Vorwort
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Vorwort Ut conclave sine libris, ita corpus sine anima. Cicero
„Ein Raum ohne Bücher ist wie ein Körper ohne Seele.“ Diese Worte Ciceros beschreiben den unschätzbaren Wert von Büchern. Sie sind Träger von Wissen und prägen unsere Gesellschaft und Kultur. Umso wichtiger ist es, sich mit den Veränderungen in der Buchkultur auseinanderzusetzen. Die aktuellen Entwicklungen zeigen, dass Bücher nicht mehr physisch vorhanden sein müssen, um sie zu gebrauchen. Das E-Book hält zunehmend Einzug in die Bibliotheken, Buchhandlungen und Haushalte. Es ist platzsparend, benötigt kein Papier und ist über das Internet überall und zu jeder Zeit verfügbar. Gleichzeitig ist es jedoch an ein technisches Gerät gebunden und letztlich nur eine Nutzungslizenz. Die ersten E-Books gab es bereits Ende der 1990er Jahre, aber erst 2004 kam ein Reader auf E-Ink-Basis von Sony auf den Markt. Mit dieser Art von Bildschirm war es möglich, einen Text ähnlich wie dem auf Papier darzustellen. 2007 wurde der Kindle von Amazon in Amerika eingeführt, der den Erfolg des E-Books maßgeblich vorantrieb.[1] Mit der Popularität des elektronischen Lesens, ob auf dem Reader oder einem anderen Gerät, wird auch der Diskurs um die aktuelle und zukünftige Buchkultur lauter. Wird das E-Book das gedruckte
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Vorwort
Buch ersetzen? Sind gedruckte Bücher überflüssig, oder ist das EBook nur eine vorübergehende Erscheinung? Wie beeinflusst das elektronische Lesen das Leseverhalten? Welchen Einfluss hat das E-Book auf unsere Buchkultur? Vor allem die letzte Frage war der Ausgangspunkt dieses Buches und des Projektes, das diesem vorausging. Es handelt sich hierbei um ein selbst gewähltes Projekt im Rahmen des Masterstudiengangs „Literatur- und Kulturtheorie“ an der Eberhard-KarlsUniversität Tübingen. Das Ziel dabei war es, einen Ausschnitt zum aktuellen Stand der Buchkultur im Zusammenhang mit dem Lesen von E-Books darzustellen. Für eine Online-Umfrage konnten wir über 2.000 Teilnehmer gewinnen, die über ihr Leseverhalten und die Nutzung von E-Books und gedruckten Büchern Auskunft gaben. Zudem haben wir eine Reihe von Interviews mit Personen aus dem Buch- und Verlagswesen geführt, um einen tieferen Einblick in den Wirkungskreis des E-Books zu bekommen. Im ersten Kapitel dieses Buches soll dargestellt werden, wer die Teilnehmer unserer Umfrage sind, das heißt für welche Bevölkerungsgruppe bzw. für welche Leser die Ergebnisse Gültigkeit haben. Im zweiten Kapitel werden die Fragen unterteilt in E-Book-Leser und Nicht-E-Book-Leser ausgewertet, um diese Lesergruppen zu charakterisieren. Das dritte Kapitel beschäftigt sich mit der Akzeptanz und Verbreitung sowie mit dem unterschiedlichen Nutzungsverhalten von E-Books und gedruckten Büchern. Abschließend werden im vierten Kapitel aktuelle Entwicklungen und der Diskurs zur Buchkultur in Verbindung mit E-Books aufgezeigt.
1.2 Demographieanalyse
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Kapitel 1: Einführung
1.1 Methodik Um die Ausgangsfrage „Welchen Einfluss haben E-Books auf die Buchkultur?“ zu beantworten, ist es notwendig, das Leseverhalten und den Umgang mit Büchern zu untersuchen. Wir haben uns dabei für eine Onlineumfrage entschieden, die von uns mit Hilfe des Internetportals www.umfrageonline.de erstellt, durchgeführt und ausgewertet wurde. Die Kernbereiche der Umfrage umfassen die Akzeptanz von E-Books, die Nutzung sowie das Kauf- und Leseverhalten von gedruckten und elektronischen Büchern. Nach einem Pretest mit 10 ausgewählten Teilnehmern wurde die Umfrage am 30. Juli 2013 gestartet. Über einen Umfragelink und über die Internetseite des Portals selbst, konnte die Befragung freiwillig, anonym und selbstständig durchgeführt werden. Für die Teilnahme an der Umfrage musste der Teilnehmer keine Kriterien erfüllen. Um eine Mehrfachteilnahme auszuschließen, wurden die IP-Adressen der Teilnehmer vom Portal vorübergehend gespeichert. Gleichzeitig war es dadurch möglich, die Umfrage zu unterbrechen und zu einem späteren Zeitpunkt fortzusetzen. Der Umfrage-Link wurde über den Mail-Verteiler der Universität Tübingen verschickt sowie in sozialen Netzwerken und einschlägigen
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Kapitel 1: Einführung
Internet-Foren veröffentlicht. Nach einer Laufzeit von zweieinhalb Monaten hat die Umfrage eine Teilnehmerzahl von 2.149 erreicht und wurde am 14. Oktober 2013 geschlossen. Die Umfrage bestand zu einem großen Teil aus Fragen, bei denen Antworten durch Einfach- und Mehrfachauswahl vorgegeben waren. Nur in geringem Maße wurden offene Fragen gestellt. Der Fragenkatalog sowie die Logik des Fragebogens befinden sich gesondert im Anhang. Die Daten für die Auswertung wurden durch das Portal bereitgestellt, zusammengefasst und konnten mit Hilfe einiger Filterfunktionen aufbereitet werden. Diese Daten wurden von uns exportiert und im Hinblick auf eigene Fragestellungen untersucht. Im gleichen Zeitraum der Online-Befragung führten wir zusätzlich Experteninterviews durch. Diese sollten die Herstellungs- und Vertriebsseite beleuchten und so zu einem besseren Gesamtbild beitragen. Insgesamt wurden vier Interviews geführt, die im Anhang beigefügt sind. Es handelt sich hierbei um Gespräche mit Herrn Titus Häussermann (Geschäftsführer) vom Silberburg-Verlag in Tübingen-Bebenhausen, Frau Martina Schuler (Leiterin) und Tilmann Köber (Mitarbeiter) von der Stadtbücherei Tübingen, Frau Susanne Martin (Geschäftsführerin) von der Schiller Buchhandlung in Stuttgart-Vaihingen und Herrn Tobias Schmid (Leiter der E-Commerce Abteilung) von der Osianderschen Buchhandlung Tübingen. Allen Interviewpartnern wurden ähnliche und auf das jeweilige Gespräch bezogene Fragen gestellt. Die Auswertung der Umfrage und der Interviews wurde von uns nach bestem Wissen und Gewissen durchgeführt.
1.2 Demographieanalyse
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1.2 Demographieanalyse: Wer sind die Befragten? Zu Beginn der Auswertung der Umfrage soll ein Überblick über demographische Angaben der Befragten Aufschluss darüber geben, auf welchen Personenkreis sich die Ergebnisse der Auswertung beziehen. Dazu zählen die Angaben zum Geschlecht, Alter, höchsten Bildungsabschluss und der derzeitigen Tätigkeit der Teilnehmer. An der Umfrage haben insgesamt 2.149 Personen teilgenommen, von denen 153 die Umfrage vorzeitig beendet haben. Die Abbruchquote liegt dementsprechend bei 7,1 %. Somit bleiben 1996 Teilnehmer, die die Befragung komplett abgeschlossen haben. Mit 65,7 % liegt der Anteil der weiblichen Teilnehmer deutlich über dem der männlichen mit 34,3 %. Warum der Anteil der weiblichen Teilnehmer fast doppelt so hoch ist, wird durch die Auswertung nicht ersichtlich. Um die Altersverteilung übersichtlicher zu gestalten, wurden die Angaben der Teilnehmer in insgesamt sechs verschiedene Altersgruppen eingeordnet. Dabei lässt sich feststellen, dass 71,4 % aller Befragten jünger als 31 Jahre alt sind. Das Durchschnittsalter aller Befragten liegt bei 29,3 Jahren. In den verschiedenen Altersgruppen sieht die Verteilung wie folgt aus:
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Alter und Geschlecht
Kapitel 1: Einführung
Altersgruppe (in Jahren)
gesamt
weiblich
männlich
n
%
n
%
n
%
14–20
277
12,9
194
13,8
83
11,2
21–30
1257
58,5
870
61,7
387
52,4
31–40
274
12,8
151
10,7
123
16,7
41–50
172
8,0
108
7,7
64
8,7
51–60
125
5,8
76
5,4
49
6,7
> 60
42
2,0
10
0,7
32
4,3
• Fragen 1& 2
Tabelle 1: Altersgruppen- und Geschlechterverteilung
2.147 Teilnehmer
Die Teilnehmer sollten zudem ihre derzeitig ausgeübte Tätigkeit angeben. Die Verteilung der Antworten zeigt die nachstehende Tabelle. derzeitige Tätigkeit
• Frage 3
derzeitige Tätigkeit
n
%
arbeitstätig
703
32,7
nicht arbeitstätig
16
0,8
1379
64,2
Rentner/Pensionär
20
0,9
Hausfrau/Hausmann
6
0,3
andere Tätigkeit
23
1,1
in Ausbildung (Schule, Studium, Ausbildung, Umschulung, etc.)
Tabelle 2: derzeitige Tätigkeit
2.147 Teilnehmer
Mit rund 64 % befindet sich der Großteil der Befragten in einem Ausbildungsverhältnis. Die zweitgrößte Gruppe ist mit rund 33 % die der Arbeitstätigen. 52,1 % der Befragten haben Abitur, 42,3 % einen Hochschulabschluss.
13
1.2 Demographieanalyse
Aus der folgenden Tabelle wird ersichtlich, dass 528 von 909 Teilnehmern mit einem Hochschulabschluss derzeitig arbeitstätig sind. 334 befinden sich noch in Ausbildung. Von 1.118 Teilnehmern mit Abitur absolvieren 1.013 zur Zeit eine Ausbildung. höchster Bildungsabschluss gesamt
arbeitstätig
nicht arbeitstätig in Ausbildung
Rentner/ Pensionär Hausfrau/ Hausmann andere Tätigkeit
Hauptschulabschluss
Realschulabschluss
Berufsschulabschluss
Abitur
Hochschulabschluss
n
12
78
30
1118
909
%
0,6
3,6
1,4
52,1
42,3
n
4
51
24
96
528
%*
0,6
7,3
3,4
13,6
75,1
n
1
1
1
1
12
%*
6,25
6,25
6,25
6,25
75
n
7
22
3
1013
334
%*
0,5
1,6
0,2
73,5
24,2
n
0
0
0
3
17
%*
0
0
0
15,0
85,0
n
0
2
1
2
1
%*
0
33,3
16,7
33,3
16,7
n
1
2
1
3
16
%*
4,35
8,7
4,35
13,0
69,6
* prozentualer Anteil der Tätigkeit mit dem jeweiligem Bildungsabschluss
Tabelle 3: höchster Bildungsabschluss und derzeitige Tätigkeit
2.147 Teilnehmer
Da der Fragebogen unter anderem über den Mail-Verteiler der Universität Tübingen versendet wurde, ist davon auszugehen, dass es sich hierbei zumeist um Studierende und Mitarbeiter der Universität handelt.
höchster Bildungsabschluss
• Fragen 3 & 4
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Kapitel 1: Einführung
Es lässt sich eindeutig feststellen, dass die Auswertung der Umfrage für eine begrenzte Gruppe von Personen repräsentativ ist. Am stärksten ist die Gruppe der 21–30-jährigen vertreten, die sich derzeit in einer Ausbildung befinden und einen höheren Bildungsabschluss besitzen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit handelt es sich hierbei um Studierende im Kreis Tübingen, Baden-Württemberg. Eine weitere große Gruppe ist die der 21–50-jährigen, die in einem Arbeitsverhältnis stehen und ebenfalls das Abitur oder die Hochschule absolviert haben. Damit haben 94 % aller Befragten einen höheren Bildungsabschluss. Mit 65 Teilnehmern sind die Gruppen der Nichtarbeitstätigen, der Rentner/Pensionäre, der Hausfrauen/Hausmänner und derer, die einer anderen Tätigkeit nachgehen, unterrepräsentiert. Die Altersgruppe ab 60 Jahren ist nur mit 42 Teilnehmern vertreten. Somit sind die Ergebnisse der Umfrage für diese Gruppen nicht repräsentativ.
49
4.1 Chancen und Herausforderungen
Kapitel 4: Das E-Book
Diskurs
der
im aktuellen
Buchkultur
4.1 Chancen und Herausforderungen Nachdem wir die Ergebnisse unserer Umfrage vorgestellt haben, möchten wir abschließend auf die von uns durchgeführten Interviews mit Vertretern aus dem Buchhandel und dem Verlags- und Leihwesen eingehen und mithilfe verschiedener Publikationen einen Blick auf die Chancen und Herausforderungen des E-Books werfen, welche eng mit der Zukunft des Buches zusammenhängen. Während der Interviews fiel zunächst auf, dass es keineswegs ein eindeutiges Verständnis darüber gibt, ob E-Books als Bücher zu betrachten sind oder nicht. Für Herrn Häussermann, Gründer des Silberburg-Verlags, sind E-Books beispielsweise gleichwertige Bücher, da sich ein Buch in seinen Augen nicht durch das Papier definiert, sondern durch seine Funktion. Die E-Books, die in seinem Verlag erscheinen, bezeichnet er als „Derivat des gedruckten Buches“, da der Verlag gegenwärtig keine E-Books veröffentlicht, denen nicht eine Printausgabe voransteht. Für Susanne Martin, Geschäftsführerin der Schiller Buchhandlung in Stuttgart, ist ein E-Book hingegen kein Buch, insofern das elektronische Lesen in ihren Augen den Zugang zum Buch erschwert. Auf die Frage, ob E-Books demnach nicht zur Buchkultur gehören würden, schlussfolgerte sie: „Eine Datei ist an sich kein Buch, aber wenn ein Buch nur über den Inhalt oder den Text definiert wird, gehört natürlich auch ein E-Book zur Buchkultur. Insofern ist es ein Zwitter.“
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Kapitel 4: Das E-Book im aktuellen Diskurs der Buchkultur
Auch in den Publikationen zur Buchkultur, die aktuell genug sind, um sich mit dem E-Book auseinanderzusetzen, finden sich verschiedene Auffassungen. Michael Schikowski sieht in den E-Books erweiterte Bücher, die die Printausgabe sogar defizitär erscheinen lassen, da sie keine Links beinhaltet und keine Such- und Kommentarfunktion bietet. E-Books haben als Digitalisat seiner Meinung nach auch einen anderen Kontext als Bücher, und werden sich unter anderem auch dadurch in Zukunft weiter vom Buch entfernen. [2] Marion Janzin und Joachim Güntner stellen in ihrer Untersuchung zur Buchgeschichte fest, dass das Buch zunehmend seinen Körper verlässt, etwa in Form von Hörbüchern oder E-Books. Letztere sind in den Augen der Autoren nur eine Metapher des Buches, und nicht das Buch selbst. Dies liegt auch darin begründet, dass elektronische Medien in ihren Augen nicht gelesen, sondern vielmehr genutzt werden. Der Umgang mit den beiden Medien ist also ein anderer, was dazu führt, dass das Leseverhalten im elektronischen Bereich eigentlich nur imitiert wird. Demnach wäre das E-Book in ihren Augen nicht mit einem Buch gleichzusetzen. [3] Detlef Bluhm verweist ebenso auf die Imitation, denn in seinen Augen ist das gegenwärtige E-Book nur eine Kopie des Buches, die aber dennoch eine Medienrevolution auslösen könnte, die es so noch nicht gab, da sich beide Medien des exakt gleichen Inhalts bedienen. Dies werde sich erst ändern, wenn sich das E-Book vom Buch entfernt und eigenständiger wird. In diesem Fall ist es dann weder die Kopie eines Buches, noch ein Ersatz, sondern ein neues Medium mit einem eigenen Kontext. [4] Gegenwärtig ist die genaue Definition von E-Books bzw. deren Einordnung als Mediun scheinbar noch unklar. Vielleicht fällt es auch deshalb schwer, E-Books zu charakterisieren, weil sie schon heute Funktionen haben, die Büchern nicht gegeben sind, obwohl sie noch sehr an das traditionelle Buch angelehnt sind. Dazu zählen etwa die
4.1 Chancen und Herausforderungen
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Stichwortsuche im Text, integrierte Wörterbücher, die das sofortige Nachschlagen von Begriffen und Fremdwörtern ermöglichen und Hyperlinks, die direkt zu den Anmerkungen oder Internetseiten führen. Diese Möglichkeiten erleichtern vor allem das Arbeiten mit wissenschaftlichen Texten, weshalb E-Books im Bereich der Fachliteratur sehr geschätzt werden. Dort sind sie schon heute mehr als nur eine Kopie des Buches, zumal im wissenschaftlichen Bereich oft nur E-Book-Ausgaben erscheinen. Doch selbst diese Funktionen wirken nur wie ein Vortasten in den Bereich der Möglichkeiten, wenn man bedenkt, welch hohes Potenzial E-Books als digitale Objekte haben. Begrenzt werden sie im Moment noch durch die eingeschränkten Möglichkeiten des E-InkDisplays bzw. der dauerhaften Leseunfreundlichkeit von regulären Bildschirmen. Werden diese Hindernisse überwunden, könnten sich E-Books in ein ganz eigenes Medium entwickeln, in welchem der Text beispielsweise durch kapitelspezifische Musik untermalt oder durch Videosequenzen ergänzt wird. Infolgedessen müssten auch die E-Reader eine Neuentwicklung erfahren bzw. zunehmend mit Tablets verschmelzen. Tobias Schmid, Leiter der E-Commerce Abteilung der Buchhandelskette Osiander, meint dazu folgendes: „Das E-Pub-Format und auch die meisten PDF-Formate sind mit den Zusatzfunktionen, die ein Reader bietet, wie etwa Durchsuchbarkeit des Textes oder Hyperlinks, ganz nett. Aber eigentlich kann ein digitaler Inhalt unendlich viel mehr, etwa die Einbindung von Videos, Musikdateien und ähnliches. […] Es wird zukünftig E-Books geben, die besser sind, weil sie besser gemacht sind. […] Und wenn wir die erweiterten EBooks bekommen, brauchen wir Lesegeräte, mit denen man sie sinnvoll nutzen kann. In Zukunft wird ein Reader heutiger Machart wahrscheinlich antiquiert sein.“
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Kapitel 4: Das E-Book im aktuellen Diskurs der Buchkultur
Susanne Martin formuliert es so: „Ich denke, da werden Kunstformen entstehen, die dann keine Literatur mehr sind, sondern vielleicht eine Mischung aus Buch, Film und Spiel […]. Es wird sich etwas Neues entwickeln, was gar nicht mehr unbedingt mit Buch, Buchhandel oder Verlag zu tun haben muss.“ Auch Herr Häussermann sieht in dem gegenwärtigen E-Book noch nicht das Ende der Entwicklung: „Ich glaube, dass das E-Book, wie wir es heute kennen, nämlich als Transport des gedruckten Buches auf die elektronische Ebene, in 10 Jahren vergessen ist. Es wird der elektronischen Ebene in keiner Weise gerecht und deshalb nicht überleben.“ Es scheint, als hätte das E-Book seine Chancen nicht in der Imitation des Buches, sondern gerade in seiner Eigenständigkeit und den individuellen Möglichkeiten. Um diese entfalten zu können, und nicht mehr nur ein „Derivat des gedruckten Buches“ (Häussermann) zu sein, muss es sich von seinem Vorbild lösen und von den Verlagen und Geräteherstellern neu gedacht werden. Denn wenn das E-Book es schafft, eine (Lese-)Erfahrung zu bieten, wie es das Buch nicht kann, könnte eine höhere Akzeptanz geschaffen werden, die die Anschaffung eines Lesegerätes und den zur Printausgabe fast identischen Preis für einen größeren Kundenkreis rechtfertigen. Neben den erweiterten Möglichkeiten werden E-Books auch Einsparungen durch fehlende Druck-, Lager- und Transportkosten als Vorteile zugeschrieben. Man könnte meinen, E-Books wären demnach eine Win-win-Situation, da sie eine weitere Verwertung des Buches ohne große Mehrkosten ermöglichen. Dass dem nicht ohne Weiteres zugestimmt werden kann, konnten wir in unseren Interviews feststellen, die im Gegenteil aufzeigen, dass das E-Book
4.1 Chancen und Herausforderungen
53
sowohl beim Verleger, als auch bei den Händlern Kosten verursacht, die nicht immer abgefangen werden können. Herr Häussermann machte etwa auf folgendes Problem aufmerksam: „In der Regel ist es so, dass wir zunächst ausschließlich für das gedruckte Buch arbeiten und das E-Book in diesem Sinne lediglich als Derivat des gedruckten Buches entsteht. Eigentlich müsste bereits zu Beginn, oder zumindest in einem früheren Stadium des Herstellungsprozesses, eine Trennung stattfinden. Für das E-Book bedeutete dies allerdings, obwohl die Stückinvestitionskosten geringer sind, da Druck- und Lagerkosten entfallen, ein Mehr an Entwicklungskosten ohne eine Steigerung des Umsatzes. Der Ladenpreis für E-Books liegt unter dem für gedruckte Bücher, und grundsätzlich kaufen die wenigsten zum E-Book zusätzlich das gedruckte Buch und umgekehrt.“ Die Entwicklungskosten für die E-Book-Ausgabe entstehen durch Dienstleister, die für den Verlag die Distribution, Konvertierung und Abrechnung der E-Books übernehmen, da diese Aufgaben in kleinen und mittelgroßen Verlagen häufig nicht übernommen werden, da die Ressourcen und/oder Kenntnisse fehlen. So kommt es, dass viele E-Books etwa in Indien entstehen. Der Verlag investiert also für die Erstellung der E-Book-Version zusätzlich zum gedruckten Buch Geld, welches nicht immer durch das Einsparen von Druck-, Lager- und Transportkosten ausgeglichen wird. Auch der Verkauf garantiert keinen Gewinn, da der Preis, wie Herr Häussermann erwähnte, geringer ist, als der der Printausgabe. Auch für die Händler stellt das E-Book mitunter eine Belastung dar, da die Gewinnspanne gering ist und die Serviceleistungen und damit -kosten im Support und der Beratung ansteigen.
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Kapitel 4: Das E-Book im aktuellen Diskurs der Buchkultur
Frau Martin antwortete auf die Frage, ob sie E-Books als eine Erweiterung oder Chance für den Buchhandel versteht, folgendes: „Von Erweiterung kann man vielleicht sprechen, aber von einer Chance ganz bestimmt nicht. Der stationäre Handel kommt dabei nicht so gut weg. Wir verlieren den Umsatz im Printbereich und können ihn nicht annähernd mit dem Umsatz im digitalen Bereich kompensieren, weil die Provisionen zu niedrig sind. Ich habe es eher als Service gesehen, und am Anfang dachte ich auch noch, man hätte als Buchhandlung eine Chance. Aber so, wie die Lage im Moment ist, seit ungefähr einem Jahr, glaube ich nicht mehr wirklich daran.“ Eine Folge der Umsatzeinbußen sind die zunehmenden Non-BookArtikel in Buchhandlungen, wie etwa Spiele, Schreibwaren oder Geschenkartikel. Frau Martin räumte ein, dass diese Produktkategorie eine Möglichkeit ist, den sinkenden Printbuch-Verkauf abzufangen, und sie in ihrem Fall bereits 10 % des Gesamtumsatzes ausmacht. Im weiteren Verlauf des Interviews kritisiert Frau Martin zudem, dass sie nun gezwungen ist, sich mit Dingen zu befassen, die ihrer Meinung nach nicht unbedingt in den Arbeitsbereich einer Buchhändlerin gehören, etwa die Auseinandersetzung mit dem Kopierschutz, der Adobe ID und den Problemen, die diesbezüglich bei ihren Kunden entstehen: „Wie gesagt, ich bin gezwungen, mich damit zu beschäftigen, aber begeistert bin ich davon nicht. Ich war am Anfang sehr optimistisch. Mittlerweile bin ich sehr desillusioniert, weil ich sehe, dass wir plötzlich Dinge tun müssen, die uns nicht entsprechen.“ Dass durch die Einführung von E-Books auch ein höherer Aufwand an Serviceleistungen entsteht, konnte uns auch Tobias Schmid bestätigen. Im Interview erläuterte er ausführlich, welche