Bachelorarbeit "Dreifaltigkeit" - Philosophie des Kirchenraumes

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Dreifaltigkeit


Inhalt 4 Einleitung 6

Entwicklung von Kirchenbauten

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Kirchenbau der Moderne

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Kirchenorte und Kirchenräume

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Öffnung & Nutzung von Kirchenräumen

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Positionen der Kirchen

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Die Architektur von Carsten Schröck

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Dietrich Bonhoeffer Gemeinde


Die Philosophie des christlichen Kirchenraumes

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Philosophie „Weisheitsliebe: 1. forschendes Fragen und Streben nach Erkenntnis des letzten Sinnes, der Ursprünge des Denkens und Seins, der Stellung des Menschen im Universums, des Zusammenhangs der Dinge in der Welt.“

Duden Fremdwörterbuch, 5. Auflage, Dudenverlag, 1990

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Einleitung

Im Rahmen meiner Vertiefung habe ich mich mit der „Philosophie von Kirchenräumen“ beschäftigt. In diesem Teil werden christlichen Kirchenräume in Hinblick auf ihre Geschichte, Funktion, ihre Gestaltung sowie ihre Bedeutung und die Nutzung untersucht. Soziologische und architektonische Verhältnisse von Raum und Menschen stehen dabei im Vordergrund. Es soll eine Hilfestellung sein, um einen Kirchenraum zu verstehen und dessen Bedeutung und Faszination verständlich zu machen. „Philosophie des Kirchenraumes“ beinhaltet die Untersuchung der Wirkung, Ausstrahlung und Atmosphäre eines Raumes. Zentrale Fragen sind dabei: Was macht einen Kirchenraum so besonders? Wie ist der Raum soziologisch, (theologisch) und architektonisch aufgebaut und wieso? Wie ist die Wirkung eines Raumes und wie erklärt sie sich? Wie kann sich die Kirche öffnen?

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Aus diesen Fragestellungen lässt sich eben-

Weiteren spielt bei der Erklärung von Kirchen-

falls die Frage nach der Nutzung von kirchli-

bauten das Raumkonzept und die Raumge-

chen Räumen ableiten. Traditionell wird eine

staltung eine wichtige Rolle.

Kirche für Gottesdienste und andere religiöse

Neben den materiellen oder architektoni-

oder nicht religiöse Veranstaltungen genutzt.

schen Einflüssen, wie die verwendeten Mate-

Doch als zentraler Ort einer Gemeinde, Stadt

rialien oder die Lichtführung, erklärt sich die

oder eines Viertels verfügt ein Kircheraum

Faszination von Kirchenräumen auch über

über das Potential eines öffentlichen Platzes

weniger greifbare Eindrücke. Dazu gehören

und steht damit für mehr als nur die Religion.

die Semantik (Bedeutungslehre), die Mys-

Die Architektur einer Kirche ist die Visitenkar-

tik, die Raumphilosophie, also das Verstehen

te der Religion. Dabei ist eine geschichtliche

und das Wirken des Raumes auf die Menschen

Einordnung und die Verdeutlichung der Ent-

und schließlich die Atmosphäre. Der gesam-

wicklungsgeschichte des Kirchenbaus nötig,

te Raumeindruck entsteht aber grundsätzlich

um dessen Philosophie zu verstehen.

durch die Architektur. Sie definiert den Raum

Die Grundlage für die architektonische und

und schafft die Umgebung. Die Religion ver-

soziologische Analyse bildet die Auseinander-

stärkt diesen Eindruck noch weiter.

setzung mit der Kirchenbaugeschichte. Hier

Als religiöser Besucher vermengt sich die

stehen sich der architektonische Aufbau, die

räumliche mit der religiösen Erhabenheit ei-

religiöse Nutzung und das Verhältnis der Men-

ner Kirche. Das bedeutet, dass die Menschen

schen als Nutzer und Besucher gegenüber. Bei

von dem Raum beeindruckt sind. Aus eigener

näherer Betrachtung ist ebenfalls die Bezie-

Erfahrung sind dies zum Beispiel die Größe,

hung innerhalb des Kirchenraums bzw. wäh-

die Akustik, die Materialien oder das Licht.

rend des Gottesdienstes zwischen den Besuchern und Pastor oder Priester wichtig. Die grundsätzliche Nutzung einer Kirche besteht aus einem öffentlichen Versammlungsraum. Dieser gliedert sich wiederum durch die religiöse Nutzung in sakrale (heilige), profane („nicht heilige“) und funktionale Bereiche. Des

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Entwicklung von Kirchenbauten

Die geschichtliche Entwicklung von Kirchebauten ist keine gradlinige Entwicklung, sondern wurde und wird durch verschiedene Faktoren beeinflusst. Regionale und lokale Unterschiede prägen die Kirchenbauten. Eine Kirche ist ein sozialer wie auch architektonischer Anziehungspunkt, der die lokale Identität und den Stadtraum prägt. Größe und Form sind der Funktion als repräsentatives Gebäude für die christliche Religion angepasst. Um sich mit dem Thema zu nähern, steht eine Frage am Anfang. Was ist eine Kirche? In Geheiligte Räume – Theologie, Geschickte, Symbolik des Kirchengebäudes von Franz-Heinrich Beyer wird das Kirchegebäude so beschrieben: „Ein

Kirchengebäude

in

dem

eine

de

regelmäßig

ist

der

christliche Gottesdienste

Raum, Gemeinfeiert.“

Soweit die einfachste Definition. Prinzipiell beherbergt eine Kirche damit nur eine Funktion, nämlich die sakrale. Doch wird diese Funktion durch die Nutzung als öffentlicher Versammlungsort erweitert und komplettiert. Erste christliche Gottesdienste fanden zu Beginn des Christentums in Privathäusern statt. Die Gläubigen trafen sich in Gemeindehäusern (Domus ecclesiae), die Wohn-, Versammlungsund Funktionsräume in sich vereinigten. Cha-

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rakterisiert

wurden

diese

frühchristlichen

Seit 312/313 n.Ch. wurde die christliche Reli-

Hauskirchen durch die Funktionalität der

gion durch die Mailänder Vereinbarungen (To-

Räume. Als Beispiel für eine Hauskirche steht

leranz Edikt von Mailand) anderen Religionen

das Gebäude im syrischen Dura Europos von

durch Kaiser Konstantin gleichgestellt.

232/233 n.Ch. zu nennen. Der 13 mal 5 Meter

Durch die Gleichstellung wurden Tempel oder

große Saal mit einem nach Osten ausgerichte-

heidnische Kultstätten umgenutzt oder zer-

ten Podest für den Prediger, auch „Kathedra“ =

stört.

Lehrstuhl genannt, diente den frühen Christen

Als erste offizielle Basilika (griech. „Königshal-

als Andachtsraum.

le“) gilt die Lateran Basilika (San Giovanni in Laterano, 440 n.Chr.) in Rom. Sie wurde im Stil der antiken Basilika mit einem dreischiffigen Langhaus und einem Querhaus mit Chor erbaut. Der Typus der Basilika stammt aus dem römischen Reich und wurde als Treffpunkt, Mark- oder Gerichtsplatz genutzt. Sie war ein öffentlicher Platz im Zentrum einer römischen Stadt. Als Beispiel ist die Basilika in Pompeji zu nennen, die mit ihrer Vorhalle, dem dreischiffigen Langhaus und dem halbrunden Tribunal, gleichzusetzen mit einem Chor, starke Ähnlichkeit zu späteren christlichen Basiliken hatte. Mit ihrer Form und dem profanen Hin-

Grundriss Hauskirche, Dura Europos 232/233 n.Ch.

tergrund wurde die Basilika schnell zur beliebtesten und geeignetsten Kirchenbauart. Die Menschen nahmen diese Kirchenform an, da sie nichts mit den Tempeln aus dem römischen Reich zu tun hatte und von daher nicht als unchristlich galt.

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Das hohe und lange Mittelschiff bietet Platz für die Gemeinde und wird von Säulen zu den beiden Seitenschiffen getrennt. Eine räumliche Unterteilung findet dann ab der Vierung (Schnittpunkt von Langhaus und Querschiff ) statt. Hier ist der Altar aufgestellt, der den profanen (Besucher) Raum vom sakralen (hei-

Heratempel, Paestum (Capaccio) , 600 v. Chr.

ligen) Raum trennt. Dieses Prinzip kennzeichnete schon die griechischen oder römische Tempel, deren heiligen Teil (fanum = das Heiligtum) das normales Volk nicht betreten durfte. Diese Aufteilung findet sich in so auch in den Langhauskirchen. Ihre Ausrichtung lässt eine andere Raumgestaltung kaum zu. Besucher und Kleriker sind räumlich klar getrennt. Diese Situation wird durch eine erhöhte Position des Altars, der Empore oder Kanzel, des Predigers verstärkt

Basilika von Pompeji, Bauzeit unbekannt

und dadurch bedeutungsvoller. Räume wie die Krypta, die Sakristei und Büroräume sind für die Besucher in der Regel ebenfalls nicht zugänglich.

Grundriss San Giovanni in Laterano, Rom, 324 n. Chr.

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Der Gegensatz zum Langhausbau ist der Zen-

aus Langhaus- und Rundkirchen schließen.

tralbau. Schon in der Spätantike war der von

Schließlich bedingen sich die verschiedenen

griechischen Rundtempeln inspirierter Bau-

Baustile über die Zeit immer. Ein prominen-

stil sehr verbreitet. Als bekanntestes Beispiel

tes Bespiel für die Einflüsse von Baustilen ist

ist hier das Pantheon in Rom zu nennen (118

das Pantheon in Paris (1764-1790, J.G. Souf-

n Chr.). Grundlage für diese Kirchenart ist ein

flot). Ursprünglich als Grabeskirche errichtet,

zentraler Andachtsraum, um den sich die Ge-

wurde es 1781 auf Beschluss der Nationalver-

meinde versammelt. Je nach Ausgestaltung

sammlung als Gedenkstätte umgewandelt.

gibt es Beispiele für eine rein zentrale Aus-

Der Grundriss folgt klar der Kreuzform, wird

richtung, als auch für Weiterentwicklungen,

aber im Zentrum und in den Flügeln von Kup-

wie die Liebfrauenkirche in Trier. Diese wurde

peln überragt.

von um 1250 fertig gestellt und nach ihrer Beschädigung im zweiten Weltkrieg wurde sie 1953 von Rudolf Schwarz umgebaut. Hier ist die Kombination aus einem axialen und radialen Grundriss zu erkennen. Eine andere Interpretation ist dagegen die Kirche Sant’Ivo alla Sapienza (1657-1694) in Rom von Francesco Borromini. Der Raum beschreibt eine ovale Form, an den sich Eckkapellen anschließen. Der Altar ist nicht zentral angeordnet, sondern in der Längsrichtung in eine Nische platziert. Vor Borromini schafften Architekten wie Brunneleschi, Palladio oder Bramante klassische Vorbilder für den Rundbaustil. Als eine weitere Stilrichtung sind noch die Kreuzkirchen zu nennen. Ihr Grundriss lässt sich aus ihrem Namen ableiten. Die Grundgeometrie lässt wiederrum auf eine Kombination

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Pantheon, Rom (118. n.Chr.)


Liebfrauenkirche Trier, 1250

Sant´Ivo alla Sapienza, F. Borromini, Rom, 1660

Pantheon,

J.G. Soufflot, Paris, 1764-1790

Sant´Ivo alla Sapienza, Grundrissschema, F. Borromini, Rom, 1660

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Prägend für die Gestaltung von Kirchenbauten waren nicht die architektonischen und künstlerischen Entwicklungen. Auch theologische Aspekte haben die Gestaltung enorm beeinflusst. Zur Zeit der Reformation gab es als Beispiel zwischen Martin Luther und Johannes Calvin in Bezug auf die Ausstattung und Wirkung von Kirchenräumen verschiedener Meinungen. Luther war überzeugt, dass Bilder und Kunstwerke den Glauben „szenisch und praktisch“ unterstützen würden. Die Balance zwischen Altar und Kanzel mit der Betonung auf dem Ort der Predigt waren dabei wichtig. Johannes Calvin war gegen eine zu starke Ausschmückung der Kirche. Für ihn war der Altar nur ein „Tisch des Herren“, der nur für das Abendmahl genutzt wird. Die Predigt sollte nach ihm nur von der Kanzel gehalten werden. Die theologische Antwort auf die Reformation war die Gegenreformation. Die architektonische Antwort auf den Rückgang des Kirchenschmucks, war der Barock. Neben geschwungenen und ausgeprägten Geometrien, wurden die Kirchen zum Teil mit Ausschmückungen überladen.

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Sant’Andrea al Quirinale, Gian Lorenzo Bernini, Rom, 1658-1671


Kirchenbau der Moderne

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Liturgische Bewegung 1922 verfasste Johannes van Acken das Buch

beschreibt den ersten als rational, demokra-

„Christozentrische Kirchenkunst- Ein Entwurf

tischen Raum, in dem die Menschen „erschei-

zum liturgischen Gesamtkunstwerk“.

nen“ und aktiv sind. Der Langbau hingegen

Die Aussage ist kurz gesagt: egal ob Rund-

würden die Menschen „verschwinden“ und in

oder Langbau, der Altar muss das Zentrum

einem magischen und aristokratischen Raum

einer Kirche sein. Die räumliche und bildliche

lediglich passiv sein.

Gestaltung muss sich auf ihn beziehen. Er for-

Rudolf Schwarz stellte sich dagegen und for-

derte ein Hauptschiff ohne Säulen, die Neben-

derte stattdessen große Kirchen. Statt Nähe

schiffe nur als Gänge auszubilden, einen ver-

unterstrich er damit die Anonymität und Ob-

kürzten und verbreiterten Chor zu errichten

jektivität, die Masse und Ordnung. Als ein Auf-

sowie den Altar an eine zentrale Position zu

bruch zur Auflösung der konventionellen Kir-

stellen und zu betonen. Die Orientierung an

chenarchitektur kann das Buch „Vom Bau der

der traditionelle Bauweise einer Kirche wurde

Kirche“ (1938) von Rudolf Schwarz angesehen

zu Beginn des 20. Jahunderts durch den Ar-

werden. In sieben Schritten gelangt der Archi-

chitekten Rudolf Schwarz aufgebrochen. 1928

tekt zu seinem „siebente Plan. Dem Dom aller

realisierter er den Umbau des Rittersaals der

Zeiten“.

Burg Rothenfels in eine Kapelle. Diese Neunut-

Die Verknüpfung von axialen und radialen

zung gilt als ein gelungenes Beispiel für mo-

Elementen zu einem Gebäude ergibt nicht

derne Schlichtheit und eine multifunktionale

nur verschiedene Raumsituationen, sondern

Raumgestaltung.

bestärkt die Bewegung der Menschen inner-

In den 20er Jahren des 20. Jahunderts kommt

halb des Gebäudes. Mit zwei Kreuzen beste-

die Diskussion über die Aufteilung der Kirchen

hen somit auch zwei Zentren. Dieses Schema

als Lang- oder Rundbau wieder auf. Welche

verknüpft die Vorteile des Langbaus mit sei-

Form die Bessere oder praktischere hängt von

ner konkreten Ausrichtung und Fokussierung

Nutzungen und der Qualität der Architektur

auf den Altarbereich oder die Kanzel mit dem

ab. Der Rabbiner und Publizist Joseph Car-

ausgewogeneren und zentralen Aufbau ei-

lebach vergleicht Rund- und Langbau und

nes Rundbaus. Die Übergänge vom Kreis zum

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Langhaus und schließlich die Kombination aus

mit dem Leben der Menschen, welches auch in

beidem verfolgt auch eine Öffnung der Flexi-

verschiedene Zeiträume eingeteilt ist und sich

bilisierung des Kirchenraums.

entwickelt. Die sechs vorhergehenden Plä-

Die beiden Formen in einer Kirche unterzu-

ne beschreiben die einzelnen Abschnitte des

bringen, ist bei Schwarz die ultimative Kirche,

„Doms aller Zeiten“.

da sie beide Extreme zusammenbringt. Schwarz selbst beschreibt den siebenten Plan in „Vom Bau der Kirche“ so: „Zuerst liegen die Dinge in stiller Behütung um ihre Mitte, ganz nach innen gewendet. Dann deutet sich ein Lichthof oben im Scheitel oder an einer Stelle des Umfangs an. Die geschlossene Form reißt, das Geborgene klafft und die Figur entladet sich das Offene. Der Raum verläßt die Form, Fahrt beginnt. Anfangs kraftvoller Aufstieg, ermüdet sie allmählich in die tote Scheitellage, gegenwirkende Kräfte treten auf und schließlich kommt sie zum Stillstand. Die Gegenwirkung überwiegt. Die Bewegung sieht sich gehemmt und zurückgeworfen, sie stockt, die Zeit steht still, und da entfaltet sich aus der gedehnten Figur dort, wo sie zur Ruhe kam, neuer Raum. Eine neue Mitte ist da und in neuer Kugel ist neue Welt um sie versammelt.“ Schwarz beschreibt damit auf seine ganz eigene Art den abstrakten Weg durch diese Kirche. Platz für Interpretation und den Bezug auf den Menschen ist hier gegeben. Im Originaltext gibt es den Vergleich des beschriebene Weges

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„Der siebente Plan. Der Dom aller Zeiten. Das Ganze“, Rudolf Schwarz, 1938

„Das Gebäude, das den ganzen Ablauf der Zeit in sich vereint und all seine Zustände zu Stand gegenwärtigt, ist der Dom aller Zeiten“

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Im 19. Jh. wurden Kirchegebäude mit weniger Fokus auf die Anforderungen der Liturgie, als mehr auf die Erscheinung, auf Eindrücke und Stimmungen hin gebaut. Der Historismus in Form von Neoromanik und Neogotik waren zwar immer noch die dominierenden Baustile, dennoch wandelten sich zu Beginn des 20. Jahunderts die Ansichten zum Kirchenbau. Das Buch „Kirchen“ von Cornelius Gurlitt von 1906 und der „Zweite Kongress für den protestantischen Kirchenbau“ 1906 in Dresden gaben neue Impulse für die Architektur. Auf diesem Kongress stellte Julius Graebner das gemeinsam mit Otto Dibelius geschaffene Modell eines protestantischen Kirchenraumes vor, das voll und ganz der protestantischen Liturgie entsprechen und Rudimente des katholischen Kirchenbaus ausschalten sollte: Kennzeichnend waren die axiale Kanzelstellung, halbrund gruppierte Bänke und eine im Rücken der Gemeinde angeordnete Orgel. Die Auferstehungsgemeinde in Essen von Otto Bartning, eine Stahlbetonkonstruktion, geht auf diese Ausrichtung zurück. Die Sitzplätze sind auf zwei Etagen in einem Halbkreis um den Altar angeordnet, so wollte Barning eine „Einheit von geistiger und räumlicher Mitte“

Auferstehungskirche, Otto Barning, Essen (1930)

erzeugen.

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Die Vielfalt von Kirchen in den ersten 50 Jah-

werden die Prinzipien wie Öffnung und Schlie-

ren des 20. Jahunderts umfasst unzählige

ßung einer Kirche nach außen, oder das Spiel

Varianten der beschriebenen Prinzipien des

mit Materialien und Formen auf konsequente

Kirchenbaus. Mit der Nutzung von neuen Bau-

und simple Weise umgesetzt.

techniken wie Stahlbeton, stiegen auch die

Die Los Nogales School Kapelle in Bogotá von

Möglichkeiten der architektonischen Sprache.

Daniel Bonilla Arquitectos, die sich zu einer

Schlichte Bauten wie die von Rudolf Schwarz

Seite komplett öffnen lässt, entspricht damit

oder Frotz Höger stehen den Expressiven wie

der Öffnung einer Kirche. Licht und Luft kön-

den Entwurfen von Gottfried, Le Corbusier

nen ungehindert in den Inneraum strömen.

oder Oscar Niemeyer gegenüber. Der Umfang

Das Verhältnis von Architektur und den Ausle-

der architektonischen Entwicklung ist mehr als

gungen für die christliche Religion passen hier

umfangreich. Deswegen soll hier nur ein klei-

gut zusammen. Als Beispiel für einen introver-

ner Ausschnitt mit Beispielen eine Übersicht

tierten Raum, steht die St. Thomas Aquinas

geben. Interessant ist dabei zu sehen, dass sich

Kirche in Berlin. Gebaut von Sarah Hare und

die Prinzipien nicht großartig geändert haben.

Thomas Höger erreicht sie ähnlich wie die Fel-

Materialität, Lichteinfall und die Raumgroße

senkirche in Helsinki einen geschlossenen und

bestimmen die Wirkung. Je nach Ausformulie-

intimen Raum, der nur durch ein Oberlicht und

rung entstehen dabei monumentale Bauten,

wenige künstliche Licht beleuchtet wird. Der

wie der Mariendom in Neviges von 1972 oder

Ansatz bei Mortensrud Kirche in Oslo, erbaut

die Studentenkappelle in Espoo (bei Helsinki)

von Jensen & Skodvin Arkitektkontor 2002,

von Heikki und Kaija Siren aus dem Jahr 1957.

geht in die selbe Richtung. Naturstein und na-

Ebenfalls in Helsinki vereint die „Felsenkirche“

türliches Licht prägen den Entwurf, wobei ein

(Temppeliaukiokirche) aus dem Jahr 1972 von

industrieler Charakter durch das Blechdach

Timo und Tuomo Suomalainen. Die in den Fel-

hinzukommt. Expressiver ist dagegen die Ha-

sen gebaute Rundkirche erhält ihre besondere

rajyuku Kirche von Ciel Rouge Création in To-

Atmosphäre durch die behauenen Felswände

kio von 2005. Der Baukörper wirkt als für das

und die mit Metall beschlagene Decke. Ein

Sonnenlicht geteilte Welle. Die Form und das

Oberlicht umringt die Decke und sorgt für

Licht sind prägend für den Kirchenraum und

eine spannende Lichtstimmung. Des Weiteren

seine Atmosphäre.

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Fronleichnamskirche, R. Schwarz, Aachen, 1929

19


Kirche am Hohenzollernplatz, Fritz Hรถger, Berlin, 1933

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Studentenkapelle, Heikki & Kaija Siren, Espoo, 1957

„Felsenkirche“ (Temppeliaukiokirche), Timo & Tuomo Suomalainen, Helsinki, 1972

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1

3

1. Los Nogales School Kapelle, Daniel Bonilla Arquitectos, Bogotá, 2002 2. St. Thomas Kirche, Sarah Hare & Thomas Höger, Berlin, 1999 3. Mortensrud Kirche, Jensen & Skodvin, Oslo, 2002 4. Harajyuku Kirche, Ciel Rouge Création, Tokio, 2005

4

2

22


Kirchenorte und Kirchenr채ume

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Aufbau und Funktion von Kirchenräumen

eine Bindung an spezielle „heilige Orte“ an denen bestimmte Regeln herrschen. Der Ort

Kirchenwissenschaftlich wird der Kirchenraum

einer Kirche wurde traditionell nach der Be-

in der Liturgik / Liturgiewissenschaft („Theorie

deutung und der topographischen Lage ge-

des Gottesdienstes“) behandelt. Im Standard-

wählt. Heilige Stätten früherer Religionen,

werk der katholischen Liturgik, „Gottesdienst

Orte die mit Heiligen verbunden wurden oder

der Kirche“, wird der Kirchenraum als „räum-

besondere natürliche Gegebenheiten waren

liche Umschließung für die gottesdienstliche

Kriterien für den Bau einer Kirche oder Kapel-

Feier“ oder als „ bergende Hülle für die Ge-

le. Im Vordergrund stand und steht jedoch die

meinde“ bezeichnet. In der evangelischen Li-

Verortung der christlichen Religion und damit

turgik wird der Kirchenraum traditionell funk-

das Erfahren des Glaubens an einem Ort, der

tional als „Voraussetzung des Gottesdienstes“

nach der Auffassung der Kirche mit einer spe-

genannt. Zum Ende des 20. Jahunderts tritt

zifischen Atmosphäre aufgeladen ist. Sie soll

dabei der den Gottesdienst umgebende Raum

dem Gläubigen die Nähe Gottes aufzeigen.

in den Vordergrund. Dabei bleibt der Kirchen-

Nicht nur die Ausrichtung nach Osten einer

raum die funktionale Voraussetzung. Er hat

Kirche ist prägnant, sondern auch die ihre

eine eigene, spezifische Raumsprache und ist

städtebauliche Funktion als Landmarke in der

stets präsent. Der Gottesdienst schafft sich

Stadt. Bevor Hochhäuser gebaut wurden, wa-

seinen Raum und ist nicht zwingend an das

ren Kirchen die höchstens Gebäude und waren

Gebäude gebunden. Es besteht eine wechsel-

weit in der Stadt sichtbar. So verhalfen die Kir-

seitige Abhängigkeit zwischen Gottesdienst

chen zur Orientierung. Vor ihnen entstanden

und Kirchenraum. Beim Gottesdienst geht es

Markt- und Versammlungsplätze, deren sozia-

neben der religiösen Feier, um die Interaktion

ler Einfluss für eine Stadt maßgeblich war.

und das Verhältnis von Mensch und Raum. Die Gottesdienstgebäude haben trotz ihrer Funktion als Ort der religiösen Zusammenkunft eine besondere öffentliche Stellung. Grundsätzlich gilt, dass Religion ohne einen bestimmten Ort nicht funktioniert. Es besteht

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Der Theologe Manfred Josuttis stellt dazu in

topographische Lage besondere Aufmerksam-

seinem Buch „Vom Umgang mit heiligen Räu-

keit, sondern zuerst durch die Architektur. Das

men“ sechs Merkmale

bekannteste Beispiel hierfür ist sicherlich die

für einen „heiligen

Raum“ auf.

Lateranbasilika in Rom, die als frühester offi-

1. „Der heilige Bereich liegt im Zentrum der

zieller Kirchenbau gilt. Des Weiteren ist noch

Gemeinschaft.“

der Petersdom in Rom zu nennen, der durch

2. „Die hervorgehobene Position des heiligen

seine Wichtigkeit für katholische Kirche eine

Ortes kann ... durch bauliche Maßnahmen her-

der bekanntesten Kirchen der Welt ist. Sie re-

gestellt werden.“

präsentiert die christliche Kirche durch ihre

3. „In der Binnenstruktur folgen die Heiligtü-

Ausgestaltung und durch ihre Raumwirkung.

mer ... der Regel der räumlichen Dreiteilung.“

Die Faszination die von Kirchen dieser Art aus-

4. Der „irdische Kultbau als Abbild der himm-

geht, ist eine Kombination von Atmosphäre

lischen Welt“

und Ausstrahlung. Atmosphäre wird von dem

5. „Die Begegnung zwischen Göttlichen und

Phänomenologen Gernot Böhme in „Architek-

Menschlichen ist auf die Begrenzung durch ei-

tur und Atmosphäre“ so beschrieben: „Atmo-

nen umfriedeten Raum angewiesen.“

sphäre ist die gemeinsame Wirklichkeit des

6. „Im umfriedeten Raum des heiligen Ortes

Wahrnehmenden und des Wahrgenommenen.

residieren göttliche Atmosphären.“

Sie ist die Wirklichkeit des Wahrgenommenen als Sphäre (...).“ Dabei ist es wichtig die Kirche

Kirchengebäude heben sich durch ihre Archi-

als „Ausdrucksgestalt“ anzusehen, um alleine

tektur von der Umgebung ab. Sie sind damit

die ästhetische oder architektonische Wir-

eine repräsentative Darstellung der christli-

kung zu sehen. Der Begriff Atmosphäre wird

chen Religion und gelten „als Ergebnis ästhe-

von Böhme als eine Interaktion zwischen dem

tischer Arbeit“. Sie sind „Inseln spezifischer

Raum und der Person gesehen. Um diese At-

Erfahrungen“ welche sich durch die Religion

mosphäre zu spüren muss man leiblich anwe-

oder eben durch die architektonischen Aus-

send sein. Als Beispiele nennt Böhme das Ste-

formulierungen zeigen.

hen unter einem Baum, der nicht „gesehen“,

Doch bekommen die Kirchengebäude nicht nur

sondern in seiner Mächtigkeit „gespürt“ wird;

durch ihre gottesdienstliche, liturgische oder

oder die Anwesenheit einer sirrenden Mücke,

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die in ihrer Anwesenheit empfunden wird.

Menschen und dem Raum bedingen das Erleb-

„Für das Spüren der Erhabenheit – hier des

nis der Atmosphäre.

kirchlichen Raumes – ist gerade der Kontrast

Die Atmosphäre entwickelt sich nicht nur

notwendig, nämlich, dass es zugleich das Spü-

durch die sakrale Funktion einer Kirche, son-

ren der eigenen Anwesenheit im Raum, näm-

dern auch durch die Architektur! Die persönli-

lich der verlorenen, gewissermaßen haltlosen

che Empfindung der Atmosphäre ist unabhän-

Anwesenheit im übergossen Raum ist.“

gig vom religiösen Hintergrund der Person.

„Die Auflösung der Blickfixierung und die Be-

Diese Wahrnehmung lässt sich zum einen

wegungsanmutung durch die Architektur

nicht vollständig auf die ästhetische Wirkung

führen zu einem Ausgleiten des Leibgefühls

und zum anderen nicht auf gottesdienstliche

ins Unendliche.“ ( beide in „Geheiligte Räume – Theolo-

Feier beschränken. Das Zusammenspiel der

gie, Geschichte, Symbolik des Kirchengebäudes“ )

Wahrnehmung des Raumes und dem Bewusst-

Im Kirchenraum einer gotischen Kathedrale

sein der Religion beeinflussen wiederum das

selber wird der Blick des Besuchers von den

Erleben des Raumes.

großen Fenstern, vom einstrahlenden Licht

Trotz der Erfahrung, ist und bleibt der Kirchen-

und von der Größe angezogen und verliert

raum ein besonderer Ort der gegenüber der

sich. Die profane Nutzung macht es nötig und

profanen Welt abgeschlossen ist und vor allem

ermöglicht es von Atmosphären in Kirchen zu

der Ausübung der christlichen Religion dient.

sprechen. Eine Interpretation ist, dass es dabei nicht mehr nur um die sakrale Nutzung geht, sondern der Raum geöffnet wird und die Atmosphäre nicht auf die Religion bezogen empfunden werden kann. Die Wirkung von Geräuschen, Gerüchen, Licht, Material, Farben, Wärme/Kälte, An-/Abwesenheit von Menschen und die Größe des Gebäudes lassen zusammen eine Atmosphäre entstehen. Persönliches Empfinden eines Raumes, Wirkungsinteraktion zwischen dem

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Öffnung & Nutzung von Kirchenräumen

Um die Kirche heutzutage erlebbar zu machen, sollte sie offen für alle Besucher und alternative Nutzungen sein. Zugänglichkeit bedeutet eine bessere Auseinadersetzung mit dem Kirchenbau und das Erleben der Atmosphäre. Kirche als öffentlichen Raum in der Stadt, steigert den Zulauf und die Attraktivität. Da sich vor dem Gebäude in der Regel ein öffentlicher Platz befindet, können dort Versammlungen und Feste abgehalten werden. Städtebaulich funktionieren der Platz und die Kirche jedoch getrennt, aufgeteilt in einen profanen und sakralen Bereich. Die Öffnung des sakralen Raums ist wesentlich für das Erleben des Kirchenraums. Schon 1748 hat der italienische Architekt Giambattista Nolli in seiner detaillierten Karte (Nolli Plan) von ganz Rom die Kirchen absichtlich als öffentliche Plätze dargestellt. Die christliche Kirche als Organisation kann davon ebenfalls profitieren. Schließlich setzt sie sich aus religiöser Sicht mit der Öffnung und Erneuerung von gottesdienstlichen Feiern auseinander. „Dafür entledigte er einen Teil der geschlossenen Räume, nämlich jenen der Kirchen, auch die cortili und giardini der palazzi – als öffentliche Räume.“

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Im Text Bei der 10. Synode der evangelischen Kirche Deutschland am 23. Mai 2003 wurde der Text „Der Seele Raum geben - Lirchen als orte der Besinnung und Ermutigung“ verfasst. Danach funktionieren Kirchen in unserer Gesellschaft als „Freiräume, die Menschen von der Pragmatik der Sach- und Alltagszwänge zumindest teilweise entbinden können.“ Allerdings können auch Moscheen, Tempel, Synagogen usw. oder auch Theater, Museen, Diskotheken und anderen Orte der Kultur übernehmen. Der Soziologen H.-G. Soeffner hat Besonderheiten von christlichen Kirchen aufgestellt. Für Soeffner sind Kirchen „monumentale Verweise auf etwas, was den Alltag“ übersteigt und setzen sich klar von anderen funktionsorientierten Gebäuden ab. Selber sind die Gebäude deutliche Repräsentanten und „Identifikationszeichen für den christlichen Glauben“. Die Kirche sticht mit ihrer Glaubens- und Lebensvorstellung in der Gesellschaft hervor. Schließlich gehen nicht nur die Gläubigen in Ausschnit St. Peter, Nolli-Plan, G. Nolli, 1748

die Kirche. Die Anziehungskraft gilt für Gläubige, Weniger- oder für Nichtgläubige. Der Theologe F. Steffensky betont, dass Kirchengebäude deutlich zu erkennen sein sollen, um für die Menschen die sie brauchen sichtbar zu sein.

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Positionen der Kirchen

Position der katholischen Kirche Die Positionen der beiden christlichen Kirchen in Deutschland haben für die Nutzung und Funktion einen ähnlichen Ansatz. Bei der katholischen Kirche geht es nach den „Leitlinien für den Bau und die Ausgestaltung von gottesdienstlichen Räumen“ um die Begegnung der Menschen untereinander und mit Gott. Der Raum soll durch die Architektur und die Kunst Ausdruck und Träger von Bedeutungen über das Materielle hinaus sein. Die katholische Kirche sieht zwischen Kirchenraum und Glauben eine starke Verbindung. Der Raum muss neben den architektonischen Voraussetzungen, genügend Platz für die Gemeinde und ausreichend belichtet sein sowie den liturgischen Voraussetzungen entsprechen. Die Gläubigen sollen durch den Raum den Glauben erleben können. Der Kirchenraum soll Gott vergegenwärtigen und „zum Ort der Anschaulichkeit des Wortes. Er wird die Gestalt gewordene Theologie oder „Doxologie in Stein“. Doxologie bedeutet zum einen die Herrlichkeit Gottes und zum anderen beschreibt sie den Abschluss eines Gebetes und damit den Höhepunkt wie beim Vaterunser. „Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.“

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„Doxologie in Stein“ kann damit die architek-

Position der evangelischen Kirche

tonische Übersetzung der Größe oder Gegenwart Gottes für die Gläubigen bedeuten. Das

Die evangelische Kirche geht prinzipiell da-

schon beschriebene Gefühl der Größe eines

von aus, dass ein Gottesdienst auch ohne ein

Raumes oder „das etwas da ist“, beschreibt

Gebäude stattfinden kann, ein Raum jedoch

diese Übersetzung. Über die Kirchenbauge-

für die Durchführung sinnvoller und prakti-

schichte hinweg, haben Architekten versucht

scher ist. Aussehen, Gestaltung und Konzep-

eine „göttliche Architektur“ zu schaffen. Je

tion dienen primär dem Gottesdienst, lassen

nach Einstellung der Kirche oder Bauherren,

aber noch Spielraum für weitere Nutzungen.

fällt die Interpretation verschieden aus. Dazu

„Er soll so beschaffen sein, dass in ihm durch

reicht ein Vergleich von Kirchen aus verschie-

Lesung, Predigt, Gebet, Musik und bildende

denen Epochen. Die Erschaffung einer Stim-

Kunst das Wort Gottes verkündigt und gehört

mung, ob nun profan oder sakral, wird immer

werden kann.“ Entschärft wurde diese Aussage

wieder neu interpretiert. Wobei die Möglich-

aus „Der evangelische Kirchenraum“ von 1991

keiten gleich bleiben. Ort, Material, Kunst und

durch die EKD-Synode von 2003 stellt den Kir-

die Ausführung bilden die architektonische

chenraum als eine öffentlichen Raum dar, der

Atmosphäre.

sich als Begegnungsstätte für Menschen auch außerhalb des sakralen Betriebes versteht. Der Ansatz zur Gestaltung von Kirchengebäuden ist pragmatischer und funktionsorientierter als bei der katholischen Kirche. Ein Gebäude muss demnach für den Gottesdienst zu gebrauchen sein und sich dabei aber von profanen Bauten unterscheiden („Rummelsburger Richtlinien“). Eine eigene Formsprache ist dabei wichtig um diese Unterscheidung zu gewährleisten.

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Die Architektur von Carsten Schrรถck

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Als gebürtiger Bremer kam ich um die Archi-

tekten bestand, brachte neue Einflüsse, sowie

tektur von Carsten Schröck (1923-1973) nie

auch der „Neue Empirismus“ aus Skandinavi-

vorbei. An prägnanten Orten der Stadt sind

en. 1962 wurde auf Anregung von Hans Bud-

sie zu finden und drängen sich doch nicht

de das die Bürogemeinschaft Ahlers, Brede,

auf. Die Banbdbreite seiner Arbeiten reicht

Budde, Schröck gegründet. Sie bestand bis

vom Einfamilienhaus bis zur ersten Seilnetz-

1976. Ebenfalls begann in dieser Zeit die Zu-

druckbogenkonstruktion weltweit. Als Nach-

sammenarbeit mit dem Ingenieur Frei Otto.

kriegsarchitekt war er maßgeblich am neuen

Das zweite imposante Projekt an dem beide

architektonischen Gesicht Bremens beteilgt.

kooperierten, war die Überdachung eines Ha-

Nach seinem Studium in Braunschweig kehrte

fendaches im Bremer Hafen. Die Seilnetzkon-

er 1950 in seine Heimatstadt zurück und ar-

struktion überspannte eine Fläche von 1500

beitete bis 1952 im Büro von Herbert Hanke.

auf 390 Metern. Jedoch wurde das Dach aus

Während dieser Zeit war er mit verantwort-

Kostengründen nicht realisiert.

lich für den umbau des Parkhotels und für

Von der Konstruktionsform überzeugt, wurde

den Entwurf des Zentralen Omnibus-Bahnhofs

die Methode bei der Kirche der Sankt Lukas

am Bremer Hauptbahnhof. Erste Bauten in

Gemeinde in Bremen Grolland angewendet.

der Selbstständigkeit waren unter anderem

Mit der Dachform des hyperbolischen Parabo-

die Jugendherberge (1955) und die Ziosnkir-

loiden entstand das erste Gebäude mit einer

che (1956). Die Kirche in der Bremer Neustadz

Seilnetzdruckbogenkonstruktion realisiert.

(Kornstr.) war die erste moderne Nachkriegs-

Das Spektrum von Schröcks Architektur um-

kirche in der Hansestadt. Ausschlagebend

fasste nicht nur spektakuläre Entwürfe, son-

war die „Kombination aus einem sachlichen,

dern auch ein ruhigeres Design. Zu nennen

gleichwohl raffinierten architektonischen Auf-

sind die Bremische Volksbank in der Bremen

bau und zeichenhaften Elementen“. So wird

Innenstadt oder das Kaffeehaus am Emmasee

der Bau im Buch „Carsten Schröck - Architek-

im Bremer Bürgerpark.

tur einer Hafenstadt“ beschrieben. In der Zeit

Auch internationnal sammelte Carsten Schröck

zwischen 1957 und 1965 bereichtete sich der

Erfahrungen. Mit seinem Besuch in Westafrika

Stil von Schröck. Die Zusammenkünfte der

und Ghana 1962 entstanden mehrere Projekte

Gruppe „Zementring“, die aus Bremer Archi-

und das „Architekturbüro für Tropenbauten“.

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Neben den Projekten in Togo, einem See-

Mit dem angeschlossenen Gemeindezentrum,

mannsheim der Deutschen Seemannsmission

inklusive Kindergarten, das als flacher Bau-

in Lomé 1965 und dem Sozialzentrum in Nu-

körper ausgebildet, wurde ein komplexe und

atja ebenfalls 1965, experimentierte der Ar-

gleichzeitig Begegnungsstätte geschaffen.

chitekt wiederum mit Seilnetzen. Ein bemer-

Das Spätwerk wurde von Kirchebauten ge-

kenswertes Projekt ist die Seilnetzkirche in

prägt. Das Gemeindezentrum der Trinitatis Ge-

ghanaischen Ho, dass zwischen 1963 und 1964

meinde in Bremen Tenever war eines der letz-

bearbeitet wurde. An einem aufragenden Py-

ten begonnen Projekte von Carsten Schröck,

lon spannte sich ein an mehreren Punkten am

der 1973 überraschend starb und die Realisie-

Boden gehaltenes Netz. Inspirationen bekam

rung dieses Gebäudes nicht mehr erlebte.

Schröck für seine Afrika Projekte auch durch

Besonders beim Kirchenbau kam ihm die re-

die lokalen Baumethoden. So erinnert das

lative Eigenständigkeit der Bremer Kirchen-

Dach der Kirche in Ho an ein im Wind wehen-

gemeinden. Nur so gab es die Möglichkeiten

des Fischernetz.

für die Kirchenbauten. Über die Direktverga-

Der Kirchebau stand immer wieder im Vorder-

be der Aufträge durch die Gemeinden, konn-

grund der Arbeit. Im Bremer Stadtteil Huchtin-

te bürokratische Hürde umschifft werden und

gen wurde 1971 das Gemeindezentrum Diet-

den Weg für diese neue Kirchenbauart frei ma-

rich Bonhoeffer eingeweiht. Wieder einmal

chen.

wurde die erprobte Seilnetzkonstruktion angewendet. Hier allerdings in wesentlich skulpturaler Form. Das Seilnetzdach spannt sich über einen fünfeckigen Grundriss und wird ebenfalls an fünf Punkten am Boden gehalten. Die doppletgewölbte Form ergibt sich aus den vier unterschiedlichen Höhen der Haltepunkte. So extrem wie der Außenraum sich gibt, so minimalistisch wirkt das Innere. Es gibt keine feste Bestühlung. Nur der Chor, sowie eine Empore mit einer Orgel sind fest installiert.

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Kaffeehaus am Emmasee, C. Schrรถck/H. Budde, Bremen, 1964

Projekt Hafendach, Modellfoto, C. Schrรถck/H. Budde/D. Heinrichs/F.Otto, Bremen, 1961

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Die Architektur von Carsten Schröck war von

„konservative Teil“ der Kirchenraum. Betont

der Suche nach einem Ausgleich zwischen

wird das Zusammenspiel von Offenheit und

menschlichen Grundbedürfnissen, wie Begeg-

Geborgenheit von Kirchenkomplexen. Dazu

nung und Rückzug, sowie Aufbruch und Ge-

schrieb Carsten Schröck in seine Gedanken

borgenheit. Schröcks Architektursprache lässt

zum Kirchenbau: „ Es hat keinen Zweck eine

sich in drei Komponenten einteilen. Als erstes

offene Tür ins freie Feld zu stellen. Hinter der

die brutalistische unter die zum Beispiel die

offenen Tür muß eine abgeschlossene Raum-

das Hafendachprojekt fällt. Des Weiteren gab

folge liegen, die vielen Geborgenheit bietet.

es die visionär-utopische, welche die Vertie-

Wenn diese offene Tür wirklich allen offen ist,

fung in die Seilnetzkonstruktionen beinhaltet.

dann verbindet sich das Gemeindezentrum

Schließlich die regionalistische Komponente,

mit dem Stadtteil zu einem gemeinsamen Le-

in der unter anderem das Haus der Familien

bensraum.“

Schröck in Quelkhorn. Die strukturellen Ideen waren nicht mit urbanistischen, ökologischen oder sonstigen Programmatiken verbunden. Schröck hatte die Sehnsucht nach einer „anderen“ Architektur. Die Kirche sah er als offen, als einen erweiterten Marktplatz an. In den „Gedanken zum gegenwärtigen Kirchenbau zwischen Vergangenheit und Zukunft“ von 1969 schreibt er: “Der Kirchenraum ist wie ein Bindeglied, ein Raum zwischen dem transzendenten Ziel des Glaubens dieser zeit und dem aufblühenden Leben in den Städten. Stadtraum und Kirche sind ein organisch gewachsenes Gefüge, übereinstimmend mit dem Leben und Denken ihrer Zeit.“ Der Kirchenraum steht für einen Versammlungsraum der Gemeinde. Dabei ist

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Dietrich Bonhoeffer Gemeinde

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