Berliner Beiträge zu Bildung, Gesundheit und Sozialer Arbeit3
Inhaltsverzeichnis
Band XII
UNSICHTBAR UND UNGESEHEN WOHNUNGSLOSE FRAUEN MIT MINDERJÄHRIGEN KINDERN IN BERLIN
Herausgegeben von Susanne Gerull • Karin Wolf-Ostermann
Schibri-Verlag Berlin • Milow • Strasburg
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Die Schriftenreihe der Alice-Salomon-Hochschule Berlin thematisiert aktuelle Erkenntnisse und wichtige Positionen. Ziel ist es, fruchtbare Diskussionen auf den Weg zu bringen und den wechselseitigen Transfer zwischen Wissenschaft und Praxis im Bildungs-, Gesundheits- und Sozialbereich zu initiieren und zu intensivieren. Der wissenschaftliche Beirat Prof. Dr. Friederike Baeumer Prof. Dr. Hedwig Rosa Griesehop Prof. Dr. Nils Lehmann-Franßen Dipl. Pol. Sieglinde Machocki M. A. Prof. Dr. Iris Nentwig-Gesemann Prof. Dr. Gudrun Piechotta-Henze
© 2012 by Schibri-Verlag Meininger Straße 4 10823 Berlin E-mail: info@schibri.de Homepage: www.schibri.de
Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlags. Alle Rechte vorbehalten Printed in Germany ISBN 978-3-86863-103-6
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INHALTSVERZEICHNIS Tabellen- und Abbildungsverzeichnis
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Vorwort
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Karin Wolf-Ostermann 1. Einleitung
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Claudia Körner/Ute Koop 2. Forschungsstand 2.1 Begriffserklärung: Wohnungslosigkeit und Wohnungsnotfall 2.2 Begriffserklärung: Bedarfe und Bedürfnisse 2.3 Ausmaß von Wohnungslosigkeit 2.4 Das System der Wohnungslosenhilfe 2.5 Forschungsstand zu wohnungslosen Frauen und Müttern 2.6 Zusammenfassung Susanne Gerull/Karin Wolf-Ostermann 3. Methodisches Vorgehen 3.1 Explorative Interviews mit Expert(inn)en 3.2 Standardisierte schriftliche Befragung von wohnungslosen Frauen mit minderjährigen Kindern Anett Götsch/Solvig Höltz 4. Ergebnisse der Interviews 4.1 Einleitung und Kontextinformationen zu den Interviewparter(inne)n 4.2 Relevanz des Themas 4.3 Ursachen der Wohnungslosigkeit von Frauen 4.4 Rahmenbedingungen des Berliner Hilfesystems 4.5 Zugang zum Wohnungslosenhilfesystem 4.6 Motivation der Kontaktaufnahme zu Einrichtungen der Berliner Wohnungslosenhilfe 4.7 Bedarfe und Bedürfnisse wohnungsloser Frauen mit minderjährigen Kindern 4.8 Bedarfe und Bedürfnisse der minderjährigen Kinder wohnungsloser Frauen 4.9 Erfolge und Probleme
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4.10 Forderungen, Verbesserungsvorschläge und Wünsche der Expert(inn)en 4.11 Zusammenfassung
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Sabrina Naber/Annette Stelter 5. Ergebnisse der Befragung 5.1 Beschreibung der Stichprobe 5.2 Aktuelle Wohn- und Lebenssituation 5.3 Problemlagen und Ursachen der Wohnungslosigkeit 5.4 Mutterschaft 5.5 Wahrnehmung als Frau und Mutter im Hilfesystem 5.6 Hilfesysteme/professionelle Unterstützung 5.7 Wünsche und Bedürfnisse 5.8 Zukunftsvorstellungen und Wünsche 5.9 Zusammenfassung
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Susanne Gerull 6. Diskussion der theoretischen und empirischen Ergebnisse 6.1 Daten zu wohnungslosen Frauen mit und ohne Kindern 6.2 Ursachen für Wohnungslosigkeit bei Frauen 6.3 Das Berliner Hilfesystem 6.4 Lebenslagen wohnungsloser Mütter 6.5 Bedarfe und Bedürfnisse wohnungsloser Mütter und ihrer Kinder
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Sabrina Narber/Annette Stelter 7. Fazit und Empfehlungen
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Literatur
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4.1 Einleitung und Kontextinformationen zu den Interviewpartner(inne)n
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Anett Götsch/Solvig Höltz
4. ERGEBNISSE DER INTERVIEWS 4.1 Einleitung und Kontextinformationen zu den Interviewpartner(inne)n In diesem Kapitel werden die Ergebnisse der sechs geführten Interviews mit Expert(inn)en zum Thema „Bedarfe und Bedürfnisse wohnungsloser Frauen mit minderjährigen Kindern“ aufgezeigt. Hierbei sind die Inhalte aus den Interviews nach den für die Forschungsfrage relevanten Themen (Kategorien) sortiert. Interviewte/r
Kontextinformationen21
Angela Graue-Greve
Frau Graue-Greve arbeitet seit 2005 im Jugendamt Reinickendorf als Sozialarbeiterin. Sie hat den Abschluss „Master of Arts“ in Klinischer Sozialarbeit. Ihr Interesse an unserer Forschungsfrage ergibt sich aus ihrer Tätigkeit als Leiterin einer Obdachlosensiedlung, bevor sie beim Sozialpädagogischen Dienst anfing.
Hermann Pfahler
Herr Pfahler ist Sozialarbeiter und arbeitet seit 1981 beim Diakonischen Werk Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (DWBO) bzw. deren Vorgängern vor dem Zusammenschluss. Zunächst leistete er 13 Jahre direkte Beratungsarbeit in der Wohnungslosenhilfe. Seit 1994 leitet er den Bereich „Dienste der Wohnungslosenhilfe“ beim jetzigen DWBO.
Renate Druba
Frau Druba ist Sozialarbeiterin und seit über zehn Jahren in der Wohnungslosenhilfe tätig. Sie ist Leiterin der Frauenwohnstatt Ginko in Berlin Spandau.
Angela Müller-Bittner Frau Müller-Bittner ist Sozialarbeiterin mit Zusatzausbildung in Human Social Functioning22. Sie arbeitet seit 2005 in der Wohnungslosenhilfe und ist Teamleiterin der Sozialen Wohnhilfe (SWH) Charlottenburg-Wilmersdorf in Berlin. Martina Krägeloh
Frau Krägeloh ist Sozialarbeiterin und arbeitet seit mehreren Jahren als eine der beiden Projektleiterinnen in der Notübernachtung für Frauen in Berlin Mitte der GEBEWO – Soziale Dienste – Berlin gGmbH.
Birgit Seidel23
Frau Seidel ist eine ehemals von Wohnungslosigkeit Betroffene. Sie ist Mutter eines minderjährigen Kindes, welches dauerhaft bei ihr lebt und lebte. Frau Seidel und ihre Tochter leben seit etwa einem Jahr wieder in eigenem Wohnraum, zu welchem sie durch den Internationalen Bund (IB) gekommen sind.
Tabelle 2: Kontextinformationen zu den Interviewten212223
21 Stand Anfang 2011 22 Human Social Functioning ist eine professionelle Beratungsmethode der Sozialarbeit, auch Heimler-Methode genannt nach Eugene Heimler, der diese Methode entwickelt hat. 23 Name anonymisiert.
4. Ergebnisse der Interviews
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Im weiteren Verlauf erfolgt zunächst eine kurze Vorstellung der befragten Expert(inn)en. Anschließend werden ihre Aussagen und Einschätzungen vergleichend dargestellt. Anfangs sind Äußerungen zur Relevanz der Thematik sowie zu den Rahmenbedingungen des Berliner Hilfesystems abgebildet. Es folgt eine Gegenüberstellung der Aussagen bezüglich der Ursachen von Wohnungslosigkeit, hinsichtlich des Zugangs zum Hilfesystem und zur Motivation der Kontaktaufnahme zu Einrichtungen der Berliner Wohnungslosenhilfe. Die Bedarfe und Bedürfnisse der betroffenen Frauen und ihrer Kinder werden in den darauf folgenden Abschnitten aufgezeigt. Ihre Angaben zu Erfolgen und Problemen in der Zusammenarbeit mit den wohnungslosen Müttern sowie ihre Forderungen, Verbesserungsvorschläge und Wünsche schließen sich an. Mit einer kurzen Zusammenfassung endet das Kapitel. Im Folgenden werden Kontextinformationen zu den einzelnen Interviewpartner(inne)n in tabellarischer Form gegeben. Hierbei werden überwiegend das Beschäftigungsfeld der Expert(inn)en zum Zeitpunkt des Interviews sowie deren hauptsächliche Kontaktbereiche zur Berliner Wohnungslosenhilfe aufgezeigt.
4.2 Relevanz des Themas Mit dem Blick auf die forschungsleitende Fragestellung war zu untersuchen, welchen Stellenwert die Zielgruppe „wohnungslose Frauen mit minderjährigen Kindern“ für die Arbeitspraxis der jeweilig interviewten Sozialarbeiter/-innen hat. Im Kontext dazu wurde weiterhin gefragt, ob bzw. inwieweit die Zielgruppe Teil des Arbeitsauftrags ist.
Arbeitspraxis Bis auf die Sozialarbeiterin der Frauenwohnstatt berichten alle Interviewpartner/innen, dass die Zielgruppe: „wohnungslose Frauen mit minderjährigen Kindern“ eher einen kleinen Rahmen in deren täglichen Arbeit einnehme (Graue-Greve: 50) bzw. nicht im Vordergrund stünde (Krägeloh: 52; Pfahler: 40). Zwar werde über die Thematik gesprochen, jedoch sei der Kontakt in der Arbeitspraxis zu dieser Zielgruppe gering (z. B. Müller-Bittner: 53). Die Soziale Wohnhilfe Charlottenburg-Wilmersdorf (im Folgenden SWH) ist zuständig für Erwachsene ohne minderjährige Kinder im Haushalt. Zwar erfolge die Vermittlung von Unterkünften auch für Frauen, jedoch sei die SWH für die sozialpädagogische Betreuung von wohnungslosen Frauen mit minderjährigen Kindern weniger zuständig (Müller-Bittner: 40–43). Allerdings verfüge die SWH noch über ein bezirkseigenes Heim, in dem auch Familien, meistens Mütter mit minderjährigen Kindern, untergebracht sind. Dies gehöre zum Aufgabengebiet von Frau Müller-Bittner. Somit gäbe es ihrer Ansicht nach zwar Berührungspunkte, aber
4.2 Relevanz des Themas
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diese seien eher gering (a. a. O.: 53–55). In diesem Kontext wird von den Interviewten z. T. auf die Betreuung durch andere Einrichtungen und/oder Behörden für wohnungslose Frauen mit minderjährigen Kindern wie bspw. das Jobcenter (z. B. Graue-Greve: 50–52; Müller-Bittner: 68) oder Angebote nach § 19 KJHG (z. B. Pfahler: 57) verwiesen. Es wird durch die Sozialarbeiterin der Notübernachtung für Frauen (im Folgenden NÜF) deutlich gemacht, dass es zunächst darum ginge für die Frauen eine Unterkunftslösung zu finden. Das Thema Kinder sei daher nicht vordergründig (Krägeloh: 52–56). Zudem sei das Setting in der NÜF nicht angemessen, um über die Kinder der wohnungslosen Frauen sprechen zu können (a. a. O: 59–60). Hingegen stehen laut Frau Graue-Greve beim Jugendamt eher die Kinder und weniger die Frauen im Vordergrund. Für die Interviewpartnerin des Jugendamtes liegt in ihrer Arbeitspraxis bei der Zielgruppe immer ein Kinderschutzfall vor: „Eine wohnungslose Frau mit Kind, da müssen wir auf alle Fälle das Kind in Obhut nehmen“ (Graue-Greve: 107–108). Dass ein minderjähriges Kind mit einer wohnungslosen Mutter den Kinderschutz betreffe, bestätigt auch die Sozialarbeiterin der SWH. Jedoch sähe das Jugendamt ihres Bezirks das anders (Müller-Bittner: 165–166). In der Frauenwohnstatt hingegen hat die interviewte Sozialarbeiterin in ihrer täglichen Arbeit mit wohnungslosen Frauen und deren minderjährigen Kindern zu tun, da die Einrichtung konzeptionell sowohl auf alleinstehende Frauen als auch auf Frauen mit Kindern ausgerichtet und demzufolge auch räumlich ausgestattet ist: „[W]ir haben hier in der Einrichtung speziell Plätze für wohnungslose Frauen mit Kindern, also zwei, und von daher ist es immer wieder ein Thema. Und es ist für uns immer wieder eine ganz besondere Arbeitsweise, weil die Kinder da mit dran hängen.“ (Druba: 14–16) Weiter erklärt sie, dass die Arbeit mit wohnungslosen Frauen und deren Kinder einen „ganz große[n] Anteil“ ihrer Arbeit darstelle (a. a. O.: 62), indem sie den Müttern erklärten, dass man ihnen ihre Kinder nicht wegnehmen werde (a. a. O.: 61–64). Diese Befürchtung von Klientinnen erschwert laut ihrer Aussage die tägliche Arbeit in der Frauenwohnstatt und wird im nächsten Abschnitt noch näher betrachtet. Trotz der geringen Präsenz des Themas in der Arbeitspraxis wird deutlich gemacht, dass die Thematik „wohnungslose Frauen mit minderjährigen Kindern“ wichtig sei, der Anteil von Frauen mit Kindern in Wohnhilfemaßnahmen zunehme (Müller-Bittner: 171–172) und es daher im Hilfesystem noch viel zu tun gebe (Pfahler: 368–379). In Bezug auf die Arbeitspraxis berichtet Herr Pfahler, „dass wir im Moment noch damit zu tun haben, die Angebote in der Wohnungslosenhilfe darauf auszurichten, dass sie für Frauen auch möglichst ohne Schwellen sind und dass Frauen Zugang haben“ (a. a. O.: 28–30). Jedoch stelle sich die Frage, ob noch Kinder im Hintergrund bzw. fremduntergebracht sind, erst viel später (a. a. O.: 30–33).
4. Ergebnisse der Interviews
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Damit ist die Zielgruppe der wohnungslosen Frauen mit minderjährigen Kindern offenbar besonders dann relevant für die Arbeitspraxis, wenn die jeweilige Einrichtung bzw. Behörde konzeptionell hierfür ausgerichtet ist und im Gegenzug weniger relevant, wenn die Konzeption dies nicht ist.
Arbeitsauftrag Neben der Arbeitspraxis, in der wohnungslose Frauen mit minderjährigen Kindern eher einen geringen Stellenwert einnehmen, ist diese Zielgruppe, außer beim stationären Übergangshaus nach § 67 ff. SGB XII für Frauen und ihre minderjährigen Kinder, auch nicht Teil des Arbeitsauftrags der jeweiligen Interviewpartner/innen. Die NÜF richtet sich an alleinstehende wohnungslose Frauen ohne Kinder (Krägeloh: 67–68). Die SWH ist für sozialpädagogische Beratung und Betreuung von erwachsenen Menschen ohne Kinder zuständig sowie für die Vermittlung von Unterkünften an alle wohnungslosen Menschen (Müller-Bittner: 40–43). Das Jugendamt ist für den Kinderschutz zuständig: „... erst wenn kleine Kinder [im Haushalt leben, AG/SH], also wenn es wirklich schlimm wird und wir von Kinderschutz sprechen können, kommen wir bei dieser Klientel ins Spiel“ (GraueGreve: 52–55). Begründet wird dies von der Mitarbeiterin des Jugendamts wie folgt: „Wohnungslosigkeit kann Kinderschutz nicht gewährleisten, das ist dann unsere Aufgabe“ (a. a. O.: 63). In erster Linie geht es in den jeweiligen Einrichtungen, in denen die interviewten Sozialarbeiter/-innen tätig sind, um die wohnungslose Person, gemäß unserer Forschungsfrage also um die wohnungslose Frau. Selbst in der Frauenwohnstatt stehen die Mütter und ihre Kinder nicht gleichermaßen im Vordergrund: „[W]ir können eben nicht Jugendhilfeleistungen anbieten, wir können uns um die Mütter kümmern, aber nicht um die Kinder, da haben wir keine Extrastunden für. Das ist sehr schade, wenn die schon mal hier sind. Natürlich reagieren wir darauf, aber das ist zeitlich nicht wirklich zu händeln.“ (Druba: 31–36) Ausnahme hierbei ist das Jugendamt, bei welchem die Kinder im Mittelpunkt der Arbeit stehen.
4.3 Ursachen der Wohnungslosigkeit von Frauen Die Professionellen sowie die ehemals betroffene wohnungslose Frau wurden nach den Ursachen für das Entstehen von Wohnungslosigkeit bei Frauen befragt. Die Ergebnisse dazu werden differenziert nach direkten und indirekten Ursachen bzw. Auslösern dargestellt.