«sein Geist ist zu allem fähig»

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Die erste Monographie ßber den bedeutendsten Porträtmaler des Spätbarock im schweizerischen und sßddeutschen Raum

Manuel Kehrli Manuel Kehrli sein Geist ist zu allem fähig

Manuel Kehrli, geb. 1977, Dr. phil., hat an der Universität Bern Kunstgeschichte studiert, war von 2006 bis 2009 Konservator der Stiftung Schloss Jegenstorf und ist seit 2009 Mitarbeiter der Kantonalen Denkmalpflege in Aarau.

Der Maler, Sammler und Kunstkenner Johann Rudolf Huber 1668 –1748

Seinen Zeitgenossen war Johann Rudolf Huber (1668–1748) als Maler, Zeichner, Kunstkenner, Händler und Sammler im schweizerischen und sĂźddeutschen Raum bestens bekannt. Sein umfangreiches Werk ist jedoch nur in geringem Mass Ăśffentlich geworden. Viele seiner grossartigsten Bilder befinden sich bis heute in Privatbesitz. Darin sind die GrĂźnde zu suchen, weshalb Huber weitgehend in Vergessenheit geriet und nun auf seine Wiederentdeckung wartet. Johann Rudolf Huber liess sich in Basel und Bern zum Maler ausbilden und verbrachte anschliessend Wanderjahre in Italien. Er arbeitete in Venedig in der Werkstatt des Landschaftsmalers Cavaliere Tempesta und verfeinerte seine Kunst an der rĂśmischen Akademie bei Carlo Maratta. Nach seiner RĂźckkehr liess er sich vorerst in Basel nieder, wo er mit dem badischen Markgrafen ins Geschäft kam, bis er schliesslich 1697 an den wĂźrttembergischen Hof nach Stuttgart berufen wurde. 1700 kehrte er nach Basel zurĂźck, um zwei Jahre später dem Ruf eines Freundes nach Bern zu folgen. Hier erfreute sich das Patriziat an seinen neuartigen, fĂźrstlichen und luftig-frischen Bildnissen. In seiner frĂźhen Berner Zeit begann er ein Werkregister zu fĂźhren, das fĂźr sein Ĺ’uvre und darĂźber hinaus fĂźr die Kunstgeschichte eine einzigartige Quelle darstellt. Hubers schneller, präziser und dennoch lebendiger Pinselstrich Ăźberzeugte seine Kundschaft, sei es im republikanischen Bern oder in den Kreisen des sĂźddeutschen Hochadels vor dem Hintergrund des Spanischen Erbfolgekrieges.

ÂŤsein Geist ist zu allem fähigÂť Der Maler, Sammler und Kunstkenner Johann Rudolf Huber 1668 –1748

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Frontispiz Johann Rudolf Huber, Selbstbildnis, 1710, Ă–l auf Leinwand, 42,5 x 33,5 cm. Kunstmuseum Basel.


Manuel Kehrli

«sein Geist ist zu allem fähig» Der Maler, Sammler und Kunstkenner Johann Rudolf Huber 1668–1748

Schwabe Verlag Basel


Impressum

Die Herstellung dieses Buches wurde durch folgende Personen und Institutionen freundlich unterstützt: Berta Hess-Cohn Stiftung, Basel Lotteriefonds des Kantons Bern Kanton Aargau Gesellschaft zu Mittellöwen, Bern Burgergemeinde Bern DC Bank, Bern Herrn Thüring von Erlach, Bern Herrn Rudolf von Fischer, Bern

© 2010 Schwabe AG , Verlag, Basel und Dr. Manuel Kehrli, Bern Kein Teil des Werks darf in irgendeiner Form ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder elektronisch verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Lektorat: Marianne Wackernagel, Schwabe Gestaltung und Satz: ADD Atelier Design+Druck AG , Bern Reproduktionen: Photolitho Bienna AG , Biel/Bienne Druck: Schwabe AG , Druckerei, Muttenz/Basel Einband: Buchbinderei Grollimund AG , Reinach/BL Printed in Switzerland ISBN 978-3-7965-2702-9

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Hans Christoph von Tavel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Rezeptionsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 Biographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Herkunft und erste Ausbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tempesta und Maratta als Lehrer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Höfische Kunden in Württemberg, Baden und Kurpfalz . . . . . . . . . . Bern, Neuenburg und Baden im Aargau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kunstkenner ......................................................... Sammler und Händler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die letzten Jahre in Basel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

25 25 27 31 39 49 55 57

.................................................... Register der Contrafeit 61

Porträtmalerei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einzel- und Doppelporträts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .................................................... Gruppenporträts Obrigkeitliche Bildnisfolgen in Bern und Basel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

69 69 88 94

Das weitere Werk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 Historienbilder und allegorische Darstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 Landschaften 121 ........................................................ Reproduktionsgraphik 127 .............................................. Dekorative Arbeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173


Inhaltsverzeichnis

Anhang Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 Quellentexte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 Abbildungsnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215


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Vorwort

Das vorliegende Buch ist in verschiedener Hinsicht bemerkens- und bedenkenswert. Es enthält nicht nur erstmals einen sorgfältig und detailreich bearbeiteten Überblick über das Schaffen von Johann Rudolf Huber, sondern bricht aus den unzähligen Wälzern aus, die seit über hundert Jahren von Kunsthistorikern, Museen und geschäftstüchtigen Verlegern immer wieder über dieselben 100 oder 200 europäischen Künstler geschrieben und publiziert werden und damit «Schlüsselfiguren» der Kunstgeschichte bewirkten, die heute öffentliche und private Bibliotheken aus ihren Nähten platzen lassen und Internet-Benützer zur Verzweiflung bringen. Hier begegnen wir einem Maler und Zeichner, der heute nur einem beschränkten Kreis von Kennern ein Begriff ist, zu seiner Zeit jedoch, in einer kulturellen Blütezeit der süddeutschen höfischen Kultur und der bernischen Aristokratie, für mannigfache Aufträge von Raumausstattungen und Bildnissen bis zu Entwürfen für Gold- und Silberschmiedearbeiten, plastische Kunst am Bau, Siegel und Medaillen etc. zur Verfügung stand und ein immenses Œuvre hinterlassen hat. Gebürtig aus Basel, dem er immer treu geblieben ist, gefiel er als Künstler und sicher auch als Mensch dem dort im Exil lebenden Markgrafen Friedrich Magnus von BadenDurlach und dessen Schwiegersohn, Herzog Eberhard Ludwig von Württemberg, und erfüllte deren Bedürfnisse nach Bildnissen und der malerischen Ausstattung im Schloss Stuttgart. In der Eidgenossenschaft, die Huber schliesslich dem Hof in Stuttgart vorzog, waren es dann vor allem Berner Patrizier, die dem unermüdlich arbeitenden Künstler durch tausende von Aufträgen zu offiziellen und privaten Bildnissen und anderen Vorhaben gerecht werden konnten. Das Selbstbildnis des 42-Jährigen zeigt ihn als Maler mit offenem Hemd, aber mit Gilet aus blauer Seide und rotgolden leuchtendem Schultermantel, der der fürstlichen Pose entspricht, mit der Huber die Linke auf eine steinerne Balustrade mit seinem Wappen stützt. In der Rechten hält er die Palette, und um den Hals trägt er die Medaille, welche ihm von Herzog Eberhard Ludwig von Württemberg verliehen worden war, die ihn aber auch als Schöpfer von Medaillen kennzeichnet.

Frontispiz


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Vorwort

Im Werk Hubers sind nicht nur schweizerische, sondern auch italienische, deutsche und französische Wurzeln und Beziehungen auszumachen. In diesem Sinne ist er wie sein Lehrer Joseph Werner ein echter Vertreter eidgenössischer künstlerischer Kultur. Manuel Kehrli geht der Ausbildung in der privaten Akademie von Werner in Bern, den Anforderungen eines deutschen Hofes und der französischen Mode von Bildnissen ebenso nach wie den Wanderjahren Hubers in Italien. Dort erfreute sich der Bildnismaler schon in jungen Jahren einer ausserordentlichen Beliebtheit bei Auftraggebern in Mailand, Vicenza oder Venedig. In Rom gelangte er unter den Einfluss von Carlo Maratta, bei dem wahrscheinlich schon Joseph Werner ausgebildet worden war. Doch Huber verstand die Zeichen der Zeit besser als Werner: Die Führung Italiens in Kunst und Architektur beschränkte sich in den Augen wacher Zeitgenossen mehr und mehr auf die Meister der Vergangenheit und auf die klassische Antike, während die weltlichen und kirchlichen Fürstenhöfe und die Klöster in Frankreich und Deutschland mit einem neuen Weltbild und mit neuen Forderungen und Vorstellungen an die Künstler traten. Vermutlich nicht aus eigenem Willen, wohl aber als Kind seiner Zeit und in der Folge seines Schicksals sollte Huber zum Maler eines späten Triumphs der Reformation in der Geschichte der Eidgenossenschaft werden. Hatte sich in Bern schon die Gewohnheit eingelebt, die jeweiligen Schultheissen, teilweise auch rückwirkend, in lebensgrossen repräsentativen Bildnissen zu verewigen, so wurde Huber nach dem Sieg Berns und Zürichs über die katholischen fünf Orte im zweiten Villmergerkrieg 1712 der Auftrag erteilt, die bernischen Generäle in Bildnissen geradezu verherrlichend darzustellen. Die Bildnisse wurden in üppigen barocken Rahmen, die in Lyon in Auftrag gegeben worden waren, neben den Bildnissen der Schultheissen aufgestellt. Sie bedeuten nicht nur die glanzvollste malerische Leistung Hubers, sondern bedeuten den Höhepunkt der offiziellen schweizerischen Bildnismalerei der damaligen Zeit schlechthin. Dass Huber nicht nur die offizielle Repräsentation von staatlichen Würdenträgern beherrschte, sondern in privatem Rahmen auch persönliche Wesenszüge der


Vorwort

Dargestellten wiederzugeben verstand, belegen die vielen Bildnisse, die sich bis heute zum grossen Teil noch im Besitz der betreffenden Familien befinden. Ein besonders eindrückliches Beispiel für die der offiziellen Repräsentation entgegengesetzte Malkunst Hubers stellt das Bildnis von Albrecht von Haller dar: Offensichtlich beeindruckt von dem jungen Gelehrten und Dichter stellt ihn der nahezu 70-jährige Huber alltäglich gekleidet in einem einfachen Sessel sitzend dar, den Blick nachdenklich auf den Betrachter gerichtet, in den Händen Buch, Tintenfass und Gänsekiel, während wie eine Vision im nächtlichen Hintergrund ein Motiv aus den Alpen aufleuchtet, die er sieben Jahre zuvor in einem epochemachenden Gedicht besungen hatte. 1736, als Huber dieses Bild malte, wurde Haller, der in Bern nur mässiges Ansehen genoss, als Professor nach Göttingen berufen. In diesem Buch kommen wir einem Menschen näher, der zwar geschäftstüchtig und anpassungsfähig die Wünsche seiner Auftraggeber termingerecht zu erfüllen vermochte, zugleich aber sensibel auf seine Mitmenschen einging. Huber war nicht ein Maler, der seine Bilder um der Kunst willen malte, sondern einer, der sein bedeutendes handwerkliches Können in den Dienst der Gesellschaft stellte, die sich dargestellt haben wollte. Die Kunst Johann Rudolf Hubers ist nicht als kritische Auseinandersetzung mit seiner Umwelt zu verstehen, sondern als «realistische» Darstellung der Idealvorstellungen, die sich die Gesellschaft von sich selbst machte. In diesem Sinne ist Huber ein bedeutender Meister der barocken Kunst und ist dieses Buch ein Vorstoss in weite Felder der Kunstgeschichte, die noch nicht gepflügt sind. Hans Christoph von Tavel

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Abb. 30 S. 86


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Abb. 1 Johann Rudolf Huber, Niklaus Tscharner, 1713, Ă–l auf Leinwand, 116 x 90,5 cm. Bernisches Historisches Museum.


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Einleitung

«Niemals hat ein Mahler einen leichtern, einen meisterhaftern Pinsel geführt als unser Huber. Er mahlte mit einer wunderbaren Keckheit, und war in der Farbe ausnehmend stark, – voll Feuer, alles lebt in seinen Werken, und sein Geist ist zu allem fähig, aber auch zu hitzig, um alles auszuführen. Ich habe Gemählde von ihm gesehen, die jedem Mahler der Welt Ehre machen würden»1, schreibt Johann Caspar Füssli, der mit Kritik meist nicht zurückhält, 1757 im zweiten Band der Geschichte der besten Künstler in der Schweitz. Der Spanische Erbfolgekrieg mit seinen dramatischen Auswirkungen und die geistigen Strömungen der Frühaufklärung bilden den geschichtlichen Hintergrund von Hubers künstlerischem Schaffen. Die Wand- und Deckengemälde im Alten Schloss Stuttgart, die Porträts der vier Villmerger Generäle in Bern, die Professorengalerie in Basel, das Gruppenbild mit dem Badener Friedenskongress (heute Schloss Versailles) und – als öffentlichstes Werk überhaupt – das mächtige Kornhaus-Giebelfeld in Bern sind Werke Johann Rudolf Hubers (1668–1748), die nach dreihundert Jahren nach wie vor unser Auge erfreuen und ihre ursprüngliche Aufgabe erfüllen. Doch wer diese Werke schuf, ist kaum mehr bekannt. Dies lässt sich nur dadurch erklären, dass Huber vor allem für private Auftraggeber tätig war – er malte mehrere Tausend Porträts – und sich viele seiner Gemälde noch heute in Privatbesitz befinden. So ist sein umfangreiches Werk nur in geringem Mass öffentlich geworden, und der in Basel geborene Maler, Zeichner, Entwerfer, Kunstkenner, Kunsthändler und Ratsherr geriet in Vergessenheit. Zu seinen Lebzeiten war dies anders: Als einer der meistbeschäftigten Künstler im damaligen schweizerischen Raum arbeitete Huber in erster Linie in Bern und Basel, aber auch in Luzern, Neuenburg, Baden, Solothurn und weiteren Orten. Darüber hinaus war er immer wieder für südwestdeutsche Fürstenhöfe und Adelshäuser tätig. In der Stadt und Republik Bern nahm er eine besondere Stellung ein, indem er im Auftrag der Obrig

1 Johann Caspar Füssli, Geschichte der besten Künstler in der Schweitz nebst ihren Bildnissen, Bd. II , Zürich: Orell, Gessner & Cie., 1769, S. 267.

Abb. 1


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Einleitung

Abb. 2 Johann Rudolf Huber, Christoph Steiger, um 1720 Öl auf Leinwand, ca. 105 x 80 cm. Privatbesitz.

Abb. 2

keit und der patrizischen Familien nicht nur Bildnisse malte, sondern auch kunstgewerbliche Arbeiten entwarf und ausführte. Es gab in Bern vor und nach ihm keinen Künstler, der derart viele und vielfältige Aufträge durch den Staat erhielt. Diesem Umstand wird im Folgenden besonders Rechnung getragen: Die aussergewöhnliche Quellenlage erlaubt es, die Beziehungen zwischen den Exponenten der bernischen Obrigkeit und dem Maler als direktem Auftragnehmer minutiös nachzuzeichnen sowie die Funktion seiner Porträts, Münzen, Medaillen und anderer in obrigkeitlichem Auftrag entstandener Werke aufzuzeigen und kunsthistorisch einzuordnen. Die Stellung als universell tätiger «Hofmaler» der stolzen Stadtrepublik Bern hat Johann Rudolf Huber bis ins Alter von siebzig Jahren immer wieder allen anderen sich anbietenden Möglichkeiten vorgezogen. Die letzten zehn Jahre seines langen Lebens verbrachte er jedoch in seiner Geburtsstadt Basel als Mitglied des Kleinen Rates. Die Tatsache, dass Huber heute weitgehend unbekannt ist und daher bisher über ihn nur spärlich geschrieben wurde, setzt eine minutiöse Spu-


Einleitung

rensuche voraus, wenn man ihm und seinem Werk näher kommen will.2 Hubers eigenhändiges Werkverzeichnis bildete gemeinsam mit Füsslis Biographie eine solide Quellenbasis, doch seine Werke, ergänzende Quellen und Äusserungen von Zeitgenossen und Kritikern ausfindig zu machen, war kein leichtes Unterfangen. Es galt, feinste Fäden im unübersichtlichen Gewirr zu einem umfassenden Bild des Künstlers und seiner Lebensumstände zu verweben. Dieses Buch soll daher Leben und Werk Johann Rudolf Hubers grundlegend umreissen und die verschiedenen Kunstgattungen innerhalb seines Werkes auffächern. Das gesamte, aussergewöhnlich umfangreiche Œuvre Hubers zu erfassen, war im Rahmen der vorliegenden Darstellung nicht möglich. Dass sich die meisten Werke, darunter viele zentrale, in privaten Händen befinden, macht ihre Erforschung schwierig. Die greifbaren Gemälde, Zeichnungen und dekorativen Objekte – glücklicherweise gelangten einige bedeutende Werke dennoch in öffentliche Sammlungen der Schweiz, Deutschlands und Frankreichs –, das eigenhändige Werkverzeichnis sowie die entsprechenden Quellenbestände der Archive in Basel, Bern, Stuttgart und Karlsruhe werden im vorliegenden Buch erstmals im Zusammenhang betrachtet und ausgewertet. Eine wesentliche Grundlage dieser Arbeit ist das erwähnte Werkverzeichnis, das Register der Contrafeit.3 Herr Dr. Georges Herzog hat von diesem vor längerer Zeit eine Abschrift angefertigt und mir diese freundlicherweise zur Nutzung überlassen, wofür ich ihm an dieser Stelle herzlich danken möchte.

2 Carlo Ginzburg, Spurensicherungen. Über verborgene Geschichte, Kunst und soziales Gedächtnis, Berlin: Klaus Wagenbach, 1983, S. 61–92. 3 [Johann Rudolf Huber], Register der Contrafeit so ich nach dem Leben Gemahldt habe von Anno 1683. Sambt der Arbeit, Kunstmuseum Winterthur, ohne Inv.Nr.

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Abb. 3 Anton Graff, Elisabeth Sophie Augusta Graff-Sulzer, um 1771, Öl auf Leinwand, 57,6 x 47,4 cm. Kunstmuseum Basel.


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Rezeptionsgeschichte

Der einzige bekannte Werkstattmitarbeiter und Schüler Johann Rudolf Hubers ist sein Schwiegersohn, der Winterthurer Johann Ulrich Schellenberg (1709–1795). Dessen Sohn Johann Rudolf Schellenberg (1740–1806) erhielt bei Huber in Basel ersten Zeichenunterricht. Mit den Basler Trachten, einer Radierungsfolge nach Vorlagen Hubers, hat er seinem Grossvater künstlerisch und dokumentarisch ein angemessenes Denkmal errichtet. Anton Graff (1736 –1813) kam durch seine erste Ausbildung bei Johann Ulrich Schellenberg in Winterthur mit Hubers Werk und Nachlass in engste Berührung. In einigen Werken Graffs sind Hubers Stilmittel erkennbar, insbesondere im Porträt seiner Frau Auguste Graff geborene Sulzer.4 Körperhaltung, Blickrichtung und Kleidung sind dem Bildnis der Susanna Margaretha Frisching-Stürler sehr nahe. Der ebenfalls aus Basel stammende, in Bern tätige Maler Emanuel Handmann (1718–1781) dürfte einer der ersten Künstler gewesen sein, der Kopien von Bildnissen Hubers anfertigte. Bekannt sind etwa die Porträts des Berner Schultheissen Christoph Steiger I. (1651–1731) und des Basler Bürgermeisters Samuel Merian (1685–1760).5 Der badische Hofmaler Philipp Heinrich Kisling (1713–1767) kopierte und renovierte 1759 die Galerie der Markgrafen von Baden-Durlach.6 Dabei entstand eine Kopie des ganzfigurigen Herrscherporträts Carl Wilhelms von Baden-Durlach (1679–1738).7 Dieses ist heute das meist reproduzierte Abbild des Gründers von Karlsruhe. Dass es sich dabei lediglich um eine Kopie nach Huber handelt, ist über die Jahrhunderte in Vergessenheit geraten. Zahlreiche Werke aus der Hand Hubers erschienen als Reproduktionen im Druck, viele in Augsburg, Göttingen oder Basel. Neben Bildnis-

4 Kunstmuseum Basel, Inv.Nr. 260, 1771, Öl auf Leinwand, 57,6 x 47,4 cm; Ganz 1953, Taf. 41. 5 Thomas Freivogel, Emanuel Handmann 1718 –1781. Ein Basler Porträtist im Bern des ausgehenden Rokoko, Murten 2002, S. 227, Nr. 531 und S. 172, Nr. 217. 6 Gerda Franziska Kircher, Zähringer Bildnissammlung im Neuen Schloss zu Baden-Baden, Karlsruhe: Braun, 1958, S. 16. 7 Barock in Baden-Württemberg: vom Ende des Dreissigjährigen Krieges bis zur Französischen Revolution [Hrsg. Badisches Landesmuseum Karlsruhe], Karlsruhe: Badisches Landesmuseum, 1981; Badisches Landesmuseum, Inv.Nr. R 514, um 1775, Öl auf Leinwand.

Abb. 3

Abb. 7 S. 45


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siehe S. 127

siehe S. 50

Rezeptionsgeschichte

sen entwarf Huber auch Titelblätter für wissenschaftliche oder literarische Veröffentlichungen. Bis zur Erfindung der Photographie wurden seine Bildnisse immer wieder als Vorlagen für druckgraphische Buchillustrationen herangezogen. Eine der frühesten erhaltenen schriftlichen Äusserungen zum Werk Hubers ist ein Gedicht aus der Feder des badischen Schriftstellers Carl Friedrich Drollinger (1688–1742), welches von Johann Jakob Spreng 1743 ediert worden ist.8 Drollinger hob darin Hubers Kennerschaft besonders hervor: «Dir ist der ganze Chor der grösten Meister kund. Du kennest ihre Weisen, und was an jedem Werk zu tadeln und zu preisen. Du weist, wie Dürer stets auf strenge Regeln zielt, und Holbeins reicher Geist in freyer Schönheit spielt [...]».9 Obwohl die Schaffensperiode Johann Rudolf Hubers von ungefähr 1685 bis 1718 durch ein eigenhändiges Werkverzeichnis ausserordentlich gut dokumentiert ist, blieb er nach seinem Tod «mehr als unbeachtet», wie es Marcel Röthlisberger vor dreissig Jahren ausdrückte.10 Hubers Werk darf bis heute ohne weiteres als unerforscht bezeichnet werden. Als primäre Quellen zu seiner Biographie dienen das schon erwähnte Werkverzeichnis und die Biographie Johann Caspar Füsslis in dessen Geschichte der besten Künstler in der Schweitz.11 Füssli widmete Huber im zweiten Band fünfzehn Seiten und beginnt die Biographie mit den folgenden Worten: «Wenn ich die Wanderung der Seelen des Pythagoras glaubte, – so würde ich für gewiss annehmen, dass die Seele des Tintoretto oder Merigi den Cörper desjenigen Künstlers wiederum belebt habe, den ich jetzt zu beschreiben gedenke.»12 In einem Brief aus dem Jahre 1758 an Jean-Baptiste Descamps berichtet der Kupferstecher Johann Georg Wille über den zweiten Band von Füsslis Geschichte der besten Künstler der Schweitz und zählt die darin vor

8 Carl Friedrich Drollinger, Gedichte. Faksimiledruck nach der Ausgabe von 1743 [Herrn Karl Friedrich Drollingers/weiland Hochfürstlich-Baden-Durlachischen Hofraths und geheimen Archivhalters, Gedichte, samt andern dazu gehörigen Stücken/wie auch einer Gedächtnißrede auf Denselben ausgefertigt von I. I. Sprengen/ D. G. W. der deutschen Beredsamkeit und Poesie öffentlichem Lehrer zu Basel, wie auch der D. G. in Leipzig und Bern Mitglide, BASEL , druckts und verlegts Joh. Conrads von Mechel sel. Wittwe, 1743], Stuttgart 1972, S. 73–77. 9 Füssli 1769 II , S. 270. 10 Marcel Röthlisberger-Bianco, Once more Mulier Tempesta, in: Antologia di Belle Arti, Bd. II (1978), S. 248 – 256, hier S. 253. 11 Füssli 1769 II , S. 256 – 271. 12 Füssli 1769 II , S. 257.


Rezeptionsgeschichte

gestellten, von ihm als bedeutend erachteten Maler auf, darunter auch Johann Rudolf Huber.13 Der französische Kunstliebhaber Denis-Pierre-Jean Papillon de La Ferté widmete in dem 1776 in Paris erschienenen Extrait des différens ouvrages publiés sur la vie des peintres im Kapitel École allemande neben Georg Philipp Rugendas und Johannes Kupetzky auch Huber mehrere Seiten.14 An der 1804 in Bern erstmals veranstalteten Kunst- und Industrieausstellung wurden vier Gemälde Hubers ausgestellt.15 Mehr als der Hinweis «Schüler Werners» wird hier über Huber nicht gesagt. Matthew Pilkington und Johann Heinrich Füssli räumten Huber in dem 1805 in London erschienenen Dictionary of Painters from the revival of art to the present period als einem von sehr wenigen Schweizern einen Artikel ein.16 Hans Rudolf Füssli (1709–1793) äusserte sich über Huber in dem 1806 erschienenen, zweiten Band des Allgemeinen Künstlerlexikons wie folgt: «Johann Rudolf Huber [...] verband die Talente und Kunstfächer der beyden Berner Werner und Dünz in Einer Person. Seine Bildnisse geben denen des letztern, seine historischen und allegorischen Compositionen denen Werner’s, nichts nach.»17 Georg Kaspar Nagler (1801–1866) nennt Johann Rudolf Huber 1838 im Neuen allgemeinen Künstlerlexikon «[einen] Maler, der [für] seine Zeit mit Auszeichnung genannt werden muss»18, und fügt hinzu «Huber componirte mit Feuer, und besonders sah er auf ein glänzendes Colorit».19 Auch Nagler hebt Hubers Umgang mit der Farbe hervor. Daniel Burckhardt bemerkte im 1905 bis 1917 erschienenen Schweizerischen Künstler-Lexikon, Huber gehöre unstreitig zu den begabtesten Ver 13 Johann Georg Wille (1715–1808). Briefwechsel, hrsg. von Elisabeth Decultot et al., Tübingen: Niemeyer Verlag, 1996, S. 175–176. 14 Denis-Pierre-Jean Papillon de La Ferté, Extrait des différens ouvrages publiés sur la vie des peintres, Bd. 2, Paris: Ruault, 1776, S. 47–49. 15 Verzeichnis der Kunstwerke und andrer Gegenstände der Kunst- und Industrie-Ausstellung in Bern [Katalog zur Ausstellung], Bern: Stämpfli Verlag, 1804, S. 10. 16 Matthew Pilkington, Henry Fuseli, A Dictionary of Painters from the revival of art to the present period, London: John Crowder, 1805, S. 262. 17 Hans Rudolf Füssli, Allgemeines Künstlerlexikon, oder: Kurze Nachricht von dem Leben und den Wercken der Maler, Bildhauer, Baumeister, Kupferstecher, Kunstgiesser, Stahlschneider etc. etc., 2. Teil, Zürich: Orell, Füssli & Cie., 1806, S. 574–575. 18 Georg Kaspar Nagler, Neues allgemeines Künstler-Lexicon oder Nachrichten von dem Leben und den Werken der Maler, Bildhauer, Baumeister, Kupferstecher, Formschneider, Lithographen, Zeichner, Medailleure, Elfenbeinarbeiter, etc., Bd. VI , München: Fleischmann, 1838, S. 335. 19 Nagler 1838 VI , S. 335.

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Rezeptionsgeschichte

tretern der schweizerischen Barockkunst.20 Alexander Jegge würdigte Huber 1998 im Biografischen Lexikon der Schweizer Kunst als erfolgreichsten, vielseitigen und produktiven Schweizer Porträtisten des Spätbarock mit solider Kenntnis vieler künstlerischer Darstellungsmittel.21 Huber sei ein Maler gewesen, «der die Schweizer Kunst mit den Fähigkeiten eines weitgereisten und universal gebildeten Künstlers» bereichert habe.22 Dank solchen Persönlichkeiten hätte das damals politisch isolierte Land den Kontakt zu den grossen Kunstzentren nicht verloren. In der Reiseliteratur und in Reiseberichten hat Huber im 18. Jahrhundert nur marginalen Niederschlag gefunden. Der bernische Theologe und Polyhistor Johann Rudolf Gruner erwähnt in seinen 1732 in Zürich erschienenen Deliciae urbis Bernae im Kapitel über die städtische Bibliothek in Bern zwar den aus der Hand Hubers stammenden Zyklus der Berner Generäle anlässlich der zweiten Schlacht bei Villmergen, nennt aber den Namen des Malers nicht.23 Johann Georg Heinzmann führt Huber in seinem 1794 erschienenen Reiseführer Beschreibung der Stadt und Republik Bern auf, und zwar im Zusammenhang mit der Gemäldesammlung der Bibliothek: In derjenigen Gallerie, die gröstentheils nur Gemälde enthält, befindet sich eine beträchtliche Sammlung von Bildnissen der Herren Schultheissen, einiger Generale, einiger Reformatoren und sonst berühmter Männer, und der Dekanen und Professoren der Stadt Bern; mehrenteils Kniestücke von grossen Meistern und SchweizerKünstlern gemacht, als Dünz, Hinz 24, Huber, Freudenberger, Hickel u.s.w.25

Den Aufklärern Lavater in Zürich, Spreng in Basel und Ritter in Bern war Huber sehr wohl ein Begriff. So erwähnt ihn Johann Caspar Lavater in seinem Bericht über den Besuch der Berner Bibliotheksgalerie 1777:

20 Schweizerisches Künstler-Lexikon, hrsg. vom Schweizerischen Kunstverein, redigiert von Carl Brun, Frauenfeld: Huber Verlag, 1905–1917 (= SKL ), Bd. 2, S. 96. 21 Alexander Jegge, Johann Rudolf Huber, in: Biografisches Lexikon der Schweizer Kunst, hrsg. vom Schweizerischen Institut für Kunstwissenschaft, Zürich und Lausanne (= BLSK ), Bd. 1, Zürich: Verlag NZZ , 1998, S. 514–515. 22 BLSK I , S. 515. 23 Johann Rudolf Gruner, Deliciae urbis Bernae. Merckwürdigkeiten der Statt Bern, Zürich: Marcus Rordorf, 1732, S. 382. 24 Wohl Joseph Heintz. 25 Johann Georg Heinzmann, Beschreibung der Stadt und Republik Bern. Nebst vielen nützlichen Nachrichten für Fremde und Einheimische, Bern: Verlag der Typographischen Gesellschaft, 1794, S. 19– 20.


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