8 minute read

2.2 Die Symbolbildung bei Sigmund Freud

le, bei denen die Bedeutung der inhaltlichen Aussage mehrdeutig verdichtet und verstärkt ist.

In diesem Sinne meint Manfred Lurker: «Das Symbol hat nicht nur Mitteilungs-, sondern auch Bedeutungsfunktion. Es bedeutet etwas, indem es nicht nur auf die Bedeutung eines anderen hinweist, sondern dessen Bedeutung vergegenwärtigt, repräsentiert, in einem gewissen Sinne an ihr teilhat. Daraus ergibt sich, dass man Symbole auch nicht einfach erfinden oder entwerfen kann; sie sind gegeben und wurzeln in dem Urgrund menschlicher Kollektiverfahrung.» (Lurker 1990, S. 19 f.) In der Betonung des Vergegenwärtigens, Repräsentierens verweist Lurker auf die Darstellungsfunktion des Symbols, die Freud schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts beschrieb und die die Botellas ( 2007) weiter differenziert haben.

Advertisement

Ebenso umfassend betrachtet Susanne Langer die Symbolisierung: «Im fundamentalen Begriff der Symbolisierung – gleichviel ob mystischer, praktischer oder mathematischer Art – liegt der Schlüssel zu aller menschlicher Existenz.» (Langer 1987, S. 33) Langer beschreibt das erworbene Bewusstsein des Menschen als fortwährenden Prozess symbolischer Transformationen, ausgehend von psychophysischen Impulsen (Kapitel 3 ). Wenn wir uns diese stetigen Umwandlungen vergegenwärtigen, wird deutlich, wie fliessend die Übergänge zwischen Bild und Wort, zwischen Metaphern und Symbolen letztlich sind. Darauf werde ich zurückkommen (Kapitel 5 ).

2.2 Die Symbolbildung bei Sigmund Freud

Bereits in den ersten Jahren der psychoanalytischen Arbeit mit Patienten stiess Freud auf die Bedeutung der Symbolisierung und legte seine Beobachtungen 1895 in den Studien über Hysterie dar. Dabei erkannte er, wie Symptome entstehen: nämlich, indem traumatische Vorstellungen, vom bewussten Erleben losgelöst, abgewehrt und ins Unbewusste verdrängt werden, um dann mit den Mechanismen der Verdichtung, Verschiebung und Darstellung im Körper einen Ausdruck zu erfahren (Konversionsvorgang).

In Freuds Fallbeispiel der Katharina war die traumatisierende Erfahrung, den Vater beim Beischlaf mit ihrer Cousine ertappt zu haben. Katharina erlitt einen schockartigen Zustand. Ihr wurde schwindlig, und sie erbrach tagelang. Dann erinnerte sie sich an eigene Erlebnisse sexueller Annäherung

durch den Vater, die sie jedoch erst nach der Begegnung des Vaters mit der Cousine als solche verstehen konnte. Es war die unerträgliche Vorstellung, dass der Vater dasselbe mit ihr machen wollte, die sie mit Ekel erfüllte. Diesen Zusammenhang zu denken konnte sie nicht aushalten, weshalb er aus dem Bewusstsein ins Unbewusste verdrängt und vergessen wurde. Der innere Aufruhr, die Erregung und die affektive Beteiligung hingegen konnten nicht einfach vergessen werden. Die Psyche entledigte sich unbewusst der Erregung mitsamt dem empfundenen Ekel, indem sie diese in den Körper verbannte. In diesem Vorgang wird der Körper wie ein Anderer, ein Fremder, ein Aussen-Stehender behandelt, in den die unerträgliche Erregung und die überwältigenden Affekte deponiert werden. Der Ekel erscheint dann in der körperlichen Reaktion des Erbrechens (Konversionssymptom). Das Symptom des Erbrechens ist das Erinnerungssymbol für den unbewussten Inhalt, der – abgewehrt und verdrängt – im Körperlichen einen Ausdruck fand. Das therapeutische Gespräch mit Freud konnte den ursprünglichen Zusammenhang wieder herstellen, und Katharinas unbewusste körperliche Reaktion liess nach.

Unerträgliche Vorstellungen dieser Art können eine Verstärkung durch weitere Symbolisierungen erfahren. So berichtet Freud von seiner Patientin Elisabeth v. R., die an einer Beinlähmung litt und ihre Ausführungen « mit der Klage schloss, sie habe dabei ihr ‹Alleinstehen› schmerzlich empfunden». Sie sei nicht müde geworden, zu wiederholen, dass das Schmerzliche daran « das Gefühl ihrer ‹Hilflosigkeit› gewesen [ sei], die Empfindung, sie ‹komme nicht von der Stelle›». Diese Gedanken hatten einen Einfluss auf ihre Beinlähmung, indem die Patientin « einen symbolischen Ausdruck für ihre schmerzlich betonten Gedanken gesucht und ihn in der Verstärkung ihres Leidens gefunden hatte» (Freud 1895, S. 171). Das heisst, die Patientin hatte ihr krankes Bein zusätzlich symbolisch besetzt, weshalb sie stärker zu hinken begann.

Bemerkenswert ist Freuds Aussage, die Konversion sei « nicht an den frischen Eindrücken, sondern an den Erinnerungen derselben» erfolgt ( ebd. S. 189), also nachträglich, erst dann, als sie sich an die schmerzliche Erfahrung erinnerte. Freud folgert: «Dieser ursprünglich rheumatische Schmerz wurde nun bei der Kranken zum Erinnerungssymbole für ihre schmerzlichen psychischen Erregungen.» ( ebd. S. 195) Das heisst, die schwierigen Gefühle und Gedanken erfahren nachträglich, in der Erinnerung an das Schmerzliche

eine psychische Bearbeitung. Statt dass die Patientin sie bewusst wahrnimmt, fühlt, denkt und ausspricht, werden diese Gedanken und Gefühle im Körper dargestellt. Die Redewendungen «Alleinstehen» und « nicht von der Stelle kommen» hatten in diesem Vorgang « die Brücke» für die Symptombildung der Konversion, die Verstärkung des Beinleidens, gebildet ( ebd. S. 196).

Bei seiner Patientin Cäcilie M. hatte Freud besonders viele Symbolisierungen dieser Art vorgefunden: «Indem sie den sprachlichen Ausdruck wörtlich nimmt, den ‹Stich ins Herz› oder den ‹Schlag ins Gesicht› bei einer verletzenden Anrede wie eine reale Begebenheit empfindet, übt sie keinen witzigen Missbrauch, sondern belebt nur die Empfindung[en] von neuem, denen der sprachliche Ausdruck seine Berechtigung verdankt.» ( ebd. S. 201) Freud dachte, solche Kränkungen könnten tatsächlich von körperlichen Innervationsempfindungen begleitet werden, und folgerte, dass alles wörtlich Gemeinte tatsächlich einmal in die Tat umgesetzt worden war, wie Darwin in der Phylogenese unserer Herkunft es beschrieben hat. Inzwischen seien solche Handlungen so weit abgeschwächt, dass « ihr sprachlicher Ausdruck uns als bildliche Übertragung erscheint, allein, sehr wahrscheinlich war das alles einmal wörtlich gemeint». ( ebd. S. 201 f.)

Freud schreibt weiter: «[…] die Hysterie tut recht daran, wenn sie für ihre stärkeren Innervationen den ursprünglichen Wortsinn wiederherstellt. Ja, vielleicht ist es unrecht zu sagen, sie schaffe sich solche Sensationen durch Symbolisierung; sie hat vielleicht den Sprachgebrauch gar nicht zum Vorbilde genommen, sondern schöpft mit ihm aus gemeinsamer Quelle.» ( ebd. S. 202) Wahrscheinlich meint Freud mit der « gemeinsamen Quelle» die aus der Phylogenese stammende « archaische Erbschaft» (Freud 1900a, S. 554, und 1937c, S. 386), denn die Sprache hat sich aus ursprünglichen Taten und Handlungen erst allmählich zu Wortvorstellungen entwickelt (Kapitel 5 ).

In der Fussnote zur gemeinsamen Quelle beschreibt Freud, wie sich der Sprachgebrauch bei Cäcilie M. nicht nur in sinnlichen Bildern und Sensationen äussert, sondern sich zeitweise jeder Gedanke in eine Halluzination wandelt, eine Symptombildung des Wahns (Freud 1895, S. 202). Schon in diesen frühen Jahren der Erforschung der menschlichen Psyche erkannte Freud die Verwandtschaft zwischen dem Wahn, dem Traum – worin wir auch halluzinieren, also das Geträumte als real erleben – und den künstlerischen Produktionen. In all diesen Symbolbildungen sind die Mechanismen der Verdichtung, Verschiebung und Darstellung am Werk, wobei auch unbewusstes

Material aus dem phylogenetischen Erbe einfliesst. Es ist bemerkenswert, wie früh Freud diese tieferliegenden Zusammenhänge erfasst hat.

In Die Traumdeutung (Freud 1900a) schrieb er: «Diese Symbolik gehört nicht dem Traume zu eigen an, sondern dem unbewussten Vorstellen, speziell des Volkes, und ist im Folklore, in den Mythen, Sagen, Redensarten, in der Spruchweisheit und in den umlaufenden Witzen eines Volkes vollständiger als im Traume aufzufinden.» (Freud 1900a, S. 356) Freud erkannte die Bedeutung des Unbewussten und des unbewussten Vorstellens, das in Überlieferungen von Mythen, Sagen, Redensarten und Metaphern enthalten ist und auf welches das Subjekt während des Träumens, in der Symbolbildung des hysterischen Symptoms sowie in künstlerischen Gestaltungen zurückgreift (Kapitel 6.2).

Doch wie hat sich die Menschheit das Wissen um diese « archaische Erbschaft» angeeignet? Wie wird es von Mensch zu Mensch weitergegeben? Genetische Fragestellungen und Fragen wie diese haben Carl Gustav Jung zur Theorie des « kollektiven Unbewussten» (Jung 1985; 1987, S. 67) geführt. Im Gegensatz zu Jung, der – im Kontext der eigenen Biografie – dem Bewusstwerden von Inhalten des kollektiven Unbewussten bereits eine heilende Wirkung zuschrieb, hatte Freud die miteinander ringenden inneren Kräfte des Individuums, die Psychodynamik, stärker gewichtet.

So bekräftigt Freud: «Die Psychoanalyse […] ist eine dynamische Auffassung, die das seelische Leben auf ein Spiel von einander fördernden und hemmenden Kräften zurückführt.» (Freud 1910i, S. 97) Mit Fokus auf die Dynamik dieser fördernden und hemmenden Kräfte betont er: «Die auf Symbolkenntnis beruhende Deutung ist keine Technik, welche die assoziative ersetzen oder sich mit ihr messen kann. Sie ist eine Ergänzung zu ihr und liefert nur in sie eingefügt brauchbare Resultate.» (Freud 1916–17, S. 153) Das heisst: Durch die Technik des freien Assoziierens lassen sich die ursprünglichen Verknüpfungen wiederherstellen, wobei in diese Assoziationen und Deutungen auch Symbolisierungen aus der archaischen Erbschaft einfliessen können.

Zusammenfassend kann festgehalten werden: Freud hat in seinen frühen Schriften den Symbolisierungsvorgang als Abwehrvorgang beschrieben. Das Abgewehrte erscheint im körperlichen Symptom, dem Erinnerungssymbol. Bei der Symptombildung wird die unerträgliche Vorstellung ins Unbewusste verdrängt, womit sie aus dem bewussten Erleben ausgeschlossen und

vergessen wird. Die Erregung hingegen, die das traumatische Ereignis ausgelöst hat, wird in den Körper verbannt. Da die dazugehörige Vorstellung nicht mehr verfügbar ist, ist das Symbolisierte im körperlichen Symptom so lange gefangen, bis der ursprüngliche Zusammenhang wiederhergestellt werden kann. Während des Schreibens der Traumdeutung (1900) hat Freud den Symbolbegriff erweitert, ohne ihn aber genauer zu definieren. Durch das Verständnis phylogenetischer Zusammenhänge sind im Symbol auch un- oder vorbewusste Inhalte des archaischen Erbes enthalten, die vielschichtig verdichtet und mehrdeutig sind. Dennoch betont Freud, das Symbol nicht auf bestimmte Inhalte determinieren, sondern durch freie Assoziationen ergründen zu wollen, auf welche Inhalte ein Symbol in jedem einzelnen Fall hinweist. Durch freies Assoziieren können die verlorenen, vergessenen Gedanken wiedergefunden werden.

Bemerkenswert und immer noch von aktueller Bedeutung finde ich die Beschreibung des wechselseitigen Ineinanderwirkens von Geist und Körper. Freud stellte fest, wie bedeutsam der Einfluss des subjektiven Erlebens und die damit verbundenen Vorstellungen sind. Er hat die Macht der Fantasien erkannt sowie die Art und Weise, wie Fantasien auf den Körper einwirken –und umgekehrt, wie leibliche Wahrnehmungen seelisches Erleben beeinflussen und verändern können. Trotz fortschreitender Spezialisierung in Medizin und Psychologie bleiben Körper und Geist in fortwährender Wechselwirkung miteinander verbunden.

Im Vergleich zu Freuds Darlegung zeigt sich das Krankheitsbild psychosomatischer Erkrankungen heute oft komplexer, vor allem wenn diese im Kontext früher identitärer Störungen stehen. Die somatischen Symptome sind meist mehrfach determiniert und vielschichtiger verdichtet, weshalb eine eingehende, manchmal langwierige psychoanalytische Arbeit notwendig ist, um die Beweggründe des Leidens zu eruieren und zu verstehen. Ich habe aber mehrmals erfahren, dass somatische Symptome, die zu Beginn konkretistisch und völlig isoliert vom übrigen psychischen Erleben wahrgenommen wurden, nach einigen Jahren psychoanalytischer Arbeit im Zusammenhang und im Kontext der individuellen psychodynamischen Entwicklung der Patienten verständlich geworden sind. Das Verständnis hat mehr Ich-Stärke und eine verbesserte Integration der Persönlichkeit bewirkt. Erst infolge der gefestigteren Identität wird es möglich, auch psychoneurotische Abwehrformen

This article is from: