten für Kinder und ihre Familien aus anderen Bezirken, die in Berlin-Mitte in die Schule gehen
KJGD - andere Bezirke
Rockmann - 27.11.2022
STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 1|202353
SFZ
Abbildung 1 zeigt darüber hinaus, dass weitere Datenbestände prinzipiell verfügbar wären.
- Da in Berlin-Mitte auch Kinder aus anderen, meist angrenzenden, Bezirken eingeschult werden, wäre es für die Komplettierung der Schulpro le von Vorteil auch die ESU-Daten für diese Kinder von den anderen bezirklichen Kinder- und Jugendgesundheitsdiensten (KJGD) zu bekommen. Dies bedürfte jedoch der Zustimmung des zuständigen bezirklichen KJDG bzw. der Eltern (Abb. 1 Text [a]).
- Die Kitareihenuntersuchungen des KJGD werden rollierend oder mit besonderen Schwerpunkten durchgeführt und decken daher jährlich nur einen Teil der Kitas ab (Rockmann 2021, S. 12). Die Daten wären nutzbar, wenn die Eltern und der KJDG zustimmen. Allerdings müsste die Erhebung in einigen ihrer De nitionen, bspw. zum elterlichen Bildungsstand, an entsprechende Klassi kation angepasst werden. Während der Pandemie sind jedoch auch diese Untersuchungen ausgefallen (Abb. 1 Text [b]).
- Bei allen Kita-Kindern wird in den Kitas 18 Monate vor Einschulung der Sprachstand erhoben. Zwar ist das verwendete Instrument kein evaluiertes Testinstrument, dennoch würden die Daten Aufschlüsse über den in den Kitas gesehenen sprachlichen Förderbedarf liefern (Rockmann 2021, S. 12 .; Abs. 3.3). Aktuell liegen die Ergebnisse selbst der Bildungsverwaltung nur als zusammengefasste Werte je Kita vor. Die interessante Frage, welcher Sprachförderbedarf in der Kita identi ziert wurde, welche Fördermaßnahmen ggf. folgten und wie die Ergebnisse im Sprachtest der ESU ausfallen, kann daher nicht beantwortet werden. Es verbleibt völlig unverständlich, warum auch diese analytische Möglichkeit nicht genutzt wird, die mit vergleichsweise einfachen Mitteln implementiert werden könnte (Abb. 1 Text [c]).
Die zusammengeführten Daten lassen sich nach verschiedenen Merkmalsträgern auswerten, bspw. nach den Kindern und ihren Familien, nach Wohnort (lebensweltorientierter Raum = LOR), den Kitas oder den Schulen. Die entsprechenden Pro le wurden bei Rockmann 2021 (S. 31 .; 6.1.2, 6.1.3) detailliert vorgestellt.
Aktuelle Befunde: Sprachstand der Kinder
Für den Übergang in die Schule sollten nicht nur die Kinder gut vorbereitet sein, sondern auch die Schulen und die Verwaltung ihre spezi schen Bedürfnisse möglichst genau kennen. Das altersgemäße Beherrschen der Unterrichtssprache Deutsch ist ohne Zweifel eine zentrale Voraussetzung für einen guten Schulstart (u.a. Qualitätskommission 2020, S. 29; Abs 1.4). Die vielfältigen Maßnahmen, dieses Ziel zu erreichen, sind in Berlin nicht systematisch evaluierbar, da entsprechende, wiederholt geforderte Datenerhebungen fehlen bzw. die eingesetzten Instrumente teilweise nicht zielführend sind (ebenda S. 10 zum Ursachenbündel; S. 23, 2. und 3. Abs.). Nur bei der ESU1 kommt zur Erhebung des Sprachstandes ein Testinstrument zur Anwendung, womit insgesamt Chancen der datenbasierten Begleitung des frühen Lernprozesses verschenkt werden.
Abbildung 2 zeigt anhand der ESU-Daten bis zum Schuljahr 2019/20, den kontinuierlich vorhandenen Anteil von rund 10 % der Kinder mit unzureichenden Deutschkenntnissen. Für eine Förderung bis zum Schulstart blieben im günstigsten Fall acht Monate – eine Kommunikation der ESU-Ergebnisse durch die Eltern mit der Kita vorausgesetzt. Tritt keine Veränderung bei diesen Kindern bis zur Einschulung ein, werden sie dem Unterricht nur eingeschränkt folgen können.
Für die folgenden zwei Schuljahre, mit ebenfalls rund 3.500 einzuschulenden Kindern, liegen die ESU-Befunde im Bezirk Berlin-Mitte Pandemie-bedingt nur noch rudimentär vor. Für 2020/21 wurden die ESU im März 2020 abgebrochen – für 2021/22 wurden die ESU nur durchgeführt, wenn das Ergebnis des pädagogischen Gesprächs bei der Schulanmeldung es sinnvoll erscheinen ließ oder die Eltern es wünschten. Im Gegensatz zur zufälligen ESU-Teilkohorte 2020/21 fand also 2021/22 eine Vorselektion statt, was den hohen Anteil schlechter Sprachergebnisse erklärt (Abb. 2 unten Balken ESU 2021/22).
Das strukturierte pädagogische Gespräch bei der Schulanmeldung (siehe Fragenkatalog Rockmann 2021, S. 36, Abs. 6.3) sollte nicht nur die fehlenden ESU teilkompensieren, sondern auch für die Schulaufsicht planungsrelevante Daten rechtzeitig vor Schulstart verfügbar machen. Daher ist von Interesse, inwieweit – bei aller Vorsicht aufgrund der unterschiedlichen Vorgehensweisen und Validität der Instrumente – sich ESU und Gesprächsbefunde ähneln. Bei einem Vergleich ist jedoch zu beachten, dass zwischen dem Zeitpunkt des Gesprächs im Oktober und der ESU zwischen Oktober bis Juni bei nicht zeitinvarianten Merkmalen – wie z.B. dem Sprachstand – Veränderungen eingetreten sein können.
Das pädagogische Schulpersonal ordnete bei dem Gespräch die Sprachkompetenz der Kinder ohne Nutzung eines Testverfahrens einer von vier möglichen Kategorien zu: Deutschkenntnisse nicht vorhanden / vorhanden / sehr gut oder Kind spricht nicht. Darüber hinaus wurden weitere Daten, wie die zuhause gesprochene(n) Sprache(n), der Kitabesuch, Eingliederungshilfen, andere Fördermaßnahmen etc., erfasst, deren De nitionen sich ab 2022/23 an denen der ESU orientieren.
Für das Jahr 2021/22 und 22/23 wurden die pädagogischen Gespräche von 3.363 bzw. 3.169 Kindern dokumentiert. Auf Einzeldatenebene liegen für 2021/22 für 624 Kinder sowohl die ESU – wie auch die Ergebnisse aus dem Gespräch vor, so dass ein Vergleich möglich ist. Dieser ließe sich prinzipiell für 2022/23 durchführen, jedoch hat das Projekt aktuell (noch) keinen Zugri auf die ESU-Daten.
Au ällig ist, dass Schulen häu ger die Deutschkenntnisse als „vorhanden“ und nicht „sehr gut“ einschätzen als dies bei der ESU der Fall ist. Von insgesamt 93 Kindern mit einer schlechteren Bewertung durch die Schulen waren 19 noch im IV. Quartal 2020, 54 im I. Quartal 2021 und 20 im II. Quartal 2020 bei der ESU. Insbesondere bei Letzteren könnten Bewertungsunterschiede durch zwischenzeitliche Lerne ekte und nicht durch divergierende Bewertungsmaßstäbe erklärt werden. Jedoch ergab auch die Schulleiterbefragung 2019 durchaus Hinweise auf einen Dissens im Hinblick auf einige ESU-Befunde. Letztlich bleibt anhand der wenigen Daten un-
54 STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 1|2023
Schwerpunkt Instrumente und Strategien der Stadtbeobachtung
Schwerpunkt Instrumente und Strategien der Stadtbeobachtung
Abbildung 2: links: Sprachstand Deutsch gemäß ESU nach Schuljahr; rechts: Einschätzung des Sprachstandes beim pädagogischen Gespräch, Berlin-Mitte (oben: Anzahl der Kinder insgesamt, unten in %) Sprachstand Einschulungsuntersuchung (ESU) Sprachstand lt. päd. Gespräch
nicht vorhanden einzelne Worte flüssig mit erheblichen Fehlern (sehr) gut
Quelle: Schulaufsicht Berlin-Mitte; Kinder- und Jugendgesundheitsdienst Berlin-Mitte; eigene Berechnungen
klar, ob das pädagogische Gespräch hinsichtlich Planung der Sprachförderung nutzbar ist – hier bringt ein Vergleich für die Einschulungskohorte 2022/23 sicherlich weiteren Aufschluss.
Pro le für Kindertagereinrichtungen
Die Datenhaltung im Rahmen der Verwaltung und Vergabe von Kitaplätzen in Berlin beinhaltet für die betreuten Kinder Informationen zum Vertragsumfang (Betreuungstage und -dauer), Datum des Vertragsbeginns, den Hinweis, ob das Kind eine Nicht-Deutsche Herkunftssprache hat und ob und welche Eingliederungshilfen angeboten werden. Durch die Verknüpfung mit den Daten aus der Einschulungsuntersuchung kann ein Pro l der Einschulungskohorte aus der jeweiligen Kita ermittelt werden. So lassen sich u.a. Kitas identi zieren, aus denen vermehrt Kinder mit Sprachde ziten in die Schule wechseln.
Die Kita-Pro le wurden aufgrund der Umstellung bei den ESU-Erhebungsmerkmalen ab dem Schuljahr 2014/15 erstellt (Rockmann 2021, S. 25 .). Für 40 Kitas können jährlich Aussagen zu der jeweiligen Einschulungskohorte gemacht werden, da sie 15 und mehr Kinder umfasst. Insgesamt besuchen rund 1.100 Kinder diese 40 Kitas. Für 2019/20 war die letzte Aus-
wertung möglich; im Folgejahr liegen die ESU-Daten nur für wenige Kitas komplett vor.
Insgesamt haben die Kinder aus den hier betrachteten Kitas zu rund 62% einen (sehr) guten Sprachstand bei der ESU nachgewiesen. Bei 12 Kitas liegt der mittlere Prozentsatz bei knapp 38% (Abb. 3). Die Ergebnisse je Kita sind keine einmaligen E ekte – sie zeigen sich über die Jahre relativ stabil: Für 23 Kitas liegt der Durchschnitt für einen (sehr) guten Sprachstand der letzten sechs Jahre unter 70%, wobei zehn nicht am Bundesprogramm „Sprach-Kitas“ teilgenommen haben.
Die Befunde könnten von der Verwaltung zum Anlass genommen werden, mit den Trägern der Einrichtungen zu sprechen, um Ursachen zu ergründen. Die Implementierung und Evaluierung geeigneter Förderprogramme erscheinen sinnvoll (u.a. auch Gutachten der SWK der KMK 2022, S. 37 f.). Hierfür wäre es ebenfalls von Interesse, die Kita-Spracherhebung den ESU-Ergebnissen gegenüberzustellen (Abb. 1, Text c; Rockmann 2021, S. 13f.), um festzustellen, in wie weit in beiden Fällen ein Sprachförderbedarf konstatiert wird. Mit dem Eigenbetrieb des Landes Berlin (Kindergärten City) wurden die Ergebnisse erörtert. Der Träger wollte die Auswertung für weitere Überlegungen im Team Sprachbildung und den Sprach-Kitas nutzen. Weitere Auswertungsgespräche mit Trägern fanden jedoch nicht statt.
STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 1|202355
103 130 135 131 34 74 154 226 239 238 114 157 781 682 719 871 474 318 2.478 2.337 2.445 2.325 1.349 336 0 500 1.000 1.500 2.000 2.500 3.000 3.500 4.000
2014/152017/182018/192019/202020/212021/22
2,9 3,9 3,8 3,7 1,7 8,4 4,4 6,7 6,8 6,7 5,8 17,7 22,2 20,2 20,3 24,4 24,0 35,9 70,5 69,2 69,1 65,2 68,4 38,0 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 2014/152017/182018/192019/202020/212021/22 nicht vorhanden einzelne
flüssig
Fehlern
118 99 313 179 917 873 1.581 1.021 0 500 1.000 1.500 2.000 2.500 3.000 3.500 4.000 2021/22 2022/23 spricht nicht nicht vorhanden vorhanden
gut 4,0 4,6 10,7 8,2 31,3 40,2 54,0 47,0 0 20 40 60 80 100 2021/22 2022/23 spricht nicht nicht vorhanden vorhanden sehr gut
Worte
mit erheblichen
(sehr) gut
sehr
Abbildung 3: Kitas gruppiert nach Anteil der im nächsten Schuljahr einzuschulenden Kinder mit (sehr) guter Sprachkompetenz gemäß ESU (in Klammern: Anzahl der Kitas je Gruppe): Sprachkompetenz der Kinder je Kita-Gruppe 2019/20 (in %) Lesebeispiel: Die Einschulungskohorten aus 11 Kitas sprechen durchschnittlich zu 57% (sehr) gut Deutsch. 10% sprechen höchstens einzelne Worte und 33% üssig mit erheblichen Fehlern.
Pro le für Grundschulen
Die Einschulungskohorte je ö entliche Grundschule kann analog zum Vorgehen bzgl. der Kitas anhand der ESU- und ISBJDaten betrachtet werden. Hierzu ist es erforderlich, dass die Daten um die aufnehmenden Schulen ergänzt werden (Abb. 1, Text Nr. 2), so dass ebenfalls E ekte der Schulwechsel in der Zusammensetzung der Einschulungskohorte sichtbar werden.
2019/20 wurden von den in Berlin-Mitte an einer Grundschule angemeldeten Kinder rund 46 % auch an dieser eingeschult (Rockmann 2021, S. 20 ., S. 34). Die übrigen Kinder wechselten an private oder andere ö entliche Grundschulen im Bezirk oder in andere Bezirke bzw. waren inzwischen aus Berlin verzogen. Das Schuljahr 2019/20 ist das letzte für das weitgehend vollständig die Daten vorliegen. Sie sind für 24 der 35 ö entlichen Grundschulen zu 90% verfügbar.
Quelle: Kinder- und Jugendgesundheitsdienst Berlin-Mitte; Jugendamt Berlin-Mitte, eigene Berechnungen
An diesen Schulen hatten die Kinder zu 64% eine (sehr) gute Sprachkompetenz, während der Wert für Wechsler an bezirkliche private Schulen bei 89% liegt. In andere Bezirke wechselnde Kinder sprachen zu 83% und von der Einschulung zurückgestellte zu 47%2 (sehr) gut Deutsch.
Abbildung 4 zeigt exemplarisch den Sprachstand anteilig je Schule. Ebenfalls ist die Risikolage eines formal gering quali zierten Elternhauses je Schule dargestellt (Abb. 4 unten).
Abbildung 4: Ausgewählte ESU-Merkmale der Einschulungskohorte je aufnehmender Grundschule im Schuljahr 2019/20 (in %): Oben: Sprachstand der Kinder bei der ESU; Mitte: Anteil der Kinder mit Sprachförderbedarf gemäß ESU; Unter: Bildungsrisiko des Elternhauses (höchster Bildungsabschluss eines Elternteils ISCED 0-2 = Bildungsrisiko; ISCED 3 und höher = kein Risiko) Lesebeispiel: Die Einschulungskohorte der Schule f spricht bei der ESU zu 21% nur höchstens einzelne Worte Deutsch und zu 32% üssig mit erheblichen Fehlern. Für 57% der Kinder wurde eine Sprachförderung als sinnvoll angesehen. Die Kinder kamen zu 34% aus einem Elternhaus, wo kein Elternteil zu diesem Zeitpunkt die Hochschulreife oder einen Berufsabschluss erworben hatte.
Quelle: Kinder- und Jugendgesundheitsdienst Berlin-Mitte; Schulamt Berlin-Mitte, eigene Berechnungen; Schulen wurden nur aufgenommen, wenn die Daten für mindestens 90% der Einschulungskohorte einer Schule vorlagen; insgesamt handelt es sich um 1.900 Kinder an 24 Grundschulen (min=48 Kinder; max=124 Kinder).
56 STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 1|2023 Schwerpunkt Instrumente und Strategien der Stadtbeobachtung
13 10 5 4 8 50 33 20 12 5 30 37 57 75 84 95 62 < 50% (12) 50% bis unter 70% (11) 70% bis unter 80% (6) 80% bis unter 90% (7) 90% und mehr (4) insgesamt höchstens
20 14 27 20 2122 12 21 56 62 43 42 52 32 30 39 28 43 39 28 3327 2424 26 19 21 20 15 12 13 2425 30 38 40 4748 49 51 55 60 6365 68686869 74 7575 77 85 87 97 abcdefghijklmnopqrstuvwx höchsten einzelne Worte flüssig
Fehlern (sehr)
71 75 76 75 69 57 62 67 70 49 38 45 43 40 54 39 36 45 26 30 29 15 13 8 abcdefghijklmnopqrstuvwx Sprachförderung erforderlich 61 5556 50 55 34 42 49 55 41 25 28 50 30 28 34 2223 20 20 11 39 4544 50 45 66 58 51 45 59 75 72 50 70 72 66 78778080 89 97 93 97 abcdefghijklmnopqrstuvwx Elternhaus mit Bildungsrisiko Elternhaus ohne Bildungsrisiko
einzelne Worte flüssig mit erh. Fehlern (sehr) gut
mit erheblichen
gut
Es handelt sich hierbei um einen der drei klassischen Indikatoren zur Beschreibung des familialen sozioökonomischen Status (Bildungsbericht 2022, S. 46f. und S. 146f. zu der Situation des Homeschoolings bei der Pandemie; 2020, S. 40 .). Unter Umständen nden die von diesem Risiko betro enen Kinder im Elternhaus keine hinreichende Unterstützung für die Bewältigung der schulischen Anforderungen, die durch institutionelle Angebote im schulischen Umfeld zu kompensieren wären. Der Indikator ist somit ebenfalls für die Bemessung zusätzlicher Mittel für die jeweiligen Schulen nutzbar (Rockmann 2021, S. 8). Da er nicht zeitinvariant ist, wäre jedoch eine systematische Aktualisierung erforderlich.
5-Jahres-Resümee
Eine Schlussfolgerung lässt sich ganz klar ziehen: Die integrierte Berichterstattung basierend auf den vorhandenen Daten der Einschulungsuntersuchung (ESU), Kindertageseinrichtungen (Kita), Deutschtests für Nicht-Kita-Kinder und Sprachförderung liefert neue Erkenntnisse. Bisherige Einschätzungen können datenbasiert sowohl für die Einschulungskohorte insgesamt und regionalisiert, die jeweiligen Kitas der einzuschulenden Kinder wie auch die Kohorte je Grundschule bestätigt oder verworfen werden. Aus Sicht der Projektverantwortlichen sind diese Daten wertvoll, insbesondere um Ansatzpunkte für erforderliche Förder- und Unterstützungsmaßnahmen zu haben. Es handelt sich dabei aber nur um Erkenntnisse zum Startzeitpunkt der schulischen Bildung.
Drei Problembereiche sind identi zierbar:
1. Die soziodemographischen Daten der Familie, so zum Erwerbsstatus und Bildungsstand der Eltern, sind nicht zeitinvariant. Sie können sich über die Jahre, die die Kinder die Schule besuchen, verändern. Eine kontinuierliche Fortschreibung wäre daher sinnvoll und mit vergleichsweise geringem Aufwand verbunden.
2. Einige aus Sicht der empirischen Bildungsforschung wünschenswerte Merkmale sind nicht zugänglich oder nicht erschließbar. So ist es bisher z.B. nicht gelungen die schulischen Lernausgangsuntersuchungen bei der Einschulung, weitere Leistungs- und Leistungsverlaufsdaten und die Schullaufbahnempfehlungen in das Monitoring einzubeziehen.
3. Der Bereitstellungsaufwand für die bisher verfügbaren Daten ist unverhältnismäßig hoch (s.u. Abb. 1) und kann aktuell außerhalb des Projektrahmens noch nicht fortgeführt werden.
Grundsätzlich hemmend für ein gesamtheitliches Monitoring wirkt sich die nicht geregelte Zugänglichkeit zu den Daten mit den Zuständigkeitsbereichen Gesundheit, Jugendhilfe, Schulamt, Schulaufsicht, Sprachförderzentrum und Schulen aus. Trotz einhelliger Anerkennung der Bedeutung des Monitorings fehlt bisher eine stabile, gemeinsame, verbindliche Verp ichtung aller Beteiligter für die notwendigen prozessorientierten Veränderungen im Bezirk. De nierte Verantwortlichkeiten für ein gemeinsames Bildungsmonitoring innerhalb der beteiligten Verwaltungsstrukturen sind aber unerlässlich,
um die notwendigen Arbeits- und Abstimmungsprozesse dauerhaft zu sichern.
Das Monitoring auf der Basis der aktuellen Erhebungen zeigt sich zudem wenig robust: Während der Pandemie wurden in Berlin-Mitte viele Einschulungsuntersuchungen, obwohl gesetzlich vorgesehen, u.a. aus Kapazitätsgründen nicht durchgeführt. Sie wurden auch nicht nachgeholt, womit für die Einschulungskohorten 2020/21 und 2021/22 neben den medizinischen auch die soziodemographischen Daten zu den Kindern und ihren Familien in repräsentativer Form fehlen. Vor dem Hintergrund des Zusammenhangs mit Bildungsbeteiligung und Bildungserfolg ist dies kritisch zu bewerten (u.a. Bildung in Deutschland 2020, S. 69; 2022; S. 73 .). Es lässt sich natürlich fragen, ob die ESU der richtige Ort ist, die soziodemographischen Daten zu erheben: Aus internationaler Sicht heißt die Antwort eindeutig nein – jedoch gibt es in Deutschland und so auch in Berlin keinen anderen Datenbestand der alternativ heranzuziehen wäre.
Die Organisation und Verteilung der Kinder auf die Grundschulen sowie die Bereitstellung spezieller Förderangebote durch die bezirkliche Schulverwaltung wurde ebenfalls durch den nicht vorhersehbaren Ausfall der ESU erschwert. Für die Kohorten der Jahre 2021/22 und 2022/23 wurde von Seiten der Schulaufsicht versucht die nunmehr antizipierten Engpässe bei der ESU durch die Einführung eines strukturierten pädagogischen Gesprächs bei der Schulanmeldung teilweise zu kompensieren (Rockmann 2021; S. 20; 3.5.3). Aber auch hier zeigt sich ein Problem: die für jedes Kind zu erhebenden Daten wurden nicht vollständig durch die Schulen erhoben bzw. nicht dokumentiert oder nicht mitgeteilt.
Die Schlussfolgerung aus der Gemengelage liegt auf der Hand: Wenn kontinuierlich steuerungsrelevante Daten bereitstehen sollen, dann muss ein anderer Weg gefunden werden – nicht nur für den Bezirk, sondern für Berlin insgesamt, da spätestens mit dem Übergang in die weiterführende Schule die Bezirksgrenzen keine Rolle mehr spielen. Dass steuerungsrelevante Daten benötigt werden, zeigten letztens die unterdurchschnittlichen Ergebnisse im Ländervergleich bzgl. der Bildungsstandards (https://box.hu-berlin. de/f/e907cc6bb64440de8408/?dl=1; u.a. S. 262) und wurde wiederholt durch von der Politik beauftragte wissenschaftliche Gutachten gefordert (u.a. Qualitätskommission 2020, u. a. S.11 f.; https://www.berlin.de/sen/bildung/unterricht/schulqualitaet/qualitaetsbeirat/). Die Verwaltung verfügt bereits über wertvolle Daten, deren Potential genutzt werden könnte, wie das Projekt aufzeigt. Deren Erhebung müsste verstetigt und robuster implementiert, De nitionen abgestimmt und Datenlücken u.a. hinsichtlich der Leistungsdaten geschlossen werden. Das alles wäre machbar!
1 Kinder, die keine Kita besuchen, werden 18 Monate vor der Einschulung zum Sprachtest eingeladen. Dieser wird für Berlin-Mitte im Sprachförderzentrum durchgeführt mit Deutsch 4Plus als Testinstrument.
2 Schlechte Ergebnisse im Sprachstand allein sind in Berlin kein Rückstellunggrund. D.h. bei den Kindern müssen noch andere Gründe ausschlaggebend sein, so z.B. auch der Wunsch der Eltern.
STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 1|202357
Schwerpunkt Instrumente und Strategien der Stadtbeobachtung
Schwerpunkt Instrumente und Strategien der Stadtbeobachtung
Literatur
Autor:innengruppe Bildungsberichterstattung (2022): Bildung in Deutschland 2020): Bildung in Deutschland 2020. Ein indikatorengestützter Bericht mit einer Analyse zum Bildungspersonal. Herausgeber: Autorengruppe Bildungsberichterstattung, wbv Media, Bielefeld 2022, ISBN 978-3-7639-7175-6, DOI: 10.3278/6001820hw
Autorengruppe Bildungsberichterstattung (2020): Bildung in Deutschland 2020): Bildung in Deutschland 2020. Ein indikatorengestützter Bericht mit einer Analyse zu Bildung in einer digitalisierten Welt. Herausgeber: Autorengruppe Bildungsberichterstattung, wbv Media, Bielefeld 2020, ISBN 978-3-7639-61306, DOI: 10.3278/6001820gw
ISCED-Klassi kation 2011 = https://www.datenportal.bmbf.de/portal/de/G293.html [aufgerufen 12.12.2022]
Qualitätskommission zur Schulqualität in Berlin (2020): Empfehlungen zur Steigerung der Qualität von Bildung und Unterricht in Berlin; https://www.berlin.de/sen/bjf/service/
presse/abschlussbericht_expertenkommission_6-10-2020.pdf [aufgerufen: 13.12.2022]
Rockmann, Ulrike (2021): Sprachstandserhebungen bis zur Einschulung. Pro le der Einschulungskohorten je Kita und Schule.
3. Projektbericht. http://nbn-resolving.org/ urn:nbn:de:0168-ssoar-71253-3
Rockmann, Ulrike (2020): Bildungszugänge und Bildungsübergänge von Kindern im Alter von 0 bis 18 Jahren im Bezirk Berlin-Mitte: 2. Projektbericht; Bildungserwartungen von Eltern der Einschulungskohorte des Schuljahres 2019/20 im Bezirk Berlin-Mitte; https://nbnresolving.org/urn:nbn:de:0168-ssoar-68098-5
Rockmann, Ulrike; Leerho , Holger; Butler, Jeffrey. (2019): Evidence based indicators for local educational monitoring. In ISI World Statistics Congress Proceedings (pp. 1–6) https://nbnresolving.org/urn:nbn:de:0168-ssoar-64209-5
Rockmann, Ulrike; Leerho , Holger (2019): Pilotprojekt Bildungsmonitoring in Berlin-Mitte: Schulp ichtig werdende Kinder mit eigener Zuwanderungserfahrung. Stadtforschung und
Statistik: Zeitschrift des Verbandes Deutscher Städtestatistiker, 32(2), 81-88. https://nbnresolving.org/urn:nbn:de:0168-ssoar-64154-3
Rockmann, Ulrike; Leerho , Holger (2018a): Pilotprojekt Bildungsmonitoring in BerlinMitte. Stadtforschung und Statistik: Zeitschrift des Verbandes Deutscher Städtestatistiker, 31(1), 17–22. https://nbn-resolving.org/ urn:nbn:de:0168-ssoar-56849-8
Rockmann, Ulrike; Leerho , Holger (2018b): Bildungszugänge und Bildungsübergänge von Kindern im Alter von 0 bis 18 Jahren im Bezirk Berlin-Mitte – 1. Projektbericht: Eine Charakterisierung des Bezirks und erste Befunde. https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0168ssoar-58677-6
Ständige Wissenschaftliche Kommission der Kultusministerkonferenz (2022): Basale Kompetenzen vermitteln – Bildungschancen sichern. Perspektiven für die Grundschule. https://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/ pdf/KMK/SWK/2022/SWK-2022-Gutachten_ Grundschule.pdf [aufgerufen: 9.12.2022]
58 STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 1|2023
Diana Andrä, Jürgen Göddecke-Stellmann, Cornelia Müller
Funktionen der Innerstädtischen Raumbeobachtung Perspektive der Kommunen und des Bundes
Die Innerstädtische Raumbeobachtung (IRB) ist ein Kooperationsprojekt zwischen mehr als 50 Städten und dem BBSR. Die in dieser Kooperation erstellte Datensammlung ermöglicht überlokale innerstädtische Vergleiche. Das Projekt steht in der Tradition der Sozialindikatorenbewegung und will eine empirische Grundlage für die Beschreibung von gesellschaftlichen Strukturen und deren Veränderung in den beteiligten Städten scha en. Die ursprünglichen Motive für die Entwicklung der IRB sind heute noch aktuell. Als Dauerbeobachtungssystem erfüllt sie verschiedene Funktionen für die Ressortforschung des Bundes wie für die vielseitig geforderte Kommunalstatistik.
Diana Andrä
Diplom-Statistikerin, Leiterin des Fachbereichs Statistik der Stadt Dortmund
: dandrae@stadtdo.de
Jürgen Göddecke-Stellmann
Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR), Bonn. Aufgabenschwerpunkte: kleinräumige Stadtbeobachtung, Monitoring der Städtebauförderung
: juergen.goeddecke@bbr.bund.de
Cornelia Müller
Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR), Bonn. Aufgabenschwerpunkte: kleinräumige Stadtbeobachtung, wissenschaftliche Begleitung von Projekten zur Stadtentwicklung
: cornelia.mueller@bbr.bund.de
Schlüsselwörter:
Innerstädtische Raumbeobachtung – kleinräumiger Städtevergleich – Monitoring – Kommunalstatistik –Politikberatung
Die Innerstädtische Raumbeobachtung (IRB) ist eine kommunalstatistische Datenbasis mit einer Vielzahl von Merkmalen auf untergemeindlicher Ebene. Die Ursprünge der Innerstädtischen Raumbeobachtung reichen zurück bis ins Jahr 1986. Nach intensiven Gesprächen haben der Deutsche Städtetag (DST), der Verband Deutscher Städtestatistiker (VDSt), der KOSIS-Verbund, das Deutsche Institut für Urbanistik (Difu) und die damalige Bundesforschungsanstalt für Landeskunde und Raumordnung (BfLR) die Grundlagen für eine Zusammenarbeit zum Aufbau einer vergleichenden kommunalstatistischen Datenbasis – der sogenannten Innerstädtischen Raumbeobachtung – gelegt und die Prinzipien der Zusammenarbeit in einem Kooperationsvertrag geregelt (Böltken et al. 2007, S. 9). Mit dem Aufbau der IRB war das Ziel verbunden, eine Datenbasis auf Stadtteilebene zu scha en, um überlokale innerstädtische Vergleiche zu ermöglichen. Die Motivation, das Projekt anzugehen, war für die einzelnen Projektpartnerinnen und -partner durchaus unterschiedlich. Den Kommunen lag daran, über diesen Weg die Grundlagen für eine harmonisierte stadtübergreifende Datenbasis zu legen. Die BfLR wollte mit der IRB das System der Laufenden Raumbeobachtung (LRB) um eine kleinräumige Komponente für die Großstädte in Deutschland abrunden, um für stadtpolitische Fragestellungen über eine kleinräumig di erenzierte Datenbasis zu verfügen (Göddecke-Stellmann et al. 2021, S. 99).
Wie ordnen Kommunen und das BBSR als Nachfolgeorganisation der BfLR das Projekt aus heutiger Sicht ein und was ist aktuell wichtig in der Weiterentwicklung? Bevor auf diese Fragen näher eingegangen werden soll, sind zwei Aspekte näher zu beleuchten: Der erste Aspekt bezieht sich auf die konstruktive Ausrichtung der IRB als gesellschaftliches Dauerbeobachtungssystem, der zweite Aspekt greift eine spezi sche Funktion solcher Beobachtungssysteme auf: den Nutzen für die Politikberatung.
Gesellschaftliche Dauerbeobachtung
Beobachtungssysteme wie die IRB stehen in der Tradition der Sozialindikatorenbewegung und sind auf eine gesellschaftliche Dauerbeobachtung ausgerichtet. Zapf (1977, S. 12), hat als einer der führenden Soziologen seiner Zeit in der gesellschaftlichen Dauerbeobachtung und der Wohlfahrtsmessung die beiden Hauptfunktionen der Sozialberichterstattung gesehen. Es ging ihm und anderen Vertreterinnen und Vertretern der Sozialindikatorenbewegung um die Analyse des sozialen Wandels, mit
STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 1|202359 Schwerpunkt Instrumente und Strategien der Stadtbeobachtung
dem Ziel, politisch rationaler in gesellschaftliche Wandlungsvorgänge gestaltend eingreifen zu können. Aus heutiger Sicht mag dieser Ansatz ein wenig naiv wirken. Im historischen Kontext aber zeigt er an, wie sehr durch veränderte technologische Entwicklungen, insbesondere die Steigerung der Leistungsfähigkeit damals moderner Computer (Krupp 2007, S. 2), die Erwartungen in den Sozialwissenschaften gestiegen sind, mit geeigneten Indikatoren und adäquaten Erklärungsmodellen die Politik in die Lage zu versetzen, die „richtigen“ Entscheidungen zu tre en. Die Laufende Raumbeobachtung des BBSR steht in dieser Tradition genauso wie das Sozio-oekonomische Panel (SOEP), das heute wohl zu den erfolgreichsten sozialwissenschaftlichen Projekten zählt (Krupp 2007, S. 5–6).
Der ressourcenbeanspruchende Betrieb und die kontinuierliche Weiterentwicklung sind kein Selbstzweck. Solche Informationssysteme müssen einen erkennbaren Nutzen für die Auftraggebenden und die Ö entlichkeit aufweisen. Der Nutzen lässt sich daran ablesen, ob und inwieweit sie ihre Funktion erfüllen. Eine zentrale Funktion ist, Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger – ganz gleich ob auf kommunaler oder auf Bundesebene – mit relevanten Informationen zu versorgen und damit eine Unterstützung bei der Entscheidungs ndung anzubieten. Diese Politikberatungsfunktion stellt einige Anforderungen, auf die im Folgenden näher eingegangen werden soll.
Politikberatung und Entscheidungsunterstützung
Unter dem Begri Politikberatung kann man sehr unterschiedliche Dinge fassen. Es kann sich dabei um die Arbeit hochrangig besetzter Kommissionen und ausgewählter Einzelpersonen mit direktem Zugang zur politischen Spitze handeln oder aber auch jede Entscheidung zur Ableitung einer Maßnahme auf der Arbeitsebene umfassen, in die regelmäßig Ressortforschungseinrichtungen, wie das BBSR oder die Kommunalstatistik, aber auch privatwirtschaftlich agierende Consulting rmen einbezogen sind. Politikberatung ndet (täglich) auf unterschiedlichen Ebenen, mit unterschiedlichem Beratungsanspruch und -bedarf, mit unterschiedlichen Zielen und gegenseitigen Nutzenerwartungen zwischen den beteiligten Akteuren statt. Im „Normalbetrieb“ der ö entlichen Verwaltung hilft die Statistik dabei, vielfältige „Alltagsprobleme“ beim Verwaltungshandeln mit empirischen Grundlagen zu versorgen, Sachargumente (der Politik) mit Zahlen zu unterlegen, aber auch zu widerlegen. Ganz allgemein gesprochen, sollen statistische Informationen und darauf beruhende Analysen „hilfreiche“ Informationen für die Politik bereitstellen.
Mit steigender Komplexität der Gesellschaft und wachsender Veränderungsdynamik geht ein zunehmender Bedarf an wissenschaftsbasierter Politikberatung einher (Bundesregierung 2007, S. 3). Dauerbeobachtungssysteme kombiniert mit Sach- und Ortskenntnis in den Kommunen und dem Bund sind ein Instrument, der Politik mit den „Bordmitteln“ der Verwaltung zur Seite zu stehen. Damit aber diese internen Mittel Wirkung erlangen, muss dieses Beratungswissen nach Weingart und Lentsch (2008, S. 17) zugleich sachlich richtig und belastbar sowie politisch nützlich und realisierbar sein.
Deshalb sehen Weingart und Lentsch (2008, S. 50) eine doppelte Anforderung an die wissenschaftliche Politikberatung und führen hierzu das Konzept epistemischer und politischer Robustheit ein.
Epistemische Robustheit ist gegeben, wenn eine wissenschaftliche Aussage – in der Wissenschaft – Geltung beanspruchen kann. Im Kern geht es um die Qualität des in den Beratungsprozess eingebrachten Wissens und die Akzeptanz der Aussagen innerhalb der relevanten scienti c communities. Interpretationsspielräume sollten soweit wie möglich eingeengt sein, damit konkurrierende wissenschaftliche Argumentationsketten teilweise oder ganz ausgehebelt werden können (Weingart und Lentsch 2008, S. 50). Wenn Empfehlungen oder Ratschläge an die Politik mit anderen wissenschaftlich generierten Herleitungen leicht widerlegt werden können, wäre ihr Nutzen im politischen Kontext praktisch wertlos.
Politische Robustheit bezieht sich dagegen auf die Akzeptabilität und damit die politische Umsetzbarkeit der Empfehlungen. Hierin spiegelt sich ein Spannungsverhältnis wider, in dem sich jede Form der wissenschaftlichen Politikberatung bewegt. Wissenschaftliche Erkenntnisse sind nicht unumstößliche letzte Wahrheiten. Sie bilden einerseits den aktuellen Erkenntnisstand ab und entwickeln sich mit jedem Erkenntnisfortschritt weiter, andererseits werden sie in gesellschaftlichen und politischen Diskursen bewertet und interpretiert. Die Erfahrung zeigt, wie unterschiedlich selbst relativ eindeutig erscheinende wissenschaftliche Erkenntnisse ausgelegt und eingeordnet werden.1
Das in den Beratungsprozess eingebrachte Wissen erlangt politische Robustheit, wenn es in legitimierten Verfahren geprüft und mit den Werten und Interessen der eingebundenen Gruppen und Akteure in Deckung gebracht wird. Die politische Umsetzbarkeit muss gesichert sein, damit der Auftraggeber – die Politik – auch in die Lage versetzt wird, die erarbeiteten Vorschläge im weiteren politischen Verfahren erfolgreich einbringen zu können.
Kommunalstatistik zwischen Datenmanagement, allumfassender Informationsdienstleisterin und Stadtforschung
Die Kommunalstatistik ist die Daten-, Informations- und Statistikdienstleisterin vor Ort. In Städten, Kreisen und Gemeinden sind dafür seit Jahrzehnten abgeschottete Statistikstellen aktiv. Sie haben Datenzugri e und Möglichkeiten der statistischen Datenverarbeitung zum Zwecke der kommunalen Planung und Steuerung. Dafür führen sie selbst Befragungen durch, verarbeiten und quali zieren Verwaltungsdaten, nutzen Einzeldaten der Statistiken des Bundes und der Länder, um den lokalen Bedarf an Daten und Informationen zu erfüllen.
Kommunale Statistikstellen bedienen die Informationsbedürfnisse der Kommunalpolitik und -verwaltung. Sie tragen nicht nur Daten zusammen, speichern sie und bereiten sie auf, kommunale Statistikstellen sind auch wichtige Akteure in der Stadtforschung und erfüllen die Informationsbedürfnisse der Ö entlichkeit in aktuellen Präsentationsformen. Sie sind somit essenzieller Dienstleister bei der Ausgestaltung des Selbstverwaltungsrechts der Kommunen.2
60 STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 1|2023
Schwerpunkt Instrumente und Strategien der Stadtbeobachtung
Den Kommunen fallen im Rahmen ihres eigenen sowie des vom Staat übertragenen Wirkungskreises unterschiedlichste Aufgaben zu wie Soziales, Bildung, Freizeit, Kultur, Wirtschaftsförderung, Ver- und Entsorgung, Umwelt. Für die Bewältigung dieser Aufgaben, zur Planung und örtlichen Steuerung, bedarf es Informationen über die lokale Situation sowie datenbasierter Entscheidungen.
Kommunale Statistikstellen sind dabei „nah dran“ am Geschehen. Ihnen ist es möglich, die lokale Maßnahmenfestlegung durch geeignete Monitorings und statistische Auswertungen und Analysen mit ihrer Kenntnis vor Ort sehr gut zu unterstützen. Denn die grundgesetzlich bestimmte, umfassende Verantwortung der Kommunen für das Gemeinwohl vor Ort erfordert kleinräumig di erenzierte Informationen: Diese Notwendigkeit wird verstärkt durch die wachsenden Anforderungen an eine moderne Stadtentwicklung, die alle Bereiche der kommunalen Daseinsvorsoge umfasst. Dafür p egen die Statistikstellen die sogenannte kleinräumige Gliederung, die es unterhalb der Stadtgrenzen ermöglicht, kleinräumig und in einem nachvollziehbaren statistischen Vergleichsrahmen zeitliche Entwicklungen nachzuvollziehen bzw. aufzudecken. Kleinräumige Datenbereitstellung und di erenzierte Informationsaufbereitung sind besonders im Zeitverlauf für Planungs- und Entscheidungsprozesse unabdingbar. So können gewünschte Aufwertungsprozesse im Rahmen von Stadterneuerungsverfahren auf der einen Seite und der Verdrängung von Bevölkerung durch Gentri zierung auf der anderen Seite nur mit Hilfe kleinräumiger Daten analysiert und unterschieden werden. Die Ermittlung der Wohnungsdaten und die Fortschreibung der Bautätigkeit an der Adresse sind notwendige Grundlagen u.a. für die Erstellung des gesetzlich vorgeschriebenen quali zierten Mietspiegels. Und auch umwelt-, bildungs- und gesundheitspolitische Maßnahmen beruhen auf dem Fundament kleinräumig analysierter Daten. Sie werden vor Ort für die Fachverwaltungen räumlich und zeitlich anlassbezogen ausgewertet und in kontinuierlichen Beobachtungssystemen vergleichbar zur Dauerbeobachtung auf Bundesebene bereitgestellt. Für die Kommunalstatistik steht dabei – im Gegensatz zum BBSR – weniger im Fokus, politische Robustheit zu gewährleisten. Die Maßnahmenempfehlung wird lokal durch die Fachplanungen erarbeitet. Kommunalstatistik liefert das Daten- und Auswertungsfundament dafür. Kommunalstatistik ordnet lokale Phänomene und Besonderheiten ein.
Zunehmend wurden und werden die Auswertungen als Dashboards nach individuellen Wünschen der Nutzerinnen und Nutzer und mit di erenzierten Zugri srechten für die einzelnen Steuerungsebenen angeboten. Die Aktualität der Daten spielt dabei eine wichtige Rolle. Durch die automatisierte Anbindung verschiedener Datenquellen gelingt hier eine höhere Schnelligkeit. Dies spielt insbesondere eine Rolle, wo die Auswertungen im Sinne einer Antennenfunktion frühzeitig auf Veränderungen hinweisen sollen. Es bleibt der von jeher hohe Aufwand, durch statistische Qualitätssicherungsverfahren aus Daten tatsächlich nutzbare Informationen abzuleiten und in den unterschiedlichen Visualisierungsformen anzubieten. Erkennbar steigt auch der Bedarf der Nutzerinnen und Nutzer, Erkenntnisse in wenigen prägnanten Sätzen präsentiert zu erhalten. Das kostet Zeit und gutes Know-how, um dies inhaltlich korrekt und adressatengerecht zu erfüllen.
Auch in den Kommunen ist die Evaluation und Messbarkeit des Erfolgs kommunalpolitischer Maßnahmen gefragt: So wird zum Beispiel in Dortmund über die „Bürger*innenbefragung“ und ein Kennzahlensystem (sogenannter wirkungsorientierter Haushalt) fortlaufend die E ektivität der eingesetzten Ressourcen und der ergri enen Maßnahmen überprüft. Diese Informationen stehen der Stadtbevölkerung ö entlich zur Verfügung. Weiterhin steigt der Bedarf, neben der rein deskriptiven Beschreibung von Entwicklungen, analytisch und mit statistischen Auswertungsverfahren unterlegt tiefergehend Erkenntnisse aus dem kommunalen Datenschatz zu ziehen. Beispiele dafür sind Wählerwanderungsberechnungen, Prognoserechnungen etc.
P icht und Kür lassen sich hier nicht mehr so leicht auseinanderhalten. Die gestiegenen Datenbedarfe und die gezeigten Entwicklungen erfordern eine kontinuierliche Weiterentwicklung des statistischen, analytischen und technischen Knowhows in den Statistikstellen. Vielerorts löst man sich bereits von den klassischen Produkten, wie einem statistischen Jahrbuch. Dennoch ist auch weiterhin das breite Portfolio an Fachlichkeit gefragt, für das diese Verö entlichungsform steht. Kommen mancherorts dann noch klassische Organisationsaufgaben dazu, wie die Durchführung von Wahlen oder der aktuell durchgeführte Zensus, werden abgeschottete Statistikstellen zeitweise stillgelegt, um nach Bewältigung der Sonderaufgabe wieder reaktiviert zu werden. Die Datenanfragen reißen aber während dieser Zeiten nicht ab. So ist eine Dauerpriorisierung zwischen analytischen Aufgaben, statistischer Beratung, Erfüllung eiliger Datenanfragen, dem Aufbau und der Sicherung stabiler Datenmanagementlösungen (Datenbanken, Data Warehouses) Alltag in den kommunalen Statistikstellen.
Leichter Zugri und Nutzen des kleinräumigen und vergleichenden Informationspotentials sind darum aus Sicht der Kommunalstatistik wichtige Weiterentwicklungsanforderungen an die IRB. Der zentral gesammelte Datenschatz bietet Potential für den schnellen städteübergreifenden Erkenntnisgewinn, wenn er kleinräumig vergleichend und technisch unterstützt angeboten wird. Die langen Zeitreihen – in fachlicher und gleichzeitig räumlicher Tiefe – erleichtern eine Positionsbestimmung und ermöglichen es, Besonderheiten zu erkennen. Damit ist es möglich, die Fachplanungen begleitend zu Frühwarnsystemen zu unterstützen und gleichsam für die Politikberatung unterschiedliche Entwicklungen beschreibund erklärbar zu machen.
Die Funktion der Ressortforschung
Im Jahr 2020 betrugen die Bundesausgaben für Forschung und Entwicklung (FuE) ca. 20,7 Mrd. Euro, wobei die Mittel des Bundes für die Durchführung von FuE in Bundeseinrichtungen mit Forschungs- und Entwicklungsaufgaben etwa 1,4 Mrd. Euro betrugen (Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) 2022, S. 54–55). Die Ressortforschung soll aktuelle gesellschaftliche, technologische und wirtschaftliche Fragestellungen aufgreifen, wichtige Herausforderungen für die Gesellschaft von morgen erkennen und Handlungsoptionen für staatliche Maßnahmen erarbeiten (Bundesregierung 2007, S. 3).
STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 1|202361
Schwerpunkt Instrumente und Strategien der Stadtbeobachtung
Insbesondere der Vorlau orschung wird im 2007 verö entlichten Konzept der modernen Ressortforschung eine besondere Bedeutung beigemessen. So soll die Ressortforschung Themen aufgreifen, die (noch) keinen akuten Handlungs- oder Regelungsbedarf seitens der Politik erkennen lassen, also noch keine nennenswerte politische Relevanz aufweisen, aber für die Gesellschaft zukünftig bedeutsam werden könnten. Der Ressortforschung wird implizit eine „Antennenfunktion“ zugeschrieben.
Dies ist aber nur eine Funktion. Auf Basis einer breiten Analyse der Ressortforschung kommen Weingart und Lentsch (2008, S. 169–172) zu einem Bündel formaler Funktionen der Ressortforschung, die sich aus den spezi schen Anforderungen an sie ergeben:
-Monitoring und wissenschaftliche Dauerbeobachtung.
Diese Funktion erfordert die kontinuierliche wissenschaftliche Analyse relevanter Phänomene in einem Politikfeld sowie die Generierung von Hintergrundinformationen.
-Frühwarn- oder Antennenfunktion.
Wichtig ist das frühzeitige Erkennen neuer Entwicklungen sowie potentieller Risiken und Gefährdungen und sich daraus ableitender politischer Handlungsbedarf.
- Wissenschaftliche Beratung für die Politikgestaltung und Implementierung.
Angesprochen sind hier u.a. Problemfeldanalysen und Entwicklung spezi scher Problemlösungen für neuartige Probleme, Vorhalten kurzfristig abrufbarer Expertise und Informationen und die sog. Vorlau orschung.
-Beratung für Regulierung und Kontrolle.
Hierunter fallen Beratungsleistungen wie die Risikobewertung oder Vorschläge für die Festlegung von Standards im Rahmen pränormativer Forschung.
- Evaluation und Vollzugskontrolle.
Wissenschaftliche Analyse der Wirkungen politischer Maßnahmen.
-Aufklärung und Information der Ö entlichkeit. Dies verlangt forschungsbasierte Beratungsleistungen (bspw. Verbraucher- oder Gesundheitsinformationen).
Die dargestellte Bandbreite der Aufgabenstellung bildet sich in ihrer Gänze höchst wahrscheinlich in keinem Ressortforschungsinstitut ab. Qua Zuständigkeit und Aufgabenpro l der jeweiligen Ressortforschungseinrichtung ergeben sich spezische Schwerpunkte bei den o.g. Funktionen. Das BBSR kann enger in Verbindung zu den Funktionen Dauerbeobachtung und Wirkungskontrolle gebracht werden. Mit Einschränkungen könnte dies auch für das Thema Antennenfunktion gelten.
Wie im Konzept der modernen Ressortforschung (Bundesregierung 2007, S. 4) dargelegt, weist die Ressortforschung spezi sche Qualitäten gegenüber anderen Forschungseinrichtungen auf. Eine liegt in der kurzfristig abrufbaren wissenschaftlichen Kompetenz. So sind die Ressortforschungseinrichtungen in der Lage, schnell und mit tragbaren Einschränkungen eine fundierte wissenschaftliche Expertise bei akuten Anfragen durch die Ministerien einbringen zu können. Diese kurzen Reaktionszeiten wären mit externen Partnerinnen und Partnern nicht realisierbar. Ferner wären privatwirtschaftlich organisierte Beratungsunternehmen, aber auch die allermeisten wissenschaftlichen Einrichtungen, kaum in der Lage, langfristig an -
gelegte Fragestellungen kontinuierlich bearbeiten zu können. Gerade der ressourcenbindende Betrieb von Dauerbeobachtungs- oder Monitoringsystemen lässt sich i. d. R. nur in Strukturen ö entlicher Einrichtungen über Jahre (und bisweilen Jahrzehnte) hinweg abgesichert betreiben. Und schließlich folgt aus der mehr oder weniger engen Einbindung in Regierungshandeln eine besondere Fähigkeit der Ressortforschung, nämlich Wissenschaft, Politikberatung und Vollzug miteinander verknüpfen zu können.
Ressortforschung und Politikberatung im BBSR
Das Pro l und die fachliche Ausrichtung der jeweiligen Ressortforschungseinrichtung werden letztlich durch das übergeordnete Ministerium festgelegt. Dies gilt auch für das BBSR, das als nachgeordnete Behörde dem Bauministerium zugeordnet ist. Insofern ist das BBSR, auch wenn es ein wissenschaftlich unabhängiges Institut ist, abhängig von den Anforderungen und Vorgaben des übergeordneten Ministeriums.
Das BBSR ist zuletzt 2016 durch den Wissenschaftsrat (WR) evaluiert worden. Zuvor wurde der wissenschaftliche Bereich des BBR als Vorläufereinrichtung des BBSR 2006 erstmals einer von der Bundesregierung angestrengten Evaluation unterzogen. Beiden Gutachten von 2006 und 2016 lagen umfangreiche Materialsammlungen auf Basis der Vorgaben des WR zugrunde, die weitgehende Transparenz in die praktische Arbeit des BBR/BBSR gaben (bspw. Übersichten zu Vorträgen und Verö entlichungen, Stellenpläne etc.). Ferner wurden die formalen Grundlagen (Erlasse) herangezogen, Interviews geführt, u.a.m.
In der Summe schneidet das BBSR bei der Beurteilung seiner wissenschaftlichen Leistungsfähigkeit durch den WR eher durchschnittlich ab, was nach Einschätzung des WR auch auf eine Überfrachtung des BBSR mit „artfremden“ Aufgaben zurückzuführen ist. Dieser zuletzt genannte Trend hat sich in den letzten Jahren sogar noch verstärkt, wenngleich zu vermerken ist, dass dies zu einem enormen Stellenzuwachs geführt hat. Der WR (2017, S. 10) erkennt aber auch an, dass das BBSR über hochwertige Datensätze verfügt, die es verstärkt selbst wissenschaftlich auswerten sollte.
Die IRB als Teilbaustein der Raumbeobachtung im BBSR ist für den Bund die einzige Möglichkeit, zumindest für die Großstädte kleinräumige Wandlungsprozesse und ihre Auswirkungen zu untersuchen. Nun ist die nationale Stadtpolitik nicht nur auf Themen ausgerichtet, die sich durch die IRB gut abbilden lassen. Auch ist die nationale Stadtentwicklungspolitik nicht nur auf die Großstädte, die typischen IRB-Städte, beschränkt. Ohne die IRB wäre der Bund in zentralen stadtentwicklungspolitischen Fragestellungen aber „blind“ oder er müsste sich die notwendigen Informationen über andere, zumeist viel aufwändigere, Wege bescha en. Ergebnisse der IRB sind in verschiedene Verö entlichungen eingegangen. Auch BBSR-interne Papiere bzw. Papiere für das Bauministerium stützen sich auf Analysen der IRB. Insofern hilft die IRB dabei, anekdotische Evidenz zumindest in Teilbereichen durch empirische Evidenz zu ersetzen, wenngleich hier noch erhebliche Steigerungsmöglichkeiten erscheinen.
62 STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 1|2023
Schwerpunkt Instrumente und Strategien der Stadtbeobachtung
Nutzensteigerung der IRB
Eine wesentliche Anforderung an Forschung ist es, zeitnahe und kommunizierbare Erkenntnisse zu produzieren. Für die Stadtforschung gelten diese beiden Anforderungen besonders, da sich in Städten gesellschaftliche Herausforderungen früh zeigen und in ihrer Dringlichkeit besonders hervorzuheben sind (Eckardt 2014, S. 2).
Aktualität: In der Kommunalstatistik wird in der Regel mit monatlich oder jährlich aktualisierten Datensätzen gearbeitet, die einen hohen Qualitätsstandard erfüllen müssen und daher zahlreiche Prüfschritte durchlaufen. Der Zeitplan der IRB sieht vor, dass Mitte des Jahres die Datenabfrage für das vorangegangene Jahr startet. Bis alle Datenlieferungen eingetro en und nochmals geprüft worden sind, dauert es in der Regel mehrere Monate. Der vollständige Datensatz für das Jahr 2021 liegt so Anfang 2023 vor. Dieses Verfahren kann zeitlich kaum optimiert werden. Damit hat die IRB den Nachteil, dass plötzlich auftretende Entwicklungen wie die Pandemie (Auswirkung auf Sterblichkeit, Wanderungen, SGB II) oder große Fluchtbewegungen aus dem Ausland infolge eines Krieges, wie zuletzt aus der Ukraine, erst mit einem gewissen Zeitverzug durch die Datensammlung abgebildet werden können (siehe auch: Gut eisch und Sturm 2013, S. 485). Diese Herausforderung stellt sich jedoch bei allen Daten aus der amtlichen Statistik.3
Kommunizierbarkeit/Vermittelbarkeit: Städte sind komplexe Systeme. Entwicklungen hängen von zahlreichen Einussfaktoren ab und wirken sich unterschiedlich zwischen und innerhalb der Städte aus. Die Stärke der IRB ist, diese Zusammenhänge abbilden zu können.
Der große Vorteil der IRB liegt in der gesellschaftlichen Dauerbeobachtung und damit dem Erkennen und Einordnen mittel- und langfristiger Entwicklungstrends (s.o.). Stärker nutzbare Potenziale weist die IRB nach innen und außen auf:
a) Nutzen nach innerhalb der Kooperationsgemeinschaft Dem BBSR und vielen Kommunen ist das große Potenzial des vergleichenden kleinräumigen Datensatzes der IRB bewusst. Eine regelmäßige Nutzung der IRB-Daten erfolgt bislang weniger, häu g aufgrund eingeschränkter Ressourcen. Um das zu verändern, wurde vom BBSR, einigen Städten und KO.R ein Projekt angestoßen: Der zentral gesammelte Datenschatz der IRB soll in seinen Potentialen auch kleinräumig vergleichend weitergehend erschlossen werden. Jede beteiligte Kommune soll eine einfache Möglichkeit haben, Ableitungen aus langen, vergleichenden Zeitreihen – in fachlicher und gleichzeitig räumlicher Tiefe – und vergleichend über eine Auswahl an Städten mit ähnlichen Ausgangslagen, vergleichbarer Dynamik, räumlichem oder z.B. anhand der Einwohnerzahl vergleichbarem Rahmen zu tre en. Ziel ist, ausgewählte Ergebnisse bzw. „strategisch“ wertvolle Auswertungen in Form eines Dashboards zur Verfügung zu stellen, ohne dass einzelne Städte jeweils selbst viele Ressourcen dafür einsetzen müssten (Abb. 1).
Zukünftige Potentiale sieht das BBSR auch in der Verschneidung der IRB- mit den SOEP-Daten. In der Ressortforschung kann es sehr wertvoll sein, Auswertungen der IRB-Daten um Analysen aus Befragungsdaten zu ergänzen, um Ergebnisse zu validieren sowie zu erweitern.
b) Nutzen nach außerhalb in Wissenschaft und Ö entlichkeit Für Universitäten sowie andere Forschungseinrichtungen besteht die Möglichkeiten, die IRB-Daten auf Basis einer Nutzungsvereinbarung für Projekte zu erhalten. Die Einzigartigkeit der IRB ndet in der Wissenschaft mittlerweile vermehrt Resonanz. Das zeigt sich in der Häu gkeit von Datenanfragen, der Art der anfragenden Institutionen (z. B. Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung) sowie der angewandten wissenschaftlichen Methodik (statt deskriptiver Analysen werden z. B. Mehrebenenanalysen durchgeführt). Interessant ist für viele Forschende auch die Möglichkeit, georeferenzierte Daten zu erhalten (Göddecke-Stellmann et al. 2021, S. 99). Kein
STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 1|202363 Schwerpunkt Instrumente und Strategien der Stadtbeobachtung
Abbildung 1: Dashboard „Stadtvergleich“ (Quelle: Stadt Dortmund)
Ziel für das Projekt IRB ist es, ein Angebot für Journalismus oder Ö entlichkeit zu scha en. Gemäß der Vereinbarung zwischen dem BBSR und den beteiligten Städten werden Daten ausschließlich zur wissenschaftlichen Nutzung bereitgestellt.
Schlussfolgerungen für die IRB
Die IRB ist ein Kooperationsprojekt mit einer langen Tradition. Auch wenn sich seither vieles verändert hat, gelten die ursprünglichen Motivlagen im Kern weiterhin.
1. Die Erfahrung zeigt: Die rein informative, faktenbezogene, indikatorengestützte Deskription reicht heute nur noch bedingt aus. Ein stärker auf strategische Beratung ausgerichteter Ansatz sollte das Ziel sein (Gatzweiler 2011, S. 419–420), was aber im Alltagsgeschäft im BBSR wie auch in den Kommunen eine nur schwer einzulösende Anforderung und Herausforderung ist. Gerade die Datengrundlagen der Kommunalstatistik und des BBSR haben in der Mehrzahl die Eigenschaft von Paneldaten, d.h. für die gleichen Beobachtungsobjekte (Stadtteile, Gemeinden, Kreise) werden jährlich die gleichen Daten erhoben. Die hieraus resultierenden statistisch-analytischen Optionen werden bislang jedoch nicht genutzt. Rein deskriptive Analysen reichen nicht aus (Wagner 2014, S. 92). Kausale Analysen wären ein wichtiger – aber auch anspruchsvoller – Schritt für das BBSR und die Kommunalstatistik, gesellschaftlichen Wandel nicht nur zu beobachten, sondern auch wesentliche erklärende Faktoren herauszuarbeiten, was möglicherweise den Erwartungen auf politischer Entscheidungsebene entsprechen könnte. Dies könnte auch durch eine stärkere Bildung von Allianzen mit der Wissenschaft unterstützt werden.
2. Der entscheidende Vorteil von Dauerbeobachtungssystemen wie der IRB ist die Möglichkeit, gesellschaftlichen Wandel und seine Auswirkungen zu beobachten, zu beurteilen und zu analysieren. Eine wissenschaftlich fundierte Beobachtung gesellschaftlichen Wandels steht in scharfem Kontrast zu feuilletonistischen Betrachtungen, Bauchgefühl, medialen Modethemen oder höchst selektiven
Literatur
Böltken, Ferdinand; Gatzweiler, Hans-Peter; Meyer, Katrin (2007): Das Kooperationsprojekt „Innerstädtische Raumbeobachtung“: Rückblick, Ausblick, Ergebnisse. Informationsgrundlagen für Stadtforschung und Stadtentwicklungspolitik. In: Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR) (Hg.): Innerstädtische Raumbeobachtung: Methoden und Analysen. Bonn: Selbstverl. des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung (Berichte des BBR, 25), S. 7–22.
Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) (Hg.) (2022): Bundesbericht Forschung und Innovation 2022. Forschungs- und innovationspolitische Ziele und Maßnahmen. Berlin.
Bundesregierung (Hg.) (2007): Konzept moderner Ressortforschung, zuletzt geprüft am 13.10.2010.
Beobachtungen einzelner Akteurinnen bzw. Akteure oder Gruppen, die in der Stadtpolitik bisweilen über erheblichen Ein uss verfügen. Hier kann die Kommunalstatistik wie auch die Raumbeobachtung des BBSR mit bewährten Instrumenten selbstbewusst ansetzen und auf tatsächlich beobachtbare Prozesse verweisen und Veränderungen in ihrer Dynamik und in ihrer Entwicklungsrichtung empirisch gesättigt darstellen. Empirische Evidenz sollte den Vorzug vor anekdotischer Evidenz erhalten.
3. Das BBSR wie auch die Kommunalstatistik verfügen über umfassende und qualitativ hochwertige Datengrundlagen. Aus heutiger Sicht mag es auf manche antiquiert wirken, die Vorteile wissenschaftlicher Beobachtungssysteme herauszustellen, deren Wurzeln mehr als fünfzig Jahre zurückreichen. Diese „Klassiker“ haben jedoch nichts an ihren methodischen Grundüberlegungen eingebüßt. Auch wenn Big Data und ständig neue Angebote einen enormen Reiz ausüben, sollte eine bilanzierende Einschätzung dieser Alternativen zu den „Klassikern“ kritisch geprüft werden. In der Regel sind diese Angebote auf eine wissenschaftliche Nutzung nicht ausgerichtet, weisen eine unzureichende Qualität der Daten auf und sind nur eingeschränkt verfügbar, umso wichtiger ist es die Qualität der etablierten Datengrundlagen und Beobachtungssysteme selbstbewusst zu unterstreichen. Dies gilt für die Kommunalstatistik genauso wie für die Raumbeobachtung des BBSR.
1 Dies ist eine Erfahrung, mit der die Modelliererinnen und Modellierer in der Corona-Pandemie konfrontiert sind. Ihre abstrakten Berechnungsmethoden zum Verlauf der Infektionszahlen stoßen immer wieder auf Skepsis und werden nicht nur von "Querdenkenden" grundsätzlich in Zweifel gezogen, obwohl die Modelle eine relativ gute Tre sicherheit aufweisen.
2 Vgl. auch https://www.staedtestatistik.de/ leadmin/media/VDSt/ Publikationen/20220831_VDSt_Positionspapier_Registermodernisierung_und_Registerzensus.pdf
3 Das Statistische Bundesamt hat während der Pandemie aufgrund des hohen ö entlichen Interesses begonnen, vorläu ge monatliche Sterbezahlen zu verö entlichen. Es wurde jedoch explizit darauf hingewiesen, dass keine Plausibilisierung und Vollständigkeitskontrollen durchgeführt wurden. Zudem kamen Schätzverfahren zum Einsatz.
Eckardt, Frank (2014): Stadtforschung. Gegenstand und Methoden. Wiesbaden: Springer VS (Lehrbuch).
Gatzweiler, Hans-Peter (2011): Raumbeobachtung – Was soll das? In: Informationen zur Raumentwicklung (7/8), S. 409–423.
Göddecke-Stellmann, Jürgen; Lauerbach, Teresa; Winkler, Dorothee (2021): Innerstädtische Raumbeobachtung: ein kritischer Rück- und Ausblick. In: Stadtforschung und Statistik 34 (1), S. 98–105.
Gut eisch, Ralf; Sturm, Gabriele (2013): Kataloge kleinräumiger kommunalstatistischer Daten im Vergleich: was können KOSTAT, IRB, Urban Audit? Informationen zur Raumentwicklung, 6, 471-491.
Krupp, Hans-Jürgen (2007): Das Sozio-oekonomische Panel (SOEP) – Genese und Implementation. Hg. v. Deutsches Institut für Wirt-
schaftsforschung (DIW). Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) (SOEPpapers on Multidisciplinary Panel Data Research, 25).
Wagner, Gert G. (2014): Zu guter Forschungsinfrastruktur und forschungsbasierter Politikberatung gehört mehr als nur gute Statistikdaten. In: Schmollers Jahrbuch 134 (1), S. 89–96. DOI: 10.3790/schm.134.1.89.
Weingart, Peter; Lentsch, Justus (2008): Wissen - Beraten - Entscheiden. Form und Funktion wissenschaftlicher Politikberatung in Deutschland. 1. Au . Weilerswist: VelbrückWissenschaft (Forschungsberichte / Interdisziplinäre Arbeitsgruppen, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Bd. 22). Zapf, Wolfgang (Hg.) (1977): Lebensbedingungen in der Bundesrepublik. Sozialer Wandel und Wohlfahrtsentwicklung. Frankfurt am Main.
64 STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 1|2023 Schwerpunkt Instrumente und Strategien der Stadtbeobachtung
Sophia Nestler
Babyboom durch COVID-19-Pandemie?
Eine Analyse des Geburtengeschehens in der
Hansestadt Lübeck zwischen 2014 und 2021
Im Jahr 2021 wurden in Deutschland mehr Kinder geboren als in den letzten 24 Jahren. Medien kommunizieren bereits einen bundesweiten und durch die Pandemie indizierten Babyboom. Der folgende Artikel stellt die Notwendigkeit einer regional differenzierten Betrachtung des Geburtengeschehens während der COVID-19-Pandemie heraus und leistet damit einen Beitrag zum kommunalpolitischen Diskurs. Da zwischen der Migrationsbiographie und dem reproduktiven Verhalten von Frauen ein bestätigter Zusammenhang besteht und in den letzten Jahren vermehrt krisenbedingte und grenzüberschreitende Wanderungen stattfanden, nimmt die Analyse auch Bezug zur Staatsangehörigkeit. Im Kontext coronabedingter Auswirkungen auf die Kinderplanung ist es das Ziel, die Fertilitätsentwicklung deutscher und ausländischer Frauen in der Hansestadt Lübeck zu untersuchen.
Seit mehr als zwei Jahren wirkt sich das Corona-Virus auf die Gesellschaft und ihre Teilbereiche aus. Die Folgen der Krise belaufen sich auf das politische und wirtschaftliche System, den Rechtsstaat, das Gesundheitswesen – doch auch das persönliche Leben wird durch die COVID-19-Pandemie tangiert. Die erste und zweite Corona-Welle haben mit Ausgangssperren und sozialem Distanzieren den Einzelnen zur Umstrukturierung alltäglicher Praktiken gefordert und das Sozialleben maßgeblich beein usst. In der anfänglichen Pandemiephase galt der Analyse von Wirkungsmechanismen, die au ällig hohe oder niedrige Inzidenzen in Bevölkerungsgruppen erklären konnten ein besonderes Interesse. Dabei kristallisierte sich unter anderem die Migrationsbiographie einer Person in internationalen Studien als eine relevante Variable im Infektionsgeschehen heraus (OECD 2020). Auf Basis des Sozioökonomischen Panels (SOEP) sind im Jahr 2018 mehr als ein Drittel (35,6%) aller Beschäftigten in systemrelevanten Berufen Migrant:innen. So wurden 2018 in Deutschland Reinigungsarbeiten zu 44,4% und Tätigkeiten im Bereich der Altenp ege zu 36,6% von Menschen mit Migrationshintergrund ausgeübt. Zu den systemrelevanten Berufen zählen vor allem die Dienstleistungs- und die P egebranche, in denen gleichzeitig ein erhöhtes Infektionsrisiko für COVID-19 besteht (Khalil et al. 2020). Hinzu kommen mit dem Erkrankungsrisiko korrelierende Faktoren, wie etwa benachteiligende Lebensumstände und ein schlechterer allgemeiner Gesundheitszustand, denen Migrant:innen und Menschen mit Migrationshintergrund häuger ausgesetzt sind als Personen ohne Migrationsbiographie (Birke 2021; Bozorhmehr 2020; Razum et al. 2020). Es muss jedoch unbedingt berücksichtigt werden, dass die erklärende Variable hierbei nicht der Migrationsstatus an sich ist, sondern das höhere Risiko für sozioökonomische Deprivation, die sowohl das Ansteckungsrisiko erhöht als auch den individuellen Krankheitsverlauf von COVID-19 negativ beein ussen kann (Wachtler et al. 2020; OECD 2020).
Sophia Nestler
M.Sc. Demographie, seit 2021 Mitarbeiterin in der Kommunalen Statistikstelle der Hansestadt Lübeck : sophia.nestler@luebeck.de
Schlüsselwörter:
COVID-19-Pandemie – kommunales Geburtengeschehen –Staatsangehörigkeit – Total Fertility Rate
Zum jetzigen Zeitpunkt gibt es noch keine genauen Antworten zur Langfristigkeit von Pandemie-Folgen auf grundlegende Entwicklungen in der Gesellschaft. Je länger wir mit der Existenz von COVID-19 leben, desto häu ger rücken Untersuchungen die Auswirkungen der coronabedingten Krise in den Fokus. Ein zentrales Interesse gilt dabei dem Ein uss der Pandemie auf das Fertilitätsverhalten von Frauen in Deutschland. Bereits im Frühjahr 2020 wurden umstrittene Schlagwörter wie „Corona-Babyboom“ durch die Presse mit einem
STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 1|202365 Stadtforschung
mutmaßlichen Anstieg zu erwartender Geburtenzahlen begründet. Zeigt sich also bereits ein entscheidender Ein uss auf die Familienplanung in der Bevölkerung?
Wird die regionale Komponente in die Analyse der Geburtenentwicklung einbezogen, so scheint die Antwort komplexer: Die aktuelle Forschung kann bislang nur wenige Aussagen zu den Folgen der COVID-19-Pandemie auf die Fertilität in Städten und Gemeinden mit unterschiedlichen soziodemogra schen Strukturen tre en. Mit der vorliegenden Analyse soll ein Beitrag zur Aufklärung von regionalen Unterschieden in Bezug auf die Auswirkungen der Pandemiejahre auf das Geburtengeschehen geleistet werden. Aufgrund des exponierten Risikos für eine Ansteckung und eines schwereren Krankheitsverlaufs von COVID-19 unter Migrant:innen und Personen mit Migrationshintergrund, wird zwischen dem Fertilitätsverhalten deutscher und ausländischer Frauen di erenziert, um mögliche Unterschiede von Pandemiee ekten erkennen zu können. Die di erenzierte Analyse nach der Staatsangehörigkeit lässt sich außerdem mit der seit 1991 in Deutschland höheren Kinderzahl begründen, die eine ausländische Frau gegenüber einer deutschen Frau im Laufe ihres Lebens im Durchschnitt zur Welt bringt und damit bereits vor der Pandemie unterschiedliche Ausgangspunkte im Geburtenniveau vorliegen (Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung 2022a).
Im Einzelnen geht es um die Fragestellung:
Welchen Ein uss hat die COVID-19-Pademie 2020 und 2021 auf das reproduktive Verhalten von deutschen und ausländischen Frauen in der Hansestadt Lübeck im Alter zwischen 15 und 49 Jahren?
Mit den statistischen Auswertungen auf Basis des Melderegisters für die Jahre 2014 bis 2021 werden absolute und relative Geburtenzahlen betrachtet. Die Berechnungen zeigen, ob deutsche und ausländische Frauen (Erst-)Geburten vorziehen oder in ein höheres Lebensalter verschieben sowie mögliche Veränderungen in der Anzahl der Kinder, die eine Frau durchschnittlich zur Welt bringt. Um die Analyseergebnisse für Lübeck auf kommunaler Ebene auch in den Kontext des deutschlandweiten Geburtengeschehens einordnen zu können, wird vorerst die Entwicklung der Geburtenzahlen seit Beginn der 1990er Jahre auf Bundes- und Länderebene betrachtet.
Entwicklungen des Geburtengeschehens in Deutschland seit 1990
Mit dem historischen Ereignis der Deutschen Einheit gingen sowohl wirtschaftliche Unsicherheiten als auch demograsche Einschnitte im Geburtengeschehen einher. Zu Beginn der 1990er Jahre brachte eine Frau mit deutscher Staatsangehörigkeit im Durchschnitt nur noch 1,26 Kinder zur Welt, während die zusammengefasste Geburtenzi er (Total Fertility Rate) von Frauen mit ausländischer Staatsangehörigkeit in der Bundesrepublik bei 2,0 lag. In den darau olgenden zwei Jahrzehnten kam es zu einer Annährung des Geburtenniveaus deutscher und ausländischer Frauen, die durch einen Geburtenanstieg unter den deutschen Frauen, aber vor allem durch das Sinken der Geburtenrate unter Ausländerinnen entstand. Dennoch bringt eine ausländische Frau zwischen 1991 und
2021 durchschnittlich mehr Kinder zur Welt als eine deutsche (Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung 2022a).
In den Jahren 2015 und 2016 stieg als Konsequenz hoher Zuwanderung die Geburtenzi er der ausländischen Frauen auf 1,96 beziehungsweise 2,28 an, wohingegen die TFR aller Frauen in Deutschland 2016 bei 1,59 lag. Die gestiegene Geburtenneigung unter ausländischen Frauen ergab sich aus den kulturell geprägten Fertilitätsverhalten der Herkunftsländer sowie aus den Veränderungen in der Anzahl und der Altersstruktur potenzieller Mütter (Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung 2022a; Pötzsch 2018, 2021 und 2022c). Nach der Phase des hohen Zuwanderungsgewinns von Geüchteten in Europa, kam es ab 2017 zu einem insgesamt kontinuierlichen Geburtenrückgang, der im Jahr 2020 in einer durchschnittlichen Zahl von 1,53 Kindern je Frau resultierte. Di erenziert nach Staatsangehörigkeit lag die zusammengefasste Geburtenzi er im selben Jahr für deutsche Frauen bei 1,43 gegenüber einem Wert von 2,0 unter ausländischen Frauen (Statistisches Bundesamt 2022a). Neben der Heterogenität des Pools aus Herkunftsländern der Frauen, ist auch die Altersstruktur bei der Bestimmung des Fertilitätsverhaltens in alternden Gesellschaften von zentraler Bedeutung. Das durchschnittliche Alter aller Mütter bei Geburt des ersten Kindes stieg von 30,5 Jahren im Jahr 2017 auf 30,8 Jahre im Jahr 2020 an (Statistisches Bundesamt 2022c). Der Aufschub von Geburten in ein höheres Lebensalter führt zu niedrigeren Geburtenzi ern in den jüngeren reproduktiven Altersjahren und damit zu einer niedrigeren TFR. Ohne die Berücksichtigung der Kohortenfertilität1 kann dies jedoch zu einer Unterschätzung der endgültigen Kinderzahl je Frau führen, sofern die Geburten nachgeholt werden und die Elternschaft nicht komplett ausbleibt.
Abbildung 1: Zusammengefasste Geburtenzi er (TFR) deutscher und ausländischer Frauen (1991–2021). Quelle: Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung und Statistisches Bundesamt: Zusammengefasste Geburtenzi er deutscher und ausländischer Frauen (1991–2021). https://www.bib.bund.de/DE/Fakten/Fakt/ B43-Zusammengefasste-Geburtenzi er-Nationalitaet-ab-1991. html (abgerufen am 23.11.2021).
Bundesinstitut für Bevölkerung (BiB)
Datenquelle: Statistisches Bundesamt
66 STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 1|2023
Stadtforschung
Die Zahlen des Statistischen Bundesamtes zeigen ein zu den Vorjahren gegenläu ges Bild für das Pandemiejahr 2021: Mit 796.000 Lebendgeburten ist dies der höchste Wert seit 1997 und übertri t damit den Geburtenjahrgang 2020 um 22.000 Neugeborene. Es zeigt sich außerdem ein Anstieg der zusammengefassten Geburtenzi er in 2021, der sich auf einen TFR-Wert von 1,58 beläuft (Geis-Thöne 2021; Statistisches Bundesamt 2022b). Kann diese Entwicklung als Babyboom für Deutschland bezeichnet werden und wenn ja, von welcher Dauer ist dieses Phänomen?
Laut einem Beitrag des Instituts der deutschen Wirtschaft ist das Geburtsjahr 2021 für Deutschland als ein einmaliger Sonderfall mit zeitlicher und regionaler Di erenzierung zu bezeichnen. Besonders viele Kinder kamen neben dem letzten Jahresviertel auch im Februar und März zur Welt. Wird bei der Interpretation der Zahlen auch die durchschnittliche Dauer einer Schwangerschaft berücksichtigt, so fallen die geburtenreichen Monate in 2021 nämlich auf den ersten und zweiten Lockdown im Jahr 2020 zurück. Dies verdeutlicht, dass bei der Analyse des Geburtengeschehens stets die zeitliche Verzögerung durch Umsetzung eines Kinderwunsches sowie die durchschnittliche Dauer einer Schwangerschaft einzubeziehen sind (Geis-Thöne 2021; Sobotka et al. 2021; Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung 2021). Auch das Geburtengeschehen des Jahres 2022 indiziert bereits Entwicklungstendenzen, die eher gegen einen deutschlandweiten Babyboom sprechen. Es zeigt sich, dass dem geburtenreichen vierten Quartal 2021 drei Monate mit besonders niedrigen Geburtenzahlen folgten. Zum Vergleich: Das erste Quartal 2022 stellt einen Einbruch der Geburten um 10,8% gegenüber dem ersten Quartal des Vorjahres 2021 dar. Zwischen Januar und Juni 2022 ist ein Rückgang der Geburtenzahlen um 7,3 % gegenüber den gleichen Monaten der Jahre 2019 bis 2021 feststellbar. Werden weitere vorläu ge Ergebnisse betrachtet, so sank gegenüber dem Jahr 2021 bei deutschen Frauen die absolute Geburtenzahl in 2022 um 8,6% und damit stärker als unter Frauen ohne deutsche Staatsangehörigkeit, die sich um 3,3% gegenüber dem Vorjahr verringerte (Statistisches Bundesamt 2022d).
Kleinräumiger Forschungsbedarf reproduktiven Verhaltens in Pandemiezeiten
Für einen vermeintlichen Babyboom 2021 lassen sich unterschiedliche bis gegensätzliche Tendenzen bereits auf Ebene der Bundesländer beobachten. In den neuen Bundesländern und den Stadtstaaten sanken, wie in den vergangenen Jahren, die Fertilitätszahlen fortlaufend: Die Geburten elen im Jahr 2021 geringer aus als 2019. Eine ebenso anhaltende Entwicklung ist für die süddeutschen Bundesländer Bayern und Baden-Württemberg feststellbar. Der leichte Aufwärtstrend der Geburtenzahlen im Süden zeigte sich auch 2021 mit einer Zunahme der Geburten um 4,7% gegenüber dem Vorjahr 2020. In den übrigen alten Bundesländern nahm seit 2016 die Zahl von Lebendgeburten ab – nicht so im Jahr 2021, in dem mehr Kinder als noch im Vorjahr geboren wurden. Neben der Diversität auf Regionalebene existieren eine Vielzahl weiterer Fakto-
ren auf der Mikroebene, die im Zuge der COVID-19-Pandemie relevante Auswirkungen auf das Fertilitätsverhalten haben. Dr. Martin Bujard, Leiter des Forschungsbereichs Familie und Fertilität am Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung, nennt dazu grundsätzliche Mechanismen, die im Zusammenhang mit der Pandemielage stehen und das reproduktive Verhalten in eine bestimmte Richtung beein ussen können.
Familienplanung und sozioökonomische Lage
So wird laut Bujard aufgrund ökonomischer Unsicherheiten sowie Sorgen um die gesundheitliche Lage die Elternschaft zu Pandemie- beziehungsweise Krisenzeiten eher aufgeschoben. Dies zeigte sich auch anhand gesunkener Geburtenzahlen in den ersten Jahren der Deutschen Einheit. Demgegenüber steht das sogenannte „Cocooning“ in Partnerschaften: Eine Erhöhung der gemeinsam verbrachten Zeit während der Pandemie führe zu einem intensiveren Auseinandersetzen mit der Familienplanung und schließlich zur Umsetzung des Kinderwunsches (Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung 2021). Im Zusammenhang mit gesundheitlicher Ungleichheit in der Bevölkerung beein usst auch die Pandemie verschiedene Personengruppen unterschiedlich stark – die Auswirkungen der Corona-Pandemie verlaufen nachweislich entlang eines sozialen Gradienten. Insbesondere Personen in schwächeren Einkommens- und Soziallagen sind von den unmittelbaren wirtschaftlichen Folgen der Krise betro en und dadurch eher zum Aufschub von der Geburt eines weiteren Kindes oder generell von Elternschaft gezwungen (Bonin et al. 2021). Welche Schlussfolgerungen lassen sich anhand der Geburtenentwicklung auf Bundes- und Länderebene der Jahre 2020 und 2021 im Kontext der Pandemie nun für die Hansestadt Lübeck ableiten? Ist in der 222.000-Einwohner:innen-Stadt Schleswig-Holsteins von einem Babyboom zu sprechen oder gab es gegenteilige Entwicklungen, welche die für einen Geburtenaufschub sorgten? Sind deutsche und ausländische Frauen in Bezug auf ihr Fertilitätsverhalten in ähnlicher Form von der Pandemie betro en?
Datenbasis und Methoden
Die Datengrundlage stellt das Melderegister der Hansestadt Lübeck mit dem Zeitbezug vom 1.1.2014 bis zum 31.12.2021 dar und bezieht sich ausschließlich auf Personen mit Hauptwohnsitz in der Hansestadt Lübeck. De nitorisch sind deutsche von ausländischen Frauen über die Ermittlung der ersten Staatsangehörigkeit (jeweils zum 31.12. eines Jahres) abgegrenzt, so dass eine dichotome Variable entsteht. In der Kategorie ausländischer Frauen sind auch jene ohne und ungeklärter Staatsangehörigkeit inkludiert. Als reproduktive Phase wurde für die Auswertungen die Altersspanne zwischen 15 bis einschließlich 49 Jahren festgelegt. Die Begri ichkeit deutscher und ausländischer Mütter beschreibt Frauen, für die zwischen dem 1.1 und 31.12. des jeweiligen Jahres eine Lebendgeburt, ungeachtet der biologischen Geburtenfolge, registriert wurde.
STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 1|202367
Stadtforschung
Stadtforschung
von Frauen im Alter x bis unter x+1 eines Jahres [(����)], gewichtet mit dem Mittelpunkt des Altersintervalls (15,5; 16,5 usw.) undallenGeburten der Frauenzwischen 15 und 49 Jahren [���� (����)],gebildet(1). Bei der Berechnung des Durchschnittsalters bei Erstgeburt [������������" (����)] wirdlediglich die Zahl aller Geburten mit den Erstgeburten von Frauen im Alter von x bis unter x+1substituiertund durch alle Erstgeburten der Frauen zwischen 15 und 49 Jahren dividiert (United NationsDepartment of Economic and Social Affairs, Population Division2013).
( )] von Frauen im Alter x bis unter x+1 eines Jahres [(����)], gewichtet mit dem Mittelpunkt des Altersintervalls (15,5; 16,5 usw.) undallenGeburten der Frauenzwischen 15 und 49 Jahren [���� (����)],gebildet(1). Bei der Berechnung des Durchschnittsalters bei Erstgeburt [������������" (����)] wirdlediglich die Zahl aller Geburten mit den Erstgeburten von Frauen im Alter von x bis unter x+1substituiertund durch alle Erstgeburten der Frauen zwischen 15 und 49 Jahren dividiert (United NationsDepartment of Economic and Social Affairs, Population Division2013).
Als Indikatoren zur Beurteilung des Fertilitätsverhaltens zwischen 2014 und 2021 erfolgt die jahresweise Berechnung - der allgemeinen Geburtenzi er (Geburtenzahl je 1.000 Frauen im Alter zwischen 15 und 49 Jahren), - des durchschnittlichen Mütteralters bei Geburt [Mean Age at Childbirth; MACi (J)] sowie - der zusammengefassten Geburtenzi er [TFR] jeweils differenziert für deutsche und ausländische Frauen (Statistisches Bundesamt 2022e; Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung 2022b).
(1) ������������! (����) = ∑ [%(" "$%) (')∗(*+,,.)] '( %) % (') , für x=15,…,49wobei i=biologische Geburtenfolge,x=Lebensalterin Jahren
zwischen dem 1.1 und 31.12. des jeweiligen Jahres eine Lebendgeburt, ungeachtet der biologischen Geburtenfolge, registriert wurde.
AlsIndikatorenzur Beurteilung des Fertilitätsverhaltenszwischen 2014 und 2021 erfolgt diejahresweiseBerechnung
der allgemeinen Geburtenziffer (Geburtenzahl je 1000 Frauen im Alter zwischen 15 und 49 Jahren),
desdurchschnittlichenMütteraltersbei Geburt[Mean Age at Childbirth; ������������! (����)] sowie
Um das durchschnittliche Alter der Mütter eines bestimmten Kalenderjahres bei Geburt [MACi (J)] zu ermitteln, wird die Summe aller Verhältnisse aus den Geburten von Frauen im Alter x bis unter x+1 eines Jahres [(J)], gewichtet mit dem Mittelpunkt des Altersintervalls (15,5; 16,5 usw.) und allen Geburten der Frauen zwischen 15 und 49 Jahren [G(J)], gebildet (1). Bei der Berechnung des Durchschnittsalters bei Erstgeburt [MAC1 (J)] wird lediglich die Zahl aller Geburten mit den Erstgeburten von Frauen im Alter von x bis unter x+1 substituiert und durch alle Erstgeburten der Frauen zwischen 15 und 49 Jahren dividiert (United Nations Department of Economic and Social A airs, Population Division 2013).
derzusammengefasstenGeburtenziffer[������������ ]jeweils differenziert für deutsche und ausländische Frauen(Statistisches Bundesamt 2022e; Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung2022b).
Laufe ihres Lebens geboren hätte, wenn die altersspezi schen Fertilitätsraten zwischen Alter 15 und 49, die im betrachteten Kalenderjahr vorliegen, für sie gelten würden (3). Das heißt, die mit der TFR konstruierte ktive Kohorte bildet die aktuellen Fertilitätsverhältnisse, die im jeweiligen Kalenderjahr anhand altersspezi scher Fertilitätsraten zu beobachten waren, ab (Luy 2010). Die altersspezi schen Fertilitätsraten [gx(J)] ergeben sich aus der Division von Geburten von Frauen im Alter x bis unter x+1 und der durchschnittlichen weiblichen Bevölkerung des jeweiligen Kalenderjahres und Lebensalters (2). Ein Vorzug der TFR gegenüber anderen Fertilitätsmaßen liegt in der Vergleichbarkeit über Zeit und Ort hinweg, die aufgrund der Alters- und Geschlechtsstandardisierung gewährleistet ist. Dennoch ist zu beachten, dass es sich um eine Schätzgröße zur tatsächlichen Fertilität einer Frauenkohorte handelt.
(1) ������������! (����) = ∑ [%(" "$%) (')∗(*+,,.)] '( %) % (') , für x=15,…,49wobei i=biologische Geburtenfolge,x=Lebensalterin Jahren
Die Summe der altersspezifischen Fertilitätsrateneines Jahres [����* (����)] ergeben die hypothetische Kinderzahl, die eine Frau im Laufe ihres Lebens geboren hätte, wenn die altersspezifischen Fertilitätsratenzwischen Alter 15 und 49, die im betrachteten Kalenderjahr vorliegen, für sie gelten würden(3).Das heißt, die mit der ������������ konstruierte fiktive Kohorte bildet die aktuellen Fertilitätsverhältnisse, die im jeweiligen Kalenderjahr anhand altersspezifischer Fertilitätsraten zu beobachten waren, ab (Luy 2010). Die altersspezifischen Fertilitätsraten [����* (����)] ergeben sich aus derDivision vonGeburten von Frauen im Alter x bis unter x+1 und der durchschnittlichenweiblichenBevölkerung des jeweiligenKalenderjahresund Lebensalters(2). Ein Vorzug der ������������ gegenüber anderen Fertilitätsmaßen liegt in der Vergleichbarkeit über Zeit und Ort hinweg, die aufgrund der Alters-und Geschlechtsstandardisierunggewährleistet ist. Dennoch ist zu beachten, dass es sich um eine Schätzgröße zur tatsächlichen Fertilität einer Frauenkohorte handelt.
Die Summe der altersspezifischen Fertilitätsrateneines Jahres [����* (����)] ergeben die hypothetische Kinderzahl, die eine Frau im Laufe ihres Lebens geboren hätte, wenn die altersspezifischen Fertilitätsratenzwischen Alter 15 und 49, die im betrachteten Kalenderjahr vorliegen, für sie gelten würden(3).Das heißt, die mit der ������������ konstruierte fiktive Kohorte bildet die aktuellen Fertilitätsverhältnisse, die im jeweiligen Kalenderjahr anhand altersspezifischer Fertilitätsraten zu beobachten waren, ab (Luy 2010). Die altersspezifischen Fertilitätsraten [����* (����)] ergeben sich aus derDivision vonGeburten von Frauen im Alter x bis unter x+1 und der durchschnittlichenweiblichenBevölkerung des jeweiligenKalenderjahresund Lebensalters(2). Ein Vorzug der ������������ gegenüber anderen Fertilitätsmaßen liegt in der Vergleichbarkeit über Zeit und Ort hinweg, die aufgrund der Alters-und Geschlechtsstandardisierunggewährleistet ist. Dennoch ist zu beachten, dass es sich um eine Schätzgröße zur tatsächlichen Fertilität einer Frauenkohorte handelt.
(1)
für x=15, …, 49 wobei
i=biologische Geburtenfolge, x=Lebensalter in Jahren
(2)
Um das durchschnittliche Alter der Mütter eines bestimmten Kalenderjahres bei Geburt[������������! (����)] zu ermitteln, wird die Summe allerVerhältnisseaus den Geburten von Frauen im Alter x bis unter x+1 eines Jahres [(����)], gewichtet mit dem Mittelpunkt des Altersintervalls (15,5; 16,5 usw.) undallenGeburten der Frauenzwischen 15 und 49 Jahren [���� (����)],gebildet(1). Bei der Berechnung des Durchschnittsalters bei Erstgeburt [������������" (����)] wirdlediglich die Zahl aller Geburten mit den Erstgeburten von Frauen im Alter von x bis unter x+1substituiertund durch alle Erstgeburten der Frauen zwischen 15 und 49 Jahren dividiert (United NationsDepartment of Economic and Social Affairs, Population Division2013).
für x=15, …, 49 wobei x=Lebensalter in Jahren
(2) ����* (����) = %[","$%)(') 0,[","$%) ('), für x=15,…,49wobei i=biologische Parität,x= Lebensalterin Jahren
(2) ����* (����) = %[","$%)(') 0,[","$%) ('), für x=15,…,49wobei i=biologische Parität,x= Lebensalterin Jahren
(3)
(3) ������������ = ∑ ����* (����) 23 ". wobei x=Lebensalterin Jahren
wobei x=Lebensalter in Jahren
(3) ������������ = ∑ ����* (����) 23 ". wobei x=Lebensalterin Jahren
Empirische Analyse
Empirische Analyse
Empirische Analyse
(1) ������������! (����) = ∑ [%(","$%) (')∗(*+,,.)] '( %) %(') , für x=15,…,49wobei i=biologische Geburtenfolge,x=Lebensalterin Jahren
Entwicklungstrends der Geburtenzahlen in Lübeck
Als Folge der zahlreichen Schutzsuchenden, die 2015 und 2016 nach Europa kamen, steigt die Zahl der Lebendgeborenen aller Frauen zwischen 15 und 49 Jahren in der Hansestadt Lübeck von unter 1.900 im Jahr 2014 auf 2.057 im Jahr 2016
Die Summe der altersspezifischen Fertilitätsrateneines Jahres [����* (����)] ergeben die hypothetische Kinderzahl, die eine Frau im Laufe ihres Lebens geboren hätte, wenn die altersspezifischen Fertilitätsratenzwischen Alter 15 und 49, die im betrachteten Kalenderjahr vorliegen, für sie gelten würden(3).Das heißt, die mit der ������������ konstruierte fiktive Kohorte bildet die aktuellen Fertilitätsverhältnisse, die im jeweiligen Kalenderjahr anhand altersspezifischer Fertilitätsraten zu beobachten waren, ab (Luy 2010). Die altersspezifischen Fertilitätsraten [����* (����)] ergeben sich aus derDivision vonGeburten von Frauen im Alter x bis unter x+1 und der durchschnittlichenweiblichenBevölkerung des jeweiligenKalenderjahresund Lebensalters(2). Ein Vorzug der der Vergleichbarkeit über Zeit und Ort hinweg, die aufgrund der Alters-und Geschlechtsstandardisierunggewährleistet ist. Dennoch ist zu beachten, dass es sich um eine Schätzgröße zur tatsächlichen Fertilität einer Fra
Die Summe der altersspezi schen Fertilitätsraten eines Jahres [gx(J)] ergeben die hypothetische Kinderzahl, die eine Frau im
Abbildung 2: Entwicklung der Geburtenzahlen und des Anteils ausländischer Frauen und Mütter 2014–2021, Hansestadt Lübeck.
Empirische Analyse
Quelle: Hansestadt Lübeck, 1.102, Kommunale Statistikstelle (Statistikverfahren: MigraPro; Basis: Melderegister am 31.12.2021)
68 STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 1|2023
6
6
an (Abb. 2). Zu ucht in Lübeck fanden vorrangig Personen aus dem Nahen und dem Mittleren Osten (Syrien, Afghanistan und Irak). 2016 erreicht die Hansestadt einen bisherigen Höchststand der Geburtenzahlen mit 42,8 Neugeborenen auf 1.000 Frauen. Während der Anteil ausländischer Frauen innerhalb von zwei Jahren um 2,6 Prozentpunkte zunimmt (2014: 10,7 %; 2016: 13,3%), erhöht sich der Anteil ausländischer Mütter von 16,6% auf 23,3% in der gleichen Zeitspanne. Diese Entwicklungen spiegeln vorrangig den E ekt des hohen Zuwanderungsgewinnes auf das Geburtengeschehen Gesamtdeutschlands auch für Lübeck wider. Weitere Anhaltspunkte des seit 2007 kontinuierlichen Anstiegs der TFR in Deutschland sind familienpolitische Maßnahmen, die sowohl die nanzielle Situation von Familien verbessert als auch die Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienleben erhöht haben (Pötzsch 2018; Wissenschaftliche Dienste im Deutschen Bundestag 2017).
Ab 2017 werden in Lübeck jährlich weniger Kinder geboren. Für die Pandemiejahre 2020 und 2021 liegt sogar eine höhere negative Di erenz der absoluten Geburtenzahl gegenüber den Vorjahren vor: Während im Jahr 2020 noch 1.819 Kinder zur Welt kommen, so ist mit 1.785 Lebendgeburten für 2021 ein Geburtentief der vergangenen sieben Kalenderjahre festzustellen2. Der Anteil ausländischer Frauen ist im gesamten Analysezeitraum um 5,2 Prozentpunkte auf 15,9 % angestiegen. Der relative Anteil ausländischer Mütter an allen werdenden Müttern eines Jahres variiert zwischen 16,6 % in 2014 über 23,8% in 2017 und erreicht 2021 einen Anteil von 21,6%. Unter Berücksichtigung der Altersstruktur von Frauen in der Hansestadt Lübeck über die Zeit zeigt sich, dass die Einschnitte im Geburtengeschehen weniger stark ausfallen, als die absoluten Geburtenzahlen vermuten lassen. Die Berechnung der allgemeinen Geburtenzi er indiziert zwar eine Abnahme der Geburten je 1.000 Frauen im Alter zwischen 15 und 49 Jahren für 2020 (39,6) und 2021 (39,1), repliziert aber dennoch das Ausmaß der Schwankungen in der Geburtenneigung der letzten Jahre. Hinzu kommt, dass die zugewanderten Frauen aus 2015 und 2016 zunehmend ihre reproduktive Phase durchschritten haben und ihre Kinder bereits in jüngeren Lebensaltern zur Welt brachten. Ebenso können Anpassungstendenzen ausländischer Frauen an das
Fertilitätsverhalten deutscher Frauen bei der Entwicklung des Geburtengeschehens relevant sein und damit der „immediately-post-arrival“-E ekt. Dieser E ekt beschreibt den kurzfristigen Anstieg des Geburtenniveaus von Migrantinnen im Zielland in den ersten Jahren nach der Zuwanderung und zeigt sich vergleichsweise stark für Frauen aus dem Mittleren Osten und nordafrikanischen Ländern (Pötzsch 2018). Um mögliche zeitliche Anpassungstendenzen auszumachen, lohnt es sich, die Entwicklung der Durchschnittsalter von ausländischen und deutschen Müttern im Zeitverlauf zu betrachten (Abb. 3).
In Lübeck kontinuierlicher Anstieg des durchschnittlichen Alters bei (Erst-) Geburt
Das durchschnittliche Alter aller Frauen bei Geburt erhöht sich innerhalb des Analysezeitraums um etwa ein Jahr (2014: 30,5 Jahre; 2021: 31,6 Jahre). Deutsche Frauen bekommen 2021 im Durchschnitt mit 32 Jahren ein Kind. Werdende Mütter mit ausländischer Staatsangehörigkeit sind im gleichen Jahr durchschnittlich 30,3 Jahre alt. In welchem Lebensalter Ausländerinnen ein Kind zur Welt bringen, variiert über die Jahre stärker als unter deutschen Frauen. Die stetige Heterogenität des Pools der Herkunftsländer der zugewanderten Frauen trägt zu einer geringeren Kontinuität im Geburtengeschehen bei. Dies zeigt sich insbesondere für das Durchschnittsalter bei Erstgeburt. Während sich unter ausländischen Müttern ein niedrigeres Alter bei Geburt von 27,1 Jahren im Jahr 2016 durch einen hohen Zuwanderungsgewinn aus Nahem und Mittlerem Osten begründen lässt, so kann das für 2020 erneut gesunkene Alter bei Geburt auf 27,3 Jahre im Zuge der COVID-19-Pandemie nicht im Zusammenhang hoher Zuwanderung stehen. Mit der allgemeinen Bevölkerungsalterung nimmt auch die Anzahl potentieller Mütter in der Hansestadt Lübeck seit 2016 kontinuierlich ab. Aufgrund der Einschränkungen im Migrationsgeschehen während der Pandemie, fällt die Kompensation des niedrigeren Geburtenniveaus deutscher Frauen durch Geburten von Migrantinnen geringer aus. Mit Betrachtung der zusammengefassten Geburtenzi er der Jahre 2014 bis 2021 erschließt sich jedoch vor allem Eines: Für alle Lübeckerinnen ist die TFR über die Jahre hinweg annährend konstant geblieben mit einem Wert zwischen 1,3 und 1,5 Kindern je Frau (Abb. 4).
STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 1|202369 Stadtforschung
Quelle: Hansestadt Lübeck, 1.102, Kommunale Statistikstelle (Statistikverfahren: MigraPro; Basis: Melderegister am 31.12.2021)
Abbildung 3: Entwicklung des Durchschnittsalters der Mütter bei Geburt 2014–2021, Hansestadt Lübeck.
Abbildung 4: Entwicklung der zusammengefassten Geburtenzi er (TFR) 2014–2021,
Lübeck insgesamt:
konstante durchschnittliche Kinderzahl je Frau seit 2014 Ähnlich verhält es sich für alle Frauen mit deutscher Staatsangehörigkeit in Lübeck: Über den gesamten betrachteten Zeitraum von 2014 bis 2021 bekommen sie im Durchschnitt 1,2 bis 1,3 Kinder und liegen damit annähernd beim Bundesdurchschnitt deutscher Frauen der letzten Jahre (BiB 2021). Die Zusammengefasste Geburtenzi er ausländischer Frauen verzeichnet einen starken Anstieg auf 2,4 Kinder je Frau im Jahr 2016, gefolgt von einem sinkenden Trend zum Niveau vor den Jahren hoher Zuwanderung von Schutzsuchenden auf 1,9 Kinder in 2019 und fällt erneut auf 1,7 Kinder je Frau im Jahr 2021. Insgesamt liegt das quantitative Ausmaß der Veränderung der TFR ausländischer Frauen zwischen 2020 und 2021 im Intervall der Schwankungen der Vorjahre. Damit lässt die Entwicklung der TFR ebenso Anpassungstendenzen des reproduktiven Verhaltens ausländischer an jenes der deutschen Frauen vermuten und deutet folglich weniger auf pandemiebedingte Auswirkungen hin.
Fazit und Ausblick
Aus der empirischen Analyse ist abzuleiten, dass die absolute Geburtenzahl zwar in den Pandemiejahren 2020 und 2021 stärker gegenüber allen betrachteten Vorjahren abgenommen hat, dies sich jedoch nicht auf die allgemeine Geburtenzif-
fer übertragen lässt. 1.000 Frauen im Lebensalter zwischen 15 und 49 bekommen in diesen Jahren etwa genauso viele bis sogar etwas mehr Kinder als noch vor 2015. Von einem durch die Pandemie indizierten, gravierenden Einschnitt im Geburtengeschehen ist demnach nicht auszugehen. Trotz der nach Staatsangehörigkeit verschieden stark ausfallenden Schwankungen der Kennzahlen zum Durchschnittsalter bei Geburt und der zusammengefassten Geburtenzi er, setzt sich der Vorjahrestrend für Lübeck insgesamt fort. Das durchschnittliche Alter bei Geburt verschiebt sich kontinuierlich nach oben und die durchschnittliche Kinderzahl je Frau bleibt annähernd konstant. Zusammengefast lässt sich für die Jahre 2020 und 2021 also feststellen: Weder ein COVID-19-bedingter Babyboom noch ein einschneidender Geburtenknick sind in der Hansestadt Lübeck zu erkennen. Die Datenanalyse auf kommunaler Ebene bietet die Möglichkeit eines regional di erenzierten Bildes des Geburtengeschehens im Zusammenhang mit COVID-19 und stellt einen Mosaikstein in der Analyse des Fertilitätsverhaltens zu Pandemiezeiten für Gesamtdeutschland dar.
Schlussfolgerungen zum unterschiedlichen Ein uss der Staatsangehörigkeit auf das Ausmaß der Pandemiefolgen lassen sich anhand der ermittelten Zahlen nicht ausreichend beurteilen. Um auf kausale Zusammenhänge schließen zu können, wäre ein Längsschnittdesign notwendig, das neben dem Migrationsstatus auch weitere Variablen einbezieht, die
70 STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 1|2023 Stadtforschung
Quelle: Hansestadt Lübeck, 1.102, Kommunale Statistikstelle (Statistikverfahren: MigraPro; Basis: Melderegister am 31.12.2021)
Hansestadt Lübeck.
beispielsweise die Kontrolle des sozialen, ökonomischen und kulturellen kulturellen Hintergrundes ermöglichen.
Dennoch lässt sich entsprechend der Ergebnisse auf Basis des Melderegisters vermuten, dass Anpassungstendenzen des Fertilitätsverhaltens ausländischer Frauen an das der deutschen Frauen auch in Hansestadt Lübeck vorliegen. Ein sinkendes Geburtenniveau ausländischer Frauen ist für die seit 2015 zugewanderten Ausländerinnen mit dem Erreichen der vorrangig nicht-reproduktiven Lebensphase zu begründen, in der nur noch wenige Kinder geboren werden. Hinzu kommt, dass sich der „immediately-post-arrival“-E ekt für diese Frauen wahrscheinlich bereits neutralisiert hat und der besagte E ekt für „neue“ Migrantinnen durch die Corona-Schutzmaßnahme einer restriktiveren Zuwanderungspolitik schwächer aus el, als noch in den Jahren vor COVID-19.
Für zukünftige Auswertungen des pandemiebedingten Geburtengeschehens stellt sich die Frage, welche Entwicklungen für das abgeschlossene Jahr 2022 feststellbar sind. Bei der Analyse des Fertilitätsverhaltens ist stets die zeitliche
Verzögerung durch die Umsetzung eines Kinderwunsches sowie die durchschnittliche Dauer einer Schwangerschaft zu berücksichtigen. Somit ist ein Großteil der Geburten aus dem Jahr 2022 auf Schwangerschaften mit Beginn in 2021 zurückzuführen. Die Auswertungen für 2021 spiegeln die Entscheidungen der Familienplanung aus dem Jahr 2020 wider und im Zusammenhang dieser Verzugsdauer kann es durchaus Pandemiee ekte auf das Geburtengeschehen gegeben haben, die in den aktuellen Daten noch gar nicht ersichtlich sind.
1 Kohortenfertilität (CFR) siehe mehr dazu: https://www.destatis.de/ DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bevoelkerung/Geburten/Glossar/ kohortenfertilitaet.html
2 Hansestadt Lübeck (2023) Statistisches Jahrbuch 2019–2022. Lübeck: Kommunale Statistikstelle (Im Druck)
Literatur
Birke, P. (2021): Die Fleischindustrie in der Coronakrise: Eine Studie zu Migration, Arbeit und multipler Prekarität, Sozial.Geschichte
Online, 29.
Bonin, H./ Eichhorst, W./ Krause-Pilatus, A./Rinne, U. (2021): Wirtschaftliche Auswirkungen der Corona-Pandemie auf private Haushalte, IZA Research Report No. 112. Kurzexpertise im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, Bonn 2021.
Bozorgmehr, K./ Hintermeier, M./ Razum, O. et al. (2020) SARS‐CoV‐2 in Aufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften für Ge üchtete: Epidemiologische und normativ‐rechtliche Aspekte. 2020, Bremen: Kompetenznetz.
Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung
(2021): Weder Geburtenknick noch Babyboom. https://www.bib.bund.de/DE/ Aktuelles/2021/2021-11-03-Bericht-BerlinerDemografiegespraech-Weder-Geburtenknick-noch-Babyboom.html (abgerufen am 01.12.2022).
Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung [a]: Zusammengefasste Geburtenzi er deutscher und ausländischer Frauen (1991-2021). https://www.bib.bund.de/DE/Fakten/Fakt/B43Zusammengefasste-Geburtenzi er-Nationalitaet-ab-1991.html (abgerufen am 01.12.2022).
Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung
[b]: Glossar: Zusammengefasste Geburtenzi er. https://www.bib.bund.de/DE/Fakten/ Glossar/Z/Zusammengefasste-Geburtenzi er. html (abgerufen am 01.12.2022).
Geis-Thöne, W. (2021): Corona-Babyboom: Nicht überall und voraussichtlich nicht von Dauer. Institut der deutschen Wirtschaft (Hrsg.), IWKurzbericht 61/2022, Köln.
Khalil, S./Lietz, A./Mayer, S. (2020) Systemrelevant und prekär beschäftigt: Wie
Migrant*innen unser Gemeinwesen aufrechterhalten, Berlin: DeZIM.
Lewicki, A. (2021): Sind Menschen mit Migrationshintergrund stärker von Covid-19 betroffen? (Mediendienst Integration). Berlin.
Luy, M. (2010): Tempo-E ekte und ihre Bedeutung für die demogra sche Analyse. In: Comparative Population Studies – Zeitschrift für Bevölkerungswissenschaften 35, Nr.3, S. 447–482.
OECD (2020) ‘What is the impact of the Covid-19 pandemic on immigrants on their children?’, Tackling Coronavirus (Covid-19): Contributing to a Global E ort, Paris: OECD.
Pötzsch, O. (2018): Aktueller Geburtenanstieg und seine Potenziale, Statistisches Bundesamt, Wirtschaft und Statistik (WISTA), 3, 2018.
Razum, O./Akbulut, N./Bozorgmehr, K. (2020): Diversität und Diskriminierung am Beispiel der Gesundheit und gesundheitlichen Versorgung von Migrant*innen und Ge üchteten, Razum, O./Kolip, P. Hrsg. Handbuch Gesundheitswissenschaften, Weinheim, 621–646.
Statistisches Bundesamt (2021): Ausblick auf die Bevölkerungsentwicklung in Deutschland und den Bundesländern nach dem CoronaJahr 2020, Erste mittelfristige Bevölkerungsvorausberechnung 2021 bis 2035.
Statistisches Bundesamt [a]: Total period fertility rate. https://www.destatis.de/EN/Themes/ Society-Environment/Population/Births/Tables/birth-rate.html (abgerufen am 01.12.2022).
Statistisches Bundesamt [b]: Geburtenzi er 2021 erstmals seit 2017 gestiegen. https:// www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2022/08/PD22_326_12.html (abgerufen am 01.12.2022).
Statistisches Bundesamt [c]: Daten zum durchschnittlichen Alter der Mutter bei Geburt in Deutschland für die Jahre 2017 bis 2021.
https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bevoelkerung/Geburten/Tabellen/geburten-mutteralter.html (abgerufen am 01.12.2022).
Statistisches Bundesamt [d]: Geburtenrückgang von Januar bis Juli 2022. https://www.destatis. de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bevoelkerung/Geburten/geburten-aktuell.html (abgerufen am 01.08.2022).
Statistisches Bundesamt [e]: Zusammengefasste Geburtenzi er nach Kalenderjahren. https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bevoelkerung/Geburten/ Tabellen/geburtenzi er.html (abgerufen am 01.12.2022).
Sobotka, T./Jasilioniene, A./Zeman, K./Némth, L./Winkler-Dworak, M./Alustiza Galarza, A./ Brzozowska, Z./Jdanov, D. A. (2021): Boom, busts and trend reversals? Shifts in births and fertility rates across the highly developed countries during the COVID-19 pandemic. In: Pandemic Babies? The Covid-19 Pandemic and Its Impact on Fertility and Family Dynamics, MPIDR (Online), 13. December 2021.
United Nations Department of Economic and Social A airs, Population Division (2013): World Fertility Report 2012 (United Nations publication).
Wachtler, B./Michalski, N./Nowossadeck, E./ Diercke, M./Wahrendorf, M. et al. (2020): Sozioökonomische Ungleichheit im Infektionsrisiko mit SARS-CoV-2 – Erste Ergebnisse einer Analyse der Meldedaten für Deutschland, Journal of Health Monitoring 5(S7): 19–31.
Wissenschaftliche Dienste im Deutschen Bundestag (2017): Überblick über familienpolitische Leistungen in Deutschland. Sachstand vom 23. November 2017, WD, 9 – 3000 –051/17.
STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 1|202371 Stadtforschung
Neue Datenquellen und Methoden für die Stadtbeobachtung
Vor dem Hintergrund der Expansion digitaler Technik, die fast alle Lebensbereiche umfasst, sind als Folge oder Ziel dieser neuen Prozesse Datenakkumulationen entstanden, die es in diesem Umfang bisher nicht gab. Viele Unternehmen bzw. Gemeinschaften haben digitale Plattformen erscha en, die mehr oder weniger themenspezi sch zugeschnitten sind und deren Zweck darin liegt, Menschen untereinander zu vernetzen – entweder um analoge Transaktionen e zienter und einfacher zu gestalten oder um gemeinschaftlich eine solche Datensammlung zu betreiben. Der Zugri auf solche Datensammlungen soll an dieser Stelle beispielhaft mit Auswertungen von Daten aus OpenStreetMap, Immobilienportalen und Airbnb vorgestellt werden.
Einleitung
Dieser Beitrag beruht auf Analysen, die im Rahmen des von der EU geförderten City Statistics-Projekts durchgeführt wurden. In Deutschland liegt die Projektkoordination beim Statistischen Bundesamt, das die vertraglichen Vorgaben in Zusammenarbeit mit der KOSIS-Gemeinschaft Urban Audit umsetzt1 Die EU erwartet von der Bearbeitung dieses Arbeitspakets Vorschläge zur Verbesserung oder Ermöglichung der Nutzung von Verwaltungsdaten, Erhebungsdaten, Geodaten, o enen Daten, Big Data usw., die bei der Erstellung subnationaler Statistiken von Nutzen sein könnten. Insbesondere geht es dabei um Datenanforderungen, die nicht über die amtliche Statistik abgedeckt werden können. Bei den Analysen handelt es sich um Erprobungen von digitalen Datenquellen, die in den Bereich Big Data fallen.
Wenn also in diesem Beitrag von neuen Methoden und Datenquellen für die Raumbeobachtung gesprochen wird, so geschieht dies vor dem Hintergrund des Primats digitaler Technik, die der größte Innovationstreiber der letzten Jahrzehnte war und immer noch ist. Die Präsenz digitaler Technik ist in der modernen Gesellschaft kaum mehr wegzudenken und vor allem in der Arbeitswelt zu einem Faktum geworden. Die wichtigsten Aspekte dabei sind die ächendeckende globale wie lokale Vernetzung, die stetige Zunahme an Geschwindigkeit bei der Datenverarbeitung, die Expansion bei den Speicherkapazitäten und nicht zuletzt die immer kleiner werdende Strukturgröße bei der Halbleiterfertigung, die es erlaubt, immer mächtigere digitale Gerätschaft in bürotauglicher Größe bereitzustellen. Die Skalene ekte der globalisierten Massenproduktion führten schließlich zur weitreichenden Verbreitung von digitalen Hilfs- und Konsumgeräten. Es ist wichtig, sich dieser grundlegenden Komponenten der Digitalisierung bewusst zu sein, wenn man die daraus resultierenden Innovationen verstehen und nicht den Fehler begehen möchte, neue digitale Verfahren als bloße Fortführung ihrer analogen Vorgänger zu betrachten.
Tobias Link
Dipl.-Sozialwissenschaftler, Stadt Mannheim, Fachbereich Geoinformation und Stadtplanung : tobias.link@mannheim.de
Schlüsselwörter:
Big Data – City Statistics-Projekt – nutzergenerierte Daten –transaktionsgenerierte Daten – Urban Audit
Die in diesem Artikel verwendete Di erenzierung zwischen nutzergenerierten, transaktionsgenerierten und sensorgenerierten Daten wurde bereits in der 2019 verö entlichten Urban Audit-Broschüre2 verwendet und basiert auf dem von der Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen in Auftrag gegebenen Bericht „Big Data und Crowd Data für die Berliner Stadtentwicklungsplanung“ aus dem Jahr 2017. Damit lassen sich die untersuchten Datenquellen
72 STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 1|2023 Statistik & Informationsmanagement
Tobias Link
sinnvoll klassi zieren, wenn auch eine überschneidungsfreie Abgrenzung kaum möglich ist:
„Nutzergenerierte Daten entstehen durch Aktivitäten und oft insbesondere durch die Interaktion von Personen“ (Tonndorf 2019, 10). Die bekanntesten Repräsentanten dieser Art von Datengenerierung dürften OpenStreetMap (OSM) oder Wikipedia sein, deren Inhalte von der Nutzergemeinschaft beigesteuert werden. Für das City Statistics-Projekt wurden OSM-Daten bereits in der Vergangenheit erfolgreich genutzt, um die Länge des Radverkehrsnetzes in deutschen Städten zu berechnen (Schmidt 2017). Diesmal haben wir darüber hinaus im Zusammenhang mit der Generierung von City Statistics-Daten untersucht, ob OpenStreetMap eine alternative Datenquelle für die Berechnung der Anzahl von Theatern, ö entlichen Bibliotheken und ö entlichen Schwimmbädern sein kann.
Transaktionsgenerierte Daten „entsteh(en) quasi als Nebenprodukt im Rahmen von (digitalen) ökonomischen Transaktionen“ (Tonndorf 2019, 10), die zumeist in Form von Angebotsau istungen auf themenspezi schen Internetportalen vorzu nden sind. Mithilfe der Methode des Web Scrapings haben wir Immobilienportale als alternative Quelle für die Erstellung von Statistiken zum Wohnungswesen herangezogen und Airbnb-Daten als Alternative für die Variablen zum Tourismus untersucht. Diese Portale decken einen großen Teil des deutschen Marktes ab.
Sensorgenerierte Daten werden „durch verschiedenartige Sensoren oder Sensornetzwerke“ (Tonndorf 2019, 10) erzeugt. Ein Beispiel für diese Art von Daten wurde in der Urban Audit-Broschüre 2019 gegeben, in der Günther Bachmann erläuterte, wie Mobilfunkdaten bestehende Datenquellen ergänzen können, um detaillierte Informationen über das Mobilitätsverhalten von Pendlern sowie Besuchern und Touristen zu liefern (Bachmann 2019). In diesem Beitrag spielen sensorgenerierte Daten jedoch keine Rolle und sollen an dieser Stelle nur der Vollständigkeit halber erwähnt werden.
OpenStreetMap als Beispiel für nutzergenerierte Daten
Ermutigt durch unsere früheren Erfahrungen mit der Messung der Länge von Radwegenetzen versuchten wir, die Variablen „Anzahl der Theater“, „Anzahl der ö entlichen Bibliotheken“ und „Anzahl der ö entlichen Schwimmbäder“ mit Daten von OSM für die 127 deutschen Städte3 in der City Statistics-Datensammlung zu berechnen. Alle drei Variablen beziehen sich auf geogra sche Orte, die im Prinzip durch das OSM-Tagging-System erfasst werden können. Die Ergebnisse pro Stadt können mit bestehenden Daten für diese Variablen verglichen werden. Die folgenden Analysen wurden im April 2022 durchgeführt.
Theater
Die Anzahl der Theater wurde in OSM über die Schlüssel-WertKombination „amenity“=“theatre“ operationalisiert, welche die einzelnen thematischen Einheiten identi ziert (Oper, Schauspiel, Musical, etc.). Da es bei dieser Variable um die Anzahl der Gebäude- bzw. Einrichtungsstandorte innerhalb der Stadt und nicht um die einzelnen Säle oder Bühnen geht, mussten wir
Abbildung 1: Mehrere unterschiedliche Bühnen innerhalb der Städtischen Bühnen Frankfurt, Frankfurt am Main
Standorte identi zieren, an denen sich mehrere verschiedene Arten von Bühnen ein Gebäude teilen, d. h. beispielsweise eine Opernbühne und eine Kammerspielbühne. Dies wurde gelöst, indem wir die verschiedenen Geometrien getrennt betrachteten, d. h. wir suchten nach Relationen oder Wegen, die als Theater getaggt waren und die mehrere separate Knoten enthielten, die ebenfalls als Theater getaggt waren (Abb. 1). Diese OSM-Ergebnisse wichen erheblich von den Daten ab, die der Deutsche Bühnenverein für das Referenzjahr 2019 zur Verfügung stellte: In 28 Städten gibt es eine positive Di erenz von 10 oder mehr Theatern in den OSM-Daten; an der Spitze steht Berlin mit +156 Theatern, +53 in Hamburg, +46 in München und +43 in Köln. Die absolute Abweichung ist in den sehr großen Städten am größten, allerdings ändert sich das Bild und weist kein klares Muster mehr auf, wenn man die relativen Abweichungen betrachtet. Nur für einige wenige kleinere Städte ergeben die beiden unterschiedlichen Datenquellen das gleiche Ergebnis, wie im Fall von Celle, Landshut, Neu-Ulm und Pforzheim. Interessanterweise gab es kein Ergebnis auf der Grundlage der OSM-Daten, das niedrigere Werte aufwies als die Werte aus unserer bislang verwendeten Datenquelle. Eine Ursache für diese Di erenzen ist ein grundlegender Unterschied in der De nition von Theater. Unsere derzeitige Quelle, der Deutsche Bühnenverein, ist eine Organisation, die ihre Statistiken auf der Grundlage aller ihrer Mitglieder erstellt, die aus kommunalen und staatlichen Theatern einschließlich aller Opernhäuser, den staatlichen Bühnen, zahlreichen privaten Theatern und den Orchestern bestehen. Nicht berücksichtigt werden dabei die meisten lokalen Kleinbühnen aller Art sowie Open Air-Locations, aber auch private Großveranstaltungsorte, die keinen festen, zum Standort gehörenden Betrieb haben (Konzerthallen). Der Schwerpunkt liegt auf einer traditionelleren Interpretation dessen, was ein Theater ist, wobei der
STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 1|202373 Statistik & Informationsmanagement
Quelle: OpenStreetMap
Schwerpunkt auf ö entlich nanzierten Einrichtungen liegt. Die OSM-Daten haben ein breiteres Verständnis davon, was ein Theater ist, und leider ist es kaum möglich, zu einer gezielteren Abfrage unter Verwendung der Schlüssel „theatre:type“ oder „theatre:genre“ überzugehen, da diese nicht konsequent genug verwendet werden, um eine bessere Annäherung an die bestehenden Werte der Variablen zu ermöglichen.
Bibliotheken
Die Anzahl der Bibliotheken aus OSM zu extrahieren ist einfacher, weil die Anzahl der Ausgabestellen gezählt werden kann, was bedeutet, dass mehrere Punkte pro Gebäude zugelassen sind. Das Schlüssel-Wert-Paar „amenity“ = “library“ macht genau das. Eine größere Herausforderung stellt die Unterscheidung zwischen ö entlichen und nicht ö entlichen Bibliotheken dar. Normalerweise sollte hierbei der Schlüssel „access“ helfen, nicht ö entliche Bibliotheken zu identi zieren, aber wie bei den Theatern wird dieser Schlüssel nicht konsequent genug verwendet, um sinnvoll eingesetzt werden zu können. Er würde eher den relativen Unterschied in der Anzahl der Bibliotheken verzerren, als dass er die Zahlen mehr in Einklang mit der De nition bringen würde.
Die Spanne der absoluten Abweichungen von den aktuellen Werten (Referenzjahr 2020) dieser Variable reicht von -24 (Essen) bis +133 (Hamburg), so dass die OSM-Daten diesmal in beide Richtungen abweichen. Auch die Stadtgröße scheint weder mit den absoluten noch mit den relativen Abweichungen stark zu korrelieren. Im Allgemeinen ist die Übereinstimmung der Ergebnisse aus den verschiedenen Datenquellen besser als bei den Theatern. Für 11 Städte stimmen die Ergebnisse überein, bei einer Toleranz von bis zu 10% erhöht sich diese Zahl auf 19 Städte. Die Gründe für die Unterschiede zwischen den Datenquellen dürften ähnlich wie bei der Anzahl der Theater sein: Unsere o zielle Datenquelle ist der Deutsche Bibliotheksverband e.V., der größte Bibliotheksverband in Deutschland, der mehr als 9.000 Bibliotheken vertritt. Es ist sehr wahrscheinlich, dass es auch hier eine Verzerrung zugunsten der ö entlich geförderten Bibliotheken gibt, während kleine private Bibliotheken, manchmal mit einem speziellen Themenschwerpunkt, unterrepräsentiert sein könnten. Ein Grund für die Überschätzung der Zahl der Bibliotheken in Universitätsstädten ist die Zählung der wissenschaftlichen Fachbibliotheken, die an diesen Universitäten angesiedelt sind, wenn OSM-Daten verwendet werden. Wir konnten noch keine zuverlässige Methode nden, um diese herauszu ltern.
Ö entliche Schwimmbäder
Die letzte der drei Variablen, die wir mit OSM-Daten replizieren wollten, ist die Anzahl der ö entlichen Schwimmbäder in den Städten. Laut Glossar4 sind nur solche Schwimmbäder gemeint, die von der Allgemeinheit genutzt werden können, also nicht Schwimmbäder, die zu Fitnessstudios, Hotels oder anderen exklusiven Privateinrichtungen gehören. Auch sollen Strände und Badestellen ausgeschlossen werden. Es zählen Hallen- und Freibäder (wenn mindestens sechs Monate im Jahr geö net), die auch Teil von größeren Freizeitzentren oder Erholungskomplexen sein können. Einrichtungen mit mehreren Wasserbecken zählen als ein Schwimmbad. Diese Variable war am schwierigsten mit dem OSM-Tagging-System zu operati-
onalisieren, da es viele verschiedene Arten von ö entlichen Räumen gibt, die zum Schwimmen gedacht sind. Unter Berücksichtigung der Empfehlungen des OSM-Wikis entschieden wir uns für die folgende Kombination von Schlüssel-Wert-Paaren: Wasserparks haben in der Regel Einrichtungen in ihrem Angebot, die der De nition der Variable entsprechen und in OSM als „leisure“ = “water_park“ getaggt sind. Es gibt auch viele Sportzentren, die sich auf Schwimmsportarten spezialisiert haben, denen aber der vergnügungsorientierte Teil eines Wasserparks fehlt. Diese haben wir mit den Schlüssel-WertPaaren „leisure“ = “sports_centre“ und „sport“ = “swimming“ identi ziert. Darüber hinaus mussten wir auch einfache ö entliche Schwimmbäder berücksichtigen, die keine weiteren Angebote haben. Diese werden mit „leisure“ = “swimming_pool“ gekennzeichnet, und um mehrere Tre er für eine Einrichtung zu vermeiden, wenn es mehr als ein Schwimmbecken gibt, haben wir nach dem umgebenden Gebäude gefragt, indem wir den Schlüssel [„building“] hinzugefügt haben (Freibäder scheinen immer Teil eines Wasserparks oder Ähnlichem zu sein). Schließlich fügten wir auch ö entliche Bäder hinzu, die sich nicht im Freien be nden, da es sich bei ö entlichen Freibädern meist um nicht o zielle Badestellen in der Nähe von Seen oder Flüssen zu handeln scheint. Für diese haben wir die Schlüssel-Wert-Paare „amenity“ = “public_bath“ und „bath :type“!~“^(lake|river|sea)$“ verwendet. Zu allen hier erwähnten Abfragen fügten wir auch das Schlüssel-Wert-Paar „access“! =„private“ hinzu, um sicherzustellen, dass wir nur ö entliche Einrichtungen einbeziehen, und den Schlüssel „name“, um eine gewisse Sicherheit zu haben, dass es sich um einen o ziellen Ort handelt. Ein Problem trat in der Stadt Schwerin auf, wo viele ö entliche Strände als „leisure“ = “water_park“ gekennzeichnet sind (Abb. 2) und nur der Name (Badestelle) einen Hinweis darauf enthielt, dass es sich nicht um eine o zielle Badeeinrichtung handelt. Aus diesem Grund mussten wir diese explizit ausschließen, indem wir das Schlüssel-Wert-Paar „name“!~“^.*Badestelle.*$“ verwendeten.
Im Vergleich zu den bisher untersuchten Variablen scheint die Anzahl der Schwimmbäder recht gut mit OSM-Daten
Abbildung 2: Badestellen in Schwerin
74 STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 1|2023 Statistik & Informationsmanagement
Quelle: OpenStreetMap
reproduzierbar zu sein. Für die 104 Städte mit verfügbaren Werten aus unserem Datenbestand (wir haben den letzten verfügbaren Wert zwischen 2017 und 2020 verwendet, der von den Städten zur Verfügung gestellt wurde), erhielten wir 28 perfekte Übereinstimmungen, 32 Abweichungen um eins und 21 Abweichungen um zwei, was bedeutet, dass 68% der Städte eine maximale Abweichung von zwei haben, 58% haben eine maximale Abweichung von eins und 27% sind eine perfekte Übereinstimmung. Die größte Abweichung beobachten wir für Berlin, wo wir 79 Schwimmbäder nach unserer aktuellen Quelle und 61 Schwimmbäder nach OSM haben, was eine Di erenz von 18 Schwimmbädern bedeutet. Im Allgemeinen besteht die größte Herausforderung darin, ö entliche Freibäder auszuschließen, die an Stränden errichtet wurden und keine künstlichen Schwimmbecken haben (Abb. 3). Dies könnte auch den großen Unterschied in den Zahlen für Berlin erklären, wo es viele Seen mit ö entlichen Stränden gibt.
Immobilienportale und Airbnb als Beispiele für transaktionsgenerierte Daten
Immobilienportale
Für unsere aktuelle Urban Audit-Broschüre 20215 haben wir Daten von Immobilienportalen im Internet getestet, die durch Web Scraping erhoben wurden. Die Daten zu den aktuellen Angebotspreisen auf dem Mietmarkt stammen von der Metasuchmaschine Immosuchmaschine.de, einem Service der Immobilien Scout Österreich GmbH (Teil der Scout24-Gruppe). Sie umfasst Mietangebote auf verschiedenen deutschen Immobilienportalen und Kleinanzeigenseiten, die über Makler oder privat provisionsfrei angeboten werden. Die Angebote reichen von Wohnimmobilien wie Mietwohnungen, Eigentumswohnungen und Häusern über Grundstücke bis hin zu Gewerbeimmobilien wie Büros, Geschäftsräume und Anlageimmobilien. Es handelt sich hier also um transaktionsgenerierte Daten, die mehrmals täglich automatisch von verschiedenen Online-Portalen abgerufen und den Nutzern der Website in aggregierter Form zur Verfügung gestellt werden. Die gesammelten Daten basieren auf allen Wohnungsinseraten, die an den Stichtagen 5. Oktober, 6. Oktober und 11. Oktober 2021 für die befragten Städte der Urban-Audit-Befragung 2018/19 („Perception survey on quality of life“ der EU6 und die Koordinierte Umfrage zur Lebensqualität in deutschen Städten der AG Umfragen des VDSt7) angezeigt wurden.
Um die vorliegenden Daten für einzelne Städte e zient aus Immosuchmaschine.de extrahieren zu können, wurde die Methode des Web Scraping mit dem Firefox-Add-on Web Scraper (www.webscraper.io) gewählt. Bei diesem Ansatz werden die Daten direkt aus dem Browser extrahiert und nicht, wie sonst üblich, durch in Python oder R programmierte Skripte.
Der größte Vorteil dieser Methode ist, dass der Zugri auf die Daten über einen „echten“ Webbrowser und damit für den Server kaum unterscheidbar von der Interaktion mit einem „echten“ Menschen erfolgt. Die Verwendung eines BrowserAdd-ons erfordert auch weniger technisches Hintergrundwissen, da das Erlernen einer Programmiersprache wie Python oder R nicht notwendig ist, um diesen Ansatz anzuwenden. Der Nachteil dieses Ansatzes gegenüber der Programmierme -
thode ist, dass das verwendete Tool weniger Flexibilität und weniger Funktionalität bietet. Jedoch waren beide Aspekte für diese experimentelle Anwendung nicht sonderlich von Bedeutung.
Der auf diese Weise erzeugte vollständige Datensatz besteht aus 37.344 Einzelfällen, die die Informationen „Postleitzahl“, „Miete in Euro“, „Preis pro m2“, „Wohn äche in m2“, „Anzahl der Zimmer“ und „Datenquelle“ enthalten. Die Angaben in der Kategorie „Datenquelle“ geben an, wo das Inserat ursprünglich erschienen ist, d.h. aus welchem Online-Portal Immosuchmaschine.de die Informationen bezogen hat. Wenig überraschend ist die größte Datenquelle mit deutlichem Abstand ImmobilienScout24 (80,5%), gefolgt von Wohnung-jetzt.de (4,1 %), Locaberlin.de (3,0%), Regionalimmobilien24.de (2,5 %), IVD24immobilien.de (2,5 %), The-homelike.com (2,2 %), Immo4trans.de (1,5%) und diversen anderen, die nach Rundung jeweils einen Anteil von 1% oder weniger aufweisen.
Diesmal ging es weniger um die Kompatibilität mit den Variablen der Städtestatistik als vielmehr um die Methode des Web Scraping als Mittel der Datenerhebung. In unserer Broschüre haben wir die Daten auf ihre Plausibilität geprüft, indem wir sie mit den Einstellungen der Bürger zum Wohnungsmarkt verglichen haben, die in der Urban-Audit-Befragung von 2018/19 gemessen wurden (vgl. Link 2021). Die Ergebnisse waren für einen ersten Versuch recht vielversprechend und wir denken, dass diese Methode in Zukunft weiter vertieft werden kann.
Airbnb
Zwei Variablen zum Tourismus, nämlich die Gesamtzahl der Übernachtungen in Beherbergungsbetrieben und die Zahl der Schlafgelegenheiten in Beherbergungsbetrieben, wurden nä-
STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 1|202375 Statistik & Informationsmanagement
Quelle: OpenStreetMap
Abbildung 3: Strandbad Grünau, Berlin
her untersucht. Laut Glossar8 sind Beherbergungsbetriebe „ein örtlicher Leistungserbringer, der als entgeltliche Dienstleistung […] kurzfristige oder kurzzeitige Beherbergungsdienste anbietet […]“. Die Zahl der Schlafgelegenheiten wird „durch die Zahl der Personen bestimmt, die in den in der Unterkunft aufgestellten Betten übernachten können, wobei zusätzliche Betten, die auf Wunsch der Kunden aufgestellt werden können, nicht berücksichtigt werden“.
Die im City Statistics-Projekt verwendete Datenquelle ist die amtliche Tourismusstatistik, die für alle enthaltenen deutschen Städte eine einheitliche und valide Grundlage verspricht. Die deutsche Tourismusstatistik erfasst Beherbergungsbetriebe mit mindestens 10 Betten sowie Campingplätze mit mindestens 10 Stellplätzen. Allerdings übernachten immer mehr Touristen in kleinen, privat geführten Beherbergungsbetrieben mit weniger als 10 Betten.
Daher untersuchten wir anhand einer Fallstudie der Stadt Stuttgart, ob Airbnb-Daten die bestehenden Tourismusdaten ergänzen und verbessern könnten. Stuttgart ist die sechstgrößte Stadt in Deutschland, hat einen sehr angespannten Wohnungsmarkt sowie einen wachsenden Tourismus. Allerdings hat Stuttgart seit 2016 die Satzung gegen Zweckentfremdung umgesetzt9, wonach über 50 Prozent des verfügbaren Wohnraums nicht länger als 10 Wochen im Jahr für Fremdbeherbergung genutzt werden darf. Damit soll verhindert werden, dass der zunehmende Fremdenverkehr nicht zu sehr den ohnehin überhitzten regulären Wohnungsmarkt belastet. Die Vergleichbarkeit mit strukturell ähnlichen Städten, die eine solche Richtlinie bisher nicht umgesetzt haben, ist dadurch natürlich nur eingeschränkt möglich.
Die ersten beiden Zeilen von Tabelle 1 zeigen die Daten der o ziellen Tourismusstatistik für Stuttgart, die an EUROSTAT
76 STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 1|2023 Statistik & Informationsmanagement
Quelle: Immosuchmaschine.de, eigene Berechnungen
Abbildung 4: Median-Mietpreis pro m2 in den Städten nach Anzahl der Zimmer
Tabelle 1: Daten der amtlichen Tourismusstatistik und Airbnb für Stuttgart
Quellen:
Baden-Württemberg, Beherbergung im Reiseverkehr seit 1984 und Held et al.
gemeldet wurden. Die Gesamtzahl der Übernachtungen in Beherbergungsbetrieben stieg von etwas weniger als 3,6 Millionen im Jahr 2015 auf über 4 Millionen im Jahr 2019 (+0,5 Millionen). Die Zahl der Schlafgelegenheiten stieg von etwas mehr als 19.000 auf mehr als 22.000 (+3.000). Die über Airbnb angebotenen Privatunterkünfte verdoppelten sich von etwas mehr als 500 im Jahr 2015 auf fast 1.100 im Jahr 2017, blieben aber seither nahezu unverändert. Im Durchschnitt verfügt jedes Airbnb-Objekt über 2,5 Schlafgelegenheiten, was bedeutet, dass Airbnb 2019 rund 12 Prozent der Kapazitäten der Stuttgarter Beherbergungsbetriebe ausmachen. Dies ist natürlich eine relevante Größe, allerdings ist nur ein Teil der Airbnb-Unterkünfte dauerhaft verfügbar. Die meisten Angebote sind zeitlich begrenzt, zum Beispiel in den Semesterferien oder am Wochenende.
Die Gesamtzahl der in Airbnb-Unterkünften verbrachten Nächte ist nicht verfügbar, so dass die konkrete Anwendung für den Datenkatalog des City Statistics-Projekts ohnehin nicht geprüft werden kann.
Im Vergleich zu Stuttgart werden nur in wenigen anderen Großstädten wie Berlin, München und Hamburg deutlich mehr Unterkünfte über Airbnb angeboten. Auch in diesen Städten sind Richtlinien zur Zweckentfremdung von Wohnraum umgesetzt worden, jedoch handelt es sich dabei um die drei größten Städte Deutschlands mit jeweils einem Vielfachen der Bevölkerung Stuttgarts und nochmals deutlich umfangreicherem Tourismus. Private Kleinunterkünfte scheinen also nur für einen sehr kleinen Teil der 127 Städte des Städtestatistikprojekts ein relevanter Faktor des Beherbergungsmarktes zu sein. Zum jetzigen Zeitpunkt scheinen die vom marktführenden Airbnb-Portal generierten Transaktionsdaten im Allgemeinen nicht in der Lage zu sein, die bestehenden Daten der Tourismusstatistik zu verbessern.
Fazit
Die Nutzung neuer Datenquellen aus dem Bereich Big Data geht vielfach einher mit der Aneignung neuer Methoden. Die kaum zu überschauende Vielfalt an digitalen Werkzeugen, die einem die Datenakquirierung und das Datenmanagement erleichtern bzw. überhaupt ermöglichen sollen, nimmt kontinuierlich zu. Dabei ist es einerseits vor allem eine Herausforderung, die Orientierung und Übersicht zu behalten und sich nicht in den technischen Details zu verlieren. Andererseits sind die Möglichkeiten der Partizipation in diesem Bereich
1. so einfach wie nie, denn sowohl die Dokumentation als auch die Software selbst sind in den meisten Fällen kostenfrei und quello en erhältlich – oder es gibt zumindest fast immer eine Alternative aus diesem Bereich. Ob sich eine Einarbeitung lohnt, hängt natürlich immer von den individuellen Anforderungen und zeitlichen Einschränkungen am Arbeitsplatz ab. Um diese Entscheidung zu vereinfachen, gibt es mittlerweile auch im Bereich der Städtestatistik zunehmend Erfahrungsberichte und Studien (z.B. Bachmann 2020, Dosch 2021 oder Plennert 2016), die versuchen, komplexe Sachverhalte mit bisher schwieriger Datenlage neu zu erschließen und dabei auf große digitale Datenquellen zurückgreifen. Auch dieser Beitrag soll eine kleine Übersicht zu den Möglichkeiten der Nutzung großer digitaler Datenquellen bieten. Nicht alle dieser Datenquellen entsprechen den Anforderungen der bisherigen Datenkataloge oder bieten eine sinnvolle Ergänzung, wenn man viele unterschiedliche Städte betrachten möchte. Es lohnt sich aber, o en für neue Perspektiven zu sein, die diese Daten meistens auch enthalten und damit Entwicklungen im Blick zu behalten, die womöglich zukünftig eine größere Rolle spielen werden.
1 https://www.staedtestatistik.de/arbeitsgemeinschaften/kosis/urbanaudit
2 https://www.staedtestatistik.de/ leadmin/media/Kosis/Urban_Audit/PDF/Broschueren/UA_Broschuere_2019.pdf
3 Es handelt sich um Städte mit einer Mindesteinwohnerzahl von 50.000, die den von der EU geforderten Kriterien genügen. Nähere Informationen zur De nition einer Stadt nach dem Urbanisierungsgrad sind in der Urban Audit-Broschüre von 2017 nachzulesen (https://www.staedtestatistik.de/ leadmin/media/Kosis/Urban_Audit/ PDF/UA_Broschuere_2017_de.pdf).
4 https://ec.europa.eu/eurostat/statistics-explained/index. php?title=City_statistics_%E2%80%93_culture_and_recreation
5 https://www.staedtestatistik.de/ leadmin/media/Kosis/Urban_Audit/PDF/Broschueren/UA_Broschuere_2021_DE.pdf
6 https://ec.europa.eu/regional_policy/information-sources/maps/ quality-of-life_en
7 https://www.staedtestatistik.de/arbeitsgemeinschaften/vdst/agumfragen/koordinierte-umfrage-zur-lebensqualitaet
8 https://ec.europa.eu/eurostat/statistics-explained/index. php?title=City_statistics_-_tourism
9https://www.stuttgart.de/zweckentfremdung
10 Daten zu Angeboten in der Airbnb-Datenbank jeweils zum Stand Juli der Jahre 2015 bis 2017 und 2019 wurden untersucht
STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 1|202377 Statistik & Informationsmanagement
20152016201720182019 Übernachtungen in Touristenunterkünften 3.561.4903.706.0173.781.5643.911.7814.086.683 Gästebetten insgesamt (alle Arten von Beherbergungsbetrieben)19.08020.41820.71221.49422.122 Angebotene Privatunterkünfte über Airbnb10 5327901.080 -1.097
Statistisches Landesamt
2019:
Literatur
Alter, H.; Feuerhake, J.; Jacob, S. (2021): Insolvenzstatistik in der Corona-Pandemie – aktuellere Ergebnisse durch Webscraping. In: Statistisches Bundesamt (Destatis) (Hrsg.): WISTA 3/2021. Wiesbaden, S. 58–70.
Bachmann, G. (2019): Wissenschaftsstadt Darmstadt: Neue Verkehrsanalysen mit Mobilfunkdaten – ein Zwischenbericht. In: KOSIS-Gemeinschaft Urban Audit (Hrsg.): Das deutsche Urban Audit – Lebensqualität: Erschließung neuer Datenquellen (2019). Mannheim, S. 34–50.
Bachmann, G. (2020): Stadt und Verkehr: Neue Verkehrsanalysen mit Mobilfunkdaten – ein Zwischenbericht. Stadtforschung und Statistik: Zeitschrift des Verbandes Deutscher Städtestatistiker, 33(1), 52–60.
Barron, C. (2019): Universitätsstadt Mannheim: Einsatz von Crowd Data für stadtklimatische Fragestellungen. In: KOSIS-Gemeinschaft Urban Audit (Hrsg.): Das deutsche Urban Audit – Lebensqualität: Erschließung neuer Datenquellen (2019). Mannheim, S. 51–53.
Baur, S. (2019): Ausgewählte deutsche Städte: Verknüpfung von Crowd Data und Befragungsdaten im Bereich Verkehr. In: KOSIS-Gemeinschaft Urban Audit (Hrsg.): Das deutsche Urban Audit – Lebensqualität: Erschließung neuer Datenquellen (2019). Mannheim, S. 27–33.
Baur, S. (2020): Erschließung von Crowd Data und Verknüpfung mit Befragungsdaten im Bereich Verkehr. Stadtforschung und Statistik: Zeitschrift des Verbandes Deutscher Städtestatistiker 33(2), S. 30–35.
Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen (Hrsg.) (2017): Big Data und Crowd Data für die Berliner Stadtentwicklungsplanung. Berlin/Zürich. (https:// digital.zlb.de/viewer/metadata/16317737/1/ LOG_0000/)
De Lazzer, J.; Rengers, M. (2021): Auswirkungen der Coronakrise auf den Arbeitsmarkt: experimentelle Statistiken aus Daten von OnlineJobportalen. In: Statistisches Bundesamt (Destatis) (Hrsg.): WISTA 3/2021. Wiesbaden.
S. 71–88.
Demunter, C. (2019): EUROSTAT: Nutzung von Big Data in der Tourismusstatistik. In: KOSISGemeinschaft Urban Audit (Hrsg.): Das deutsche Urban Audit – Lebensqualität: Erschließung neuer Datenquellen (2019). Mannheim, S. 18–22.
Dosch, F. (2021): Satellitengestützte Erfassung des Stadtgrüns. Stadtforschung und Statistik: Zeitschrift des Verbandes Deutscher Städtestatistiker 34(2). S. 8–16.
Hausmann, P.; von Bodelschwingh, A. (2016): Wohnungsmarktanalyse mit Daten von „ImmobilienScout24“. Stadtforschung und Statistik: Zeitschrift des Verbandes Deutscher Städtestatistiker 29(1). S. 43–52.
Held, T.; Strauß, M.; Veller, M. (2019): Kein Airbnb-Boom in Stuttgart. In: Landeshauptstadt Stuttgart, Statistisches Amt (Hrsg.): Statistik und Informationsmanagement, Monatsheft 12/2019. Stuttgart. S. 364–366.
Kaczorowski, W. (2017). Neue digitale Daten für die Entwicklung smarter Städte und Regionen. Bertelsmann Stiftung (Hrsg.). Gütersloh.
Link, T. (2019): Urban Audit: Nutzung von Crowd Data für die Berechnung der Länge des Radwegenetzes in deutschen Städten.
In: KOSIS-Gemeinschaft Urban Audit (Hrsg.): Das deutsche Urban Audit – Lebensqualität: Erschließung neuer Datenquellen (2019). Mannheim, S. 23–26.
Link, T. (2021): Wohnungsmarktsituation in den deutschen Städten der Urban Audit-Befragung 2018/19: Eine Gegenüberstellung mit den Angebotsmieten aus Onlineportalen. In:
KOSIS-Gemeinschaft Urban Audit (Hrsg.): Das deutsche Urban Audit - Subjektive Einschätzungen zur Lebensqualität in europäischen Städten (2021). Mannheim, S. 38–48.
Plennert, M. (2016): Anwendungsreif? Nutzung und Potential von digitalen Geodaten für Stadtforschung und Raumbeobachtung am Fallbeispiel OpenStreetMap. Stadtforschung und Statistik: Zeitschrift des Verbandes Deutscher Städtestatistiker 29(1). S. 27–34.
Saidani, Y.; Bohnenste en, S.; Hadam, S. (2022): Qualität von Mobilfunkdaten – Projekterfahrungen und Anwendungsfälle aus der amtlichen Statistik. In: Statistisches Bundesamt (Destatis) (Hrsg.): WISTA 5/2022. Wiesbaden. S. 55–67.
Schmidt, S. (2017): Messung der Gesamtlänge des Radwegenetzes in Urban Audit-Städten auf Basis von OpenStreetMap-Daten. In: KOSIS-Gemeinschaft Urban Audit (Hrsg.): Das deutsche Urban Audit – Lebensqualität in Stadt und Umland (2017). Mannheim, S. 34–56.
Schnorr-Bäcker, S. (2016). Big Data als neuer Weg der Datengewinnung für die amtliche Statistik. Stadtforschung und Statistik: Zeitschrift des Verbandes Deutscher Städtestatistiker 29(1). S. 2–10.
Tonndorf, T. (2019): Big Data und Crowd Data. In: KOSIS-Gemeinschaft Urban Audit (Hrsg.): Das deutsche Urban Audit - Lebensqualität: Erschließung neuer Datenquellen (2019). Mannheim, S. 9–17.
Wiengarten, L.; Zwick, M. (2017). Neue digitale Daten in der amtlichen Statistik. In: Statistisches Bundesamt (Destatis) (Hrsg.): WISTA 5/2017. Wiesbaden, S. 19–30.
Zwick, M. (2015). Big Data in der amtlichen Statistik. In: Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz 58(8).
78 STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 1|2023 Statistik & Informationsmanagement
Jürgen Wittig
Statistiksatzung 2.0
Der Weg zu einer modernen Statistiksatzung für
die Stadt Kassel
Auf der Grundlage des berühmten „Volkszählungsurteils“ des Bundesverfassungsgerichtes aus dem Jahr 1983 sind hessische Kommunen nach den Bestimmungen des Hessischen Landestatistikgesetzes verp ichtet, Übermittlungen von Einzeldaten an kommunale Statistikstellen über eine Satzung zu regeln. Die aus dem Jahr 1988 stammende Statistiksatzung der Stadt Kassel wurde modernisiert und an die aktuellen Anforderungen angepasst. Der nachfolgende Artikel beschreibt die Inhalte der neuen Satzung, die Überlegungen, die den neuen Formulierungen zugrunde liegen und den Weg von der ersten Idee bis zum Inkrafttreten am 25. Juni 2022.
Was benötigt man für eine neue Statistiksatzung? Nun, zunächst einmal Geduld, Geduld und Geduld. Zugegeben, ganz so lange wie der Bau des Berliner Flughafens oder der Elbphilharmonie in Hamburg hat es nicht gedauert, aber es hat sich zumindest so angefühlt.
Aber der Reihe nach:
Warum brauchen wir eine neue Statistiksatzung?
Die bislang gültige Statistiksatzung der Stadt Kassel, im Langtitel „Satzung über die regelmäßigen Datenübermittlungen aus anderen Verwaltungsbereichen für Zwecke der Kommunalstatistik in der Stadt Kassel“, wurde am 19. Dezember 1988 beschlossen. Inhaltlich bildete die Satzung die Grundlage für die Statistik der Bevölkerungsbewegung und der Fortschreibung des Bevölkerungsbestandes, der Bautätigkeit und Fortschreibung des Gebäude- und Wohnungsbestandes und der An-, Ab- und Ummeldungen von Gewerbebetrieben.
Seit 1988 haben sich die Anforderungen der Verwaltung an belastbares Datenmaterial naturgemäß deutlich erweitert, was nicht zuletzt auch mit einer breiteren Verfügbarkeit von Daten zusammenhängt. Besonders im Bereich der Sozial- und Jugendhilfedaten gibt es einen großen Bedarf an kleinräumigen Auswertungen, für deren Erstellung die Statistikstelle die Möglichkeit haben sollte, auf Einzeldaten zuzugreifen.
Jürgen Wittig
Dipl.-Verwaltungswirt, bis zum 31. Dezember 2022 im Personal- und Organisationsamt der Stadt Kassel, jetzt im Ruhestand : juergenwittig1957@gmail.com
Schlüsselwörter: Statistiksatzung – Stadtrecht – Einzeldaten –Datenübermittlung
Verändert hat sich auch die Art der Bereitstellung der Daten. Die bisherige Satzung regelt hierzu in §3 (Übermittlungsverfahren): „Die regelmäßige Übermittlung von Daten nach dieser Satzung erfolgt im schriftlichen Verfahren. Der Versand hat im verschlossenen Umschlag zu erfolgen, Datenübermittlungen können auch durch Übersendung von Magnetbändern, Disketten oder durch Datenfernübertragung erfolgen“. Ich bin fest davon überzeugt, dass heutzutage keine kommunale Statistikstelle mehr Einzeldaten in schriftlicher Form im verschlossenen Umschlag und nur in wenigen Einzelfällen auf transportablen Datenträgern erhält.
Schließlich, und das hat die Corona-Pandemie sehr eindrucksvoll gezeigt, könnte eine Statistikstelle in besonderen Situationen mit der Verarbeitung von Einzeldaten (beispielsweise aus dem Infektionsgeschehen) bei der Erstellung von Lagebildern unterstützen und damit eine Grundlage für zu tre ende Maßnahmen liefern. Auch dieser Fall ist bisher noch nicht durch die Statistiksatzung abgedeckt.
STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 1|202379 Statistik & Informationsmanagement
Wie war die Herangehensweise?
Im November 2020 haben wir in einem „Kicko -Termin“ im Team die ersten Schritte auf dem Weg zu einer neuen Satzung beschritten:
Wir haben uns zuerst mit den Rechtsgrundlagen für die Satzung beschäftigt, insbesondere dem Volkszählungsurteil aus 1983 und dem §12 des Hessischen Landesstatistikgesetzes (HessLStatG).
Wir haben die grobe Struktur der Regelungsinhalte festgelegt. Dabei haben wir ganz bewusst die bisherige Satzung beiseitegelegt und mit einem leeren Blatt begonnen. Auf diese Reihenfolge der Regelungsinhalte haben wir uns geeinigt:
-Rechtliche Herleitung
-Ziel und Zweck der Satzung
-Regelungsinhalte
-Schlussbestimmungen
Diese Struktur ist natürlich nichts Neues, die meisten rechtlichen Regelungen sind nach diesem Schema aufgebaut.
Schließlich haben wir untereinander die Aufgaben aufgeteilt, die im weiteren Prozess anfallen:
- Klärung der formalen Abläufe im Stadtrechtsverfahren
(Einbindung des Rechtsamtes und des städtischen Datenschutzbeauftragten, Erstellung von Vorlagen für Magistrat und Stadtverordnetenversammlung)
- Internet-Recherche zu Statistiksatzungen anderer Kommunalverwaltungen
- Festlegung der wünschenswerten Regelungsinhalte (z. B. welche Daten sollen wie, wann und von wem an die Statistikstelle übermittelt werden)
- Prüfung, ob die im vorgenannten Schritt ermittelten Wünsche auch rechtlich abgesichert sind
- Erarbeitung einer Textfassung für die Satzung und die Begründung
- Abstimmung mit dem städtischen Datenschutzbeauftragten und dem Rechtsamt
Welche Überlegungen führten zum Ergebnis?
Die Internet-Recherche hat uns nicht viel weitergeholfen. Wir haben zwar auf einigen Webseiten von Kommunalverwaltungen Satzungen gefunden, diese basierten aber entweder auf Landesstatistikgesetzen anderer Bundesländer oder hatten einen ähnlichen Aktualitätsstand wie unsere bisherige Satzung. Da es nicht unser vorrangiges Ziel war, mit möglichst wenig Aufwand eine Satzung abzukupfern, hat das unsere Motivation nicht weiter beeinträchtigt.
Und diese sind die einzelnen Bestimmungen der neuen Satzung und die dazu angestellten Überlegungen:
Satzung über den Betrieb einer Statistikstelle und die Durchführung der Kommunalstatistik der Stadt Kassel (Statistiksatzung)
Aufgrund der §§5 und 51 Nr. 6 der Hessischen Gemeindeordnung in der Fassung vom 7. März 2005 (GVBl. I, S. 142); zuletzt geändert durch Artikel 3 des Gesetzes vom 11. Dezember 2020 (GVBl. S. 915) in Verbindung mit §12 des Hessischen
Landesstatistikgesetzes (HessLStatG) in der Fassung vom 19. Mai 1987 (GVBl. I, S. 67), zuletzt geändert durch Gesetz vom 19. September 2016 (GVBl. S. 158) hat die Stadtverordnetenversammlung der Stadt Kassel in ihrer Sitzung am 13. Juni 2022 folgende Satzung über den Betrieb einer Statistikstelle und Durchführung der Kommunalstatistik der Stadt Kassel (Statistiksatzung) beschlossen:
Die bisherige Satzung trug die Überschrift „Satzung über die regelmäßigen Datenübermittlungen aus anderen Verwaltungsbereichen für Zwecke der Kommunalstatistik in der Stadt Kassel“. Die neue Satzung regelt in Grundzügen neben den regelmäßigen Datenübermittlungen auch den Betrieb der Statistikstelle (siehe hierzu Ausführungen zu §1). Die rechtliche Herleitung richtet sich nach der hessischen Landesgesetzgebung.
§1 Betrieb einer kommunalen Statistikstelle
Die Stadt Kassel betreibt zur Gewinnung von statistischen Informationen, die für die Erfüllung ihrer Aufgaben benötigt werden, eine Statistikstelle nach §12 HessLStatG. Diese Satzung regelt:
1.die Aufgaben der Statistikstelle
2.die Abschottung der Statistikstelle und
3. die Datenübermittlungen von Organisationseinheiten der Stadtverwaltung Kassel an die Statistikstelle.
Die Formulierung „Die Stadt Kassel betreibt … eine Statistikstelle“ gibt uns eine größere Bestandssicherheit. Gerade bei kleineren Statistikstellen mag die Gefahr bestehen, dass die Verwaltungsführung bei knappen Haushaltsmitteln hier ein Einsparpotential sieht, das über eine verwaltungsinterne Verfügung gehoben werden kann. Ist der Betrieb der Statistikstelle aber in der Satzung verankert, kann dies nur durch einen entsprechenden Gremienbeschluss über eine Änderung oder Aufhebung der Satzung erfolgen, die Hürden für eine Abscha ung sind also wesentlich höher.
§2 Aufgaben der Statistikstelle
Die Statistikstelle hat folgende Aufgaben:
1. Mitwirkung bei der Durchführung amtlicher Statistiken gemäß §4 Abs. 3 i. V. m. §1 Abs. 1 Nr. 1 und 2 HessLStatG.
2. Gewinnung von statistischen Daten aus der Verwaltungstätigkeit der Stadt Kassel, aus Quellen der Bundes- und Landesstatistik, der Arbeitsverwaltung und sonstigen Quellen.
3. Aufbau und P ege de nierter statistischer Datensammlungen.
4. Zusammenstellung von statistischen Daten für Organisationseinheiten der Stadtverwaltung.
5. Datenanalyse unter Anwendung statistischer Methoden.
Die Aufzählung der Aufgaben beschränkt sich auf die Kernaufgaben der Statistikstelle. Unsere verwaltungsinternen Organisationspläne (Aufgabengliederungsplan, Dienstverteilungsplan) nennen noch weitere Aufgaben wie Mitwirkung bei Umfragen und Erhebungen und Zusammenstellung von Daten für Dritte (z.B. Forschung, Lehre, Wirtschaft und inter-
80 STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 1|2023 Statistik & Informationsmanagement
essierte Bürger). In der Satzung wollten wir aber ausschließlich die Kernaufgaben aufgeführt haben, um mit Blick auf die Verteilung der Ressourcen zur Bewältigung des gesamten Aufgabenportfolios der Statistikstelle Flexibilität zu behalten.
§3 Abschottung der Statistikstelle
Die Statistikstelle ist nach Maßgabe des § 12 Abs. 3 HessLStatG räumlich, personell und organisatorisch abzuschotten.
Genau genommen ist dieser Punkt in der Satzung entbehrlich, da der Verweis auf §12 HessLStatG in §1 der Satzung für eine Verp ichtung zur Abschottung bereits ausreichen würde. Es war uns aber wichtig, explizit auf die notwendige Abschottung hinzuweisen, um damit die besondere Stellung einer kommunalen Statistikstelle im Organisationsgefüge der Verwaltung hervorzuheben.
§4 Regelmäßige Datenübermittlungen
(1) Die Organisationseinheiten der Stadtverwaltung sind verp ichtet, der Statistikstelle regelmäßig aus ihrer Geschäftstätigkeit Einzeldaten zu übermitteln. Diese Verp ichtung betri t folgende Bereiche:
1. Daten aus dem Einwohnerregister zu Bevölkerungsbestand und Bevölkerungsbewegung; Erhebungsmerkmale sind Demogra sche Daten, Statusdaten.
2. Daten zum Gewerbebestand aus dem Gewerberegister; Erhebungsmerkmale sind Rechtsform, Art des Gewerbes.
3. Sozialdaten aus dem Bereich der Sozial- und Jugendhilfe; Erhebungsmerkmale sind Demogra sche Daten, Art und Höhe der Leistungen.
4. Daten zur Bautätigkeit und zur Fortschreibung des Gebäude- und Wohnungsbestandes; Erhebungsmerkmale sind Baugenehmigungen, Baufertigstellungen; Art, Anzahl und Größen von Wohnungen und Gebäuden.
§ 12 Abs. 1 HessLStatG verweist hinsichtlich der Anforderungen an eine Satzung auf § 7 Abs. 2 und §13 HessLStatG. Daraus ergibt sich u.a. die Verp ichtung, in der Satzung die Erhebungsmerkmale zu benennen. Die Schwierigkeit bestand darin, einerseits die Erhebungsmerkmale in der Satzung so zu de nieren, dass eine rechtlich ausreichende Abgrenzung zum gesamten Datenbestand gegeben ist und andererseits der Bewegungsspielraum nicht durch eine zu kleinteilige Aufzählung von Merkmalen des Datenbestandes eingeengt wird. In der bisherigen Satzung stand die aus unserer heutigen Sicht sehr allgemein gehaltene Formulierung „Erhebungsmerkmale sind zur statistischen Verwendung bestimmte Angaben über persönliche und sachliche Verhältnisse“. Mit den erarbeiteten Formulierungen haben wir einen inhaltlichen Spielraum bei gleichzeitiger Abgrenzung zum kompletten Datenbestand gescha en.
Die in der bisherigen Satzung aufgezählten Bereiche der Datenübermittlung (Einwohnerdaten, Gewerbebestand, Bautätigkeit) entsprechen den Zi ern 1, 2 und 4 in § 4 Abs. 1 der neuen Fassung. Hinzugekommen ist der Bereich der Sozialund Jugendhilfe. Dem städtischen Datenschutzbeauftragten war hier die Herleitung der Rechtsgrundlage für die Daten -
übermittlung besonders wichtig. § 35 des Sozialgesetzbuches (I. Buch) schließt eine unbefugte Verarbeitung von Sozialdaten außerhalb des Leistungsträgers aus. Es war also erforderlich, die Befugnis für eine Datenübermittlung aus den bestehenden Regelungen des Sozialgesetzbuches herzuleiten. Die ausführliche Beschreibung der Herleitung nden Sie in der Begründung der Satzungsvorlage am Schluss dieses Artikels.
(2) Zu den unter Abs. 1 genannten Daten sind auch Hilfsmerkmale zu übermitteln. Hilfsmerkmale sind Anschriften von natürlichen oder juristischen Personen. Sie dienen der räumlichen Zuordnung der Daten und damit der Erstellung von georeferenzierten Auswertungen. Hilfsmerkmale sind von der Statistikstelle zu löschen, sobald die Überprüfung der Erhebungs- und Hilfsmerkmale auf Schlüssigkeit und Vollständigkeit abgeschlossen ist. Straße, Hausnummer und Hausnummernzusatz dürfen für die geogra sche Zuordnung für einen Zeitraum von bis zu vier Jahren nach Abschluss der jeweiligen Erhebung für weitere Analysen genutzt werden.
Diese Regelungen, insbesondere die Frist von vier Jahren bis zur Löschung der Adresse, beruhen im Wesentlichen auf § 15 HessLStatG.
(3) Die Daten sind mindestens einmal jährlich an die Statistikstelle zu übermitteln, bei Bedarf, etwa zur Beobachtung kurzfristiger Entwicklungen, auch monatlich. Zeitpunkt, Umfang und Inhalt der Datenübermittlungen sind mit der Statistikstelle abzustimmen.
(4) Die Daten sind auf elektronischem Weg zu übermitteln. Für eine sichere Übermittlung an die Statistikstelle ist ein Dateiaustauschdienst oder eine Verschlüsselung beim Übersenden per E-Mail zu nutzen. Anstelle einer Übermittlung ist auch ein Direktzugri der Statistikstelle auf Auswertungsmodule der Fachverfahren zulässig.
Mit diesen beiden Bestimmungen erhält die Statistikstelle eine Grundlage, um Datenlieferungen von anderen Stellen der Stadtverwaltung einzufordern. Die Bestimmungen zum Übermittlungsweg wurden aktuellen Anforderungen angepasst. Immerhin hat das Regelwerk aus 1988 bereits als weitere Übermittlungswege neben dem verschlossenen Umschlag „Magnetbänder, Disketten oder Datenfernübertragung“ vorgesehen. Neu ist der Hinweis auf Direktzugri e auf Auswertungsmodule von Fachverfahren. Aktuell hat die Statistikstelle Kassel beispielsweise die Möglichkeit, im Einwohnerverfahren direkt Bevölkerungsdaten in der Datensatzstruktur des Deutschen Städtetages abzurufen. Diese Art der Datenübermittlung ist jetzt auch über die Statistiksatzung abgesichert.
§5 Datenübermittlung in besonderen Fällen
In besonderen Fällen sind der Statistikstelle für einen begrenzten Zeitraum auf Anforderung einmalig oder regelmäßig weitere Daten zu übermitteln, wenn dies für die Bewältigung einer besonderen und nicht alltäglichen Lage erforderlich ist. § 4 Abs. 3 Satz 2 und Absatz 4 gelten entsprechend.
STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 1|202381 Statistik & Informationsmanagement
Diese komplett neue Regelung ist unter dem Eindruck der Corona-Pandemie entstanden. Damit ist es beispielsweise möglich, dass Einzeldaten zu In zierten vom Gesundheitsamt an die Statistikstelle übermittelt werden, um aktuelle Lagebilder zu erstellen und der Verwaltung damit eine Grundlage für Handlungsempfehlungen zu liefern. Der Begri der „besonderen und nicht alltäglichen Lage“ ist bewusst allgemein gehalten, um hier einen ausreichenden Spielraum für künftige Lagen zu haben. Das bedingt aber auch, dass die Anwendung dieser Bestimmung im konkreten Fall gut begründet werden muss.
§6 Verö entlichung und Weitergabe von Daten
Einzelangaben über persönliche und sachliche Verhältnisse, die nach dieser Satzung übermittelt werden, sind nach § 16 HessLStatG und den entsprechenden Bestimmungen des Bundesstatistikgesetzes geheim zu halten. Weitergabe und Verö entlichung der aufgrund von Einzelangaben erstellten statistischen Ergebnisse richtet sich ausschließlich nach den Bestimmungen des Hessischen Landesstatistikgesetzes in seiner jeweiligen Fassung.
Mit dieser Regelung wird deutlich gemacht, dass das hohe Gut des Statistikgeheimnisses keine Er ndung der Stadt Kassel ist, sondern auf gesetzlichen Bestimmungen beruht.
§ 7 Inkrafttreten
Die Satzung tritt am Tag nach ihrer ö entlichen Bekanntmachung in Kraft. Gleichzeitig tritt die „Satzung über die regelmäßigen Datenübermittlungen aus anderen Verwaltungsbereichen für Zwecke der Kommunalstatistik in der Stadt Kassel“ vom 19.12.1988 außer Kraft.
Diese Formalie darf natürlich nicht vergessen werden; schließlich muss klar sein, ab wann die Bestimmungen der Satzung anzuwenden sind.
Wie verlief der Prozess bis zur Beschlussfassung?
Den vorherigen Abschnitt haben Sie möglicherweise in fünf bis zehn Minuten gelesen. Die Erarbeitung der Inhalte und der Formulierungen haben allerdings etwas länger gedauert. Nach dem „Kicko “ im November 2020 haben wir im Februar 2021 dem städtischen Datenschutzbeauftragten einen ersten Entwurf zur Prüfung übersandt. Neben einigen kleineren Anmerkungen war, wie bereits erwähnt, dem Datenschutzbeauftragten die Herleitung der Zulässigkeit der Übermittlung von Sozialdaten besonders wichtig. Im Juli 2021 lag schließlich eine mit dem Datenschutzbeauftragten abgestimmte Entwurfsfassung der neuen Satzung vor, die dann dem Rechtsamt mit der Bitte um rechtliche Prüfung übersandt wurde.
Der in der Entwurfsfassung enthaltene grundlegende Regelungsinhalt wurde vom Rechtsamt akzeptiert. Einige formale Notwendigkeiten führten noch zu textlichen Änderungen, die sich aber nicht auf die Inhalte auswirkten. Die Abstimmung mit dem Rechtsamt hat sich etwas hingezogen, da zeitweise
andere, dringendere Dinge den Kalender bestimmten und dafür sorgten, dass der Prozess etwas ins Stocken geriet. Schließlich wurde die Satzung im April 2022 im Magistrat und im Juni 2022 im Ausschuss für Recht, Sicherheit und Digitalisierung der Stadtverordnetenversammlung beraten.
Die Satzungsvorlage wurde den Gremien mit dieser ausführlichen Begründung vorgelegt:
Begründung zur Satzung über den Betrieb einer Statistikstelle und die Durchführung der Kommunalstatistik der Stadt Kassel (Statistiksatzung)
A. Allgemeiner Teil
Die Gemeinden haben nach Artikel 28 Abs. 2 des Grundgesetzes das Recht, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Zur Erfüllung der Aufgaben sind die Gemeinden auf umfassende Informationen über die Gegebenheiten in der jeweiligen Gemeinde angewiesen. Um notwendige statistische Informationen zu gewinnen, unterhalten zahlreiche Städte aller Größenordnungen Kommunale Statistikstellen. In Kassel ist dies seit dem 1. November 1905 der Fall.
Die für die Erfüllung kommunaler Aufgaben benötigten statistischen Daten stammen hauptsächlich eigenen Erhebungen der Gemeinden, Daten aus dem Verwaltungsvollzug, Erhebungen der staatlichen Statistischen Ämter (z.B. des Hessischen Statistischen Landesamtes) und Daten aus Geschäftsstatistiken anderer Verwaltungen.
Neben der Nutzung der Daten für Planungen der Verwaltung stehen diese auch für wissenschaftliche Zwecke und zur Information der Ö entlichkeit zur Verfügung.
Soweit es zur Gewinnung von statistischen Informationen erforderlich und durch entgegenstehende einzelgesetzliche Übermittlungsverbote nicht ausgeschlossen ist, können die Gemeinden nach §12 Abs. 4 Satz 1 HessLStatG Einzelangaben aus anderen Verwaltungsbereichen an die Statistikstelle zur statistischen Auswertung übermitteln. Regelmäßige Datenübermittlungen sind nur aufgrund einer Satzung zulässig.
Die Stadtverordnetenversammlung der Stadt Kassel hat am 19. Dezember 1988 die „Satzung über die regelmäßigen Datenübermittlungen aus anderen Verwaltungsbereichen für Zwecke der Kommunalstatistik in der Stadt Kassel“ beschlossen. Seit Inkrafttreten hat diese Satzung unverändert Bestand. Die dort enthaltenen Regelungen zur Datenübermittlung entsprechen nicht mehr den Anforderungen an eine auf den weitgehenden Einsatz von Informationstechnik basierende Arbeitsweise der Kommunalen Statistikstelle. Eine Überarbeitung der Regelungen ist daher geboten.
In der Neufassung enthält die Satzung neben den Regelungen zur Datenübermittlung auch Festlegungen zu den Kernaufgaben der Statistikstelle sowie Regelungen zur Abschottung und zur Wahrung des Statistikgeheimnisses bei Verarbeitung und Verö entlichung der Daten.
B. Änderung der Statistiksatzung im Einzelnen
1.§1 Betrieb einer kommunalen Statistikstelle
Die Regelung stellt klar, dass die Stadt Kassel eine Statistikstelle nach den Bestimmungen des Hessischen Landesstatistikgesetzes betreibt.
82 STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 1|2023 Statistik & Informationsmanagement
2.§2 Aufgaben der Statistikstelle
Nach §4 Abs. 3 HessLStatG. nimmt die Statistikstelle Aufgaben bei der Durchführung von Statistiken nach Weisung des Hessischen Statistischen Landesamtes wahr. Die regelmäßige Durchführung amtlicher Statistiken für das Hessische Statistische Landesamt ist mit zunehmender Digitalisierung der Verwaltung zurückgegangen, Auskunftsp ichtige melden mittlerweile dem hessischen Statistischen Landesamt direkt und ohne Umweg über kommunale Statistikstellen. Dennoch kommt es vor, dass Kreise und kreisfreie Städte für das Landesamt tätig werden müssen. Ein Beispiel hierfür ist die Durchführung von Erhebungen im Rahmen eines Zensus.
Die weiteren in §2 genannten Aufgaben beziehen sich auf die Datengewinnung und Verwendung innerhalb der Stadtverwaltung. Für die Erstellung belastbarer Datensammlungen und Analysen sind seriöse Datenquellen unabdingbar. Neben den Daten der eigenen Verwaltung kommen insbesondere Daten des Statistischen Bundesamtes, der Statistischen Landesämter und der Arbeitsverwaltung in Betracht. Sonstige Quellen sind weitere Behörden oder Institutionen wie beispielsweise das Polizeipräsidium Nordhessen für Unfall- und Kriminalitätsstatistik, Universität Kassel für Angaben zu Studierenden und Betreiber von Museen für Daten zur Nutzung kultureller Einrichtungen.
De nierte Statistische Datensammlungen werden in einer festgelegten Struktur laufend geführt und ermöglichen dadurch nicht nur Erkenntnisse über den gegenwärtigen Zustand, sondern geben auch Auskunft über Entwicklungen. Beispiele hierfür sind die auch im Internet zugänglichen Jahresberichte, die Berichte über die Bevölkerungsbewegungen und der Statistik-Atlas.
Für konkrete Planungsvorhaben der Verwaltung stellt die Statistikstelle auf Anforderung Datenmaterial individuell zusammen, bei Bedarf werden auch Analysen unter Anwendung statistischer Methoden angefertigt.
3.§3 Abschottung der Statistikstelle
Die hier getro enen Regelungen beruhen auf den Vorgaben des §12 Abs. 3 HessLStatG. Die personelle und organisatorische Abschottung soll sicherstellen, dass Einzelpersonen betre ende Erkenntnisse aus Erhebungen der Kommunalstatistik nicht im Verwaltungsvollzug Verwendung nden. Die organisatorische Abschottung bedeutet nicht, dass eine kommunale Statistikstelle nur losgelöst von anderen Organisationseinheiten einer Verwaltungsstruktur betrieben werden darf. Eine Überschneidung mit anderen organisatorisch abgegrenzten Bereichen soll aber vermieden werden.
Die räumliche Abschottung dient dem Datenschutz und der Wahrung des Statistikgeheimnisses. Sie wird sowohl durch ein eigenes Schließsystem für die Büroräume als auch virtuell durch einen separaten Arbeitsbereich im städtischen Netzwerk sichergestellt.
4.§4 Regelmäßige Datenübermittlungen
Nach §12 Abs. 4 HessLStatG können Gemeinden Einzelangaben aus anderen Verwaltungsbereichen an die
Statistikstelle zur statistischen Auswertung übermitteln, soweit dies zur Gewinnung statistischer Informationen nach Abs.1 erforderlich und durch einzelgesetzliche Übermittlungsverbote nichts ausgeschlossen ist.
a.§4 Abs. 1
Die in dieser Satzung getro enen Regelungen betre en lediglich die regelmäßigen Übermittlungen von Einzeldaten. Die Übermittlung aggregierter Datenbestände oder einmalige Übermittlungen von Einzeldaten muss nicht durch eine Satzung geregelt werden. Für folgende Bereiche sollen Datenübermittlungen aufgrund dieser Satzung möglich sein:
Daten aus dem Einwohnerregister Abgefragt werden der Bestand der Bevölkerung zu einem oder mehreren Stichtagen sowie die Bevölkerungsbewegungen (Geburten, Sterbefälle, Zuzüge, Fortzüge, Umzüge) im Stadtgebiet innerhalb eines abgegrenzten Zeitraums. Die Einzeldaten enthalten Informationen zur demogra schen Zusammensetzung des Bestandes bzw. der Bewegungen. Im Wesentlichen werden Geburtsdatum, Geschlecht, Staatsangehörigkeit, Familienstand und Religion ausgewertet. Hinzu kommen weitere Informationen, die Rückschlüsse auf die nicht originär im Register enthaltenen Informationen zum Migrationshintergrund oder zur Zusammensetzung von Haushalten erlauben. Diese Daten sind Grundlage für zahlreiche Planungen und Entscheidungen im kommunalen Bereich. Aktuell erfolgen die Datenübermittlungen in den vom Deutschen Städtetag erarbeiteten Datensatzstrukturen „Bevölkerungsbestand“ und „Bevölkerungsbewegung“.
Daten aus dem Gewerberegister
Die zu übermittelnden Daten sollen dazu beitragen, einen Überblick über die wirtschaftliche Lage in der Stadt Kassel insgesamt und in Teilbereichen zu gewinnen. Aktuell ist aus dem Register heraus eine Klassi zierung der Gewerbebetriebe nach den Oberbegri en „Handel“, „Handwerk“, „Industrie“ und „Sonstige“ sowie eine Unterscheidung nach Rechtsformen möglich.
Sozialdaten
Aus §1 des Ersten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB I), konkretisiert durch §17 SGB I, besteht die Verp ichtung der Leistungsträger (also auch der Kommunen), darauf hinzuwirken, dass die zur Erfüllung der Aufgaben erforderlichen sozialen Dienste und Einrichtungen rechtzeitig und ausreichend zur Verfügung stehen.
Die Erfüllung dieser P icht verlangt von den Kommunen zielgerichtete Planungen und laufende Beobachtung der aktuellen Situation, für die wiederum valide Datengrundlagen erforderlich sind. Diese Datengrundlagen beschränken sich nicht nur auf die Daten, die im Rahmen von Geschäftsstatistiken der Sozial- oder Jugendhilfe anfallen und innerhalb des Sozial- oder Jugendamtes verarbeitet werden können. Vielmehr sind für eine zielgerichtete kleinräumige Sozialplanung Daten aus unterschiedlichen Quellen zu verschneiden. Nur mit einer Kombination aus
STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 1|202383 Statistik & Informationsmanagement
den adressbezogenen Daten der Sozial- und Jugendhilfeleistungen mit Daten aus dem Einwohnerregister, den daraus generierten Daten zum Migrationshintergrund und zu den Haushaltszusammensetzungen lassen sich Erkenntnisse gewinnen, die eine Grundlage für detaillierte kleinräumige Sozialplanung bilden und eben dazu führen, dass die erforderlichen Einrichtungen rechtzeitig, ausreichend und zudem noch bedarfsgerecht verortet zur Verfügung gestellt werden können. Die Verschneidung solcher Daten für die Anfertigung entsprechender Analysen und für die Scha ung von Datengrundlagen für regelmäßige Monitoring-Systeme ist eine Kernaufgabe der Kommunalstatistik.
Nach §35 des Ersten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB I) hat jeder einen Anspruch darauf, dass die ihn betre enden Sozialdaten auch innerhalb des Leistungsträgers nicht unbefugt verarbeitet werden.
Gem. §67b SGB X ist die Übermittlung von Sozialdaten durch die in §35 SGB I genannten Stellen (u.a. die Gemeindebehörden) zulässig, soweit die §§ 67b . SGB X es erlauben.
Gem. §69 SGB X ist eine Übermittlung von Sozialdaten zulässig, soweit sie erforderlich ist für die Erfüllung einer gesetzlichen Aufgabe nach dem Sozialgesetzbuch entweder der übermittelnden Stelle oder des Dritten, an den die Daten übermittelt werden. Die gesetzliche Aufgabe ergibt sich, wie oben beschrieben, aus §1 SGB I.
Bautätigkeit
Daten über Baugenehmigungen, Baufertigstellungen und Rückbau/Abgänge von Gebäuden und Wohnungen sollen eine regelmäßige Fortschreibung eines Gebäude- und Wohnungsbestandes ermöglichen. Die daraus zu gewinnenden Daten erlauben über den Umfang der Bautätigkeit Aussagen zur wirtschaftlichen Situation und können darüber hinaus Grundlagen für Wohnungsmarktanalysen und Prognosen bieten. Ein Gebäude- und Wohnungsbestand als Grundlage für die regelmäßige Fortschreibung liegt in der Statistikstelle noch nicht vor, diese Satzung soll die Möglichkeiten für eine Aufstellung einer entsprechenden Statistik erö nen.
b. §4 Abs. 2
Die Hilfsmerkmale sollen eine kleinräumige geogra sche Zuordnung ermöglichen. Die Visualisierung von statistischen Daten in Form von georeferenzierten Darstellungen hat in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen. Die Hilfsmerkmale ermöglichen sowohl eine Zuordnung zu vorhandenen festen Strukturen (Ortsbezirke, Statistische Bezirke, Wahlbezirke, Baublöcke), zu vorübergehenden zweckabhängen Strukturen (Planungsgebiete, Fördergebiete) als auch eine strukturübergreifende Darstellung in Form von geogra schen Gitterzellen. Die
Regelungen zur Löschung der Hilfsmerkmale beruhen auf §15 Abs. 3 HessLStatG.
c. §4 Abs. 3
Die Periodizität der Datenübermittlungen soll abhängig vom Verwendungszweck der Daten von der Statistikstelle festgelegt werden können. Weitere Einzelheiten wie Zeitpunkt der ersten Datenlieferung, Umfang und Inhalte sollen zwischen Statistikstelle und liefernder Stelle abgestimmt werden.
d. §4 Abs. 4
Zur Wahrung des Datenschutzes und des Statistikgeheimnisses sind sichere Übermittlungswege unabdingbar. Das gegenwärtig für das Einwohnerregister genutzte Verfahren ermöglicht der Statistikstelle einen direkten Zugri auf ein Auswertungsmodul, welches die Daten zu Bevölkerungsbestand und Bevölkerungsbewegung in den Strukturen der Datensätze des Deutschen Städtetages zur Verfügung stellt. Sofern auch in anderen unter §4 Abs. 1 genannten Bereichen solche Möglichkeiten gescha en werden können, sind sie einer Datenübermittlung durch den Fachbereich über verschlüsselte E-Mail oder einen Datenaustauschdienst vorzuziehen.
5.§5 Datenübermittlung in besonderen Fällen
Die aktuell noch andauernde Corona-Pandemie hat gezeigt, dass die in der Statistikstelle vorhandenen fachlichen Kompetenzen genutzt werden könnten, um detaillierte Lagebilder zu erstellen und regelmäßig zu aktualisieren. Solche Lagebilder können die Entscheidungs ndung hinsichtlich zu tre ender Maßnahmen unterstützen. Diese Regelung soll die Möglichkeit erö nen, künftig in ähnlich gelagerten Fällen Daten an die Statistikstelle zu übermitteln.
6.§6
Verö entlichung und Weitergabe von Daten
Mit dieser Bestimmung werden die Regelungen des Hessischen Landesstatistikgesetzes zur Wahrung des Statistikgeheimnisses für die Satzung verbindlich übernommen.
Nach der Zustimmung im Ausschuss für Recht, Sicherheit und Digitalisierung wurde die Satzung schließlich am 13. Juni 2022, also ca. 1 ½ Jahre nach dem ersten Aufschlag von der Stadtverordnetenversammlung beschlossen, am 24. Juni 2022 im Amtsblatt der Stadt Kassel verkündet. Sie ist am 25. Juni 2022 in Kraft getreten.
Der Aufwand hat sich gelohnt, nach über 30 Jahren haben wir endlich eine moderne Statistiksatzung, die die Arbeit der Statistikstelle auf der einen Seite rechtlich absichert, auf der anderen Seite aber auch Spielraum für weitere Entwicklungen lässt und dabei den Erfordernissen einer modernen ITgestützten Datenverarbeitung Rechnung trägt.
84 STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 1|2023 Statistik & Informationsmanagement
Hubert Harfst
Pandemie-Folgen Gigantischer Reichtum einerseits, weltweit explodierende Ungleichheit und Armut andererseits
Die Nothilfe- und Entwicklungsorganisation Oxfam hat anlässlich des Weltwirtschaftsforums in Davos und des G7Tre ens in Deutschland in mehreren gut recherchierten Berichten darauf hingewiesen, wie die wirtschaftlichen Folgen der anhaltenden Covid-19-Pandemie und steigende Preise für Energie und Lebensmittel Armut und soziale Ungleichheit befeuern. Während mehr als eine Viertelmilliarde Menschen gefährdet sind,
im Jahr 2022 in extreme Armut abzurutschen, machen Konzerne und die dahinterstehenden Superreichen gigantische Gewinne.
Der Bericht Pro ting from Pain illustriert anhand ausgewählter Beispiele (unter anderem die gigantischen Gewinne weniger Konzerne und der dahinterstehenden Superreichen, die explodierenden Lebensmittelpreise sowie die wachsende Ungleichheit zwischen den Ländern), wie obszöne Krisengewinne und zunehmende soziale Ungleichheit Hand in Hand gehen.
Gewaltige Ungleichheit – der Oxfam-Bericht zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in der Welt Auch der Bericht Gewaltige Ungleichheit zeigt, wie die Corona-Pandemie soziale Ungleichheit das zweite Jahr in Folge dramatisch verschärft, warum die Lösung in einem gerechteren Wirtschaftssystem liegt und was die Politik konkret tun sollte.
Nicht nur das Cover des sechzehnseitigen Berichtes ist schwarz, schwarz sehen die Autoren auch für deine große Mehrheit der Menschen und viele Staaten. Seit Beginn der Pandemie mussten Menschen in allen Einkommensgruppen Einbußen hinnehmen, doch die ärmsten 20 Prozent hatten den stärksten Einkommensrückgang zu verzeichnen. Im Jahr 2021 ist ihr Einkommen weiter gesunken, während die Reichsten ihre Einkommensverluste zu einem großen Teil wiedergutmachen konnten.
Voraussichtlich zum ersten Mal seit einer Generation wird auch die Kluft zwischen wirtschaftlich privilegierten und einkommensschwachen Ländern größer werden.
Welche Gründe Oxfam für diese Entwicklung benennt und welche Lösungen möglich sind, kann hier nachgelesen werden.
https://www.oxfam.de/system/ les/documents/oxfam-media-brief-en-pro ting-from-pain-davos2022-part-2.pdf
https://www.oxfam.de/system/ les/documents/oxfam-methodology-note-en-pro ting-from-paindavos-2022-part-2.pdf
https://www.oxfam.de/system/ les/documents/oxfam_factsheet_gewaltige_ungleichheit.pdf
STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 1|202385 Bücher Entdeckt
Hubert Harfst
Prognos Zukunftatlas
Seit 2004 überprüft der PrognosZukunftsatlas® alle drei Jahre die Zukunftsfestigkeit der deutschen Regionen – anhand ausgewählter makro- und sozioökonomischer Indikatoren – und stellt sie in einem bundesweiten Ranking einander gegenüber. Somit ist der Zukunftsatlas das einzige bundesweite Ranking, das regionale Entwicklungen seit mittlerweile fast zwei Jahrzehnten sichtbar macht.
Dabei werden 29 makro- und sozioökonomische Indikatoren für die Bewertung der Regionen ausgewertet. Die 29 Indikatoren sind vier Themenbereichen zugeordnet: „Demogra e“, „Arbeitsmarkt“, „Wettbewerb und Innovation“ sowie „Wohlstand und Soziales“. Die verwendeten Indikatoren sind im Schaubild dargestellt.
Zudem unterteilen sich die Indikatoren in Stärke-Indikatoren, die den IstZustand des Kreises beschreiben, und Dynamik-Indikatoren, die die Entwicklung im Zeitverlauf sichtbar machen. Die Stärke-Indikatoren gehen mit einem Gewicht von jeweils 1,0 ein, die Dynamik-Indikatoren mit einem Gewicht von jeweils 0,5.
Das Handelsblatt hat die Ergebnisse in einer interaktiven Deutschlandkarte aufbereitet. Hier können Regionen verglichen und herausgefunden werden, in welchen Regionen sich Städte und Kreise besonders dynamisch entwickeln.
https://www.handelsblatt.com/infogra ken/prognos-zukunftsatlas-2022/28715856.html
Ausgewählte Ergebnisse und Infos zur Methodik des Prognos-Zukunftsatlas® 2022 nden Sie in einem PDF, das zum Download bereitsteht.
https://www.prognos.com/de/zukunftsatlas
86 STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 1|2023 Studie Entdeckt
AG
Prognos
Günther Bachmann
The City An Interdisciplinary Introduction to Urban Studies
Uwe Prell, Verlag Barbara Budrich, Opladen, Berlin, Toronto 2022, 144 S.
Im Zentrum des Buches steht die Frage: Was macht eine Stadt aus? Der Autor Uwe Prell unternimmt einen interdisziplinären Ansatz als „Risiko“ (S. 12), um sich der Frage zu nähern und Antworten zu nden, die sonst nicht zu nden sind. Ausgehend von den ersten Städten der Menschheit im „fruchtbaren Halbmond“ wie Ur, Eridu, Tell Brak und Byblos vor etwa 7000 Jahren beschreibt der Autor die Konzeption der Stadt als „tool“, als „Werkzeug“. Städte sind zweifellos eine der erstaunlichsten Er ndungen der Menschheit. Aus wissenschaftlicher Sicht, so der Autor, gibt es jedoch keine einzelne Disziplin, die sich mit „der Stadt“ als Forschungsgegenstand beschäftigt –natürlich abgesehen von uns, den Städteforscherinnen und -forschern… Viele wissenschaftliche Disziplinen beschäftigen sich mit „der Stadt“: Urbanistik, die Soziologie, Ökonomie, Geogra e,Geschichte, Philosophie oder Politikwissenschaften, etwa 21 verschiedene Disziplinen zählt der Autor auf, um fest zu halten, dass nur ein interdisziplinärer Ansatz geeignet ist, um „die Stadt“ zu erklären. Auf den Seiten 17 bis 42 wird eine hervorragende Zusammenstellung
der Begri ichkeit der Stadt aus Sicht der einzelnen Wissenschaften unternommen, anschließend werden die wesentlichen Autor*innen zur Stadtforschung vorgestellt. Dabei werden die Analysen von Aristoteles, Werner Sombart, Max Weber, Georg Simmel, die Chicago School, Jürgen Friedrichs, Saskia Sassen, Ash Amin und Stephen Graham, Richard Sennett und anderen ausführlich und sehr lesenswert referiert. Alleine diese eindrucksvolle Zusammenstellung der Erkenntnisse der verschiedenen Autorinnen und Autoren lohnt, das Buch zu lesen.
Es folgt ein aus meiner Sicht gelungener Versuch, die Stadt im Kontext von Sprache und Geschichte zu verstehen: über Ägyptisch, Griechisch und Latein zu den modernen Sprachen Spanisch, Französisch, Englisch, Deutsch, Russisch, dann zu den außereuropäischen Sprachen wie Arabisch, Hindi, Chinesisch und Japanisch.
In Kapitel IV nähert sich der Autor den großen Begri en wie Megacity, globaler Stadt, Hauptstadt, Ankunftsstadt, Smart City, der neoliberalen Stadt und der „Stadt der Viren“ (die chinesische
Stadt Wuhan zu Zeiten der Pandemie). Zuletzt werden die schrumpfende Stadt und die aufgegebene bzw. „verlorene“ Stadt erläutert.
Im letzten Hauptkapitel werden die wesentlichen modernen Themen der Diskussion um „die Stadt“ vorgestellt: Migration, Wohnen und Leben in der Stadt, Gesellschaftlicher Zusammenhalt und Ökonomie, Mobilität, Analoges und Digitales, die Stadt und ihre Region und die Stadt im Weltzusammenhang sowie Umwelt und Diversität.
Im Abschlussapitel wird die Zukunft der Stadt diskutiert. Es folgt eine aktuelle Zusammenstellung moderner Verö entlichungen zum Thema Stadt.
Au ällig ist die im Buch durchgehende und produktive Auseinandersetzung mit Saskia Sassens Ausführungen über die Merkmale der globalen Stadt (Saskia Sassen, The Global City von 1991). Nicht nur ist das Buch von Uwe Prell empfehlenswert, aus meiner Sicht ist es ein sehr aktuelles Standardwerk zu den Thematiken der Stadt, vor allem dank des interdisziplinären Ansatzes für mich ein „Augenö ner“.
STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 1|202387 Rezension Entdeckt
Günther Bachmann
Dresden im Wandel Kulturelle Repräsentationen und Soziale Transformationen
Karl-Heinz Reuband (Hg.), Thelem-Verlag, Dresden 2022, 506 S.
Mit 506 Seiten unternimmt der emeritierte Professor für Soziologie, Karl-Heinz Reuband, als Herausgeber des Buches die mutige Aufgabe, eine aktuelle Bestandsaufnahme der gesellschaftlichen und soziokulturellen Entwicklung der sächsischen Stadt Dresden zu erstellen. Dresden hatte einst den Ruf, eine der schönsten Städte Deutschlands zu sein. Jedoch die Zerstörungen im Zuge des Zweiten Weltkrieges und die unvollendete Restaurierung vieler historischer Gebäude zu DDR-Zeiten erzwangen neue Handlungsperspektiven der Stadtentwicklung nach 1989.
„Doch auch wenn Dresden in seinem Kern der Zerstörung anheim gefallen war und unwiederbringlich verloren schien,hat die Stadt doch seit der Wende teilweise eine Wiedergeburt erfahren…“ (S.9). Dresden ist eine Stadt im Aufschwung: wirtschaftlich wie kulturell – dies zeigt sich nicht nur im Wiederaufbau der Dresdener Frauenkirche, sondern auch in vielen Beiträgen im Buch, die sich mit Dresden und seiner Stadtgesellschaft befassen.
Eine geschickte Auswahl an Autorinnen und Autoren hat aus diesem Buch eine lebendige Bestandsaufnahme der Stadt gemacht: Themen wie „das kulturelle Erbe als Bezugspunkt kollektiver Identität“ der Einwohner/innen, Untersuchungen zum beliebten Szeneviertel Äußere Neustadt oder eine Darstellung der Lebenslagen von Kindern und Jugendlichen in der Stadt seien als Beispiele für die vielseitigen Analysen im Buch genannt.
Auch aktuelle Themen wie die Akzeptanz staatlicher Maßnahmen im Rahmen der Covid-Pandemie oder die Veränderung gesellschaftspolitischer Einstellungen zu Migration und fremdenfeindlichen Protesten sind sehr aufschlussreich, da in mehreren Beiträgen das „Phänomen“ PEGIDA und die Stärke der AfD tiefgehend erläutert werden.
Gerade für die bundesdeutschen Stadtforscherinnen und Stadtforscher ist dieser Band ein Beispiel gelungener Darstellung der sozialen und kulturellen Veränderungen in einer Stadt, die durch eine schier ungebremste Dynamik zu einer Transformation der Stadt geführt hat, die auch
Deprivationserfahrungen der Dresdnerinnen und Dresdnern ausgelöst hat.
Viele Diagramme und Tabellen bereichern den Band und sind durchweg ein Musterbeispiel für die Darstellung komplexer Sachverhalte, die sich durch Umfragen, Feldexperimente und Medienanalysen ergeben haben. Uneingeschränkt empfehlenswert ist dieses Buch nicht nur für Besucher/innen mit Interesse an der Stadtgeschichte Dresdens: Die Verö entlichung ist als modernes Beispiel einer verständlichen Stadtforschung und Stadtstatistik eine Herausforderung an uns, ähnliche Publikationen für die eigene Stadt zu erarbeiten.
88 STADTFORSCHUNG UND STATISTIK 1|2023 Rezension Entdeckt
Gemälde „Dresden vom rechten Elbufer unterhalb der Augustusbrücke“ des Künstler Bernado Bellotto