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Die Lösung aller

Spitzentechnologie Fusionsanlage «Asdex Upgrade» in der Nähe von München.

Energieprobleme

Fotos: IPP Max-Planck-Institut für Plasmaphysik, ZVG

Plasmaflamme 100 Millionen Grad Celsius heiss.

Der Neutronenofen Energiegewinnung in einem Fusionskraftwerk.

Tritium

+ +

Helium

QUANTENSPRUNG → Deutsche

Plasmaforscher erhoffen sich den Durchbruch bei der Kernfusion.

W

ir bräuchten keine Atomkraftwerke mehr, keine Kohlekraftwerke mehr und Erdöl würde gewaltig an Bedeutung verlieren. Gelänge es uns, die Kernfusion zu beherrschen, könnten wir Energie im Überfluss produzieren – günstig, ungefährlich und umweltverträglich. Drei Flaschen Wasser würden theoretisch reichen, um eine Familie ein Jahr lang mit Strom zu versorgen – anders gesagt: Ein Kilogramm Wasserstoff würde so viel Energie erzeugen, wie 11 000 Tonnen Kohle. Auf der Sonne verschmelzen seit einigen Milliarden von Jahren Atomkerne. Dieser Vorgang lie-

fert uns konstant Wärme und Licht en masse. Seit den 1960er-Jahren versuchen Forscher, die Sonne auf der Erde zu simulieren. Doch Atomkerne zu spalten hat sich als wesentlich einfacher herausgestellt, als diese zu verschmelzen. Auf der Sonne vereinen sich die Wasserstoff kerne unter enormem Druck – unmöglich, diesen mit unserer Technik zu erzeugen. Nichtsdestotrotz forschten Wissenschaftler weiter – und fanden andere Lösungen. Eine grosse Versuchsanlage betreibt etwa das MaxPlanck-Institut für Plasmaphysik (IPP) in der Nähe von München. Die dort arbeitenden Physiker zeigen sich derzeit euphorisch: «Wir nähern uns dem

Durchbruch, es geht viel schneller voran, als viele denken», sagt IPP-Direktor Günther Hasinger gegenüber dem «Spiegel».

Hitze statt Druck

In ihrer Fusionsanlage «Asdex Upgrade» kompensieren sie den mangelnden Druck mit Hitze: Ein Mikrowellenapparat wärmt elektrisch geladenes Wasserstoffgas auf 100 Millionen Grad Celsius auf. Im dadurch entstehenden Plasma kann eine Kernfusion stattfinden (siehe Grafik oben). Starke Magnete halten das Plasma in der Mitte der Brennkammer unter Kontrolle. Doch hier besteht eine Schwierigkeit: Vor allem während der Aufwärmphase ist das Plasma schwierig zu bändigen. Berührt es eine Wand, bricht die Reaktion sofort ab. Nach über 23 000 Versuchen sind den

WISSEN

Ungefährliche Kernfusion Im Gegensatz zur Energiegewinnung durch Kernspaltung erweist sich diejenige durch Kernfusion als vergleichsweise ungefährlich. Unfälle können praktisch ausgeschlossen werden, da der Fusionsvorgang bei der geringsten Störung von allein abbricht. Auch bei der Kernfusion können radioaktive Abfälle entstehen, wenn die freigesetzten Neutronen auf die Wände des Reaktors treffen. Diese strahlen jedoch bereits nach hundert Jahren praktisch nicht mehr. Radioaktive Abfälle von AKWs strahlen Jahrtausende lang.

Das Gas wechselt in den Plasma-Zustand: Die Atomkerne trennen sich von ihren Elektronen. Beim Zusammenstoss eines Deuterium- und eines Tritium-Kerns verschmelzen diese zu einem Helium-Kern, wobei ein Neutron freigesetzt wird (Abbildung). Beide Reaktionsprodukte besitzen hohe Bewegungsenergie. Der Helium-Kern bleibt zunächst im Magnetfeld und heizt über Teilchenstösse das Plasma an.

Deuterium

+

→ GUT ZU

Ein Gasgemisch aus Deuterium- und Tritium-Atomen wird in einem Magnetfeld eingeschlossen und auf etwa 100 Millionen Grad Celsius erhitzt.

+ +

+

gerhard.schriebl @ringier.ch

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WISSEN

Freitag, 23. Januar 2009

Neutron

Das Neutron verlässt das Magnetfeld. Seine Bewegungsenergie wird in Nutzwärme umgewandelt, die über Dampfturbinen Generatoren antreibt.

Forschern die perfekten Einstellungen noch nicht geglückt. Zudem liefert «Asdex Upgrade» noch zu wenig Energie. Das Aufheizen des Plasmas benötigt mehr Energie, als die Kernfusion liefert. Doch dieses Problem ist laut Hasinger durch eine grössere Fusionsanlage lösbar. «Wenn

Fusionsreaktor «Iter» soll Energie liefern. wir das Volumen des Plasmas erhöhen, sinken automatisch auch die Wärmeverluste», sagt Hasinger gegenüber dem «Spiegel». «Mit einer Art ‹Apollo›Programm der Kernfusion hätten wir sogar schon zur Jahrtausendwende einen Reaktor bauen können, der Strom und Wärme liefert – nur fehlte das nötige Geld für eine so grosse Maschine.»

Eine Anlage in «brauchbarer» Grösse entsteht nun in internationaler Zusammenarbeit im französischen Cadarache. Der Bau von «Iter» («Internationaler Thermonuklearer Experimenteller Reaktor») beginnt in wenigen Monaten und wird etwa zehn Jahre dauern. In Betrieb soll Iter laut Berechnungen zehnmal mehr Energie liefern, als die Plasmaaufheizung benötigt. Den Forschern vom IPP gelang zudem vor einigen Wochen ein weiterer kleiner Durchbruch: Indem sie dem Plasma Stickstoff beifügten, wurde es deutlich heisser und lieferte doppelt so viel Energie. Wieso wissen die Physiker noch nicht – was verdeutlicht, dass noch viel Forschung nötig ist. Wissenschaftler schätzen aber, dass etwa 2050 der erste kommerzielle Fusionsreaktor ans Netz gehen wird. 


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