Schweizer Monat, Sonderthema 21, Juni 2015

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Mit Beitr辰gen und Interventionen von: Marc Chesney Oswald Gr端bel Martin Janssen Adrian K端nzi Tobias Straumann u.a.

Die Bank im Aufwind?

Analysen, Hintergr端nde und Perspektiven zum Finanzplatz Schweiz

In Kooperation mit:


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Die Bank im Aufwind? Analysen, Hintergründe und Perspektiven zum Finanzplatz Schweiz

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s sind die spannendsten Zeiten seit Jahrzehnten: Der Bankenplatz Schweiz ist daran, sich neu aufzustellen. Den Wandel wollen wir beschreiben. Und zeigen, wohin die Reise geht.

Der Bankenplatz Schweiz steht unter Druck – zunächst von aussen. Die Regierungen überschuldeter Staaten sind auf der Suche nach neuem Steuersubstrat. Einige von ihnen wollen gar ihre eigenen Finanzplätze stärken, indem sie den helvetischen schwächen: Frankfurt, London, New York. Wiederum andere wie Singapur nehmen das Treiben billigend in Kauf. Am guten Image der Schweiz unter Bürgern in Europa, USA und Asien hat dies nichts geändert – im Gegenteil. Ausländische Kunden vertrauen den helvetischen Banken ihr Vermögen gerne an. Die Schweiz ist in der grenzüberschreitenden Vermögens­ verwaltung weltweit die Nummer eins. Umso erstaunlicher ist, dass der Bankenplatz auch im Inland unter Dauerdruck steht. Bankenbashing ist sieben Jahre nach Ausbruch der Finanzkrise noch immer en vogue – und dies erzeugt erhöhte Risiken und anhaltende Nebenwirkungen. Die Politik macht sich die Stimmung zunutze und kapriziert sich auf fiskalischen und finanz­ markttechnischen Aktivismus. Regulierungsbehörden führen ein Eigenleben. Die grossen Probleme bleiben ungelöst. Vergessen ob all dem geht, dass die aller­ meisten Bankangestellten einen hervorragenden Job leisten. Und dass die Schweiz aus rund 300 kleineren und mittleren Instituten besteht – und nicht bloss aus zwei grossen. Banken sind die kommunizierenden Röhren der Volkswirtschaft, in der Schweiz noch mehr als anderswo. Sie schaffen Arbeitsplätze. Sie generieren Steuersubstrat. Sie schützen Eigentum. Sie fördern Kultur und Zivilgesellschaft. Sie helfen unternehmerische Cluster bilden. Sie vergeben Kredite an Private. Und sie arbeiten und handeln mit dem höchsten Gut, das sie (sich) stets neu verdienen müssen: Vertrauen. Der dogmatische Schlummer der alten Bankenwelt ist vorbei, das Bankkunden­ geheimnis wohl auch im Inland bald passé. Ich finde: es ist höchste Zeit, dass sich auch eine breitere Öffentlichkeit wieder für die Zukunft des Bankenplatzes interessiert. Aktiv. Zuversichtlich. Neugierig. Und nicht bloss nörgelnd. René Scheu Herausgeber & Chefredaktor

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Schweizer Monat SONDERTHEMA Mai 2015

Inhalt

René Scheu trifft Oswald Grübel und Adrian Künzi

06 «Die Substanz ist da!» –

«Es fängt eine neue Zeitrechnung an.»

Martin Janssen

16 Der Bankenplatz Schweiz im Jahre 2022

Tobias Straumann

22 Die Geschichte ist ein Asset

René Scheu trifft Marc Chesney

26 «Der Homo financiarius

tickt ganz anders»

Peter Buomberger

30 Wider die Gesetzesflut

Thomas Hauser

33 Der Kunde?

Stets ignorant!

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Kolumnen 15 19 19 20 25

Mark Dittli Julien Briguet Rino Borini Facts & Figures Hans Geiger


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Jawohl, ein Teil der Elite hat versagt. Oswald Grübel

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Wir brauchen Banken, die fit sind. Wir wollen keine Casinos. Marc Chesney

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Der einzige Ausweg besteht heute – nicht morgen – in der Wahrung der Vorteile des «First Mover». Martin Janssen 5


Schweizer Monat SONDERTHEMa Mai 2015

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« Die Substanz ist da!» – « Es fängt eine neue Zeitrechnung an.»

Der eine steht für modernes Banking und eine Welt ohne Altlasten. Der andere hat den Schweizer Finanzplatz geprägt und fragt sich, wozu es in Zukunft noch Banken braucht. Adrian Künzi und Oswald Grübel im grossen Gespräch über eine Branche im Umbruch. René Scheu trifft Oswald Grübel und Adrian Künzi

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Schweizer Monat SONDERTHEMA Mai 2015

Oswald Grübel und Adrian Künzi, photographiert von Suzanne Schwiertz.

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err Grübel, Sie sind ein alter Hase in der Branche. Vermutlich erteilen Sie nicht gerne Ratschläge, aber vielleicht können Sie es trotzdem versuchen: Welche Skills muss man heute mitbringen, um ein erfolgreicher Banker zu werden?

Oswald Grübel: Ich bin nicht mehr im Geschäft und also weniger unwillig als unbefugt, Rat­ schläge zu erteilen. Natürlich weiss ich, wo wir herkommen, aber die grosse Frage ist ja, wo die Reise in der Bankenwelt nun hin­ geht – und wer weiss das schon? Das Umfeld hat sich radikal verändert, so viel ist klar. Wir haben in der Schweiz im Bankenge­ schäft 70 Jahre lang einen einmaligen Aufschwung erlebt, an dem das Bankgeheimnis grossen Anteil hatte. Dieser Aufschwung ist 2007 zu einem Ende gekommen: Das Bankgeheimnis ist aus­ gehebelt worden, und zwar von der Technologie, die weiterhin auf dem Vormarsch ist.

Sprechen wir also über das Bankgeschäft in diesem veränderten Umfeld. Nehmen Sie, Herr Künzi, als vergleichsweise junger Fuchs die Zäsur genauso wahr und würden sagen, dass es ein Banking vor und ein Banking nach dem Bankgeheimnis gibt?

Adrian Künzi: Herr Grübels Einschätzung ist im Grundsatz sicher richtig. Ich würde aber noch hinzufügen, dass die Tech­ nologie nicht der einzige Treiber war, der hinter dem Ende des Bankgeheimnisses stand. Ebenso wichtig war in meinen Augen die Schuldenkrise in vielen europäischen Ländern und den USA. Diese hat dazu geführt, dass die fraglichen Staaten in Sachen Einforderung von Steuergeldern eine viel härtere Gang­ art eingelegt haben. Was die Regierungen lange geduldet hat­ ten, war plötzlich verpönt – und wird es für immer bleiben. Grübel: Zweifelsohne: die Krise hat Begehrlichkeiten des Fis­ kus geweckt, zumal das Ausland ja längst weiss, dass die Schweiz nachzugeben pflegt, wenn der internationale Druck genügend gross ist. Aber die Krise hat nicht das Bankgeheimnis ausgehebelt! Dafür war die Technologie verantwortlich. Schon einige Jahre bevor die UBS und die USA ihre Angelegenheit geregelt haben, waren die Banken nicht mehr in der Lage, ihre Kundendaten gegen Diebstahl zu sichern. IT-Mitarbeiter konn­ ten die Daten einfach und schnell kopieren und verkaufen. Das ist ein lukratives Geschäft – und der Lauf der Dinge. Künzi: Technologie und Daten sind heute von eminenter Wich­ tigkeit, darauf können wir uns einigen. Und ihre Bedeutung wird – auch für unser Geschäft – nur noch zunehmen: Fast täg­ lich tauchen neue Möglichkeiten auf, Daten zu analysieren und daraus passgenaue Angebote zu generieren. Wir stehen im Moment an der Schwelle zu einer Welt, in der personenbezo­ gene Daten im Banking eine ebenso zentrale Rolle spielen werden wie in der Konsum- oder Gesundheitsbranche. 8

Oswald Grübel ist Investor und Unternehmer. Zuvor war er u.a. CEO der Credit Suisse und der UBS.

Adrian Künzi ist promovierter Ökonom und CEO der 2012 gegründeten Notenstein Privatbank.

René Scheu ist Herausgeber und Chefredaktor dieser Zeitschrift.

In diese nahe Zukunft wollen wir später im Detail blicken. Bleiben wir vorerst noch einen Moment beim aktuellen Umfeld. Sie sagen es beide klipp und klar: Für Ausländer gibt es heute kein Bankgeheimnis mehr. Was bedeutet das fürs «Swiss Banking»?

Künzi: Ich bin überzeugt, dass wir in der Schweiz eine sehr gute Basis für ein weiterhin erfolgreiches Geschäft haben. Meine Sichtweise ist etwas geprägt durch meine Geburtsstadt: Ich bin in Biel aufgewachsen, und Biel musste in den 1970er Jahren eine grosse Krise in der Uhrenindustrie durchstehen. Die An­ zahl Beschäftigter ist um zwei Drittel eingebrochen, man hat das Ende der Schweizer Uhrenindustrie prophezeit, und doch ist die Wende geglückt. Dasselbe ist auch in der Bankenbranche möglich. Insbesondere, weil die Grundlage hier hervorragend ist: Wir haben in der Schweiz nach wie vor 6000 Milliarden Franken an deponierten Kundengeldern, wir haben 300 Banken und über 100 000 bestens qualifizierte Leute – die Substanz ist da. Grübel: Es fällt mir schwer, in diesen 6000 Milliarden einen Garanten für die Zukunft zu sehen. Wie viel von dieser Summe liegt in der Schweiz, wie viel irgendwo auf der Welt? Und wer weiss schon, wie sich diese Zahl entwickeln wird. Natürlich haben wir aufgrund der letzten Jahrzehnte eine bessere Aus­ gangslage als andere Finanzplätze, die erst im Entstehen be­ griffen sind. Aber das reicht nicht. Es war das Bankgeheimnis, das uns geholfen hat, zu dem zu werden, was wir sind. Das ist jetzt passé. Es fängt eine neue Zeitrechnung an, und wir müs­ sen uns etwas einfallen lassen. Denn ab sofort stehen wir in Konkurrenz mit dem Rest der Welt. In dieser Konkurrenzsituation stellt sich die Frage, was einen Kunden aus dem Ausland heute noch dazu veranlassen könnte, sein Geld in die Schweiz zu bringen. Herr Grübel, Sie kommen aus Deutschland…

Grübel: Muss das immer erwähnt werden? Ich lebe wahr­ scheinlich schon länger in der Schweiz als mein Kollege hier – oder wann sind Sie geboren? Künzi: 1973. Grübel: Sehen Sie, und ich bin seit 1970 da! Gut, mich haben Sie auch getoppt, in der Sache können Sie uns aber vielleicht auch als langjährigster Wahlschweizer weiterhelfen: Wenn ich mich in die Lage eines deutschen oder französischen


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Bürgers versetze, ist mir nicht klar, weshalb ich heute Kunde einer Schweizer Bank werden sollte. Wissen Sie’s?

Grübel: Die Antwort auf die Frage nach dem grössten «Selling Point» der Schweiz hängt eng mit dem Standort des potentiel­ len Kunden zusammen: Ein Bürger aus Deutschland wird von ganz anderen Dingen angelockt als einer aus der Elfenbein­ küste. Der Deutsche wird sich, nach all dem Zirkus, den wir in den vergangenen Jahren gehabt haben, sicher fragen, ob er noch ein Konto in der Schweiz eröffnen soll. Immerhin riskiert er damit, unter Verdacht zu geraten, das weiss ich aus eigener Erfahrung, selbst wenn er sein Schweizer Konto gegenüber der Steuerbehörde pflichtgemäss meldet. Der Grund ist einfach: er wird sogleich verdächtigt, ein zweites Konto zu besitzen, das er nicht deklariert. Hingegen könnte es für ihn interessant sein, in die Schweiz einzuwandern – die Steuern sind hier immer noch tiefer als in den meisten anderen EU-Ländern. Jedoch muss er hier, anders als in Deutschland, eine Vermögenssteuer entrichten – eine ziemlich saftige zumal.

Grübel: Schon, aber dafür – bis jetzt zumindest – keine Erb­ schaftssteuer. Die vermögenden Leute sind häufig in einem Alter, in dem sie sich damit beschäftigen müssen, was Kinder und Enkel einmal kriegen sollen. Da spielt die Erbschaftssteuer eine viel wichtigere Rolle als die Vermögenssteuer. Dem Kunden aus Asien ist das Image der Schweiz wichtig. Die Schweiz ist dort so hoch angesehen, dass es den Status hebt, ein Konto bei einer ihrer Banken zu haben. Abgesehen davon, dass die Schweiz im Unterschied zu diesen Ländern auch eine grosse politische Sta­ bilität aufweist – was dann auch für den Afrikaner ein wichtiges Argument ist. Der macht sich überdies Sorgen wegen der hohen Korruption und sucht nach Möglichkeiten, sein Geld in einem gesicherten Rechtsstaat unterzubringen. Über den Zustand dieses Rechtsstaats gehen die Meinungen auseinander – gehört der nicht ebenso der Vergangenheit an wie das Bankgeheimnis?

Grübel: Nein, nein. Lassen Sie uns nicht übertreiben! Natürlich müssen wir jedes Jahr Abstriche machen und zusehen, wie der Rechtsstaat sein eigenes Recht biegt und bricht. Aber das ge­ schieht in ganz Europa, und aus der Warte der beschriebenen Regionen sieht die Schweiz in dieser Hinsicht immer noch her­ vorragend aus – das gelobte Land! Künzi: Absolut entscheidend ist Vertrauen. Das hat verschie­ dene Facetten: Vertrauen in die Leute – wir sind ja ein Dienstleis­ tungsgeschäft. Vertrauen in die Infrastruktur, Vertrauen aber auch – und das ist wohl das zentralste Element – in die politische Stabilität. Und die ist hierzulande trotz zuweilen heftiger Debat­ ten gegeben. Denn all die Debatten sind letztlich Ausdruck einer Haltung, die dank halbdirekter Demokratie für berechenbare Verhältnisse sorgt: wir, die Bürger, sind der Staat! Diese Situation macht die Schweiz attraktiv für Kunden, aber auch immer wieder zur Zielscheibe von Angriffen ausländischer Justizund Finanzminister. Hätte ich viel Geld, würde ich mir deshalb

überlegen, es in die USA zu bringen: in the eye of the storm. Als Weltmacht sind die USA in der Lage, andere Länder unter Druck zu setzen, ergo muss ich mein Vermögen dort deponieren, wenn ich will, dass es sicher ist.

Künzi: Absolut sicher ist das Geld nirgendwo auf der Welt, auch nicht in den USA. Grosse Vermögenswerte sollten nie an einem Ort, in einer einzigen Jurisdiktion gebucht sein. Klug ist es, sein Vermögen über verschiedene Länder und geographische Zo­ nen hinweg zu verteilen. Aufstrebende und beeindruckende Finanzplätze gibt es heute verschiedene auch ausserhalb Euro­ pas und der USA, denken wir an Singapur und Hongkong – oder auch an Dubai und den Nahen Osten. Zugleich sind dort aber potentielle Unruheherde in der Nähe, die Grundgegeben­ heiten bleiben ganz andere als hier im Herzen Europas, wo die Verhältnisse ungleich stabiler sind. Natürlich stehen wir heute voll im Wettbewerb mit den anderen Finanzplätzen. Aber das macht mir keine Angst. Angst macht mir einzig, dass die Spiesse zunehmend ungleich lang sind und wir hierzulande durch gesetzliche Auflagen und Regulierungen benachteiligt werden, ohne dass sich Widerstand regt. Die Politik hat in den vergangenen Jahren kräftig ins Bankengeschäft eingegriffen. Welche Folgen sind davon zu spüren?

Künzi: Kurz gesagt: der Betrieb einer Banking-Plattform kostet heute etwa doppelt so viel wie vor der Krise. Die Banken, und besonders die Vermögensverwaltungsbanken, arbeiten heute deutlich weniger profitabel als noch vor drei bis vier Jahren. Ganz konkret: Worauf ist diese Kostenexplosion zurückzuführen?

Künzi: Auf zahlreiche Bestimmungen, zum Beispiel im Compli­ ance-Bereich oder im Investment Controlling – Vorschriften, die einen enormen personellen Zuwachs zur Folge hatten. Ein gutes Beispiel ist im Crossborder-Banking die Entwicklung hin zu sogenannten «Länderdesks»: Von Banken, die im Crossbor­ der-Geschäft tätig sind, wird heute implizit verlangt, dass sie die internationale Kundschaft von länderspezifischen Teams betreuen lassen. Nur so kann sichergestellt werden, dass den aufsichtsrechtlichen, steuerrechtlichen, erbrechtlichen und bankrechtlichen Gegebenheiten im Domizilland des Kunden genügend Rechnung getragen wird. Für einen Kundenstamm, um den sich früher ein einzelnes internationales Team küm­ merte, benötigen wir heute ein separates Frankreich-, UK- oder Deutschland-Desk, das heisst: mehrere verschiedene Teams. Bei 10 bis 15 Zielmärkten fällt das stark ins Gewicht, und ent­ sprechend beeinträchtigt ist die Profitabilität. Grübel: Ich teile Ihre Einschätzung: Die Kosten, die heute rund um eine Transaktion anfallen, haben sich im Vergleich zu, sagen wir, 2007 drastisch erhöht. Bis dahin waren wir relativ günstig im Private Banking, wir haben gut verdient, und es gab keine Not­ wendigkeit, extrem teuer zu sein. Jetzt aber, wo das Geldverdie­ nen schwieriger geworden ist, werden die Preise der Dienstleis­ tung erhöht, und zwar gewaltig: allein schon für eine Buchung, die früher umsonst war, werden jetzt 50 Rappen belastet. 9


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Künzi: Es besteht ein Margendruck, den wir an den Kunden weitergeben müssen. Wobei das dort natürlich auf wenig Ver­ ständnis stösst und wir schwierige Diskussionen zu führen haben. Das tun wir aber in aller Offenheit. Wir müssen aner­ kennen, dass eine neue Zeitrechnung begonnen hat; das Pri­ vate Banking ist in eine neue Ära eingetreten, in der einerseits mehr Transparenz gegeben ist, anderseits mit härteren Banda­ gen gekämpft wird. Es wird neue Geschäftsmodelle brauchen. Tendenziell, muss man sagen, führt die regulatorische Ent­ wicklung dazu, dass es einen Drang zur Grösse gibt: Mit den heutigen Rahmenbedingungen ist es sehr schwierig geworden, eine kleine Bank profitabel zu betreiben. Zu den Gewinnern zählen die grossen Bankhäuser. Herr Grübel, gehen Sie mit Herrn Künzi einig, dass Politik und Behörden durch neue Vorschriften Grossbanken wie UBS und CS privilegieren?

Grübel: Sagen wir es so: Es sieht vielleicht im Moment so aus, als könnten die Grossen den neuen Aufwand leichter verkraf­ ten. Ich bin aber ganz und gar nicht sicher, dass sie die Gewin­ ner sein werden. Das Investment Banking und andere Handels­ geschäfte stehen unter Generalverdacht, damit lässt sich kaum mehr Geld verdienen. Wenn man die Profitabilität der Gross­ banken anschaut, so ist diese absolut katastrophal im Vergleich zu früher. Und ich glaube, so wird es auch bleiben. Künzi: Wenn wir den Schweizer Finanzplatz beobachten, sehen wir, dass drei Gruppen auf dem Rückzug sind. Erstens sind das die Tochterinstitute von internationalen Bankhäusern, zwei­ tens sind es die Kantonalbanken, die sich aus dem internatio­ nalen Private Banking zurückziehen. Und drittens sind es eben schon die kleineren Institute, die sagen: Wir sind nicht gross genug, um hier zu überleben. Banken unter 10 Milliarden Kun­ denvermögen müssen sich zurzeit unweigerlich mit der Frage beschäftigen, wie ihre Zukunft aussieht. Grübel: Da haben Sie recht: Das ist eine Folge der totalen Regu­ lierung, die wir im Bankenbereich erleben. Die ist ihrerseits natürlich eine Reaktion auf das Versagen der Bankelite. Jawohl, ein Teil der Elite hat versagt. Die Öffentlichkeit nahm das aber so wahr, als hätte die ganze Elite versagt. Die Politik hat diese Stimmung voll ausgenutzt und die totale Regulierung verord­ net, das grosse Misstrauen ist jetzt das Resultat. Wenn die dramatisch gesunkene Profitabilität eine Folge der Regulierung ist, stellt sich die Frage, warum es vonseiten der Banken keinen Widerstand gegen all die neuen Massnahmen gibt.

Grübel: Sie meinen, wir sollten gegen die Regulierung kämpfen? Das ist ein bisschen schwierig! Ich habe in meiner Zeit mehr­ mals versucht, mit den Regulierern zu argumentieren, aber da ist nichts zu wollen. Wenn die Finma sagt, dass das jetzt so ge­ macht werden müsse, dann haben Sie keine Wahl. Man kann sich nicht mit der Finma anlegen, denn sie ist Gesetz! Künzi: Es ist eine Illusion zu glauben, dass sich eine Bank gegen den Staat wehren kann. Wer ist der Staat? Der Staat, das sind 10

letztlich die Bürger. Eine Bank kann und soll den Kurs nicht alleine und gegen den Zeitgeist vorgeben. Sie haben das Versagen der Eliten angesprochen, das die Bürger aufgeschreckt hat. Jüngere Studien zeigen nun, dass die «Öffentlichkeit» langsam wieder dazu übergeht, den Leistungen der Banken mit Sympathie zu begegnen. Wie beurteilen Sie die allgemeine Stimmung, wendet sich die Wahrnehmung tendenziell wieder ins Positive?

Künzi: Ich persönlich kann in der Stimmung bisher keinen nen­ nenswerten Umschwung erkennen. Die öffentliche Wahrneh­ mung der Banken ist immer noch sehr kritisch und stark durch die Krisenjahre und gewisse Lohnexzesse geprägt. Es sind im Bankenbereich in der Vergangenheit auch wirklich viele Fehler gemacht worden, und aus genau diesem Grund haben wir heute diese neue Ausgangslage. Aber ich schaue nicht zurück; ich freue mich auf das Morgen. Banker zu sein, war selten so spannend wie jetzt – wir müssen uns völlig neu bewähren. Grübel: Die problematischen Fälle gab es, aber sie waren nicht die Regel. Heute sind nun aber alle Banker ausnahmslos ver­ dächtig. Die Öffentlichkeit erwartet von ihnen viel mehr Inte­ grität als von Vertretern anderer Unternehmen – das haben die CEO vergessen und die Banken wie irgendein Unternehmen ge­ führt. Die hohen Erwartungen haben die grosse Enttäuschung erst ermöglicht. Nur so konnte das irreführende, noch immer vorherrschende Gefühl entstehen, dass die ganzen Bankeliten total versagt hätten. Mit Blick auf die banken- und elitenkritische Stimmung sind weitere Abstriche an der finanziellen Privatsphäre zu befürchten. Ohne Umschweife: wird das Bankgeheimnis auch für Inländer fallen?

Künzi: Es sind die Bürger, die diese Frage beantworten werden. Sie müssen entscheiden, wie wichtig ihnen die finanzielle Pri­ vatsphäre ist und ob sie sich für sie einsetzen wollen. Falls ja, müssen entsprechende Vorgaben gemacht werden. Und falls nein, kann man morgen damit aufhören. Auch hier gilt eben: Es ist nicht an uns Banken, den Kampf zu führen – weil wir ihn nicht gewinnen können. Grübel: Man muss zugeben, dass das Bankgeheimnis im Inland durch spezielle Bedingungen bereits enorm aufgeweicht wor­ den ist. Für den Staat ist es heute viel leichter, an ein Konto ran­ zukommen, als vor 20 Jahren. Und sicher wird der Druck noch zunehmen. Die Steuervögte sind sich ja ohnehin einig und sagen: Wenn die Ausländer kein Bankgeheimnis haben, sollen die Inländer auch keins mehr haben. Realistischerweise…

Grübel: …muss man davon ausgehen, dass es eines nicht allzu fernen Tages kein Bankgeheimnis im Inland mehr geben wird. Ganz richtig. Oder man wird etwas haben, das man zwar noch Bankgeheimnis nennt, aber keins mehr ist und dem Staat jeder­ zeit das Recht gibt, überall reinzugucken. Dahin geht die Reise. Künzi: Der Staat wird immer Zugriff haben wollen. Aber soll man auch Drittpersonen unbeschränkten Zugriff erlauben? In


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Photographien: Suzanne Schwiertz.

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«Banker zu sein, war selten so spannend wie jetzt – wir müssen uns völlig neu bewähren.» Adrian Künzi

meinen Augen lohnt es sich hier sehr, für den Schutz der Pri­ vatsphäre einzustehen. Auch wenn der Zeitgeist klar in eine andere Richtung geht. Persönlich halte ich die Offenlegung meiner finanziellen Privatsphäre für skandalös. Ich bin dem Fiskus keine Rechenschaft schuldig. Sie hingegen klingen resigniert. Warum?

Künzi: Keineswegs. Ich mache mir einfach nichts vor. Ich nehme die Dinge, wie sie sind. Grübel: Ich befürchte, Herr Künzi hat recht. Der Schutz der finanziellen Privatsphäre ist unter Druck, und das Wider­ standspotential bleibt überschaubar – ähnlich verhält es sich übrigens mit dem Gebrauch von Bargeld. Wer heute höhere Beträge in bar zahlt, gilt schon fast als Krimineller. Wiederum: skandalös! Der Witz ist ja, dass gemäss Bundesverfassung Bargeld, also Nationalbankgeld, das einzige gesetzliche Zahlungsmittel ist. Giralgeld – also von Banken geschöpftes Kreditgeld – hingegen muss niemand annehmen, das ist eine blosse Übereinkunft aus Gewohnheit. Und nun will der Bundesrat den Gebrauch des gesetzlichen, von der Bundesverfassung garantierten Zahlungsmittels einschränken – in welcher Welt leben wir eigentlich? 12

Grübel: Stimmt schon – bald wird es ein Limit geben. Und das Limit wird runterkommen, runterkommen, runterkommen. Sie werden es noch erleben, dass Sie keine 10 000 Franken mehr in bar bezahlen können, ich vielleicht auch noch. Künzi: Solche Bestimmungen gibt es schon im Ausland. Das sind wirklich beunruhigende Entwicklungen. Die Schweizer Bürger haben es in der Hand, sich dagegen zu wehren – aller­ dings machen sie sich dadurch unbeliebt. Wollen sie das? Ich hätte nichts dagegen. Wir haben bislang ausschliesslich über Rahmenbedingungen gesprochen, die Sie als Bank oder Banker weder gestalten noch bekämpfen können. Doch welche selbst erarbeiteten Vorzüge oder Expertisen können die hiesigen Banken für sich ins Feld führen – verfügen wir hier über Banking-Knowhow, das uns vom Rest der Welt abhebt?

Grübel: Dass wir mehr übers Private Banking wissen als andere Länder, haben wir vor 20 oder 30 Jahren einmal behauptet. Da hat es vielleicht sogar gestimmt. Jetzt aber hat sich das alles aus­ geglichen. Mit gutem Gewissen können wir heute nicht mehr sa­ gen, dass unsere Expertise entscheidend besser sei als anderswo. Widerspruch, Herr Künzi, oder?!


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Grübel: Er kann mir gerne widersprechen, an meiner Überzeu­ gung wird’s nichts ändern! Künzi: Ich bin ganz dezidiert der Meinung, dass wir uns auf das konzentrieren sollten, was wir beeinflussen können, auf den Kern unseres Geschäfts. Denn damit müssen wir überzeugen. Was ist dieser Kern? Unsere Dienstleistung für den Kunden und die Verwaltung der uns anvertrauten Vermögen. Wir set­ zen uns für den Kunden ein und erzielen gute Anlageresultate. Was nun den Dienstleistungsaspekt betrifft, darin sind wir in der Schweiz besonders gut. Bei aller Bescheidenheit möchte ich behaupten, dass das Dienenwollen, der freudige Einsatz für den Kunden, das dienstfertige Suchen nach Lösungen, dass das alles in unserer DNA liegt. Grübel: Tatsächlich sind wir im Dienstleistungsbereich mögli­ cherweise auch heute noch besser als der Rest der Welt: weil wir mehrere Sprachen sprechen. Wenn Sie nach London gehen, haben Sie die Wahl zwischen Englisch und Englisch. Wir hin­ gegen richten uns nach dem Kunden, und die Vielsprachigkeit ist ein grosser Vorteil, im Dienstleistungssektor im allgemei­ nen und im Banking im speziellen. Das ist aber nur die eine Seite. Von den Produkten her wüsste ich nicht, wie wir besser sein könnten als die anderen. Die Technik sorgt ja heute dafür, dass alles – jedes Produkt und jede Idee – innert kürzester Zeit überall verfügbar ist. Künzi: Ich bin überzeugt, dass wir uns gerade beim Inhalt auch auszeichnen können – und natürlich müssen. Inhalt heisst: Wir müssen uns überlegen, wo wir ganz konkret investieren. Wo entwickelt sich die Welt hin? Welche Schlüsse ziehen wir aus der Schuldensituation in Europa? Oder aus dem demogra­ phischen Wachstum in Afrika? Auf die Beantwortung solcher Fragen müssen wir ein Maximum unserer Zeit verwenden; wir müssen die besten Leute haben, die sich mit ihnen auseinan­ dersetzen und so auf Lösungen kommen, die gleichzeitig ei­ nem spezifischen Kundenbedürfnis und der gesamten Welt­ lage Rechnung tragen. Grübel: Sie müssen natürlich von Berufs wegen optimistisch sein. Wenn ich mir die Gesamtlage so angucke, sehe ich gerade die Sache mit den individuellen Lösungen weniger rosig. Wir wissen, dass die Technologie ein grosser Gleichmacher ist. Die Banken werden mehr und mehr Mühe haben, sich voneinander zu unterscheiden. Die Werbung wird gewiss weiter auf den individuellen Touch jeder Bank hinweisen – der wird aber nur noch darin bestehen, dass sich ein Mitarbeiter gerade die Haare grün gefärbt hat. Was die Produkte angeht, wird nicht individualisiert, sondern standardisiert werden. Die Technolo­ gie wird das Private Banking gewaltig verändern: Innovations­ vorteile wird es nicht mehr geben. Denn sobald einer irgendet­ was ausgetüftelt hat, wird es in Windeseile auf der ganzen Welt verbreitet sein. Die ganze Bankenpalette ein einziger Einheitsbrei? Angenommen, die Technologie bügelt tatsächlich alle Unterschiede glatt – worauf

kann eine Bank wie die Ihrige dann noch setzen, Herr Künzi?

Künzi: Ich teile diese Skepsis nicht, sondern sehe im Gegen­ teil, dass unsere Einsatzmöglichkeiten explodieren werden. Gerade weil dank der Technologie jederzeit alles überall mög­ lich ist, wird es uns brauchen. Man kann heute in alles inves­ tieren; ohne jeden Aufwand kann jeder in den indonesischen Aktienmarkt einsteigen. Diese grenzenlose Offenheit macht doch aber Orientierungshilfen umso notwendiger! Die Her­ ausforderung wird darin bestehen, überzeugende Antworten auf all die Fragen zu finden, die sich aus den unendlichen Möglichkeiten ergeben. Die ganze Beratungsdienstleistung, die wir erbringen, wird damit in Zukunft nur noch wichtiger. Das ist unsere Chance. Grübel: Wenn ich mir die junge Generation so anschaue, bin ich auch hier weniger zuversichtlich. In meiner Generation hoffen die Leute natürlich noch inständig, dass ihr Kundenbe­ treuer nicht vor ihnen stirbt. Der ist eine wichtige Bezugsper­ son. Von den jüngeren Leuten will doch aber keiner mehr mit einem Relationship-Manager reden. Die wollen bestenfalls über ihr iPad mit jemandem kommunizieren, aber sicher nicht mehr extra für irgendetwas eine Bank aufsuchen und für die Dienstleistung auch noch bezahlen. Künzi: Sicher ist: der Kunde will über all seine mobilen Geräte Zugang zu seinem Portfolio und allen erdenklichen Informati­ onen und Ideen haben. Nur beobachten wir ganz klar, dass dann doch keiner einen Investitionsentscheid für sich allein im stillen Kämmerlein fällen will. Der Kunde wünscht eine Be­ stätigung von jemandem, der ihm sagt: Jawohl, jetzt ist ein gu­ ter Zeitpunkt, um hier einzusteigen. Klassischerweise ist das der Kundenberater; auf welchem Kanal der mit dem Kunden kommuniziert, ist letztlich gleichgültig. Es kann aber – und jetzt wird es spannend – auch eine Gruppe sein. Eine Crowd re­ spektive eine Information, die dem Kunden sagt: Jene Crowd hat soeben auch in diese Anlage investiert. Wenn künftig die Crowd den Kundenberater ersetzt und Transaktionen über PayPal oder Facebook getätigt werden, wozu braucht es denn dann noch Banken? Wird es in 20 oder 30 Jahren überhaupt noch welche geben?

Künzi: Die Banken riskieren unter Umständen schon, dass sie als Institution obsolet werden. Die Banking-Funktion wird das aber sicher nicht werden, und deshalb müssen die Banken bereit sein, sich neu zu erfinden. Sicher: wir werden uns fragen müssen, wie wir die Crowd ins Geschäft integrieren. Ich kenne die Antwort jetzt aber noch nicht – und wenn ich sie hätte, würde ich sie nun natürlich nicht gleich preisgeben... Letztlich hat die Veränderung aber immer zu unserem Geschäft gehört; die Welt ist nie stabil, und schon zur Zeit der florentinischen Bankhäuser hat sich das Rad unaufhörlich gedreht. Sicher läuft es heute deutlich schnel­ ler – das macht die Sache aber auch interessanter. Grübel: Vor 500 Jahren sind die Banken natürlich auch schon pleitegegangen. In ihrer jetzigen Situation würde ich sie eher 13


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mit den Zeitungshäusern vergleichen. Die wehren sich auch mit Händen und Füssen gegen die Tatsache, dass sie obsolet werden. Beide Branchen sind mittendrin im Kampf der Technologie ge­ gen Angestellte und probieren Verschiedenes aus. Die Zeitungen verkünden mit Stolz, dass sie ein paar tausend Abonnenten für ihre Online-Ausgaben akquiriert haben, und verstehen nicht, dass sie eine Million Leser und das Zehnfache an Werbeeinnah­ men hätten, wenn sie ihre Inhalte gratis anböten. Bei den Ban­ ken kann das Gleiche passieren: Die ganze Beratung wird in Zukunft gratis auf elektronischem Weg zur Verfügung gestellt werden müssen. Intellektuell mag es nicht befriedigend sein, sein Schreiben oder Denken kostenlos ins Netz zu stellen. Aber dahin wird die Reise gehen: Die Dienste werden gratis sein – und das Geld wird mit Kommissionen von den Aufträgen verdient.

Mark Dittli

Es geht auch ohne

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Grübel: Ich bin überzeugt, dass wir die Plattformen bauen können, die für die technologischen Umstellungen der Banken notwendig sind. Nur haben alle Veränderungen immer mit Menschen zu tun. Auch im Bankgeschäft wird die Technologie praktisch das gesamte mittlere Management eliminieren. Und das wird sich natürlich dagegenstemmen – genauso wie es das in jeder anderen Industrie tun würde. Hätte man den Mut, jetzt eine neue Bank zu gründen unter Einbezug der neuen Techno­ logie, dann könnte man in 20, 30 Jahren an der Spitze eines grossartigen Unternehmens stehen. Künzi: Wir brauchen auf jeden Fall Leute, die die Zukunft beja­ hen, mutig sind und die Technologie nicht ablehnen. Insofern werden die Menschen weiterhin ein tragendes Element jeder erfolgreichen Bank sein: Das Zusammenspiel von Bestehen­ dem – Menschlichem – und Neuem – Technologischem – wird künftig matchentscheidend sein. �

s ist unbestritten: Die Schweiz und ihre Banken haben jahrzehntelang gut gelebt von der Verwaltung ausländischer Privatvermögen. Das Geschäftsmodell war immens profitabel. Der typische ausländische Offshore-Kunde benötigte wenig Pflege, wünschte nie Korrespondenz und war weitgehend indifferent, was den Anlageerfolg auf seinem Vermögen betraf. Freilich waren die satten Profite nicht ohne Risiken erhältlich. Sie basierten nämlich meist nicht primär auf der einzigartigen Dienstleistung der jeweiligen Bank, sondern auf dem gesetzlich verankerten Wettbewerbsvorteil des Bankkundengeheimnisses. Alle Spieler am Schweizer Bankenplatz mussten damit rechnen, diesen Heimvorteil dereinst zu verlieren. Doch die eigene Verwundbarkeit wurde ignoriert. Dann, mit dem Jahr 2008, kam die Epochenwende. In der Marktwirtschaft überleben die Paranoiden, diejenigen, die anpassungsfähig bleiben und Veränderungen vorwegnehmen. Doch statt zu antizipieren, wie sich das Umfeld wandeln wird, reagierten viele Banken, inklusive ihr mächtiger Verband, mit Verweigerung. Das Rückzugsgefecht dauerte mehrere Jahre und war am Ende doch nur eines: verlorene, wertvolle Zeit. Wie also gestaltet sich die Zukunft? Im Kern steht eine simple Frage: Weshalb soll ein ausländischer Kunde künftig, unter einem Regime des automatischen Informationsaustausches, einen Teil seines Vermögens einer Schweizer Privatbank anvertrauen? Es gibt nur eine plausible Antwort: wenn er es nirgendwo professioneller, kompetenter und sicherer verwalten lassen kann. Neu im Fokus stehen bedingungslose Servicequalität und Professio­nalität in der Anlage. Die Kunden sind anspruchsvoller geworden. Die Servicequalität vieler Schweizer Banken ist im globalen Vergleich hoch – mit einer wichtigen Ausnahme: Im Angebot erstklassiger digitaler Dienstleistungen sind etliche Privatbanken gefährlich in Rückstand geraten. Der aktuell grösste Mangel ist die Anlagekompetenz. Hier sind grosse Anstrengungen nötig, um an Weltklasseniveau anzuknüpfen. Das Schweizer Banking wird in Zukunft zweifellos weniger profitabel sein. Der Wettbewerb wird härter. Doch die Banken haben ihr Geschick selbst in der Hand. Nichts spricht dagegen, dass sie – genau wie der Schweizer Maschinenbau, die Pharma- oder die Uhrenindustrie – auf dem Weltmarkt brillieren können. Auch ohne Bankkundengeheimnis.

Redaktion: Claudia Mäder

Mark Dittli ist Chefredaktor der Wirtschaftszeitung «Finanz und Wirtschaft».

In diesem Modell überleben freilich nur die Grossen. Dass sich eine für die Werbeindustrie relevante Anzahl von Lesern in die virtuellen Nischen verirrt, ist nicht anzunehmen.

Grübel: Im Gegenteil: den Grossen wird diese Umstellung viel mehr Mühe bereiten. Die haben, jedenfalls im Banking, ein enormes Problem. Häufig haben die nämlich eine riesige IT aufgebaut, mit Programmen, die 20 oder 30 Jahre alt sind und nicht leicht ersetzt werden können, und weil die Milliarden, die das gekostet hat, noch nicht abgeschrieben sind. Gewinnen wird, wer frei von Altlasten ist. Gucken Sie mal nach Kenia. Dort können Sie mit Ihrem Telephon rumlaufen und damit im Supermarkt einkaufen oder bei Ihrer Bank einen Kredit auf­ nehmen. Die hatten vor der Mobiltelephonie keine Systeme, konnten die neueste Technologie einsetzen und sind so zu Din­ gen gekommen, die wir noch gar nicht kennen und so schnell vielleicht auch nicht haben werden. Im Vorteil ist also, wer unbelastet ist. Die Schweiz hat zwei grosse und tendenziell klumpfüssige Banken – wie ist unser Land aufgestellt für die technologische Bankenzukunft?

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Schweizer Monat SONDERTHEMa Mai 2015

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er Bankenplatz Schweiz D im Jahre 2022

Wo er sein könnte. Und wo er wohl sein wird. von Martin Janssen

U

nzählige Gedanken, analytische und normative, schiessen einem durch den Kopf, wenn man nach der Zukunft des Bankenplatzes Schweiz fragt. Werden Google, Facebook & Co. Banklizenzen bald auch in der Schweiz beantragen? Würde dies zu einem Technologieschub führen? Würden dabei lokale Ban­ ken verdrängt? Würde die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht Finma eine solche Entwicklung im Interesse der Kunden zulas­ sen oder vielmehr die angestammten Banken schützen? Voll­ zieht sich dieser Prozess auch ohne schweizerische Banklizen­ zen, weil viele Kunden oder ihre Berater die Zahlungsverkehrs- und Anlagedienstleistungen zukünftig ohnehin über solche Techno­ logiefirmen «irgendwo im Internet», wo es weniger oder keine behindernde Regulationen gibt, beziehen werden? Fördern Bun­ desrat und Verwaltung diese Verlagerung der Wertschöpfung von der Schweiz weg mit Hilfe neuer und tiefgreifender Regula­ tionen absichtlich oder «nur» in Unkenntnis der Marktmecha­ nismen? Wie lange hat – angesichts bevorstehender disruptiver Veränderungen in Richtung Internet – das Konzept eines physi­ schen Bankenplatzes überhaupt noch eine Bedeutung? Welche Rolle spielt dabei das relative Vertrauen in die Schweiz, in Schweizer Banken beziehungsweise in solche Technologiefir­ men? Führt diese Verlagerung der Geschäftsaktivitäten ins In­ ternet zu einem Rückgang von Spezialisierung und Arbeitstei­ lung? Was bedeutet dieser Umbruch vor allem für den kleineren traditionellen Anleger? Wird er noch länger Beratung zu ver­ nünftigen Preisen vor Ort finden? Kann sich der Vermögensver­ waltungs-Cluster Schweiz durch eine tiefgreifende Transforma­ tion in die neue Zeit hinüberretten und weiterhin eine international bedeutende Rolle spielen? Wie vollzieht sich die­ ser Übergang? Ist die Zurückhaltung beziehungsweise die mit Händen greifbare Angst der Banken, eine Überweisung, eine Auszahlung oder eine Kontoeröffnung für einen nichtschweize­ rischen oder gar aussereuropäischen Kunden vorzunehmen, ein Vorbote der künftigen «Effizienz» des Bankenplatzes Schweiz? Wird der Bundesrat den Bankenplatz Schweiz mit seiner Ein­ heitsfinanzplatzstrategie ins wirtschaftliche Abseits lotsen wie weiland die Uhrenindustrie unter dem Uhrenstatut? Wird die Bankiervereinigung weiterhin in den Fussstapfen des Bundesra­ 16

Martin Janssen ist Unternehmer (Ecofin-Gruppe) und emeritierter Professor für Finanzmarktökonomie an der Universität Zürich.

tes treten und für eine Gleichschaltung mit dem europäischen Ausland kämpfen? Vor diesem Hintergrund stellen sich drei Fragen: Wie sähe, erstens, ein auch längerfristig erfolgreicher Bankenplatz aus (1)? Was müsste die Schweiz, zweitens, vorkehren, damit sich der Bankenplatz Schweiz in diese Richtung bewegt (2)? Was wird, drittens, vermutlich passieren (3)? (1) Ein erfolgreicher Bankenplatz Ein erfolgreicher Markt, auch der Markt für Bankdienstleis­ tungen, muss – unabhängig davon, ob die Dienstleistungen lokal oder übers Internet angeboten werden – Normen genügen, da­ mit Kunden ihre Wünsche erfüllen und Anbieter ihre komparati­ ven Vorteile entfalten können: Der Kunde muss frei wählen kön­ nen. Der Kunde muss wissen können, was er kauft beziehungs­ weise was ihm verkauft wird. Der Kunde muss wissen können, was das jeweilige Produkt oder die jeweilige Dienstleistung kos­ tet. Der Kunde muss sich gerichtlich wehren können, wenn ge­ gen diese drei Normen verstossen wird. Und er muss gute Aus­ sicht auf Erfolg haben, wenn er im Recht ist. Schliesslich muss den Anbietern zugestanden werden, dass sie diese Normen nach eigenen Vorstellungen und im Rahmen ihrer eigenen Produkti­ onsfunktion erfüllen können. Solange diese Dienstleistungen vornehmlich lokal angebo­ ten werden, beeinflusst das reale Umfeld diese Normen stark. Nehmen wir den Bankenplatz Schweiz. Er profitiert in besonde­ rem Masse von der politischen und wirtschaftlichen Stabilität der Schweiz, einer grossen Wirtschaftsleistung, einem guten Ausbildungssystem, einem grossen Kapitalbestand, einer guten Infrastruktur, einem langsamen, aber glaubwürdigen Rechtssys­ tem und einem zwar rasch wachsenden, aber dank Subsidiarität und Gemeindeautonomie noch immer relativ effizienten Staat. Das reale Umfeld ist für den Bankenplatz wie ein Produktions­ faktor, der nicht entschädigt werden muss.


Schweizer Monat SONDERTHEMA Mai 2015

Der Staat würde in einem solchen Markt für die Durchset­ zung von Vertragsfreiheit, Rechtssicherheit, Transparenz und Wettbewerb sorgen. Auf eine koordinierte Strategie für den Ban­ kenplatz würde verzichtet. Regulationen hätten, wenn über­ haupt, zum Ziel, offensichtliche Verletzungen der genannten Normen zu vermeiden. Dabei müsste sichergestellt werden, dass jede Regulation vor ihrer Inkraftsetzung darauf hin untersucht wird, ob das mit dieser Regulation einhergehende Staatsversa­ gen zuverlässig weniger schädliche Wirkungen verursachen wird als das gerügte Marktversagen. Überdies käme niemand auf die Idee, «gleich lange Spiesse» für unterschiedliche Anbieter zu propagieren, wo es doch – offensichtlich – darum geht, kompa­ rative Vorteile der unterschiedlichen Anbieter zu nutzen. In je­ dem Fall würde ein besonderes Augenmerk auf industriepoliti­ sche Wirkungen von Regulationen geworfen. Es müssten schon sehr gewichtige Gründe ins Feld geführt werden können, um einzelne Unternehmungen mittels regulatorischer Massnahmen gegenüber anderen indirekt oder direkt zu bevorteilen. Der Staat wäre auf einem solchen Markt nie Eigentümer; nicht nur wegen der im Vergleich zu privaten Unternehmun­ gen fehlenden Anreizstrukturen von privatem Eigentum, son­ dern auch wegen Interessenkonflikten zwischen Regulation und staatlichem Eigentum. Ein Too-Big-to-Fail-(TBTF-)Prob­ lem würde in dieser Welt nicht existieren, weil alle Anbieter genügend Eigenkapital hielten. Sollte eine Staatsgarantie trotzdem notwendig sein, würde diese über eine marktmässig bewertete Versicherungsgebühr abgegolten. Die Aufsicht würde auf die effizientesten Regulationsin­ strumente, d.h. Transparenz und Wettbewerb, zurückgreifen, um ihre Ziele zu erreichen, und nicht auf bürokratische Mass­ nahmen. Interessengruppen der Banken würden sich für Rahmenbedingungen im geschilderten Sinne und für eine möglichst hohe Wertschöpfung ihrer Mitglieder einsetzen. In dieser Welt würde lokal und im Internet viel experimen­ tiert. Laufend kämen neue, transparente und kostengünstige Produkte und Dienstleistungen auf den Markt. Es würden neue Vertriebskanäle ausprobiert, und die Kunden würden jene Dienstleistungen und Vertriebswege aussuchen, wo das PreisLeistungs-Verhältnis aus ihrer jeweiligen Sicht am besten ist. Die Bankarbeitsplätze würden bezüglich Lohn- und Ausbil­ dungsdruck einer ähnlichen Dynamik unterliegen wie in der verarbeitenden Industrie. Im Hintergrund würde nicht nur ein Wettbewerb um wirtschaftliche Effizienz ablaufen, sondern ebenso ein Kampf um Vertrauen der Kunden in die Glaubwür­ digkeit, Unabhängigkeit und Stabilität der Schweiz und in Schweizer Banken beziehungsweise in grosse Technologiefir­ men. Schweizer Banken würden in dieser freiheitlichen Welt untergehen, wenn deren komparative Nachteile in der Pro­ duktion gegenüber internationalen Anbietern, die übers Inter­ net direkt in der Schweiz anbieten, nicht durch einen Vertrau­ ensbonus der Schweiz selber kompensiert würden.

So könnte der Schweizer Bankenplatz aussehen. So sieht er aber nicht aus. (2) Massnahmen für eine Transformation zu einem langfristig erfolgreichen Bankenplatz Der Bankenplatz Schweiz weist heute kaum Eigenschaften eines auf die Zukunft ausgerichteten, beweglichen und inno­ vativen Finanzzentrums auf. Im Vordergrund der Kritik stehen: – Die öffentliche Hand ist Eigentümerin einer grossen Zahl von Banken – der meisten Kantonalbanken, der Post, des Zulieferers Swisscom, teilweise auch der beiden Grossbanken, die durch den Bund kostenlos garantiert werden, einiger Regionalbanken – und indirekt auch der Finanzplatzinfrastruktur der SIX Group. – Die Finma ist nicht darauf ausgerichtet, eine effiziente, industriepolitisch neutrale, auf Wettbewerb und Transparenz ausgerichtete Aufsicht auszuüben. Neue Regu­ lationen werden nicht auf Staatsversagen und kaum auf ungünstige Kosten-Nutzen-Verhältnisse hin untersucht. – Die heutigen mehr als 1000 Seiten Gesetze und Verordnungen zur Finanzmarktregulierung im engeren Sinne, die mehr als 1000 Seiten Rundschreiben und ca. 1500 Seiten Selbstregulie­ rung sollen durch weitreichende neue Gesetze – Finanzmarktinfrastrukturgesetz (Finfrag), Finanzdienstleistungsge­ setz (Fidleg), Finanzinstitutsgesetz (Finig) – in den nächsten Jahren um rund 50 Prozent erhöht werden. Jede Bank wird auf dieser neuen Basis Hunderte oder gar Tausende von Seiten neuer Compliance-Vorschriften erlassen müssen. Die entste­ henden Kosten sind für kleinere Banken und unabhängige Vermögensverwalter existenzbedrohend. Das ist schlechte Industriepolitik in Reinkultur. (Als ob die Bürokratie und die Parlamentarier wüssten, was im Interesse der einzelnen Bankkunden ist, und jene, die ihr Geld mit Dienstleistungen für diese Kunden verdienen, es nicht wüssten.) – Der Bundesrat hat eine Expertengruppe zur Weiterentwicklung der Finanzmarktstrategie eingesetzt. Dieser Ansatz wider­ spricht allen Konzepten einer Marktwirtschaft, wo der Staat die Rahmenbedingungen festlegt und die Unternehmungen in diesem Rahmen ihre Strategie bestimmen. Dieses Vorgehen ist Ausdruck einer marktfeindlichen Haltung und ein Kniefall vor der schweizerischen und der EU-Bürokratie. Auf diese Weise wird der Bankenplatz Schweiz mit den Bankenplätzen der umliegenden Länder gleichgeschaltet. – Mit dem automatischen Informationsaustausch (AIA), den die Schweiz wohl als einziges Land von Anfang an ernsthaft umsetzen wird, werden die Schweizer Banken zum verlängerten Arm ausländischer Steuerämter. Dabei hatte der Bundesrat zugesagt, den AIA erst dann einzuführen, wenn die grossen Länder nachgewiesen haben, dass sie diesen Informationsaustausch korrekt umsetzen. Heute spricht man noch von einem Vorlauf der grossen 17


Schweizer Monat SONDERTHEMa Mai 2015

Länder von einem Jahr. Über Umsetzungsqualität im Ausland wird nicht mehr gesprochen. – Die TBTF-Problematik ist nicht gelöst. Will der Bankenplatz Schweiz in den kommenden sieben bis zehn Jahren gegen die aufkommende internationale Kon­ kurrenz vor allem auch im Internet bestehen, braucht es einige tiefgreifende Massnahmen: – Der Bund beendet seine Eigentümerrolle im Bankenplatz. – Die Arbeiten an einer «Finanzplatzstrategie» des Bundes werden eingestellt. – Der Bund setzt die Rahmenbedingungen des Obligationen­ rechts und des Strafgesetzbuches durch. Der Langsamkeit und den Kosten der Gerichte wird ab sofort besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Richter werden vermehrt auch in ökonomischen Überlegungen geschult. – Die Strategie der Finma wird auf die Normen eines kundenorientierten Marktes ausgerichtet. Die Aufsicht setzt in der Durchführung ihres Auftrags in allererster Linie auf Transpa­ renz und Wettbewerb und nicht auf Weisungen, Kontrollen und Bewilligungsverfahren. Der Marktzutritt für kleinere Banken wird liberalisiert. Transparenz für das Publikum muss zu einem zentralen Instrument der Aufsicht werden. – Neue Gesetze werden im Rahmen einer echten KostenNutzen-Analyse auf ihre Tauglichkeit hin analysiert, wie das bereits heute vorgesehen ist, aber nie wirklich umgesetzt wurde. Besondere Aufmerksamkeit gelten dabei den Themen Staatsversagen, Gleichbehandlung von Unternehmungen (z.B. TBTF-Problematik, Ungleichbehandlung kleiner und grosser Banken) und Kosten der Elimination ganzer Märkte. – Das Parlament tritt nicht auf die Gesetzesentwürfe für Fidleg und Finig ein. Wegen der Lugano-Übereinkunft müssen Schweizer Banken die «Richtlinie über Märkte für Finanzin­ strumente» (Englisch: «Markets in Financial Instruments Directive Mifid»), das Vorbild für das Fidleg, anwenden, wenn sie Bürger der EU und einiger anderer europäischer Staaten beraten. Schweizer Anleger und andere Ausländer jeglicher Vermögenshöhe können sich diesen Bestimmungen freiwillig unterziehen («Opting-in»), wenn sie das wollen. Fidleg und Finig sind völlig überflüssig und verursachen nur unnötige Kosten und keine Erträge. Das «Opting-in» ermöglicht es den Schweizer Banken, bei der Betreuung von schweizerischen und aussereuropäischen Kunden einen komparativen Vorteil gegenüber europäischen Banken aufzubauen. Schweizer Anleger werden dadurch ebenfalls bessergestellt, weil sie die Wahl zwischen mehr oder weniger Aufsicht (bei entspre­ chenden Kosten) haben. –B eim AIA liefert die Schweiz dem Ausland nur administrative Angaben über bestehende Kontoverbindungen. Details zu Kontobewegungen, Beständen und Erträgen kann der jewei­ lige Staat bei seinen Bürgern selber beschaffen. 18

Bei allen diesen Massnahmen muss man sich bewusst sein, dass die Konkurrenz zum Bankenplatz Schweiz in verschiedenen Bereichen schon mittelfristig nicht in London, New York oder Sin­ gapur liegen wird, sondern im Internet, und dass die Prozesse dorthin nicht stetig, sondern disruptiv verlaufen werden. Es wer­ den nicht nur die einfachen Dinge wie der Retailzahlungsverkehr ins Internet abwandern. Auch komplexe Anlageberatung wird schon bald in internettauglicher Form erbracht werden. (Die ent­ sprechenden Applikationen existieren bereits.) Warnungen vor diesen tsunamiartigen Veränderungen einer neuartigen industri­ ellen Revolution wird es keine geben, damit man sich «dann» anpassen könnte. Der einzige Ausweg besteht heute – nicht mor­ gen – in der Wahrung der Vorteile des «First Mover». (3) Was wird vermutlich passieren? Vermutlich passiert nichts, und der Bankenplatz Schweiz transformiert sich von selber von einer Exportindustrie in eine Binnenindustrie, die wegen des Internets zunehmend unter Druck gerät. Drei Hebel scheinen trotz allem möglich, die not­ wendige Transformation des Bankenplatzes in eine erfolgrei­ che Zukunft zu bewerkstelligen: Transparenz und Wettbe­ werb seitens der Finma, Zurückhaltung in der Gesetzgebung und die Lösung des TBTF-Problems. – Die Finma müsste strategisch neu ausgerichtet werden. Sie müsste die echten Kundeninteressen – Wahlfreiheit, Transparenz, Gerichtsbarkeit und komparative Vorteile der Anbieter – mittels Wettbewerbs und Transparenz schützen. Es müsste verhindert werden, dass die Finma weiterhin in der Lage ist, die Transformation des Bankenplatzes Schweiz mittels Weisungen, Kontrollen und Bewilligungen zu behindern oder gar zu verunmöglichen. – Beim Erlass neuer Gesetze besteht die Chance, dass das Parlament Fidleg und Finig versenkt und das AIA-Gesetz radikal abspeckt. Die erstgenannten Gesetze braucht es nicht, weil viele Schweizer Banken ohnehin Mifid zum Einsatz bringen werden. Beim AIA reicht es, wenn die Schweiz dem Ausland administrative Angaben über die Existenz von Konten weiterreicht. – Schliesslich müsste das TBTF-Problem rasch gelöst werden. Die Schweiz verfolgt eine unglückliche Strategie, zwei weltweit führende Banken, die mehrheitlich in ausländi­ schem Besitz stehen, mehrheitlich ausländische Mitarbeiter beschäftigen und Boni mehrheitlich im Ausland ausschütten, in einer Finanzkrise zu garantieren. Man sollte meinen, dass es möglich sein sollte, 125 Personen (101 Nationalräte und 24 Ständeräte) zu überzeugen, dass die Wirtschaftsleistung der Schweiz massgebend von einem erfolg­ reichen Bankenplatz abhängig ist. Wir werden sehen, ob sie sich aufraffen werden, die ohnehin anstehenden Entscheide in diese Richtung zu treffen. �


Schweizer Monat SONDERTHEMA Mai 2015

Julien Briguet

Rino Borini

Fuchs, nicht Igel

Digital und sozial

«D

er Fuchs weiss viele verschiedene Sachen, der Igel aber nur eine grosse.» In seinem berühmten Essay unterteilt der politische Philosoph Isaiah Berlin die Welt in zwei Denkertypen: den Fuchs und den Igel. Er unterstreicht die Tugenden des Fuchses, der schnell, intelligent und listig in der Welt unterwegs ist, während der Igel nur eine Geschwindigkeit kennt und sich langsam fortbewegt. Folgen wir dieser Argumentation, erkennen wir in der Vergangenheit des Bankenplatzes Schweiz einen langsamen, schwerfälligen Igel, der sich, mit den Stacheln des Bankgeheimnisses gewappnet, mit aller Kraft gegen Öffnung und internationale Akzeptanz des Finanzplatzes gewehrt hat. Die über lange Zeit vorherrschende Meinung, das Ausland sei der Totengräber des Schweizer Finanz­ platzes, ist fatal und bequem. Und falsch. Was wäre eine alternative Zukunft? Der Finanzplatz kann, darf, ja soll sich als ein internationales Zentrum für die Vermögensverwaltung von privaten und institutionellen Kunden profilieren! In dieser Hinsicht sollte die Schweiz ihre Rolle als globale Drehscheibe von grenzüberschreitenden Investitionsvehikeln und Finanzaktivitäten sogar dringend erweitern (insbesondere mit Infrastrukturfonds, Impact- und Sustainability Investments und der Ansiedlung eines neuen Investitions-Hub im Venture-Capital-Bereich). Weiter braucht es eine konstruktive Regulierung, die die internationale Akzeptanz des schweizerischen Finanzplatzes fördert. Die politische Regulation muss dabei inklusive, voraussehbar und planbar sein und stabile Bedingungen schaffen. Die derzeitige Fidleg-Reform vermag in dieser Hinsicht nicht zu überzeugen. Das Zauberwort heisst vielmehr «Wettbewerbsfähigkeitsförderung». Ziel können nur gleich lange Spiesse ohne Swiss Finish sein. Schliesslich hängt der Erfolg der Banken auch von ihrem Geschick und ihrer Flexibilität ab, neue Märkte zu erschliessen – besonders in Europa und den aufstrebenden Märkten. Der dauerhafte Zugang zu den ausländischen Märkten ist essentiell. Hier ist der Bundesrat gefordert. Vorab bedeutet dies die Entwicklung eines Netzes von binationalen Verhandlungen mit bedeutenden Ländern, in der EU und ausserhalb. Während sich der Igel hinter einer eingebildeten Schutzbarriere versteckt, bleibt der Fuchs ständig in Bewegung: eine globale Strategie von gezielten, bilateralen Verhandlungen für den Marktzugang; eine innere Anstrengung, die Regulierung als gleichwertig anzupassen; ein breiteres und innovatives Angebot im Bereich nachhaltiger Investitionen. Oder um es mit den Worten der Fabel zu sagen: Wir können einer grossen, alten Idee nachtrauern. Oder mutig neue Wege beschreiten! Julien Briguet ist Jurist und Mitverfasser der foraus-Studie «Vision Finanzplatz 2030».

I

m Zeichen der Digitalisierung vermischen sich physische und virtuelle Welten, ganze Geschäftsmodelle werden komplett umgekrempelt. Von diesen Umwälzungen bleibt auch die Finanzbranche nicht verschont, im Gegenteil: Die Veränderungen schlagen mit voller Wucht ein. Doch weder Politiker noch Standortförderer haben das Thema auf dem Radar. Die Schweiz befindet sich hinsichtlich neuer Technologien im Finanzbereich (FinTech) noch im Niemandsland, während andere Finanzplätze – unsere Konkurrenten notabene – vorwärtsmachen. London beispielsweise, die weltweite Nummer zwei nach New York, hat die Zeichen der Zeit erkannt. So ist mit dem «Level 39» der grösste FinTech-Accelerator Europas in der «City» angesiedelt, finanziert wird er von privater Hand. Was England seinen Konkurrenten aber vor allem voraus hat, ist die tatkräftige Unterstützung der Regierung. Im August 2014 erklärte Englands Schatzminister George Osborne vor Bankern, Investoren und FinTech-Unternehmern das Ziel der Regierung Cameron: England soll im Bereich der Finanzdigitalisierung global die führende Position einnehmen. Die Regierung unterstützt die Zukunft des Finanzplatzes aber nicht nur mit 100 Millionen Pfund, sondern greift den Unternehmen aktiv unter die Arme. So bietet beispielsweise die Regulierungsbehörde Financial Services Authority kostenlose regulatorische Beratungen für FinTech-Unternehmen an. In der Schweiz sucht man derartige Initiativen vergebens. Zwar wird Banking auch hierzulande digital, doch bislang fehlt es an Innovationen. Diese würden nicht nur der Finanzbranche zu mehr Prosperität verhelfen, sondern der gesamten Volkswirtschaft. Ein Aufstieg in die digitale Weltelite dürfte nur gelingen, wenn der hiesige Finanzplatz eine gesamtheitliche Vision und Strategie verfolgt. Die grösste Chance bietet sich in der Vermögensverwaltung, wo die Schweiz global noch immer führend ist. Doch auch in diesem Bereich zeichnen sich Veränderungen ab: Neue Technologien erlauben komplett neue Kunde-Berater-Beziehungen und erhöhen die Macht des Kunden. Gerade vermögende Kunden sind oft sehr technologie­ affin und können dank einfacher Tools einen Grossteil ihrer Vermögensverwaltung selber in die Hand nehmen. Eintreten werden diese Veränderungen so oder so. Die Frage ist nur, welche Rolle Schweizer Unternehmen dabei spielen werden. Noch sind die Chancen, die Reputation als traditionsreicher, stabiler und innovativer Finanzplatz auch künftig in alle Kontinente zu tragen, intakt. Das gilt auch für die entsprechenden Technologien, die im Erfolgsfall ein grosses Exportpotential aufweisen und dafür sorgen würden, dass die Schweiz die (digitale) Zukunft mitbestimmen kann. Rino Borini hat lange in der Bankenbranche gearbeitet und ist Chefredaktor des Wirtschaftsmagazins «punkt».

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Versicherungsdienstleistungen

24 850 24 850 2009

2014

10000 Schweizer Monat SONDERTHEMA Mai 2015   10000 2009 2004 2009 2004

2014 2014

30000 10000

19560 19560 2004

20000 20000

250000

211300

209900

Facts & Figures

200000 250000 250000

191200

150000 200000 200000

191200 191200 113100

211300 211300

Total Finanzsektor

209900 209900

124 000

Total Finanzsektor Total Finanzsektor

118 500

Finanzdienstleistungen

Wussten Sie, dass der Finanzsektor letztes Jahr mehr als 10 Prozent des gesamten 100000 150000 150000 124 000 Bruttoinlandsprodukts der Schweiz hervorgebracht hat?Finanzdienstleistungen Dass diese Zahl im internationalen 124 000 118 500 113100 118 500 113100 52300 49200 Finanzdienstleistungen 50 000 Vergleich nicht einmal so gross ist? Und dass 2013 die beiden Grossbanken für fast die Hälfte Versicherungsdienstleistungen 100000 50000 100000 Mit Finanz- und Versicherungsdienstleistungen 42200ansässigen der Gesamtbilanzsumme der 283 in der Schweiz Banken geradestanden? 37300 verbundene Tätigkeiten 25 700 52300 49200 50 000 1 52300 Versicherungsdienstleistungen 49200 0 50 000 50000 im Jahr Überblick. Die neusten «Kennzahlen zum Finanzplatz Schweiz» Versicherungsdienstleistungen 2009 2014 2004 50000 1

Mit Finanz- und Versicherungsdienstleistungen 42200 37300 Mit Finanz- und Versicherungsdienstleistungen verbundene Tätigkeiten 42200 25700 37300 verbundene Tätigkeiten Auf der Grundlage der Daten des Staatssekretariats für internationale Finanzfragen SIF: Finanzstandort Schweiz, Kennzahlen, April 2015. 25700 0 0 2009 2014 2004 Jahr 2009 2014 2004 Jahr

30

Anteil des Finanzplatzes am Bruttoinlandsprodukt (2014)* in Prozent 26,9 25 30 30

26,9 26,9

20 25 25 15 20 20 10 15 15 5 10 10

11,8

10,2

8,0 4,0

7,2

11,8 11,8

10,2 10,2

8,0 8,0

7,2 7,2

0 4,0 5 Deutschland 4,0 5

Luxemburg

Schweiz

Singapur

UK

USA

0 0 Deutschland Deutschland

Luxemburg Luxemburg

Schweiz Schweiz

Singapur Singapur

UK UK

USA USA

250 000

6,2%

6,3%

* Die Werte für Luxemburg und die USA gelten für 2013. Daten: Statistisches Bundesamt Deutschland, Le Portail des Statistiques – Grand Duché de Luxembourg, BFS/SECO (Schweiz), Singapore Department of Statistics, Office for National Statistics (UK), Bureau of Economic Analysis (USA).

% der Gesamtbeschäftigung

5,9%

Arbeitsstellen191im in Vollzeitäquivalenten Total Finanzsektor 200Schweizer Finanzsektor, 211 300 209 900 200 250000 250 000 150 200000 200 000

6,2% 6,2% 25700 191 200 191 200 52300 25700 25700

100 150000 000 150 000

6,3% 37300 6,3% 211 300 211 300 50 000 37300 37300

5,9% 42200 5,9% 209 900 209 900 49200 42 200 42 200

50 000 50 000

49 200 49 200 118 500

52300 52300 113 100

124 000

50000 100 000 100 000 0 50000 50000 0 0

Mit Finanzund Versicherungsdienstleistungen % der Gesamtbeschäftigung % der Gesamtbeschäftigung verbundene Tätigkeiten Total Finanzsektor Total Finanzsektor Mit Finanz- und Versicherungsdienstleistungen Versicherungsdienstleistungen Mit Finanz- und Versicherungsdienstleistungen verbundene Tätigkeiten verbundene Tätigkeiten Finanzdienstleistungen Versicherungsdienstleistungen Versicherungsdienstleistungen Finanzdienstleistungen Finanzdienstleistungen

113 100 113 100

124 000 124 000

118 500 118 500

2004

2009

2014

2004 2004

2009 2009

2014 2014

Jahr Quelle: BFS, Beschäftigungsstatistik, Werte für das 4. Quartal.

Jahr Jahr

Steueraufkommen des Finanzsektors von natürlichen und juristischen Personen, in Mio. Fr. 5,0% 6000 5000 6000 6000 4000 5000 5000 3000 4000 4000 2000 3000 3000 1000 2000 2000 0 1000 1000

20

0 0

7,4%

6,5%

% des Gesamtsteueraufkommens

3690

4869

5709

Total Finanzsektor

5,0% 5,0% 3690 3690

6,5% 6,5% 4869 4869

7,4% 7,4% 5709 1530 5709

% des Gesamtsteueraufkommens % des Gesamtsteueraufkommens Total Finanzsektor Versicherungen Total Finanzsektor

552

2008

2008 2008

1087

1530 1543 1530

Banken Versicherungen Versicherungen

1543 1543 2636

Natürliche Personen Banken Banken

593

1251 1087 1087

552 552 593 2545 593

1251 1251 2531

2545 2545

2531 2010 2531

2636 2012 2636

Jahr

2010 2010

2012 2012

Jahr Jahr

Natürliche Personen Natürliche Quellen: SNB, Personen BFS, FINMA, EFV, ESTV.


r

Börsenbanken 47

Total 283 Banken

30

26,9

2013

ndische Depotinhaber 25 itutionelle Anleger mmerzielle Kunden atkunden 20

ländische Depotinhaber 15 itutionelle Anleger mmerzielle Kunden Anteil der einzelnen atkunden 10 5

Bankengruppen an11,8 der Gesamtbilanzsumme der Banken in der Schweiz (2013) 10,2 8,0 Privatbankiers 2%

Filialen ausländischer Banken 3% ndische Depotinhaber 0 Ausländisch beherrschte Schweiz Banken 10% itutionelle Anleger Deutschland Luxemburg mmerzielle Kunden Börsenbanken 5% atkunden

200 000

150 000

Kantonalbanken 17% Singapur

UK

USA Grossbanken 46%

Raiffeisenbanken 6% Regionalbanken und Sparkassen 4% Andere Banken 13 6,2% 6,3%

Filialen ausländischer Banken 26 25700 Ausländisch beherrschte Banken 122

52300Schweiz Anzahl Banken in der

Kantonalbanken 24 % der Gesamtbeschäftigung Grossbanken 3 Total Finanzsektor

5,9%

Privatbankiers 21115 300

191 200

r

7,2

Andere Banken 7%

4,0

sländische Depotinhaber itutionelle Anleger mmerzielle Kunden atkunden 250 000

Schweizer Monat SONDERTHEMA Mai 2015

2013

209 900

37300

42200

50 000

49200

100 000

113 100

0

2849 Mrd. Fr.

Regionalbanken Sparkassen 83 Mit Finanz- und und Versicherungsdienstleistungen verbundene Tätigkeiten Raiffeisenbanken 1 Versicherungsdienstleistungen Börsenbanken 55

Total 342 Banken

Finanzdienstleistungen

2003

50000

Gesamtbilanzsumme

124 000

118 500

Andere Banken 13

Kantonalbanken 24

Andere Banken15 9 Privatbankiers

Kantonalbanken Grossbanken 3 24

Privatbankiers 14 2004 Filialen ausländischer Banken2009 26

Grossbanken 2 und Sparkassen 83 Regionalbanken Jahr

2014

Filialen ausländischer Banken122 31 Ausländisch beherrschte Banken

Regionalbanken Raiffeisenbankenund 1 Sparkassen 75

Ausländisch beherrschte Banken 123

Raiffeisenbanken Börsenbanken 55 1

Total 342 Banken

Börsenbanken 48

Total 327 Banken

2003 2008 Andere Banken 9 6,5%

5,0% 3690

6000

4000

4869 Privatbankiers 14 Andere Banken 14

Ausländisch beherrschte Banken Filialen ausländischer Banken123 27 Ausländisch 552 beherrschte Banken 93

3000

593

Grossbanken 2 Total Finanzsektor Kantonalbanken 24

5709

Filialen ausländischer Banken 11 31 Privatbankiers

5000

Kantonalbanken 24 % des Gesamtsteueraufkommens

7,4%

1530

Regionalbanken und Sparkassen 75 Grossbanken 2 Versicherungen Raiffeisenbanken 1 Regionalbanken und Sparkassen 64

1543

Börsenbanken 48 Raiffeisenbanken 1 Banken

Total 327 Banken

Börsenbanken 47

Total 283 Banken

1087 1251 2008

2000

2531

2545

1000 0

2636

2013

Quelle: SNB, Die Banken der Schweiz

Kantonalbanken 24

Andere Banken 14 2010 Privatbankiers 11

2008

Natürliche Personen

2012

Jahr Grossbanken 2 Regionalbanken und Sparkassen 64

Filialen ausländischer Banken 27

Raiffeisenbanken 1

Ausländisch beherrschte Banken 93

Börsenbanken 47

Andere Banken 7% Privatbankiers 2%

Kantonalbanken 17%

2013

Filialen ausländischer Banken 3%

Total 283 Banken

Wertschriftenbestände in Kundendepots der Banken (in- und ausländische Depotinhaber), in Mrd. Fr. Ausländisch beherrschte Banken 10% Börsenbanken 5%

3500 3000 2500

2171 2601

Andere Banken 7%

1500

1507

500 0

2564 3001

Regionalbanken und Sparkassen 4%

2000

1000

Grossbanken 46%

2329 Raiffeisenbanken 6%2768

Privatbankiers 2% 1945 1624 Filialen ausländischer Banken 3%

2013 2107

2362

94

465

562

Gesamtbilanzsumme 2849 Mrd. Fr.

Ausländische Depotinhaber Kantonalbanken 17% Institutionelle Anleger Kommerzielle Kunden Privatkunden

1835

Ausländisch beherrschte Banken 10% 199

Inländische Depotinhaber Institutionelle Anleger Kommerzielle Kunden Privatkunden

Börsenbanken 5% 197

100

191

82

509 Raiffeisenbanken 6%

562

539

557

Grossbanken 46% Quelle: SNB, Statistisches Monatsheft, Februar 2015, Jahresendwerte.

2012 Regionalbanken und Sparkassen2013 4%

2014

Jahr Gesamtbilanzsumme 2849 Mrd. Fr.

2013

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Die Geschichte ist ein Asset

Steht die helvetische Bankenbranche nach dem Wegfall des Bankgeheimnisses vor einer Zäsur? Keineswegs. Nur im Nachhinein sieht alles rosig aus. Die Geschichte des Bankenplatzes ist geprägt durch Umbrüche. Daraus lässt sich Kraft schöpfen – für eine erfolgreiche Zukunft. von Tobias Straumann

I

m Februar 1969 publizierte das englische Wirtschaftsmaga­ zin «The Economist» ein Porträt der Schweiz. Das Lob war überschwenglich. Alles sei vorbildlich: starke Demokratie, tiefe Steuern, blühende Wirtschaft. Dem Bankensektor war ein eigener Artikel gewidmet. Er endete mit dem Satz: «This has been the golden age of Swiss banking.» In der Tat, dem Finanzplatz Schweiz ging es damals blen­ dend. Einige Beobachter liessen sich sogar zur Prognose hinreis­ sen, Zürich werde London bald den Rang als führendem interna­ tionalem Finanzplatz Europas ablaufen. Die Standortvorteile schienen unschlagbar: gesellschaftliche Stabilität, unabhängige Zentralbank, starke Währung, politische Neutralität, gute Infra­ struktur, zuverlässiges Personal und Bankgeheimnis. Die briti­ sche Konkurrenz mokierte sich zwar über die «Gnomes of Zurich», aber dies nahm man hierzulande als Beweis, dass man vorne mit dabei war. Zu Recht, wie sich später herausstellte. Heute ist die Situation eine andere. Die Zukunft des Ban­ kenplatzes ist nach vielen erfolgreichen Jahrzehnten unge­ wiss. Ein wichtiger Pfeiler des bisherigen Erfolgsrezepts, das Bankgeheimnis, ist weggebrochen. Und in den letzten Jahren hat die rechtsstaatliche Berechenbarkeit spürbar gelitten. Darf man angesichts der Erosion von Standortvorteilen dennoch optimistisch sein? Wenn man erwartet, dass der Finanzplatz Schweiz bald eine ähnliche Blüte wie vor fünfzig Jahren erleben wird, gibt es kaum Grund zur Zuversicht. Die Bedingungen waren damals einzigartig. Aus einer länger­ fristigen Perspektive hingegen sieht die Zukunft keineswegs düster aus. Krisen sind eine normale Begleiterscheinung der wirtschaftlichen Entwicklung, und noch jedes Mal gelang es den Schweizer Banken, neue Pfade zu erschliessen. Das histo­ rische Argument gibt Anlass zu Optimismus. Bankengeschichte Der Normalfall seit der Entstehung der Branche vor 150 Jahren war die permanente Überforderung, nicht die gol­ dene Zeit der 1950er und 1960er Jahren, als die Ertragsquellen von selbst sprudelten. In der Gründungszeit suchten die Ban­ ken in einer unsteten Welt ein geeignetes Ertragsmodell und 22

Tobias Straumann ist Wirtschaftshistoriker und lehrt an den Universitäten Basel und Zürich.

zahlten teures Lehrgeld. So brauchte die Schweizerische Kre­ ditanstalt mehr als zehn Jahre, bis sie in sichere Gewässer gelangt war. In der Firmengeschichte zum 100-Jahr-Jubiläum ist die Rede von der «Methode des trial-and-error» und von einer «Sturm-und-Drang-Zeit». Gegründet 1856 in Zürich, widmete sich die Kreditanstalt in der frühen Phase vor allem dem zyklischen Geschäft mit Eisenbahnaktien. In der Krise von 1867 resultierte ein hoher Verlust, der nur dank der Mobilisierung von stillen Reserven überwunden werden konnte. Man entschied sich, das höchst ertragreiche, aber auch riskante Aktiengeschäft zurückzufah­ ren zugunsten von stabileren Ertragsquellen wie kurzfristigen Krediten und Handelswechseln. Erst jetzt begann die langsame Hinwendung zu einer Universalbank. Die nächste Eisenbahn­ krise von 1877 überstand sie ohne Schaden. Auch in der nächsten Phase, die von den 1880er Jahren bis zum Ersten Weltkrieg dauerte, waren grosse Umbrüche in der Bankenbranche zu beobachten. Die Grossbanken befanden sich in einer guten Lage, dafür kam es bei den Regional- und Lokalbanken zu einem geradezu brutalen Strukturwandel. In den Jahren 1911 bis 1914 sind Dutzende von ihnen untergegan­ gen. Einige, zum Beispiel die Thurgauische Hypothekenbank, hatten sich mit Krediten in Deutschland verspekuliert. Andere setzten zu stark auf die lokale Industrie. Auch diesmal be­ zahlte man teures Lehrgeld, aber insgesamt ging die Branche aus der Konsolidierung gestärkt hervor. Die Zwischenkriegszeit war ohnehin eine Zeit der Krisen – nur im Rückblick sieht alles rosig aus: Die politische und mo­ netäre Stabilität bescherte den Banken, die das Depotgeschäft betrieben, hohe Zuflüsse aus dem benachbarten Ausland, das durch hohe Schulden, Inflation, Abwertung und bürgerkriegs­ ähnliche Zustände überfordert war. Es war die Geburtsstunde der Schweiz als grösster Vermögensverwalter Europas.


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Bei genauerem Hinsehen erscheint das Bild viel durchzoge­ ner. Nach dem Ersten Weltkrieg litten viele Schweizer Banken unter dem Zerfall ihrer ausländischen Anlagen. Einige gerieten in Existenznöte und brauchten Hilfe von anderen Banken. In den 1930er Jahren kam es zur zweiten grossen Bankenkrise der Schweizer Geschichte. Zunächst mussten die Grossbanken grosse Abschreiber auf ihren deutschen Anlagen vornehmen, weil die Weimarer Republik und die meisten mittel- und osteu­ ropäischen Staaten ab dem Sommer 1931 ihre Auslandsschul­ den nicht mehr regulär bedienen konnten. In einer zweiten Phase gerieten auch die Inlandbanken wegen der langen Wirt­ schaftskrise und Deflation in Bedrängnis. Erst die Abwertung von 1936 ermöglichte die notwendige Sanierung. Im Zweiten Weltkrieg waren die Verhältnisse ähnlich schwierig. Es war keineswegs so, dass die Schweizer Banken grosse Gewinne einfuhren. Im Ergebnis standen sie am Ende des Kriegs zwar gut da, weil sie das Schlimmste abwenden konnten, aber dies gelang nur dank Glück und Verhandlungs­ geschick in Zusammenarbeit mit der Handelsabteilung. Natürlich lassen sich diese historischen Beispiele nicht eins zu eins auf die Gegenwart übertragen. Die Probleme än­ dern sich permanent. Aber der Wegfall des Bankgeheimnisses nimmt sich im historischen Vergleich nicht als besonders gravierendes Ereignis aus. Versicherungsbranche Grund zu Optimismus gibt auch ein Seitenblick auf die jüngste Geschichte der Schweiz als internationaler Versiche­ rungsstandort. Anders als der Bankensektor genoss dieser Wirt­ schaftszweig nie ein Privileg, und doch hat er eine Bedeutung, die gemessen am Bruttoinlandsprodukt überdurchschnittlich ist. Innerhalb der Ertragsbilanz erwirtschaftet der Versiche­ rungssektor insgesamt ein Plus von 4,5 Milliarden Franken ge­ genüber dem Ausland. Das ist zwar dreimal weniger als der Bankensektor, zeigt aber eindrücklich, dass die Branche wettbe­ werbsfähig ist. Zürich ist nach wie vor einer der wichtigsten internationalen Standorte in der Rückversicherung. In den letzten dreissig Jahren sah es allerdings nicht immer gut aus. Der Verlust der Selbständigkeit der Winterthur Versi­ cherungen und die grossen Verluste der Zürich Versicherungen im Anschluss an das Platzen des Dotcombooms nach dem Jahr 2001 beunruhigten die Gemüter. Auch die Swiss Re hat in der jüngsten Vergangenheit schmerzhafte Verluste erlitten. Die Branche hat aber eine erstaunliche Erneuerungskraft bewiesen. Was haben die Versicherer richtig gemacht? Erstens ha­ ben sie sich konsequent auf die Geschäftsfelder konzentriert, bei denen die traditionellen Standortvorteile der Schweiz – Stabilität, Infrastruktur, Lebensqualität – voll zum Tragen kommen. Eine Zeitlang glaubte man, Versicherungen seien ei­ gentlich etwas Ähnliches wie Banken und hätten deshalb die Kompetenz, eine aktivere Rolle auf den Finanzmärkten zu 24

spielen. Davon hat man sich endgültig verabschiedet. Das Ver­ sicherungsgeschäft ist dadurch vielleicht etwas weniger aufre­ gend geworden, dafür aber berechenbarer und langfristiger. Zweitens haben die Versicherer die Standardisierung und Industrialisierung ihrer Dienstleistungen konsequent voran­ getrieben. Ein wichtiger Grund dafür ist, dass die durch­ schnittlichen Margen in der Versicherungsbranche (mit Aus­ nahme der Rückversicherung) immer schon geringer waren als im Bankengeschäft. Das zwingt zur permanenten Kostensen­ kung. In dieser Hinsicht ist die Branche verwandt mit der gewerblichen Industrie, die seit den 1990er Jahren enorme Produktivitätsfortschritte erzielt und einen grossen Struktur­ wandel bewältigt hat. Drittens hat in bezug auf die Amerikanisierung ein Um­ denken stattgefunden. In den 1990er Jahren galt alles, was von jenseits des Atlantiks kam, als besonders dynamisch und das Einheimische als träge und innovationsfeindlich. Heute ist man vorsichtiger geworden und sucht eine Balance zwischen unterschiedlichen Geschäftskulturen. Auch die Verankerung in der Schweiz wird wieder mehr geschätzt. Aussenwirtschaftspolitik Ein dritter Aspekt der schweizerischen Wirtschaftsge­ schichte, der als Inspiration für die Banken von Interesse sein könnte, ist die Aussenwirtschaftspolitik. In der Bankenbranche herrscht heute die Sorge vor, dass der Zugang zum EU-Markt nur erreicht werden könne, wenn die Schweiz weitgehende Zugeständnisse mache. Wie schwierig das Verhandlungsdossier tatsächlich ist, lässt sich aus der Warte eines externen Beobach­ ters kaum beurteilen. Aber man darf doch daran erinnern, dass diese Situation alles andere als neu ist und die Schweizer Diplomatie bisher immer eine kluge Lösung gefunden hat, die der Wirtschaft geschäftliche Opportunitäten bot. Besonders schwierig war die Situation nach den Napoleoni­ schen Kriegen. Die grossen Länder, allen voran Frankreich und Grossbritannien, sowie die meisten deutschen Staaten hielten ihre aus dem Krieg ererbten Handelsschranken jahrzehntelang aufrecht. Erst in den 1840er Jahren vollzog sich – zuerst in Grossbritannien – eine Wende zum Freihandel. In dieser schwierigen Zeit richtete sich der schweizerische Aussenhandel vollkommen neu aus. Während der europäische Kontinent bisher der wichtigste Abnehmer der schweizerischen Export­ produkte gewesen war, rückten nun die überseeischen Gebiete ins Blickfeld. Nicht weniger als drei Fünftel gingen ins aussereu­ ropäische Ausland, obwohl der Anteil der Transportkosten am Endpreis damals um ein Vielfaches höher war als heute. Auch im späten 19. Jahrhundert, als das Deutsche Kaiser­ reich und Frankreich zum Protektionismus zurückkehrten, fand man hierzulande Mittel und Wege, die Krise zu überwin­ den. Einige Unternehmen gründeten im nahe gelegenen Aus­ land Fabrikstandorte, andere wandten sich stärker dem British


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Empire zu, das am Freihandel festhielt. Auch im 20. Jahrhun­ dert gelang es immer wieder, die Grossmächte gegeneinander auszuspielen. Nur im Zweiten Weltkrieg war der Spielraum der Schweizer Handelsdiplomatie äusserst gering. In vielem musste man Nazideutschland nachgeben, aber einige Konzes­ sionen konnte man durchaus herausholen. Es ist eine Aus­ nahme, welche die Regel bestätigt. Noch heute verfolgt Bundesbern diese Strategie. Man ver­ sucht, mit möglichst vielen Ländern Freihandelsverträge ab­ zuschliessen, um möglichst global vernetzt zu sein. Die Bemü­ hungen um das Renminbi-Offshore-Geschäft weisen in eine ähnliche Richtung. Vielleicht wäre es möglich, diesbezüglich noch weiter zu gehen, indem man die Kooperation mit den USA, China, Indien und anderen Schwellenländern weiter vertieft. Die schweizerische Verhandlungsposition würde ge­ genüber der EU dadurch zweifellos gestärkt. Wenn man als Kleinstaat nicht mehr die europäischen Mächte gegeneinan­ der ausspielen kann, wie dies in der Vergangenheit in brenzli­ gen Situationen immer wieder möglich war, muss man die bewährte Strategie auf die globale Ebene verlagern. Konklusion Wie könnte nun die Erneuerung des Bankensektors konkret aussehen? Mir scheinen aus der langfristigen Betrachtung fol­ gende Schritte unumgänglich zu sein. Erstens muss sich die Bankenbranche noch stärker konsolidieren. Wir haben die Schwelle zu einer neuen Epoche bereits überschritten, während die bestehenden Branchenstrukturen noch weitgehend auf den alten Spielregeln beruhen. Mehr als bis anhin sollte man alle Formen der Fusion, Absplitterung, Auslagerung und Zusam­ menarbeit prüfen. Die heutige Situation erinnert an die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, als klar wurde, dass viele Banken von der neuen Komplexität des Geschäfts überfordert waren. Zweitens muss das Geschäft hemmungslos industrialisiert werden. Wenn der Prozess Hand in Hand geht mit der Konsoli­ dierung, könnten hier grosse Produktivitätsfortschritte erzielt werden. Diesbezüglich kann man nur an die historischen Erfolgsgeschichten erinnern, die in den letzten Jahren in ande­ ren Branchen verzeichnet wurden, vor allem in der Uhrenin­ dustrie, der Maschinenindustrie und der Chemie- und Pharma­ industrie. All diese Branchen sind schon lange in der Schweiz heimisch, aber konnten nur dank einer gnadenlosen Restruk­ turierung überleben. Der Bankensektor ist sozusagen der Nachzügler, der nun aufgerufen ist, denselben Weg zu gehen. Drittens sollte man sich bei den internationalen Geschäf­ ten auf die Vermögensverwaltung fokussieren. Hier hat der Finanzplatz Schweiz dank Tradition und Stabilität einen kom­ parativen Vorteil. Gegenüber Visionen, die ganz neue Ge­ schäftsfelder propagieren, ist deshalb Vorsicht geboten. Die Geschichte übt eine ungeheure Sogkraft aus – und ist ein Asset, mit dem man rechnen sollte. �

Hans Geiger

Ein Eid für Banker

B

anker sind in ihrem Beruf auf das Vertrauen der Kunden und der Öffentlichkeit angewiesen, genauso wie die Ärzte. Während letztere in Umfragen über Vertrauenswürdigkeit stets gut abschneiden, finden sich die Finanzberater am unteren Ende der Rangliste, gerade noch vor den Politikern. So geht es nicht. Denn alle klassischen Bankgeschäfte sind mit Kredit verbunden, und Kredit heisst Vertrauen. Natürlich kennen die Banken tausendundeinen Code of Conduct. Feierlich ist da jeweils von der Reputation als wichtigstem Gut die Rede und davon, dass unethisches Handeln geahndet werde. Das sind viele schöne Worte und wenig Wirkung. Die beste Lösung des Vertrauensproblems finden die Banker bei den Ärzten. Seit über 2000 Jahren schwört der Arzt auf Gott Apollo den Eid des Hippokrates. Dabei geht es nicht bloss um eine ethische Ausübung des eigenen Berufs, sondern auch um den Schutz des eigenen Standes und die ökonomische Absicherung des Arztberufs. Der Schlüssel zum Vertrauen liegt beim einzelnen Menschen. Jeder Banker soll es dem Arzt gleichtun und einen Eid schwören. Wer das nicht will, wird eben nicht Banker. Der Banker würde im Gegensatz zum Arzt nicht Apollo anrufen, sondern Hermes, den Schutzgott der Kaufleute. Dabei hält er sich stets vor Augen: Hermes ist auch der Gott der Diebe, und er führt die Seelen der Verstorbenen in den Hades. Die Einleitung und den Schluss seines Eides kann der Banker leicht angepasst vom Arzt übernehmen. Einleitung: «Ich schwöre und rufe Hermes […] und alle Götter und Göttinnen zu Zeugen an, dass ich diesen Eid und diesen Vertrag nach meiner Fähigkeit und nach meiner Einsicht erfüllen werde.» Schluss: «Wenn ich diesen Eid erfülle und nicht breche, so sei mir beschieden, in meinem Leben und in meiner Kunst voranzukommen, indem ich Ansehen bei allen Menschen für alle Zeit gewinne; wenn ich ihn aber übertrete und breche, so geschehe mir das Gegenteil.» Und was steht zwischen Einleitung und Schluss? Ganz einfach: «Ich stelle im Zweifelsfall und im Rahmen der Gesetze die Interessen der Kunden vor andere, entgegengesetzte Interessen.» Und: «Ich kassiere einen eventuellen Gewinn aus einer Tätigkeit oder Investition nur dann, wenn ich bereit und in der Lage bin, auch den entsprechenden Verlust zu tragen.» Sollten Banker nicht endlich einen solchen Eid für Banker fordern, in ihrem eigenen Interesse? Hans Geiger ist emeritierter Professor am Institut für Banking und Finance der Universität Zürich.

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«Der Homo financiarius tickt ganz anders»

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Mehr Prinzipien und weniger Regulierung, mehr persönliche Haftung und weniger Code of Conduct, mehr Markt und weniger Arbitrage auf Kosten anderer, mehr kleine Banken und keine grossen Casinos: Marc Chesney findet klare Worte. Ein (Streit-)Gespräch. René Scheu trifft Marc Chesney

Herr Chesney, Sie beschäftigen sich mit der Theorie des Finanzwesens. Haben Sie in früheren Jahren mit dem Gedanken gespielt, selbst Bankier zu werden?

Ich muss Sie enttäuschen: leider nein. Nicht dass ich etwas gegen Banken hätte – wir brauchen sie, das ist klar. Doch komme ich von der Mathematik her, ich wollte die Funktions­ weise von Finanzmärkten verstehen. Und so landete ich im Finanzwesen – einer höchst interessanten Disziplin.

Marc Chesney ist ordentlicher Professor of Finance an der Universität Zürich und u.a. Autor des Buchs «Vom Grossen Krieg zur permanenten Krise: Der Aufstieg der Finanzaristokratie und das Versagen der Demokratie» (Versus-Verlag, 2014).

René Scheu ist Herausgeber und Chefredaktor dieser Zeitschrift.

Zweifellos auch einer komplexen. Und einer trockenen?

Ich bin von Natur aus ein neugieriger Mensch. Das Thema meiner Doktorarbeit war die Analyse von derivativen Produk­ ten. Da geht es nicht wirklich um Preissetzung nach Angebot und Nachfrage, da geht es vielmehr um die theoretische Un­ möglichkeit von Arbitrage in angeblich effizienten Märkten. Dann kam die Finanzkrise mit Hedge Fonds und sogenannten «Too big to fail»-Banken, die genau durch die praktische Rea­ lisierung von Arbitragemöglichkeiten in ineffizienten Fi­ nanzmärkten, beispielsweise im Bereich von Hochfrequenz­ handel und Derivaten, riesige Gewinne erzielen. Und plötzlich wurde mir klar: Was wir an den Universitäten in der Finanzökonomie unterrichten, ist nicht immer ganz korrekt. Wie meinen Sie das?

Auf Finanzmärkten agiert nicht der Homo oeconomicus, son­ dern der Homo financiarius. Der tickt ganz anders. Wie denn? Auch er dürfte seine eigenen Interessen verfolgen.

Lange war es so, dass der einzelne, indem er seine eigenen Inter­ essen verfolgte, dem Gemeinwohl diente. Zwischen dem Ende der Napoleonischen Kriege und dem Beginn des Ersten Weltkriegs hat dieses Modell – das Modell des klassischen Liberalismus – insge­ samt erstaunlich gut funktioniert. Die wissenschaftlichen, ge­ sundheitlichen und gesellschaftlichen Fortschritte waren hervor­ ragend. Aber dann kam in den 1980er Jahren die Wende. Mit der riesigen Welle von Deregulierungen kam der Homo financiarius in die Welt. Seine persönlichen Interessen decken sich nicht mehr mit jenen der Allgemeinheit. Ganz im Gegenteil schaden seine Tä­ tigkeiten sogar oftmals dem Gemeinwohl. Die Interessen der Allgemeinheit, das Gemeinwohl – mit Verlaub: das sind Ausdrücke, die alle für sich in Anspruch nehmen, 26

die ihre eigenen Interessen durchzusetzen versuchen.

Ja, es gibt viel politische Rhetorik. Aber dessen ungeachtet gibt es so etwas wie ein Gemeinwohl, auch wenn es schwer zu errei­ chen ist. Das Problem ist: Grossbanken emittieren Finanzpro­ dukte, die deren Renditeinteressen dienen, aber jenen der All­ gemeinheit diametral zuwiderlaufen. Ein konkretes Beispiel, bitte!

Gerne. In der NZZ erscheinen regelmässig Inserate, in denen BRC – Barrier Reverse Convertibles – angeboten werden. Die Gewinne oder Verluste dieses Produkts werden von den Kursen verschiedener Aktien – in der Regel deren drei – generiert. Solange während der einjährigen Laufzeit keiner der Aktien­ kurse unter ein bestimmtes Niveau fällt, erhält der Halter dieses Produkts sein Ausgangskapital zurückerstattet, zum Beispiel 100 000 Schweizer Franken. Ausserdem wird ihm ein hoher Coupon, oft in Höhe von 8 Prozent, der ursprünglichen Investi­ tion ausbezahlt, das heisst 8 000 Schweizer Franken. Fällt je­ doch ein Aktienkurs unter das vordefinierte Niveau, erhält der Halter zwar weiterhin die 8000 Franken, aber nur einen Teil des investierten Kapitals zurück, zum Beispiel 80 000 oder 60 000 Schweizer Franken. Ein Kursrückgang zumindest bei einer Ak­ tie ist aber stets wahrscheinlich. Kurzum, das sind komplexe Produkte, die hohe Renditen versprechen, im Schnitt jedoch toxisch sind. Die Kunden verlieren damit im Durchschnitt Geld. Das klingt ziemlich verständlich. Aber wer ein Produkt kauft, das er nicht versteht, ist selber schuld, wenn er damit Geld verliert.

Nicht alle verfügen über die gleiche Bildung und den gleichen Wissensstand. Und nicht alle kennen die Risiken, die mit die­ sen Produkten verbunden sind.


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Selbstüberschätzung kann alle treffen. Ich bleibe dabei: wen sie trifft, der ist selber schuld.

Einverstanden. Dennoch macht es keinen Sinn, Produkte zu lancieren, die darauf wetten, dass der Kunde verliert, damit der Emittent, also oft eine «systemische» Bank, gewinnt. Eine sol­ che Konstellation ist – wie soll ich sagen? – pervers. In der Wirtschaft entstehen normalerweise Win-win-Situationen. Wenn Sie mit Ihrem neuen Auto zufrieden sind, ist im Prinzip der Autohersteller auch zufrieden. Für «Too big to fail»-Ban­ ken, die für diese toxischen Finanzprodukte Werbung machen, ist es ein Gewinn auf Kosten der Kunden, das heisst: des einen Gewinn ist stets des anderen Verlust. Sie haben doch etwas gegen Banken.

Keineswegs. Aber ich habe etwas gegen toxische Produkte, die zudem kompliziert sind und Vertrauen zerstören. So wird die Finanzbranche zu einem Feld, in dem der Zynismus blüht. Und ich habe etwas gegen «Too big to fail»-Institutionen, die be­ haupten, sie seien Banken, die aber mehr Casino als Banken sind. Sie spielen mit dem Geld des Steuerzahlers, des Kunden, des Mitarbeiters und des Aktionärs. Am Ende des Tages funkti­ onieren sie wie folgt: Profite privatisieren, Kosten sozialisie­ ren. In einer Marktwirtschaft haftet jeder Akteur für sein Tun. Wer einen Fehler begeht, wer sich verspekuliert, wer nicht gut arbeitet, geht pleite. Und er allein muss dafür geradestehen. Wenn Sie von Grossbanken sprechen, wen meinen Sie?

Sicher UBS und CS. Deren Manager spielen Casino, und zwar ein höchst asymmetrisches: Liegen sie falsch, bezahlen sie im besten Fall lediglich einen Teil des Preises. Gewinnen sie, kas­ sieren sie alleine ab. Vor mir liegt ein Cover Ihrer Zeitschrift, die den Slogan ziert: «Skin in the Game», seine Haut aufs Spiel setzen. Davon brauchen wir mehr. Nun werden aber in der Schweiz alle Banken in denselben Topf geworfen…

…ja, klar, das ist ein echtes Problem. Es ist wichtig, hier zu dif­ ferenzieren. Wir brauchen Banken, die fit sind. Wir wollen keine Casinos. Das ist im Grunde die entscheidende Differenz: Es gibt Banken im Dienste ihrer Aktionäre und des Allgemein­ wohls, und es gibt Casinos im Dienste ihres eigenen Vorteils auf Kosten der Allgemeinheit.

sen und treffen damit auch die kleinen. Und die Grossen haben viel Schaden angerichtet, denken wir nur an die Währungsma­ nipulationen. Die Finma ist nicht in der Lage, die UBS hierfür zu büssen: die UBS musste bloss ihre Gewinne aufgrund der Manipulationen am Devisenmarkt zurückbezahlen. Wo sind hier die Regeln, wo ist hier der Rechtsstaat? Die Finanzbranche gehört zu den am stärksten regulierten Branchen überhaupt. Was wäre denn aus Ihrer Sicht zu tun?

Die Banken sind schlecht reguliert. Basel I umfasste 30 Seiten, Basel II 300, Basel III 600 Seiten. Der Finanzsektor ist bereits so komplex, dass wir nicht noch komplexere Regeln brauchen, sondern einfachere: die guten alten Prinzipien. 20 bis 30 Seiten würden vollends genügen. Dadurch werden auch kleinere Ban­ ken gestärkt, sonst schaffen es eines Tages nur noch die gros­ sen, die Regulierung zu stemmen. Konkret: welche Prinzipien?

Erstens: ein Trennbankensystem, also Trennung von Invest­ menttätigkeit und traditioneller Bankentätigkeit. Banken dürfen Casino spielen, aber mit dem eigenen Geld – und ohne Gratisver­ sicherung durch die Allgemeinheit. Zweitens: mehr Eigenkapital, zwischen 30 und 40 Prozent der Bilanzsumme, ohne undurch­ schaubare Modelle der Risikogewichtung. Solche Verhältnisse herrschten ganz natürlich zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Denn auch hier ist es so, dass sich die kleineren Banken an die Modelle der Finma halten, während die grossen eigene Modelle kreieren, die nicht einmal sie selbst mehr durchschauen. Drittens?

Wir brauchen in der Finanzbranche einen Zertifizierungspro­ zess, wie es ihn auch in der Auto- oder der Pharmabranche gibt. Produkte, mit denen der Emittent auf die Verluste des Kunden spekuliert, haben keine Berechtigung in einer norma­ len Welt. Finanzdienstleistungen sollten im Dienste der Wirt­ schaft sein, im Dienste von Firmen und Privaten – und nicht umgekehrt. Für eine solche Zertifizierung brauchen Sie eine kleine Gruppe von Leuten mit Expertise, die sich regelmässig treffen und sich die neuen Produkte anschauen. Voluminöse Regulierungshandbücher können Sie sich sparen. Viertens?

Die Banken in Ihrem Sinne haben wir auch: die Privatbanken, die Genossenschaftsbanken, die Coop-Bank, die Migros-Bank.

Ich plädiere für eine Finanztransaktionssteuer, nach dem Vorbild des Finanzunternehmers Felix Bolliger. Und ich erkläre Ihnen auch, weshalb: pro Jahr finden in der Schweiz elektroni­ sche Frankentransaktionen in der Höhe von 100 000 Milliar­ den statt – das entspricht rund 160mal dem BIP der Schweiz. Wenn Sie davon bloss 0,2 Prozent abzweigen, kommen Sie auf 200 Milliarden Franken. Das ist mehr als alle aktuellen Steuern in der Schweiz, rund 170 Milliarden Franken pro Jahr. Theore­ tisch könnten alle anderen Steuern abgeschafft und von einer Finanztransaktionssteuer mit einem kleinen Prozentsatz er­ setzt werden. Ist das nicht liberal?

Genau. Und die machen im allgemeinen einen besseren und nützlichen Job. Viele, die Banken kritisieren, meinen die gros­

Wenn Sie davon ausgehen, dass Steuern stets willkürlich sind, vielleicht schon. Aber bleiben wir beim Ziel. Was ist der Hinter-

Die Guten und die Bösen: Ist das nicht eine allzu holzschnittartige Darstellung?

Nein. Die grossen Banken vergeben immer weniger Kredite an Unternehmen, was neben der Vermögensverwaltung eigent­ lich ihre Funktion wäre. Sie haben sich vielmehr darauf kapri­ ziert, mit fremdem Geld zu spekulieren, mit Geld der Kunden, der Aktionäre und der Steuerzahler. Verzeihung, aber das macht einfach keinen Sinn.

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grund Ihres Vorschlags: eine Eindämmung des Hochfrequenz­ handels?

meine Studenten: Wenn der Chef von Ihnen etwas verlangt, was verboten ist, wie reagieren Sie?

So ist es. Nach diesem Vorschlag würden alle Finanztransaktio­ nen mit einer Steuer belegt – auch der Geldbezug am Automa­ ten oder die Bezahlung im Restaurant. Mit einer solchen Fi­ nanztransaktionssteuer würden Unternehmen und Haushalte entlastet. Es bräuchte weniger Steuerbürokratie. Grossbanken, die aufgrund ihrer Verlustvorträge der letzten Jahre kaum oder wenig Steuern zahlen, und der Finanzsektor im allgemeinen würden belastet, allerdings in überschaubarem Masse. Hoch­ frequenzhandel würde eingedämmt.

Und die Antwort?

Spekulation ist keine Straftat – im Gegenteil: sie dient der Diversifikation von Risiken unter vielen Marktteilnehmern und hält die Finanzmärkte liquide. Das ist volkswirtschaftlich sinnvoll.

Aber wer mit fremdem Geld und riesiger Hebelwirkung speku­ liert, bringt die Volkswirtschaft in Gefahr. Hochfrequenzhan­ del ist volkswirtschaftlich problematisch: das Herdenverhal­ ten, also das Klumpenrisiko, nimmt zu. Es gibt eben gute und schlechte Spekulation, und diese Transaktionssteuer zielt dar­ auf ab, ersteres zuzulassen und letzteres bewusst zu verteuern. Man überlegt sich dann zweimal, ob man handelt oder nicht. Und diese Wirkung ist erwünscht. Und welches wäre Ihre fünfte Massnahme?

Wir müssen die Lehre anpassen. In Vorlesungen zur Finanz­ ökonomie wird viel von Preisen geredet, aber wenig von Wer­ ten. Es sollte umgekehrt sein: zuerst die Selbstverständigung über Werte, dann die Frage nach den Preisen. Das ist leichter gesagt als getan. Gehen Sie mit gutem Beispiel voran?

In meinen Vorlesungen analysiere ich gerne zusammen mit den Studierenden einige E-Mails von Roguetradern wie bei­ spielsweise Jérôme Kerviel, Ex-Banker der Société Générale, der nun im Gefängnis sitzt. Diese Dokumente sind von Zynis­ mus geprägt. Ich möchte nicht, dass meine Studierenden eines Tages im Gefängnis sitzen… …haben Sie denn Grund, sich vor solchen Szenarien zu fürchten?

(Lacht) Eigentlich nicht. Herr Kerviel verglich sich in seinen E-Mails mit einer Prostituierten und meint damit: Er musste für die Bank so viel Geld wie möglich bringen, ungeachtet mög­ licher Risiken oder dubioser Praktiken. Ich frage dann meine Studierenden jeweils: Hat alles einen Preis – oder gibt es eben Werte, die keinen Preis haben? 99,5 Prozent aller Banker sind Leute mit Werten wie Sie und ich – auch Mitarbeiter der UBS. Sie wollen einen guten Job machen, anständig sein, Geld verdienen. Fokussieren Sie nicht allzu sehr auf spektakuläre Einzelfälle?

Die Zyniker sind normalerweise nicht am Schalter, sondern an der Front in den Handelsräumen. Kerviel hat fast 5 Milliarden Euro verspekuliert und verloren. Sein Chef hat davon gewusst und die Geschäfte geduldet – ohne aber je explizit sein Einver­ ständnis zu geben. Der Druck kam also von oben. Und ich frage

Die muss sich jeder selbst geben – aber er muss sich die Frage stellen. Darum geht es. Wie können die Banken verlorengegangenes Vertrauen in der Öffentlichkeit zurückgewinnen?

Transparenz, auch und gerade in der Entschädigungspolitik! Brady Dougan hat in acht Jahren rund 150 Millionen Franken kas­ siert, während die Aktie der Credit Suisse 75 Prozent an Wert ein­ gebüsst hat. Wenn es Bonus gibt, muss es auch Malus geben – und zwar in gleichem Masse. Was man gewinnen kann, kann man auch verlieren. Die Entlöhnungen vor 40 Jahren waren viel vernünftiger und nachvollziehbarer. Damals waren die Banken auch nicht «too big to fail», damals gab es also auch keine Gratis­ versicherung und keine Subvention durch die Allgemeinheit. Ge­ mäss einer Studie des Internationalen Währungsfonds in Wa­ shington haben die systemischen Banken in den Jahren 2011 und 2012 in der Schweiz rund 50 Milliarden Franken und in der Euro­ päischen Union rund 300 Milliarden Franken als Subvention er­ halten. Wo ist da der Liberalismus? Das ist eine Farce! Bankiers waren früher Beamte. Wollen Sie dahin zurück?

Nein. Wir brauchen initiative, unternehmerisch handelnde Persönlichkeiten. Aber das heisst eben: Personen, die auch bereit sind, Risiken zu tragen. Was halten Sie von der Idee eines hippokratischen Eids für Banker, den diese unterzeichnen? Ein Satz würde genügen: «Ich stelle im Zweifelsfalle und im Rahmen der Gesetze die Interessen der Kunden vor andere, entgegengesetzte Interessen.»

Der Vorschlag ist gutgemeint. Ich zweifle jedoch, dass er in der Wirklichkeit taugt. Wichtiger als Verlautbarungen sind insti­ tutionelle Reformen. Es geht nicht um gute Absichten, son­ dern um reale Anreize. Wir brauchen fitte kleinere Banken, die für statt gegen ihre Kunden arbeiten. Und Banken, die un­ ternehmerisch handeln, also ein Bonus-Malus-System haben, die wissen, dass Entscheid und Haftung zusammengehören, die bankrottgehen können. Wenn diese Bedingungen gegeben sind, wird der einzelne Banker automatisch stärker in die Pflicht genommen. Dann brauchen Sie auch keinen hippokra­ tischen Eid. Traue keinem Anlageberater, der nicht selbst Geld in die Produkte investiert hat, die er dir, dem Kunden, verkaufen will?

Lassen Sie es mich abstrakter formulieren: Wenn der Kunde verliert, sollte der Berater ebenfalls verlieren – das wäre der Malus. Wenn der Kunde gewinnt, sollte der Berater ebenfalls gewinnen – das wäre der Bonus. Und für seine Dienstleistung sollte er einen anständigen Lohn erhalten, für den er sich nicht schämen muss, der ihm aber auch keinen Anlass zum Protzen gibt. Ich würde darum sagen: weniger Marketing, mehr Leis­ tung, weniger «Code of Conduct», mehr unternehmerisches Handeln. Nur so kann sich die Lage wieder beruhigen. � 29


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Wider die Gesetzesflut

Weniger ist mehr: Welche Regulierung braucht der Finanzplatz Schweiz? von Peter Buomberger

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er Schweizer Bankensektor schrumpft: Ausländische Ban­ ken schliessen ihre Filialen in der Schweiz (1990: 16, 2009: 33, 2013: 27), Schweizer Banken bauen Arbeitsplätze ab (1990: 119 717, 2013: 105 735). Nicht so die Eidgenössische Finanz­ marktaufsicht (Finma), die Überwachungs- und Regulierungs­ behörde der Banken: Sie erhöhte ihr Budget seit 2009 Jahr für Jahr um durchschnittlich 9 Prozent und den Personalbestand um sage und schreibe 18 Prozent pro Jahr. Hängen die beiden gegensätzlichen Entwicklungen bei den Banken und ihrem Re­ gulator zusammen? Kein Zweifel: die Vielzahl und Komplexität von immer neuen Regulierungen machen das Bankgeschäft in der und aus der Schweiz immer weniger attraktiv. Jährlich werden von der Finma rund 140 Seiten neuer Vor­ schriften (in Form sogenannter Rundschreiben) produziert, seit 2009 sind es über 1000 Seiten, ein Ende ist nicht absehbar. Unter dem unverdächtigen Namen «Neue Finanzarchitektur» hat die Bundesverwaltung zusammen mit der Finma ein legis­ latives Grossprojekt sondergleichen angestossen. Nebst dem heute geltenden Finanzmarktaufsichtsgesetz sind drei weitere Grossprojekte in Angriff genommen worden. Neu sollen das Finanzdienstleistungsgesetz (Fidleg), das Finanzinfrastruktur­ gesetz (Finfrag) und das Finanzinstitutsgesetz (Finig) zum be­ stehenden Gesetzesdickicht hinzukommen. Die verniedli­ chende Bezeichnung dieser Anstrengungen als «Kleeblattre­ form» ist nicht gerechtfertigt. Die Gesetzesentwürfe umfassen bereits heute insgesamt rund 170 Seiten. Angesichts dieser Gesetzesflut ist die Frage nach dem Nut­ zen und der Notwendigkeit all dieser zusätzlichen Regeln und Vorschriften berechtigter denn je. Natürlich wirkt der Schock der Finanzkrise von 2008/09 noch nach. Massive staatliche Gelder mussten aufgewendet werden, um das Finanzsystem vor einem Kollaps zu bewahren. Natürlich lässt sich eine dyna­ mische Entwicklung der Finanzmärkte feststellen, die in der stark gewachsenen internationalen Verflechtung sowie in den neuen Instrumenten zum Ausdruck kommt. Und wer Zeitung liest, hegt den Verdacht, dass einzelne Banken noch nicht viel aus der Krise gelernt haben: Ein Skandal nach dem andern kommt ans Tageslicht, und die Saläre und Boni der Banken­ 30

Peter Buomberger ist promovierter Ökonom und Senior Consultant von Avenir Suisse. Er hat in führenden Positionen im Finanzsektor gearbeitet und war u.a. Mitglied des IIF Commitee on Effective Regulation und des Nationalen Forschungsrates.

chefs haben teilweise wieder das Vor-Krisen-Niveau erreicht. Trotzdem: eine nüchterne Kosten-Nutzen-Abwägung neuer Regulierungsvorhaben ist ein besserer Ratgeber als die modi­ sche Aufbauschung von Altlasten und Einzelfällen. Zwei Zielsetzungen stehen deshalb im Vordergrund der Finanzmarktregulierungen: einerseits die Gewährleistung der Stabilität des Finanzsystems (1) und andererseits der Schutz der Bankkunden, insbesondere der Schutz ihrer Ersparnisse (2). Wie und mit welchen Regeln diese Stabilität zu erreichen ist, wird seit Jahrzehnten intensiv diskutiert. Nach der grossen Finanzkrise der 1930er Jahre sah man die Lösung in der Tren­ nung des traditionellen Kreditgeschäfts vom Investment Banking (Glass Steagal Act), einer Idee, die heute wieder in ein­ zelnen Ländern diskutiert wird. In der Schweiz steht dieser Ansatz nicht im Vordergrund. Der Fokus hierzulande und auch beim Internationalen Basler Ausschuss für Bankenaufsicht liegt vielmehr auf der Stärkung der Eigenkapitalbasis der Ban­ ken. Ziel ist es, dass die Banken in Zukunft Krisen aus eigener Kraft absorbieren können und nicht mehr auf die Hilfe des Staates und damit des Steuerzahlers angewiesen sind. Wie viel Eigenkapital notwendig ist und welches der geeignete Mass­ stab zur Messung der adäquaten Eigenkapitalausstattung dar­ stellt, ist jedoch Gegenstand heftiger Kontroversen. Regulatorische Technokraten haben im Rahmen des Basler Ausschusses einen komplexen und kaum transparenten Mass­ stab entwickelt: Bei diesem wird das Eigenkapital in das Ver­ hältnis zu den risikogewichteten Aktiven gesetzt. Schon die im­ plizite Annahme dieses Ansatzes, wonach man künftige Risiken aufgrund historischer Schwankungen beurteilen kann, ist um­ stritten. Dieses Mass ist zudem derart intransparent, dass die Einhaltung der Eigenkapitalvorschriften weder vom Regulator


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noch von der Politik, geschweige denn von der Öffentlichkeit vollständig verstanden wird. Avenir Suisse und verschiedene Ökonomen haben deshalb einfachere und transparentere Mass­ stäbe vorgeschlagen, etwa die Leverage Ratio, die das Eigenka­ pital im Verhältnis zu den ungewichteten Verbindlichkeiten misst. Solche Massstäbe erhöhen die Transparenz – nicht zu­ letzt für die Kunden – und verringern den Berechnungsaufwand für die Banken und die Behörden signifikant. Einigkeit besteht unter Ökonomen darüber, dass das Eigen­ kapital der Banken erhöht werden muss. Höheres Eigenkapital schafft einen Puffer für jede Art von Krisen, veranlasst den Ver­ waltungsrat und das Management zu sorgfältigem und risikobe­ wusstem Handeln und gibt sowohl Kunden als auch Aktionären zusätzliche Sicherheit. Höheres Eigenkapital ist auch die Haupt­ empfehlung im kürzlich publizierten Bericht der Experten­ gruppe Brunetti.1 Das Gegenargument der Banken, dass dadurch die Refinanzierungskosten stiegen, hält weder einer theoreti­ schen Betrachtung noch der empirischen Überprüfung stand. Kundenschutz Neben Massnahmen zur Verbesserung der Systemstabili­ tät hat sich die Finma der Intensivierung des Kundenschutzes angenommen. Der Grundsatz ist zweifellos richtig: Die Kun­ den sollen transparent und wahrheitsgetreu informiert wer­ den. Mit der zunehmenden Komplexität von Finanzprodukten haben Berechtigung und Bedeutung dieser Art von Regulie­ rung zugenommen. Mit den jüngsten Vorschlägen des Bundes­ rates wird allerdings das Fuder überladen. Ins Auge stechen die ausufernden Informations- und Dokumentationspflichten für Finanzdienstleister. Diese Vorlage des Bundesrates ist ge­ trieben durch die EU-Finanzdienstleistungsrichtlinie Mifid II, geht aber über die EU-Richtlinien hinaus. Den Bankkunden so weit zu entmündigen, wie dies nun der Bundesrat vorsieht, will nicht einmal die EU. Damit ist aber noch nicht genug der Regulierungen für die Banken. Es wird ihnen zusätzlich eine immer grössere Rolle in der Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität und in der Steuer­ eintreibung aufgebürdet. Im Grundsatz ist unbestritten, dass Banken eine Sorgfaltspflicht haben. Bei internationaler Mobili­ tät des Kapitals und abnehmender Steuermoral (sprich: zuneh­ mender Steuerpflicht) dürfen die Banken nicht zu Gehilfen von Steuerbetrügern werden, die das internationale Finanzsystem ausnutzen. Mit dem vereinbarten automatischen Informations­ austausch mit der EU und dem Fatca-Abkommen mit den USA werden den Banken jedoch enorme administrative Lasten und Kontrollaufgaben aufgebürdet, so dass der Eindruck entsteht, sie würden zum verlängerten Arm des nationalen Fiskus. Halten wir resümierend fest: Mit einer grösseren Finanz­ marktstabilität wird ein öffentliches Gut geschaffen, von dem letztlich alle profitieren. Damit wird auch ein unerlässlicher Bei­ trag zum Kundenschutz geleistet – sind die Banken stabil und

krisenresistent, so sind es auch die Ersparnisse des Kunden. Um­ gekehrt muss man sich fragen, ob es neue und dermassen weit­ gehende detaillierte Massnahmen zum Kundenschutz braucht, wie sie der Bundesrat vorgeschlagen hat. Besonders die im Rah­ men der Kleeblattinitiative vorgeschlagenen Vorschriften schiessen in vielen Bereichen über das Ziel hinaus – zum Nach­ teil des Kunden. Auch angesichts der Bemühungen des Bundes, die Banken zur Steuereintreibung einzusetzen, hat der mündige, liberale Zeitgenosse guten Grund, sich Sorgen zu machen. Es stellt sich in diesem Augenblick in der Tat ganz allgemein die Frage, was die Schweiz wirklich von ausländischen Vor­ schriften und Standards übernehmen will. Letztere schränken den verantwortungsvollen Handlungsspielraum hiesiger Ak­ teure massiv ein – ohne das System wirklich stabiler zu machen. Die Behörden sollten sich darum daran erinnern, dass hinter sol­ chen Initiativen nicht nur lobenswerte Absichten stecken, son­ dern auch ganz handfeste kommerzielle Interessen! Was ist zu tun, um die Finanzmarktregulierung wieder in geordnete Bahnen zu lenken und um unnötige, ja kontrapro­ duktive Regulierungen zu verhindern? Ich formuliere ganz allgemein: 1. Bei jeder neuen Regulierung muss zwingend überprüft werden, inwiefern sie zielführend und wirksam ist und ob voraussichtliche unerwünschte Nebenwirkungen auftauchen könnten. 2. Alternative Handlungsoptionen (Regulierungen) sollen evaluiert und einander gegenübergestellt werden. 3. Die Betroffenen sollen bei der Ausarbeitung von neuen Regulierungen in einem frühen Stadium einbezogen werden. Diese Vorschläge stammen nicht von mir, sondern sind den Leitlinien der Finma vom 3. Juli 2013 entnommen. Leider wird ihnen in der Praxis kaum Beachtung geschenkt. Würden sie hingegen ernst genommen und von einer unabhängigen Prüfstelle kontrolliert, wie dies Avenir Suisse vorschlägt, hät­ ten wir in Zukunft wieder einen Finanzplatz, auf den wir alle stolz sein könnten.2 Einen Finanzplatz, von dem alle profitie­ ren: Sparer, Steuerpflichtige, Unternehmer, kurz: jeder Bürger unseres Landes. �

¹ http://www.news.admin.ch/NSBSubscriber/message/attachments/31569.pdf ² Auswege aus dem Regulierungsdickicht, Diskussionspapier von Avenir Suisse, September 2014. Siehe www.avenir-suisse.ch/wp-content/ uploads/2014/09/regulierungsdickicht_hp.pdf

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Der Kunde? Stets ignorant!

Wo endet der Anlegerschutz und beginnt die Bevormundung? Eine Lektüre der neuen EU-Richtlinien über Märkte für Finanzinstrumente zeigt: Die Schweiz sollte besser die Finger davon lassen. von Thomas Hauser

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as hat ein Anlageprodukt mit einem Staubsauger ge­ meinsam? Beide werden von den Brüsseler Bürokraten unter angeblich guten Vorwänden – Umweltschutz und Anle­ gerschutz – bis ins Detail reglementiert. Während die Verord­ nung 666/2013 der Europäischen Kommission die früher übli­ che Staubsaugerleistung von 2000 Watt auf künftig 900 Watt beschränkt, reglementiert die Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente (Mifid I/II) den Umgang mit Anlageproduk­ ten. Und was tut die Schweiz? Unter dem Vorwand der Not­ wendigkeit einer äquivalenten Regulierung zur Sicherung des Marktzugangs in den EU-Raum übernimmt sie dieses Bürokra­ tiemonster und verschärft es stellenweise sogar. Die Ausarbei­ tung des Finanzdienstleistungsgesetzes (Fidleg) und des Finanzinstitutsgesetzes (Finig) ist auf der Ziellinie. Allein, fra­ gen wir unbotmässig: Bringen diese Regelwerke wirklich einen besseren Anlegerschutz und den Marktzugang? Die Antwort ist kurz und bündig: Nein. Der Marktzugang ist damit nicht gewährleistet. Für den Marktzutritt sind jeweils die einzelnen EU-Mitglieder zustän­ dig; diese können an Zutrittsbeschränkungen trotz ähnlicher Schweizer Regeln festhalten. Es bleibt also die Hoffnung auf einen besseren Anlegerschutz. Berechtigterweise? Zweifel sind angebracht. Ein guter Anlegerschutz steht auf drei Säu­ len. Das sind erstens einfache Regeln, die dem Anleger den Zugriff auf Informationen sichern, auf deren Grundlage er eigenverantwortlich entscheiden kann. So ist es beispiels­ weise richtig, dass versteckte Kosten, Retrozessionen und Ver­ triebsentschädigungen offengelegt werden. Nur so kann der Anleger abschätzen, ob der Berater einem latenten Interessen­ konflikt unterliegt. Zweitens müssen sich Anleger effizient zur Wehr setzen können, wenn ein systematischer Missbrauch seitens eines Anbieters vorliegt. Und drittens muss die Straf­ verfolgung rasch und mit aller Härte erfolgen. Nach den Bausteinen dieser drei Säulen habe ich im Finanz­ dienstleistungsgesetz gesucht. Beginnen wir mit der Bereitstel­ lung von Informationen. Was benötigt der Anleger für den ei­ genverantwortlichen Entscheid? Diese Frage scheint aus FidlegSicht falsch gestellt. Denn aus Sicht des Gesetzgebers kann der

Thomas Hauser ist promovierter Ökonom und arbeitet als geschäftsführender Partner der Dr. Pirmin Hotz Vermögensverwaltungen AG.

Anleger per definitionem nicht eigenverantwortlich entschei­ den, folglich muss er beschützt – das klingt besser als bevormun­ det – werden. Damit entzieht der Staat dem Anleger die ultima­ tive Verfügungsgewalt über sein Eigentum. Wenn beispielsweise eine erfolgreiche Unternehmerin mittleren Alters nach dem Firmenverkauf für sich entscheidet, die Hälfte der Mittel in ein Aktienmandat zu legen, geht das nicht ohne weiteres. Sie muss dem jungen Banker ermöglichen, eine Eignungsprüfung hin­ sichtlich ihrer Anlagevorhaben vorzunehmen. Dazu hat sie ihre finanziellen Verhältnisse und Anlageziele offenzulegen. Tut sie das nicht, darf er kein Mandat annehmen. Der angestellte Banker wird gewissermassen per Staatsdekret zum Vormund der Unternehmerin. Da wird der Bock zum Gärtner gemacht! Selbst­ verständlich ist es zentral, die Eignung (oder Nichteignung) einer Anlagestrategie oder eines Produktes aufzuzeigen – aber nur, wenn die Anlegerin dies will. Statt mit klaren Informationen über Kosten und mögliche Interessenkonflikte wird der Anleger künftig mit einer Papier­ lawine zugedeckt. Er wird kaum mehr zwischen wichtigen und unwichtigen Informationen unterscheiden können. Bei vielen Dokumenten wird er unterschreiben müssen, dass er die ein­ schlägigen Risiken kenne und damit einverstanden sei. Bei einer solchen Papierschlacht gewinnt stets die Bank oder der Vermögensverwalter. Während die Anlegerin nach der Fi­ nanzkrise allenfalls vor Gericht geltend machen konnte, schlecht beraten worden zu sein, wird bei der nächsten Krise die Bank auf ein Dokument verweisen können, das die Anlege­ rin unterzeichnet hat. Eine besonders groteske Wirkung kann die – auf den ers­ ten Blick sinnvoll anmutende – Angemessenheitsprüfung haben, in deren Zuge der Finanzdienstleister prüft, ob die Kundin die nötigen Kenntnisse und Erfahrungen für den Erwerb eines Finanzproduktes aufweist. Dies ist im Rahmen 33


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von telephonischen Beratungsmandaten derart schwer um­ setzbar, dass in Deutschland seit der Einführung von Mifid Be­ ratungsmandate eine aussterbende Spezies sind. Stattdessen tätigen die Kunden die Anlagen ohne Beratung – es bleibt of­ fen, ob dies die Anleger besser schützt. Bei Vermögensverwal­ tungsmandaten, bei welchen der Kunde die Anlageentschei­ dung an den Vermögensverwalter abtritt, hat die Angemessen­ heitsprüfung in Deutschland dazu geführt, dass seitenlange Fragebogen auszufüllen sind: Wie viele Aktientransaktionen hat der Anleger in den letzten 12 Monaten ausgeführt? Wie viele Währungswechsel hat er in dieser Zeitspanne vorgenom­ men? Seit wie lange hat er Erfahrung mit riskanten Anlagen wie strukturierten Produkten? Was der Gesetzgeber vergessen hat: Oft vergeben Kunden, gerade weil sie keine Erfahrung ha­ ben, ein Vermögensverwaltungsmandat. Beim Abfragen der Erfahrung beisst sich somit die Katze in den Schwanz. Darum gilt wie bei einer Beziehung: Prüfe, wer sich bindet! Eine lange Liste möglicher Folgen des Zusammenseins hilft nicht weiter. Der Anleger muss überzeugt sein, einen kompetenten, kun­ denorientierten und ehrlichen Anbieter ausgewählt zu haben – es geht mithin um Vertrauen. Dieser Entscheid kann ihm aber in einer freien Gesellschaft niemand abnehmen. Und die­ ser Entscheid kann sich im Nachhinein – leider – als falsch herausstellen. Dort greift dann der zweite Baustein eines guten Anleger­ schutzes, die rechtlichen Verteidigungsmöglichkeiten. Das Fid­leg sieht insbesondere eine obligatorische Ombudsstelle, einen Prozesskostenfonds, die Beweislastumkehr und Sam­ melklagen vor. Der Anleger soll sich zur Wehr setzen können, wenn ein Finanzdienstleister systematisch falsch berät. Eine unvorteilhafte Wertentwicklung ist für den Kunden das offen­ sichtlich Wahrnehmbare, sie ist aber kein hinreichendes Indiz für eine falsche Beratung. Man könnte jedoch unterstellen, dass der Anleger durch das Fidleg geradezu zum Beschreiten des Rechtsweges animiert werde. Vor Beginn der Zusammen­ arbeit wurde er von der Bank informiert, an welche Ombuds­ stelle er sich im Falle von Problemen wenden könne. Zudem weiss der Kunde aber, dass alle Finanzdienstleister einen Pro­ zesskostenfonds speisen müssen, damit er gratis klagen kann. Und als Krönung gilt noch die Beweislastumkehr: Der Finanz­ dienstleister gilt grundsätzlich als schuldig, ausser er kann be­ weisen, dass er alles richtig gemacht hat! Die Beweislastum­ kehr entspricht nicht unserer Rechtstradition, wonach der, der einen Schaden geltend machen will, diesen auch belegen muss. Die Beweislastumkehr gilt nicht einmal im Umgang mit Ärzten und Spitälern, wo es um Leben und Tod gehen kann und nicht «bloss» um Geld. Die Beweislastumkehr erscheint als reine Strafaktion gegen die Finanzbranche. Der dritte Baustein des Anlegerschutzes ist die effiziente Strafverfolgung. Hierzu ein Beispiel: Erinnern Sie sich an den Milliardenbetrüger Madoff, der über Jahre ein Schneeballsys34

tem unterhalten und einen Schaden von rund 50 Milliarden Dollar verursacht hat? Er wurde in den USA im Dezember 2008 verhaftet. Ein halbes Jahr später wurde er zu 150 Jahren Gefängnis verurteilt. Erinnern Sie sich auch noch an Dieter Behring? Sein Imperium mit Schaltzentrale in Basel kollabierte 2003; er wurde 2004 vorübergehend verhaftet. Es sollen rund 2000 Geschädigte 820 Millionen Franken verloren haben. Die ersten mutmasslichen Taten sind bereits verjährt, angeklagt ist er noch nicht. Was helfen noch so detaillierte Regeln, wenn die grossen Rechtsfälle nicht speditiv abgearbeitet werden? Ähnliche Tendenzen sind in der Schweiz auch im Bereich Insi­ derhandel zu beobachten. Was wir in der Schweiz brauchen, ist nicht eine Vielzahl neuer Regeln, sondern eine effizientere Strafverfolgung. Das Kopieren dieser bürokratischen Regulierung von der EU hat weitere Folgen: Die Kosten bei den Finanzdienstleis­ tern und bei der Behörde steigen, ohne wirklichen Kunden­ nutzen zu erzeugen. Letztlich werden die Konsumenten von Finanzdienstleistungen diese Kosten tragen müssen, was der bei den aktuellen Zinsen ohnehin tiefen Rendite zusetzen dürfte. Zudem führt das Errichten regulatorischer Hürden zu Marktzutrittsbeschränkungen; davon profitieren die grossen Finanzdienstleister. Die im Markt verbleibenden Anbieter dürfte dies freuen. Dass jene profitieren, die die Finanzkrise und die Regulierungswelle mitzuverantworten haben, wirkt stossend. Ironie der Geschichte ist, dass diese grossen Fi­ nanzdienstleister auch bisher schon vom Regulator eng über­ wacht worden sind – gebracht hat dies offensichtlich wenig. Die beste Garantie für eine gute Dienstleistungsqualität wären geringe Markteintrittshürden, wenn also nicht nur bisherige Anbieter ausscheiden, sondern auch neue ungehin­ dert dazustossen könnten. Wettbewerb ist auch Anleger­ schutz! Das Argument des Anlegerschutzes wird dann ad absurdum geführt, wenn der Gesetzgeber mittels Übergangs­ regelung jene Vermögensverwalter von der Bewilligungs­ pflicht ausnehmen will, die 15 Jahre im Markt sind und keine neuen Kunden mehr annehmen. Entweder sollte das gewerb­ liche Verantwortungsbewusstsein hochgehalten werden, dann steht eine so bürokratische Gesetzgebung quer in der Landschaft, oder der Gesetzgeber ist von der Notwendigkeit eines solchen Anlegerschutzes überzeugt, dann soll er aber für alle Anbieter und Kunden gelten! Nochmals zurück zur Analogie zum Staubsauger respektive zum Umweltschutz: Hauptsache, der Staubsauger braucht weni­ ger Energie, egal ob er noch wirkungsvoll saugt. Muss deshalb länger gesaugt werden, bringt der gedrosselte Staubsauger statt Umweltschutz Umweltschmutz. Das gilt auch beim Anleger­ schutz: Will der Gesetzgeber zu viel im Detail, bewirkt er insge­ samt das Gegenteil. Einen guten Schutz bietet Bildung; vermut­ lich würde man mehr erreichen, wenn auch der Umgang mit Geld ein Thema an den Grundschulen würde. �


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Executive Summary 1 Der Bankenplatz Schweiz befindet sich im einschneidendsten Umbruch seit Jahrzehnten; angesagt sind Mut und Zuversicht, nicht die Verteidigung des Status quo.

Impressum «Schweizer Monat», Sonderthema 21 ISSN 0036-7400 Die Zeitschrift wurde 1921 als «Schweizerische Monatshefte» gegründet und erschien ab 1931 als «Schweizer Monatshefte».

2 Die Schweiz braucht keine bundesrätlich beschlossene Finanzmarktindustrie, sondern eine schlanke Rahmengesetzgebung, die den Bankinstituten unternehmerischen Freiraum bietet. 3 Die Finma, die die Banken beaufsichtigt, schafft mit Rundschreiben neues Recht; sie bedarf selbst der Aufsicht bzw. eines klaren Auftrags im Rahmen geltenden Rechts.

Seit 2011 heisst sie «Schweizer Monat». VERLAG SMH Verlag AG HERAUSGEBER & CHEFREDAKTOR René Scheu (RS): rene.scheu@schweizermonat.ch PROJEKTLEITUNG Serena Jung (SJ/Bildredaktorin & persönliche Mitarbeiterin des Herausgebers): serena.jung@schweizermonat.ch

4 Die neuen Finanzgesetze (Finfrag, Fidleg, Finig) verunsichern Mitarbeitende, entmündigen die Kunden und begünstigen grosse Institute; nötig sind nicht neue Regulierungen auf Tausenden von Seiten, sondern mehr nachvollziehbare Prinzipien in wenigen Punkten. 5 Die Probleme des «Too big to fail» bedürfen sieben Jahre nach Ausbruch der Finanzkrise einer einfachen Lösung: mehr Eigenkapital für die Banken, das sich einfach messen lässt, ohne undurchschaubare Modelle der Risikogewichtung.

KORREKTORAT Roger Gaston Sutter Der «Schweizer Monat» folgt den Vorschlägen zur Rechtschreibung der Schweizer Orthographischen Konferenz (SOK), www.sok.ch. GESTALTUNG & PRODUKTION Pascal Zgraggen: pascal.zgraggen@aformat.ch GESTALTUNG COVER & THEMENBILDER Dorothee Dähler: email@dorotheedaehler.ch Kaj Lehmann: email@kajlehmann.ch MARKETING & VERKAUF Roger Pfranger: pfranger@bamedia.ch ADMINISTRATION/LESERSERVICE

6 Banken sind keine Casinos, sondern Dienstleister; im Zentrum stehen der Kunde und dessen Bedürfnisse.

Anneliese Klingler (Leitung): anneliese.klingler@schweizermonat.ch Jeanne Schärz: jeanne.schaerz@schweizermonat.ch ADRESSE

7 Glaubwürdigkeit zurückgewinnen lässt sich durch eine Vereinfachung der Vergütungssysteme und ein Bekenntnis zu unternehmerischem Handeln: ein symmetrisches Bonus-Malus-System und die Gewährleistung, dass Entscheid und Haftung zusammengehören.

«Schweizer Monat» SMH Verlag AG Rotbuchstrasse 46 8037 Zürich +41 (0)44 361 26 06 www.schweizermonat.ch

8 Das Bankkundengeheimnis ist passé, wohl bald auch im Inland: Das Kerngeschäft der helvetischen Banken liegt in der dienstleistungs­ orientierten Verwaltung versteuerter Vermögen wohlhabender inländischer und ausländischer Kunden.

ANZEIGEN anzeigen@schweizermonat.ch PREISE Jahresabo Fr. 195.– / Euro 143.– 2-Jahres-Abo Fr. 350.– / Euro 260.– Abo auf Lebenszeit / auf Anfrage

9 Die Schweiz verfügt über Wettbewerbsvorteile, die es aktiv zu propagieren gilt: hervorragend ausgebildete Leute, ausgebaute Infrastruktur, politische Stabilität, intaktes Image unter ausländischen Bürgern. 10 Die Digitalisierung des Bankengeschäfts ist eine grosse Chance: je informierter der Kunde, desto wichtiger der Austausch mit einem kompetenten Berater; je schneller die Welt, desto wichtiger eine langjährige Beziehung zwischen Kunde und Banker.

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Einzelheft Fr. 22.– / Euro 18.– Studenten und Auszubildende erhalten 50% Ermässigung auf das Jahresabonnement. DRUCK Vogt-Schild Druck AG, Derendingen www.vsdruck.ch BESTELLUNGEN www.schweizermonat.ch


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