
2 minute read
1 Einleitung
Karl Jaspers’ (1883‒1969) Bedeutung kommt in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen zum Tragen. Als wissenschaftlicher Volontärassistent an der Psychiatrischen Klinik der Universität Heidelberg publizierte er nur fünf Jahre nach Ende seines Medizinstudiums sein bahnbrechendes Werk Allgemeine Psychopathologie (1913),1 das sich durch eine strenge Systematik auszeichnet – laut Paul Hoff der « eigentliche Beginn einer methodisch reflektierten psychopathologischen Forschung».2, 3 Mit diesem Werk leistete Jaspers einen wichtigen Beitrag zur Etablierung der Psychiatrie als seriöse medizinische Fachrichtung, die sich zwischen den Natur- und den Geisteswissenschaften ansiedelte.4 Mit seinem philosophischen Hauptwerk Philosophie (1932) etablierte er sich als Existenzphilosoph5 und mit seinem kulturkritischen Essay Die geistige Situation der Zeit (1931) begann sein politisches Engagement, das nach dem Zweiten Weltkrieg seinen Höhepunkt erreichte. Von da an wurde er auch als politischer Schriftsteller wahrgenommen.6 Da er
1 Kursiv sind im Folgenden Titel von Publikationen. Diese werden unverändert übernommen. Dahinter nicht kursiv in Klammern notiere ich das Erscheinungsjahr. Eine kursive Jahreszahl – ob in Klammern oder nicht – gehört zum Titel, wie beispielsweise Krankheitsgeschichte (1938). Die vollständigen Titel werden im Literaturverzeichnis aufgeführt. 2 Direkte Zitate werden im Folgenden wie hier in den Fussnoten mit Autor, Titel und Seitenzahl belegt. Indirekte Zitate beinhalten das Präfix « Vgl.». Weitere Details sind im Literaturverzeichnis vermerkt. 3 Hoff, Geschichte der Psychiatrie, S. 17. 4 Vgl. Gäbler, Karl Jaspers als Initiator des geisteswissenschaftlichen Denkens in der Psychiatrie, S. 25. 5 Vgl. Saner, Karl Jaspers, S. 43. 6 Vgl. ebd., S. 53.
Advertisement
zudem zu religiösen Fragen publizierte, erlangte er auch als Religionsphilosoph Anerkennung.7
Jaspers’ beeindruckendes Werk konnte entstehen, gleichwohl er unter einer chronischen Krankheit litt. Die Krankheit, mit der ich mich in der vorliegenden Arbeit näher beschäftigen werde, bildete die « Grundtatsache»8 seines Daseins und begleitete ihn durch alle Phasen seines Lebens. Schon während der Schulzeit erkannte er, dass seine Leistungsfähigkeit geringer war als die seiner Altersgenossen,9, 10 so dass er von vielen Aktivitäten automatisch ausgeschlossen war.11 Die Diagnose « Bronchiektasie mit sekundärer Herzinsuffizienz»12 stellte einen Wendepunkt dar.13 Im Alter von 18 Jahren wurde ihm mit einem Schlag die Fragilität des Lebens bewusst. Die Ärzte gaben ihm fünf Jahre.14 Jaspers begann sich « hygienische Lebensbedingungen»15 einzurichten, um den Tod hinauszuzögern, und dachte darüber nach, wie er in der ihm verbleibenden Zeit etwas Sinnvolles schaffen könnte.16 In der folgenden Studienzeit quälte ihn seine zunehmende soziale Isolation und er wurde anfällig für depressive Verstimmungen.17 Erst 1907, gegen Ende seines Studiums, besserte sich sein Gemütszustand und es begann eine Phase des « Aufschwungs»,18 wie er sie nannte. Die Krankheit stabilisierte sich, er entwickelte eine gewisse Routine im Umgang mit ihr. Doch in der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft nahm ihre Bedeutung wieder zu. Auszüge aus seinem Tagebuch 1939‒194219 zeigen, wie gefährdet er aufgrund seiner Krankheit war, trotz seiner « hygienischen Lebensbedingungen».20 Viele
7 Vgl. ebd., S. 147–148. 8 Jaspers, Philosophische Autobiographie, S. 12. 9 Vgl. ebd., S. 113. 10 Vgl. ders., Krankheitsgeschichte (1938), S. 128. 11 Vgl. ebd., S. 139. 12 Vgl. Saner, Karl Jaspers, S. 17. 13 Vgl. Jaspers, Krankheitsgeschichte (1938), S. 113. 14 Vgl. ebd., S. 140. 15 Vgl. ebd., S. 125. 16 Vgl. ebd., S. 112. 17 Vgl. ebd., S. 139. 18 Jaspers, Studium 1901–1907. Teil 2, S. 48. 19 Veröffentlicht in Schicksal und Wille (1967). 20 Vgl. Jaspers, Tagebuch 1939–1942, S. 149.