Schweizer Monat, Sonderthema 28, Dezember 2015

Page 1

Mit Beiträgen und Interventionen von: Doris Bianchi Toni Bortoluzzi Brenda Mäder André Müller u.a.

Pensionskasse = Kartenhaus?

Wie solide ist die zweite Säule? Wir bieten eine Standortbestimmung. Eine frische Sicht. Und ein Plädoyer für mehr Fairness.


Schweizer Monat SONDERTHEMA SONDERTHEMa Mai Dezember 2015  2015

«Die zweite Säule war nie als Kartenhaus gedacht. Aber es besteht akute Einsturzgefahr. Sie bedarf darum dringend einer Reform, die zurück zur soliden Grundidee führt: Jede Versicherte, jeder Versicherte spart sein Kapital für das eigene Alter an. Die Jungen haben recht, wenn sie Generationengerechtigkeit einfordern.» Heinz Soom, Geschäftsführer der Valitas-Sammelstiftung BVG

2


Pensionskasse = Kartenhaus?

Schweizer Schweizer MonatMonat SONDERTHEMA SONDERTHEMA Dezember Mai 2015

Wie solide ist die zweite Säule? Wir bieten eine Standortbestimmung. Eine frische Sicht. Und ein Plädoyer für mehr Fairness.

D

as 3-Säulen-Vorsorge-Modell der Schweiz gilt in Europa als ­vorbildlich solide. Und solide war es auch, als es vor geraumer Zeit konzipiert und umgesetzt wurde. Heute, gut drei Jahrzehnte später, bleibt die Idee einer breiten Abstützung der Vorsorge unverändert umsichtig. Die drei Säulen indes beginnen zu wackeln. Das grösste Problem dabei ist nicht, dass die Politik den Reformbedarf nicht längst erkannt hätte. Sie hat ihn in der Tat erkannt, denn für diese Erkenntnis genügen basale Rechenkompetenzen. Doch weil Reformen stets für den einen oder für die andere schmerzhaft sind – im vorliegenden Fall bedeuten sie im Kern entweder mehr Einzahlungen der Aktiven oder weniger Auszahlungen an die Rentner –, drückt sich die Politik davor, den Leuten reinen Wein einzuschenken.

Nach «Zeitbombe?», «Der mündige Versicherte», «Vorsorgen oder versorgen?», «Realitätscheck für die Schweizer Altersvorsorge» folgt mit «Pensionskasse = Kartenhaus?» das fünfte Spezial zum Thema, das wir zusammen mit der Valitas-­ Sammelstiftung BVG lancieren.1 Wir verfolgen auch mit dieser Sonderpublikation einen zutiefst aufklärerischen Impetus. Wenn die Politik Verschleierung praktiziert, so sehen wir unsere Aufgabe darin, den Schleier mit Argumenten, Zahlen und Fakten zu lüften. Diesmal haben vor allem die Jungen das Wort. Denn sie sind es, die nach heutigem Stand der Dinge die Zeche bezahlen dürften. Und sie streichen hervor: Es geht in der beruflichen Vorsorge nicht um Rentenklau an den heutigen Bezügern, wie uns Neunmalkluge weismachen möchten. Es geht um Kapitalklau an den heutigen Bezahlern. Die Lektüre lohnt sich. Garantiert. Die Redaktion

1

Bestellungen früherer Ausgaben bitte an: bestellung@schweizermonat.ch

3


Schweizer Monat SONDERTHEMa Dezember 2015

Inhalt

Doris Bianchi, Maurus Zeier, Hans Rentsch und Marco Betti

06 streiten sich auf zwei Seiten

über drei Säulen und ein Problem.

André Müller

16 fragt sich, warum ohne Alte kein Staat mehr zu machen ist und was das für die Jungen bedeutet.

Marcel Schuler

19 sagt, dass die heutige Altersvorsorge auf Kosten der morgigen Rentner ­finanziert wird – wodurch deren ­Freiheit abnimmt.

Jean-Pascal Ammann

22 möchte den Rentenkuchen

in Zukunft auf die dänische Art backen.

Brenda Mäder

24 stellt radikale Forderungen –

wenn diese das System auf den Kopf stellen, umso besser!

Toni Bortoluzzi

26 erklärt, weshalb er froh ist, keine

2. Säule zu haben – und sich trotzdem für deren Reform einsetzt.

4

Kolumnen 14 15 18

Gut zu wissen #1 Facts & Figures Gut zu wissen #2


Schweizer Monat SONDERTHEMA Dezember 2015

06 Kapitalisten, wo bleibt denn das Vertrauen in den Kapitalismus? Doris Bianchi

22

Die Politik sucht Kompromisse zwischen links und rechts, nicht zwischen den Generationen. Jean-Pascal Ammann

26

Ich habe Glück gehabt: Ich habe ­keine 2. Säule! Als selbständiger Schreiner habe ich immer in die 3. Säule eingezahlt. Ich bin froh, dass ich bei dieser staatlich-­dirigistischen ­Veranstaltung nicht mitmachen musste. Ich hätte auch in der AHV nicht mitgemacht, wenn ich nicht hätte mitmachen müssen. Meine Überzeugung war stets: Ich kann für mich selber sorgen. Toni Bortoluzzi

5


6

1Drei Säulen zwei Seite in Problem

Bildlegende.

Verkrustete Vorgaben, unrealistische Zins­versprechen und Reform­resistenz: Die berufliche Vorsorge ist erstarrt. Wie lässt sich das ­System dennoch bewegen? Ein Streitgespräch. René Scheu diskutiert mit Doris Bianchi, Hans Rentsch, Maurus Zeier und Marco Betti


Debatte live, photographiert von Philipp Baer.

7


Schweizer Monat SONDERTHEMa Dezember 2015

H

err Zeier, Hand aufs Herz – haben Sie Ihren Vorsorgeausweis schon einmal näher angeschaut?

Zeier: Ich kenne den Vorsorgeausweis vom Studium her und von meinem früheren Arbeitgeber. Wenn wir aber ehrlich sind, kennen ihn die meisten Leute nicht.

Wissen Sie, wie hoch die ­ erwaltungskosten Ihrer Pensionskasse sind? V

Zeier: Nein. Jetzt haben Sie mich erwischt! Auf unserem Vorsorgeausweis steht dieser Aufwand schwarz auf weiss vermerkt. Frau Bianchi, wie hält es die Pensionskasse des Gewerkschaftsbundes mit der Kostentransparenz?

Doris Bianchi ist promovierte Juristin, stellvertretende Sekretariatsleiterin ­Schweizerischer Gewerkschaftsbund; Schwerpunkt Sozialpolitik und Sozialversicherungen.

Hans Rentsch ist promovierter Ökonom, freier Wirtschaftspublizist und Autor diverser wirtschaftspolitischer Publikationen für Avenir Suisse.

Maurus Zeier ist Betriebsökonom und Präsident der Jungfreisinnigen Schweiz.

Marco Betti ist Pensionskassenspezialist.

René Scheu ist Herausgeber und Chefredaktor des «Schweizer Monats».

Bianchi: Da steht auch nichts drauf. Aber dies hat einen nachvollziehbaren Grund: Bei den Gewerkschaften zahlt der Arbeitgeber alle Verwaltungsgebühren. Die Versicherten sind von dieser Last befreit. Das Ziel des Gewerkschaftsbundes ist das Rentenalter 62 und ein Lohnersatz von 75 Prozent – so hat es uns Daniel Lampart einst erläutert. Glauben Sie weiterhin daran?

Bianchi: Das traf in der Tat früher zu. Seit ich die Geschäftsführung der Pensionskassen übernommen habe, musste ich einen Primatwechsel durchführen: vom Leistungs- zum Beitrags­ primat. Wir sind immer noch bei sehr guten 70 Prozent des letzten versicherten Lohnes. Diese Leistung kann sich trotz Wechsel sehen lassen. Macht sich Ernüchterung breit? Um es mit einer Metapher Ihres Vorgängers zu sagen: Das darf als ein sehr gut ausgestattetes Auto gelten, aber nicht mehr als Luxuskarosse.

Bianchi: Jetzt ist es kein Rolls-Royce mehr, aber immer noch ein Mercedes. Herr Rentsch, Sie sind pensioniert, geben aber selbstverständlich weiterhin Vollgas. Setzen Sie auf eine Rente der beruflichen Vorsorge, oder haben Sie das ganze Kapital schon bezogen?

Rentsch: Als Liberaler liegt mir an der Verfügungsmacht über mein Eigentum. Ich habe in meiner Berufskarriere nie gewusst, wer mein Kapital verwaltet. Das war für mich Grund genug, das Kapital zu beziehen und damit die Verwaltung meines Kapitals den anonymen Gremien zu entziehen. Ich habe dies im Wissen getan, dass ich, rein statistisch gesehen, davon profitieren würde, wenn ich eine Rente bezöge. Denn ich gehöre zu der Generation, die bereits die Ersparnisse der Aktiven aufzehrt. SP-Bundesrat Alain Berset will den erst seit 1995 möglichen Kapitalbezug einschränken beziehungsweise verbieten, damit die Leute – angeblich – das Kapital nicht mehr verjubeln können und nachher auf Ergänzungs- und Sozialleistungen angewiesen sind. Was halten Sie von dieser Idee, Herr Zeier?

Zeier: Gar nichts! Das Angesparte gehört ja von Gesetzes wegen dem Versicherten. Es geht hier um eine fundamentale Frage 8

der Eigenverantwortung. Die meisten Menschen können mit ihrem Kapital umgehen. Für das Versagen einiger weniger alle zu bestrafen, ist völlig daneben. Darüber hinaus ist klar: den Bezug zu verbieten wäre bloss Symptombekämpfung. Das kann es definitiv nicht sein. Bianchi: Ich freue mich, wenn nun auch die Jungfreisinnigen indirekt das System der Ergänzungsleistungen loben, das sehr gut funktioniert. Zeier: Die Gewerkschaften werden sich nicht mehr lange über die neue Generation der FDP freuen. Wir Jungfreisinnigen sagen: es braucht eine Reform, aber die muss viel weiter gehen als die von Berset geplante… Bianchi: Zurück zur Sache: die Rente ist eine stabilere Vorsorge als der Kapitalbezug. Aber Leute mit tiefen Einkommen, die rund 100 000 Franken zusammengespart haben, sollten auch das Geld beziehen können. Die wollen keine Rente, auch nicht mit einem Mindestumwandlungssatz von 6,8 Prozent – selbst wenn sie davon profitieren. Diese Leute wollen das Kapital, weil sie damit endlich jemand sind. Das ist aus meiner Sicht ein legitimes Motiv. Der Kapitalbezug muss also bleiben: Das halten wir gerne so fest, Frau Bianchi. Somit stellen Sie sich gegen den Bundesrat, mit dem Sie sonst zu sympathisieren pflegen?

Bianchi: Der Kapitalbezug kann in einem Zwangssparsystem nicht völlig ausgeschlossen werden. Die Frage wird sein, welches Netz wir sonst noch haben für jene Leute, die diese Eigenverantwortung nicht so gut wahrnehmen können, wie sie sich selbst das womöglich wünschen. Rentsch: Leute, die freiwillig nichts gespart haben, könnten in der Tat einen Anreiz haben, das Kapital zu beziehen, es zu verpulvern und dann über Ergänzungsleistungen zur AHV auf ein Einkommen zu kommen, das rund vierzig Prozent über dem


Schweizer Monat SONDERTHEMA Dezember 2015

Einkommen der AHV-Maximalrente liegt. Als Ökonom muss ich hier zur Vorsicht rufen! Man darf die Anreize nicht verkennen, die hier eingebaut sind – und die eine Verbindung haben zu den anderen Systemen, zur AHV und zu den EL. Das Leben auf Kosten anderer zu fördern, war bestimmt nicht der Wille des Gesetzgebers. Das gehört geändert. Sie wollen als Liberaler den Kapitalbezug verbieten?

Rentsch: Nein. Man müsste auf der anderen Seite etwas ändern, auf der Seite der Zuschüsse – wer sein Kapital bezieht und verpulvert, verzichtet auf allfällige Ergänzungsleistungen. Bianchi: Das ist weder wünsch- noch durchsetzbar! Schon jetzt zeichnet sich ab: Vorsorgefragen sind ideologisch und politisch aufgeheizt. Herr Zeier, was würden Sie als Jungspund ändern, wenn Sie denn könnten?

Zeier: Wir Jungfreisinnigen wollen die Entpolitisierung des Umwandlungssatzes und des Rentenalters. Oder positiv formuliert: die Koppelung von Rentenalter und Umwandlungssatz an die Lebenserwartung. Und wir wollen endlich die freie Pensionskassenwahl der Versicherten. Bianchi: Was heisst denn hier «entpolitisieren»? Jede Formel hat letztlich eine politische Bewertung dahinter. Ich bin gespannt auf Ihre Vorschläge, wie man einen entpolitisierten Umwandlungssatz festlegen würde. Zeier: Man kann das Rentenalter an die Lebenserwartung koppeln. Auch den Umwandlungssatz kann man objektiv festlegen. Ich sehe da keinerlei politische Färbung. Sie wollen einfach nichts am Status quo ändern – weil er in Ihre Hände spielt. Gehen wir von folgendem Szenario aus. Frau X hat 100 000 Franken Alterskapital. Sie wird mit 64 Jahren regulär pensioniert: Ihre durchschnittliche Lebenserwartung beträgt 23 Jahre. Der risikoarme Zins beträgt um die 0 Prozent. 100 000 geteilt durch 23 Jahre gibt etwa 4,3 Prozent. Der korrekt gerechnete Umwandlungssatz müsste also ungefähr 4,3 Prozent sein. De facto beträgt er – dank politischer Bestimmung – 6,8 Prozent. Er soll jetzt gemäss ­angedachter Reform gesenkt werden auf 6 Prozent. Schon herrscht Aufruhr. Das kann doch nicht sein. Herr Rentsch – wo liegt das ­Problem?

Rentsch: Wir haben zu viele Pflöcke eingeschlagen. Es ist, als ob Sie ein quadratisches Feld abstecken mit vier Pflöcken. Dann müssen sie einen Zaun darum herum machen und die Seitenlänge ist zehn Meter. Sie bekommen aber nur 35 Meter Draht. Sie müssen irgendeinen Pflock verstellen. Bei uns ist der falsche Pflock invariabel: Der Umwandlungssatz ist gesetzlich vorgeschrieben. Diesen Pflock müsste man verstellen. Und zwar lieber gestern als heute! Ich habe mir eine Laienlösung überlegt. Man koppelt die Rente an die Lebenserwartung und den risikoarmen Zins, man setzt eine ­Formel ein, und das ergibt einen ehrlichen Umwandlungssatz – das ist der Fixteil. Wenn die Renditen auf dem Kapital grösser sind als erwartet, gibt es zusätzlich einen variablen Teil. Fixteil und ­variabler Teil: wie wär’s damit, Frau Bianchi?

Bianchi: Gut gedacht, nur eben nicht zu Ende gedacht: Wie wollen Sie einem Karosseriespengler erklären, dass sein Mindestumwandlungssatz an die Lebenserwartung von Uni-Professoren gekoppelt ist? Zudem: wenn die fixe Rente so miserabel ist, weil Sie auf Bundesobligationen abstellen, die ja nicht das ganze Anlagespektrum einer Pensionskasse abbilden, gibt es einen Aufstand. Eine miese Fixrente mit Aussicht auf Besserung schluckt kein Rentner. Die Leute wollen im Alter ein berechenbares Einkommen. Zeier: Die Leute wollen vor allem Transparenz – und keine wohlfeilen Versprechungen, die am Ende ohnehin nicht eingehalten werden. Das ist typisch Gewerkschaften: man sagt, es funktioniert nicht, bloss weil man politisch dagegen ist! Was Sie machen, ist reine Illusionsbewirtschaftung. Oder Sie haben etwas anderes im Sinne: mehr Umverteilung! Bianchi: Das ist eben der Mehrwert der beruflichen Vorsorge, dass wir gemeinsam im Kollektiv Anlageschwierigkeiten meistern – durch das, was Sie Umverteilung nennen, was aber nichts anderes ist als Risikotragung im Kollektiv. Wenn man das alles individualisiert, kann man einfach ganz auf die dritte Säule setzen. Rentsch: Es gibt sozialdemokratisch regierte bzw. stark sozialdemokratisch geprägte Länder, Dänemark und Schweden, die versicherungsmathematisch saubere Lösungen haben. Die Versicherten wählen ab 61, wann sie in Pension wollen. Arbeiten sie länger, erhöht das die Rente. Das wird versicherungsmathematisch berechnet. Ich frage mich, warum das dort möglich ist, während wir seit Jahrzehnten eine solche Diskussion führen, ohne dass eine nachhaltige Lösung sichtbar wäre. Ja, Herr Rentsch, warum? Sagen Sie es uns!

Rentsch: Das dürften Sie nicht gerne hören, ich sage es aber trotzdem: weil wir ein halbdirektes politisches System haben. Wir mussten und müssen immer Referenden gewinnen oder vermeiden. Dieser Umstand hat auch die berufliche Vorsorge geprägt. Das rächt sich nun mit einem überdeterminierten, bürokratischen System, über das alle klagen. Wer es wirklich reformieren will, wird aber an der Urne scheitern – weil natürlich niemand auf die gemachten Versprechungen zu seinen Gunsten verzichten will, umso mehr als es sich um Rechtsansprüche handelt. Ich werde nun erstmals unseren Pensionskassenspezialisten Marco Betti aktivieren. Marco, siehst du es als realistisch an, dass wir eines Tages eine versicherungsmathematisch saubere Lösung haben werden wie in Schweden – oder bleibt dies auf absehbare Zeit ein frommer Wunsch?

Betti: Es gibt ja bereits solche Modelle, wie zum Beispiel jenes der PwC. Herr Rechsteiner hat das mit Vehemenz bekämpft, als es bei den SBB zur Debatte stand. Ich weiss, ehrlich gesagt, auch nicht, wie wir in absehbarer Zeit aus dieser Bredouille kommen können. Es gibt so viele Partikularinteressen. Bald wird das AHV-Rentenalter mit dem Argument der Gleichstellung bei 9


Schweizer Monat SONDERTHEMa Dezember 2015

«Wir Jungfreisinnigen wollen die Entpolitisierung des ­Umwandlungssatzes und des Rentenalters. Oder positiv ­formuliert: die Koppelung von Rentenalter und Umwandlungssatz an die Lebenserwartung. Und wir wollen endlich die freie Pensionskassenwahl der Versicherten.» Maurus Zeier

den ­L öhnen gefordert. Das sind alles Lösungen, die sich – ­plastisch ausgedrückt – in den eigenen Schwanz beissen. Frau Bianchi, Sie kennen sich sehr gut aus mit Pensionskassen. Welches wäre aus Ihrer Sicht die optimale Lösung, wenn es nicht die ist, die wir bereits haben?

Bianchi: In Schweden gibt es neben diesem Pensionskassenmodell eine umlagefinanzierte Vorsorge, ausserdem viele GAVbasierte Altersrücktrittsmodelle. Wir haben nun aber ein anderes politisches System. Das spielt bei der Lösungsfindung eine so wichtige Rolle wie die Versicherungsmathematik. Ich staune, wenn politische Kreise, die sich ansonsten für die direkte Demokratie aussprechen, bei Aspekten wie Rentenhöhe und -alter die Sache an Technokraten delegieren wollen. Wir entscheiden solche Fragen an der Urne – zum Glück! Wir haben kein Altersvorsorgechaos. Das redet man sich politisch ein, aber die Systeme sind intakt. Rentsch: Die zweite Säule verteilt gegen vier Milliarden pro Jahr von den Aktiven zu den Rentnern, damit die Rentenhöhe gehalten werden kann. Sie können nicht sagen, dieses System sei stabil – es ist gesetzeswidrig, was wir machen! Punkt. Wir ha10

ben 1972 ein 3-Säulen-System beschlossen, ein Umlage­system mit AHV, mit enormer Umverteilung und ein kapital­gedecktes System, dessen Prinzip lautet: die Renten werden finanziert aus den Erträgen des volkswirtschaftlichen Kapitalstocks. ­Davon sind wir weit entfernt. Wir haben das System g­ eritzt. Es ist im aktuellen Zustand ein Verstoss gegen einen früheren Volksentscheid. Herr Zeier, pro Jahr werden in der beruflichen Vorsorge je nach ­Studie und Berechnung zwischen drei und acht Milliarden von den Einzahlenden zu den Empfängern umverteilt. Es geht also bereits ein Teil Ihres Kapitals aus der 2. Säule verloren, aber Sie spüren nichts. Schweigen darum die Jungen – Sie natürlich ausgenommen – so beharrlich?

Zeier: Dass man es nicht spürt, ist Teil des Problems. Das politische System trägt insofern zum Problem bei, als man nur von Rentenklau reden muss, um die Leute auf seine Seite zu bringen – gegen alle Vernunft und Evidenz! Es wäre technokratisch, wenn ein Gremium den Umwandlungssatz oder das Rentenalter bestimmen würde. Da sind wir dagegen. Unser Punkt ist ein anderer: mehr Mathematik, also mehr Ehrlichkeit,


Maurus Zeier, photographiert von Philipp Baer.

11


Schweizer Monat SONDERTHEMa Dezember 2015

­ eniger Politik. Mein Eindruck: je länger es geht und je länger w man wartet, desto klarer zeichnet sich ab, dass aus der 2. eine zweite 1. Säule wird. Dann sind die Pläne des Gewerkschaftsbundes und der Linken erfüllt. Kompliment, Frau Bianchi! Frau Bianchi, Sie unterscheiden zwischen Risikodiversifikation und Umverteilung. Was denken Sie zur momentanen Lage: Gibt es diese Umverteilung jenseits der Risikodiversifikation oder gibt es die aus Ihrer Sicht nicht? Denn es ist klar: auf die Dauer darf es sie von Gesetzes wegen nicht geben.

Bianchi: Momentan reichen die erwirtschafteten Erträge nicht aus, um die technischen Zinssätze für die Renten sauber zu finanzieren. Es reicht nicht, weil der dritte Beitragszahler, der Kapitalmarkt, nicht hergibt, was man sich erhoffte. Das kann, das dürfte sich aber auch wieder ändern. Wir reden im Bereich der Vorsorge von einem langen Anlagehorizont. Ich staune, wie auch grosse Kapitalismusfreunde jetzt sagen, die nächsten vierzig Jahre werde sich die Anlagewelt mit einem Zinssatz von gegen null oder negativ bescheiden müssen. Kapitalisten, wo bleibt denn das Vertrauen in den Kapitalismus? Schon in zehn oder zwanzig Jahren kann die Situation ganz anders aussehen. Selbst den Gewerkschaften bleibt nur die Hoffnung auf die Segnungen des Kapitalismus – das nenne ich mal eine schöne ­Konstellation!

Bianchi: Ein Kapitaldeckungssystem, deren Verantwortliche nicht an Erträge glauben, ist ein Unding. Dann können wir gleich alles auf Umlage setzen. Schauen Sie: die Umverteilungsproblematik ist ein Thema, das vor allem in den Publikationen der Pensionskassen sehr gehypt wird. Ich habe noch keinen jungen Beitragszahler getroffen, der mir mit grosser Empörung gesagt hätte: «So geht das nicht, wir zahlen für die Rentner, also proben wir den Aufstand.» Rentsch: Wir haben seit 1985 das Volk so konditioniert, dass genau das erwartet wird, was Frau Bianchi gesagt hat: gesicherte, immergleiche Renten. Das ist in einem kapitalgedeckten System schlicht nicht möglich, weil der Ertrag des volkswirtschaftlichen Kapitalstocks risikobehaftet ist. Man kann den Leuten nicht fixe Renten aus der 2. Säule versprechen. Das kann man in der AHV vielleicht bis zu einem gewissen Grad, aber auch dort ist es problematisch. Die Linke war immer skeptisch gegenüber der 2. Säule. Eigentlich wollten sie lieber eine Volkspension. Die haben sich angepasst, aber sie wollen immer noch die AHV ausbauen. Wir stehen mittendrin in einer Verunreinigung des Systems. Bianchi: Herr Rentsch hat recht, was die Skepsis betrifft. Aber er vergisst zu sagen, dass wir die sind, die sich für gute Renten einsetzen und nun sagen, auch die 2. Säule müsse ein leistungsstarkes System sein. Und zweitens: die berufliche Vorsorge ist nun einmal kein reines Kapitaldeckungssystem. Wir müssen uns an Leistungsziele halten, die die Bundesverfassung vorgibt. Entweder wir revidieren die Verfassung und sagen, es gehe nicht mehr, mit AHV- und Pensionskassenrente 12

das gewohnte Leben weiterführen zu können, sondern wir müssten uns mit der nackten Existenz begnügen. Dann sind wir bei Herrn Rentsch. Ich bezweifle, dass das Schweizer Volk mit einem solchen Downsizing einverstanden wäre. Rentsch: Sie haben politisch natürlich recht. Das ist die Konditionierung, mit der man die Abstimmungen gewonnen hat. Die meisten Leute kennen die Details und Zusammenhänge nicht. Laut Vox-Analyse haben die Jungen unter 25 im Jahre 2010 das Referendum gegen den angeblichen Rentenklau unterstützt. Dass Sie noch keine Jungen getroffen haben, die sich gegen diese Umverteilung wehren, Frau Bianchi, liegt daran, dass die Rechnung erst in ferner Zukunft präsentiert wird. Herr Rentsch, dann ist Ihre Message, dass es keine sicheren Renten gibt, aber mit der Unsicherheit lässt sich keine Politik machen?

Rentsch: Ich habe da nun einmal eine ganz grundlegend andere Sicht, gerade als Ökonom. Wenn Sie den Leuten ein System versprechen, welches die Fortführung des gewohnten Lebensstandards staatlich garantiert, können Sie sicher sein, dass das private Sparverhalten der Leute dadurch beeinflusst wird. Das ist ein Problem des Wohlfahrtsstaats. Wenn Sie den Leuten zu viele staatliche Garantien versprechen, verändern die deren Verhalten. Diese Anreizwirkungen sind fundamental, werden aber kaum thematisiert. Leider. Bianchi: Ich denke nicht, dass in der Schweiz zu wenig gespart wird. Wenn wir die zweite und dritte Säule und Wohneigentum zusammenrechnen, kommt einiges zusammen. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass auch das Konsumieren quasi eine Bürgerpflicht ist. Ansonsten läuft der Laden nicht. Das Leistungsziel der Altersvorsorge ist ein guter Wirtschaftsmotor. Auch die Alten bringen Gelder in Umlauf. Es wäre für die Volkswirtschaft nachteilig, wenn die Alten auf niedrigem Niveau ­gehalten würden. Rentsch: Ich spreche eben davon, dass obligatorisches Zwangssparen ersetzt wird durch freiwilliges privates Sparen! Dann haben Sie nicht weniger Konsum, sondern Sie senken bloss das Zwangssparen – und haben eine viel bessere Anreizstruktur und stärken die Eigenverantwortung. Herr Zeier, es scheint, als wären sich Frau Bianchi und Herr Rentsch in einem Punkt einig: Echte Reformen sind nicht möglich, weil sie Leistungskürzungen oder Beitragserhöhungen bedeuten würden. Das nehmen die Leute nicht hin. Sind Sie mit dieser ­Diagnose einverstanden?

Zeier: Aus zweckoptimistischer Sicht muss ich Herrn Rentsch ­widersprechen. Das PwC-Modell ist meiner Meinung nach hochinteressant. In Übereinkunft mit den Rentnern haben sie Anpassungen vorgenommen. Josef Bachmann, der Geschäftsführer der PwC-Pensionskassen, hat praktisch mit jedem Rentner gesprochen und die Situation erklärt: die Jungen finanzieren die Alten. Das wollen die Alten nämlich selbst nicht – und sie haben eingewilligt, die Vorsorge im Rahmen des Möglichen zu reformieren. Reformen sind also möglich, auch im Rahmen eines Urnengangs!


Schweizer Monat SONDERTHEMA Dezember 2015

Rentsch: Strukturelle Reformen wirken nicht schnell genug. Zum Beispiel die Erhöhung des Rentenalters. Das dauert lange, bis es wirkt – dafür wirkt es nachhaltig. Hingegen wirkt die Erhöhung der Mehrwertsteuer sofort – und darauf dürfte am Ende die ganze Diskussion hinauslaufen, wenn wir ehrlich sind: wir erhöhen die Mehrwertsteuer um ein paar weitere Prozente, um die Vorsorge zu sanieren. Und haben wieder Ruhe für ein paar Jahre. Stichwort Rentenalter, das kommt mir sehr gelegen: Ich arbeite gerne bis 70, wenn ich fit bin. Woher kommt diese ­Fetischisierung des Rentenalters 65? Wir leben doch nicht mehr zu Bismarcks Zeiten.

Bianchi: Diesen Fetisch gibt es nicht. Viele Leute, die vom Arbeitgeber darum gebeten werden, länger zu arbeiten, machen das ja auch jetzt schon. Die Normalität sieht aber leider anders aus. Heute sind viele Firmen froh, wenn einer das Rentenalter erreicht und weg ist. Zeier: Die Beschäftigungsquote der Älteren ist sehr hoch in der Schweiz. Was Sie sagen, ist reinste Panikmache. Das Problem sind doch gerade die hohen Sozialabgaben im Alter, die gesetzlich festgelegt werden – zu ihnen zählen auch jene in die berufliche Vorsorge. Wir werden bestimmt immer älter, also auch immer teurer, aber nicht unbedingt produktiver! Rentsch: Ich bin absolut einverstanden mit Ihnen, Herr Scheu. Man muss arbeiten – und irgendwann muss man nicht mehr arbeiten: Solche politischen Vorgaben sind aus anreiztheoretischer Sicht verheerend. Eine Totalflexibilisierung der Pensionierung wäre längst fällig. Und das ist ja nun wirklich keine revolutionäre Idee. Wollen beziehungsweise können wir uns, gut helvetisch, zum Schluss auf diesen Grundkonsens einigen: Wir brauchen mehr Transparenz und mehr Aufklärung, damit die Versicherten sich für ihre Vorsorgegelder zu interessieren beginnen?

Bianchi: Etwas mehr Gelassenheit rund um die Altersvorsorge würde allen involvierten Parteien gut anstehen. Die Leute wollen in erster Linie ein Rentensystem, das ihnen im Alter ein anständiges Leben ermöglicht, ohne ständig optimieren zu müssen. Rentsch: Falsch! Da haut es mir den Nuggi raus. Das System ist intransparent und bürokratisch. Darum kann man es den Leuten nicht zum Vorwurf machen, dass sie so wenig über ihre eigentliche Vorsorge wissen. Und ganz klar: die Leute haben sich zu sehr an den Status quo gewöhnt. Sie sind konditioniert. Sie können sich einen solchen Wechsel zu einem freiheitlichen System nicht vorstellen. Ich würde es so sagen: alles scheint wunderbar – bis es irgendwann nicht mehr wunderbar läuft. Dann heulen alle auf. Zeier: Ich sage Ihnen: unter den Jungen regt sich Widerstand. Machen Sie sich in den kommenden Jahren darauf gefasst! Ich höre, da will sich jemand aus dem Publikum zu Wort melden. Nur zu!

Publikum: Wir haben jetzt fast nur über Technizitäten zur 2. Säule geredet, gar nicht aber über die 1. Säule, wo die wirk­ lichen Probleme drohen. Also auch nicht über die absehbar immer stärker werdende Umverteilung – da werden immer mehr Milliarden fliessen in den kommenden Jahren. Wie sehen Sie als Podium hier die Möglichkeiten, um aus diesem Teufelskreis hinauszukommen? Bianchi: Die Zukunft der Altersvorsorge liegt in der Stärkung der AHV. Aktuell sind wir in einem umlagefinanzierten System wesentlich leistungsfähiger unterwegs als in der 2. Säule. Die AHV entwickelt sich, allen Unkenrufen zum Trotz, solide. Laut Couchepins früheren Prophezeiungen wäre die AHV heute bankrott. Ist sie aber nicht, denn sie schreibt schwarze Zahlen. Sie wird auch nicht bankrottgehen, wenn die Babyboomer dran sind. Da ist eine Zusatzfinanzierung über die AHV eine vertretbare Option. Die Alternative wäre es, alles privat anzusparen. Das machen die Leute aber nicht mit, da die Erträge so gering sind. Da ist eine solidarische Umlagefinanzierung weit, weit effizienter. Rentsch: Wir haben uns bei der Analyse der Probleme der AHV nur zeitlich getäuscht. Die Probleme kommen. Die sind nicht zu vermeiden. Bisher war es leicht zu sagen, das wären alles Kassandrarufe von Bürgerlichen. Gerade jetzt hat man in der Zeitung lesen können, dass die Ausgaben höher waren als die Einnahmen. Warum hat sich die Prognose im Timing so verschoben? Wegen der Immigration, das ist ganz klar. Wenn man davor die Augen verschliesst, ist das reine Politik, weil man weiss, man kommt damit an bei den Leuten. Die Probleme sind ungelöst. Auch die Berset-Revision wird sie nicht nachhaltig lösen, weil wir nicht bereit sind, ein versicherungsmathematisch vernünftiges System einzuführen. Lieber wollen wir es politisiert lassen, mit einer Art Leistungsprimat. Ich sehe schwarz. Herr Zeier, sagen Sie etwas Positives!

Zeier: Also ich sehe auch schwarz. Die «Altersvorsorge 2020»-Reform ist für mich frustrierend. Sie zeigt, wie verkorkst die Situation ist. Man versucht es allen Seiten recht zu machen. Kaum ist die Reform draussen, kommen die Gegner und sagen, 65/65 sei unannehmbar, und schon schlagen sich alle die Köpfe ein. Vor sechs Jahren haben wir den Generationendialog gegründet, einen bürgerlichen Schulterschluss von Junger CVP, den Jungfreisinnigen und der Jungen SVP. Auf bürgerlicher Seite gibt es eine Generation, die diese Probleme erkennt. Der Generationendialog setzt sich für Entpolitisierungsforderungen ein. Ich würde niemals sagen, dass ein System funktioniert, um dann am Ende doch eine Mehrwertsteuerfinanzierung zu verlangen. Das ist unehrlich und bedeutet, die Leute für nicht voll zu nehmen! Marco Betti, wie wird sich der Altersvorsorgediskurs in den ­kommenden Jahrzehnten entwickeln? Werden wir ewig weiter­diskutieren – oder machen wir Nägel mit Köpfen? 13


Schweizer Monat SONDERTHEMa Dezember 2015

Gregor Szyndler

Gut zu wissen #1: SM-BVG-Streitgespräch

E

s gehört zum Konzept dieser Zeitschrift, ­leidenschaftliche Streitgespräche mit interessanten Experten zu organisieren. Eine kleine Auswahl von Schmankerln aus den BVG-Sonderpublikationen zeigt, wo es in früheren Auflagen dieser Streitgespräche langging, wo es rund ging, wo es hoch zu- und herging, wo die Geister sich schieden und wo sie sich wieder fanden. 2014 moderierten René Scheu und Florian Rittmeyer das Aufeinandertreffen von Finanzmarktökonom Martin Janssen und Gewerkschaftsbundpräsident Paul Rechsteiner. Der Schlagabtausch stand unter dem Motto «Wenn ökonomische auf politische Realitäten prallen». Paul Rechsteiner definierte die Stärke der AHV optimistisch als die Fähigkeit zum Ü ­ ber­leben ihrer eigenen Totsagung. Er verlangte einen über die eigenen Interessen hinausgehenden, langfristigen Blick auf die Materie. Angesichts der von Martin Janssen vorgerechneten Diskrepanz zwischen den SGB-Wunsch-Zinsen und tatsächlich an den Märkten erwirtschafteten Zinsen fragte er: «Sind Sie etwa Pessimist?» – worauf Janssen erwiderte: «Ich bin Unternehmer und demnach viel mehr Optimist als Sie!» Die beiden Optimisten fanden sich nach dieser Debatte am Buffet wieder. 2013 stiegen der Ex-Gewerkschaftsbundsekretär Beat Kappeler und Daniel Lampart, damals noch ­Chefökonom und Sekretariatsleiter des SGB, in den Ring. Daniel Lampart v­ erkaufte den Kapitalismus mit dem ­Argument (man beachte die merkelsche Diktion!), dass er ohne Alternative sei – man brauche ihn und seine Auswüchse nur mit realistischen b­ ehördlichen Vorgaben zu bändigen. Beat Kappeler konterte, dass er nicht das Vertrauen in den Kapitalismus an und für sich v­ erloren habe. Vielmehr habe er zu wenig Vertrauen in ­einen Kapitalismus, an dem dermassen herumgedoktert werde. Er sagte aber auch: «Das ist eben der Fluch der bösen Tat, dass sie, fortzeugend, immer Böses muss ­gebären.» – «War das jetzt Goethe?», fragte René Scheu. «Schiller», lautete die reflexhaft nachgeschobene ­Antwort. Eine lapidare Antwort ist das, und die reinste Prophezeiung: wird man doch den designierten NZZ-­ Feuilleton-Chef bald öfter mal in der gleichnamigen Brasserie antreffen.�

14

Betti: Was ich mir erhoffe, ist, dass das Volk nicht permanent angelogen wird. Eine Pensionskasse rechnet heute im Schnitt mit einem technischen Zins von etwa drei Prozent. Das bedeutet, dass die Passiven zu rund vierzig Prozent unterschätzt werden, und zwar absichtlich. Auf den Aktiven hat man einen impliziten Zins von null oder minus eins und rechnet in grösster Ruhe mit einem ganz anderen, imaginären Zins. In der Indus­ trie würde jeder, der ein solches Testat abgibt, ins Gefängnis wandern. In der PK-Welt ist es zulässig. Frau Bianchi würde jetzt sagen, die Verhältnisse könnten sich auch wieder ändern, damit auch das Zinsumfeld – und damit auch der technische Zins.

Betti: Wir haben seit zwanzig Jahren einen zu hohen technischen Zins. 1985 war das alles im Gleichgewicht. Seit 1996 ist dies nicht mehr der Fall. Wir haben längst griechische Verhältnisse. Das Publikum wird aber nicht aufgeklärt – es gilt als politisch nicht opportun. Es bräuchte nur ein paar kleine Änderungen. Beispielsweise muss man Kassen zulassen, die nur für Rentner sind. Man wird dann feststellen, dass ein Umwandlungssatz von 6 Prozent nicht finanzierbar ist. Er muss dann um die 4 Prozent sein. Wenn wir nichts tun, werden die nötigen Änderungen über Nacht kommen müssen – und dann wird es richtig unangenehm. Bianchi: Ich stelle fest, dass man nach der jahrelangen Schwarzmalerei in der AHV nun schwarz malt bei der beruflichen Vorsorge. Das nehmen die Leute einem nie und nimmer ab! Betti: Sie wissen doch ganz genau, was eine Barwertrechnung ist, Frau Bianchi. Bianchi: Natürlich, aber das ist eine Zahlenspielerei, die letztlich einen bestimmten Zweck verfolgt. Die Absicht hinter dieser Schwarzmalerei ist, dass die Leute privat ansparen, dass sie ihr Geld zu Bank und Versicherungen bringen. Betti: Nein! Ich möchte nur Transparenz haben und freie Wahl. Zeier: Genau. Nur das. So etwas ist doch keine Hexerei, es geht nur um die freie BVG-Wahl! Bianchi: Ich staune, dass auch junge Politiker immer wieder solche alten Kalauer bringen. Zeier: Das ist doch kein alter Kalauer! Die besten Kalauer kommen ohnehin von den Linken, das muss man ihnen lassen. Bianchi: Seit 1975 ist die freie Pensionskassenwahl immer ­wieder Thema. Der Bundesrat hat zig Berichte dazu geschrieben. Wir haben schon eine freie Wahl im Krankenkassen­ bereich. Ich glaube kaum, dass Lösungen auf Krankenkassen­ niveau sinnvoll sind bei den PK. Zeier: Aber das ist doch ein interessantes Beispiel, denn gerade bei den Krankenkassen wird die freie Wahl ja auch immer ­wieder bestätigt an der Urne. Betti: Es geht um eine kleine Änderung. Wenn ich bei einem ­alten Arbeitgeber aufhöre und bei einem neuen beginne, muss ich die Wahl haben, ob ich in der neuen oder in der alten Kasse einzahlen will. Diese kleine Wahl wird alles verändern. �


Schweizer Monat SONDERTHEMA Dezember 2015

Facts & Figures Die Anzahl Gesetze und Verordnungen zum BVG trägt bei zur Systemstarre. Der Rentenklau findet bereits statt: nicht an den jetzigen, sondern an den künftigen Rentnern. Die demographische Entwicklung betrifft Bildung, AHV, Altersvorsorge und -pflege.

Abbildung 1 Das gesetzliche Umfeld der beruflichen Vorsorge wird zunehmend komplexer 200 Anzahl Seiten

Gesetze und Verordnungen

Freizügigkeitsgesetz (FZG)

BV-Verordnungen (BVV 1–3)

150

Verordnungen

100

50

Gesetze 0 1981

1984

1987

1990

1993

1996

1999

2002

Quelle: Avenir Suisse

2005

2008

Abbildung 2 Zu hohe Umwandlungssätze sind Rentenklau Umverteilung pro Neurentner in Schweizer Franken

Bei Umwandlungssatz 6,8 % statt 6,4 % (Vorlage 2010)

19 000 CHF

6,8 % statt 6,0 % (Altersvorsorge 2020)

40 000 CHF

6,8% statt 5,65% (Publica ab 2015)

61 000 CHF

Quelle: Avenir Suisse

0

20 000

40 000

60 000

80 000

Abbildung 3 Alterung tangiert vor allem Altersvorsorge und -pflege Anzahl Aktive (20–64) pro Jugendliche (0–19)

3,1

2,9 2,9

Anzahl Aktive (20–64) pro Rentner (65+)

3,4

Anzahl Aktive (20–64) pro Hochaltrige (80+)

12,3 -45%

-63%

Anzahl Jungrentner (65–79) pro Hochaltrige (80+)

2,6

-46%

2,1 2,3 1,9

7,1

-

1,4 4,5

2015 2035 2055

2015 2035 2055

2015 2035 2055

2015 2035 2055

Relevant für die Bildung von Jugendlichen

Relevant für die Finanzierung der Altersvorsorge (AHV)

Relevant für die Durchführung professioneller Alterspflege

Relevant für die Leistung freiwilliger Alterspflege

Quelle: Avenir Suisse

15


Schweizer Monat SONDERTHEMa Dezember 2015

2

Umverteilung gegen die Jugend

Das Ausmass der bereits stattfindenden generationenübergreifenden Umverteilungen zeigt sich in einer Gesamtschau der Geldströme zwischen Jung und Alt. Das ernüchternde Fazit: Reformen werden nur dann speditiv angegangen, wenn die ältere Generation Nutzniesser ist. von André Müller

U

m die Generationengerechtigkeit zu beurteilen, muss man alle Geldflüsse von Jung zu Alt (und umgekehrt) betrachten, auch jenseits der Altersvorsorge. Die Lasten werden dabei immer mehr auf die Schultern der Jungen verschoben, wie folgende vier Beispiele zeigen. Es beginnt bei scheinbar kleinen Anpassungen im Gesundheitswesen: Der Bundesrat schlägt vor, die Prämienrabatte für die Wahl der höchsten Franchisenstufe zu reduzieren. Damit erhöht er nicht nur die Vollkaskomentalität in der Krankenkasse, sondern auch die Umverteilung zum Alter hin, denn: Viele jüngere Menschen nutzen die Krankenkasse als klassische Versicherung gegen unvorhersehbare Grossrisiken und wählen daher die höchstmögliche Franchise von 2500 Franken. Sie sind die Leidtragenden, wenn der bundesrätliche Vorschlag umgesetzt wird. In den Medien wurde dieser Vorschlag aber in erster Linie unter dem Aspekt der Eigenverantwortung und der Solidarität zwischen Kranken und Gesunden besprochen, der Generationenaspekt wurde vernachlässigt. Dem Vernehmen nach steht im Parlament zwar zur Debatte, jungen Erwachsenen bis 35 einen Teil ihrer Risikoausgleichszahlungen an die Älteren zu erlassen; das ist allerdings noch nicht umgesetzt. Ein zweites Beispiel findet sich in der jüngsten Auseinandersetzung um die Sozialhilfe. Die deutlichen Kürzungen beim Grundbedarf für junge Erwachsene und Grossfamilien müssen nicht falsch sein. Dass der deutlich höher angesetzte Grundbedarf bei den Ergänzungsleistungen (EL) zur AHV kaum Bestandteil dieser Diskussion war, erstaunt aber, da diese die öffentliche Hand 2014 laut Bundesamt für Statistik 2,7 Milliarden kosteten, Tendenz steigend. Das Departement des Inneren hat zu den EL zwar eine grosse Reform angekündigt, die Schwelleneffekte und den Fehlanreiz beheben soll, möglichst alles Geld vor dem Eintritt ins Altersheim auszugeben; es scheint damit aber nicht zu eilen. Dabei wären Ideen, beispielsweise eine obligatorische Pflegeversicherung, durchaus vorhanden. Ein Element musste indes rasch – noch vor den Wahlen? – beschlossen werden: die Erhöhung der EL-Mietzuschüsse aufgrund der gestiegenen Mieten. Kostenpunkt: 16

André Müller ist Wirtschaftshistoriker und arbeitet als freier Mitarbeiter bei der «Neuen Zürcher Zeitung». Er ist Mitglied der Operation Libero, einer Bewegung, die sich für liberale Lösungen in gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Fragen einsetzt.

140 Millionen Franken. Auch hier gilt: nicht die Anpassung an sich ist stossend, sondern der politische Grundsatz dahinter. Reformen werden schneller angepackt, wenn die ältere Genera­ tion davon profitiert. Das dritte Problem hat Hans-Werner Sinn vor einem Jahr an dieser Stelle angesprochen. In den deutschsprachigen Ländern unternimmt der Staat verhältnismässig wenig, um die externen Effekte der Kindererziehung zu internalisieren. Wer heute Kinder hat, muss selbst für die Kosten aufkommen, während (zumindest ökonomisch betrachtet) zu einem grossen Teil andere den Nutzen davon tragen, weil diese Kinder in dreissig Jahren die Altersvorsorge aller bestreiten werden. Das ist ungerecht und ineffizient. Das gilt hierzulande besonders ausgeprägt: in der Schweiz zahlen Eltern deutlich mehr für Krippenplätze als im benachbarten Ausland, wie ein Bericht des Bundesrats in diesem Sommer aufzeigte. Weil die Krippenkosten zudem nur begrenzt von den Steuern abzugsfähig sind, weil Prämienverbilligungen und weitere Subventionen bei steigendem Einkommen rasch wegfallen und weil Ehepaare gemeinsam besteuert werden, lohnt es sich für ein (meist junges) Elternpaar mit mittleren Einkommen kaum, seine gemeinsame Arbeitsleistung zu erhöhen, denn ihnen schlagen enorm hohe Grenzsteuersätze entgegen. Die Quittung für dieses schlecht abgestimmte Steuersystem erteilen die Jüngeren gleich zweifach: mit einer niedrigen Rate an Vollzeit erwerbstätigen Frauen und dem Verzicht auf Kinder. Beides setzt die Altersvorsorge weiter unter Druck. Der Bundesrat möchte dieses System verbessern, doch brachte erst die Angst vor dem Fachkräftemangel die Politmaschinerie ins Laufen und nicht die Ungerechtigkeit an sich. Dabei ist auch diese Schieflage nicht von gestern auf heute entstanden, seit Jahrzehnten wird vor dieser demographischen Klippe gewarnt, ohne dass diese


Schweizer Monat SONDERTHEMA Dezember 2015

externen Kosten für junge Eltern angepackt werden. Die hohe Zuwanderung hat den Effekt der tiefen Geburtenrate in der Schweiz über lange Zeit gemildert, damit der Politik aber auch eine Entschuldigung gegeben, die nötige Diskussion um diese, um die eigentliche, Generationenfrage auf den St.-Nimmerleins-Tag zu verschieben. Die Migration bringt indes keine dauerhafte Lösung des Alterungsproblems und sollte daher auch nicht in diesem Kontext diskutiert werden: Sie kann, über einen Einmaleffekt, den abrupten demographischen Übergang bei der Pensionierung der Babyboomer abfedern helfen. Weil die neuen Arbeitskräfte selbst wieder Rentenansprüche aufbauen, verwandelt sich die Altersvorsorge ohne Anpassungen aber erst recht zum Schneeballsystem. Das vierte Beispiel betrifft die Ausgestaltung des Steuersystems: Arbeit (und Kapital) müssen in der Schweiz einen zu hohen Anteil der Steuerlast stemmen. Zur Einkommenssteuer kommen die Sozialabgaben und die mannigfachen impliziten Steuern wie die bereits erwähnten, einkommensabhängig wegfallenden Prämienverbilligungen. Dieses System trifft vor allem Arbeitnehmer und bedrückt Arbeitsangebot und Produktion. Denn: je mehr man arbeitet, desto mehr muss man abgeben. So verschärft sich das Problem, dass bald einmal zu wenige Menschen im arbeitsfähigen Alter für zu viele Rentner aufkommen müssen. Eine Lösung wäre denkbar, wenn die wohlhabende Rentnergeneration anteilsmässig mehr Steuern zahlt: Arbeitnehmer haben meist viel Einkommen, aber wenig Vermögen, bei den Pensionierten ist es umgekehrt. Um den Faktor Arbeit freizuschaufeln, müsste das Steuersystem verändert werden, weg von Einkommens- und hin zu Boden-, Konsum- und Vermögenssteuern – ohne Erhöhung der Staatsquote und unter Beibehalt des Progressionsverlaufs. Das hätte den willkommenen Nebeneffekt, dass das Steuersystem das Verhalten der Besteuerten weniger verzerrt: Steuern können den Arbeitsanreiz schmälern, aber nicht den Boden. Ein s­ olches Vorhaben ist aber weit und breit nicht in Sicht. Sogar die Linke

schreckte bei der Erbschaftssteuerinitiative davor zurück, alte Hüsli-Besitzer zu verärgern, und baute einen Freibetrag von zwei Millionen Franken in den Initiativtext ein. Ohne die ­älteren Wähler lässt sich anscheinend kein Staat machen, weder links noch rechts. Natürlich ginge es noch schlimmer – aber es geht auch besser Die Schweiz ist mit diesem schleichenden Trend zur Gerontokratie kein Einzelfall. In den USA türmen sich die Pensionsversprechen des Staats an seine Bürger immer höher, weshalb diese noch immer nicht sparen, sondern munter weiter konsumieren; die grossen Versprechen werden allerdings niemals eingehalten werden können. In Deutschland hat die grosse Koalition ihrer treuen, ergrauten Wählerschaft mit der Rente ab 63 ein üppiges Startgeschenk gemacht. Auch in Grossbritannien hat die konservative Regierung in den letzten Jahren angesichts riesiger Defizite staatliche Leistungen zusammengestrichen – und dabei einzig die Privilegien der Rentner nie angetastet. Letztere haben es den Tories mit einer komfortablen Wiederwahl gedankt. In Griechenland oder ­Italien wiederum hat der Staat den Rentnern über lange Jahre einen nicht nachhaltigen Lebensstandard finanziert. Die Suppe auslöffeln dürfen kommende Generationen, die den Schuldenberg, den ihre Vorgänger angehäuft haben, in mühseliger, jahrzehntelanger Arbeit wieder abtragen dürfen. Es gibt also noch schlimmere «Generationensünder» als die Schweiz.1 Hier hat der Staat, das muss man ihm fairerweise zugutehalten, sich zumindest bezüglich Staatsverschuldung im engeren Sinne stark zurückgehalten, nicht zuletzt dank der Schuldenbremse. Bei uns ist die Staatsschuldenquote (nach einem Anstieg in den 90er-Jahren) mehr oder weniger stabil ­geblieben. Ein schaler Beigeschmack bleibt: Das Bundesamt für Statistik hat im letzten Jahr die Altersarmut untersucht und fest-

«Ohne die älteren Wähler lässt sich anscheinend kein Staat machen, weder links noch rechts.» André Müller 17


Schweizer Monat SONDERTHEMa Dezember 2015

Gregor Szyndler

Gut zu wissen #2: «Gerontokratie»

D

er Begriff «Gerontokratie» vereint die altgriechischen Ausdrücke für Greise (gerontes) und Herrschaft (krátos). G. bedeutet also nichts anderes als «Herrschaft der Greise». Schon bei Homer finden sich solche Ältestenräte, die etwa als Königsberater fungieren. In archaischen Gesellschaften korrespondierte das Minimum verbliebener Lebenszeit ohnehin mit dem Maximum an Macht – Alter war ein Distinktions­ merkmal. Den Jüngeren blieb nichts übrig, als selbst zu vergreisen, ein hilfloses «Tempus fugit!» zwischen den Zähnen. Galt der Begriff in der Antike als positiv, wird er heute meist polemisch verwendet – überzufällig oft von berufener Stelle! So frotzelte der republikanische ­Ex-Präsidentschafts-Anwärter Newt Gingrich, selbst ­jugendliche 72 Lenze, dass das demokratische Kandidaten­ feld die reinste G. sei. Oder Jungspund Erdogan, 61 Jahre, stellt sich als Antidot zur herrschenden G. in der Türkei dar, als Verjüngungskur, die er so lange sein will, bis er selbst vergreist und zur G. gehört. Aber auch was jung ­daherkommt, wird gern von der G. dominiert: wir denken an die Formel 1 und Bernie Ecclestone oder an die 286 Jahre, die die Rolling Stones auf die Bühne bringen ­(notabene nur die aktuelle Besetzung). Deutschland ist seit diesem Jahr laut Hans-Werner Sinn (SM Sonderthema 20/Dezember 2014) eine G. Es gibt mehr Rentner als Beitragszahler. Die Profiteure einer Ausweitung des Rentensystems sind in der Mehrheit, ­allfällige Anpassungen zugunsten der Beitrags­ zahler müssen sich gegen deren Widerstand durchsetzen. Der Generationenvertrag steht vor einer Bewährungsprobe. In spätestens zehn Jahren rächt sich heutiges Nichtstun. Der Altenüberschuss in Deutschland ist indes heute schon so gross, dass es nicht erstaunen würde, wenn auf «Mutti» 2017 ein «Opi» folgen würde. Aber G. hin oder her: das Alter ist kein Selbstzweck. Es gilt, was der rumänische Pessimist Emil Michele ­Cioran sagte: «Das Alter ist die Selbstkritik der Natur.» Wer oder was alt wird, hat sich bewährt, und es soll ­gerade deshalb auch den Jüngeren zugutekommen. Die Altersvorsorge ist auch kein Selbstzweck. Sie muss die Selbstkritik der Politik sein, die Fähigkeit, zwischen Jung und Alt zu vermitteln und tragbare Lösungen zu finden. �

18

gestellt, dass die Quote der Menschen, die unter materiellen Entbehrungen zu leiden haben, unter Kindern und Jugendlichen mit Abstand am höchsten ist (4,8 Prozent). Bei den Über65-Jährigen sind nur 1,7 Prozent betroffen. In vielen Fällen unterstützt die «Rentnerpolitik» also gar nicht die ärmsten Bewohner des Landes, was noch immer die wichtigste Aufgabe des Sozialstaats sein muss. Das macht die forcierte Umverteilung von Jung zu Alt besonders ungerecht. Massenhaft Anschauungsmaterial Das Wahljahr bot wie erwähnt reiches Anschauungsmaterial an fehlgeleiteter Politik zugunsten der alternden Babyboomer und der Kriegsgeneration. Diese finden in Bern mehr Beachtung als frühere Generationen von Älteren: Sie sind sehr gute Wähler. Erstens gibt es schlicht mehr von ihnen, zweitens ist der Ausländeranteil unter den Rentnern viel niedriger als in der Gesamtbevölkerung und drittens gehen die alten Schweizer fleissiger an die Urne als die jungen. Dieser «graue Bias» liesse sich vielleicht durch ein von den Eltern wahrgenommenes Wahl- und Stimmrecht für Kinder ausgleichen, wie es Hans-Werner Sinn in dieser Publikation schon vorgeschlagen hat. 2 Aber vermutlich braucht es nicht einmal diesen «grossen Wurf», sondern viele, hartnäckig eingeforderte kleine Verbesserungen; als erstes einen entpolitisierten Umwandlungssatz für die zweite Säule. So würde zumindest die offensichtlichste Form der nicht vorgesehenen Umverteilung ausser Kraft gesetzt. In einem nächsten Schritt sollte sich die Politik zum Ziel setzen, einen besseren Überblick über die Geldströme zwischen den Generationen zu gewinnen. Diese Gesamtsicht müsste nebst den hier erwähnten Themenfeldern noch weitere umfassen. Betroffen sind auch die Bildungspolitik (Schulund Stipendienwesen) oder die Wohnpolitik. Das Ziel ist es dabei nicht, jegliche Transfers zwischen Alt und Jung zu unterbinden. Vielmehr sollten die Veränderungen registriert werden, damit die Politik Gegengewicht geben kann, wenn sich die Gesamtbilanz stark zuungunsten der einen Generation ent­ wickelt. Es geht nicht um Sozialabbau und Rentenklau, ­s ondern um nachhaltige Politik, deren Pfeiler über unsere ­Generationen hinaus den Sozialstaat sichern. Daran sollten alle im Land ein Interesse haben – Jung und Alt. �

1 Sicher nicht zu den Generationensündern gehört Schweden. Schon in den 1990er Jahren hat man sich dort vom regulären Rentenalter verabschiedet und berechnet die Höhe der Renten in Abhängigkeit von der durchschnitt­ lichen Lebenserwartung und dem effektiven Pensionsalter des Bezügers. Die Entscheidung, wann er sich pensionieren lassen will, bleibt dem einzelnen überlassen. Man muss die Konsequenzen seiner Entscheidung tragen, in Form tieferer Renten bei früherer Pensionierung. Derzeit strebt Schweden eine Erhöhung des Zielbandes für das Renteneintrittsalter an. 2 Hans-Werner Sinn: «150 000 Euro pro Kind», in: «Realitätscheck für die Schweizer Altersvorsorge», Sonderthema 20, Dezember 2014, S. 16 ff.


Schweizer Monat SONDERTHEMA Dezember 2015

3

Die Reform nach der Reform

Wer heute pensioniert wird, dem fehlt viel Geld, um die versprochene Rente zu finanzieren. BVG und AHV müssen gleichzeitig angepasst werden. Der hohe Norden geht mit gutem Beispiel voran. von Marcel Schuler

E

in Durchschnittsschweizer erhält, gemessen am letzten Gehalt, im Vergleich zum Ausland eine deutlich höhere Rente und kann diese über einen längeren Zeitraum beziehen. Um dieses hohe Niveau halten und auch künftig im Alter finanziell sorgenfrei leben zu können, braucht es strukturelle Anpassungen und Reformen. Dabei dürfen wir nicht nur bis zur nächsten Reform schauen, sondern wir müssen unseren Blick auch auf die weiter entfernte Zukunft richten. Dank Technologie und medizinischem Fortschritt leben wir Menschen jedoch nicht nur länger, sondern wir bleiben auch länger gesund. Dadurch hat sich der Rentenbezug seit der Einführung der AHV um elf Jahre verlängert und das Verhältnis von Rentnern zu Erwerbstätigen hat sich beinahe verdreifacht: 1948 wurde ein Rentner noch durch 6,5 Erwerbstätige finanziert, 2007 waren es nur noch 3,7 und 2035 werden es nur noch 2,1 Erwerbstätige sein.1 Auch die 2. Säule kommt durch diese Entwicklung unter Druck: Bei einem Umwandlungssatz von 6,8 Prozent erhält ein Pensionär oder eine Pensionärin mit einem selbst angesparten Altersguthaben von 100 000 Franken jährlich eine Rente von 6800 Franken. Dieses Guthaben ist jedoch nach 14,7 Jahren, also im Alter von knapp 82 Jahren, aufgebraucht. Die grundsätzlich erfreuliche Zunahme der Lebenserwartung vergrössert das Problem. Vorhandene und programmierte Defizite Diese demographischen Veränderungen bringen grosse strukturelle und finanzielle Herausforderungen für die Altersvorsorge mit sich. Auch wegen der Verschlechterung der Anlagemöglichkeiten auf dem Kapitalmarkt und durch historisch tiefe Zinsen sind die heutigen Rentenversprechen nicht mehr gesichert. Wer heute pensioniert wird, dem fehlen im Schnitt mehr als 40 000 Franken, um die versprochene Rente zu finanzieren. Das Bundesamt für Sozialversicherungen 2 prognostiziert in einem mittleren Szenario ab 2019 ein Defizit von 56 Milliarden Franken in der AHV. Zusätzlich rechnet das Bundesamt für Statistik mit einer Unterdeckung von 40 Milliarden Franken in der 2. Säule. 3 Weitere Defizite, bis zu 15 Milliarden, ergeben sich gemäss Berechnungen der UBS und Avenir

Marcel Schuler studiert Politikwissenschaften und ist Vorstandsmitglied der Jungfreisinnigen Schweiz.

­Suisse 4 aufgrund des zu hoch angesetzten Umwandlungssatzes. Bis 2030 liegt die Finanzierungslücke der Schweizer Alters­v orsorge damit im dreistelligen Milliardenbereich. Die Zeit zum Handeln ist jetzt gekommen! Obschon das angesparte Geld in absehbarer Zeit nicht mehr für die eigene Rente reicht, ist der Reformdruck noch nicht in den Köpfen der Bevölkerung angekommen. Wie schon in früheren BVG-Publikationen des «Schweizer Monats» angedeutet wurde 5, ist das Versorgungsmotiv vergessen gegangen, so dass die Sensibilität für abstrakte, demographische Probleme und die Folgen für umlagefinanzierte Rentensysteme gering ist. Auch das Meinungsforschungsinstitut gfs bestätigt, dass Mehrheiten im Hinblick auf die Zukunft davon ausgehen, dass die Altersvorsorge grundsätzlich funktioniere. Mit seinem Entscheid, die Altersvorsorge zu reformieren und einen neuen Anlauf zu einer politischen Veränderung in der Schweizer Rentenpolitik zu nehmen, sendet der Bundesrat jedoch ein deutliches Signal aus, auf diese Entwicklung zu reagieren. Dabei verfolgt er einen gesamtheitlichen Ansatz, bei dem die Leistungen der ersten beiden Säulen gemeinsam betrachtet werden sollen. Dieser Ansatz soll Vertrauen schaffen und eine Reform – nach den bisher gescheiterten Versuchen! – möglich machen. Da aber die langfristige Rentensicherheit ein wesentlicher Standortvorteil für die Schweiz ist, ist angesichts des Reformprojekts «Altersvorsorge 2020» äusserste Vorsicht geboten. Der Plan des Bundesrates, dem Parlament ein grosses Gesamtpaket zuzuführen, so dass alle Akteure zufrieden sind, geht nicht auf. Bereits vor und während der Beratung im Parlament wurde klar, dass jede noch so kleine Änderung des Reformprojektes sofort einen neuen medialen Sturm der Entrüstung auslöst. Angesichts der hohen Bedeutung der Reform muss somit das Risiko, dass das Projekt «Altersvorsorge 2020» scheitert, reduziert werden, indem der Umfang der Reform verkleinert wird. Das Projekt darf nicht überladen sein, so dass sich politische Akteure 19


20


Schweizer Monat SONDERTHEMA Dezember 2015

für jede der Massnahmen einen ideologischen Grabenkampf liefern können und durch permanente Kritik an einzelnen Punkten das Ansehen der Reform «Altersvorsorge 2020» nachhaltig verschlechtern. Gerade deshalb erscheint eine Etappierung der Vorlage in Teilpakete, wie sie der Schweizerische Arbeitgeberverband vorgeschlagen hat, sinnvoll zu sein. Dass sich das Parlament für das Rentenalter 65 für Mann und Frau und für die Senkung des Umwandlungssatzes ausspricht, ist wichtig und richtig. Es ist sinnvoll, diese Änderungen jetzt vorzunehmen und zusätzliche Massnahmen in einem zweiten Schritt umzusetzen. In anderen Worten: es ist richtig, gleichzeitig in der AHV und in der beruflichen Vorsorge Anpassungen vorzunehmen, die dringlich und wichtig sind. Doch können nicht alle in der Botschaft vorgeschlagenen Reformpunkte gleichzeitig angepackt werden, sondern sie müssen in Teilpakete aufgeteilt werden, damit die ideologische Debatte um die einzelnen Elemente nicht die ganze Reform gefährdet. Auf die Beine stellen, Probleme angehen! Die in der Reform «Altersvorsorge 2020» vorgesehenen Anpassungen dürfen jedoch nicht als innovative Lösungen verkauft werden: Im Vergleich zu den OECD-Ländern verfügt die Schweiz, auch mit der Reform, über ein eher tiefes Rentenalter. Zudem ist der Umwandlungssatz, auch wenn dieser gesenkt werden soll, rechnerisch bei 6 Prozent noch zu hoch angesetzt, um die Altersrente ohne Umverteilung zu finanzieren – auch diese angepasste Rechnung geht nicht auf. Eine Reform nach der Reform ist unausweichlich und hat zur Konsequenz, dass wir uns auch in Zukunft regelmässig fragen werden müssen, ob wir nun entweder länger arbeiten, mehr in die Altersvorsorge einzahlen oder mit weniger Rente auskommen wollen. Eine Mehrheit der OECD-Länder hat bereits reagiert und ein Regelrentenalter von mindestens 67 Jahren eingeführt. 6 Beispielsweise wurde in Grossbritannien zuerst das Rentenalter von Mann und Frau einander angeglichen und alsdann – so die Planung von Beginn an – gemeinsam erhöht. Ein stufenweiser Ansatz, der auch für die Schweiz Vorbild sein könnte. Aus diesem Grund müssen wir unseren Horizont ausweiten und unseren Blick auf die Zukunft und auf weitere Reformen richten. Auf Reformen, bei denen es nicht um einzelne Massnahmen wie Umwandlungssatz oder Mindestverzinsung geht, sondern um grundlegende Aspekte von Reformen in der Finanzierung der Altersvorsorge. Wir müssen unser Land auf stabile Beine stellen und schon heute, nach der Beseitigung der dringendsten Probleme, beginnen, unsere Probleme von morgen zu lösen, anstatt sie auf zukünftige Generationen abzuwälzen. Wir müssen die Altersvorsorge unter Berücksichtigung der neuen demographischen Rahmenbedingungen weiterentwickeln, damit unser System Bestand hat. Ziel einer nachhaltigen Altersvorsorge muss es sein, nicht auf Kosten der nächsten Generation zu leben und somit deren

Freiheit künftig einzuschränken. Zudem muss eine Balance zwischen der Eigenverantwortung des einzelnen und den Regeln der Gemeinschaft gefunden werden. Es braucht eine Versachlichung der Vorsorgefinanzierung mittels technischer Regeln, ohne dass die Politik willkürlich Entscheide treffen kann, um sich bei Wählerinnen und Wählern zu profilieren. Durch diese Lösung wird ein wirklich funktionierender Generationenvertrag sichergestellt. Entsprechend haben einige Pionierländer in den letzten Jahren automatische Stabilisatoren eingeführt und den Primat der Politik zurückgebunden. Droht die Finanzierung der Altersvorsorge in Schieflage zu geraten, korrigieren solche Stabilisatoren dies automatisch nach im voraus demokratisch festgelegten Regeln, ohne dass die Politik Entscheide treffen muss, mit denen sie Stimmen verlieren könnte. Zu diesen Ländern gehört Dänemark. Steigt die Rentenbezugsdauer über einen Wert von rund vierzehn Jahren, passt sich das Regelrentenalter automatisch nach oben an. Gerade für die Schweiz, wo seit rund zwanzig Jahren sämtliche Reformen in der Altersvorsorge gescheitert sind, könnte es dieser Ansatz der Entpolitisierung erlauben, sowohl die Diskussion um das Rentenalter als auch die Diskussion um den Umwandlungssatz zu beenden. Auch der reine Beitragsprimat, wie ihn Schweden kennt, wäre für die Schweiz ein Weg, um Finanzierungslücken in der beruf­ lichen Vorsorge künftig zu vermeiden. Was getan werden kann Um den Primat der Politik zu entkräften, muss die Eigenverantwortung der Bürgerinnen und Bürger gestärkt werden. Bürgerinnen und Bürger benötigen genügend Raum und Informationen, um ihre individuelle Verantwortung wahrnehmen zu können. Nur wer seine Versorgungsansprüche aus gesetzlicher und privater Rentenversicherung realitätsgetreu einschätzen kann, ist fähig, eigenverantwortlich und bewusst über verschiedene Optionen zu entscheiden. Bürgerinnen und Bürger müssen BVG-Versorgungslücken erkennen und kritische Urteile über Versicherungsangebote fällen können. �

1 Martin Kaiser-Ferrari & Sibel Oezen: «AHV-Reform: Wie weiter?». In: «Volkswirtschaft – Das Magazin für Wirtschaftspolitik», 1/2 2011, S. 13–16. 2 Bundesamt für Sozialversicherungen: «Finanzperspektiven zeigen Handlungsbedarf». www.bsv.admin.ch/altersvorsorge_2020/03258/03260/index.html?lang=de 3 Martin Eling (2012): «Der Generationenvertrag in Gefahr: Eine Analyse der Transfers von Jung nach Alt in der Schweiz». www.alexandria.unisg.ch/export/DL/238415.pdf? 4 Avenir Suisse: «Beschleunigter Reformbedarf in der AHV», www.avenir-suisse.ch/43623/beschleunigter-reformbedarf-der-ahv/ 5 Vgl. insbesondere: «Realitätscheck für die Schweizer Altersvorsorge», Sonderthema 20, Dezember 2014. 6 «Renten auf einen Blick 2013: OECD- und G20-Länder – Indikatoren», www.oecd.org/berlin/publikationen/pensions-at-a-glance.htm

21


Schweizer Monat SONDERTHEMa Dezember 2015

Nackte Mathematik statt Wunschpolitik

4

Die «Altersvorsorge 2020»-Reform ist mutlos und tastet die grundsätzlichen Schwächen des heutigen Systems nicht an. Die Politik sucht Kompromisse zwischen links und rechts – und nicht zwischen den Generationen. von Jean-Pascal Ammann

D

ie Politik befindet sich im Zeitalter des Pragmatismus. Ein Zeitalter, in dem Reformen aufgegleist werden, die Flickwerk sind. Der Vorschlag des Bundesrats zur Altersvorsorge ist ein Paradebeispiel dafür. Die vermeintliche «Reform» ist doppelt gefährlich, denn sie verschiebt nicht nur ein Problem elegant in die Zukunft, sondern suggeriert auch noch falsche Sicherheit. Sie betoniert einen Status quo, welcher der Realität längst nicht mehr entspricht. Spätere Anpassungen werden für die junge Generation umso schmerzhafter. Dieses starre System kann nur mit einer Entpolitisierung durchbrochen werden. Doch wieso sind wir Jungen nicht längst schon auf der Strasse? Interessiert es uns überhaupt? Die Herausforderung liegt darin, die komplexe Thematik verständlich zu vermitteln. Setzt man sich mit Sozialversicherungen nicht vertieft auseinander, sind Diskussionen um «Mindestzinssätze», «technische Zinssätze», «Umwandlungssätze» und «erste, zweite und dritte Säule» so komplex, dass man lieber weghört. Selten führten Flyerverteilungen zu mehr Ratlosigkeit als bei der BVG-Referendumsabstimmung im Jahr 2010 – und zwar sowohl bei den Passanten als auch bei den Verteilenden, den Autor dieses Textes eingeschlossen. Soll ein Passant von einem Anliegen überzeugt werden, hat man dreissig Sekunden Zeit. Im Jahr der BVG-Abstimmung blieb jedoch auch nach mehrminütigen Erklärungsversuchen häufiger ein «Hä?» als ein «Aha!» zurück. Allein die Erklärung der zweiten Säule nimmt locker dreissig Sekunden in Anspruch. Willkür, im Winter auf offener Strasse erklärt Die finanzielle Stabilität der zweiten Säule hängt von zwei politisch festgelegten Parametern ab: dem Mindestzinssatz und dem Umwandlungssatz. Mit dem Mindestzinssatz bestimmt der Bundesrat einen Zinssatz für die Mindestverzinsung der Guthaben. Die Anpassung erfolgt jährlich und trägt der Entwicklung der Finanzmärkte Rechnung. Der Umwandlungssatz als zweiter entscheidender Parameter bestimmt den Prozentsatz des angesparten Alterskapitals, der jährlich als Rente ausbezahlt wird. Ein Umwandlungssatz von fünf Prozent bedeutet, dass der angesparte Kuchen in zwanzig Stücke 22

Jean-Pascal Ammann aus Emmenbrücke LU, Bauingenieur ETH, ist ehemaliger Präsident JCVP Schweiz.

aufgeteilt wird. Wenn wir bei unserer 2010er Unterschriftensammlung, die im tiefen Winter stattfand, dann jeweils die Sache mit den Kuchenstücken erläutert hatten, leuchtete es den meisten ein, dass sich die Anzahl der Kuchenstücke ungefähr mit der zu erwartenden Lebenserwartung bei Rentenantritt decken muss. Doch ein gewisses Unverständnis blieb, weil die Senkung als politische Massnahme wahrgenommen wurde und nicht als demographische. Misstrauen war spürbar und bildete den Nährboden für die Linke, die mit ihrer plakativen Rentenklau-Polemik gleich drei von vier Schweizern überzeugte – in weit weniger als dreissig Sekunden. Der Sinn einer Senkung des Umwandlungssatzes wird zwar meist anerkannt, doch ist die konkrete Ausgestaltung zu wenig verständlich. In der nun angestrebten Reform der Altersvorsorge ist eine Senkung des Umwandlungssatzes auf 6,0 Prozent enthalten. Aus der Niederlage von 2010 wurde nichts gelernt. Es braucht nicht bloss eine Senkung, sondern ein Umdenken, einen Systemwechsel zu einem technischen und transparenten Automatismus, der den Umwandlungssatz von der Politik entkoppelt und an die Lebenserwartung andockt. Alle Diskussionen um Rentenpolitik haben stets gezeigt, dass politische und emotionale Aspekte die ökonomischen und demographischen Fakten übertönen. Eine Entpolitisierung könnte Akzeptanz schaffen, die Thematik versachlichen und der Schlüssel zu einer erfolgreichen Volksabstimmung sein. Zurück ins Kapitaldeckungsverfahren Ein entpolitisierter Umwandlungssatz wäre nicht mehr von der politischen Grosswetterlage, sondern von der demographischen Realität abhängig. Eine technische Definition stellt sicher, dass im Durchschnitt nicht mehr berufliche Rente ausbezahlt wird, als einbezahlt wurde. Genau das ist die ursprüngliche Idee des Kapitaldeckungsverfahrens, auf dem die zweite Säule aufbaut.


Schweizer Monat SONDERTHEMA Dezember 2015

Das Rentenalter für Männer wurde seit 1948 nicht mehr angepasst. Die Rentendauer hat sich seither gemäss Bundesamt für Statistik von durchschnittlich sieben auf achtzehn Jahre erhöht. Bei einer Rentendauer von 18 Jahren müsste der Umwandlungssatz um 5,6 Prozent betragen – davon sind wir weit entfernt. Das dänische Modell führt zu einem weitgehend konstanten Umwandlungssatz, der das Leistungsniveau erhalten und damit Rentensicherheit für alle Generationen garantieren kann. Die beabsichtigte Senkung des Umwandlungssatzes auf 5,6 Prozent ist überfällig. Sie schafft aber letztlich ohne die notwendige Entpolitisierung bloss einen neuen starren Parameter,1 der vergangenen Entwicklungen Rechnung trägt, nicht aber künftigen. Ein Satz von 6,0 Prozent ist bereits für heutige Verhältnisse zu optimistisch bemessen. Wie aber soll er sich entwickeln, wenn die Bevölkerung weiter altert? Die Politik zementiert mit dem fixen Umwandlungssatz die Inflexibilität des Systems. Es wird ein bereits jetzt veralteter Umwandlungssatz beschlossen, der über Jahre konstant bleibt und sich von einem demographisch realistischen Wert entfernt. So entsteht ein Ungleichgewicht, das jeden Eingriff noch unpopulärer und schmerzhafter macht. Eine Entpolitisierung hingegen bringt Flexibilisierung und erlaubt eine laufende Anpassung an demographische Entwicklungen. Solche jährlichen automatischen Aktualisierungen sind sanfter und sozialverträglicher als der absehbare schwere Einschnitt, den die junge Generation mit der aufgegleisten Reform irgendwann um 2030 vornehmen darf 2. Stossende Antwort vom Bundesrat Doch ist es realistisch, eine Entpolitisierung der Altersvorsorge erreichen zu wollen? Eine Motion von BDP-Nationalrat Martin Landolt forderte eine automatische Anpassung des Rentenalters an die Lebenserwartung. Der Nationalrat folgte der Motion gegen den Widerstand des Bundesrats, der Linken und einer Mehrheit der CVP. Doch der Ständerat versenkte sie mit Verweis auf die bereits fortgeschrittene «Altersvorsorge 2020»-Reform. Die BDP hat mit einer parlamentarischen Initiative nachgedoppelt, doch es ist zweifelhaft, ob diese noch rechtzeitig in die Vorlage einfliessen kann. Speziell die Verwaltung scheint absolut kein Interesse an grundlegenden Reformen zu haben. Dies zeigt die Antwort des Bundesrates auf die Motion Landolt: «Ein Mechanismus zur automatischen Anpassung des Rentenalters an die Lebenserwartung ist aus Sicht des Bundesrates zudem kein taugliches Instrument, um das Rentenalter zu regulieren. Demographische Faktoren können hier nicht alleine ausschlaggebend sein. Im Gegenteil, es müssen auch andere entscheidende Aspekte mit einbezogen werden, wie die gesellschaftlichen Realitäten oder die Kapazität des Arbeitsmarktes, freigewordene Arbeitskräfte zu absorbieren.» Diese Antwort des Bundesrates ist stossend bis erschreckend. Sie zeigt den fehlenden Reformwillen und verknüpft Themen, die nichts miteinander zu tun haben. Die gesell-

schaftlichen Realitäten wandeln sich doch gerade wegen der Demographie. Mit der Bemerkung zur «Kapazität des Arbeitsmarktes» stellt sich der Bundesrat kritisch zu jeder Anhebung des Rentenalters, ohne auf die Idee eines Automatismus einzugehen. Dabei wird der Arbeitsmarkt von einer verstärkten finanziellen Schieflage des Rentensystems viel stärker beeinträchtigt als von einer schrittweisen Anpassung des Rentenalters. Zwei Faktoren können sogar dazu führen, dass es in Zukunft mehr als genug Arbeit geben wird. Wenn in den nächsten fünfzehn Jahren äusserst geburtenstarke Jahrgänge in Rente gehen, wird es auf dem Arbeitsmarkt alle brauchen, besonders erfahrene Ältere. Zusammen mit der vom Volk verlangten Begrenzung der Zuwanderung droht Mangel an Arbeitskräften, nicht an offenen Arbeitsstellen. Die Jungen, eine Quantité négligeable? Die Hoffnung in die Schweizer Politik ist beschränkt. Die Mitte-links-Allianz aus CVP und SP lenkte die Reform im Ständerat in eine ganz andere Richtung und attackierte mit ihren sozialpolitisch unverantwortlichen Ausbauvorschlägen die Generationengerechtigkeit. Die Jungen sind für die Politik zu einer vernachlässigbaren Minderheit geworden. Jeder zweite Wähler ist dem Pensionsalter nahe. Die Politik sucht Kompromisse zwischen links und rechts, nicht zwischen den Generationen. Gerade deshalb bündeln die Jungen ihre Kräfte. Die bürgerlichen Jungparteien JCVP, Jungfreisinnige und JSVP haben sich bereits im Vernehmlassungsverfahren gemeinsam geäussert und werden 2016 mit einer Resolution Druck auf das Parlament ausüben. Die junge Generation hat eine besondere Legitimation, sich zu dieser Thematik zu äussern, durchläuft sie doch das System als Ganzes, heute als Einzahler, morgen als Bezüger. Die heutige Situation, in der die Politik den Umwandlungssatz losgelöst von der Lebenserwartung bestimmt, ist absurd und genauso paradox, wie wenn ein Wissenschafter Naturkonstanten so definiert, wie sie ihm passen. Eine Entpolitisierung und nackte Mathematik könnten dieses sozialpolitische Wunschkonzert beenden. �

Alles fliesst: Bevölkerungsstruktur, Aktienmärkte, Zinssätze ... Einzig in Stein gemeisselt, dekretiert von einer Kommission, konstituiert aus den usual suspects der Bereiche Lobby, Versicherungen und Behörden: der vom Bundesrat festgesetzte Mindestzinssatz auf den Altersguthaben. Die Festschreibung der Zinssätze läuft, wie süffig dargestellt von Beat Kappeler (SM Sonderthema 20, 2014), darauf hinaus, zu versprechen, man könne zweimal in denselben Fluss steigen. Kann man aber nicht. Zu dumm. 2 Zwölf Beitragszahler stehen heute hinter einem Hochbetagten. Im Jahr 2030 wird sich dieses Verhältnis halbiert haben. Der Generationenvertrag lässt sich nicht ohne echten Reformwillen in die Nahzukunft retten. Das Problem: zahlen künftige Beitragszahler gleich viel ein wie die heutigen, reicht das akkumulierte Kapital längstens nicht aus, um einen Lebensabend in Würde zu ­garantieren. Wenn künftige Rentner so hohe Rentenzahlungen verlangen wie die heutigen, kann diese kumulierte Nachfrage nicht mehr von den Beitragszahlern gestemmt werden (Cosandey, SM Sonderthema 20, 2014). 1

23


Schweizer Monat SONDERTHEMa Dezember 2015

5

Umverteilungsmaschine

Die Transformation vom Kapitaldeckungs- zum Umlageverfahren in der 2. Säule läuft. Die Polemik vom Rentenklau ist zahnlos: wenn schon, ist es Zeit für eine Polemik über den Kapitalklau. von Brenda Mäder

V

or einigen Monaten gab die AXA Winterthur bekannt, ihren Umwandlungssatz im Überobligatorium schrittweise auf 5 Prozent anzupassen. Der Unterschied zum gesetzlich vorgegebenen Umwandlungssatz von 6,8 Prozent ist massiv; Überobligatorium und Obligatorium driften auseinander. Während das Gesetz über die berufliche Vorsorge weiterhin in den Mühlen der Politik steckt, findet eine massive Umverteilung von Aktiven zu Rentenbezügern statt. Bereits heute werden jährlich circa 3,5 Milliarden Franken1 der Beitragszahler genommen, um damit überzogene Rentenansprüche zu erfüllen. Der Handlungsbedarf ist offensichtlich: wenn die 2. Säule nicht bald grundlegend reformiert wird, sehen die heutigen Sparer im Alter dereinst nichts mehr von ihrem Geld. Dem schleichenden Wandel vom kapitalgedeckten Verfahren zum Umlageverfahren muss ein Riegel geschoben werden. Wir müssen heute die Chance nutzen, die starre 2. Säule grundsätzlich zu hinterfragen, anstatt weiter minimal an den Stellschräubchen zu drehen. Es ist Zeit, dass sowohl aktive Beitragszahler als auch Rentenbezüger verstehen, was hier passiert, und sich zu einer echten Diskussion und Lösungsfindung zusammenraufen. In der 2. Säule, die eigentlich der individuellen Vorsorge dient, zeigen sich heute Probleme, die mit den kollektiv festgelegten Stellschrauben des Systems zusammenhängen. Vor allem der Umwandlungssatz steht im Fokus: die heute gesetzlich festgelegten 6,8 Prozent in der obligatorischen Vorsorge sind zu hoch angesetzt. Dem Umwandlungssatz liegt eine Annahme der durchschnittlichen Lebenserwartung der Rentenbezüger zugrunde, die heute in der Realität rund zehn Jahre höher liegt. Daher kommt es zur aktuellen Umverteilung von Aktiven zu Rentnern: die Sparkapitalien sollten länger in eine Rente umgewandelt werden als ursprünglich vorgesehen. Zudem erwirtschaften die Sparkapitalien längst nicht mehr die Renditen, die ursprünglich vom Gesetzgeber erwartet wurden. Wie die Senkung des Umwandlungssatzes im Überobligatorium zeigt, findet zudem eine Umverteilung vom Überobligatorium zum Obligatorium statt. Dies rührt daher, dass die Pensionskassen versuchen, der Umverteilung der 3,5 Milliar-

24

Brenda Mäder ist Co-Präsidentin der Unabhängigkeitspartei und Strategieberaterin. Sie befasst sich intensiv mit Vorsorgefragen.

den Franken entgegenzuwirken, etwa indem sie den Umwandlungssatz des Überobligatoriums nach unten korrigieren. Hier bietet sich den Pensionskassen Spielraum, im Gegensatz zu dem im Gesetz über die berufliche Altersvorsorge (BVG) festgelegten Umwandlungssatz. Altersvorsorge mit Kinderkrankheiten Es wird also bereits heute massiv umverteilt – und das notabene in der individuellen Vorsorge! Um die 2. Säule zu retten, müssten die Weichen sehr schnell gestellt werden. Das kann nicht von heute auf morgen geschehen. Der politische Weg ist steinig, wie im Jahr 2010 die Abstimmung zur Initiative «Senkung des Mindestumwandlungssatzes» zeigte. Damals wurde eine Senkung des Umwandlungssatzes mit 72,7 Prozent Nein-Stimmen abgelehnt. Angesichts der grossen Zahl Direktoder Bald-Direktbetroffener einer solchen Rentenkürzung, die fleissig abstimmen, ist das Resultat nicht verwunderlich. Es zeigt, dass nicht nur Empörung – oder gar ein «Aufstand» – der Beitragszahler notwendig ist, sondern dass auch die (potentiellen) Rentenbezüger überzeugt werden müssen, dass die 2. Säule in ihrer Form langfristig nicht bestehen kann. Auch das aktuelle Projekt von Bundesrat Alain Berset, die «Altersvorsorge 2020», leidet an Kinderkrankheiten. Den Titel des Projekts interpretiere ich dahingehend, dass die Beratungen zur Vorlage erst im Jahr 2020 zu einem Ende kommen, obwohl bis dahin eigentlich doch schon vieles umgesetzt sein müsste. Denkt man an die fünfjährige Beratungszeit der gescheiterten 11. AHV-Reform, hat man keinen Grund anzunehmen, dass die komplexe Vorlage «Altersvorsorge 2020» schneller verabschiedet wird. Äusserungen von Experten und Akteuren, etwa vom Schweizerischen Versicherungsverband (SVV), zeigen, dass die Vorlage bereits jetzt, also schon vor der parlamentarischen Phase, eine Kompromisslösung darstellt. Beispielsweise wäre ein Umwandlungssatz unter 6 Prozent ge-


Schweizer Monat SONDERTHEMA Dezember 2015

wünscht, aber 6 Prozent scheinen politisch eher vertretbar zu sein, damit das Projekt nicht im Parlament scheitert 2. Folglich ist vom Paket «Altersvorsorge 2020» keine nachhaltige Lösung zu erwarten. Es handelt sich um einen Balanceakt, der alle Seiten ein bisschen zufriedenstellen und die Baustellen provisorisch zudecken soll. Dabei nehmen weder die Entwicklung der Lebenserwartung noch der Kapitalmarkt Rücksicht auf das politische Klima der Schweiz. Das zentrale Problem der 2. Säule wird bleiben: die systemwidrige Umverteilung von den Aktiven auf die Rentner. Der Begriff «Rentenklau» fällt oft, gerade aus linken Kreisen, wenn über nötige Reformen gesprochen wird. Dabei ist der Ausdruck «Kapitalklau» genauso zutreffend.

sorge machen würden, wenn sie nicht obligatorisch wäre. Im Gegenteil: so sind rund sechzig Prozent der Arbeitnehmer einer Einrichtung der 3. Säule angeschlossen 5. Auch nimmt die Sicherheit des Vorsorgesystems beim «Sorgenbarometer» regelmässig eine Spitzenposition ein 6. Vor allem die jüngere Generation, die von der aktuellen Umverteilung in der 2. Säule besonders betroffen ist, macht sich Sorgen um die Sicherheit der Altersvorsorge. So sind rund dreissig Prozent der unter Vierzigjährigen skeptisch, je eine Rente aus der 2. Säule zu erhalten 7. Die Arbeitnehmer haben ein starkes Interesse, ihre Vorsorge selbst zu gestalten, anstatt dies der Politik anzuvertrauen.

Problem bekannt, Lösung bekannt – Anpacken verschoben Jetzt, da die Debatte endlich aufkommt, besteht die Chance, grundsätzlich über die Altersvorsorge nachzudenken. Die technischen Grössen und deren Realität zeigen auf, dass vom Gesetzgeber festgelegte Parameter nicht sinnvoll sind. Es ist notwendig, die Gestaltung der Parameter den Pensionskassen selbst zu überlassen, wie dies im Überobligatorium bereits heute der Fall ist. Dem BVG liegt aber eine weitere veraltete Idee zugrunde: der Arbeitgeber wählt die Pensionskasse des Arbeitnehmers. Dies kann sinnvoll und bequem sein, wenn Arbeitnehmer ihre Karriere über lange Zeit in einem einzigen Unternehmen verfolgen. Heute wechseln die Leute aber nach einigen Jahren den Arbeitgeber. Auch verlaufen Karrieren häufig nicht nur in der Schweiz, sondern sie beinhalten Auslandsaufenthalte. Dies macht es für Arbeitnehmer nicht einfacher, ein Kapitalpolster aufzubauen. Es ist unsinnig, Sparkapital stets zu überführen oder auf einem Freizügigkeitskonto zu parken. Es ist unbegreiflich, weshalb die Individuen über so etwas Zentrales wie ihre Altersvorsorge nicht mehr Entscheidungsfreiheit besitzen sollen. Wie kann es sein, dass Schweizerinnen und Schweizern zugetraut wird, über Ausbildung, Beruf, Familiengründung, Krankenkasse et cetera zu entscheiden, nicht aber über ihre individuelle Vorsorge? Dabei handelt es sich um circa 720 Milliarden Franken – ein riesiger Kapitalstock, der auf keinen Fall Spielball 3 der Politik sein darf. Während nun mühselig über Jahre die Details eines neuen Reformpakets diskutiert werden, verpassen wir die Chance, die private Vorsorge grundsätzlich zu überdenken. Die Probleme sind bekannt, mögliche Lösungen auch. Zusätzlich zur Entpolitisierung der technischen Parameter des BVG und der freien Wahl der Pensionskasse sollte die Abschaffung des Vorsorgeobligatoriums geprüft werden. Heute besteht bei einigen gewichtigen Risiken keine Versicherungspflicht, etwa bei der Haftpflicht oder Hausratsversicherung. Bei letzterer gehen Schätzungen davon aus, dass dennoch gut neunzig Prozent der Haushalte eine solche abgeschlossen haben 4. Schweizer sind risikobewusst. Es ist schwer vorstellbar, dass sie sich keine Gedanken zu ihrer Altersvor-

Bezüger und Einzahler: solidarisch Die Abschaffung des Vorsorgeobligatoriums ist ein radikaler Vorschlag. So wirkungsvoll (da radikal) der Vorschlag auch wäre, so gering ist die Chance, dass er sich politisch umsetzen lässt. Dennoch muss ein solch radikaler Vorschlag unterbreitet werden, um die grundsätzlichen Probleme der 2. Säule aufzuzeigen und die Debatte zu eröffnen. Wir vom Kapitalklau betroffenen Einzahler müssen solch radikale Forderungen stellen – auch wenn deren Umsetzung einem Aufstand gleichkäme. Vielleicht aber ist ja ein solcher auch nötig: die bisherigen Rettungsversuche für die 2. Säule zeigen, dass die Interessen derjenigen, die ins marode System einzahlen, kein Gehör finden. Dies ist peinlich für die Schweizer Politik, die sich gerne für eine nachhaltige Altersvorsorge rühmt. Passiert weiterhin nichts, werden die Aktiven die Geprellten sein. Es braucht den Reformwillen von Bezügern und Einzahlern, um die 2. Säule langfristig auf gesunde Beine zu stellen. Es ist inakzeptabel, dass wir die individuelle Vorsorge durch Untätigkeit zu einer Umverteilungsmaschine verkommen lassen. Dies ist nicht nachhaltig und die zukünftigen Generationen werden die Last eines falsch kalkulierten Gesetzes tragen, das der Demographie und den Finanzmärkten vorschreiben wollte, was sie zu tun haben. �

1 Credit Suisse: Herausforderungen Pensionskassen 2012 – Aktuelles Stimmungsbild und Hintergründe. 2 SVV: Reform Altersvorsorge 2020: ein Zukunftsprojekt für die Schweiz, 2014. 3 Karl Reichmuth: Schweden studieren statt schwarzsehen, Schweizer Monat Sonderthema 13/Dezember 2013. 4 SVV: Versicherungen von Elementarschäden in der Schweiz, 2013. 5 Comparis: Mit der 3. Säule auf Nummer sicher gehen, 2010. 6 Gfs, Credit Suisse: «Credit Suisse Sorgenbarometer 2014, Schlussbericht» 7 ebd.

25


Schweizer Monat SONDERTHEMa Dezember 2015

6

Probleme nicht mit Geld zudecken

Toni Bortoluzzi engagierte sich sein Politikerleben lang im Sozial- und Gesundheitsbereich. Er sieht sich als Anwalt der Jungen. Im Gespräch skizziert er realistische Reformschritte für die berufliche Vorsorge. René Scheu trifft Toni Bortoluzzi

Herr Bortoluzzi, in der medialen Berichterstattung werden Sie gerne als «politisches Urgestein» und als «ausgewiesener Sozial- und Gesundheitspolitiker» charakterisiert. Halten Sie die Begriffe selbst für zutreffend?

Beides ehrt mich. Wirklich? Politisches Urgestein klingt für mich nach jemandem, der sehr lange in der Politik gewesen ist und ein ausgeprägtes S­endungsbewusstsein hat, kurz: ein Macht- und Berufspolitiker.

Ich verstehe es eher so: Das ist jemand mit Standfestigkeit, jemand, der über einen längeren Zeitraum hinweg Stabilität in seiner politischen Haltung beweist. Und das ist es, was wir brauchen: Stabilität, Solidität. Was wäre gemäss Ihrer Interpretation ein profilierter Sozialpolitiker?

Ein Politiker, der sich ebenfalls über längere Zeit mit sozialpolitischen Fragen befasst hat, seine Dossiers kennt und aufgrund seiner Arbeit öffentlich wahrnehmbar ist. Sozialpolitik ist nicht gerade eine SVP-Kernkompetenz. Was hat Sie bewogen, sich dennoch dieser Dossiers anzunehmen?

Das Verständnis für den sozialen Auftrag des Staates ist das eine, was mich angetrieben hat – die soziale Grundsicherung ist eine seiner Kernaufgaben. Das andere ist die Tatsache, dass die soziale Wohlfahrt sehr viel Geld kostet. Ich war immer sehr daran interessiert, was mit diesem vielen Geld passiert – ob es wirklich sinnvoll eingesetzt wird. In diesem Bereich müssen Sie damit rechnen, die Linken stets gegen sich zu haben. Die sagen allein schon aus weltanschaulichen ­Gründen, dass der Sozialstaat zu klein sei bzw. stets zu wenig ausgebe – ungeachtet zuverlässig wachsender Sozialquote bei wachsendem Bruttoinlandsprodukt. Haben Sie trotzdem den Dialog mit Ihren Opponenten gepflegt?

Ich nehme die Menschen, wie sie nun mal sind. Ich teile sie nicht ein nach politischem Programm, sondern nach Charakter und Ausstrahlung. Das ist für mich wichtiger – und selbstverständlich gibt es auch auf der anderen Seite gute Leute. Mit wem haben Sie besonders gut zusammengearbeitet?

In solchen Dossiers ist es unmöglich, wirklich «gut» zusammenzuarbeiten. Was man aber kann – offen und ehrlich reden 26

Toni Bortoluzzi ist Präsident des Vorsorgeforums, eines Informationsforums im ­Bereich der beruflichen Vorsorge. Er war Schreiner mit eigenem ­Betrieb und von 1991 bis 2015 Nationalrat für die SVP.

René Scheu ist Herausgeber und Chefredaktor des «Schweizer Monats».

und die Anliegen des anderen zu verstehen versuchen. Ein gutes Verhältnis hatte ich stets zu Silvia Schenker oder Jacqueline Fehr. Wir waren hart in der Sache, schenkten uns mithin nichts. Nach geschlagener Schlacht gingen wir dann aber jeweils ein Bier trinken. Wenn Sie zurückblicken auf Ihre Karriere: Was haben Sie bewegt?

Mein vielleicht wichtigster Beitrag: die IV so umzubauen, dass man heute guten Gewissens behaupten kann, sie sei ein echtes Sozialwerk! Vorher war sie eine Geldversorgungsmaschinerie für Leute, die nicht alles haben, was sie brauchen, um sich über die Runden zu bringen. Gute Sozialpolitik besteht darin, die Kompetenzen der einzelnen zu aktivieren und sie als Beitrag für ein möglichst eigenständiges Leben einzusetzen. Sie sprechen von den Reformen, die zum Ziel hatten, die Integration in den Arbeitsprozess zu befördern.

Genau. Man hat zu lange zu verantwortungslos bestehende Probleme mit Geld zugedeckt, die Leute aus dem Arbeitsprozess rausgenommen und gesagt: Jetzt geben wir mal Rente und dann ist Ruhe. Das habe ich als schlechte Sozialpolitik empfunden. Man muss Motivation verbinden mit Hilfe zur Eigenständigkeit. Welches sind aus Ihrer Sicht die Erfolge, die Sie in der Altersvorsorge erreicht haben?

(Lacht) Wir Bürgerlichen haben es hingekriegt, dass nicht allzu viele Fehler passiert sind. Das ist schon einiges. Sind Sie im Ernst so bescheiden?

Die laufende Verschlechterung war mit Händen zu greifen, gerade in der beruflichen Vorsorge. Anfang der 2000er Jahre stieg der Druck auf die Politik, wegen ausbleibender Zinserträge und


27


Schweizer Monat SONDERTHEMa Dezember 2015

«Gute Sozialpolitik besteht darin, die Kompetenzen der einzelnen zu aktivieren und sie als Beitrag für ein möglichst eigenständiges Leben einzusetzen. Man hat zu lange zu verantwortungslos bestehende Probleme mit Geld zugedeckt, die Leute aus dem Arbeitsprozess rausgenommen und gesagt: Jetzt geben wir mal Rente und dann ist Ruhe. Das habe ich als schlechte Sozialpolitik empfunden. Man muss Motivation verbinden mit Hilfe zur Eigenständigkeit.» Toni Bortoluzzi

28


Schweizer Monat SONDERTHEMA Dezember 2015

Fehlrechnungen. Man bürokratisierte und reglementierte. Sehr schlecht! In den letzten Jahren fand ein Lernprozess statt. Ich ­erachte die Chancen als intakt, dass das System künftig stärker auf die Verantwortung der Pensionskassen abgestellt wird.

Weil das zu einem Kommen und Gehen in den Pensionskassen führt. Die Konsequenz: Risikobeiträge und Schwankungsreserven sind in der Tendenz höher. Das wäre zum Nachteil der Versicherten. Sie bekommen weniger netto.

Geht es konkreter?

Ist das wirklich so? Genauso gut liesse sich argumentieren, dass jemand, der die Wahl hat, sich sehr genau überlegt, welcher Pensionskasse er sich anschliesst – und dann ein Leben lang bei ihr bleibt. Die freie Pensionskassenwahl würde dann sogar zu mehr Berechenbarkeit führen!

Die paritätisch arbeitenden Stiftungsräte sollten mutiger in die Pflicht genommen werden. Wenn die Arbeitgeber- und die ­Arbeitnehmerseite involviert sind, braucht es ja den Staat als regulierende Instanz im Prinzip nicht. Man darf, ja muss davon ausgehen, dass beide Seiten im Interesse der eigenen Vorsorge handeln – die Interessenkonvergenz ist gegeben. Also spricht alles dafür, die Verantwortungsposition der Pensionskassen zu stärken. Die Stiftungsräte sind Vertreter der Versicherten. Das wäre ­zweifellos ein erster sinnvoller Schritt. Doch warum sollen die Versicherten nicht gleich selbst entscheiden können? Kurzum, ich stelle die Gretchenfrage: Wie stehen Sie zum Vorschlag der freien PK-Wahl durch die Beitragszahler?

Das tönt erst mal gut und scheint den Vorlieben eines liberalen Geistes zu entsprechen. Das Problem ist jedoch, dass Arbeitgeber und Betriebe im Falle der freien PK-Wahl das Interesse an der Kasse verlören. Damit wächst die Gefahr, dass die heute weit verbreiteten überobligatorischen Leistungen verschwinden. Der Arbeitgeber ist nicht mehr bereit, mehr als das gesetzliche Minimum einzuzahlen. Das leuchtet mir nicht a priori ein. Warum denn nicht?

Jetzt ist die PK sozusagen ein Teil des Betriebs. Der Arbeitgeber ist stolz darauf, dass er seinen Mitarbeitern eine gute PK anbieten kann. Wenn diese Bindung gekappt wird, weil jeder seine eigene PK wählt, gibt es keine betriebseigene Kasse mehr. Die Leistungen der Arbeitgeber an die Vorsorge des Arbeitnehmers würden sinken, weil das Interesse an einer eigenen PK nun einfach mal grösser ist als das an einer fremden. Sie gehen von den einzelnen Betrieben mit langjährigen Mitarbeitern aus, deren Geld entsprechend lange in der betriebs­ eigenen PK betreut wird. Das ist, mit Verlaub, längst nicht mehr die Regel. Heute sind die Berufsbiographien vielfältiger, unvorhersehbarer – und nicht mehr auf einen Betrieb fixiert.

Ich bin durchaus der Meinung, dass die Betriebe vermehrt Hand bieten müssen zu Lösungen, die den Wünschen der Arbeitnehmer Rechnung tragen. Wenn diese mehr einzahlen wollen, um einen anderen Versorgungsplan zu erhalten als der vom Reglement angebotene... ... wenn sie sich also zu Recht mehr Wahlfreiheit und Individualisierung wünschen...

Aber halt, das gibt es ja schon! Es sind verschiedene Reglemente möglich. Die konkrete Ausgestaltung des Reglements ist frei – sie obliegt dem paritätisch besetzten Stiftungsrat. Als Versicherter, der nicht im Stiftungsrat sitzt, habe ich dennoch bloss eingeschränkte Autonomie. Mir ist immer noch nicht klar: Warum soll nicht jeder selbst entscheiden können?

Das wäre doch ein anstrengendes Leben für die Versicherten – mit ungewissen Aussichten! Ich habe das meinem jungen Sitznachbarn, Thomas Aeschi, auch schon erklärt. Nicht alle wollen ständig entscheiden. Und die Betriebe verlieren das Interesse an der besten Lösung für ihre Angestellten. Mit Verlaub: Sie haben ein sehr patronales Verständnis von Mensch und Unternehmen!

Finden Sie? Ich kenne Betriebe, die von sich aus Millionenbeträge nachgeschossen haben, als damals die Tiefzinsphase kam. Das ist gelebtes Verantwortungsbewusstsein. Wir leben in einem KMU-Land, die Unternehmer schauen zu ihren Leuten. Das ist nichts, worüber man sich beklagen müsste. Sie haben im Nationalrat einmal zu Protokoll gegeben: «Versprochene Leistungen sind [= in der beruflichen Vorsorge, d. Red.] nicht finanziert, die Finanzergebnisse der letzten Jahre ­vermögen die hochgesteckten Erwartungen nicht zu erfüllen, das Verhalten der Politik und des Staates mit Wunschvorstellungen ist wohl die grösste Gefahr für das Wohlergehen der Bevölkerung.»

(Lacht) ...da habe ich ja cheibe gescheit geredet! Das hätte ich gopfertelli nicht gedacht. Trotz luzide formulierten Gedanken: wir sind nach vier Jahren aber immer noch gleich weit.

Mit der «Altersvorsorge 2020»-Vorlage ist der Bundesrat insofern auf dem richtigen Weg, als er wenigstens Probleme erkannt und benannt hat – man muss aber dringend eine Revision ins Auge fassen. Eine Reform der geplanten Reform?

Genau. Die Vorlage des Bundesrats sieht ja im Kern vor, dass man in der 1. Säule ein wenig raufgeht, damit man die Verluste in der 2. auffangen kann. Das ist falsch. Man muss beide Säulen eigenständig sanieren. Die Massnahmen müssen jetzt in die Wege geleitet werden. Es gibt nach Adam Riese sechs mögliche Lösungsansätze. Früher ansparen. Länger arbeiten. Höhere Beiträge. Tiefere Leistungen. Höhere Anlagerisiken. Oder: auf ein Wunder hoffen – darauf, dass der allerdings amputierte Kapitalismus plötzlich wieder die Renditen einbringt, die er noch nie gebracht hat, und das auch noch ohne Inflation. Was man streichen muss: länger arbeiten. Das ist nicht durchsetzbar. Aber wäre es denn richtig aus Ihrer Sicht?

Klar. Und ich werde als alt Nationalrat weiterhin propagieren, dass man das längere Arbeiten in die Vorlage nimmt. Dennoch 29


Schweizer Monat SONDERTHEMa Dezember 2015

wird es nichts fruchten. Es gibt andere, durchsetzbare Massnahmen, die langfristig greifen. Früheres Sparen. Ein leichtes Senken des Koordinationsabzugs – also Beiträge auf einen höheren Teil des Lohns. Man kann für Leute zwischen dreissig und vierzig die Prämien erhöhen, um das Problem des immer noch zu hohen Umwandlungssatzes aufzufangen. Früherer Sparbeginn und höhere Prämien werden langfristig zu einem stabilen Ergebnis führen. Selbst wenn die Prämien der Versicherten zwischen 25 und 45 erhöht werden, müssen sie irgendwann wieder gesenkt werden – sonst verteuert sich die Arbeit im Alter weiter. Das lineare Denken ist problemanfällig. Oder wollen Sie am Ende bloss die Arbeits­ losigkeit fördern?

Absolut richtig. Die Prämien sind früher zu deckeln. Aber insgesamt lässt sich mit meinen Vorschlägen die 2. Säule reformieren – unter Einhaltung des heutigen Leistungsstandards. Also bleibt noch ein letztes Problem: man muss jenen Leuten helfen, die zu wenig angespart haben und bald pensioniert werden. Hier kann man für die nächsten zehn, fünfzehn Jahrgänge einen befristeten solidarischen Beitrag einführen. Das meinen Sie nicht ernst!

Doch! Noch eine gut getarnte Steuer?

Natürlich kostet das, anderthalb Milliarden im Jahr, also 0,3 oder 0,4 paritätisch geleistete Lohnprozente... aber da kommt man nicht drumrum. Sonst muss man Leistungsverluste in Kauf nehmen. Das haben wir 2010 versucht – und was geschah? Wir haben hochkant verloren. Man muss den Leuten sagen, dass man mit der Revision nur Massnahmen ins Visier nimmt, die am Ende zu gleich hohen Renten führen wie heute. Und dann – dann kann man endlich die berufliche Vorsorge entpolitisieren und mathematisch saubere Mindest- und Umwandlungssätze einführen.

Kasse der Theologen hat ein anderes Ergebnis als die der Tiefbauarbeiter. Wir brauchen echte Pensionskassenautonomie! Wie wollen Sie verhindern, dass am Ende die Pensionskassen nicht schummeln – und im Stillen vom Kapitaldeckungszum ­Umlageverfahren umstellen? Sie zahlen einfach mehr aus, als sie dürften. Und am Ende stellen sie die Bürger vor vollendete ­Tatsachen. Das ist es ja, was de facto bereits geschieht.

Das ist ein wichtiger Punkt. Es braucht hier eine weitere einfache, glasklare Vorschrift: Der Deckungsgrad muss von Gesetzes wegen bei 115 Prozent liegen. Das muss die kasseninterne Aufsicht im Auge haben. Denn es ist klar: es darf keine Umverteilung von Jung zu Alt, von Aktiv zu Passiv geben. Sie gebärden sich damit als Anwalt der Jungen. Bereitet es Ihnen Bauchschmerzen, dass Sie im Rahmen der 2. Säule heute schon einen Teil des Geldes Ihrer Kinder beziehen, das Ihnen eigentlich gar nicht zusteht?

Ich habe Glück gehabt: Ich habe keine 2. Säule! Als selbständiger Schreiner habe ich immer in die 3. Säule eingezahlt. Ich bin froh, dass ich bei dieser staatlich-dirigistischen Veranstaltung nicht mitmachen musste. Ich hätte auch in der AHV nicht mitgemacht, wenn ich nicht hätte mitmachen müssen. Meine Überzeugung war stets: Ich kann für mich selber sorgen. Sie sind also nicht direkt betroffen. Trotzdem sind Sie der Anwalt der Nachrückenden, die sich wiederum kaum um die berufliche Vorsorge kümmern. Hand aufs Herz: eine verkehrte Welt?

Ein wenig schon. Aber mein Engagement ist Teil der gesellschaftlichen Verantwortung, die ich als Politiker habe. Man muss den Betroffenen sagen, was auf sie zukommt. Was sagen Sie Ihren Kindern?

Mein Sohn hat einen eigenen Betrieb und ist als Arbeitgebervertreter im Stiftungsrat der PK. Wenn er mich fragt, antworte ich ihm immer: Kümmere dich seriös um die Vorsorge, sensibilisiere deine Mitarbeiter, wecke ihr Verantwortungsbewusstsein!

Sie haben in Ihrer Aktivzeit eine parlamentarische Initiative mit dem etwas hölzernen Titel «Herauslösung der technischen ­Parameter aus dem BVG» eingereicht, die weiterhin hängig ist. Sie wollen die Mathematik aufwerten gegenüber der politischen ­Illusionsbewirtschaftung.

Eigentlich ist ja das Geld der zweiten Säule das Eigentum der Versicherten. Vielen ist dies jedoch kaum bewusst. Wenn man eine freie PK-Wahl hätte, würde man das Geld viel stärker als sein eigenes wahrnehmen. Darum nochmals: wäre dies nicht die beste Lösung?

Ich habe immer gesagt, dass man den Versicherten eine Mindestgarantie für den versicherten Lohn geben muss – in Rappen und Franken berechenbar, unter Einbezug der 1. Säule. Wie kann man den Versicherten Gewissheit geben, dass diese 60 Prozent des Durchschnittslohns der letzten aktiven Jahre erhalten? Ganz einfach: das ist mit einem Auftrag an die Kassen verbunden, sich selbst darum zu kümmern – dank paritätisch besetztem Stiftungsrat. Der Gesetzgeber legt eine Mindestprämie fest und überträgt ansonsten die Verantwortung an die Pensionskassen. Fertig. Schluss. Es ist alles da. Technische Parameter gehören nicht ins Gesetz. Der Mindestzins- und der Mindestumwandlungssatz sollen abhängig sein vom Mindestzinssatz und vom Alter und von der Sterbetafel der Kassen. Die

Das wäre ein Vorteil, ja. Und der einzelne würde auch nach der gewünschten Anlagestrategie gefragt werden.

30

Und die Jungen würden sich für das System wirklich zu interessieren beginnen.

Das stimmt schon. Ihre Idee ist mir im Prinzip sympathisch. Aber wichtiger ist es, die Autonomie der Pensionskassen zu stärken. Dann schauen wir weiter. Bisher kann der Versicherte das gesparte Geld zum Zeitpunkt der Pensionierung beziehen. Das ist Ausdruck der Tatsache, dass es ­persönliches Eigentum ist, über das man frei verfügen können muss.

Gegen den Bezug habe ich meine Vorbehalte. Obwohl es um das Eigentum des einzelnen geht?

Ich habe meine Sympathien, und ich habe meine Vorbehalte.


Schweizer Monat SONDERTHEMA Dezember 2015

Denn hier verschwimmen Versicherung und Eigentum, individuelles Sparen und Steuertopf.

Impressum

Klar, der Bezüger kann das Kapital verjubeln. Nachher ist er auf Ergänzungsleistungen angewiesen, die wiederum die Allgemein­heit berappt. Dennoch ist dies nach aktueller Lage die Ausnahme, nicht die Regel. Warum also sollte man deswegen die Verfügung über das Eigentum einschränken?

ISSN 0036-7400

Wer sein Vorsorgekapital bezieht, müsste ein Dokument unterzeichnen, auf dem geschrieben steht, dass er sich der finanziellen Risiken des Vorbezugs bewusst ist. Wenn er es verjubelt, wird es nicht anderweitig ersetzt. Konkreter?

Nothilfe.

«Schweizer Monat», Sonderthema 28

VERLAG SMH Verlag AG HERAUSGEBER & CHEFREDAKTOR René Scheu (RS): rene.scheu@schweizermonat.ch Redaktion Serena Jung (SJ/Bildredaktorin & persönliche Mitarbeiterin des Herausgebers): serena.jung@schweizermonat.ch Florian Oegerli (FO/redaktioneller Mitarbeiter): florian.oegerli@schweizermonat.ch Florian Rittmeyer (FR/stv. Chefredaktor):

Ist das politisch durchsetzbar?

florian.rittmeyer@schweizermonat.ch

Nein.

Michael Wiederstein (MW/leitender Kulturredaktor):

Ergo?

Ergo böte sich vielleicht ein Kompromissvorschlag an: Das gesetzliche Minimum darf nicht bezogen werden, der Rest des Kapitals hingegen schon.

michael.wiederstein@schweizermonat.ch Projektleitung Gregor Szyndler (GS) KORREKTORAT Roger Gaston Sutter

Ich habe keinen Zweifel: Sie werden auch nach Ihrem Rückzug aus dem Nationalrat mit Leib und Seele dabei sein bei dieser Diskussion.

Der «Schweizer Monat» folgt den Vorschlägen zur

Ja, in der Partei und überall, wo ich noch mitreden kann. Ich bin zwar ein altes Schlachtross. Aber eins, das noch gerne ­galoppiert! �

Rahel Duss: rahel.duss@aformat.ch

Rechtschreibung der Schweizer Orthographischen Konferenz (SOK), www.sok.ch. GESTALTUNG & PRODUKTION Themenbilder Dorothee Dähler: email@dorotheedaehler.ch Kaj Lehmann: email@kajlehmann.ch Inserateverkauf Roger Pfranger: pfranger@bamedia.ch ADMINISTRATION/LESERSERVICE Anneliese Klingler (Leitung): anneliese.klingler@schweizermonat.ch Jeanne Schärz: jeanne.schaerz@schweizermonat.ch ADRESSE «Schweizer Monat» SMH Verlag AG Rotbuchstrasse 46 8037 Zürich +41 (0)44 361 26 06 www.schweizermonat.ch ANZEIGEN anzeigen@schweizermonat.ch PREISE Jahresabo Fr. 195.– / Euro 165.– 2-Jahres-Abo Fr. 350.– / Euro 296.– Abo auf Lebenszeit / auf Anfrage Einzelheft Fr. 22.– / Euro 19.– Studenten und Auszubildende erhalten 50% Ermässigung auf das Jahresabonnement. DRUCK pmc Print Media Corporation, Oetwil am See www.pmcoetwil.ch BESTELLUNGEN www.schweizermonat.ch

31


Individuell und doch gemeinsam ans Ziel

Das bietet Ihnen die Zusammenarbeit mit einer der grössten, unabhängigen BVG-Anbieterinnen: Individuell, nach eigenen Möglichkeiten ■ Vermögen anlegen ■ S trategie bestimmen ■ Vorsorgeplan gestalten Gemeinsam profitieren von ■ t ieferen Verwaltungskosten ■ interessanten Anlagekonditionen ■ g ünstigen Risikoprämien

Vernetzte Kompetenzen

Postfach CH-8026 Zürich

Fon +41 44 451 67 44 Fax +41 44 451 67 48

www.valitas.ch info@valitas.ch


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.