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Berliner Beiträge zu Bildung, Gesundheit und Sozialer Arbeit
Band XV
Soziale Arbeit und Politische Bildung in Zeiten des Rechtsrucks Perspektiven auf extreme Rechte und Mehrheitsgesellschaft
Herausgegeben von Esther Lehnert und Elène Misbach
Schibri-Verlag Berlin • Milow • Strasburg
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Die Schriftenreihe der Alice-Salomon-Hochschule Berlin thematisiert aktuelle Erkenntnisse und wichtige Positionen. Ziel ist es, fruchtbare Diskussionen auf den Weg zu bringen und den wechselseitigen Transfer zwischen Wissenschaft und Praxis im Bildungs-, Gesundheits- und Sozialbereich zu initiieren und zu intensivieren.
Der wissenschaftliche Beirat Prof. Dr. Friederike Baeumer Prof. Dr. Swantje Köbsell Dipl. Pol. Sieglinde Machocki M. A. Prof. Dr. Gudrun Piechotta-Henze Prof. Dr. Corinna Schmude
© 2022 by Schibri-Verlag Am Markt 22 17335 Strasburg E-mail: info@schibri.de Homepage: www.schibri.de
Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlags. Alle Rechte vorbehalten Printed in Germany ISBN 978-3-86863-245-3
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Inhaltsverzeichnis
Einleitung Esther Lehnert und Elène Misbach
Antisemitismuskritische Bildungsarbeit Nora Sgraja
Kritische Betrachtungen des Verhältnisses von Antisemitismus, antimuslimischem Rassismus und weißer Mehrheitsgesellschaft in der Erinnerungskultur und dessen Bedeutungen für die politische Bildungsarbeit Hannah Ferreira und Viktoria S. Hoyermann
„Wenn wir eine Gesellschaft der Vielen wollen, müssen wir uns vom Feuerwehrprinzip verabschieden“ Arnon Hampe von der Praxisstelle ju:an im Gespräch über politische Bildungsarbeit mit Jugendlichen Agit Kadino und Emilia Zimmermann
„Nah dran“ – ein Animationsfilm über Frauen in der Neuen und extremen Rechten Franziska Drabner
Erinnerungsarbeit aus der Betroffenenperspektive Ein Interview mit Mala Reinhardt über ihren Dokumentarfilm „Der zweite Anschlag“ Tabo Löchelt und Laura Ciomperlik
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Völkische Weiblichkeitskonstruktionen, Familismus und die Präventionspotenziale feministischer Mädchen*arbeit Antonia Meißner „Kein Mädchen ist von Natur aus großartig“ – Wie der „Mädchen-Ratgeber“ jung, weiblich, rechts die Frauen der extremen Rechten in Schach halten will Vero Bock
Eine Bestandsaufnahme rechtsradikaler Strukturen im Internet und Impulse für Gegenstrategien Friederike Thiele
„Und über allem prangte an der Wand die Reichskriegsflagge“ Rechte Formierung im Kontext Akzeptierender Jugendarbeit in den 1990er Jahren Jannis Schröder
Ein Generalverdacht ist notwendig Kolja Didzoleit
Frauen*, Mütter, Männer*, Krieger: Naturalisierte und retraditionalisierte Geschlechterrollen als Kitt antidemokratischer Bewegungen im Kontext von Verschwörungsnarrativen und Ideologien der Ungleichwertigkeit. Esther Lehnert und Vero Bock
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Einleitung Esther Lehnert und Elène Misbach „Relevant sind die Entwicklungen am rechten Rand, aber mittlerweile auch in der Mitte der Gesellschaft insofern, als mit ihnen sowohl Spezialisierungsbereiche der Sozialen Arbeit wie die Prävention berührt sind als auch die ethisch-politische Ausrichtung Sozialer Arbeit als Profession im Ganzen gefragt ist. Denn die Programmatiken rechtspopulistischer Bewegungen definieren Zugehörigkeit oftmals über ethnisierte bzw. kulturalisierte Zugehörigkeitskategorien und greifen so Kernbestände Sozialer Arbeit an, in denen es um eine Teilhabe für alle Menschen unabhängig von Geschlecht, sexuellen Präferenzen, Nationalität oder Migrationshintergrund und Hautfarbe geht.“ (Milbradt & Wagner, 2017, S. 276)
Entstehung und Kontext Aus dem unserer Einleitung vorangestellten Zitat wird deutlich, wie unabdingbar eine Auseinandersetzung mit „dem Rechtsruck“ für die Soziale Arbeit ist. Bevor wir auf die Notwendigkeit und Dringlichkeit dieser Auseinandersetzung eingehen, möchten wir in einem ersten Schritt auf die Entstehungsgeschichte und den Kontext dieser Publikation eingehen. Die vorliegende Publikation ist aus einem Projektmodul im Bachelor Soziale Arbeit an der Alice-Salomon-Hochschule Berlin entstanden. Geleitet wurde das Projektmodul vom Sommersemester 2019 bis einschließlich Wintersemester 2020/2021von Prof. Dr. Esther Lehnert und Elène Misbach sowie im Wintersemester 2019/2020 zusätzlich begleitet von Ann Wiesental. Das viersemestrige Projektseminar ist aufgrund seines Studienformats und seiner partizipativen Konzeption auch curricular das „Herzstück“ des Studiums der Sozialen Arbeit im Bachelor an der ASH Berlin. Es bietet Studierenden in der Regel vom vierten bis zum Ende des siebten Fachsemesters in zwei aufeinander aufbauenden (jeweils 2-semestrigen) Modulen gute Möglichkeiten für einen – systematisch in das Curriculum eingelassenen – Theorie-Praxis-Transfer sowie für eine vertiefende professionelle Orientierung. In der Regel – und auch in unserem Fall – entscheiden sich Student*innen im zweiten Semester für ein Thema und suchen sich hierfür selbstständig Dozierende aus. Der gesamte Prozess der vier Semester gestaltet sich idealtypisch als partizipativer demokratischer Prozess. Das Thema des Projektse-
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minars – und damit auch das des vorliegenden Sammelbandes – ist auf diese Weise zustande gekommen. Bereits in der Konzeptionsphase des Projektes war dem Feld der Politischen Bildung eine große Relevanz eingeräumt worden. Politische Bildung verstehen wir als immanent wichtigen und angrenzenden Bereich für Soziale Arbeit. Methoden und Inhalte von rassismus- und/oder antisemitismuskritischer Bildungsarbeit finden sich bereits jetzt in vielen Bereichen und Handlungsfeldern (z.B. parteiliche Mädchen*arbeit, offene Kinder- und Jugendarbeit, Schulsozialarbeit) und sollten unserer Einschätzung nach – auch unter der Perspektive von Demokratiearbeit und Rechtsextremismusprävention – in allen Bereichen Sozialer Arbeit berücksichtigt werden. Darüber hinaus haben wir weitere Handlungsfelder Sozialer Arbeit in den Blick genommen und auch nach Auswirkungen und Implikationen eines gesamtgesellschaftlichen Rechtsrucks für die Soziale Arbeit als Profession gefragt. Wir nehmen hier eine interdisziplinäre Perspektive ein, unter der wir den erstarkenden Rechtspopulismus bzw. völkisch-autoritären Populismus (vgl. Häusler, 2018) als gesamtgesellschaftliche Herausforderung und damit auch für Soziale Arbeit (und politische Bildung) betrachten (vgl. Haase et al., 2020; Reimer, 2013). Im ersten Semester des Projektmoduls haben wir als Seminar gemeinsam den Studientag Rechtsextremismus an der Frankfurt University of Applied Sciences besucht (Frankfurt UAS, 2019). Aus dem Projekt-Seminar heraus entstand der Wunsch, ebenfalls einen Studientag in Berlin zu organisieren, der sich konkret mit unseren spezifischen Zielsetzungen und Fragestellungen beschäftigen sollte. Die intensiven Eindrücke aus der zweiten gemeinsamen Exkursion im zweiten Semester zum Tribunal NSU-Komplex auflösen in Chemnitz und Zwickau im November 2019 (Tribunal, 2019) haben diesen Wunsch noch einmal verstärkt. Da die Covid19-Pandemie seit März 2020 unser individuelles und gesellschaftliches Leben und auch das gemeinsame Lernen an der ASH Berlin komplett umgekrempelt hat, haben wir uns entschlossen, stattdessen unsere für uns wichtigen Lernprozesse, Erkenntnisse und Gedanken schriftlich festzuhalten und einen Sammelband als gemeinsames Endprodukt herauszugeben.1 Die Artikel des Sammelbandes sind in der Hauptsache von Studierenden des Projektseminars sowie studentischen Teilnehmer*innen an den erwähnten Exkursionen verfasst. Das Redaktionsteam besteht aus Lehrenden und Studierenden. 1
Lehre wurde an der ASH Berlin – so wie an allen anderen Universitäten und Hochschulen bundes- und weltweit – nahezu vollständig von heute auf morgen von Präsenz auf Online-Lehre umgestellt. So haben wir das zweite Modul unseres Projektseminars, d.h. das dritte und vierte Semester, vollständig im Online-Modus verbracht und entsprechend umgestalten müssen.
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Gesellschaftspolitischer Kontext Durch die Pandemie haben sich gesellschaftliche Problemlagen und Polarisierungen zusätzlich verschärft und dynamisiert sowie an Komplexität gewonnen: So vertiefen sich in der Pandemie soziale Ungleichheiten und grassierende Verschwörungserzählungen sorgen für einen Anstieg der Ideologien der Ungleichwertigkeit. Auf Anti-Corona-Demonstrationen mischen sich besorgte (und vermeintlich besorgte) Bürger*innen, Familien mit Kindern aus allen politischen Spektren, Esoteriker*innen, Impfgegner*innen, Anhänger*innen von Verschwörungsideologien mit organisierten rechtspopulistischen und extrem rechten Gruppen. Durch eine fehlende Abgrenzung werden (extrem) rechte Einstellungen normalisiert2 und z.B. die Verwendung holocaustrelativierender Symboliken wie das Tragen des im nationalsozialistischen Regimes eingeführten so genannten gelben „Judensterns“ mit der Inschrift „ungeimpft“ auf die Straße getragen und verbreitet. In sozialen Medien und Netzwerken werden Ideologien der Ungleichwertigkeit zusätzlich von einer großen gesellschaftlichen Verunsicherung befeuert. Rechte und rechtsextreme Kanäle erhalten immer mehr Zulauf und tragen erheblich zu einer Verbreitung von Verschwörungsmythen und -ideologien bei3. Diese Entwicklung ist in spezifischer Weise lokal sowie regional deutschlandweit zu beobachten, jedoch auch international ein besorgniserregendes Phänomen. Darunter ist bedauernswerterweise rechter Terror besonders hervorzuheben. In der Zeit unseres Projektmoduls von April 2019 bis März 2021 ereigneten sich in zeitlich dichter Folge in Deutschland mehrere rassistisch und antisemitisch motivierte Anschläge, bei denen dreizehn Menschen ihr Leben verloren und zahlreiche weitere als Überlebende mit den Folgen und für Aufklärung kämpfen: Der Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke am 1. Juni 2019 durch einen einschlägig bekannten Rechtsextremisten, der antisemitische und rassistische Anschlag am 9. Oktober 2019 – am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur – auf Menschen in der Synagoge in Halle, und nach erfolglosem Eindringen in die Synagoge der Mord an einer Passantin Jana L. und einem jungen Mann Kevin S. in einem nahegelegenen Dönerlokal4 sowie der rassistische Anschlag am 19. Februar 2020 in Hanau, bei dem zehn Menschen ermordet wurden5: Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, 2 3 4 5
Vgl. den Beitrag von Esther Lehnert und Vero Bock in diesem Band. Vgl. den Beitrag von Friederike Thiele in diesem Band. Vgl. das von Mia Gerlach und Pauline Zimmermann mit Rachel Spicker geführte Interview in diesem Band. Studierende des Projektseminars haben sich mit dem rassistischen Anschlag in Hanau und den Folgen für die Angehörigen auseinandergesetzt und für einen Podcast ein Interview mit Seda Ardal von der Initiative 19. Februar geführt, in dem sie sechs Monate nach der Tat die Erinnerungskultur zu diesem Attentat beleuchten. Der Podcast von Mia Gerlach, Agit Kadino, Tabea Schäfer und Nora Sgraja wurde zum Halbjahrestag des Attentats am 19. August 2020 auf der Website „Wissenschaftspodcast der Alice Salomon Hochschule Berlin“ veröffentlicht: https://soundcloud.com/alicesalomonhochschule/6-monate-nach-hanau-interview-mit-sedaardal-von-der-initiative-19-februar
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Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtović, Vili Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar, Kaloyan Velkov sowie die Mutter des Täters Gabriele Rathjen. Die Täter von Kassel und Halle standen bis Januar 2021 bzw. bis Dezember 2020 vor Gericht6. Hinzu kam auf Seiten (zivil)gesellschaftlicher, antifaschistisch und migrantisch organisierter Gegenöffentlichkeit unter anderem das dritte Tribunal NSUKomplex auflösen in Chemnitz und Zwickau im November 2019 (Tribunal, 2019). Gleichzeitig hat der Mord an dem Afroamerikaner George Floyd in Minneapolis im US-Bundesstaat Minnesota durch einen weißen Polizisten am 25. Mai 2020 international für große Solidarisierungen mit der Bewegung Black Lives Matter gesorgt und das Thema Polizeigewalt und Rassismus7 weltweit sowie auch in Deutschland wieder verstärkt auf die Agenda gesetzt.
Zentrale Begriffe In den verschiedenen Beiträgen erfolgt die Verwendung zentraler Begriffe wie „Rechtsextremismus“, „extreme Rechte“, „Rechtspopulismus“, „Rassismus“ und „Antisemitismus“ nicht einheitlich. Eine bestimmte Definition wollten wir auch bewusst nicht vorgeben, da es sich hier um wissenschaftliche Kontroversen handelt, zu denen sich Studierende im Laufe ihres Studiums und ihrer weiteren wissenschaftlichen Auseinandersetzung eigene Verwendungen aneignen können und sollen. Seit Jahren setzen sich Wissenschaftler*innen und Fachöffentlichkeit über die Verwendung der „richtigen“ Begrifflichkeiten auseinander und bis heute gibt es keine Einigung darüber. Innerhalb der Sozial- und Politikwissenschaften gibt es einen Konsens, von Rechtsextremismus zu sprechen. Wir sprechen von Rechtsextremismus und auch von extremer Rechter. Wenn wir von Rechtsextremismus sprechen, rekurrieren wir damit auf die Gesamtheit von undemokratischen, antipluralistischen, geschichtsrevisionistischen und autoritaristischen Einstellungen, Verhaltensweisen und Aktionen von organisierten und nicht-organisierten Einzelpersonen und Gruppen, die eine Ungleichheit von Menschen proklamieren und darauf abzielen, entsprechende Macht- und Herrschaftsverhältnisse zu etablieren oder zu verstärken (vgl. Jaschke, 2001; Virchow, 2016). Seit den 1990er Jahren verweisen Wissenschaftlerinnen* auf die Relevanz binärer Geschlechtervorstellungen im Rechtsextremismus 6
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Das Urteil zum Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke wurde am 28. Januar 2021 am OLG Frankfurt am Main verkündet, die Urteilsverkündung zum Anschlag in Halle erfolgte am 21. Dezember 2020 am OLG Naumburg. Beide Prozesse wurden von zahlreichen unabhängigen zivilgesellschaftlich getragenen Prozessbeobachtungen begleitet, darunter auch die Initiative NSU-Watch, die im Sommer 2020 ein Buch zum fünfjährigen Prozess zum NSUKomplex veröffentlicht hat (NSU-Watch, 2020). Auch einige der Erkenntnisse aus den Prozessbeobachtungen und deren Relevanz für Handlungsfelder Sozialer Arbeit und politischer Bildungsarbeit sind in unsere Auseinandersetzungen im Projektseminar eingeflossen. Vgl. den Beitrag von Kolja Didzoleit in diesem Band.
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und der damit einhergehenden strukturellen Abwertung von Frauen (vgl. u.a. Antifaschistisches Frauennetzwerk, Forschungsnetzwerk Frauen und Rechtsextremismus, 2005; Birsl, 2011; Lehnert & Radvan, 2016). Wir orientieren uns mit der Formulierung „extrem rechts“ an einer Definition, die eine Alternative eröffnet zu der Vorstellung von bedrohlichen „Rändern“ und einer „guten Mitte“ der Gesellschaft, wie sie im sogenannten Hufeisenmodell8 oder in Extremismustheorien nahegelegt werden. Als zentrale Bestandteile der Ideologie des modernen Rechtsextremismus gelten Antisemitismus, Rassismus, Rassismus gegen Sinti*zze und Rom*nja sowie antimuslimischer Rassismus, Sexismus und Antifeminismus, Behindertenfeindlichkeit, Nationalismus, Ethnozentrismus, Sozialdarwinismus, Homo- und Transfeindlichkeit sowie Heteronormativität. Diese Einstellungen oder auch Ideologien der Ungleichwertigkeit werden von vielen Personen und in allen gesellschaftlichen Milieus vertreten, sie sind nicht auf einen sogenannten „rechten Rand“ der Gesellschaft begrenzt. Vielmehr bestehen hier Anschlussmöglichkeiten an die sogenannte „gute Mitte“ der Gesellschaft, wobei es zu einer Normalisierung extrem rechter Positionen kommen kann, deren Legitimierung oder auch Verharmlosung. Neben der Einstellungsebene gilt zu berücksichtigen, dass extrem rechte Ideologie Gewalthandeln strukturell impliziert und legitimiert9. Außerdem plädieren wir für die Begrifflichkeit „völkisch autoritär“ (vgl. Virchow, 2018; Häusler, 2018) als Alternative zu „rechtspopulistisch“10. Dabei liegt der Fokus auf der Analyse inhaltlicher Ideologieelemente und der Spezifik strategischer „Agitationsform[en]“ (Häusler, 2018, S. 13), mit denen Akteure die Regeln des Sagbaren brechen, sich z.B. rassistisch, antifeministisch oder antisemitisch äußern, ein „autoritäres Demokratieverständnis sowie [...] völkisch-nationalistische Anschau8
Mit dem Bild vom Hufeisen oder in Extremismusansätzen gerät aus dem Blick, wie weit verbreitet diskriminierende Einstellungen unter vielen Bevölkerungsgruppen sind. Wird Extremismus konzeptionell als Gegenteil von Demokratie gefasst, wird dieser Zusammenhang ausgeblendet (vgl. z.B. Liebscher, 2013). Zudem werden Gleichsetzungen zwischen Rechtsextremismus und sogenanntem Linksextremismus nahegelegt, die angesichts von Unterschieden in ideologischen Zielsetzungen, Inhalten und dem Gewaltverständnis analytisch ebenfalls weniger zielführend sind und eine Verharmlosung von extrem rechter Gewalt und deren ideologischen Zielsetzungen mit sich bringen. 9 Dies ist auch deswegen bedeutsam, weil das Ausüben von Gewalt nicht als Ausnahme oder Abweichung fehlinterpretiert, sondern als konsequente Umsetzung der ideologischen Elemente und Einstellungen betrachtet werden sollte. Mit erheblichen Konsequenzen für zahlreiche Anwendungsfelder Sozialer Arbeit verbunden mit der Frage nach geeigneten Präventionsund Interventionsmaßnahmen. Die Kontroverse, ob zum Beispiel Jugendeinrichtungen oder Stadtteilzentren sich vermeintlich politisch neutral verhalten müssen und ihre Einrichtungen gleichermaßen auch für Anhänger*innen extrem rechter Ideologien und Gesinnung offen halten müssen, ist daher keine Frage individueller (politischer) Haltung, sondern trifft das Kerngebiet Sozialer Arbeit. 10 In einzelnen Beiträgen wird auch der Begriff „rechtspopulistisch“ verwendet.
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ungen“ (Häusler, 2018, S. 9) ebenso wie Verschwörungsideologien verbreiten und erkennbar wenig am Austausch von sachbezogenen Argumenten interessiert sind.
Bedeutung für die Soziale Arbeit „Sozialarbeit ist ein praxisorientierter Beruf und eine akademische Disziplin, die den sozialen Wandel und die Entwicklung, den sozialen Zusammenhalt sowie die Stärkung und Befreiung der Menschen fördert. Grundsätze der sozialen Gerechtigkeit, der Menschenrechte, der kollektiven Verantwortung und der Achtung der Vielfalt sind für die Sozialarbeit von zentraler Bedeutung“ (IFSW, 2014). Mit diesen Worten beginnt die Global Definition of Social Work, auf die sich die internationalen Verbände der Sozialen Arbeit 2014 geeinigt haben. Diesem Anspruch an sich selbst kann die Soziale Arbeit nicht gerecht werden, ohne sich mit menschenverachtenden Haltungen und Ideologien der Ungleichwertigkeit in der Gesellschaft auseinanderzusetzen. Das Verständnis und die Möglichkeit, vorherrschende Deutungsmuster kritisch zu hinterfragen, zählt zu den Kernkompetenzen von Sozialer Arbeit. Ohne die Überlegung, welche politischen Rahmenbedingungen die Auftrags- und Zielstellungen Sozialer Arbeit beeinflussen, läuft Soziale Arbeit als Menschenrechtsprofession Gefahr, auch menschenverachtende, faschistische oder extrem rechte Ideologien und Systeme zu stützen. Eine Soziale Arbeit, die diese aktuellen Ereignisse nicht auf sich und ihre Klientel bezieht, lässt blinde Flecken zu, die für die Marginalisierten der Gesellschaft (die oft genug eben jene Klientel darstellen) gefährlich werden können. In diesem Sinne teilen wir die These von Milbradt und Wagner „dass der Rechtspopulismus für die Soziale Arbeit nicht mehr nur ein externes, durch die Praxis zu adressierendes Problem ist (wie dies z. B. noch für die Arbeit mit rechtsaffinen oder -radikalen Jugendlichen der Fall war), sondern gerade die weite Verbreitung gruppenbezogen menschenfeindlicher und rechtsextremer Einstellungen darauf hindeutet, dass auch die Soziale Arbeit selbst damit ein professions- und disziplininternes Problem hat.“ (Milbradt & Wagner, 2017, S. 277)
Einbettung in den Forschungsstand Lange Zeit wurde dem Thema Auseinandersetzung mit der extremen Rechten und/ oder Rechtspopulismus in der Sozialen Arbeit wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Eine Ausnahme bildete hier das Handlungsfeld Jugendarbeit im Kontext rechtsextremer Orientierungen und Präventionsarbeit (VdK e.V. & MBR, 2006; Köttig, 2008; Krafeld, 1993; Scherr, 1993). Hier standen die Adressat*innen Sozialer Arbeit bzw. Jugendarbeit im Fokus der Auseinandersetzung entlang der grundsätzlichen Fragestellung „Wie umgehen mit Rechtsextremismus“.
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Seit kurzem konstatieren wir jedoch eine zunehmende Auseinandersetzung innerhalb von Profession und Disziplin. Diese Auseinandersetzung schlägt sich unter anderem nieder in verschiedenen Handlungsempfehlungen mit aktuellen Beispielen für die Praxis im Umgang mit rechtsextremen Einstellungen, Rhetoriken, Angriffen und Unterwanderungen sowie im Umgang mit Ideologien der Ungleichwertigkeit (Deutscher Paritätischen Wohlfahrtsverband – Gesamtverband e.V., 2020; Amadeu Antonio Stiftung, 2020; LidiceHaus gGmbH Fachstelle Rechtsextremismus und Familie & Andreas Hechler, 2020). So gibt es indessen auch eine relativ breite professionstheoretische Auseinandersetzung in einschlägigen Fachzeitschriften, wie z.B. Sozialmagazin 5/6 2021 (Fischer & Quent, 2021; Kopke 2021), Sozial Extra 44/2020 (Ehlert et al., 2020; Scherr & Thole, 2020), DZI – Soziale Arbeit 4/2020 (Gille et al., 2020; Köttig, 2020), Archiv für Wissenschaft und Praxis der Sozialen Arbeit 2/2020: Soziale Arbeit und Rechtsextremismus (Großmaß, 2020; Rahner & Quent, 2020). Außerdem wurden in den letzten Jahren einschlägige Sammelbände vorgelegt, die u.a. die Relevanz und Virulenz eines gesellschaftlichen Rechtsrucks bestätigen und nach den Konsequenzen für Soziale Arbeit und politische Bildung fragen. Hier geht es neben der Frage nach Gegenstrategien und Möglichkeiten bzw. Grenzen u.a. von politischer Bildungsarbeit im Umgang mit Rechtspopulismus und Rechtsextremismus (Biskamp, 2017) auch um eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit dem Thema aus einer normativen Perspektive einer an den Menschenrechten orientierten und damit politischen Sozialen Arbeit (Köttig & Röh, 2019; Haase et al., 2020; Boehnke et al., 2019) sowie um die Diskussion von Herausforderungen für spezifische Handlungsfelder (Lehnert & Mayer, 2020; Dietrich, 2019; Stützel, 2019). Zusätzlich wurden aktuelle regionale Studien zu Vorkommen und Einflussnahmen der Neuen Rechte in der Sozialen Arbeit zum Beispiel für NRW vorgelegt (Gille et al., 2020). Nach und nach halten auch die Perspektiven von Opfern und Angehörigen der Opfer rassistischer und antisemitischer Gewalt, von rechtem Terror und speziell des NSU- Komplexes Einzug in wissenschaftliche Analysen und interdisziplinäre Auseinandersetzungen (Bozay et al., 2017; Karakayali et al., 2017, Cholia & Jänicke, 2021), stoßen wichtige Aufarbeitungsprozesse an und geben so auch notwendige Impulse für eine angemessene Erinnerungs- und Gedenkpolitik (Fischer, 2018; NSU-Watch, 2020; Tribunal, 2019) sowie für intersektionale Ansätze in der politischen Bildungsarbeit. Eine wissenschaftliche Auseinandersetzung, die sowohl die Perspektive von Studierenden und Lehrenden im Kontext des Studiums Sozialer Arbeit fokussiert, liegt bislang noch nicht vor. Wir führen von daher mit unserer Publikation die aktuelle,
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wichtige und notwendige Diskussion innerhalb Sozialer Arbeit fort und schließen eine Leerstelle.
Ziele des Sammelbandes Der vorliegende Sammelband schließt an diese verschiedenen Debattenstränge und Zugänge an und verfolgt das Ziel, diese auf unterschiedlichen Ebenen miteinander in Verbindung zu bringen. Wir möchten mit diesem Sammelband einerseits Leerstellen beleuchten, die in der gesellschaftlichen Debatte und im Fachdiskurs, nicht zuletzt durch die beängstigend rasanten Entwicklungen in der extremen Rechten und im Kontext des Rechtspopulismus bzw. völkisch-autoritären Populismus der letzten Jahre, offengeblieben sind. Andererseits wollen wir unserem Lernprozess Rechnung tragen, indem wir Fragestellungen und Themen, die uns fortlaufend über vier Semester hinweg begleitet haben, systematisch und tiefgehend beleuchten sowie in ihren intersektionalen Verschränkungen miteinander in Zusammenhang bringen. Wir möchten im Rahmen der Publikation Raum schaffen für Reflexionen, indem die Praxis Sozialer Arbeit und politischer Bildungsarbeit in konkreten Handlungsfeldern sowie auf der Basis von absolvierten Praktika und Abschlussarbeiten der Studierenden in den Fokus genommen wird. Wir sind der Meinung, dass die Auseinandersetzung mit den Ideologien der Ungleichwertigkeit, die der extremen und Neuen Rechten zugrunde liegen, eine Voraussetzung darstellen für eine universalistische Soziale Arbeit: Als Grundvoraussetzung für eine Soziale Arbeit, die sich an den Menschenrechten ausrichtet, gegen Diskriminierung eintritt, und gegenüber ihren Adressat*innen eine reflexive Parteilichkeit einnimmt. Darüber hinaus ist die Publikation auch als Anregung für Lehrende und Studierende Sozialer Arbeit gedacht. Wir hoffen, dass unsere Reflexionen und Ergebnisse mit dazu beitragen, auch andere Studierende für diese wichtige Auseinandersetzung zu gewinnen und mit dieser Publikation Mut für eigene vertiefende Projekte zu machen. Für Lehrende erhoffen wir uns ebenfalls wichtige Impulse, insbesondere dafür, Projekte über den Tellerrand des klassischen Hochschulalltags hinaus gemeinsam mit Studierenden zu wagen und zu initiieren. Der Sammelband erfüllt dadurch eine Doppelrolle: Er gibt uns die Möglichkeit, eigene und neue Impulse in den Fachdiskurs und in die Lehre zu tragen – womit wir auch unsere gesellschaftliche Verantwortung als Wissenschaftler*innen, Lehrende und Studierende wahrnehmen. Gleichzeitig stellt er ein gemeinsames und auch
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persönliches Abschlussprodukt eines zweijährigen Arbeitsprozesses an der ASH Berlin dar, mit dem wir einen Beitrag zum Transfer von im Studium angeeigneten Wissen (zurück) in die Praxisfelder Sozialer Arbeit und politischer Bildung leisten möchten.
Aufbau des Bandes Im Anschluss an die Einleitung folgen drei thematisch fokussierte Ober-Kapitel sowie zum Abschluss ein Fazit. Das erste Kapitel widmet sich dem Handlungsfeld der Politischen Bildung. Auf die besondere Eignung von Politischer Bildung für eine kritische und fundierte Auseinandersetzung mit dem gesellschaftlichen und politischen Rechtsruck wird u.a. in dem bereits erwähnten Sammelband von Milbradt und Biskamp von 2017 nachdrücklich verwiesen. Die der Politischen Bildung innewohnenden emanzipatorischen und diskriminierungskritischen Potenziale werden in den Beiträgen im ersten Kapitel herausgearbeitet. In ihrem Beitrag Antisemitismuskritische Bildungsarbeit stellt Nora Sgraja fest, dass das Sprechen über Antisemitismus in der deutschen Gesellschaft noch immer verpönt sei und nach wie vor hauptsächlich als historisches Problem des Nationalsozialismus oder der extreme Rechten angesehen wird. Außerdem werde Antisemitismus aktuell als eine Ideologie der (muslimischen oder als muslimisch gelesenen) „Anderen“ an extreme Ränder abgegeben – und somit Antisemitismus als aktuelles gesamtgesellschaftliches Problem verkannt. So werde zwar in den letzten Jahren im Kontext antisemitischer Vorfälle zunehmend die Wichtigkeit von Bildung und Sozialer Arbeit im öffentlichen Diskurs debattiert, jedoch – so die Kritik der Autorin – erst im Kontext antisemitischer Vorfälle und noch viel zu selten als Problem innerhalb der deutschen Mehrheitsgesellschaft. Konsequent arbeitet Sgraja im Weiteren Kriterien für eine antisemitismuskritische Bildungsarbeit im Kontext Sozialer Arbeit heraus, die sich besonders auf Betroffenenperspektiven stützt, ohne jedoch die Bearbeitung und Überwindung antisemitischer Vorstellungen in die Verantwortung von Jüdinnen_Juden zu legen. Hieran schließt der zweite Beitrag von Hannah Ferreira und Viktoria S. Hoyermann zum Verhältnis von Antisemitismus, antimuslimischem Rassismus und weißer Mehrheitsgesellschaft in der Erinnerungskultur und der politischen Bildungsarbeit an. Mit aktuellem Bezug auf die antisemitisch und rassistisch motivierten Terroranschläge in Halle und Hanau und der Tatsache, dass die Attentäter männliche weiße deutsche Täter waren, konstatieren die Autorinnen einen immer noch bestehenden gravierenden Mangel an (selbst)-kritischer Auseinandersetzung mit völkisch-nationalistischen Einstellungen, Rassismen und Antisemitismen innerhalb der weißen Mehrheitsgesellschaft. Dieser Mangel schlägt sich auch in einer einseitigen, homo-
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genisierenden, geschichtsaneignenden und „kompetitiven“ Erinnerungskultur nieder, der sie den Ansatz des „multidirektionalen Erinnerns“ nach Rothberg (2020) entgegensetzen. Ferreira und Hoyermann fokussieren in ihrem Beitrag auf die Frage, wie eine würdige Erinnerungskultur gestaltet werden kann, die der Pluralität der gegenwärtigen Gesellschaft gerecht(er) wird und bisher fehlende marginalisierte Perspektiven und umkämpfte Erinnerungen von z.B. deutschen und migrierten Jüdinnen_Juden, BIPOC11 und muslimischen sowie als muslimisch gelesenen Menschen einbezieht. Ein Paradigmenwechsel, der auch relevant ist für eine politische Bildungsarbeit, die rassismus- und antisemitismuskritische Perspektiven miteinander in Beziehung setzen sollte, wie die Autorinnen zudem herausarbeiten. Ergänzt wird diese Analyse im nächsten Beitrag um eine weitere Perspektive: Agit Kadino und Emilia Zimmermann haben – als besondere Form einer weitergehenden Praxisreflexion ihres studentischen Praxissemesters – mit Arnon Hampe von der Praxisstelle ju:an im Gespräch über politische Bildungsarbeit mit Jugendlichen ebenfalls wichtige Schnittstellen zwischen politischer Bildung, Erinnerungskultur, Antisemitismus und Rassismus, politisch-historischer und kultureller Bildung sowie verschiedener pädagogischer Methoden und Zugänge beleuchten können. Arnon Hampe ist Mitarbeiter der Amadeu Antonio Stiftung in dem Projekt Praxisstelle ju:an Antisemitismus- und rassismuskritische Jugendarbeit, bei dem antisemitismus- und rassismuskritische Ansätze zusammen gedacht werden – so wie es in den beiden Beiträgen vorher auch als Notwendigkeit herausgearbeitet wurde. In ihrem Beitrag „Nah dran“ – ein Animationsfilm über Frauen in der Neuen und extremen Rechten stellt Franzika Drabner überzeugend dar, wie produktiv es sein kann, wenn wissenschaftliche Erkenntnisse – hier insbesondere die Analysen von Lehnert und Radvan zur „doppelten Unsichtbarkeit“ (2016) von extrem rechten Frauen – in eine künstlerische Auseinandersetzung in Form eines Animationsfilms fließen, und so der Zugang zu akademischem Wissen auch für jugendliche Adressat*innen erleichtert werden kann. Drabner führt in die zentrale Handlung und Inhalte des Films ein und argumentiert in ihrem Beitrag, warum der Film eine hilfreiche Diskussionsgrundlage für angehende Pädagog*innen, Sozialarbeiter*innen und Schüler*innen darstellt, die sich aus einer genderreflektierenden Perspektive mit aktuellen Erscheinungsformen von Ideologien der Ungleichwertigkeit auseinandersetzen möchten. Laura Ciomperlik und Tabo Löchelt runden mit ihrem Beitrag Erinnerungsarbeit aus der Betroffenenperspektive. Ein Interview mit Mala Reinhardt zu ihrem Film „Der zweite Anschlag“ das erste Kapitel zum Handlungsfeld Politische Bildungs11 Die Abkürzung BIPOC steht für Black, Indigenous und People of Color.
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arbeit ab. In dem Interview wird die Relevanz einer konsequenten Betroffenenperspektive für eine würdige Erinnerungsarbeit und Gedenkpolitik anschaulich und analytisch prägnant zum Ausdruck gebracht. Gleichzeitig wird auch hier exemplarisch gezeigt, wie der Dokumentarfilm als geeignetes Medium in der (politischen) Bildungsarbeit eingesetzt werden kann. Während im gesellschaftlichen, medialen und juristischen Diskurs in der Auseinandersetzung mit rassistischen und antisemitischen Anschlägen, rechtem Terror sowie dem NSU-Komplex immer noch eine auf Täter*innen fokussierte Sichtweise dominiert, vollzieht der Film einen konsequenten Perspektivwechsel, der auch in wissenschaftlichen Fachdiskussionen zunehmend thematisiert und eingefordert werde – wie Ciomperlik und Löchelt einleitend zusammenfassen. Ausgehend von den Erinnerungen, Perspektiven und Forderungen der Betroffenen und Angehörigen der Brandanschläge in Rostock-Lichtenhagen und Mölln 1992, des Terrornetzwerks NSU sowie von ganz alltäglichen rassistisch motivierten Handlungen eröffnet der Film einen detaillierten Einblick in den Kampf migrantischer Communities gegen Rassismus in Deutschland. Dass zu diesem Kampf auch eine Erinnerungs- und Gedenkkultur gehört, in der Angehörige und Überlebende von Anschlägen Inhalte und Art des Gedenkens aus ihrer Perspektive bestimmen und dabei auch die Kontinuitäten und verschiedenen Facetten von Alltagsrassismen und rechter Gewalt bis hin zu Terror benennen, zieht sich dabei wie ein roter Faden durch das Interview. Das zweite Kapitel ist weiteren Handlungsfeldern Sozialer Arbeit gewidmet. Die vier Beiträge zu parteilich-feministischer Mädchen*arbeit, (akzeptierender) Jugendarbeit sowie zur Relevanz digitaler virtueller Räume für Radikalisierungsprozesse setzen sich aus verschiedenen Perspektiven mit dem strategischen Vorgehen der extremen und Neuen Rechten auseinander, Ideologien der Ungleichwertigkeit zu normalisieren und gezielt anschlussfähig an Diskurse und Praxen der Mehrheitsgesellschaft zu machen. Basierend auf zentralen Analysen ihrer Bachelorarbeit skizziert Antonia Meißner in ihrem Beitrag Völkische Weiblichkeitskonstruktionen, Familismus und die Präventionspotenziale feministischer Mädchen*arbeit die enge Verknüpfung von völkischen Weiblichkeitsnarrativen und gesamtgesellschaftlich weit verbreiteten familistischen Narrativen und plädiert mit Heike Radvan und Christiane Leidinger (2018) dafür, den Begriff des Familismus in die Analysen völkischer Ideologien einzubeziehen. Da menschenverachtende Einstellungen, wie beispielsweise Sexismus, Rassismus und Trans*feindlichkeit, familistischen Vorstellungen alltäglicher Praxen der Gesellschaft entspringen, und somit ohne Weiteres anschlussfähig sind an die so genannte „Mitte der Gesellschaft“, treten sie nicht als anti-demokratisch und problematisch in Erscheinung. Diesen Zusammenhang aufzuzeigen sowie einen machtkritischen Umgang mit Differenz stark zu machen, sieht Meißner als eine wichtige Grundvoraussetzung für Präventionspotenziale feministischer Mädchen*arbeit an.
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Die Autorin versteht in diesem Sinne Mädchen*arbeit auch als Demokratieförderung, da sie Raum schaffe für Empowerment sowie das Einüben demokratischer und diskriminierungssensibler Denk- und Handlungsweisen. Auch Vero Bock stellt in ihrem Beitrag „Kein Mädchen ist von Natur aus großartig“ – Wie der „Mädchen-Ratgeber“ von Brittany Pettibone Sellner die Frauen der extremen Rechten in Schach halten will zentrale Analysen ihrer Bachelor-Arbeit vor. Ausgehend von der grundsätzlichen These, dass die extreme und Neue Rechte seit Jahren strategisch darauf hinarbeite, den Raum des Sagbaren zu erweitern und somit Ideologien der Ungleichwertigkeit zu normalisieren und gezielt anschlussfähig zur Mehrheitsgesellschaft zu machen, analysiert die Autorin diese Strategie am Beispiel des Mädchenratgebers jung, weiblich, rechts von Pettibone Sellner. Mit Verweis auf den programmatischen Text Selbstverharmlosung des neurechten Ideologen und Verlegers Götz Kubitschek arbeitet Bock weibliche rechte Selbstinszenierungen als „doppelte Selbstverharmlosungsstrategie“ extrem rechter Frauen heraus: Rechte Ideologie werde inhaltlich harmloser dargestellt und gleichzeitig durch formale Aspekte entpolitisiert. So täusche auch die vermeintlich unpolitische Form eines Mädchenratgebers sowie entsprechender digitaler Social Media Plattformen über deren rechte Inhalte hinweg und misogyne, sexistische und antifeministische Positionen werden anschlussfähig. Dies impliziere für die – nicht nur parteiliche – Arbeit mit Mädchen*, dass sich Fachkräfte und Profession sowohl mit diesen Positionen und Strategien der extremen und Neuen Rechten auseinandersetzen als auch die digitale Lebensrealität junger Menschen anerkennen müssen. Schließlich fordert Bock von Sozialer Arbeit als Menschenrechtsprofession ein, die Schnittstellen genau zu beleuchten, über die Akteur*innen der Ideologien der Ungleichwertigkeit Zugänge finden und Brücken bauen zu (vermeintlich) unpolitischen Themen – und auf diese Weise feministische, antifaschistische, rassismus- und antisemitismuskritische Errungenschaften der demokratischen Gesellschaft in Gefahr bringen. An diese Normalisierungsstrategien und der strategischen Nutzung und Bedeutung digitaler Räume für Radikalisierungsprozesse schließt der Beitrag Eine Bestandsaufnahme rechtsradikaler Strukturen im Internet und Impulse für Gegenstrategien von Friederike Thiele an. Die Autorin nimmt in den Blick, wie „rechtsradikale Gruppierungen“ digitale Technologien und Medienstrategien zur Rekrutierung, Mobilisierung und (internationalen) Vernetzung nutzen, welche Rolle das Internet und virtuelle Propaganda mit so genannten „Filterblasen“ und „Echokammern“ für Radikalisierungsprozesse bis hin zu rechtem Terror spielt. Außerdem fragt sie, welchen Beitrag Soziale Arbeit bei der Entwicklung von demokratischen Gegenstrategien und Maßnahmen leisten kann und sollte. Dabei attestiert Thiele unter Bezug auf Rahner und Quent (2020) auch der Sozialen Arbeit einen Mangel an modernisierten Modellen der Rechtsextremismusprävention. Um wirksame Gegenstrategien entwickeln zu können, sei es jedoch notwendig zu verstehen, wie rechtsradikale
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Akteure sich digitale Räume erschließen und zunutze machen – so die schlüssige Argumentation der Autorin. Als Brücke und gemeinsame Klammer dienten inhaltlich hierbei insbesondere die antidemokratischen Narrative einer vermeintlichen „Islamisierung“, des „großen Austauschs“ und der „Überfremdung“, die über digitale (Troll)Plattformen, Hasskampagnen, Shitstorms und Chatgruppen geteilt werden und nicht zuletzt durch ihre stetige Wiederholung online wie im gesamtgesellschaftlichen Diskurs eine Normalisierung erfahren sowie eine hohes Mobilisierungspotenzial (nicht nur) im Netz mit sich bringen. Dieses (auch internationale) Mobilisierungspotenzial werde unterschätzt – mit fatalen Folgen, wie zum Beispiel die rechtsterroristischen Anschläge in Halle und Christchurch sowie den Attentaten in Kassel, El Poway und El Paso zeigen. Die Autorin plädiert schließlich dafür, das Potenzial sozialer Medien zur Demokratieförderung und politischer Bildungsarbeit zu erkennen und erfolgreiche Methoden (auch) der Sozialen Arbeit verstärkt in Online-Räume zu übertragen und so analoge Präventionsarbeit wirksam mit Angeboten im digitalen Raum zu ergänzen. Mit seinem Beitrag „Und über allem prangte an der Wand die Reichskriegsflagge“. Rechte Formierung im Kontext Akzeptierender Jugendarbeit in den 1990er Jahren greift Jannis Schröder den bis heute andauernden Streit über Konsequenzen und Schlussfolgerungen aus Konzept und Praxis der akzeptierenden Jugendsozialarbeit mit rechtsextrem orientierten Jugendlichen und jungen Erwachsenen auf. Er schließt sich der in Fachdebatten formulierten Kritik an, wonach unter Einsatz von staatlichen Geldern – insbesondere durch das 1991 initiierte Aktionsprogramm gegen Aggression und Gewalt (AgAG) – Anlaufpunkte für rechtsgerichtete Jugendliche geschaffen und damit extrem rechte Strukturen – bis hin zum NSU-Netzwerk – mit aufgebaut worden seien. Zum anderen seien rechte Täter*innen entpolitisiert und als defizitäre (und in die Gesellschaft zu integrierende) Subjekte adressiert worden, womit die Betroffenen rechter Gewalt praktisch und konzeptionell aus dem Blickfeld gerieten. In seiner historischen Rückschau führt Schröder mit dem Desintegrations-Theorem des Soziologen Wilhelm Heitmeyer und dem Ansatz der akzeptierenden Jugendarbeit von Franz-Josef Krafeld in die konzeptionellen und sozialwissenschaftlichen Grundlagen des AgAG ein und kontrastiert diese mit Beispielen rechter Raumergreifung aus der Praxis des AgAG. Der Autor stellt Beispiele vor, die in kritischer Auseinandersetzung mit aktuellen Normalisierungs- und Raumergreifungsstrategien der extremen und Neuen Rechten für die Aus- und Fortbildung von Sozialarbeiter*innen sowie für Ansätze der Gemeinwesenarbeit gegen Rassismus und Rechtsextremismus auch heute noch als „Worst-Case“ Fallbeispiele dienen können. Zur Rolle akzeptierender Jugendsozialarbeit bei der Entstehung des NSU-Netzwerks werde sich fachlich und politisch immer noch zu wenig auseinandergesetzt, benennt Schröder mit Heike Kleffner (2015) zudem eine noch zu bearbeitende Leerstelle in der Fachdiskussion Sozialer Arbeit.
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Aktuelle gesellschaftliche Herausforderungen und deren Relevanz für Handlungsfelder Sozialer Arbeit stellen die Klammer der Beiträge im dritten Kapitel dar. Thematisiert werden extrem rechte und rassistische Strukturen bei der Polizei, der Halle-Prozess und die Bedeutung von Bündnissen im Kampf gegen Rechts sowie die Bedeutung von naturalisierten und retradionalisierten Geschlechterrollen im Kontext von aktuellen demokratiefeindlichen Verschwörungsnarrativen, CoronaProtesten und Ideologien der Ungleichwertigkeit. Kolja Didzoleit begründet in seinem Beitrag Ein Generalverdacht ist notwendig. Polizeistrukturen und Rechtsruck die These, warum Rassismus und extrem rechte Strukturen innerhalb deutscher Polizeibehörden keine Einzelfälle sind, sondern ein ernst zu nehmendes strukturelles Problem darstellen. Aus dem Tripelmandat Sozialer Arbeit nach Staub-Bernasconi (2007) leitet er als inhärente Aufgabe für die Profession ab, dass sie gegen Diskriminierung und Ideologien der Ungleichwertigkeit eintreten und gegenüber ihren Adressat*innen eine reflexive Parteilichkeit einnehmen müsse. Dazu gehöre konsequenterweise auch, sich als (angehende) Sozialarbeiter*innen interdisziplinär mit dem Phänomen rechter Strukturen und institutionalisierter rassistischer Praxen in Sicherheitsbehörden wie Polizei, Bundeswehr und Verfassungsschutz zu beschäftigen. Didzoleit rekapituliert anhand der Beispiele Nordkreuz-Netzwerk, NSU 2.0 und Neukölln-Komplex die Verstrickung extrem rechter Netzwerke innerhalb der deutschen Sicherheitsbehörden in zahlreiche Fälle von rechtem Terror und Bedrohungen. Korpsgeist und Code of Silence gepaart mit fehlenden rechtlichen Konsequenzen für angezeigte Polizeibeamt*innen sowie dem Wegschauen von Vorgesetzten erzeuge gesellschaftlich wie innerhalb der Behörden eine Normalität, die gleichzeitig den Nährboden für rassistische, antisemitische und extrem rechte Handlungen bilde. Das sei ein strukturelles Problem, dem sich Polizei und Sicherheitsbehörden stellen müssten. So lange dies nicht geschehe, bliebe ein Generalverdacht gegenüber der Polizei notwendig – so die provokante Schlussfolgerung von Didzoleit. „Ich würde mir wünschen, dass wir uns nicht mit diesen rechten Normalisierungen zufrieden geben“ – Mit diesem Zitat ist das Interview von Mia Gerlach und Pauline Zimmermann mit der Sozialwissenschaftlerin Rachel Spicker über den HalleProzess und der Bedeutung von Bündnissen im Kampf gegen Rechts überschrieben. Rachel Spicker hat den Prozess gegen den Attentäter von Halle als Unterstützerin der Überlebenden des Attentats aus der Synagoge begleitet und Nebenkläger*innen bei der Bewältigung der Tatfolgen unterstützt. Sie ist selbst in der jüdischen Community verortet, aus der auch einige der Nebenkläger*innen und Überlebenden kommen. Mit Gerlach und Zimmermann spricht sie über die Rolle der Nebenkläger*innen für den Paradigmenwechsel weg von der (Einzel-)Täterfokussierung hin zu der Betroffenen- und Überlebendenperspektive sowie über eine (neue) Sichtbarkeit diverser jüdischer Lebensrealitäten durch die Zeug*innenaussagen vor Gericht. Mit Blick
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auf die Soziale Arbeit resümiert Spicker, dass Antisemitismus in den Curricula der Sozialen Arbeit bislang keine Rolle spiele und es auch in der sozialarbeiterischen Praxis häufig an Sensibilisierung, Wissen und Empowerment-Räumen für und über diverse jüdische Lebenswelten – Realitäten auch jenseits der Shoah, Antisemitismus und Israel – fehle. Sie benennt damit eine zentrale Leerstelle und macht in dem Interview gleichzeitig zahlreiche Schnittstellen auf zu den weiteren Beiträgen in diesem Sammelband – und für zukünftige noch zu bearbeitende Fragestellungen. In ihrem Beitrag Frauen*, Mütter, Männer*, Krieger: Naturalisierte und retraditionalisierte Geschlechterrollen als Kitt antidemokratischer Bewegungen im Kontext von Verschwörungsnarrativen und Ideologien der Ungleichwertigkeit zeigen Esther Lehnert und Vero Bock anhand von ausgewählten Beispielen die Parallelen zwischen den Geschlechterinszenierungen im Kontext der Corona-Proteste und der extremen Rechten auf. Sie analysieren dabei wie die Propagierung einer „natürlichen“ binären Geschlechterordnung für aktuelle demokratiefeindliche gesellschaftliche Entwicklungen und Protestformen als Scharnier und Brückennarrativ fungieren. Ein Scharnier bilden diese zwischen Verschwörungsideologien, der Querdenken-Szene und der extremen Rechten. In ihrer Anschlussfähigkeit sind sie ein zentrales Brückennarrativ an weit verbreitete gesamtgesellschaftliche Diskurse und Praxen in der Mehrheitsgesellschaft. Insbesondere die als unpolitisch und harmlos wahrgenommen Inszenierungen von vermeintlich natürlichen Weiblichkeit(en) und Männlichkeit(en) – wahlweise als „sympathische Frau“, als „ermahnende oder liebende Mutter“, als „männlicher Kämpfer“, als „alternativer“ Journalist und Aufklärer oder „wissender“ Arzt und Experte inszeniert – erweisen sich dabei als demokratiegefährdend und besorgniserregend, da sie durch ihre (entpolitisierte) Anschlussfähigkeit ein enormes Mobilisierungspotential in der extremen Rechten und bei Coronaleugner*innen mit sich bringen. Anknüpfen könne diese Entpolitisierung von Geschlechterverhältnissen an Traditionen in der Sozialen Arbeit, die Soziale Arbeit als „unpolitisches Helfen“ und „berufliche Mütterlichkeit“ konstruiert haben, wie Lehnert und Bock die historischen Kontinuitäten in der Professions- und Disziplingeschichte bis zurück ins ausgehende Kaiserreich und in die Zeit des Nationalsozialismus skizzieren. So beleuchten die Autorinnen in ihrem Beitrag eine weitere Facette, wie die extreme Rechte auf die Strategie der Entpolitisierung, Selbstverharmlosung und Normalisierung setzt. Lehnert und Bock fordern schließlich eine Soziale Arbeit ein, die sich entschieden von Ideologien der Ungleichwertigkeit – und somit auch von sexistischen Verknüpfungen wie der Gleichsetzung von weiblich mit unpolitisch – und damit auch eindeutig nach rechts hin abgrenzt. Sie eröffnen so das Feld für eine Soziale Arbeit, die sich für eine emanzipatorische und demokratische Gesellschaft einsetzt.
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Fazit und Ausblick Was nun? Und was bleibt zu tun? Wir sind nun am Ende unserer Einleitung und damit auch am Ende eines längeren Prozesses angekommen. Das Projektseminar, aus dem der vorliegende Sammelband seinen Anfang genommen hat, ist seit April 2021 offiziell beendet. Auch die Arbeit der Redaktion neigt sich dem Ende zu. Wir blicken auf einen sehr intensiven, mitunter kontroversen und auch mühevollen jedoch immer erkenntnisreichen Prozess zurück. Wir hoffen, dass der Sammelband mit seinen sehr verschiedenen Beiträgen einen kleinen Einblick in für uns wichtige Auseinandersetzungen geben und aufzeigen kann, mit welchen unterschiedlichen Perspektiven wir uns zentraler Themen rund um die Auseinandersetzung mit den Ideologien der Ungleichwertigkeit und/oder der extremen Rechten und die Rolle der Sozialen Arbeit hierin angenähert haben. Außerdem hoffen wir, dass ungeachtet der Multiperspektivität der einzelnen Beiträge, deutlich geworden ist, dass die Soziale Arbeit als eine den Menschenrechten verpflichtete Profession und Disziplin eine spezifische Verantwortung in der Auseinandersetzung mit (und der Bekämpfung von) der extremen Rechten und den Ideologien der Ungleichwertigkeit hat. Es ist auch an der Sozialen Arbeit, weiterhin für ein demokratisches Miteinander und den Abbau von Diskriminierungen aller Art einzutreten. Wenngleich wir auch hier unsere (und die unserer Profession und Disziplin) Begrenztheit immer wieder neu erfahren und reflektieren. Das Wissen um diese kann vielmehr einen produktiven Rahmen für weitere Auseinandersetzungen in diesem Feld darstellen. Zentral für jedes Nachdenken, für jede (fachliche) Auseinandersetzung bleibt der Einbezug der Betroffenenperspektiven (von rechter Gewalt und/oder den Ideologien der Ungleichwertigkeit). Der vorliegende Sammelband zeigt (hoffentlich) wie wichtig es ist die Auseinandersetzung mit dem Thema zu führen. Gleichzeitig sind wir uns bewusst, dass es sich hierbei um einen kleinen Ausschnitt eines noch weiter zu führenden und zu vertiefenden Fachdiskurses handelt. Ungeachtet dessen, und hierauf haben wir auch in unserer Einleitung hingewiesen, dass der Fachdiskurs seit kürzerem eröffnet worden ist, stehen wir als Profession und Disziplin am Anfang. Es bedarf noch sowohl empirischer als auch theoretisch fundierter Forschung. Die Bedarfe und Notwendigkeiten der Praxis im Umgang mit der extremen Rechten (und den extremen Rechten: als Adressat*innen, Angehörige und Kolleg*innen) und den Ideologien der Ungleichwertigkeit sind noch nicht in ausreichender Weise in der Disziplin, den Universitäten und den Hochschulen angekommen. Auch hier
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ist zu konstatieren, dass der Diskurs über curriculare Fragen und über den Umgang mit extrem rechten Studierenden gerade erst begonnen hat. In diesem Sinne bleiben wir auf dem Weg und freuen uns sehr, wenn wir andere – Studierende, Kolleg*innen in der Praxis, Kolleg*innen in der Wissenschaft – motivieren konnten sich auf den Weg zu machen oder auch weiter zu gehen!
Hinweis der Redaktion Vero Bock, Laura Ciomperlik, Kolja Didzoleit, Franziska Drabner, Hannah Ferreira, Mia Gerlach, Viktoria S. Hoyermann, Agit Kadino, Tabo Löchelt, Antonia Meißner, Jannis Schröder, Nora Sgraja, Friederike Thiele, Emilia Zimmermann und Pauline Zimmermann sind bzw. waren Studierende des Bachelorstudiengangs Soziale Arbeit an der Alice-Salomon-Hochschule Berlin. Der vorliegende Sammelband ist im Rahmen des Projektseminars Soziale Arbeit und Politische Bildung in Zeiten des Rechtsrucks von Sommersemester 2019 bis Wintersemester 2020/2021 als gemeinsames Abschlussprodukt entstanden. Redaktionsteam: Vero Bock, Mia Gerlach, Esther Lehnert, Elène Misbach, Pauline Zimmermann Auch die weiteren Teilnehmer*innen des Projektseminars Soziale Arbeit und Politische Bildung in Zeiten des Rechtsrucks, die nicht namentlich mit einem eigenen Beitrag oder als Teil des Redaktionsteams erscheinen, haben durch ihre aktiven und wichtigen Impulse zur Entstehung dieser Publikation beigetragen: Benjamin Andratschke, Sonja Dissberger, Marco Ernst, Yelena Friemer, Leon Niederberger, Sarah Regier, Tabea Schäfer, Polle Spitzner und Eva Steer.
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