977 (April/Mai 2010)

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Dossier:

Sind Sie urban? Stadtleben heute

Eigenwillig! Die Stärken der Schweiz

Auf ins Ausland ! Exportförderung & Commercial Diplomacy

Dossier:

Und der Ernstfall? Die Schweiz & die Sicherheit

975 Dossier Gutes & schlechtes Geld Unternehmergespräch Filippo Leutenegger Werkgespräch Gion Mathias Cavelty Galerie James Licini

Dossier:

Gutes & schlechtes Geld

SCHWEIZER MONATSHEFTE 975 Zeitschrift für Politik Wirtschaft Kultur / seit 1921

Januar / Februar 2010 Fr. 17.50 / € 11.00

Unternehmergespräch Johann SchneiderAmmann Werkgespräch Perikles Monioudis Galerie Willi Facen

März 2010 Fr. 17.50 / € 11.00

Dossier:

Andri Pol

974 Dossier Und der Ernstfall? Die Schweiz & die Sicherheit

Zeitschrift für Politik Wirtschaft Kultur / seit 1921

November 2009 Fr. 17.50 / € 11.00

Rita Ernst

SCHWEIZER MONATSHEFTE 976

Zeitschrift für Politik Wirtschaft Kultur / seit 1921

Unternehmergespräch Dieter Meier Werkgespräch Friederike Kretzen Galerie

976 Dossier Stop! – mein Konto! Aus aktuellem Anlass Volkswahl des Bundesrates Werkgespräch Max Rüdlinger Galerie Felice Varini

SCHWEIZER MONATSHEFTE 977 Zeitschrift für Politik Wirtschaft Kultur / seit 1921

April / Mai 2010 Fr. 17.50 / € 11.00

Gutes besser tun – Trends im Schweizer Stiftungswesen

Dossier:

SCHWEIZER MONATSHEFTE 973

972 Dossier Eigenwillig! Die Stärken der Schweiz

Oktober 2009 Fr. 17.50 / € 11.00

Zeitschrift für Politik Wirtschaft Kultur / seit 1921

August/September 2009 Fr. 17.50 / € 11.00

973 Dossier Auf ins Ausland! Exportförderung & Commercial Diplomacy Unternehmergespräch Werner Kieser Lyrik Felix Philipp Ingold Galerie

Zeitschrift für Politik Wirtschaft Kultur / seit 1921

SCHWEIZER MONATSHEFTE 971 Dossier:

Mai-Thu Perret

SCHWEIZER MONATSHEFTE 972

Aufgewacht? Die Folgen der Finanzkrise

Juli 2009 Fr. 17.50 / € 11.00

Zeitschrift für Politik Wirtschaft Kultur / seit 1921

Dossier:

Unternehmergespräch Dimitri Werkgespräch Urs Faes Galerie

Dezember 2009 Fr. 17.50 / € 11.00

Unternehmergespräch Fredmund Malik Werkgespräch Klaus Merz Galerie Luciano Rigolini

Mai / Juni 2009 Fr. 17.50 / € 11.00

Stop – mein Konto!

SCHWEIZER MONATSHEFTE

Zeitschrift für Politik Wirtschaft Kultur / seit 1921

Zeitschrift für Politik Wirtschaft Kultur / seit 1921

971 Dossier Sind Sie urban? Stadtleben heute

970 Dossier Hingehen? Die Festivalisierung der Kultur

Hingehen? Die Festivalisierung der Kultur

SCHWEIZER MONATSHEFTE 970

Nic Hess

Dossier:

SCHWEIZER MONATSHEFTE 974

Unternehmergespräch Daniel Model Aus dem Fundus Hermann Burger Galerie

SCHWEIZER MONATSHEFTE 969

Dossier:

969 Dossier Aufgewacht? Die Folgen der Finanzkrise

Dossier:

Jahresabo


« Bei wie vielen Schweizer Banken haften die Entscheidungsträger noch persönlich?»

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In der Schweiz sind noch 14 Privatbanken tätig. Die geschäftsführenden Teilhaber dieser Banken haften persönlich und unbeschränkt mit ihrem Vermögen und können sich auch nicht über Déchargen der Verantwortung entziehen. Bei Wegelin & Co. Privatbankiers obliegt die Führung acht unbeschränkt haftenden Teilhabern: Ein Bekenntnis gegenüber unseren Kunden. Wir bei Wegelin & Co. sind täglich auf der Suche nach Fragen und Antworten, die Sie als Anleger beschäftigen. Stellen auch Sie Ihr Wissen unter Beweis und nehmen Sie am Wegelin Wissenswettbewerb teil.

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SCHWEIZER MONATSHEFTE

.2010 luss : 20.06

Zeitschrift für Politik Wirtschaft Kultur

Gerade in bewegten Zeiten schätzt man eine kompetente Wirtschaftsberichterstattung, die weder dramatisiert noch bagatellisiert. Die «Neue Zürcher Zeitung» bleibt nicht an der Oberfläche. Vielmehr bringt sie kluge Analysen, klare Kommentare und spannende Reportagen. Dies gilt selbstverständlich auch für die Themen Politik, Gesellschaft, Kultur und Sport. Im Jahresabonnement inbegriffen sind die Magazine «NZZ Folio», «NZZ campus», «Z – Die schönen Seiten» und «NZZ Chronik», zahlreiche interessante Sonderbeilagen sowie der Online-Zugriff auf «NZZ Global», die digitale Ausgabe der «Neuen Zürcher Zeitung». Für Informationen und Abo-Bestellungen: Tel. 044 258 15 30, leserservice@nzz.ch oder www.nzz.ch/abo Valentin Hauri, «Favourites», 2010


Inhalt April / Mai 2010

Editorial

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Galerie Valentin Hauri

Tabula rasa – und dann die Kunst Suzann-Viola Renninger

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Positionen Gedankensplitter Schweiz & Swissness Neue Verbotskultur Sozialstaat & Leistung Finanzielle Privatsphäre Christliche Leitkultur I Christliche Leitkultur II

Sieg der SP. Neuer Realismus. Staatsunternehmer René Scheu Die verlorene Swissness der Schweiz Max Frenkel Killerspiele: Verbieten verboten Christian P. Hoffmann Die fetten Jahre sind vorbei Michael Stürmer Mehr Klarheit für das Bankgeheimnis Stefan Tobler Freies, wahrhaftes Christentum Peter Ruch Wahrhaft befreiter Glaube Andreas Fischer

6 7 8 10 12 14 15

Debatte Die Schweiz & die EU

Wir haben nichts zu sagen Frédéric Walthard

17

Dossier

Gutes besser tun Trends im Schweizer Stiftungswesen

1 2 3 4 5 6 7 8 9

Auftakt 19 Vom Umgang mit philanthropischen Tücken Philipp Egger 20 Freiheit, nicht Willkür S.-V. Renninger im Gespräch mit Myriam Gebert 23 Dilemma zwischen Auftrag und Management Georg von Schnurbein 26 Der «Swiss Foundation Code 2009» Parisima Vez 28 Nur wache Stiftungen erfüllen ihren Zweck Peter Spinnler 30 Muss es denn eine selbständige Stiftung sein? Stephan Burla 34 Tips fürs Anlegen Martin Janssen 36 Lasst uns Spass haben, solange wir leben Thomas Sprecher 38 Kooperationen: mehr als gemeinsame Finanzierung Jordi Montserrat 40

SMH-Gespräch Liberalismus

«Gegen Macht hilft nur Gegenmacht» René Scheu trifft Wolfgang Sofsky

42

Aus aktuellem Anlass Chinas Zukunft, unsere Zukunft

1/2 Auf dem Altar der Moderne geopfert Joachim Starbatty 2/2 Leistung statt Sozialneid Urs Schoettli

48 50

Bücher 12 Schweizer Autoren

Kurzkritik XXIV

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Anstoss Was heisst denn hier Freiheit?

Rolf Dobelli

63

Vorschau / Impressum

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Nr.977 April / Mai 2010 Schweizer Monatshefte


schweizer monatshefte Zeitschrift für Politik Wirtschaft Kultur

Max Frenkel, Seite 7

«Schweizertum ist zur Swissness geworden, einer Werbeetikette, die mit jenem kaum noch etwas zu tun hat. Und wenn morgen ein Pariser Modemacher wieder Perücken einführen würde: in der Hauptstadtregion Bern würden sie getragen.»

Myriam Gebert im Gespräch mit Suzann-Viola Renninger, Seite 24

«Nach meiner Erfahrung erfolgen Gründungen von Stiftungen oft mit zu grosser Leichtfertigkeit. Es gibt nur wenige Juristen, die genügend Erfahrungen mit Stiftungen haben. Bei einer Neugründung nehmen sie häufig das Beispiel einer schon existierenden Stiftung als Vorbild.»

Martin Lüdke, Seite 62

«Auch in diesen ‹Entwürfen zu einem dritten Tagebuch› hat Frisch, und zwar naturgemäss, wieder seinen Fall zur Welt gemacht. Dem Agnostiker Max Frisch zuliebe sollten wir deshalb laut und deutlich Gott sei Dank sagen.» 2

Nr.977 april / Mai 2010 Schweizer Monatshefte


Editorial

Liebe Leser Seit der Annahme der Anti-Minarett-Initiative wird viel über christliche Werte debattiert. Brauchen wir tatsächlich eine christliche Leitkultur, wie nun viele angesichts der islamischen Herausforderung wollen? Mehr darüber, wie weit Religionsfreiheit gehen soll, lesen Sie ab S. 14 von zwei evangelisch-reformierten Pfarrern. – Und wie weit ist Freiheit überhaupt zumutbar? Ein Streitgespräch mit dem Soziologen Wolfgang Sofsky (S. 42 ff.).

Valentin Hauri, «Today!», 2008

Täglich lesen wir von Bedeutung und Zukunft des «Finanzplatzes Schweiz». Nur wenige wissen, dass es auch einen Stiftungsstandort Schweiz gibt. Er ist dabei, sich als einer der innovativsten europaweit zu positionieren. Grund genug, ihm ein Dossier zu widmen (S. 19 ff.). China ist für viele im Westen das gelobte Land: Aussicht auf Wirtschaftswachstum, auf neue Märkte, auf Renditen. Wie nachhaltig ist diese Entwicklung? Dem deutschen Ökonomen Joachim Starbatty zufolge stehen China die neuen Krisen erst noch bevor. Anders sieht dies Buchautor Urs Schoettli: die Chinesen würden uns «schlaffe Europäer» bald überholen. (S. 48 ff) Von überall sind Klagen zu hören, die Buchkritik werde immer weniger gepflegt. Nicht so bei uns. Seit drei Jahren besprechen wir in jeder Ausgabe Bücher von Schweizer Autoren – Belletristik, Lyrik und Sachbuch. Lesen Sie neue Rezensionen in der vierundzwanzigsten Folge der «Schweizer Autoren in Kurzkritik» (S. 52 ff.). Zwei neue Mitarbeiter werden unser Team ergänzen. Barbara Dieth wird künftig die Administration leiten, der Historiker Florian Rittmeyer die Redaktion unterstützen. Wir heissen beide herzlich willkommen. Suzann-Viola Renninger & René Scheu

Nr.977 april / Mai 2010 Schweizer Monatshefte

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Galerie Valentin Hauri

Tabula rasa – und dann die Kunst Der Künstler Valentin Hauri Suzann-Viola Renninger

Tabula rasa. Das unbeschriebene Blatt. Die weisse Leinwand. Das leere Atelier. Weissgekalkte Wände. Weiss auch die breiten Papierbahnen, die statt eines Teppichs ausgelegt sind. Grosse Fenster mit Blick auf Brachland, viel Licht. An den Wänden nur zwei, drei Bilder. Der erste Entwurf gilt. Und wenn er nichts wird? Dann wird die Leinwand vom Holzrahmen gelöst, um die Rolle mit den anderen verworfenen Versuchen gewickelt, die bemalte Seite immer nach innen. Altpapier. Valentin Hauri gibt sich jeweils nur eine Chance. Daher nimmt er sich zuvor viel Zeit, um die Idee für das Bild zu entwickeln. Während er nachdenkt und sucht, grundiert er eine Leinwand. Pinselstrich um Pinselstrich. Weiss auf Weiss. Ist die Schicht getrocknet, schleift er sie von Hand mit Schmirgelpapier ab. Dann trägt er die zweite Schicht auf. Pinselstrich um Pinselstrich. Weiss auf Weiss. Und beginnt wieder zu schleifen. Viermal wiederholt er die beiden Arbeitsgänge, bis die Leinwand glatt ist und keine Unebenheiten mehr zu fühlen sind. Er meditiert und holt die nächste Leinwand zur Bearbeitung hervor. Grundieren, schmirgeln, grundieren, schmirgeln. Tagelang. Der Stapel vorbereiteter Leinwände wächst. Neun von zehn werden irgendwann, als Altpapier aufgerollt, in der Ecke stehen. Tabula rasa. Ob Scheitern oder Gelingen. Noch ist es offen. Die abgeschmirgelte Farbe liegt als weisser Staub auf dem Maler und in jedem Winkel des Ateliers. Ein Stapel weisser Leinwände. Eine wird überdauern. Trägerin des Bildes. Alla-prima-Malerei wird die nur selten verwendete Technik genannt, eine vom Maler sich selbst auferlegte Begrenzung, das Gemälde in einem einzigen, raschen Arbeitsgang entstehen zu lassen. Valentin Hauri korrigiert, retuschiert oder übermalt niemals. Dabei wäre das so einfach, ist die Ölfarbe erst einmal getrocknet. Man kann seine Arbeitsweise auch als genau geplantes Experiment ansehen. Das mal

gelingt, mal nicht. Wie die Experimente eines Naturwissenschafters, der seine Thesen testet – mit offenem Ausgang. Zum wissenschaftlichen Fortschritt oder gar Durchbruch verhilft nur eines von vielen. Experimente haben Vorgänger: andere Experimente, bei denen oft nur ein Parameter variiert wird. Die Vorgänger von Valentin Hauris Alla-prima-Malerei sind in Schuhschachteln versammelt. Postkarten, Ausrisse aus Zeitschriften, Katalogen oder Büchern, vieles abgegriffen, meist Reproduktionen von Kunst. Fast keine akademische Malerei, dafür Werke von Aussenseitern, das ist ihm wichtig. Darunter gemischt finden sich Umschläge von Büchern oder Titelblätter von Zeitschriften1). In der langen Vorbereitungsphase, in der Valentin Hauri grundiert und schleift, denkt er über die abstrakte Umsetzung einer dieser Vorlagen nach. Besonders wichtig sind für den Künstler die Werke der Sammlung Prinzhorn in Heidelberg und der Collection de l’Art Brut in Lausanne, alles Arbeiten autodidaktischer Einzelgänger, häufig in der Psychiatrie oder in Strafanstalten entstanden, lange Zeit bevor die Kunsttherapie eingeführt wurde. «Authentisch, kunstfern, visionär» nennt Valentin Hauri sie und beschreibt, wie die Bilder des Konditors Francis Palanc, der diese mit Gebäckspritze und Sieb herstellte und sie bisweilen im Wutanfall auch wieder zerstörte, seine Augen zum Leuchten gebracht hätten. Schon die Avantgardisten der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, etwa André Breton, Jean Dubuffet, Paul Eluard, Max Ernst, Wassily Kandinsky oder Paul Klee, faszinierte an der Kunst der Autodidakten, auf die man damals erst aufmerksam zu werden begann, dass sie von den Erwartungen der Gesellschaft und den Prägungen der Kultur unberührt schien. Jean Dubuffet, der den Ausdruck «art brut» prägte und dessen Sammlung in der Collection de l’Art Brut aufbewahrt wird, schrieb 1945 über die «Zeichnungen, Gemälde, Kunstwerke aller Art», sie seien «von Unbekannten, von

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Galerie Valentin Hauri

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Fotos: S.-V. Renninger

Besessenen geschaffen, durch spontane Impulse entstanden, von Phantasie und Tollheit beseelt und nicht an die alten Gleise der katalogisierten Kunst gebunden». Valentin Hauris Kunst ist eine Hommage an die Aussenseiter, eine Huldigung an die meist unbekannten Künstler und an das Leben in existentiellen Randbereichen. In den Werken der Art brut erkennt er Visionen, die frei sind von dem Ehrgeiz der sich im Kreise drehenden akademischen Kunst, schön, gefällig oder effektvoll zu sein. Indem er die Werke der Aussenseiter als Vorlage und Inspiration nimmt, experimentiert er mit ihren Visionen und versucht, sie mit den ihm eigenen künstlerischen Mitteln auszuarbeiten, zu interpretieren, weiterzuentwickeln. Aus dem «Wunderhirten» von August Natterer, entstanden zwischen 1911 und 1913, wird so der «Vanishing Act».2) Der fragile Hirte mit Stab und Hund, der in türkisblauer Leere zweifach geschützt in der Körperbeuge einer Schlangenfrau sowie einer Art Fussmeerjungfrau wacht, verwandelt sich in einen abstrakten Körper in mönchisch kühlen Farben und mit abwartender Gestik, der vor seinem eigenen Nachvornedrängen zurückzuweichen scheint. Weiss und leer das Atelier, weiss und leer die vorbereiteten Leinwände. Weiss und leer müsste auch der Kopf sein,

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frei von den «alten Gleisen der katalogisierten Kunst», bar aller gesellschaftlichen Erwartungen und Prägungen. Die Kunst der Aussenseiter, «von Unbekannten, von Besessenen», verheisst einen Zugang. Tabula rasa zuerst – und dann die Kunst. 1) Nachdem die Entscheidung für das Bild des Titelblatts der vorliegenden Ausgabe gefallen war – wir kannten die Vorlage zu Valentin Hauris Bild vorgängig nicht –, stellte er uns das Titelblatt einer chinesischen Zeitschrift zu. «Today!» steht oben geschrieben, darunter zwei chinesische Schriftzeichen: «Jetzt» «Tag». So fanden via Kunst die Titelblätter einer kommunistischen und einer liberalen Zeitschrift überraschend zusammen.

*** Valentin Hauri wurde 1954 in Baden, Kanton Aargau, geboren. Von 1976 bis 1980 studierte er bei Franz Fedier an der Schule für Gestaltung in Basel. Nach zwei Jahren in Paris zog er sich für vier Jahre aufs Land, ins Künstlerhaus Boswil, zurück. Er heiratete, zwei Söhne kamen zur Welt. Seit 1986 wohnt und arbeitet er in Zürich, unterbrochen durch lange Arbeitsaufenthalte in Rom, Paris, New York, London und Bangalore. (www.valentinhauri.ch, Fotos aller Abbildungen: F. Bertschinger, Zürich) Die Ausstellung «Valentin Hauri und die Sammlung Prinzhorn» ist bis zum 6. Juni 2010 in Heidelberg zu sehen.

S. 61

Karte

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gedankensplitter

Gedankensplitter über einige merkwürdige Entwicklungen, von René Scheu

1

Etatistischer Mainstream? Der Sieg der Sozialdemokratie

«Warum verliert die SP ständig?» fragt sich Hans-Jürg Fehr, Hauptverfasser des neuen Parteiprogrammentwurfs, in einem Interview mit der softbürgerlichen «Wochenzeitung». Er beantwortet die selbstgestellte Frage auch gleich selbst, doch überzeugen ihn die eigenen Antworten irgendwie nicht. Wir hätten da eine Idee, Herr Fehr. Die SP hat nicht gemerkt, dass sie bereits alles erreicht hat. Sie ist – im

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Sozialstaat am Ende? Die neuen Realisten

Nachtrag zur letzten Volksabstimmung. Das Schweizervolk hat die Senkung des Umwandlungssatzes der angesparten Pensionskassengelder von 6,8 auf 6,4 Prozent klar abgelehnt. Was folgern wir daraus? Die Bezüger wollen keine Leistungskürzungen oder, im etatistischen Jargon, sie wollen keinen «Sozialabbau». Die Etatisten geben also – auch hier – den Ton an. So könnte man denken. Aber vielleicht

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wenig in Turbulenzen, bittet sie den Staat (notfalls auch den Superstaat EU) um Hilfe. Und sie bekommt Hilfe. Denn keine Schuld trifft sie. Zwar trifft auch den Staat oder die EU keine Schuld. Doch der Staat will um jeden – jeden – Preis Arbeitsplätze erhalten. Der zeitgenössische Korporatismus ist geboren.

Schöner EU-Traum? Böses Erwachen

Die europäische Währungsunion begann mit einer Illusion: einer Währung für gänzlich verschiedene Volkswirtschaften und Staaten. Es war die Fortsetzung eines politischen Traums mit dem wirtschaftlichen Zwangsmittel einer superstaatlichen Einheitswährung. Die 1992 eingeführten Maastrichter Stabilitätskriterien taugten damals sowenig wie heute. Nun droht Griechenland der Bankrott – aber schon ist klar, dass die EU «solidarisch» einspringt. In der Warteschleife drehen Italien, Portugal und Spanien und werden Gleichbehandlung 6

ist es genau umgekehrt. Vielleicht waren die Nein-Stimmer die Avantgarde der neuen Realisten. Sie wissen, dass der real existierende Sozialstaat den Zenit überschritten hat. Also nehmen sie, was sie können. Das ist zwar zynisch (und nicht eben solidarisch). Aber es ist realistisch.

Unternehmergeist? Staatsunternehmer!

Es gibt Zeiten, da assoziiert man mit «Unternehmergeist» risikofreudige Leute, die von einer Idee und deren Umsetzung besessen sind. Sie liefern sich dem Diktat des Konsumenten freiwillig aus: er kauft, oder er kauft nicht. Läuft das Geschäft, legt der Unternehmer Geld auf die Seite; läuft es nicht, nimmt er vom Ersparten und investiert es. So verläuft’s in Pionierzeiten. Solche sind in Europa vorbei. Gerät eine Fluggesellschaft wegen etwas Vulkanstaub ein

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Sinne von Gramscis Konzept der «kulturellen Hegemonie» – die mit Abstand erfolgreichste Partei der letzten Jahrzehnte. Der Etatismus, den sie vertritt, ist zum politischen Mainstream auch der Bürgerlichen geworden. Wir leben in der sozialdemokratischsten aller bisher möglichen Welten. Die SP verliert ständig, weil sie bereits gewonnen hat.

fordern. Die Starken finanzieren die Schwachen, die Schwachen werden schwächer und die Starken irgendwann auch. Der Historiker Niall Ferguson, eigentlich ein EU-Freund, spricht aus, was andere verschweigen: «Heute liegt der Euro auf dem Sterbebett.» Das kommt heraus, wenn man harmonisiert, was sich nicht harmonisieren lässt.

Nr.977 april / Mai 2010 Schweizer Monatshefte


POSITIONEN Schweiz & Swissness

Die verlorene Swissness der Schweiz Die Schweiz hebt mit allerlei Eitelkeiten vom Boden ab – kann das gut gehen? Max Frenkel

Eine Hauptstadtregion für die Schweiz! Wer nicht darum herumkommt, darf ja schon seit Jahren die Reden der bernischen Stadt- und Kantonspolitiker hören, die ihr Publikum in der Hauptstadt der Schweiz begrüssen. Dabei müsste eigentlich bereits jedes Schulkind wissen, dass die Schöpfer der modernen Schweiz bewusst und ausdrücklich keine Hauptstadt für das neue Land wollten, sondern eine Bundesstadt. Und dabei ist es bis heute geblieben. Föderalismusgerecht kamen denn auch nicht alle Bundesanstalten nach Bern: das Bundesgericht ging nach Lausanne, die ETH nach Zürich. Auch eine Nationalbibliothek wollte man nicht, sondern eine Landesbibliothek. Die Schweizer sind misstrauisch gegenüber allem, was nach Uniformität und Zentralismus riecht. Aber weil eine Direktorin sich daran störte, im Ausland auf die gleiche Stufe gestellt zu werden wie der Direktor der Glarner Landesbibliothek, änderte das Bundesamt für Kultur klammheimlich und ohne gesetzliche Grundlage die Eidgenössische Gesetzessammlung. Jetzt haben wir eine Nationalbibliothek; und im gleichen Aufwasch haben wir auch noch eine Nationalphonothek bekommen. Auch die Regierungsmitglieder sind in der Schweiz einfache Bundesräte, Regierungsräte oder Conseillers d’Etat. Zwar hat das Bundesamt für Kultur aus seinem Bundesrat noch keinen Minister gemacht, wohl aber sind solche die Regierungsangehörigen des jüngsten Kantons, Jura. Da konnte natürlich auch die sanktgallische Verfassung nicht hintanstehen und mutierte den Staatsschreiber zum Staatssekretär. Mit dem Erfolg, dass dieser im deutschen Ausland am Ehrentisch sitzt, wenn er das nicht diplomatisch verhütet, während seine Vorgesetzten bei den deutschen Regierungsräten, unteren Verwaltungsbeamten, plaziert werden. Strikt achtet man darauf (ausser in den beiden Appenzell und – ein bisher wenig überzeugender Versuch – in BaselStadt), dass keiner für mehr als ein Jahr über die andern hinausragt, weshalb die Schweiz auch keinen Staatspräsidenten hat, sondern einen Bundespräsidenten. Ihm weist die Verfassung protokollarisch zudem den zweiten Rang nach dem Präsidenten der Vereinigten Bundesversammlung zu. Jahr-

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zehntelang reiste er nur als einfacher Bundesrat in der Welt herum. Doch heute sind die Damen und Herren so sehr auf den staatspräsidialen Geschmack gekommen, dass sie sich lieber vor Ehrengarden und auf roten Teppichen im Ausland tummeln als in den Trams des nach wie vor biederen Bern. Nur die Mitgliedschaft in der EU fehlt ihnen noch, damit auch sie an den Phototerminen teilnehmen können, die als internationale Politik gelten. General hat die Schweiz ja auch nur einen – den vom Parlament gewählten Oberbefehlshaber im Fall einer Mobilmachung. Alle andern Sterneträger waren ursprünglich Obristen. Aber Schritt um Schritt wurden daraus OberstBrigadiers, Oberstbrigadiers, Brigadiers und so weiter. Hier sind es die Medienleute, durch eine seltsame Hassliebe mit den Armeekadern verbunden, die das «upgrading» seit Jahrzehnten betreiben und die heute mit schöner Regelmässigkeit von den «Generälen» sprechen. Professoren gab es früher hierzulande recht wenige. Doch seit der Erfindung der Fachhochschulen (der Wortbestandteil «Fach» wird in der Praxis tunlichst vermieden) blühen tausend Professoren am Wegesrand: vormalige Berufsschullehrer, die sich zu Höherem als zu berufsbezogener

Heute sind die Damen und Herren auf den staatspräsidialen Geschmack gekommen. Ausbildung berufen fühlen. Sie sind, auch wenn sie das ausdrücklich nicht sein sollten, zu Wissenschaftern, Forschern geworden. Direktionspräsidenten gibt es nicht mehr. Sie sind – und das nicht nur in der Übersetzung ihrer Titel – CEOs. Selbst die einst sprachbewusste NZZ hat jetzt einen CEO. In der Bankenbranche, wo man das Geld, das ohnehin ein imaginäres Gut ist, selber macht, beziehen diese CEOs ethisch völlig inakzeptable Gehälter. Und nicht nur sie, sondern auch ihre Umgebung, die sie mit ins Boot ziehen mussten, um nicht auf interne Rebellion zu stossen. Während Jahrhunderten war der Schweizer stolz auf seine gutgeerdete Demokratie. Protzerei mit Geld, Titeln und Würden war ihm ein Greuel. So wurde er vom Ausland zwar nicht geliebt, aber respektiert. Im Volk ist diese Haltung auch heute noch verbreitet. Aber die Eliten versuchen sich anzupassen, und das erst noch denkbar ungeschickt. Schweizertum ist zur Swissness geworden, einer Werbeetikette, die mit jenem kaum noch etwas zu tun hat. Und wenn morgen ein Pariser Modemacher wieder Perücken einführen würde: in der Hauptstadtregion Bern würden sie getragen. Max Frenkel, geboren 1938, ist promovierter Jurist und freier Publizist. Von 1987 bis 2003 war er als politischer Redaktor für die NZZ tätig.

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POSITIONEN Neue Verbotskultur

Die Politik will den Verkauf von Killerspielen an Kinder und Jugendliche verbieten. Damit kann sie vielleicht bei Erwachsenen punkten – nicht jedoch bei den Jugendlichen. Diese werden ihre Spiele weiterhin spielen.

Killerspiele: Verbieten verboten Christian P. Hoffmann

Ginge es nach der SP-Nationalrätin Evi Allemann, dann würde die Schweiz ein generelles Verbot der Herstellung, Einfuhr und des Verkaufs von Killerspielen aussprechen. Die vermeintlich zunehmend gewalttätige Jugend soll mit dieser durchgreifenden Massnahme gezähmt werden. Das Parlament stimmte nun Frau Allemanns Vorstoss in der Sache zu, beschränkte sich jedoch – vordergründig vernünftig-differenziert – lediglich auf ein Verbot des Verkaufs solcher Spiele an Kinder und Jugendliche. Folgt der Bundesrat dem Wunsch des Parlaments, dann wird die Liste schweizerischer Konsumverbote um ein Laster reicher. Doch wird die Schweiz tatsächlich um ein Laster ärmer? Zweifel sind angebracht. Ganz gleich, ob Zigaretten, Alkohol, Süsswaren oder PC-Spiele – die Wirksamkeit von Verboten ist zweifellos eine der hartnäckigsten Illusionen des politischen Betriebs. Diese Illusion basiert auf der kindlich geprägten Vorstellung von Erziehung durch eine Autoritätsperson. Sprachen einst Vater oder Mutter gegenüber dem Kleinkind ein Verbot aus – gegen das zweite Glas Coca-Cola zum Beispiel –, so galt dieses Verbot absolut. Ein zweites Glas Limonade war in diesem Fall schlicht nicht zu haben, da die Eltern über die absolute Kontrolle des Coca-Cola-Nachschubs verfügten. Der paternalistisch agierende Verbotsstaat versucht nun, diesen Mechanismus auf die Ebene einer dynamischen, arbeitsteiligen und nur sehr beschränkt kontrollierbaren Gesellschaft zu hieven. Dabei dürfte er aber scheitern. Anders als die Cola des Kleinkinds verschwinden Objekte staatlicher Verbote nicht einfach von der Bildfläche und aus der Reichweite der Bürger. Die Zusammenhänge sind komplexer. Wird eine Sache vom Staat für illegal erklärt, wandert sie bloss aus dem durch das staatliche Recht geschützten Bereich so8

zialer Transaktionen in den Bereich der durch das staatliche Recht verfolgten Transaktionen. Oder anders gesagt: vom weissen in den grauen oder schwarzen Markt. Entscheidend für das Auftreten von Tauschbeziehungen ist nicht der staatliche Rechtsschutz, sondern die reale Nachfrage der Teilnehmer. Solange eine Nachfrage besteht, solange also Leute etwas wollen und bereit sind, dafür zu bezahlen, gibt es ökonomische Anreize, diese Nachfrage durch ein entsprechendes Angebot zu befriedigen. Menschen, die einen Gewinn machen wollen, werden die verbotene Sache auch ohne staatlichen Rechtsschutz anbieten. Man denke an die amerikanische Prohibition… Was aber ändert sich dann in Tat und Wahrheit durch das staatliche Verbot? Eigentlich nur eines: die Transaktionskosten für den Handel mit der verbotenen Sache – also die Such-, Informations-, Transport- und Durchsetzungskosten – steigen an. Auf schwarzen Märkten sind diese Kosten höher, weil es sehr viel aufwendiger ist, eine Sache am Zoll vorbei ins Land zu schmuggeln und auf quasiversteckten Umschlagplätzen zu handeln, als eine Ware dem Staat zu melden und im regulären Geschäft zu verkaufen. Abgegolten werden muss auch das Risiko, vom Staat erwischt und bestraft zu werden. Der weisse Markt verfügt über den Vorteil, dass Kunden durch Werbung oder PR auf eine Ware hingewiesen werden können – der schwarze Markt muss sich vor allem auf Mund-zu-Mund-Propaganda verlassen. Auf dem weissen Markt kann sich der Kunde viel einfacher über ein Angebot informieren, es vergleichen und abwägen. Auf dem Schwarzmarkt fällt dies schwerer – hier ein zuverlässiges Bild über das Gesamtangebot zu gewinnen, ist oft kaum möglich. Die Kosten der Transaktion steigen für beide Seiten, für den Anbieter und den Käufer. Das Abdrängen einer Sache in die Illegalität hat für die Teilnehmer des entsprechenden Marktes aber noch weitere Nachteile. Auf einem schwarzen Markt ist es sehr teuer, Rechte durchzusetzen. Wenn also etwa ein Kunde nicht zahlt oder ein Angebot betrügerisch war (beispielsweise eine defekte Sache verkauft wurde), dann kann der Benachteiligte sich nicht einfach an eine professionelle Instanz, wie Polizei und Justiz, wenden, um Abhilfe zu erzwingen. Die Rechtsdurchsetzung muss erneut sehr aufwendig am Staat vorbei organisiert werden. Hinzu kommt der Kostenfaktor des Misstrauens. Kunden vertrauen im Alltag grossen, bekannten Marken, weil diese offensichtlich am Markt Erfolge feiern konnten. Es ist daher davon auszugehen, dass die entsprechenden Unternehmen die Rechte ihrer Kunden respektieren und diese nicht hinters Licht führen. Unternehmen bauen sich im weissen Markt einen Ruf der Zuverlässigkeit auf und erleichtern so den Kunden ihre Entscheidung. Vertrauen ist ein entscheidendes Schmiermittel freier Märkte. Auf dieses Schmiermittel müssen schwarze Märkte weitgehend verzichten.

Nr.977 april / Mai 2010 Schweizer Monatshefte


Wer wirklich an Kokain, Heroin, Waffen, Pornos, Alkopops oder eben Killerspiele herankommen will, wird dies immer und jederzeit auch schaffen. sten durch staatliche Verbote soweit erhöht werden, dass der eine oder andere Kunde auf einen Kauf der verbotenen Sache verzichtet. Wer aber wirklich an Kokain, Heroin, Waffen, Pornos, Alkopops oder eben Killerspiele herankommen will, wird dies immer und jederzeit auch schaffen. Zur Erinnerung: unter der Herrschaft des Kommunismus fand die Versorgung von Millionen von Menschen mit elementaren Gütern des Alltags – bis hin zur Nahrung – weitgehend über «illegale» Märkte statt. Verbote hin oder her. Wollte also eine Gesellschaft ihre Kinder und Jugendlichen tatsächlich von Killerspielen abhalten, so müsste sie einen anderen, einen wirksamen Weg beschreiten: die Aufklärung und Überzeugung der Betroffenen – sei es durch ihre Eltern oder weitere Respektspersonen. Erst wenn Jugendliche von sich aus und aus eigener Einsicht auf solche Spiele – oder auch auf Alkohol, Tabak und weitere Suchtmittel – verzichten wollen, werden sie dies auch tun. Bleibt die Frage: Haben wir auch den Willen, die Energie und die Geduld, diese Überzeugungsarbeit zu leisten? Christian P. Hoffmann, geboren 1978, ist promovierter Ökonom, Projektleiter an der Universität St. Gallen und Forschungsleiter am Liberalen Institut.

Nr.977 april / Mai 2010 Schweizer Monatshefte

Architektur Design Fotografie Kunst Gesellschaft

So ergibt sich ein ernüchterndes Fazit. Ein staatliches Verbot sorgt für eine ganze Reihe von Dingen, nur für eines mit Sicherheit nicht – das Verschwinden der verbotenen Sache. Natürlich ist es für den Konsumenten deutlich leichter, ein Kilo Salz im Supermarkt zu kaufen (weisser Markt), als ein Kilo Heroin bei einem Strassendealer (schwarzer Markt). Möglich aber ist beides. Es ist deutlich aufwendiger und teurer, einen Händler ausfindig zu machen, der Heroin vertreibt; es ist teurer, dieses Heroin zur Verfügung zu stellen; es ist teurer, die Qualität des Heroins zu gewährleisten; und es ist deutlich teurer, im Falle eines Betrugs eine Rückerstattung beim Händler zu erwirken. Möglich aber ist es. Die Politik dagegen weigert sich standhaft, diese Zusammenhänge zur Kenntnis zu nehmen. Sie findet es wesentlich, «Zeichen zu setzen», und beschliesst mit Verve Verbote, um ihre guten Absichten zu dokumentieren. Dabei überschätzt sie systematisch und unbeirrt ihre Macht und die Fähigkeiten des Staates und unterschätzt jene von Angebot und Nachfrage. Sicher können Transaktionsko-

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Positionen Neue Verbotskultur

Die Zeitschrift der Politikwissenschaft Neue Ausgabe zum Thema «Utopie». Für Fr. 7.- erhältlich unter http://www.zoon-politikon.ch

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Positionen Sozialstaat & Leistung

Die fetten Jahre sind vorbei Der deutsche Sozialstaat ist nicht von hier, nicht von jetzt – und nicht für immer. Michael Stürmer

O-Ton Deutschland: «Entweder wir halbieren die Renten oder wir verdoppeln die Beiträge. Oder aber wir haben die Spanische Grippe. Die Ruhe an der sozialen Front ist erkauft. Die Transfersysteme belasten uns. Wenn wir keine Lösung finden, wird die Wirklichkeit in ein paar Jahren eine Lösung finden.» Ob der SPD-Mann Thilo Sarrazin in der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» oder zuvor der FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle in der «Welt»: dem Boten wird die Botschaft nicht gedankt. Im Gegenteil, er wird im Chor aller Billig- und Gerechtdenkenden abgestraft, weil er die Konventionen der Political Correctness verletzt. Dass der deutsche Sozialstaat über die Verhältnisse lebt und die freiheitliche Demokratie in Gefahr bringt, auf solcherlei kalte Prognosen braucht man dann nicht mehr einzutreten. Dabei reicht schon ein Blick auf die sich dramatisch verändernden Gleichungen der Bevölkerungsstatistik, um zu begreifen, dass es so wie bisher nicht weitergeht. Immer weniger Junge sollen immer mehr Alte und Hilfsbedürftige durchtragen. Sozialstaat und Demokratie bilden mittlerweile eine Art Symbiose, die eine wahrhaft unheimliche Dynamik entfaltet: immer mehr Umverteilung aufgrund des Mehrheitsprinzips. Dass aber der Sozialstaat zum Wesenskern der Demokratie gehöre, wie allenthalben von seinen Verteidigern gepredigt wird, ist nur eine Halbwahrheit. Der andere Teil der Wahrheit lautet, dass der Sozialstaat in Deutschland – anders als in der Schweiz – älteren Datums ist als die Demokratie. Als Bismarck in den 1880er Jahren die zwangsgenossenschaftliche Sozialversicherung einführte, geschah dies nicht nur, um den Obrigkeitsstaat nach innen zu festigen, sondern auch zum Zweck, den Sozialisten den Wind aus den Segeln zu nehmen. Ähnliches wiederholte sich um die 10

Jahrhundertwende beim Arbeitsschutz, mit dem das Kaiserreich weit vor allen anderen lag. Im Ersten Weltkrieg ging die Oberste Heeresleitung mit den Gewerkschaften den «Vaterländisches Hilfsdienstgesetz» genannten Kompromiss ein. Dem verdanken die Deutschen bis heute Betriebsräte und die Idee betrieblicher Mitbestimmung. Am Ende des Krieges wurde die Revolution, die die Kommunisten à la Lenin wollten, zwischen Armeeführung, Gewerkschaften und Mehrheitssozialdemokraten in eine Lohnbewegung übergeführt, die ihrerseits zur Inflation beitrug. Es war der «Bürgerblock» der Weimarer Republik, der 1927 das Gesetz über Arbeitslosenvermittlung und Arbeitslosenversicherung ins Leben rief, die heutige Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg. Das NS-Regime warb, noch bevor 1937/38 dank Rüstung, Schuldenpolitik und öffentlichen Bauten Vollbeschäftigung erreicht war, mit Spatenstichen, dem arbeitsfreien 1. Mai, Ehestandsdarlehen, Erbhofgesetz und den vielerlei Aktivitäten der Deutschen Arbeitsfront um Gefühl und Verstand der Menschen. Der sprunghafte Anstieg der Geburtenzahl ab Herbst 1933 zeigte schon die ersten Erfolge der dröhnenden Propaganda, lange bevor die Depression mit Hilfe von Rüstung und Schuldenmachen überwunden war. Das Regime wusste Verführung und Gewalt zu verbinden. Kein Argument für den Führerstaat war stärker als die Überwindung der Massenarbeitslosigkeit. Dafür war jeder Teufelspakt recht. Nachkriegsdeutschland hatte ein Leitmotiv, das alles andere übertönte. Der junge Historiker Eckart Conze überschrieb jüngst eine grosse Gesamtdarstellung der Bundes-

Sozialstaat und Demokratie bilden mittlerweile eine Art Symbiose, die eine wahrhaft unheimliche Dynamik entfaltet. republik mit «Die Suche nach Sicherheit». Das galt nach aussen an den Fronten des Kalten Krieges. Es galt nach innen entlang den Irrungen und Wirrungen der frühen Jahre, und es war vor allem der Ausbau der Sozialpolitik, der die Leute für die ungewohnte Republik gewinnen sollte. Die Flüchtlinge und Vertriebenen und die Ausgebombten erhielten den Lastenausgleich, die Alten die dynamische Rentenversicherung, die Arbeiter steigende Löhne, das Volk «Wohlstand für alle». Wenn man vom Wirtschaftswunder der 1950er Jahre spricht, so vergisst man leicht, dass harte Arbeit, lohnpolitische Zurückhaltung und insgesamt massvolle Sozialpolitik zusammenwirkten – dazu ein hoher Dollar, niedrige Ölpreise, offene Märkte. Auch die Demographie war freund-

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Positionen Sozialstaat & Leistung

lich gesinnt: es kamen immer mehr Kinder zur Welt, aus dem Osten kamen tüchtige Eliten, der «Generationenvertrag» zwischen Alt und Jung schien für alle Ewigkeit gegründet. Die deutsche Sozialpolitik ist Abbild der fetten Jahre; die mageren Jahre wurden durch wachsende Staatsschulden finanziert. Der Umbruch kam in den frühen 1970er Jahren. Nach dem Yom-Kippur-Krieg 1973 schoss der Ölpreis in die Höhe; das Gleiche wiederholte sich 1979 nach der iranischen Revolution. «Tendenzwende» war angesagt, Regierungen im Westen stürzten, grüner Protest wurde parteifähig; Krisenmanagement erforderte die Bereitschaft zum Schuldenmachen, und der verblichene Ökonom Lord Keynes lieferte Rechtfertigung und gutes Gewissen. Das alles hätte sich noch stabilisieren lassen, wenn nicht gleichzeitig die Globalisierung von Zeit und Raum alle industriellen und sozialen Gleichungen der europäischen Wohlstandsdemokratien über den Haufen geworfen hätte, während die junge Generation entweder gar nicht mehr geboren wurde oder aber begann, sich davonzumachen. Damit entzogen sich die Jungen der Pflicht, ihren Teil des Generationenvertrags zu erfüllen. Die Älteren und Alten bleiben immer mehr unter sich – und die Brotverdiener und Rentenzahler werden weniger. Der Sozialstaat steht in der Stunde der Wahrheit – und so auch die Demokratie. Der deutsche Sozialstaat ist nicht von hier und nicht von jetzt. Er ist älter als die deutsche Demokratie und wird sie, wenn sie eines Tages zahlungsunfähig und damit konsensunfähig wird, auch überleben, gemeinsam mit dem Beamten- und Steuerstaat. Dieser deutsche Staatssozialismus stammt aus den Zeiten, da Friedrich Nietzsche den Staat «das kälteste aller Ungeheuer» nannte und damit alle Zweifel abtat, der Sozialstaat verdanke seine Existenz der Menschenfreundlichkeit, nicht aber der Staatsräson und dem Überlebensinstinkt der Machteliten. Der Sozialstaat, so seltsam es auch klingen mag, kam von rechts. Dass die politische Linke ihn zu ihrer eigenen Sache erklärte und seitdem keine seiner Errungenschaften jemals zum Verzicht angeboten hat, macht die Lage nicht einfacher, sondern mahnt zur Vorsicht. Denn liberale Demokratie und Daseinsvorsorgestaat – um Ernst Forsthoffs Begriff aus den hungrigen 1920er Jahren aufzunehmen – haben von jeher eine schwierige Beziehung. Eine Zeitlang schreiten sie frohgemut Hand in Hand, einer den andern bestärkend. Aber das Gesetz, nach dem sie angetreten sind, zwingt die Sozialpolitiker, niemals satt zu sein, sondern immer mehr zu fordern im Namen von Fortschritt, Gerechtigkeit und – wenn es knapper wird – Solidarität. Das wäre vielleicht noch zu akkommodieren, wenn nicht auch Gleichheit gefordert würde, offenlassend, ob Gleichheit der Chancen und neuer Wettkampf oder Gleichheit der Lebenslage gemeint ist. Letztere hätte dem legendären Prokrustes gut gefallen, der seine Gäste, waren sie zu lang, verkürzte und, waren sie zu kurz, streckte.

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Der Herrschaftsanspruch des fortgeschrittenen Sozialstaats ist prinzipiell unbegrenzt, da hilft keine Reichshaushaltsordnung mit ihrer altmodischen Formel, es dürften die neuen Schulden nicht die Investitionen übersteigen, oder die jüngst vom Deutschen Bundestag beschlossene Schuldenbremse. Die allerdings funktioniert nach dem Gebet, das dem heiligen Augustinus zugeschrieben wird: «O Herr, gib mir Keuschheit – aber nicht jetzt!» Der Modus der frühen Jahre ist nicht verlängerbar. Er war gegründet auf Wachstum des Marktes, der Menschenzahl, der Einkommen und der Steuereinnahmen – während die Bundesbank über die Geldwertstabilität wachte. Es gab

Der alte Generationenvertrag ist durch den Appetit der Älteren und das Ausbleiben der Jüngeren längst aus den Fugen. warnende Stimmen – Ludwig Erhard und Robert Pferdmenges –, als Adenauer die dynamische Rentenformel einführte, und es gab gute Gründe, diese Stimmen zu überhören. Nicht nur wahltaktische, sondern auch staatspolitisch wertvolle. Dass der Sozialstaat irgendwann den Punkt erreicht, wo Segen zum Fluch wird, steckte man weg. Der Machtinstinkt der politischen Eliten nahm auch eine allgemeine Infantilisierung durch «Vater Staat» in Kauf: das gemütvolle Wort versteckt den harten Kern. Aus Staatsbürgern werden unmerklich Sozialuntertanen und Wohlfahrtskonsumenten. Um auf Dauer zu überleben, braucht die Demokratie indessen Tugenden und Leistungen, die sie selbst nicht hervorbringen, wohl aber ersticken kann. Heute steht sie im globalen Wettbewerb der Löhne, der Produktivität, der Standorte, der Systeme – und bekommt keinen Bonus. Eine Weile lassen sich die Schwächen durch Nettokreditaufnahmen ausgleichen. Der alte Generationenvertrag ist durch den Appetit der Älteren und das Ausbleiben der Jüngeren längst aus den Fugen. Neue, stabilere Gleichungen müssen der Alterung der Gesellschaft, der Globalisierung von Zeit und Raum, den neuen Völkerwanderungen Rechnung tragen. Auf die Dauer, wenn die freiheitliche Demokratie überleben soll, braucht es einen neuen Sozialvertrag. Einsicht und Kraft dazu indes sind besonders knappe Güter. Michael Stürmer, geboren 1938, ist emeritierter Professor für Geschichte, Chefkorrespondent der Tageszeitung «Die Welt» und Autor von «Welt ohne Weltordnung. Wer wird die Erde erben?» (2006).

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Positionen Finanzielle Privatsphäre

Mehr Klarheit für das Bankgeheimnis Gedanken zu einer helvetischen Institution und ihrer Zukunft Stefan Tobler

Seit der Übergabe der Daten von rund 250 UBS-Kunden durch die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (Finma) an die USA im Februar 2009 vergeht kaum ein Tag, an dem das Bankgeheimnis nicht Resonanz erzeugt. Dazu trägt die Eigenlogik der Massenmedien bei. Eine von aussen inszenierte Drohkulisse wird im Innern lauthals verstärkt und versetzt die schweizerische Öffentlichkeit in einen Alarmzustand, der auf die unterschiedlichsten Akteure als Handlungsimperativ wirkt – mit dem Ergebnis einer schrillen Kakophonie. Dass dabei selbst bürgerliche Politiker mit der Preisgabe des Bankgeheimnisses in der Schweiz liebäugeln, unterstreicht die Tragweite der mit Händen zu greifenden Unsicherheit. Drei Unterscheidungen sollen helfen, Klarheit in die aktuelle Debatte zu bringen. Zunächst gilt es zu unterscheiden zwischen Prinzip und Geltungsbereich des Bankgeheimnisses. Von seinem Prinzip her ist es ein «Bankkundengeheimnis», gründet in der Tradition eines legitimen Rechts auf Schutz der (finanziellen) Privatsphäre und bezeichnet ein Verbot der Weitergabe von Bankdaten durch Finanzdienstleister an Dritte (Private und Staat). Diese Tradition speist sich aus der Überzeugung, dass die Freiheit grundsätzlich durch institutionelle Schranken geschützt werden muss, weil sie sonst unter der Einwirkung willkürlicher gesellschaftlicher wie staatlicher Interessenlagen Schaden nimmt. Das Recht auf Schutz der Privatsphäre umfasst ebenso den Bereich des Datenschutzes, der nicht nur in der Schweiz, sondern auch in Europa einem elementaren Bedürfnis der Bürger entspricht. Dieses Prinzip gilt allerdings nicht uneingeschränkt. Der Anspruch auf Schutz der Privatsphäre hört dort auf, wo er ins Gehege der vom Gesetzgeber den Banken auferlegten Auskunftspflichten, insbesondere im Rahmen des Strafrechts, kommt. Nur heisst dies noch lange nicht, gleich alle Schranken niederzureissen. Genau dies geschieht jedoch im Gefolge der Finanzkrise und der neuangehäuften Staatsverschuldung in zahlreichen demokratischen Staaten der Nachbarschaft. 12

Ebenfalls Ausdruck einer liberalen Tradition ist die Selbstdeklaration in Steuerfragen. Da die Bürger keine Steuerexperten sind, müssen Unrechtsgehalt und Schwere des Verschuldens im Fall einer Steuerverkürzung berücksichtigt werden. Mit der Unterscheidung von Steuerbetrug und Steuerhinterziehung hat der Gesetzgeber eine solche Abstufung vorgenommen und sanktioniert nur da mit dem Strafrecht, wo Arglist oder ein Urkundendelikt vorliegt. Dagegen wird der Tatbestand der blossen Steuerhinterziehung (Nichtdeklaration) nicht kriminalisiert, sondern mit – durchaus schmerzhaften – Bussen belegt. Diese Balance zwischen Vertrauen des Staates in die Steuerehrlichkeit der Bürger und Möglichkeit der missbräuchlichen Steuerverkürzung durch sie muss eine freiheitliche Gemeinschaftsordnung aushalten. Mit dem Instrument der Verrechnungssteuer wird der Missbrauchsspielraum zudem deutlich eingegrenzt, womit die Schweiz punkto Steuermoral und Schattenwirtschaft, gerade im Vergleich mit dem Ausland, nicht schlecht gefahren ist. Dass das Schweizer Bankgeheimnis auch für diesen Aspekt der Fiskalität Geltung hat(te), schafft(e) freilich die Möglichkeit für ausländische Steuerzahler, ihre in ihrem Wohnstaat geschuldeten Steuern über den Weg der Verwaltung ihrer Vermögen in der Schweiz zu umgehen, weshalb das Bankgeheimnis als «Steuerhinterziehungsgeheimnis» kritisiert worden ist. Das legitime Recht auf Schutz der Privatsphäre kollidiert hier mit dem ebenso legitimen Recht ausländischer Staaten zur Durchsetzung ihrer Steuergesetze. Mit dem Entscheid des Bundesrats zur Übernahme von Art. 26 des OECD-Musterabkommens wird der Tatbestand der ausländischen Steuerhinterziehung für die Schweiz amtshilfefähig. Im Verhältnis zum Ausland verliert das Bankgeheimnis somit seine fiskalische Geltung, und die Schweiz wird OECD-konform. Das Recht auf Schutz der finanziellen Privatsphäre, wie es die Schweiz bisher gewährt hat, wird aber mit der Übernahme von OECD 26 nicht ausser Kraft gesetzt. Es wurde lediglich das Recht ausländischer Staaten zur Durchsetzung ihrer Steuergesetze als vorrangig eingestuft. Nun aber gleich auch noch das fiskalische Bankgeheimnis im Binnenverhältnis abschaffen zu wollen, käme für die Schweiz einem Bruch mit dem gewachsenen Verhältnis zwischen Staat und Bürger gleich. Die mit der Übernahme von OECD 26 entstandene Dualität unterschiedlicher Rechtsbehandlung inländischer und ausländischer Personen ist dafür kein hinreichender Grund – im Gegenteil: sie erlaubt ausländischen und schweizerischen Steuerbehörden gleichermassen die Durchsetzung ihrer jeweils demokratisch legitimierten Steuergesetzgebung. Wenn das Ausland «gläserne Bürger» will, dann ist das seine Sache; jene der Schweiz ist es nicht. Stefan Tobler, geboren 1969, ist promovierter Soziologe und wissenschaftlicher Mitarbeiter des Direktors der Schweizerischen Bankiervereinigung.

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galerie Valentin Hauri

ツォMatteoツサ, 2009, テ僕 auf Leinwand, 50 x 45 cm

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Positionen

Christliche Leitkultur I

Freies, wahrhaftes Christentum Die schweizerischen Landeskirchen pflegen eifrig den Dialog mit dem Islam. Wie aber halten sie es mit dem christlichen Bekenntnis? Peter Ruch Niemand soll behaupten, gegen das Minarettverbot hätte es keine guten Argumente gegeben. Eine Bauvorschrift in der Verfassung ist ordnungspolitisch ebenso fragwürdig wie eine Sondereinschränkung für eine einzige Religion. Gute Argumente gab es freilich auch dafür. Der Islam unterscheidet grundsätzlich nicht zwischen Religion und Staat. Er versteht sich als umfassendes System mit wenig Sympathie für die Freiheit des Individuums. Das hat soeben die Ernennung des ägyptischen Grossmuftis durch den Diktator Mubarak gezeigt. Blickt man auf politische Kultur, Bildungswesen, Rechtssicherheit und Menschenrechtslage in islamischen Ländern von Westafrika bis Indonesien, so ist die Bilanz erschütternd. Herbert Lüthy und andere unverdächtige Zeugen haben dies längst beschrieben (vgl. den Islamexkurs in Lüthys Buch «Frankreichs Uhren gehen anders») – zu Zeiten, als die Debatte noch nicht durch Rücksichten beeinträchtigt war. Das Minarettverbot trifft zwar den problematischen Punkt des Islams nicht. Es setzt jedoch einen Vorbehalt. Dieser ist eng begrenzt und respektiert die Religionsfreiheit. Insofern war die Volksinitiative klug angelegt. Es war der österreichisch-britische Philosoph Karl Popper, der in seinem während des Zweiten Weltkriegs verfassten Hauptwerk «Die offene Gesellschaft und ihre Feinde» die Frage aufwarf, wieviel Freiheit den Feinden der Freiheit zuzubilligen sei. Seine Antwort war glasklar: «Wenn wir unbeschränkte Toleranz sogar auf die Intoleranten ausdehnen, wenn wir nicht bereit sind, eine tolerante Gesellschaftsordnung gegen die Angriffe der Intoleranz zu verteidigen, dann werden die Toleranten vernichtet werden und die Toleranz mit ihnen.» Wenn der liberale Staat mithin seinen Bürgern ein Maximum an persönlicher Freiheit zubilligt, so verpflichtet ihn das in keiner Weise, diese auch den eingeschworenen Feinden der Freiheit zu gewähren. Wie aber denken diese «Feinde der Freiheit»? Deren Standpunkt hat der französische Pamphletist Louis Veuillot im 19. Jahrhundert prägnant auf den Punkt gebracht: solange ich der Schwächere bin, fordere ich von dir die Freiheit, denn sie ist dein Prinzip; bin ich hingegen der Stärkere, so nehme ich dir die Freiheit weg, denn das ist mein Prinzip. 14

Der Freiheitsaspekt allein wäre ein Grund gewesen, das Minarettverbot in den Kirchen offen zu debattieren. Das wurde durch die kategorischen Stellungnahmen kirchlicher Amtsstellen erschwert. «Die evangelischen Kirchen lehnen die Volksinitiative gegen den Bau von Minaretten ab», überschrieb der Schweizerische Evangelische Kirchenbund (SEK) sein Faltblatt. Es wurde an offiziellen Synodalversammlungen verteilt – ohne Kontroverse. Allfällige Sympathien für das Minarettverbot wurden tabuisiert. Die Redaktion der Zeitschrift «reformiert» fand in ihrem grossen Einzugsgebiet keinen einzigen Pfarrer, der sich öffentlich zugunsten der Initiative hätte äussern wollen. Woher diese Intoleranz der Kirchenleitungen, als würde über einen Genozid abgestimmt? Der Schlüssel zur Erklärung liegt im Staatskirchentum. Es wirkt vor allem im Kanton Zürich nach. Hier befindet sich der Vorort des Schweizer Protestantismus, und der SEK wird seit über 20 Jahren von Zürchern präsidiert. Die Zürcher Kirche war jahrhundertelang Teil des Staates. Dadurch wirkte viel christliches Gedankengut auf den Staat ein, doch auch das Umgekehrte geschah: der Staat wirkte auf die Kirche ein und benützte zum Beispiel Konfirmandenregister als Grundlage für die Rekrutierung. Gewiss sind Kirche und Staat inzwischen voneinander entflochten. Doch zieht der Staat nach wie vor in den meisten Kantonen die Kirchensteu-

Das Minarettverbot trifft den problematischen Punkt des Islams nicht. er ein, auch von juristischen Personen. Kein Wunder, sind alte Reflexe lebendig geblieben. Beispielsweise war der Religionsunterricht an den Zürcher Schulen bis ins 21. Jahrhundert Staatsangelegenheit. An der Oberstufe wurde er weitgehend von Pfarrern erteilt und vom Staat entschädigt. Auch das während sechs Primarschuljahren mit einer Wochenlektion dotierte Fach Biblische Geschichte (B-Unterricht) war ein staatliches Fach. Es oblag den Lehrkräften, war jedoch gemäss Kirchenordnung Voraussetzung für die Konfirmation. Der Druck auf die staatlichen Religionsfächer war seit 1990 deutlich spürbar. Da ich als Zürcher Pfarrer (1991– 2008) befürchtete, der Staat könnte die Lektionen eines Tages streichen oder zweckentfremden, reichte ich 1997 eine Einzelinitiative ein mit dem Ziel, den B-Unterricht um die Hälfte zu reduzieren und den Religionsunterricht an der Oberstufe völlig in die Verantwortung der Kirchen zu überführen. Der Kirchenratspräsident bat mich dringend, die Initiative zurückzuziehen, weil auf diesem Gebiet bereits Änderungen in Arbeit seien. Schliesslich gab ich seinem Wunsch nach. Leider. Denn bald traten meine Befürchtungen ein. Zuerst beschloss die Bildungsdirektion, den Religionsunterricht an

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Positionen

der Oberstufe in neutrale Religionskunde umzuwandeln. Der Schock erfolgte dann aus den Etagen der Kantonalkirche: anstatt sich für das eigene Bekenntnis zu wehren, schwenkte die Zürcher Kirche auf den Kurs der Bildungsdirektion ein und erarbeitete obendrein ein Lehrmittel für ein künftiges Fach, in dem das christliche Bekenntnis nichts mehr zu suchen hatte. Im Dezember 2000 applaudierte die Synode diskussionslos dem Referat eines 70jährigen emeritierten Professors, der unter anderem sagte: «Es geht also um Religion im Blick auf das Alter dieser jungen Leute. Das bedeutet, dass es nicht in erster Linie Religion im Sinne der Glaubenslehre, der Dogmatik, sein kann, sondern Religion im Sinne der tiefsten Dimension des Lebens.» Aus diesen Worthülsen wurde immerhin klar, dass ein christliches Bekenntnis in diesem Konzept nichts mehr zu suchen hatte. Der Referent war zugleich ein Hauptaktivist der Antirassismus-Szene. Im Jahr 2004 geriet auch der B-Unterricht unter die Räder der Bildungsdirektion. Kirchliche Kreise brachten rasch eine Volksinitiative zustande, um ihn vollumfänglich zu erhalten. Bildungsdirektorin Aeppli hatte keine Mühe, das Initiativkomitee umzustimmen. Sie versprach die Einführung von Religionskunde an der Primarschule. Obwohl das etwas völlig anderes war, als was die Initianten verlangt hatten, wurde die Initiative zurückgezogen. Das Kriterium schienen nicht die Inhalte, sondern die Kosten zu sein. Damit war deutlich geworden, dass die offizielle Kirche der Doktrin von der multikulturellen Gesellschaft verpflichtet war. Man kann das für richtig halten. Aber wenn die Kirche den religionskundlichen Stoff dem christlichen Bekenntnis vorzieht, verhält sie sich wie im 19. Jahrhundert. Damals drang die historische Denkweise immer tiefer in Theologie und Kirche vor – auf Kosten der Glaubenslehre. Bereits bei Johann Gottfried Herder dominierte diese Weltsicht, die manches von Nietzsches Kritik am Christentum vorwegnahm. Erst mit Albrecht Ritschl begann eine erneute Hinwendung zum Neuen Testament, und die Dialektische Theologie mit Karl Barth schaffte es im 20. Jahrhundert, Bekenntnis und Wort Gottes wieder verbindlich zu erklären. In der neuesten Auflage der «Religion in Geschichte und Gegenwart»* liest man zu Recht, wesentliche Einsichten der Barthschen Theologie, namentlich die konsequente Hinwendung zur Offenbarungstheologie, seien weder angemessen rezipiert noch weitergedacht worden. Die Barthsche Theologie habe ihre Wirkungsgeschichte weitgehend noch vor sich. In der Tat. Bei der Minarettdebatte hat die Evangelische Kirche gezeigt, dass sie sich bei der interreligiösen Moderation wohler fühlt als beim christlichen Bekenntnis. Damit ist sie vom 19. Jahrhundert eingeholt worden. Wer aber von der Vergangenheit eingeholt wird, muss stehengeblieben oder regrediert sein. * Fachlexikon Religion in Geschichte und Gegenwart, 4. Auflage 1998 bis 2007, Tübingen: Mohr Siebeck. Peter Ruch, geboren 1951, ist evangelisch-reformierter Pfarrer in Küssnacht am Rigi.

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Christliche Leitkultur II

Wahrhaft befreiter Glaube Viele sehnen sich nach einer christlichen Leitkultur. Aber taugt Jesus Christus wirklich als Fundament einer solchen Kultur? Andreas Fischer Anders als die Füchse hatte – gemäss biblischem Zeugnis – der Menschen- und Gottessohn nicht einmal eine Höhle, um sich darin zur Ruhe zu legen. Später soll er aus einer Grabeshöhle auferstanden sein. Seine Nachfolger, «derer die Welt nicht würdig war» , irrten in Höhlen und Klüften umher (Hebr. 11, 38). Der Christus scheint es mit den Höhlen zu haben. Man begibt sich auf der Suche nach ihm also ins Höhlensystem des Zürcher Aggloquartiers, in dem ich als Pfarrer tätig bin. Da ist, Höhle eins, die Wohnung des ghanesischen Leiters einer evangelikalen Migrantengemeinde, extrem klein, den Lärmimmissionen der vierspurigen Überlandstrasse ausgesetzt. Der Mann ist überzeugt, Europa sei Stätte des Satans. Das hiesige Christentum sei vom Herrn abgefallen, habe die Gebote Gottes vergessen. Meine unbedachte Bemerkung, ich lebte mit einer Frau zusammen unter demselben Pfarrhausdach, ohne mit ihr verheiratet zu sein, bestätigt sein Bild. Die Idee, ich könnte einmal in seiner Gemeinde einen Gottesdienst gestalten, weist er von sich. Man wandert weiter, zu Höhle zwei. Am Stammtisch der Dorfkneipe sitzen Männer mit SP- und SVP-Parteibüchlein. Die Gesinnungen sind sich über die V-Kluft hinweg ähnlich. Die Anti-Minarett-Initiative ist von allen befürwortet worden. Die Muslime, lautet der Tenor, haben sich anzupassen. Hier, heisst es, hier bei uns haben wir christliche Werte. Nur: was sind das eigentlich, christliche Werte? Diese Männer haben nichts dagegen, dass ich im Konkubinat lebe. Ich bin akzeptiert, bin einer von ihnen. Für sie bilden christliche Werte eher so etwas wie die gefühlte Bastion gegen fremdartige Farben, Gerüche, Klänge. Gegen Döner, Burka und dunkle Haut. Ich kehre, schliesslich, ein in Höhle drei: meine eigene, die Studierstube des Pfarrers, wo ich mich in dunklen Folianten auf Spurensuche begebe. Der grosse Karl Barth, bedeutendster protestantischer Theologe des letzten Jahrhunderts, ritt zur Zeit des Nationalsozialismus scharfe Attacken gegen das deutsche Luthertum. Der Schweizer Reformierte zog dreist eine direkte Linie vom Reformatoren Martin 15


Positionen

Luther zum Diktatoren Adolf Hitler. Den Sündenfall sah Barth in Luthers Zwei-Reiche-Lehre, die davon ausgeht, dass es einen geistlichen Bereich gebe, in dem das Evangelium regiere, und einen weltlichen, in dem das Gesetz herrsche. Das Problem dieser Konzeption liegt nach Barth darin, dass die ganze politische Dimension aus dem Herrschaftsbereich Christi ausgelagert werde. In dieser Weise ausser Kontrolle geraten, habe sich dann das deutsche Heidentum wildwuchernd ausgebreitet – mit all den bekannten finsteren Folgen. Barths Kritik traf den Nerv der Zeit. Es dauerte eine Weile, bis die deutschen Theologen ihren Humor wiederfanden. Als es soweit war, wies man darauf hin, dass Barth den durch die drei Schweizer Urkantone symbolisierten Idealstaat möglicherweise etwas zu nahe an die Trinität gerückt habe – und traf damit wiederum die Achillesferse der Barthschen Konzeption. Denn wenn das «Reich Gottes» und das «Reich dieser Welt» fusionieren, ist das Resultat der Gottesstaat. Der Angst vor dieser Vision des Terrors kann ich mich, am Ende meiner kurz skizzierten Höhlenexkursion, nicht ganz entziehen. Es bedarf, um diese Angst zu schüren, keiner

Wir sind die Freigelassenen der Schöpfung. Es gibt sie nicht mehr, die göttliche Weisung, den leitenden Arm. Muslime. Die fundamentalistische und rigid legalistische Auslegung des Christentums in vielen Migrationskirchen genügt. Sie macht mir deutlich, wie gern ich in dieser sogenannten Stätte des Satans wohne, die ich subjektiv als Ort der Freiheit erlebe und als solchen für unbedingt schützenswert halte. Das sage ich nicht als Kirchenmann, sondern als Staatsbürger bzw. als Mensch im ganz ursprünglich-nackten Sinn. Und wenn ich nun Luthers und Barths Konzeptionen aus dieser meiner Höhlenmenschenperspektive betrachte, dann scheint mir die Zwei-Reiche-Lehre Luthers viel eher den gesuchten Schutz zu gewähren als Barths Doktrin von der totalen Gottesherrschaft. Man tut gut daran, dem Kaiser zu geben, was des Kaisers ist. Was von dort kommt, lässt einen – trotz berechtigter Skepsis – oft tiefer atmen als das, was scheint’s im Namen Gottes geschieht. Die christlichen Kirchen haben in der Geschichte durchaus kein ungebrochenes Verhältnis zu Themen wie Menschenwürde, Freiheit und Gleichheit an den Tag gelegt. All diese Themen sind viel eher Errungenschaften aufgeklärter Emanzipation vom christlichen Glauben als dessen unmittelbare Emanationen. Christliche Dogmatik sieht in den Menschenrechten zum Teil bis heute Früchte der Hybris, 16

die nicht um die Gefallenheit menschlicher Existenz weiss. Indessen könnten die Kirchen, selbst wenn sie wollten, die liberalen Grundrechte, auf denen der Staat hierzulande basiert, nicht mehr antasten. Gott sei Dank, möchte man sagen. Doch eigentlich hat man dem Reich dieser Welt zu danken. Immerhin könnte man dem Christentum zugutehalten, dass es dem Reich dieser Welt den Freiraum gewährte, den es gebraucht hat, um sich zum liberalen Rechtsstaat zu formen. Der Ursprung dieser Entwicklung liegt just am Ursprung des Christentums selbst: am Ostermorgen, wo die Frauen zur Grabeshöhle gehen und vom Engel informiert werden: «Er ist nicht hier!» Am Anfang des Christentums liegt also eine Vakanz. Sie eröffnet den Menschen einen Freiraum, den es nach eigenem Belieben zu gestalten gilt. Fortan liegt unser Schicksal in unserer Hand. Wir sind die Freigelassenen der Schöpfung. Es gibt sie nicht mehr, die göttliche Weisung, den leitenden Arm, den lenkenden Stab des guten Hirten. Dies wäre, in Luthers Zwei-Reiche-Konzeption, zumindest die weltliche Perspektive. Daneben gibt es die göttliche bzw. Christus-Perspektive. Sie führt – in genau dieselbe Richtung. In einer Osterpredigt führt Luther aus, dass das, was für Christus gelte, auch für dessen Nachfolger Gültigkeit habe. Auch deren Name lautet: «Non est hic», «er ist nicht hier»: «Ein Christ soll da sein, wo Christus ist. Christus aber ist nicht hier, also kann ein Christ auch nicht hier sein. Darum kann kein Mensch Christus oder einen Christen in gewisse bestimmte Regeln fassen.»* Der Christus ist nicht hier. Mit ihm entschwinden auch wir. Was zurückbleibt, sind, sagt Luther, «lauter Hülsen»: «weltliche Gerechtigkeit, Weisheit, Frömmigkeit, Gesetz und was des Dings mehr ist», und weiter: «Auch alte Gewohnheiten und Bräuche, Väter, Juristen, weise Leute, fromme Leute und was sonst mehr sein mag, sind alles lauter Hülsen. Es heisst immer: Nicht hier!» (ebd.) Hier ist die antinomistische Tendenz des Christentums auf den Punkt gebracht. Es mag den Leiter der Migrationskirche irritieren und die Männer vom Stammtisch befremden, doch auf dem Fundament dessen, der «nicht hier» ist, lässt sich auch für frömmste Fundamentalisten keine Leitkultur errichten. Es gibt sie nicht, die christlichen Werte. Wer lange genug sucht, wird sie alle verlieren – und frei werden, endlich frei wie jener Menschensohn, der zeitlebens keine Höhle haben wollte, weil er sich darin gefangen vorgekommen wäre. Jener Gottessohn, den weder Tod noch Stein in der Grabeshöhle zurückhalten konnte. Und übrigens: Wir brauchen sie auch gar nicht, die christlichen Werte. Wir haben doch den Rechtsstaat. Er ist, scheint mir, Leitkultur genug. * Martin Luthers Evangelien-Auslegung, fünfter Teil: Die Passions- und Ostergeschichten aus allen vier Evangelien, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1961, S. 299. Andreas Fischer, geboren 1966, ist evangelisch-reformierter Pfarrer in Zürich Schwamendingen.

Nr.977 april / Mai 2010 Schweizer Monatshefte


Debatte

Nr.977 april / Mai 2010 Schweizer Monatshefte

Frédéric Walthard, geboren 1921, ist promovierter Jurist. Er arbeitete im diplomatischen Dienst, u.a. als Generalkonsul und später als Botschafter in Washington, Paris, Brüssel und Genf.

November 2009 Fr. 17.50 / € 11.00

Dossier:

Auf ins Ausland ! Exportförderung & Commercial Diplomacy

D. Freiburghaus // «Aussenwirtschaftspolitik ohne Führung», Ausgabe 973

Dossier:

März 2010 Fr. 17.50 / € 11.00

Zeitschrift für Politik Wirtschaft Kultur / seit 1921

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SCHWEIZER MONATSHEFTE 973

SCHWEIZER MONATSHEFTE 976

Bisher erschienen

Dossier:

Dieter Freiburghaus schreibt in der letzten Ausgabe der «Schweizer Monatshefte», das Abseitsstehen der Schweiz habe sich als Folge der bilateralen Verträge und der Übernahme des geltenden Rechts der EU in eine De-facto-Mitgliedschaft ohne Stimmrecht verwandelt. Das sei im Grunde gar nicht so schlimm, weil die «EU kein Staat sei, kein Gewaltmonopol, keine gemeinsame Aussen- und Sicherheitspolitik, keine Sozialversicherungen und ein relativ kleines Budget» habe. Die EU verfolge vor allem das Ziel, europaweit einen funktionierenden Markt für Waren, Dienstleistungen, Kapital und Arbeit herzustellen und diesen Binnenmarkt mit zentralistischen Regulierungen vor «nichttarifären Handelshemmnissen» zu schützen. Allein, genau mit diesen zentralistischen Regulierungen wurde ein Gewaltmonopol aufgebaut. Ganz im Sinne von Jean Monnet, einem der Gründerväter der Europäischen Gemeinschaft, wurde in den letzten 50 Jahren in allen Lebensbereichen die Kompetenz zur direkten Rechtsetzung oder zur Entwicklung einer gemeinsamen Politik an die supranationale EU abgetreten. Konkret sind dies die Aussen-, Sicherheits- und Friedenspolitik, humanitäre und gemeinsame militärische Aktionen («Eurokorps») und nicht zuletzt auch fiskalische Euro-Massnahmen. Heute ist dies im Vertrag von Lissabon mit den entsprechenden Institutionen – Rat der EU, Kommission, Parlament und Gerichte – verankert. Schauen wir nun genauer hin, wie die EU funktioniert. Jacques Delors, der langjährige Präsident der EU-Kommission, wies darauf hin, dass bei einer Erhöhung der EU-Mitgliederzahl mehr Ordnung in die zwischenstaatlichen Euronormen und Institutionen gebracht werden müsse. Nur ein starker politischer Kern als Entscheidungsträger könne einen raschen Ausbau der EU zu einer Europäischen Föderation ermöglichen. In diesem Sinne wird in dem inzwischen ratifizierten Vertrag von Lissabon vorgesehen, in über das Wirtschaftliche hinausgehenden Gebieten staatlicher Tätigkeit ab 2014 alle Entscheidungen zur Abtretung von Kompetenzen an die Gemeinschaft mit qualifizierten Mehrheitsbeschlüssen zu treffen. Konkret: nächtelanges Verhandeln und der Weg der Einstimmigkeit sind passé. Dies, zusammen mit der neuen Gewichtung der Stimmen, ermöglicht dem kleinen, vom Tandem

Stop – mein Konto!

Frédéric Walthard

Dezember 2009 Fr. 17.50 / € 11.00

Wir haben nichts zu sagen

Zeitschrift für Politik Wirtschaft Kultur / seit 1921

Lieber draussen ohne als drinnen mit Stimmrecht, aber ohne Gewicht

Merkel/Sarkozy angeführten Kern der grossen EU-Mitglieder, den Ausbau der EU weiter voranzutreiben. Die dafür wichtige Stimmbewertung ist im Lissaboner Vertrag festgelegt. Je 29 und 27 Stimmen bekommen die 6 Grossen: Deutschland, Grossbritannien, Frankreich, Italien, Spanien und Polen, total 270 Stimmen. Für die anderen Länder sind maximal 14 Stimmen vorgesehen (Rumänien), 13 für die Niederlande und immer weniger bis 3 für Malta, total 175 Stimmen. Qualifiziertes Mehr: 255 Stimmen, die leichter von der Gruppe der Grossen als von der Mehrzahl der Kleinen erreicht werden können. Nach diesem Tarif kämen für die Schweiz im besten Fall 10 in der Gruppe Österreich/ Schweden, aber wohl eher 7 Stimmen in der Gruppe Dänemark/Finnland in Frage. Konkret: wir hätten nichts zu sagen. Diese ab 2014 in Kraft tretende Regelung erinnert an die These von einem Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten. Danach sollte im künftigen Europa ein kleiner Kern die massgebenden Entscheidungen treffen. Alle anderen Staaten in Europa müssten zum Mitmachen überzeugt oder notfalls gezwungen werden. Wie dieser Mechanismus funktioniert, konnten wir in der Schweiz anlässlich der «autonomen» Übernahme eines grossen Teils des bestehenden Eurorechts als Swisslex sowie mehr oder weniger aufgezwungener Lösungen beim Landverkehr und dem freien Personenverkehr der Bilateralen bereits beobachten. Die nächsten Vorstösse sind schon aufgegleist: Abschaffung des Bankgeheimnisses und europaweite Steuerharmonisierung. Damit ist das von vielen hierzulande als erstrebenswert bezeichnete Stimmrecht der kleinen Mitglieder zu einem Nonvaleur geworden. Da tut die Schweiz gut daran, draussenzubleiben und die gegenüber Drittstaaten verbleibende treaty-making-power zu nutzen, um sich mit einem weitausgedehnten Netz von Freihandelsverträgen aus der Abhängigkeit vom europäischen Markt zu lösen. Dieser Weg ist zweifellos mit Risiken und mehr Arbeit verbunden. Aber er versetzt uns in die Lage, notfalls den bilateralen Abkommen, vor allem auch Schengen, Adieu sagen zu können. Und diese Option garantiert uns die Unabhängigkeit, die wir für die Zukunft brauchen.

SCHWEIZER MONATSHEFTE 974

Debatte // Die Schweiz & die EU

Und der Ernstfall ? Die Schweiz & die Sicherheit

R. Scheu // «Müde EUEnthusiasten», Ausgabe 974

D. Freiburghaus // «Dünnhäutige Beitrittsgegner», Ausgabe 976

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galerie Valentin Hauri

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ツォAt Jenny Richieツサ, 2008, テ僕 auf Leinwand, 50 x 45 cm


dossier Gutes besser tun

1 Vom glücklichen Umgang mit philanthropischen Tücken 2 Freiheit darf nicht in Willkür kippen 3 Dilemma zwischen Auftrag und Management 4 Der «Swiss Foundation Code 2009» 5 Nur wache Stiftungen erfüllen ihren Zweck 6 Muss es denn eine selbständige Stiftung sein? 7 Tips fürs Anlegen 8 Lasst uns Spass haben, solange wir leben 9 Kooperationen: mehr als gemeinsame Finanzierung

Gutes besser tun Trends im Schweizer Stiftungswesen Dagobert Duck, bis vor kurzem auf dem ersten Platz der «Liste der reichsten fiktiven Personen» des Magazins «Forbes», liebt es, kopfüber in seine Geldfluten einzutauchen und darin wonnig zu baden. Zwar wird auch er mehr oder weniger nackt auf die Welt gekommen sein – der Beginn seines Reichtums war ein «Glückszehner», die erste Münze, die er als junger Enterich mit Schuhputzen verdient hatte –, doch der Satz «Nackt kam ich auf die Welt, nackt will ich wieder gehen» ist ihm wohl dennoch niemals über die Lippen gekommen. Zur Stifterpersönlichkeit ist Dagobert Duck nicht geboren. Rückt man all die Menschen in den Blick, die einen Grossteil ihres Vermögens für gemeinnützige Zwecke gestiftet haben, dann ist die Schweiz sicher nicht Entenhausen. «Viel habe ich vom Leben bekommen – viel möchte ich zurückgeben» ist eine Äusserung, die im vergangenen Jahrzehnt die deutliche Zunahme von Stiftungsgründungen begleitet hat. Es wird geschätzt, dass in der Schweiz rund 12’000 gemeinnützige Stiftungen Vermögen von um die 50 Milliarden Franken verwalten. Das jährliche Ausschüttungsvolumen der Förderstiftungen beträgt zwischen einer und anderthalb Milliarden Franken. Die Tendenz ist weiterhin steigend. Das Stiftungsrecht in der Schweiz, formuliert in 10 Artikeln des Zivilgesetzbuches, gilt als eines der liberalsten weltweit. Freiheit in der Stiftungsgestaltung und eine nicht unerhebliche Ausschüttung – zusammen ergibt dies eine brisante Mischung. Denn die Förderstiftungen sind keiner Kontrolle durch Eigentümer oder den Markt unterworfen. Hat der Stifter das Geld erst einmal aus der Hand gegeben, hängt alles davon ab, dass sein Wille vom Stiftungsrat mit der nötigen Kompetenz, Umsicht und dem unerlässlichen Verantwortungsgefühl umgesetzt wird. Freiheit bietet Raum zum Missbrauch. Quis enim custodiet ipsos custodes? – Wer kontrolliert den Stiftungsrat? Missbrauch, Missmanagement und oft auch blosses Unwissen in der Stiftungsszene – die Probleme sind bekannt. Mit dem «Swiss Foundation Code», dem ersten europäischen Good-Governance-Kodex für Förderstiftungen, hat die Branche sich selbst Regeln vorgegeben, die sicherstellen sollen, dass die Fördergelder in Zukunft mit möglichst geringem Reibungsverlust ihrem gemeinnützigen Zweck zufliessen. Die Diskussion ist im Gange; die folgenden Beiträge führen sie fort. Suzann-Viola Renninger

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dossier Gutes besser tun

Stiften ist im besten Fall soziales Unternehmertum, unternehmerisches Handeln im Dienste der Allgemeinheit. Eine Würdigung – und eine Diskussion häufig geäusserter Kritikpunkte wie auch möglicher Fallstricke.

1 Vom glücklichen Umgang mit philanthropischen Tücken Philipp Egger

Ein Loblied den Stifterinnen und Stiftern! Mit vielen hundert Millionen Franken jährlich unterstützen gemeinnützige Stiftungen mit Sitz in der Schweiz ungezählte Projekte im In- und Ausland. Ohne ihre Beiträge kommt hierzulande kaum ein Konzert zustande, kaum eine Ausstellung, eine Theateraufführung, kaum ein innovatives Jugendoder Altersprojekt oder ein neues Projekt im Sozialbereich. Im Vergleich mit den grossen Töpfen der staatlichen Kassen leisten die privaten Förderstiftungen zwar nur einen kleinen, in der Regel aber gut plazierten Beitrag zu einer breiten Palette an Vorhaben in den Bereichen Kultur, Bildung, Soziales und Umwelt, indem sie oft das Zünglein an der Waage spielen. Stiftungen schieben neue Initiativen an, realisieren Ideen fernab des Massengeschmacks oder bewahren aus dem Zeitgeist Verbanntes. Eine Stiftung zu gründen oder lebendig zu erhalten, ist ein Unterfangen, das sich für alle Beteiligten lohnt. Die Gesellschaft profitiert vom gemeinnützigen Engagement; die für die Stiftung verantwortlichen Personen erfahren in ihrer gestaltenden und sinnstiftenden Fördertätigkeit eine grosse Befriedigung. Allerdings ist «stiften» gar nicht so einfach. Die Tausenden von Stiftungen in der Schweiz stellen eine disparate Branche dar. Sie verhalten sich alles andere als einheitlich, und ihre Förderkräfte wirken deshalb in die unterschiedlichsten Richtungen. Manche Stiftungen erscheinen anachronistisch, konservativ und risikofeindlich, andere wiederum werden als proaktiv, innovativ und risikotolerant wahrgenommen. In der Stiftungslandschaft Schweiz ist die Biodiversität maximal. 20

Anstoss an der inkohärenten Förderpolitik der Stiftungsbranche nehmen insbesondere Vertreter der staatswirtschaftlichen Fördersysteme. Ist nicht der Staat für die Definition und Finanzierung dessen zuständig, was der Allgemeinheit zuträglich ist? Sind es nicht die öffentlichen Bildungs-, Sozial-, Kultur-, Musik-, Ausländer-, Integrations- und anderen Konzepte, die in allen gesellschaftlichen Entwicklungsfeldern die exklusive Deutungsmacht für sich beanspruchen? Sind es nicht die im Dienste der öffentlichen Verwaltung stehenden Experten, die allein darüber zu entscheiden wissen, was förderungswürdig ist? Sollten Stiftungen nicht einfach nur da einspringen (müssen), wo das öffentliche Geld zu knapp ist? Die Widersprüchlichkeit in der Wertorientierung von Stiftungen und ihre Reibungsflächen zu den jeweils aktuellen staatlichen Fördercredos lassen sie vielleicht auf den ersten Blick durchaus als chaotisch, unwirksam oder störend erscheinen. Gerade aber die innere Sperrigkeit der Stiftungsbranche stellt eine für die Gesellschaft unentbehrliche Qualität dar: Stiftungen ermöglichen, regen an und regen auf, stellen sich quer. Sie marschieren nicht immer mit, sondern eilen oft voraus. Sie benennen Mängel und Lücken, erkennen Chancen und Potentiale, zuweilen widersprechen sie oder halten an Bewährtem fest. In ihrer konzeptuellen Heterogenität ergänzen sie die zunehmend durchregulierten öffentlichen Fördersysteme – man denke etwa an den Bereich der Volksschulbildung, wo eine relative Notwendigkeit zur Harmonisierung den Anlass zur Verfestigung von allerhand Ideologischem bietet. Im grossen Garten der Förderung sind Stiftungen die kleinen Gewächse; sie blühen bunt und besiedeln leere Nischen. Wenn auch die finanzielle Leistungsfähigkeit der Stiftungsbranche bescheiden ist, so bedeutet ihre Vielfalt einen grossen Reichtum. Wie langweilig und arm wäre eine – wenn auch mit noch so reichen Mitteln ausgestattete – öffentlich-rechtliche Monokultur der Förderung. Die gemeinnützige Stiftung ist eine irritierende Institution zwischen Privatheit und Öffentlichkeit. Ausgehend vom steuerprivilegierten Vermögensverzicht einer Privatperson, orientiert sich eine Stiftung als steuerbefreite Organisation an gemeinnützigen Interessen und greift mit ihren Förderaktivitäten in die Dynamik der Zivilgesellschaft ein. Eine Stiftung ist deshalb zugleich eine private und eine quasiöffentliche Institution. Die Konsequenzen dieser Verzahnung öffentlicher mit privaten Interessen werden oft weder von den Stiftungsverantwortlichen selbst gelebt noch von den Stiftungskritikern verstanden.

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dossier Gutes besser tun

Aus dem öffentlichen Anspruch einer Stiftung im Philanthropiesektor. Sie greift zu kurz. Mit den * Abgeleitet vom angebleitet sich etwa die Verpflichtung ab, der Öffent- Steuerbehörden und der Stiftungsaufsicht existie- lichen Zusammenhang zwischen Steuerbelichkeit über die Politik, die Strategie und die För- ren zwei in rechtlicher Hinsicht ganz unterschied- freiung und Gründungsderaktivitäten in geeigneter Form Rechenschaft lich gepolte, (mindestens potentiell) ausreichend motivation, wird immer abzulegen – auch wenn kein Gesetz dies verlangt. starke staatliche Instrumente, die missbräuchliche wieder die Erhöhung der SteuerabzugsStiftungsverantwortliche, und dies sind in erster Formen von Stiftungsaktivitäten weitgehend zu fähigkeit als probates Linie die Mitglieder des Stiftungsrates, sollten verhindern vermögen. In der Regel funktioniert Mittel zur Förderung deshalb in ihrer Tätigkeit eine weitestgehende der good deal in der Balance von Steuerbefreiung der Institution Stiftung propagiert. Das Beispiel Transparenz pflegen. Diese schützt sie auch vor und Gemeinnutzen denn auch ausgezeichnet. des Kantons Baseldem Generalverdacht, still und heimlich allerhand Des weiteren erscheint eine grundsätzlich stif- Landschaft zeigt, dass Projekte zu unterstützen, die ihnen selbst indirekt tungsfeindliche Haltung im 21. Jahrhundert als der Steueranreiz kaum nützen (selfdealing). Transparenz ist geradezu der anachronistisch. Längst ist das Wissen Teil unseres Wirkung zeigt. Obwohl hier Zuwendungen an Motor einer guten Stiftungsentwicklung; sie be- kollektiven demokratischen Bewusstseins, dass in gemeinnützige Stiftunwahrt die Stiftung vor einer schrittweisen selbst- einer pluralistischen und fragmentierten Zivilge- gen zu 100 Prozent vom gefälligen Erlahmung. sellschaft die Mehrheitsfähigkeit noch lange nicht steuerbaren Einkommen abgezogen werden Das private Wesen der Stiftung rechtfertigt die absolute und einzige Richtigkeit bedeutet. können, ist der Kanton nicht nur, sondern verlangt geradezu eine pragma- Nicht jeder Mensch erhält in seinem Leben keineswegs ein Stiftungstische Entscheidungsfreudigkeit des Stiftungsrates, die Chance, Stifter zu werden; nicht jeder Mensch paradies geworden. eine im unternehmerischen Sinne willkürlich ge- verfügt dazu über die notwendigen Vermögensprägte Handlungsfähigkeit. Stiftungsräte sollten werte und die innere Reife. Stifterpersönlichkeiihr Amt mutig und risikotolerant ausüben, sich ten zählen zu den glücklicheren Menschen, weil gleichzeitig aber der möglichen Folgen ihrer Ent- sie mehrfach privilegiert sind. Nicht nur sind sie scheidungen bewusst sein und die Verantwortung dafür tragen können. Der verwirrende öffentlich-private Charakter Stiftungen, so hört man noch heute in klassender Förderstiftungen provoziert manche negativen kämpferischer Rhetorik, seien ein mit gemeinReaktionen. Stifter und Stiftungen haben viele Neider, selbst wenn sich auch bei diesen selbst imnützigem Firlefanz getarntes Herrschaftsinstrument. mer wieder Begehrlichkeiten regen – wer hat nicht schon einmal eine Stiftung um Unterstützung für ein Projekt angefragt? Stiftungen, so hört man noch heute in klassen- bereit, einen freiwilligen Vermögensverzicht zukämpferischer Rhetorik, seien ein mit gemeinnüt- gunsten der Allgemeinheit zu leisten – sie können zigem Firlefanz getarntes Herrschaftsinstrument sich diesen auch leisten. Zudem besitzen sie ein und hätten als irreführende Ausprägung von Men- den Niederungen des Konsumismus wenigstens schenliebe (Philanthropie) viel mit Selbstliebe zu teilweise entrücktes Bewusstsein, das ihnen die tun. Weil sogenannte gemeinnützige Stiftungen Auseinandersetzung mit Sinnsuche und Wertgesteuerbefreit seien, gelinge es der besitzenden Klas- bung als erstrebenswerter erscheinen lässt als den se, mit diesem Steuersparvehikel ihre persönlichen Erwerb ein paar zusätzlicher Liegenschaften oder Anliegen auf Kosten der Allgemeinheit zu pflegen den angstvollen täglichen Blick auf die Aktienkurund ihre Hobbies mit dem Fiskus entgangenen se. Schliesslich und vor allem steht dem materielGeldern zu finanzieren. Die Stiftung sei geradezu len Verzicht ein immaterieller Gewinn gegenüber, eine philanthropische Perversion, indem sie unter der allfällige Steueranreize unwichtig erscheinen dem Dehnbegriff des Gemeinnutzens einen Ver- lässt.* Eine Stiftung schenkt Reputation, Lebensmögensverzicht heuchle, in Wirklichkeit aber zu sinn und bedeutet oft eine Form persönlichen Lasten der Allgemeinheit den Eigennutzen bedie- Vermächtnisses. ne. Während sich die Verteilung von Steuergel- Eine Stiftung zu gründen, ist geradezu eine Andern den demokratischen Prozessen stellen müsse, leitung zum Glücklichsein. Wer es sich materiell so sei jene von Stiftungsgeldern einer wirksamen leisten kann, sollte Stifter werden, sollte sich und öffentlichen Kontrolle entzogen. Stiftungen soll- der Allgemeinheit diese öffentliche Form privaten deshalb eigentlich abgeschafft und die Stif- ten unternehmerischen Engagements leisten. Tattungsvermögen dem Fiskus erschlossen werden. sächlich setzt eine Stiftungsgründung persönliche Diese fundamentalistische Stiftungskritik ist Energien frei und kann eine bedeutende gesellsozusagen die Anwendung der Kapitalismuskritik schaftliche Wirkung entfalten.

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Hat man früher von Vergabestiftungen gespro- In den letzten zehn Jahren ist viel Bewegung in chen und damit das blosse Wegschicken von Geld die Stiftungslandschaft Schweiz gekommen. Eine in den Vordergrund gestellt, so ist der neuere Be- eingehende Orientierung für gemeinnützige Stifgriff der Förderstiftung geradezu Programm. Im tungstätigkeit stellt der «Swiss Foundation Code Zentrum des Bemühens steht der Gedanke, Projek- 2009» dar, indem er den Gestaltungsraum zu den te von öffentlichem Interesse zu ermöglichen und Themen Stiftungsgründung, Führung, Förderung ihnen zum Durchbruch zu verhelfen. Ein Förder- und Finanzen mit ausführlich kommentierten beitrag wird so zur Investition in die Gesellschaft Empfehlungen ausleuchtet. Das im Jahr 2008 geund stellt notwendigerweise die Fragen nach der gründete Centre for Philanthropy Studies (CEPS) gesellschaftlichen Rendite und nach der Wirkung. der Universität Basel stellt als Kompetenzzentrum Ist es wirklich sinnvoll, wenn Stiftungsgelder für Philanthropie in einem breiteren Sinn aktuelle nach der Strategie we too oder more of the same Forschungsresultate, Weiterbildung und Beratung eingesetzt werden? Anders ausgedrückt: ist es ge- zur Verfügung. SwissFoundations schliesslich, der rade ein Nachweis für die Qualität eines Projektes, 2001 gegründete Verband der Förderstiftungen in wenn schon viele andere Geldgeber beteiligt sind? der Schweiz, bietet seinen Mitgliedern – unabhänSollten die knappen privaten Mittel von Stiftun- gig von ihrer Grösse – einen bunten Strauss von gen ausschliesslich bestehende Lücken füllen, so Dienstleistungen an und besteht vor allem aus eigut das geht? Oder müssen Stiftungen privates nem qualifizierten Netzwerk von Praktikern aus Risikokapital für Experimente und Innovationen Geschäftsleitungen und Stiftungsräten. bereitstellen, die jenseits der Mehrheitsfähigkeit Im Zuge des selbstregulativen Aufbruchs des staatlicher Budgets stehen? Oder sollte gerade liberalen Stiftungsstandorts Schweiz haben auch wegen der vergleichsweise geringen Mittel auf manche Dienstleister Blut geleckt. Wo sich Geld Nummer Sicher gesetzt werden? Sind Stiftungen in kleineren oder grösseren Haufen sammelt, da stellt sich alsbald ein Beratungswind ein, der seine sanfte, erodierende Wirkung ausübt. Mittlerweile wird von einer ganzen Reihe einschlägiger AgenManche Dienstleister haben Blut geleckt. Wo sich turen mehr oder weniger guter Rat für teures Geld Geld in kleineren oder grösseren Haufen sammelt, angeboten. da stellt sich alsbald ein Beratungswind ein, Ein zukünftiger Stifter ist gut beraten, in die der seine sanfte, erodierende Wirkung ausübt. Vorbereitung seiner Stiftung viel eigene Zeit und etwas Geld für Recherche zu investieren. Dabei mag er entdecken, dass er aus Kosten-, EffizienzLaboratorien für Zukunftsfähigkeit oder Kura- und Nachhaltigkeitsgründen gar keine selbstäntorien von Museen der Gemeinnützigkeit? Sind dige Stiftung gründen will; zielführender kann Fördergelder zielgerichtet einzusetzen, um in ihm etwa eine Zustiftung zu einer bestehenden engem Rahmen Wirkung zu erzeugen, die dann Stiftung erscheinen. Insbesondere für kleinere auch messbar ist? Oder ist es umgekehrt nicht ge- und mittlere Stiftungsvermögen bietet sich auch rade die Aufgabe einer Stiftung, eine grosszügige, die Realisierung der Stifteridee in Form einer unbürokratische und spontane Giesskannenför- unselbständigen Stiftung an. Diese wird in eine derung zu betreiben, damit sich ihre Förderwir- professionell und, dank ihrer Poolingstruktur, kung an vielen Orten entfalten kann? kosteneffizient geführte Dachstiftung eingebracht Wer heute eine Stiftung gründen will, steht und bewahrt als Namenfonds ihre Identität, als Philipp Egger, vor vielen Fragen. Mit dem Besuch beim Vertrau- «Stiftung in der Stiftung». geboren 1958, ensanwalt zwecks Stiftungsgründung ist es nicht Attraktiv ist nicht zuletzt die zeitgemässe Form promovierte an der Universität Basel in mehr getan; auch ist der Stiftungswillige gut be- der Verbrauchsstiftung, die es auch kleineren StifAllgemeiner Geschichte raten, wenn er sich die eher neue Frage der Un- tungsvermögen erlaubt, eine grosse Förderwirund Linguistik. Er ist abhängigkeit einer künftigen Stiftung von seinem kung zu entfalten – wenn auch für eine befristete Geschäftsführer der Gebert Rüf Stiftung, Bankinstitut sorgfältig überlegt. Damit ein robust Zeit. So kann ein Stifter zu einer aktuellen Frage Gründungsmitglied formulierter Stiftungszweck wirkungsmächtig einen wesentlichen Impuls geben und diesen zu von SwissFoundations, umgesetzt werden kann, sind mancherlei Vorbe- Lebzeiten mitgestalten. Er riskiert nicht, dass seiHerausgeber der Buchreihe «Foundation reitungen zu treffen. Dazu können sich aber heute ne von ihm ins Leben gerufene Stiftung mit jeder Governance» und potentielle Stifter ein mittlerweile gutentwickeltes, neuen Generation von Stiftungsräten zunehmend Mitautor des «Swiss branchenspezifisches Wissen nutzbar machen, das erlahmt und schliesslich als Fossil der GemeinnütFoundation Code ihnen ihre selbstgesetzte Aufgabe erleichtert. 2009». zigkeit ein trauriges Dasein fristet. 22

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In der Schweiz geniessen die Stiftungen grosse Freiheit. Eine zu grosse, meint Myriam Gebert. Aus Unwissenheit oder Willkür werden daher Milliarden von Franken leichtfertig eingesetzt. Ein Gespräch darüber, wie das Stiftungswesen verbessert werden könnte.

Die Grösse des Vermögens entscheidet hier über Sein oder Nichtsein? No, no! Auch Stiftungen mit wenig Kapital können sehr gut arbeiten. Ich masse mir nicht an zu sagen, wie hoch das Stiftungskapital sein muss, damit es Sinn macht. Entscheidend ist, dass das Verhältnis zwischen dem Zweck einer Stiftung und der finanziellen Dotierung stimmt.

2 Freiheit darf nicht in Willkür kippen

Das hängt auch vom Willen des Stifters ab. Richtig. Massgebend ist immer der Wille des Stifters. Dieser gibt bei der Gründung einer Stiftung manchmal sein gesamtes Vermögen aus der Hand. Danach ist finito, danach hat er nicht mehr viel zu sagen. Kritisch wird es vor allem dann, wenn er gestorben ist. Auch nach seinem Tod muss sein Wille vollzogen werden. Und das ist leider nicht immer der Fall.

Suzann-Viola Renninger im Gespräch mit Myriam Gebert

Wer hält die Fäden in der Hand? Es ist allein der Stiftungsrat, der darüber entscheidet, welche Projekte finanziert und ausgeführt werden. Die Stiftungsräte der ersten Generation kennen den Stifter meist noch persönlich. Das beginnt sich mit der zweiten Generation zu ändern. Daher wird hier schon weniger im Sinne des Stifters entschieden und gearbeitet. Mit jeder neuen Stiftungsratsgeneration rückt die Gefahr näher, dass mit den Erträgen des Stiftungsvermögens mehr und mehr nur noch Sitzungsgelder, Honorare und Spesen der Stiftungsräte bezahlt werden. Das Geld wird immer weniger für den Zweck eingesetzt, für den es ursprünglich gedacht war. Die Stiftungen werden stumm. Ein Verrat am Stifter.

Frau Gebert, genaue Zahlen liegen nicht vor. Doch es wird geschätzt, dass in der Schweiz rund 12’000 gemeinnützige Stiftungen existieren, die zusammen ein Vermögen von 50 Milliarden Franken verwalten. Damit kann einiges bewegt werden. Sie haben als Juristin die Gründungen einer Reihe von Stiftungen begleitet. Stimmen Sie ein in die Rede vom «Stiftungsparadies Schweiz»? Stiftungen sind ein wunderbares Instrument für das gemeinnützige Engagement. Doch müssen die Rahmenbedingungen stimmen. In der Schweizer Stiftungslandschaft sind Milliarden von Franken verlorengegangen, weil Stiftungsgelder nicht konsequent und mit der genügenden Sorgfalt für den ursprünglich gedachten Zweck Das Schweizer Stiftungsrecht lässt den Stiftungen eingesetzt wurden und werden. Um zu erkennen, grosse Freiheiten. woran das liegt und wo sich die Abgründe des Eine Freiheit, die in Willkür kippen kann. Die Paradieses finden, braucht es allerdings grosse Grenze ist schmal. Viel zu oft geht der Respekt Erfahrung. vor dem Willen des Stifters verloren, der immer im Zentrum stehen sollte. Wohl auch Courage und Unabhängigkeit. Schliesslich profitieren viele von den gemeinnützigen Stif- Die Empfehlungen von SwissFoundations, dem Vertungen. Wer mag die, von denen er etwas erhält, ein der Schweizer Förderstiftungen, versuchen hier schon kritisieren? Abhilfe zu schaffen. Seit einigen Jahren gibt es den Daher darf es gar nicht erst soweit kommen. Die «Swiss Foundation Code», mit dem die Branche verimmer noch bestehenden Lücken im Gesetz müs- sucht, sich selbst zu regulieren. Die Umsetzung des sen geschlossen werden, um Missbräuchen vorzu- Stifterwillens ist ein wichtiges Thema. beugen. So gibt es etwa viel zu viele sogenannte SwissFoundations hat mit der Publikation des stille Stiftungen. Das sind meist Stiftungen, die Swiss-Foundation-Codes grossen Mut gezeigt, wegen eines zu kleinen Vermögens nicht mehr und ich bin dankbar, dass hier eine Basis für die aktiv sind. Dabei muss eine Stiftung leben. Sonst weitere Arbeit an der Schliessung der Lücken im ist sie sinnlos. Stiftungswesen gelegt wurde. Allerdings genügt

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es nicht, Empfehlungen auszusprechen, deren Befolgen dem Ermessen der einzelnen Stiftungen anheimgestellt bleibt. Die Empfehlungen müssten meiner Meinung nach verbindlich sein.

schon existierenden Stiftung als Vorbild und kopieren weitgehend deren Stiftungsurkunde. Sie denken nicht daran, wie viele Besonderheiten jede Gründung mit sich bringt und welche Schwierigkeiten im Einzelfall auftreten können. Stiftungen werden daher zu oft ohne Aussicht auf Erfolg gegründet.

Sie fordern eine Veränderung des Stiftungsrechts? Das Stiftungsrecht ist veraltet. Es stammt aus dem Jahr 1911 und besteht aus ganzen 10 Artikeln. Stellen Sie sich das mal vor! Zum Vergleich: Wo liegt der entscheidende Fehler bei der Gründung? das Aktienrecht etwa hat zweihundert. Zwischen Vermögen und Stiftungszweck besteht häufig kein vernünftiges Verhältnis. In der Praxis 2008 trat die Revision des Stiftungsrechts in Kraft. lässt sich bereits mit 50’000 Franken eine StifEs wurden nur drei Neuheiten eingeführt. tung gründen. Ob das jedoch sinnvoll ist, hängt Erstens die Pflicht zur Bezeichnung einer Revi- vom Stiftungszweck ab. Ist eine Stiftung erst sionsstelle, zweitens die Einführung eines Vor- einmal gegründet, gibt es kaum Möglichkeiten, behalts der Zweckänderung und drittens die bestehende Missstände zu beheben. Wie schon Erhöhung der steuerlichen Abzugsfähigkeit. Das angesprochen, sind hier den Aufsichtsbehörden genügt bei weitem nicht. die Hände gebunden: sie bekommen die Stiftungsdokumente häufig erst dann zu Gesicht, Eine liberale Gesetzgebung muss nicht zwangsläu- wenn die Gründung bereits beurkundet und die fig zu Missbrauch führen. Und sie hat den Vorteil, Stiftung im Handelsregister eingetragen ist. Also Raum für Kreativität und Innovation zu lassen. dann, wenn kaum mehr etwas zu ändern ist. Bene. Aber man kann nicht mit zehn nackten Artikeln im Zivilgesetzbuch die Schenkungen von Gehen wir doch mal vom Fall aus, der Stifter habe Milliarden von Franken regeln. Das Departe- die erste Hürde genommen und eine Stiftung gement des Innern hat zwar zusätzlich einen recht- gründet, in der der Zweck im Verhältnis zum Verlichen Leitfaden für Stiftungen herausgegeben. mögen sinnvoll austariert ist. Soll er ihre Lebenszeit Dieser erläutert die Aufgaben der Aufsichtsbe- beschränken? hörden, wozu eine fakultative Vorprüfung neuer Die Dauer von Stiftungen ist ein sehr heikles Stiftungsprojekte gehört. Aber auch das genügt Thema. Ewige Stiftungen müssen – das ist meine nicht. Die Vorprüfung durch die Aufsichtsbehör- Meinung – nur in ganz seltenen Fällen vorgesede müsste zwingend sein. hen werden. Zum Beispiel für Museen oder Altersheime. Solche Stiftungen brauchen genügend Warum das? eiserne Reserven. In den meisten Fällen braucht Die richtige Gründung macht die Hälfte des Er- es jedoch mehr Flexibilität, mehr Exitmöglichfolgs einer Stiftung aus. Entscheidend für einen keiten. Es müsste etwa möglich sein, die Statuten zukünftigen Stifter sind Fragen wie: Was will ich zu ändern, einen Teil der Stiftungsgüter zu vermit meinem Vermögen erreichen? Für welchen äussern oder mit anderen Stiftungen zu fusionieZweck soll das Geld eingesetzt werden? Und: Wie ren. Ich denke, es ist besser, Stiftungen mit einer soll die Stiftungstätigkeit angepasst werden, wenn kurzen oder mittleren Lebenszeit zu gründen, sich die gesellschaftliche Situation so ändert, dass also mit einer Lebenszeit von Jahren oder Jahrder ursprüngliche Stiftungszweck obsolet gewor- zehnten statt von Jahrhunderten. Entscheidend den ist? Wer eine Stiftung gründen will, braucht ist aber auch hier, die Erfüllung des Zwecks im gute Berater. Man muss bei der Gründung enorm Auge zu behalten. aufpassen. Diese Aussage zieht sich als roter Faden durch unser Gibt es in der Schweizer Juristenszene nicht genü- Gespräch. Wenn nun der Stifter auch die zweite gend Stiftungsexperten, die mit Rat und Tat zur Hürde genommen und die Dauer der Stiftung angeSeite stehen könnten? messen bestimmt hat, was erwartet ihn dann? Nach meiner Erfahrung erfolgen Gründungen Dann taucht als nächstes die grosse Schwierigkeit von Stiftungen oft mit zu grosser Leichtfertigkeit. der fehlenden checks and balances auf. Man kann Es gibt nur wenige Juristen, die genügend Erfah- auch von fehlender governance sprechen. Manch rungen mit Stiftungen haben. Bei einer Neugrün- ein Stiftungsrat erfüllt seine Aufgaben unmotidung nehmen Juristen häufig das Beispiel einer viert und ohne Leidenschaft; seine Mitglieder ha24

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dossier Gutes besser tun

ben die Funktion wegen der damit verbundenen Was, wenn diese Pflichten verletzt werden? Reputation oder auch aus finanziellen Motiven In solchen Fällen sollte eine qualifizierte Mehrheit übernommen. Um Zeitaufwand zu vermeiden, des Stiftungsrates das fehlbare Mitglied abberuwird dann das jährlich zur Verfügung stehende fen können. Als ultima ratio würde ich empfehlen, Geld so schnell wie möglich verteilt. Es wird aus dass wie bei Aktiengesellschaften eine Sonderprüdem Bauch heraus entschieden. Ich habe erlebt, fung der Tätigkeit der Stiftungsräte möglich wird. dass Stiftungsräte gar nicht oder nur unvorberei- Diese könnte von einzelnen Stiftungsräten beantet an Sitzungen kamen. Kontrolle der Bonität tragt werden. Oder sie wird von der Aufsichtsder Antragsteller und die korrekte Durchführung behörde veranlasst, wenn ihr bei der jährlichen von Projekten rücken in solchen Fällen in den Kontrolle Unregelmässigkeiten auffallen. Hintergrund. Zusammengefasst: Was muss sich ändern? Sie meinen, Stiftungsräte können schalten und wal- Die Freiheit im Stiftungswesen muss begrenzt ten, wie sie wollen? werden, damit der Willkür ein Riegel geschoben Die Stiftungsräte kontrollieren das gesamte Ver- wird. Eine obligatorische Prüfung der Unterlagen mögen einer Stiftung. Wer aber kontrolliert die einer neuen Stiftung – vor dem HandelsregisterStiftungsräte? Nach der heutigen Praxis haben eintrag – verletzt die Prinzipien des Liberalismus die Aufsichtsbehörden oft kaum die Möglich- nicht. Wir müssen minimale Schutzregelungen keit, mehr als die formale Kontrolle – also etwa einführen. Es geht darum, das Konzept des Lides Jahresberichts – durchzuführen. Dabei wäre beralismus im Schweizer Stiftungsrecht weiterzudie materielle Kontrolle entscheidend, also die entwickeln. Verstehen Sie mich nicht falsch: es Kontrolle der geleisteten Arbeit nach Massgabe braucht nicht eine Flut von neuen Gesetzen. Es des Stiftungszwecks. Hinzu kommt: Stiftungsrä- genügen zwei bis drei Artikel, die die Aufsichtste können ihre Honorare und Spesenvergütun- behörden in die Lage versetzen, den Artikel 84.2 gen meist selbst festlegen. Und einmal gewählt, des Zivilgesetzbuchs effektiv umzusetzen. Dieser kann manch ein Stiftungsrat seinen Sitz bis zum Artikel lautet: «Die Aufsichtsbehörde hat dafür Lebensende behalten. So kann es passieren, dass zu sorgen, dass das Stiftungsvermögen seinen Profiteure und inkompetente Personen jahrelang Zwecken gemäss verwendet wird.» in einem Stiftungsrat sitzen, ohne nur einen Deut von Verantwortung wahrzunehmen. Wir müssen Sie nehmen kein Blatt vor den Mund. Aus welchen daher dafür sorgen, dass alle Stiftungsräte sich Erfahrungen stammt Ihre Kritik an dem für Dritte engagieren und wirklich arbeiten. Noch eine nicht ohne weiteres transparenten Stiftungswesen? Bemerkung zu den Honoraren. Richtig ist, wie Ich bin in die Stiftungswelt hineingeboren wores auch im «Swiss Foundation Code» steht, dass den. Die Familie meiner Mutter hat in den Spezialisten, etwa für die Begutachtung von An- 1920er und 1930er Jahren im Tessin die ersten trägen, nach Marktpreis bezahlt werden. Doch Stiftungen, für Krebsbehandlung wie auch ein die Stiftungsräte, so meine Auffassung, sollten Altersheim, gegründet. Das war für die ganze Fazu einem bescheidenen Tagessatz arbeiten, oder milie ein grosses Opfer. Da mein Vater Mitglied noch besser ehrenamtlich. Das wäre auch im Sin- vieler Stiftungsräte war, habe ich in jungem Alter ne der Gemeinnützigkeit. viel von Stiftungen und deren Problemen gehört. Als Juristin habe ich dann während meiner geUnd dazu wollen Sie das Geschütz strengerer Geset- samten Karriere weiter mit dem Stiftungswesen ze auffahren? zu tun gehabt. Nach meiner Heirat mit Heinrich Es geht um die Frage: Wie kann man den Libera- Gebert haben wir uns jeden Tag für die Stiftunlismus schützen und gleichzeitig den Willen des gen eingesetzt, die er gegründet hat. Mein Mann Stifters gewährleisten? Die Stiftungsräte müssen hat, nach dem Verkauf der Geberit AG, fast sein eine grössere Verantwortung tragen. Via Statuten gesamtes Vermögen in gemeinnützige Stiftungen könnte es für gewählte Stiftungsratsmitglieder et- gesteckt. Vor drei Jahren ist er gestorben. Um wa obligatorischgemacht werden, eine ausführli- die von ihm gegründeten Stiftungen kümmere che Erklärung zu unterzeichnen. Darin würden ich mich weiterhin intensiv – direkt und indirekt. sie sich verpflichten, den rechtlichen Rahmen zu kennen, genügend Zeit zur Verfügung zu stellen, sich weiterzubilden und direkte und indirekte Interessenkonflikte zu vermeiden.

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Myriam Gebert, geboren 1952 in Mendrisio, schloss 1975 in Genf ihr Jurastudium ab und arbeitet seither als Juristin.

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dossier Gutes besser tun

Wie lässt sich Gutes besser tun? Indem Effizienz und Wirtschaftlichkeit im Auge behalten werden. Gute Stiftungsführung, optimaler Ressourceneinsatz und Wirkungsorientierung: drei Forderungen für ein modernes und professionelles Stiftungsmanagement.

3 Dilemma zwischen Auftrag und Management Georg von Schnurbein

Wer eine Förderstiftung gründet, möchte Gutes tun und anderen helfen. Begriffe wie Management, Effizienz oder Wirtschaftlichkeit erscheinen da auf den ersten Blick oft fehl am Platz. Doch wirtschaftliche Aspekte sind nicht erst ab Stiftungsgründung oder ab einem gewissen Stiftungsvermögen relevant. Die zentrale Herausforderung für Stiftungen besteht darin, das für die Organisation optimale Gleichgewicht zwischen Auftrag und Management zu finden. Die besondere Bedeutung des Auftrags oder Zwecks bei Stiftungen ergibt sich aus ihrer rechtlichen Stellung. In der Reihe der Rechtsformen nimmt die Stiftung als Anstalt eine Sonderrolle ein. Daraus ergeben sich einige Beschränkungen. Eine Stiftung hat keine Eigentümer, keine Mitglieder, kein Recht zur Selbstauflösung und insbesondere kein Recht zur Abweichung vom Stiftungszweck oder zu dessen Änderung. Man spricht deshalb auch von der «Diktatur der toten Hand»; denn der in der Urkunde festgehaltene Stifterwille ist grundsätzlich nicht modifizierbar. Jakob Fugger etwa errichtete 1521 eine Stiftung, deren Zweck der Bau und die Führung einer Sozialsiedlung war. Noch heute, über 500 Jahre später, wird die Fuggerei auf der gleichen Grundlage geführt, weshalb die Mieter noch immer drei Gebete täglich für die Stifter sprechen und eine Monatsmiete von einem rheinischen Gulden – knapp einem Euro – zahlen müssen. Jedoch sind solche epischen Erfolgsbeispiele, die die Jahrhunderte überdauert haben, eher die Aus26

nahme. In der Mehrzahl erreichen insbesondere eng gefasste Stiftungszwecke früher oder später ihren Gültigkeitszenit. Dadurch gibt es immer wieder Stiftungen, die keine Aktivposten der Zivilgesellschaft, sondern vielmehr Scheintote sind, denen der eigene Fortbestand mehr bedeutet als die gesellschaftliche Wirkung. Wer ewig lebt, muss sich keine Gedanken zum Jetzt machen. Eine erfolgreiche Zweckerfüllung beginnt nicht erst mit dem Traktandum «Gesuche» an der Stiftungsratssitzung, sondern mit den Grundlagen der Stiftung. Dazu ist es sinnvoll, sich zunächst mit der gesellschaftlichen Rolle der Stiftungen auseinanderzusetzen, um deren Aufgabe besser zu verstehen. Die wichtigste Form der stiftungsbezogenen Gemeinnützigkeit ist die Ergänzung staatlicher Leistungen. Stiftungen unterstützen staatliche Einrichtungen wie Universitäten oder Krankenhäuser oder arbeiten – etwa bei der Arbeitsplatzschaffung – mit der öffentlichen Verwaltung zusammen. Seit je eng mit dem Stiftungswesen verbunden ist auch die Bewahrung von Tradition und Kultur. Hier setzen die Stiftungen das klassische Mäzenatentum fort. Eine weitere im Charakter der Stiftung verankerte Funktion ist ihre innovative Gestaltungskraft, da Stiftungen ihr Risiko relativ unabhängig von äusseren Einflüssen bestimmen können. Stiftungen helfen Unternehmensgründern oder fördern innovative Projektideen. Welche gesellschaftliche Rolle auf eine Stiftung auch zutreffen mag, ihr Auftrag und ihr Zweck folgen einer gewissen Logik des gesellschaftlichen Wandels. Bevor eine Stiftung Gesuche annimmt, Preise auslobt, Ausschüttungen tätigt oder Förderprogramme startet, sollte sie sich bewusst machen, auf welche Weise sie ihren Zweck erreichen will. Und dazu können Instrumente und Methoden des Managements hilfreich sein. «Management exists for the sake of the institution’s results. It has to start with the intended results and has to organize the resources of the institution to attain these results», formuliert der Ökonom Peter Drucker in «Management» (2008). Die Zielorientierung einer Stiftung ist im Stiftungszweck festgehalten. Insofern ist mit der Stiftungsgründung der Zielfindungsprozess zu einem Grossteil bereits abgeschlossen und für die zukünftige Arbeit hat der Stiftungszweck eine normative Gültigkeit. Wie aber lässt sich Gutes besser tun? Dazu sollen hier drei wesentliche Forderungen an ein modernes und professionelles Stiftungsmanagement erörtert werden.

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(1) Foundation Governance. In vielen Stiftungen ist der Stiftungsrat das einzige existierende Gremium. Selbst in Stiftungen mit einer hauptamtlichen Geschäftsführung trägt der Stiftungsrat eine grosse Verantwortung für die gesamte Organisation. Hinzu kommt, dass es kein weiteres Kontrollorgan im Sinn einer Generalversammlung gibt, dem der Stiftungsrat Rechenschaft schuldig wäre. Der Stiftungsrat vereinigt in sich die Dreieinigkeit aus Kontrolle, Entscheidung und Umsetzung. Diese Machtkonzentration kann zu Interessenkonflikten, Behäbigkeit und Selbstreferentialität führen. Mehr als andere Organisationstypen muss die Stiftung deshalb aus sich selbst heraus Mechanismen entwickeln, die eine effiziente und effektive Steuerung fördern. Hier setzt die foundation governance an, verstanden als die Gestaltung von und Aufsicht über Führungsstrukturen einer Stiftung. Mit dem «Swiss Foundation Code»* wurde ein Instrument geschaffen, das die wichtigsten Aspekte der foundation governance zusammenfasst. (2) Optimaler Ressourceneinsatz. Aus der Forderung nach Wirksamkeit ergibt sich als zweite zentrale Forderung an das Stiftungsmanagement ein sorgfältiger Einsatz der verfügbaren Ressourcen. Keine Stiftung der Welt – nicht einmal die «Bill & Melinda Gates Foundation» – verfügt über genügend Ressourcen, um ihren Stiftungszweck zu erfüllen. Die sozialen, ökologischen und humanitären Probleme der Welt übersteigen die Stiftungspotentiale um ein Vielfaches. Um so mehr müssen Stiftungen ihre Mittel möglichst wirksam einsetzen. Ein wichtiger Grundsatz in der Förderarbeit lautet daher «Entscheiden heisst Verzichten». Ein weiterer Grundsatz leitet sich her vom Begriff der Hebelwirkung. Eine Stiftung kann zwar durch Einzelförderung von Kindern mit Migrationshintergrund punktuell Wirkung erzeugen. Doch wieviel Wirkung liesse sich erzeugen, wenn es gelänge, das staatliche Bildungssystem so zu verändern, dass Kindern mit Migrationshintergrund generell bessere Chancen geboten würden? Plakativ ausgedrückt: eine Stiftung kann einen Franken im Sinn des Stiftungszwecks so einsetzen, oder sie kann andersherum den einen Franken so verwenden, dass mit Hilfe der Beteiligung anderer Akteure drei oder vier Franken für den Stiftungszweck mobil gemacht werden können. Optimaler Ressourceneinsatz bedeutet, dass sich Stiftungen über die Variabilität ihrer Tätigkeiten mehr Gedanken machen. Neben dem Lobbying bei staatlichen Institutionen als einem möglichen Weg bestehen vor allem

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bei der Kooperation mit anderen Organisationen, zuvorderst anderen Stiftungen, sehr grosse Hebelpotentiale.** (3) Wirkungsorientierung. Der dritte Managementbereich betrifft die Wirkungsorientierung der Philanthropie. Eine Stiftung kann finanziell und organisatorisch bestens aufgestellt sein und trotzdem scheitern. Denn der ökonomische Erfolg reicht bei einer Stiftung allein nicht aus, da das oberste Ziel der Stiftung ein Sachzweck ist. Anderseits wird dieser Sachzweck nicht erreicht, wenn es an der ökonomischen Leistungsfähigkeit fehlt. Die Wirkung von Stiftungsförderung lässt sich aber nur in den seltensten Fällen mit eindeutigen Kriterien messen. Die Probleme liegen einerseits in den externen Faktoren, die das Ergebnis einer Förderung beeinflussen, und anderseits in der Langfristigkeit. Die Wirkung vieler Projekte, beispielsweise in der Jugendarbeit, lässt sich erst nach Jahren oder Jahrzehnten feststellen. Das Dilemma zwischen Auftrag und Management tritt deshalb bei der Wirkungsmessung so deutlich zutage, weil beide Aspekte sich hier

* vgl. den Beitrag von Parisima Vez in dieser Ausgabe, S. 28 ff. ** vgl. den Beitrag von Jordi Montserrat in dieser Ausgabe, S. 40

Die sozialen, ökologischen und humanitären Probleme der Welt übersteigen die Stiftungspotentiale um ein Vielfaches. Um so mehr müssen Stiftungen ihre Mittel möglichst wirksam einsetzen. wieder vereinigen. Die Wirkungsmessungsansätze sind managementgetrieben und trachten nach Effizienz, Effektivität und Qualität. Gemessen jedoch werden Ziele, die sich aus dem Auftrag der Stiftung ableiten. Das Dilemma zwischen Auftrag und Management lässt sich in Stiftungen nicht durch Ausschluss der einen oder der andern Komponente lösen. Vielmehr müssen Methoden und Instrumente eingesetzt werden, durch die sich beide Zielrichtungen optimal miteinander verbinden lassen. Insbesondere müssen Stiftungen strategische Ziele für ihre Förderarbeit festlegen und die Einhaltung dieser Ziele überprüfen. Zusätzlich kann durch erhöhte Kooperationsbereitschaft, durch kostensparende Modelle wie Dachstiftungen oder durch verbesserte Kommunikation mit den Destinatären die Effizienz der Stiftungen gesteigert und gleichzeitig der Stiftungszweck besser erfüllt werden. Erst dann können Stiftungen als Schrittmacher der Zivilgesellschaft wirken.

Georg von Schnurbein, geboren 1977, ist Assistenzprofessor für Stiftungsmanagement und Leiter des Centre for Philanthropy Studies (CEPS) der Universität Basel. www.ceps.unibas.ch

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Selbstregulierung statt staatlicher Intervention. 2005 wurde mit dem «Swiss Foundation Code» der erste europäische Good-Governance-Kodex für Förderstiftungen publiziert. Vier Jahre darauf folgte die zweite Fassung.

4 Der «Swiss Foundation Code 2009» Parisima Vez

Aus dem Französischen übersetzt von Florian Rittmeyer. Das französische Original kann unter www.advokatur56.ch abgerufen werden.

Seit Jahrzehnten erfüllen in der Schweiz die klassischen Stiftungen mit ihrem privaten Vermögen gemeinnützige Aufgaben, die Körperschaften des öffentlichen Rechts nicht übernehmen wollen oder übernehmen können. Die Stiftungstätigkeit ergänzt so im Dienst der Zivilgesellschaft die staatliche Leistung. Im Gegenzug gewährt die Schweiz den Stiftungen ausgezeichnete Rahmenbedingungen. Jeder ist frei, eine Stiftung zu gründen und deren Ziel, Organisation und Funktionsweise festzulegen. Die gemeinnützigen Stiftungen sind ausserdem oft von Steuern befreit. Hinzu kommt die politische Stabilität der Schweiz, die Berechenbarkeit der Rechts- und Verwaltungsverhältnisse, die wirtschaftliche Prosperität und die vertrauenswürdige Beaufsichtigung der Stiftungen durch den Staat. All dies trägt zum Ruf der Schweiz als Stiftungsparadies bei. Doch dieser elastische rechtliche Rahmen, den die Schweizer Gesetzgebung bietet, wird nicht von allen als Vorteil wahrgenommen. Manche wünschen sich eine straffe Lenkung und fordern vom Staat, zwingende Regeln für das Stiftungs-

management einzuführen, um so das Ausmass der Stiftungsaktivitäten zu reduzieren. Dahinter steht das Bestreben, die Aufgaben des öffentlichen Interesses ausschliesslich Körperschaften des öffentlichen Rechts vorzubehalten. Lasse man zu, dass private Institutionen ihr Vermögen in einem bestimmten Feld ihrer eigenen Wahl einsetzten, so die Argumentation, entziehe man dem Staat das Vorrecht, die Prioritäten festzulegen, nach denen er die Ressourcen einsetzen wolle. Im Gegensatz hierzu ist für Befürworter einer liberalen Gesetzgebung die Flexibilität der staatlichen Regelung ein unwiderlegbarer Vorteil des Systems. Sie lässt den Akteuren des gemeinnützigen Sektors die Möglichkeit, ihre Organisations- und Funktionsform der Vielfalt und den sich fortentwickelnden Bedürfnissen der Gesellschaft anzupassen. Die Gesetzgebung setzt in dieser Sicht zwar den Rahmen – einen Rahmen jedoch, der den liberalen Charakter des Schweizer Systems nicht beeinträchtigt. Das Funktionieren jeder Gesellschaft setzt Regeln voraus. Diese können entweder vom Staat von oben herab aufgezwungen oder aber von den diesen bildenden Subjekten selbst hervorgebracht werden. Die Selbstregulierung, als liberaler Ausdruck der Gesetzestreue, ist Quelle des Vertrauensverhältnisses, das den sozialen Kitt ausmacht. Die Selbstregulierung verankert die Verantwortung der Subjekte, die sich ihr unterziehen, nicht bloss in einem verpflichtenden Rahmen, sondern auch in ethischen Normen, denen zu folgen sich die Subjekte entschlossen haben. Wer Freiheit verlangt, muss Verantwortung akzeptieren – die Verantwortung, seine Entscheidungen gemäss bestem Wissen und Gewissen zu treffen und für die Folgen geradezustehen. Im gleichen Sinn gewährt der Staat fiskalische Vorteile, wenn gemeinnützige Leistungen erbracht werden – eine Anerkennung, die jedoch mit der Pflicht verbunden ist, seinen Auftrag im Interesse des Ge-

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meinwohls auch tatsächlich wahrzunehmen. Denn nahmen bei allen wichtigen Entscheidungen und Vergünstigung beruht auf Gegenseitigkeit. Abläufen für ein ausgewogenes Verhältnis zwi Im Bereich der Förderstiftungen bildet Selbst- schen Geschäftsführung und Kontrolle zu sorgen regulierung die einzig glaubwürdige Alternative (checks and balances). Drittens ist die Stiftung bei zu staatlicher Intervention. Da Stiftungen weder Grundlagen, Zielen, Strukturen und TätigkeiMitglieder noch Besitzer aufweisen, verfügen sie ten zu einer dem Stiftungszweck angemessenen gegenüber den Verantwortlichen des Stiftungs- grösstmöglichen Transparenz angehalten. managements über keine Korrektivmittel ausser Die Empfehlungen beziehen sich auf die vier denjenigen, die diese Verantwortlichen sich selbst Bereiche Gründung, Führung, Förderung und vorgeben. Die Stiftungen müssen sich daher so Finanzen. Die Empfehlungen sind konstitutiver verhalten, dass sie das in sie gesetzte Vertrauen zu Natur und konzentrieren sich hauptsächlich auf erhalten und zu steigern vermögen. Politik und Strategie der Stiftung. Operatives Die Notwendigkeit für Förderstiftungen, sich wird nur am Rande behandelt. Jede Empfehmit einem Good-Governance-Kodex zu verse- lung ist mit einem Kommentar versehen, der die hen, wurde erstmals 2003 an einem Symposi- Gründe erläutert, Beispiele aus der Praxis anführt um von SwissFoundations, dem Dachverband und Handlungsoptionen samt praktischen Konder Schweizer Förderstiftungen, zur Sprache sequenzen aufzeigt. gebracht. Eine Arbeitsgruppe aus Spezialisten er- Der «Swiss Foundation Code 2009» hat emparbeitete daraufhin einen Kodex, der 2005 unter fehlenden Charakter. Er bezweckt, die Stiftungen dem Namen «Swiss Foundation Code» publiziert zu Selbstregulierung aufgrund von Analyse anzuwurde. Es handelt sich dabei um den ersten prak- regen und, nötigenfalls, zu Verbesserungen der tischen und detaillierten Managementführer für governance. Für den Praktiker ist der Kodex ein Förderstiftungen in Europa. Das positive Echo, hilfreiches Werkzeug zur Auslegung des Rechts. das dieser in der Schweiz und im Ausland ausgelöst hat, zeugt vom Umfang des Bedürfnisses, dessen er sich angenommen hat. Ohne sich damit Mit den selbstvorgegebenen Grundsätzen zufriedenzugeben, ist SwissFoundations schon kommen die Förderstiftungen denjenigen Stimmen bald an die Revision des Codes gegangen. Vier zuvor, die nach einer strikteren Jahre nach der ersten Fassung erschien eine übergesetzlichen Reglementierung rufen. arbeitete Ausgabe mit einem Kommentarteil, unter dem Namen «Swiss Foundation Code 2009». Der «Swiss Foundation Code 2009» richtet sich hauptsächlich an mittlere und grosse Förder- Mit den selbstvorgegebenen Grundsätzen komstiftungen. Allerdings können auch andere Arten men die Förderstiftungen denjenigen Stimmen von Stiftungen darin Anregungen finden. Aus zuvor, die nach einer strikteren gesetzlichen ReSicht des Kodex ist good governance kein Selbst- glementierung rufen, durch die das fruchtbare zweck, sondern muss auf die wirksame Umset- Biotop der Schweizer Stiftungslandschaft troczung des Stiftungszwecks ausgerichtet sein. Der kengelegt, das Entwicklungspotential und die Kodex umfasst drei Grundsätze und 26 Empfeh- Kreativität der Stiftungen gekappt und der ihrer lungen. Keineswegs auf eine juristische Sicht be- Vielfalt zu verdankende Reichtum zerstört würde. schränkt, gibt der Kodex im Gegenteil ethische Den Stiftungen, die ihn sich zu eigen machen, hält Massstäbe vor und spricht ökonomische und fi- der Kodex wesentliche Freiräume zur Entfaltung nanzielle Aspekte des Stiftungsmanagements an. offen. Er propagiert nicht die Anwendung eines Die drei in Wechselwirkung zueinander ste- rigiden «comply or explain». Doch eine Stiftung, henden Grundsätze des Kodex bilden den Kern, die den Empfehlungen folgt, stützt das Vertrauen, die normativen Bezugspunkte für alle Aktivitä- das der Stifter, die Destinatäre, die Öffentlichkeit Parisima Vez, ten der Stiftung. Die Tragweite der Grundsätze und die Behörden in sie setzen. geboren 1957, ist unbegrenzt und ihre gleichzeitige Beachtung Der «Swiss Foundation Code 2009» dient promovierte in Rechtswissenschaften unerlässlich. Nach dem ersten Grundsatz müs- nicht nur Stiftungen mit gemeinnützigem Zweck. an der Universität sen die Organe der Stiftung ihr Handeln stets Auch die öffentliche Verwaltung und die Gerich- Freiburg. Sie ist vom Stiftungszweck leiten lassen und alles daran te können sich an ihm – als der Verkörperung Anwältin bei in Bern setzen, diesen tatsächlich und wirkungsvoll zu der good governance der Branche – orientieren, Advokatur56 und Titularprofessorin realisieren. Der zweite Grundsatz fordert von der wenn sie in konkreten Fällen Entscheidungen zu der Universität Freiburg. Stiftung, durch geeignete organisatorische Mass- treffen haben.

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Die Verwaltung von Stiftungen kostet Geld. Das ist unvermeidlich. Unvertretbar wird dies, wenn als Folge zu wenig Mittel für die Erfüllung des Stifterwillens übrigbleiben und die Stiftung einschläft. Von der schwierigen Balance zwischen Vermögensertrag, Verwaltungskosten und Stiftungszweck.

5 Nur wache Stiftungen erfüllen ihren Zweck Peter Spinnler

Peter Spinnler, geboren 1946, promovierte 1975 in Rechtswissenschaften an der Universität Zürich. Er war bis 2003 als Mitglied der Konzernleitung für Julius Bär tätig und ist seit 2005 Stiftungspräsident der Animato Stiftung.

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Der philanthropischen Vision vieler Stifter, nachhaltig Gutes zu tun, steht in der Realität häufig die Hürde eines mit Blick auf den Stiftungszweck ungenügenden Stiftungsvermögens entgegen. Auch wenn nicht viel erhärtetes Zahlenmaterial zur Grösse von Stiftungsvermögen vorliegt, kann dennoch davon ausgegangen werden, dass in der Schweiz das Vermögen der meisten gemeinnützigen Stiftungen unter 10 Millionen Franken liegt. Wenn die regelmässige Ertragsquelle der Stiftungen aus den Vermögenserträgen besteht – und das ist die Regel –, dann stellt sich die Frage, bis zu welchem Grad die Verwaltungskosten der Stiftung diese Erträge konsumieren – ob eventuell in einem solchen Ausmass, dass eine nachhaltige Fördertätigkeit der Stiftung erschwert oder gar verunmöglicht wird. Der Schweizer Gesetzgeber überlässt die operative Gestaltung der Stiftung weitgehend dem Stifter und ihre Führung dem Stiftungsrat, dem einzigen Organ der Stiftung. Dieser weite gesetzgeberische Ermessensspielraum hat im Zuge der öffentlichen Debatte um die Rolle von Stiftungen – auch mit Blick auf ihre Steuerbefreiung – zu Verhaltensempfehlungen in Form von codes of conduct geführt. Der für Förderstiftungen massgebliche «Swiss Foundation Code» schreibt, in der Fassung von 2009, in seiner vierten Empfehlung: «Der Stiftungsrat bestimmt die Stiftungsstrategie in Bezug auf Förderung und Finanzen. Er kontrolliert deren Umsetzung und achtet dabei auf das kurz-, mittel- und langfristige Gleichgewicht von Zielen und Mitteln.» Bei Förderstiftungen

mit relativ kleinem Stiftungsvermögen besteht für den Stiftungsrat daher die Herausforderung, die Verwaltungskosten, also die Personal- und Administrativkosten, im Verhältnis zu den Förderausgaben zu begrenzen. Wichtige Administrativkosten sind die Vermögensverwaltungskosten, die bei Erteilung eines Vermögensverwaltungsmandats an eine Bank erheblich sein können. Auch die Personalkosten einer permanenten Geschäftsführung dürften den finanziellen Rahmen einer kleinen Förderstiftung sprengen. Hinzu kommen noch die Kommunikationskosten, wie der Unterhalt einer Homepage, oder auch die Produktionskosten eines Geschäftsberichts. Schliesslich können auch die eigentlichen Bürokosten sowie Spesen aller Art für das Verwaltungsbudget ins Geld gehen. Im Rahmen dieser kurzen Ausführungen soll im Zusammenhang mit der Stiftungsführung lediglich folgendes in Erinnerung gerufen werden. Eine Anlagestrategie muss die drei Komponenten Rendite, Risiko (Volatilität der Vermögenserträge) und Liquidität, unter Berücksichtigung der Vorgaben und des Stiftungsvermögens, in ein vertretbares Verhältnis bringen, um einen optimalen risikogemässen Ertrag zu erbringen. Für eine auf unbestimmte Zeit angelegte Förderstiftung ist die Vermögensrendite von zentraler Bedeutung. Ihrer Maximierung stehen jedoch die dabei einzugehenden Risiken entgegen. Das einzugehende Risiko, ohne welches kaum eine ansprechende Rendite erzielt werden kann, muss an die eingegangenen finanziellen Verpflichtungen der Stiftung, unter Berücksichtigung allfälliger Schwankungsreserven, angepasst werden. Ohne solche Reserven muss das Risiko begrenzt werden, um finanziellen Engpässen vorzubeugen, was wiederum den Vermögensertrag reduziert. Der Liquidität ist mit Blick auf die finanziellen Verbindlichkeiten Beachtung zu schenken, was gerade in der jüngsten Finanzkrise augenfällig geworden ist. Die in der folgenden Graphik dargestellten Modellberechnungen zeigen, dass bei (zu) kleinem Stiftungsvermögen die Verwaltungskosten rasch einen inakzeptablen Anteil der verfügbaren Erträge erreichen können. Insbesondere bei dem Szenario mit jährlichen Verwaltungskosten von 25’000 Franken dürfte es für einen Stiftungsrat auch bei schlankem Management schwierig sein, die Verwaltungskosten unter diesem Wert zu halten. Denn häufig wird – so die Daten der mittelgrossen Stiftungen, die ihre Geschäftszahlen publizieren – die Limite von jährlich 50’000 Franken überschritten.

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dossier Gutes besser tun

Anteil Verwaltungskosten am Ertrag, Annahme: Rendite 3% Bei kleinen Stiftungen drohen die Verwaltungskosten die Vermögenserträge aufzufressen.

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Verwaltungskosten 50'000 25'000 100 %

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Die für einen jährlichen Vermögensertrag von deutlich über drei Prozent notwendige Rendite wird sich nur unter Inkaufnahme grösserer Risiken und damit auch grösserer Ertragsschwankungen erzielen lassen. Je dringender deshalb eine kleine Stiftung bestimmte jährliche Finanzmittel benötigt, um so konservativer müsste eigentlich ihre Anlagestrategie sein. Im gleichen Zug steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die Verwaltungskosten der Stiftung die verfügbaren Finanzmittel aufzehren. Die Verfasser des «Swiss Foundation Code» sind sich dieser bislang noch wenig diskutierten Relation bewusst, wenn sie in Erinnerung rufen: «Insbesondere kleineren, auf unbefristete Dauer angelegten Förderstiftungen droht früher oder später Gefahr, inaktiv zu werden. … Solche «stillen Stiftungen» tätigen dann kaum namhafte oder sinnvolle Ausschüttungen, und ihre Vermögenserträge dienen womöglich im wesentlichen dazu, Honorare und Gebühren von Dienstleistern zu finanzieren, die wegen der Kleinheit der Stiftung oft auch Mitglieder des Stiftungsrates sind. Mit der Beschränkung der Stiftungsaktivitäten auf eine blosse Verwaltungstätigkeit, die im Bereich Geschäftsführung, Administration und Vermögensverwaltung schöne Honorare generiert, missachtet der Stiftungsrat den Stifterwillen und verletzt seine Pflichten eklatant.» Eine kapitalschwache Förderstiftung läuft zweifellos Gefahr, in eine finanztechnische Sackgasse

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Stiftungskapital in Mio. CHF

zu geraten, auch wenn sich der Stiftungsrat redlich bemüht, die Verwaltungskosten tiefzuhalten. Ein mit solchen Problemen konfrontierter Stiftungsrat wird dabei nicht selten zum Schluss gelangen, dass die Stiftung gewissermassen mit einem Geburtsfehler behaftet sei. Mit anderen Worten: der Stifter hat das Verhältnis zwischen marktbedingt erzielbarem Vermögensertrag einerseits und den Kosten einer nachhaltigen Fördertätigkeit plus Stiftungsverwaltung anderseits zu wenig erwogen. Um so wichtiger erscheint in diesem Zusammenhang die fachkundige und neutrale Beratung des Stifters in der Gründungsphase, wofür vorzugsweise Vertreter von Stiftungsvereinigungen oder unabhängige philanthropische Berater, weniger indessen Vertreter zukünftiger Dienstleister der zu gründenden Stiftung in Frage kommen.* Gouverner, c’est prévoir – dies gilt gerade auch für die Errichtung einer Förderstiftung mit unbestimmtem Zeithorizont und begrenzten finanziellen Mitteln. Die Anzeichen einer Fortsetzung des bisherigen Stiftungsgründungsbooms lassen es als wünschenswert erscheinen, dass bei der Errichtung einer Stiftung dem Verhältnis zwischen nachhaltig erzielbarem Vermögensertrag und den Förderungs- und Verwaltungskosten die nötige Aufmerksamkeit zuteil werde.

* Um dem Stiftungszweck auch in einem engen finanziellen Korsett gerecht zu werden, gibt es eine Reihe von Alternativen, die in den folgenden Beiträgen ab S. 32 vorgestellt werden.

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Atelierfoto 2009 (v.l.n.r.) «Here is a Sign», 2009, Öl auf Leinwand, 50 x 45 cm «The Vanishing Act», 2009, Öl auf Leinwand, 100 x 90 cm «Premonition»,


galerie Valentin Hauri

2009, Öl auf Leinwand, 45 x 50 cm «Russisches Portrait», 2009, Öl auf Leinwand, 45 x 50 cm «Berthold / Freezing», 2009, Öl auf Leinwand, 50 x 45 cm

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dossier Gutes besser tun

Möglichst viele Stiftungsfranken in die Förderung. Was aber, wenn die Betriebskosten zu hoch sind und den Vermögensertrag auffressen? Die Dachstiftung als Alternative.

6 Muss es denn eine selbständige Stiftung sein? Stephan Burla

Nicht nur die Reichsten, sondern zunehmend auch Personen aus dem Mittelstand treten als Stifter auf. Vor allem Doppelverdiener sparen in ihrem Leben bisweilen ein beträchtliches Vermögen an, das sie nach der Pensionierung vielleicht gar nicht aufbrauchen. Auch Paaren mit Kindern kommt dann der Gedanke, einen Teil ihres Vermögens einem gemeinnützigen Zweck zuzuführen. Und viele von ihnen wollen die Wirkung ihres Engagements noch selber erleben. Sie errichten ihre Stiftung schon zu Lebzeiten und investieren nebst ihrem Geld viel Zeit und Arbeit; denn von jedem eingesetzten Franken soll möglichst viel den geförderten Projekten zugutekommen. Geprägt von ihrer beruflichen Biographie, verstehen sie sich auch in ihrer neuen philanthropischen Rolle als wirkungsorientiert und business-minded. In diesem Rahmen ist eine Million Franken ein stattliches Vermögen, aus dessen Ertrag man schon einige gemeinnützige Vorhaben fördern kann. Die meisten Förderstiftungen sind auf unbestimmte Dauer angelegt. Dass sie ihre Stifter überdauern, ist nebst dem eigentlichen Förderzweck zumeist ein zentrales Anliegen. In der Regel ändert sich aber nach dem Abgang der Stiftergeneration die Kostenstruktur deutlich. Nachfolgende Stiftungsräte mögen zwar ehrenamtlich arbeiten, sie konzentrieren sich dabei aber auf das Wesentliche. Vermögensverwaltung, Buchhaltungs- und eigentliche Sekretariatsarbeiten werden eher zugekauft, wodurch jährliche Kosten im deutlich fünfstelligen Bereich entstehen. Bei einer Million Franken Stiftungsvermögen – was auf mehr als die Hälfte der Schweizer Stiftungen zutrifft – versickert daher ein grosser Teil der Erträge in den 34

eigenen Betriebskosten. Im schlimmsten Fall erlischt die Fördertätigkeit, und die Unsterblichkeit wird zur Versteinerung. Selbst wenn sich jemand mit der eigenen Stiftung philanthropisch quasi verewigen will: ein in diesem Sinne steinernes Denkmal entspricht wohl kaum dem Stifterwillen. Um aber eine eigenständige Förderstiftung langfristig mit vertretbarem Verwaltungskostenanteil zu betreiben, ist ein Vermögen von mindestens zehn Millionen Franken erforderlich. Damit stellt sich die Frage, ob es denn eine eigene Stiftung sein muss. Nach dem aktuellen Schweizer Stiftungsrecht ist es möglich, eine Dachstiftung zu gründen und darin eine unbestimmte Anzahl Stiftungsfonds – quasi unselbständige Stiftungen – zu errichten. Diese teilen sich in die Fixkosten und können damit im Verhältnis zum Stiftungsvermögen die gleiche Förderwirkung wie sehr grosse Stiftungen erreichen. Dabei profitieren sie nicht nur vom pooling der eigentlichen Administration. Auch die Vermögensverwaltung kann gemeinsam erfolgen, was deutlich tiefere Spesen verursacht. Und nicht zuletzt ermöglicht die so erreichbare kritische Masse den Betrieb einer gemeinsamen Geschäftsstelle mit der notwendigen Professionalität bei der Selektion, Begleitung und Evaluation von Projekten und bei der Überwachung der Anlagestrategie. Ein Stiftungsfonds innerhalb einer Dachstiftung hat neben diesen sogenannten Skaleneffekten weitere Vorteile: so erfolgt etwa die Errichtung wesentlich schneller und kostengünstiger als diejenige einer separaten Stiftung, da weder ein Notariat noch die Aufsichtsbehörden involviert werden müssen. Und die Organisation des Fonds kann – wenn dies die Statuten und Reglemente der Dachstiftung zulassen – mittels Richtlinien oder über einen Schenkungsvertrag individuell geregelt werden. Dabei kann der Fondsgeber einen Förderbeirat einsetzen, der die Vergabungen aus seinem Fonds vorbereitet und dem Stiftungsrat vorschlägt. Oder er kann die Förderentscheide auf der Grundlage des von ihm bestimmten Fondszwecks ganz dem Stiftungsrat der Dachstiftung überlassen. Das Innenleben eines Stiftungsfonds ist also – wenn die Statuten der betreffenden Dachstiftung dies zulassen – individuell gestaltbar. Will jemand seine Fördertätigkeit als intensives Hobby betreiben, dann kann er den ganzen Förderablauf, von der Identifikation möglicher Destinatäre und Projekte über die Projektbegleitung und das

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controlling bis zur öffentlichen Berichterstattung angezeigt sein, sich einer Dachstiftung mit klar *vgl. dazu den Beitrag von Parisima Vez in über die Fördererfolge, entsprechend organisie- erkennbarer ideeller, politischer oder religiöser dieser Ausgabe, S. 28 ff. ren. Er kann sich passende Fachpersonen in einen Ausrichtung anzuschliessen. Förderbeirat holen, die ihn – wie ein fondsspezi- Auch gibt es immer mehr banknahe Stiftunfischer Stiftungsrat – in seinen Förderaktivitäten gen, deren Geschäftsstellen in der Regel von der unterstützen und diese nach seinem Rücktritt in betreffenden Bank gesponsert sind; ob dies den seinem Sinn weiterführen. De iure trifft der För- grundsätzlichen Interessenkonflikt zwischen gederbeirat zwar keine Vergabeentscheide, sondern meinnützigem Geldausgeben und gewinnorienbeantragt diese beim Stiftungsrat der Dachstif- tierter Vermögensverwaltung aufwiegt, muss der tung. Dieser ist aber an den Zweckartikel des Stifter im Einzelfall selber beurteilen. Viele dürfFonds gebunden. Zudem kann im Schenkungs- ten einen unabhängigen, neutralen Rahmen vorvertrag, der jeder Errichtung eines Stiftungsfonds ziehen, in dem sie ihren Förderzweck individuell zugrunde liegen sollte, vereinbart werden, dass definieren können. der Stiftungsrat Anträge nur aus schwerwiegen- In jedem Fall aber stellt sich die Frage, wie den Gründen ablehnen kann. Ist der Stiftungs- man die Vertrauenswürdigkeit einer Dachstiffonds auf unbestimmte Dauer angelegt, kann der tung erkennen kann, bevor man ihr sein VerStifter auch Vorkehrungen für die Zeit treffen, da mögen anvertraut. Wertvolle Hinweise dazu er seinem Hobby nicht mehr selber nachgehen bietet der Swiss Foundation Code.* Er postuliert will oder kann. In der Regel ist dann vertiefte drei Grundsätze für gute Stiftungsgovernance: Sachkenntnis und hohe Professionalität gefragt, wirksame Umsetzung des Stifterwillens, checks jedoch im Umfang eines kleineren Teilzeitpen- and balances in der Stiftungsorganisation sowie sums – etwas, das die gemeinsame Geschäftsstelle Transparenz über Grundlagen, Ziele, Strukturen der Dachstiftung gut bieten kann. Damit kann und Tätigkeiten der Stiftung. Darauf bauen 26 die langfristige Wirksamkeit in einem Stiftungs- konkrete Empfehlungen für die Gründung und fonds besser gewährleistet werden als in einer zu kleinen eigenständigen Stiftung. Freilich gibt es auch Stifter, die sich mit der Dank seiner individuellen Gestaltbarkeit bietet ein Abwicklung ihrer Förderanliegen gar nicht selbst Stiftungsfonds sogar die Möglichkeit einer befassen wollen. Ihnen genügt es, den VerwenProbephase: zu Beginn können die zu vergebenden dungszweck zu definieren. Und vielleicht wollen Fördergelder in Tranchen eingebracht werden. sie dann und wann auf einfachem Weg Vorschläge für konkrete Projektförderungen machen, deren Ausführung dann aber ganz dem Stiftungsrat und der Geschäftsstelle überlassen. Auch dieser Führung von Förderstiftungen auf. Diese können Fall lässt sich in einer Dachstiftung problemlos dem potentiellen Stifter gut als formale Beurteiregeln. lungskriterien bei der Auswahl der passenden Ebenso lässt sich die Sichtbarkeit des Förde- Dachstiftung dienen. rers nach individuellem Wunsch gestalten. Will Dank seiner flexiblen, individuellen Gestaltjemand persönlich in Erscheinung treten, dann barkeit bietet ein Stiftungsfonds – wenn die kann der Fonds seinen Namen tragen. Will je- Dachstiftung das zulässt – sogar die Möglichkeit mand diskret im Hintergrund bleiben, dann einer Probephase: zu Beginn können die zu verkann man den Fonds nach seinem Förderzweck gebenden Fördergelder in Tranchen nach Bedarf oder mit einem Phantasienamen benennen oder eingebracht werden; die Einzahlung des zu widdie Förderaktivitäten über einen allgemeinen menden Vermögens kann dann erfolgen, wenn Stephan Burla, Fonds der Dachstiftung abwickeln. sich das Vertrauen in die Dachstiftung gefestigt geboren 1960, Ein Stiftungsfonds innerhalb einer Dachstif- hat. Damit öffnet sich auch eine Möglichkeit für promovierte in Basel in tung bietet somit fast alle Vorteile einer eigenen bereits bestehende Kleinstiftungen, die von der Wirtschaftswissenschaften. Er ist in der Stiftung, jedoch ohne deren typische Nachteile. obenbeschriebenen Versteinerung bedroht oder Unternehmensberatung Einen wichtigen Punkt haben die beiden aller- bereits befallen sind. Sie können schrittweise in tätig und dings gemeinsam: das einmal gestiftete Vermögen eine Dachstiftung eingebracht werden und damit Geschäftsführer der darf dem Stifter, der Stifterin nicht zurückgege- dem ursprünglichen Stifterwillen zu neuer Wirk- «Fondation des Fondateurs. ben werden. Der Anschluss an eine Dachstiftung samkeit verhelfen. Unabhängige Stiftung ist daher in hohem Mass eine Vertrauenssache. privater Förderer». www.fondateurs.ch Je nach persönlichen Vorlieben kann es deshalb

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Stiftungen sollten sich auf ihren Förderzweck konzentrieren. Und weder Geld noch Energie infolge einer ungünstigen Vermögensanlage verlieren. Warum nicht in eine Einkaufsgemeinschaft eintreten?

Optimierung des Portefeuilles sollte im Rahmen einer «Asset-Liability-Management»-Analyse erfolgen. Das Resultat besteht aus Prozentanteilen, denen gemäss das Stiftungsvermögen in vorgegebene Anlageklassen mit geeigneten Diversifikationseigenschaften angelegt werden soll. Umsetzen der Anlagestrategie und Aufrechterhalten des Portefeuilles über die Zeit. Der Prozess, die so bestimmte Anlagestrategie in konkrete Anlagen (Aktien, Obligationen etc.) umzusetzen, umfasst sechs Punkte: die Wahl des Anlagestils, die Wahl des Beauftragten, die Überführung der heutigen Anlagen in die neue Struktur (transition), das regelmässige Anpassen des Portefeuilles an die Strategie (rebalancing), die Rückforderung von Quellensteuern und die Gewährleistung von Transparenz. Bei der Wahl des Anlagestils muss entschieden werden, ob auf der Basis von Firmennachrichten Die Finanzmärkte sind wie Fabriken, in denen und Marktinformationen Einzeltitel gekauft und Ertrags-Risiko-Kombinationen produziert wer- verkauft werden, um einen Mehrwert zu erzieden. Der Anleger sollte auf diesen Märkten jene len (aktives Management), oder ob Anlagen in Kombination auswählen, die zu seinen Zielen indexnahe Finanzinstrumente erfolgen (passives passt. Es empfiehlt sich, dies in einem mehrstufi- Management). Die Finanzmarktliteratur beantgen Anlageprozess zu tun. wortet diese Fragestellung eindeutig: auf kurze Bestimmen der Anlagestrategie. Die Struktur Sicht wird beim aktiven Management ein Teil des Vermögens sollte so bestimmt werden, dass der Vermögensverwalter den Durchschnitt der der erwartete Vermögensertrag und das damit Anleger in der jeweiligen Anlageklasse übertrefverbundene minimal notwendige Risiko den Zie- fen. Schon mittelfristig wird aber die Marktentlen der Stiftung, das heisst ihrer Risikofähigkeit wicklung besser sein als fast alle Vermögensverund ihrer Risikobereitschaft, entsprechen. Diese walter und – angesichts der hohen Kosten – auch

7 Tips fürs Anlegen Martin Janssen

Vermögenserträge

Vergleich der Resultate schweizerischer Anlagestiftungen im Bereich Obligationen CHF

Mittelfristig konvergieren die Resultate verschiedener Anlagestile.

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Anlagezeitraum

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deutlich besser als der Durchschnitt der aktiven Manager. Entsprechend lohnt sich aktives Anlagemanagement in liquiden Märkten nicht. In solchen soll vielmehr möglichst kostengünstig in indexnahe Anlagen investiert werden, die die jeweilige Anlageklasse abbilden (vgl. Graphik). Bei der Wahl eines Beauftragten muss sich die Stiftung im klaren sein, dass es sich nur schon aus Kostengründen nicht lohnt, für die Anlage von Vermögen unter einigen Milliarden Franken eine stiftungseigene Organisation aufzuziehen. Es ist zweckmässiger, den Anbieter mit dem besten Preis-Leistungs-Verhältnis unter Wettbewerbsbedingungen über eine Ausschreibung zu bestimmen. Im Rahmen der transition wird das existierende Portefeuille in die neue Vermögensstruktur übergeführt. Dabei kommt es darauf an, dass schon in dieser Phase eine geeignete Allokation beachtet wird. Ob zu diesem Zweck bestehende Titel verkauft und wieder gekauft, ob Titel physisch geliefert werden und ob weitere Massnahmen zu treffen sind, muss im Einzelfall geklärt werden. Das Ziel muss auch hier sein, die Kosten, einschliesslich derjenigen für Beratung, möglichst tiefzuhalten. Beim rebalancing erfolgt in regelmässigen Abständen, etwa am Quartalsende, eine Anpassung des Portefeuilles an die Strategie. Da dabei Transaktionskosten anfallen, ist auf ein optimales Verhältnis zwischen Anpassungshäufigkeit und Anpassungsgenauigkeit zu achten. Das Anlageberatungsgeschäft für private und kleinere institutionelle Anleger hat sich in den vergangenen Jahren wegen ungenügender Transparenz, verbunden mit verdeckten Produkt- und Transaktionskosten, Abschlussprovisionen, kickbacks etc., in eine zwar ertragreiche, aber nicht nachhaltige Situation manövriert. Eine anlegerfreundliche Lösung verlangt weitgehende Transparenz; für Vermögensverwaltung und Transaktionen, aber auch für weitere Dienstleistungen sollen detaillierte Preise festgelegt werden. Direkte Belastungen von Anlagefonds und anderen Anlageprodukten sollen ausgeschlossen oder über entsprechende Rückerstattungen neutralisiert werden. Kontrolle des Anlageresultats: Resultate müssen – auch während der Umsetzung – kontrolliert und beurteilt werden. Dabei soll eine der Stiftung und der Vermögensgrösse angemessene governance festgelegt werden, um Interessenkonflikte der Beauftragten entweder nicht entstehen zu lassen oder transparent zu machen.

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Überprüfen der Anlagestrategie: Kapitalmärkte, aber auch die Stiftung selber sind dem Wandel unterworfen. Die Anlagestrategie soll deshalb regelmässig überprüft und gegebenenfalls angepasst werden.

Beim Pooling von Stiftungsvermögen geht es um die Idee der Einkaufsgemeinschaft. Ziel ist es, dass kleinere Stiftungen ihr Vermögen zu den gleichen prozentualen Kosten anlegen können wie institutionelle Anleger mit einem Vermögen von mehreren hundert Millionen Franken. Auf diese Weise realisieren insbesondere kleinere Stiftungen bei geringeren Anlagekosten höhere Erträge. Dabei müssen die Kosten transparent sein, damit die Stiftung weiss, was sie bezahlt. Eine optimale Poolingorganisation verlangt eine Wertschöpfungskette, in der verschiedene Parteien – u.a. Assetmanager, Depotbank, Fondsleitung – die Dienstleistungen zur Vermögensverwaltung arbeitsteilig mit hoher Spe-

Stiftungen mit einem kleinen Vermögen sollen zu den gleichen prozentualen Kosten Kapital anlegen können wie institutionelle Anleger mit einem Vermögen von mehreren hundert Millionen Franken. zialisierung und weitgehender Automatisierung erbringen. Bei einer konkreten Lösung zeigte es sich, dass die gesetzten Ziele – tiefe Kosten, Unabhängigkeit, Vollständigkeit der Dienstleistungen und vollständige Transparenz – auf diesem Weg zuverlässig erreicht werden. Dies gilt insbesondere für die tiefen Anlage- und Depotkosten, die unabhängig von der Vermögensgrösse festgelegt werden können. Insgesamt führt dieses Poolingkonzept, ohne Einbusse für Sicherheit oder Ertragschancen, zu einer Kostenkurve, die für Stiftungen sowohl mit grossem als auch mit kleinerem Vermögen attraktiv ist. Auf diese Weise kann sichergestellt werden, dass sich die Stiftungen vor allem mit der Förderung ihrer Projekte befassen können.

Martin Janssen, geboren 1948, ist Professor für Finanzmarktökonomie an der Universität Zürich und Leiter der Ecofin-Gruppe. Auf Anregung verschiedener Stiftungen hat die Ecofin-Gruppe anfangs 2010 gemeinsam mit Banken und anderen Dienstleistern eine Poolingorganisation für Stiftungen geschaffen.

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Meist sind Stiftungen auf Dauer angelegt, weit über den Tod des Stifters hinaus. Doch warum nicht eine Verbrauchsstiftung gründen, die das Vermögen innert einer bestimmten Frist verbraucht? Die Gefahr der Verkalkung der Stiftung wird vermieden. Und ausserdem kann der Stifter die Verwirklichung seines Willens zu Lebzeiten verfolgen.

8 Lasst uns Spass haben, solange wir leben Thomas Sprecher

Im Jahr 2003 überraschte Charles F. Feeney, der Stifter von Atlantic Philanthropies, die internationale Stiftungsszene. Er entschied sich, seine renommierte Stiftung aufzulösen, und zwar so, dass das Stiftungsvermögen von immerhin 4 Milliarden US-Dollar im Laufe der darauffolgenden zwölf Jahre vollständig ausgeschüttet werden sollte. Auf diese Weise konnte die Stiftung ihr jährliches Förderbudget vervierfachen und fortan − zusammen mit den Erträgen − jährlich rund 400 Millionen US-Dollar in ihre Projekte investieren. Was gab den Ausschlag für den Auflösungsbeschluss? Harvey Dale, der erste Präsident der Stiftung und langjährige Berater des Stifters, meinte dazu: «Organizations as they get older get sclerotic. You can see it in most long-standing foundations. It’s a passion of Chuck Feeney’s and mine that that should not happen. We said, ‹Let’s have fun while we’re still alive.›» Der Stifter wollte demnach die Stiftung vor sklerotischen Zuständen bewahren und zudem am Leben der Stiftung teilnehmen, solange er selbst lebte. Stiftungen, die zeitlich unbeschränkt errichtet sind, haben ein Interesse an einem möglichst hohen Vermögen als Voraussetzung möglichst hoher Erträge. Vermögensverzehr ist unerwünscht, da er die Erträge schmälert. Stiftungsräte unterstehen daher einer allgemeinen Substanzerhaltungspflicht. Dies bedeutet indes nicht, dass schon der Stifter daran gebunden wäre. Er kann vielmehr frei festlegen, ob das Vermögen seiner 38

Stiftung bei der Fördertätigkeit angetastet werden darf und er entsprechend eine sogenannte Verbrauchsstiftung gründen möchte. Die Verbrauchsstiftung ist daher ein Gestaltungsinstrument für Stifter, die nicht nur die Auszahlung der Erträge ihres gestifteten Vermögens, sondern auch des Vermögens selbst während eines noch überschaubaren Zeitraums regeln möchten. Im Gegensatz zur auf unbefristete Zeit angelegten traditionellen Stiftung verfolgt die Verbrauchsstiftung ihre gemeinnützigen Ziele nicht nur über die Erträge ihres Stiftungsvermögens, sondern auch über den Verbrauch dieses Vermögens, gegebenenfalls in festgelegten Schritten. Denn der Stifter kann in der Stiftungsurkunde bestimmen, ob der Stiftungsrat das Stiftungsvermögen aufbrauchen darf oder sogar muss. Hier wiederum kann er es dem Stiftungsrat überlassen, in welcher Weise dieser das Vermögen verbraucht, oder er kann feste Ausschüttungsraten vorsehen. Die Verbrauchsstiftung ist kein gesetzlicher, sondern ein von der Praxis geschaffener Stiftungstypus. Das schweizerische Recht, wie viele andere Rechtsordnungen auch, lässt sie immerhin zu. In der Regel ist sie eine Förderstiftung, also eine Stiftung, die nicht auf den Zufluss von Spendengeldern angewiesen ist. Sie ist darauf ausgelegt, dass das Stiftungsvermögen für die Zielerreichung eingesetzt werden kann und eingesetzt wird. Man spricht auch von spending down. Ist das Vermögen verbraucht, wird die Stiftung aufgelöst. In der Schweiz wird das Instrument der Verbrauchsstiftung bislang wohl eher zurückhaltend genutzt. In der Öffentlichkeit sind hingegen neben amerikanischen auch mehrere deutsche Verbrauchsstiftungen bekanntgeworden: • Die Stiftung «Erinnerung, Verantwortung und Zukunft» (EVZ) − die grösste und prominenteste deutsche Stiftung − hat nach sechs Jahren ihr Stiftungsvermögen von 5,11 Milliarden Euro ausgegeben. 4,7 Milliarden Euro plus Zinsen hat die öffentlich-rechtliche Stiftung an ehemalige Zwangsarbeiter aus der Zeit des Nationalsozialismus ausgezahlt. Die 1,7 Millionen noch lebenden Opfer sollten das Geld bekommen, bevor es für sie zu spät sein würde. Weitere 357,9 Millionen Euro sind in den Förderfonds «Erinnerung und Zukunft» geflossen, der Projekte zur Völkerverständigung unterstützt. • Die Rochus und Beatrice Mummert-Stiftung fördert Topmanagementnachwuchs aus Mittelund Südosteuropa durch mehrjährige Stipendien. Ziel der Stiftung ist es, dass die geförderten

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high potentials, nach Abschluss ihres Studiums in Deutschland, in ihre Heimatländer zurückkehren und dort in verantwortlichen Positionen einen nachhaltigen Beitrag zur erfolgreichen wirtschaftlichen und politischen Entwicklung leisten. Die Stiftung wird spätestens im Jahr 2040 geschlossen, weil dann ihr Vermögen ausgegeben sein wird. Die Verbrauchsstiftung unterscheidet sich von anderen Stiftungsformen hinsichtlich der Vermögensverwendung, nicht hinsichtlich ihrer Struktur oder ihres Zwecks. Dennoch hat das Konzept der Verbrauchsstiftung auch Einfluss auf den Stiftungszweck. Dieser sollte nämlich so gefasst sein, dass sich die zeitliche Begrenzung der Stiftung rechtfertigen lässt. So kann eine Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Forschung, die beabsichtigt, mit ihrem Vermögen und den Erträgen einen für begrenzte Dauer einzurichtenden Stiftungslehrstuhl zu finanzieren, dies in der Stiftungsurkunde entsprechend niederlegen und bestimmen, dass mit Auflösung des Lehrstuhls auch die Stiftung beendet wird. Es liegt im Ermessen des Stifters, ob das Vermögen von Anfang an oder erst nach einer bestimmten Zeit angetastet werden soll. Ein prominentes Beispiel eines nachträglichen spending down ist die Ankündigung von Bill Gates, dass, falls ein Impfstoff gegen Aids gefunden würde, alle Mittel der Gates Foundation dafür eingesetzt würden, diesen Impfstoff möglichst schnell zu verbreiten. Eine Mindestzeit, die eine Stiftung existieren muss, ist im Gesetz nicht vorgesehen. Möglich wäre daher grundsätzlich auch eine Stiftung, die den Verbrauch des gesamten Stiftungsvermögens innerhalb eines sehr kurzen Zeitraumes, zum Beispiel eines Jahres, vorsieht. Zu dieser Frage ist allerdings bis heute keine Praxis der Aufsichtsbehörden − die diesen begrenzten Zeitraum genehmigen müssen − bekannt. Es scheint angemessen, die Dauer der Stiftung grundsätzlich auf einen Mindestzeitraum von mehreren Jahren auszurichten, indem zum Beispiel in der Stiftungsurkunde vorgesehen wird, dass pro Jahr neben den Erträgen mindestens 10, 15 oder 20 Prozent des Stiftungsvermögens ausgegeben werden müssen. Allerdings sollte das liberale Stiftungsrecht nicht ohne Not eingeschränkt werden. Die Kürze der Frist muss sich aus dem Zweck der Stiftung ergeben. Weshalb auch sollte eine Stiftung daher nicht nur ein Jahr leben dürfen, wenn sie den Zweck verfolgt, die Rekonstruktion einer zerstörten Brücke zu unterstützen, die eben ein Jahr dauert? Oder wenn sie hilft, bei einem

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gemeinnützigen Projekt eine zeitliche Finanzierungslücke zu schliessen, bis nachher ein anderer Geldgeber auftritt? Als Alternative bietet sich die Verbrauchsstiftung auch dann an, wenn Stifter eine Stiftung nicht nur zu Lebzeiten gründen, sondern auch deren Geld zu Lebzeiten für etwas Sinnvolles ausgeben oder ausgegeben sehen wollen. Bei einer Verbrauchsstiftung können sich die Stifter bei der Verwirklichung ihres Stifterwillens selbst einsetzen und hier und jetzt etwas bewirken. Dafür verzichten sie darauf, sich für alle Zeiten ein Denkmal zu errichten. Ein weiteres Motiv für eine Verbrauchsstiftung kann dann vorliegen, wenn das zur Verfügung stehende Vermögen von vornherein zu gering ist, als dass aus seinen Erträgen eine «ewige» Umsetzung des Stiftungszwecks zu erreichen wäre. Schliesslich kann bei der Entscheidung für eine Verbrauchsstiftung das Argument eine Rolle spielen, dass kein Stifter sicherstellen könne, dass der Stiftungsrat über Jahrzehnte oder Jahrhunderte hinweg in seinem Sinne handle. Anders als

Weshalb auch sollte eine Stiftung nicht nur ein Jahr leben dürfen, wenn sie den Zweck verfolgt, die Rekonstruktion einer zerstörten Brücke zu unterstützen, die eben ein Jahr dauert? bei der auf Dauer angelegten Stiftung ist der Stifter nicht darauf angewiesen, sein Vermögen treuhänderisch späteren Generationen von Stiftungsräten zu übergeben, die noch lange nach seinem Ableben wirken werden. Allerdings soll in diesem Zusammenhang die kritische Anmerkung nicht unterlassen werden, dass nicht jeder Stifter der einzige und nicht jeder der beste Sachwalter seines Willens ist. Stiften bedeutet in der Regel auch Delegation und Kooperation, und zwar schon innerhalb der Stiftung selbst. Bei der Entscheidung für die Form der Verbrauchsstiftung sollten Gründer sich daher nicht massgeblich vom unbedingten Glauben an die eigene Unersetzlichkeit oder von der Erwartung der Minderwertigkeit, Unbrauchbarkeit und Charakterlosigkeit aller Nachfolger leiten lassen.

Thomas Sprecher, geboren 1957, promovierte in Rechtswissenschaften sowie in Germanistik an der Universität Zürich. Er ist Partner in einer Zürcher Rechtsanwaltskanzlei.

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Noch kommt es selten vor. Doch tragen mehrere Stiftungen gemeinsam ein Projekt, kann viel erreicht werden. Ein Beispiel aus der Praxis.

9 Kooperationen: mehr als gemeinsame Finanzierung Jordi Montserrat

Jordi Montserrat, geboren 1970, hat an der ETH Lausanne in Umweltwissenschaft abgeschlossen und ist als Regionalleiter für die französische Schweiz für Venturelab sowie Venturekick tätig. www.venturelab.ch; www.venturekick.ch

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Als Folge der Ausdehnung der staatlichen Zuständigkeiten und Mittel ist den Stiftungen ihre traditionelle Pionierrolle teilweise abhanden gekommen. Soll heute wieder pionierhaft Einfluss genommen werden können, müssen die seit je sehr limitierten Mittel konzentriert eingesetzt und Kooperationen eingegangen werden. Nur so können Stiftungen grosse und einflussreiche Projekte realisieren und ihren Zweck erfüllen. Zwar arbeiten Stiftungen schon lange mit der öffentlichen Hand wie auch mit Projektträgern der Zivilgesellschaft zusammen. Meist beschränkt sich diese Art der Zusammenarbeit jedoch auf blosse Mitfinanzierung; dabei werden Restfinanzierungen gesprochen, damit ein bestimmtes Projekt (doch noch) zustandekommt. Wollen Stiftungen aber mehr tun, als Geld zu verteilen, und wollen sie ihre finanziellen Mittel im Sinne des social entrepreneurship gestaltend einsetzen, so sind intensivere Formen der Zusammenarbeit zu entwickeln. Hierbei besteht die Gefahr, dass die Beteiligung der jeweils andern den einzelnen Partnern gegenüber als Qualitätsnachweis für das Projekt selbst dient – eine Einschätzung, die von einem mangelhaften Evaluationsverhalten vieler Stiftungen zeugt. Denn eine breite Trägerschaft allein sagt noch nichts über die Qualität eines Projektes aus. Die Stiftungsverantwortlichen müssen jedes einzelne Projekt eingehend prüfen, bevor eine Finanzierung zugesprochen wird; ihre Sorgfaltspflicht darf nicht hinter eine bequeme Mitläuferschaft zurücktreten. Eine Kooperation unter Stiftungen bringt die Herausforderung mit sich, eine gemeinsame Vision zu entwickeln und sich somit einer gemeinsamen Aufgabe zu verschreiben – unabhängig

von Unterschieden in Zweck, Grösse, Unternehmenskultur und Entscheidungsabläufen. Die grosse Schwierigkeit dabei ist, Unterschiedliches zu synchronisieren und im Sinne einer verlässlichen Managementgemeinschaft zu etablieren. Die Ingredienzien für den Erfolg sind Vertrauen, Kommunikation und Identifikation. Kooperation setzt auch voraus, dass die gerade auch unter Stiftungen verbreitete Haltung des «Wer hat’s erfunden?» verbannt wird. Es ist unwichtig, wer in welchem Fall welchen Impuls und welchen Beitrag geleistet hat; entscheidend ist allein, was gemeinsam mitgetragen, mitfinanziert und mitverantwortet wird. Solchermassen wird das understatement der einzelnen Partnerstiftungen zum Qualitätsmerkmal eines Kooperationsprogramms. Aus diesem Geist ist 2007 die mittlerweile über die einschlägigen Kreise hinaus bekannte Förderinitiative Venturekick hervorgegangen, in der fünf Förderstiftungen zusammenarbeiten. Dieser erste Schweizer Pre-Seed-Fonds (ein Fondstyp für die Phase vor der eigentlichen Firmengründung) unterstützt vielversprechende Geschäftsideen von Jungunternehmern, die aus den Hochschulen kommen, mit einem stufenweise eingesetzten Startkapital von bis zu 130’000 Franken. Die kooperierenden Förderstiftungen stellten dazu für die ersten fünf Jahre insgesamt über 13 Millionen Franken bereit. Die operative Leitung von Venturekick wurde dem Institut für Jungunternehmen (IFJ) übertragen, das seit mehr als 20 Jahren Neugründungen unterstützt. Viele Wissenschafter, die in ihren Forschungsergebnissen eine Geschäftsidee entdecken, scheitern früh. Entweder starten sie erst gar nicht, oder ihr Projekt bleibt vage. Oft fehlen Marktorientierung und unternehmerisches Wissen für die Entwicklung eines überzeugenden Geschäftsplans. Genau da bringt die Förderinitiative Venturekick Hilfe und schliesst eine Lücke in der Schweizer Innovationskette. Bisher wurden mehr als 200 Geschäftsideen ausgewählt und einer Expertenjury vorgelegt. Durch die Unterstützung von 112 Projekten wurde so dazu beigetragen, dass rund 80 neue Unternehmen gegründet wurden, 400 Arbeitsplätze entstanden und gegen 40 Millionen Franken Finanzierungsvolumen generiert werden konnten. Auf diese Weise konnten durch gezielte Kooperation der beteiligten Stiftungen und klare Zieldefinierung die wissenschaftsbasierten Firmenneugründungen gefördert werden.

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galerie Valentin Hauri

ツォBeweiseツサ, 2009, テ僕 auf Leinwand, 50 x 45 cm

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SMH-Gespräch Wolfgang Sofsky

Er ist einer der profiliertesten Machtkritiker der Gegenwart. Er schreibt klar, konzentriert, kompromisslos. Und er fühlt sich unwohl in seinem Staat: der deutsche Soziologe Wolfgang Sofsky. René Scheu hat ihn in Göttingen zu einem Streitgespräch getroffen. Wolfgang Sofsky im Gespräch Herr Sofsky, wir sitzen hier, um zu streiten. Auf der Anklagebank sitzt der Liberalismus. Sie haben mir am Telephon gesagt, das liberale Weltbild, das viele unserer Autoren vertreten, sei naiv. Nun gut. Der Liberalismus ist zuerst eine politische Theorie. Ferner ist er organisatorisch verfasst in Parteien, die sich «liberal» nennen. Und er war einmal eine soziale Bewegung. Wichtiger aber ist die Freiheitsidee, über die wir uns verständigen sollten, bevor wir weiterreden. Gerne. Der Kern der liberalen Theorie ist die Ablehnung von Zwang. Gewiss. Aber die Frage ist: von welchem Zwang? In den Worten Friedrich August von Hayeks: vom «Zwang durch andere Menschen». Es geht um die Unabhängigkeit von der Willkür anderer Leute, die die Macht haben, uns zu Handlungen zu zwingen, die wir nicht wollen. Der erste Impuls des Liberalismus ist machtkritisch. Das unterschreibe ich sofort: Freiheit als Gegengift zu Macht und Herrschaft. Aber Freiheit ist unteilbar. Man muss deshalb alle Zwänge betrachten, die inneren und die äusseren. Dem Liberalismus fehlt ein Begriff von den inneren Zwängen, eine Anthropologie der menschlichen Sinne, der Seele, des Geistes. Und er befasst sich nur mit einigen äusseren Zwängen, den politischen und rechtlichen, und übersieht die ökonomischen und sozialen Zwänge. Einspruch. Ökonomische Situationen können zwar lästig sein, doch wird niemand gezwungen, etwas zu kaufen. Ökonomie ist nicht nur Konsum, sondern auch Produktion und Arbeitsmarkt. Wenn Sie Ihre Arbeitskraft verkaufen müssen, um zu überleben, ist das ein ziemlich massiver Zwang. Lohnabhängigkeit ist kein Zustand der Freiheit, auch wenn sie zweifellos einen Freiheitsgewinn gegenüber der Leibeigenschaft bedeutet. 42

Das war mal so. Die Bürger westlicher Staaten kämpfen aber längst nicht mehr ums nackte Überleben, sondern um ein mehr oder weniger angenehmes Leben. Das mag schon sein. Aber auch ökonomische Macht ist Macht. Durch den eingeschränkten Begriff von Zwang sind viele Liberale blind für diese Abhängigkeit. Freiheit endet nicht vor den Werkstoren. Sie haben die inneren Zwänge erwähnt. Es ist nicht die Aufgabe der Gesellschaft, sondern die Aufgabe des einzelnen, mit Hemmungen und Depressionen umzugehen. Ich bin mir da nicht so sicher. So autonom ist kaum jemand, dass er eine Depression ganz ohne fremde Hilfe heilen könnte. Auch manche Liberale misstrauen ja der Eigenkraft

Dem Liberalismus fehlt ein Begriff von den inneren Zwängen, eine Anthropologie der menschlichen Sinne, der Seele, des Geistes.

des Individuums. Sie wollen die negative Freiheitsidee, die Abwesenheit von Zwang, unbedingt mit einem positiven Zweck ergänzen: nicht nur «Freiheit von», sondern «Freiheit zu». Sie fordern die Bildung des Menschen und glauben an den unaufhaltsamen Fortschritt… …Liberale sind grundsätzlich Optimisten, ja. Das sind ungedeckte Hoffnungen. Nehmen wir die Idee des Fortschritts zu einer friedlicheren und wohlhabenderen

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SMH-Gespräch Wolfgang Sofsky

Foto: R. Scheu

Welt, also die geschichtsphilosophische Grundprämisse des Liberalismus. Trifft sie wirklich zu? Das hängt davon ab, was man unter Fortschritt versteht. Kriege gab es immer und wird es immer geben. Der Mensch ist nicht friedlicher geworden. Aber Tatsache ist doch, dass sich Gesellschaft und Welt stets ändern – weil der Mensch unablässig tätig ist. Wandel ist nicht Fortschritt. Viele Liberale glauben an eine Art zivilisatorischen Fortschritt, der zu einer moralischen Vervollkommnung des Menschen führen kann. Dieser notorische Irrglaube ist kaum aufzulösen, trotz all den Kriegen, Völkermorden und Diktaturen des 20. Jahrhunderts. Der Mensch hat ein grosses Entwicklungspotential. Er strebt zumindest das Gute an, wenn man ihn lässt, auch wenn er es selten erreicht. Der Mensch hat in der Tat Potential, aber er kann sich in gute und üble Richtungen entwickeln. Sein destruktives Potential ist immens. Bei günstiger Gelegenheit gewinnen die Destruktivkräfte schnell die Oberhand. Zerstörung geht immer schneller als Aufbau. Um diese Kräfte zu bannen, braucht eine Gesellschaft Institutionen. Und sie braucht genügend Wohlstand oder Aussicht auf Wohlstand, um allen Menschen eine Lebensperspektive zu geben. Liberale Bewegungen sind stark in Zeiten wirtschaftlichen Aufschwungs, in Gründer- und Pionierphasen, wenn es viel zu erwerben und zu verteilen gibt. Aber sie sind schwach in schwierigen Zeiten, wenn es an Wohlstand und Perspektive mangelt. Zugespitzt gesagt: liberale Bewegungen haben in Schönwetterzeiten Erfolg und erleiden in stürmischen Zeiten Schiffbruch.

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Viele Liberale glauben an eine Art zivilisatorischen Fortschritt, der zu einer moralischen Vervollkommnung des Menschen führen kann. Dieser notorische Irrglaube ist kaum aufzulösen.

Also brauchen wir Wachstum und Wohlstand. Dabei zeigt die Geschichte, dass es gerade wettbewerbsorientierte, offene Gesellschaften sind, die den Wohlstand fördern. Das Problem ist nur, dass keine Gesellschaft autark im ewigen Frieden existiert. Keine Nation kann allein über ihre Geschichte bestimmen, es sei denn, sie wäre der Hegemon der Welt. Vor dem Ersten Weltkrieg glaubten die europäischen Völker an eine friedliche Ordnung, an Handel statt Krieg, an die nahe Weltgesellschaft. Ein paar Monate später brach der Weltkrieg aus, und dann folgte der «Weltbürgerkrieg» bis 1989. Trotzdem kehren die optimistischen Phantasien regelmässig wieder, gegen alle Erfahrung der Zerstörung. Handel verringert das Risiko eines Kriegs, aber natürlich ist es nicht so, dass handeltreibende Staaten nie und nimmer Krieg gegeneinander führen. Das hat auch niemand behauptet. Schauen wir uns das Menschenwesen ein wenig näher an. Menschen fragen sich ja häufig: Wie erlange ich die Besitztümer des anderen? Es gibt verschiedene Möglichkeiten: man tauscht, man stiehlt, betrügt, besticht oder erobert das begehrte Gut. Raub und Beute sind oft die preiswerteste Art des Besitzwechsels – für den Sieger. 43


SMH-Gespräch Wolfgang Sofsky

Das kommt darauf an, man muss mit Widerstand rechnen… …nur wenn der Gegner stark ist. Ist er schwach, warum soll ich dann tauschen? Ich kann es mir ja einfach nehmen. Jetzt übertreiben Sie. Der Mensch ist kein Engel, aber er ist auch kein Untier. Deswegen sagen die Liberalen ja: wir brauchen einen Rechtsstaat, der Eigentum garantiert. Es gab in der Menschheitsgeschichte nie eine Institution, die längerfristig den Frieden gesichert hätte. Der Rechtsstaat funktioniert nur so lange, wie ihn die Bürger respektieren, aus Furcht, Überzeugung oder Tradition. Gegen Misstrauen, Gier und die Kreativität des Bösen kann sich das Recht auf Dauer schwerlich durchsetzen. Die Regeln hinken den Untaten meist hinterher. Man muss mit allem rechnen, zu jeder Zeit. Sie spielen den Advocatus Diaboli. Wir können gerne die Rollen tauschen: Wie lässt sich denn der Mensch Ihrer Ansicht nach am besten zähmen? Wenn man Menschen, Gruppen oder sogar ganze Gesellschaften «zähmen» wollte, würde man sich übernehmen. Aber klar ist: extreme Ungleichgewichte, Überlegenheiten und Abhängigkeiten sind zu vermeiden. Sonst hat die Mehrheit so viel Macht, dass sie die Minderheit einsperren, vertreiben oder einfach umbringen kann. Am besten «zähmt» man die Menschen, indem man ihnen Macht raubt, indem man also die Freiheit stärkt. Dafür braucht es – wiederum – den Rechtsstaat und den Minderheitenschutz. Natürlich braucht es einen Rechtsstaat, aber wenn Sie sich als Individuum allein auf das Recht verlassen, kann es eines Tages ein böses Erwachen geben. Gegen Macht hilft zuletzt nur Gegenmacht. Rufen Sie nun zum zivilen Ungehorsam auf? Ich rufe zu gar nichts auf, aber es schadet nichts, sich an die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat zu erinnern,

Natürlich braucht es einen Rechtsstaat, aber wenn Sie sich als Individuum allein auf das Recht verlassen, kann es eines Tages ein böses Erwachen geben. Gegen Macht hilft zuletzt nur Gegenmacht. wie sie der altlibertäre Henry Thoreau verkündet hat. Mit «Gegenmacht» meine ich die Bündelung der Kräfte, die den einzelnen schützen. Das können manchmal sogar staatliche Massnahmen sein. Sie vertrauen dem Rechtsstaat partout nicht. Die faktische Geltung von Recht ist eine Frage der Macht. Die allermeisten Regulierungen ergeben sich aus gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen. Nur Idealisten sehen im Recht ein Set von Normen, das allen dient. Recht ist zuvörderst eine institutionelle Tatsache. Wie es beschlossen und durchgesetzt wird, das ist ein sozialer Prozess, ein Machtkampf. Die herrschende Klasse gegen die unterdrückte Klasse: das klingt nach einem überholten marxistischen Gesellschaftsbild. So habe ich es nicht gemeint, es geht weniger um soziale Klassen als um den Konflikt zwischen Mehrheiten und Aussenseitern, zwischen dominanten Koalitionen und Minderheiten. Im übrigen war Marx ein glänzender Machtanalytiker – und alles andere als ein Marxist. Meist stehen sich nicht zwei Blöcke gegenüber, sondern eine Mehrzahl von Machtgruppen mit diversen Interessen, Mitteln und Kräften. Und was das Recht anlangt: Legislative und Justiz existieren nicht ausserhalb der sozialen Welt. Ihr Personal ist von den herrschenden Kräften und Ideen infiziert. Gerichte fällen selten antikonformistische Urteile.

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Marco G. Walser, Präsident des Verwaltungsrates

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Aber es gibt doch objektive Regeln, die für alle gleich gelten. Manche sind dabei etwas gleicher als andere. Regeln müssen erst einmal durchgesetzt werden. Viele Regeln existieren nur auf dem Papier, und viele Untaten bleiben ungesühnt. Nur diejenigen Gesetze werden anerkannt, die man fürchten muss, weil sie nämlich wirklich exekutiert werden. Wir statten den Staat mit der Macht aus, sie durchzusetzen. Wer ist der Staat? Er ist nichts anderes als ein Feld von Institutionen und Machtgruppen. Sie entscheiden letztlich, welches Recht beschlossen wird, welche Taten geahndet werden und welche nicht. In Ihren Büchern schlagen Sie drastische Töne an. Die Aufweichung der Privatsphäre sei der Anfang vom Ende freiheitlicher Gesellschaften… …Privatheit ist der erste Schutzwall der Freiheit. Diese Gegenmacht des Individuums wird geschützt durch das Geheimnis. Viele subversive Gruppen beginnen in der Konspiration. Aber auch der unbescholtene Bürger in einer offenen Gesellschaft hat oft keine andere Chance zu seinem Selbstschutz als das Geheimnis. Aber gerade dadurch liefert er der Obrigkeit einen Vorwand, ihn auszuspionieren. Wer nicht alles offenlegt, ist der Obrigkeit verdächtig. Deshalb ist ein doppeltes Geheimnis vonnöten: ein Geheimnis, das so geheim ist, dass es überhaupt nicht als Geheimnis wahrge-

Viele Regeln existieren nur auf dem Papier, und viele Untaten bleiben ungesühnt. nommen wird. Niemand darf den Hauch einer Ahnung davon haben, dass überhaupt etwas geheimgehalten wird. Das Geheimnis, von dem Sie sprechen, wird so immer kleiner. Man hütet es sozusagen im Keller und freut sich darüber, dass niemand davon weiss. Doch hat es keine Bedeutung mehr für das eigene Leben, weil man sich längst angepasst hat. Ernst Jünger, der ein gespaltenes Verhältnis zur Obrigkeit hatte, plädierte einst für äusseren Konformismus mit Mentalreserve: ich tue, was alle von mir erwarten, aber ich denke mir meinen Teil. Das ist für ein selbständiges Leben definitiv zu wenig. Die nächste Stufe wäre: ich nutze den Konformismus, um im Geheimen noch etwas anderes zu tun… ...mit Verlaub, aber das klingt subversiv-reaktionär… …man kann das auch ganz defensiv verstehen. Letztlich sollte sich jeder Normalbürger um seine Geheimnisse küm-

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mern. Aus Geheimnissen lässt sich Kraft schöpfen, sie immunisieren, machen unabhängig. Wenn andere von einem alles wissen, während man selbst sehr wenig von ihnen weiss, dann hemmt dies das Denken und Handeln. Man wird vorsichtig, fühlt sich womöglich beobachtet, ausspioniert, ausgeliefert, ohnmächtig.

Wenn andere von einem alles wissen, während man selbst sehr wenig von ihnen weiss, dann hemmt dies das Denken und Handeln. Man wird vorsichtig. In Ihrem Buch «Verteidigung des Privaten» warnen Sie vor einer ungehemmten Ausdehnung staatlicher Macht. Dabei haben Sie zweifellos auch den deutschen Staat im Blick. Der Zugriff auf seine Bürger wird immer dreister. In Deutschland herrscht noch immer die Vorstellung, der Staat könne so etwas wie der Hüter der Sittlichkeit sein – der Staat als Nachfolger der Kirche. Er soll nicht die Freiheit schützen, sondern die Menschen erziehen, soll ein Polizeistaat sein im Sinne der altpreussischen Polizey, also der Sitten- und Hygienepolizei, die mit bester Absicht die Bürger ins gute Leben treibt. Was genau stört Sie am aktuellen Zustand? Das ausufernde System obrigkeitlicher Fürsorge. Mir wird gesagt, wieviel Fettsäuren ich essen, wieviel Sport ich treiben, wieviel Alkohol ich trinken, wieviel Energie ich verbrauchen soll. Überall werden Missbräuche und Übergriffe vermutet. Wir sind auf dem Weg in die totale Präventionsgesellschaft. Jede Abweichung wird observiert, registriert, sanktioniert. Hegel hat im deutschen Staat auch die Verkörperung des objektiven Geistes gesehen. Was der Staat macht, ist per definitionem vernünftig. Er kann nicht irren. Das Verhältnis der Deutschen zum Staat ist viel simpler. Es wird bestimmt von dem, was der deutsche Soziologe Heinrich Popitz den «Ordnungswert der Ordnung» genannt hat: der Staat erhält seine Legitimität einfach dadurch, dass er für Ordnung sorgt. Das allein reicht schon, um Gehorsam zu erzeugen. Der Etatismus als neue Religion. Wie fromm sind denn die Deutschen? Lenin hat einmal bemerkt, die Deutschen würden, bevor sie in einer Revolution den Bahnhof besetzen, erst noch eine Bahnsteigkarte lösen. Schauen Sie sich die letzten 150 45


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Jahre an. Zuerst gab es das Kaiserreich, das dauerte bis 1918. Dann kommt eine Revolution, eine kurzlebige Demokratie mit politischen Attentaten und Putschversuchen in den 1920er und 1930er Jahren. Anschliessend die Nazis, die den Sozialstaat ausbauten und sich so die allgemeine Zustimmung sicherten. Dann kam – durch den Sieg der Alliierten, nicht durch eigenes Verdienst – der rheinische Kapitalismus, also eine christlich-fürsorgliche Marktwirtschaft mit stark etatistischen Zügen. Im Osten herrschte in derselben Zeit Staatssozialismus. Sie haben also eine lange Tradition des Obrigkeitsstaates im Herz und Hirn der Untertanen. Diesen Gott beten viele, allzu viele Menschen weiterhin an. Sie plädieren für den Rückzug ins Private. Aber ginge es in einer Demokratie nicht gerade umgekehrt darum, an der öffentlichen Debatte teilzunehmen und auf diesem Weg etwas zu verändern? Nein, kein Rückzug ins Private, sondern Verteidigung des Privaten durch öffentlichen Widerspruch, aber ohne Illusionen über die Demokratie. Was ist schon Demokratie? Es ist der Versuch einer Gesellschaft, sich kollektiv selbst zu bestimmen und dadurch alle an der Macht teilhaben zu lassen. Nein, Demokratie ist ein Herrschaftssystem, das sich auf eine Mehrheit beruft, eine Form der Eliteherrschaft also. Die Mehrheit legitimiert, wer in ihrem Namen über den einzelnen entscheidet, wobei die Demokratie den grossen Vorteil hat,

Die Mehrheit legitimiert, wer in ihrem Namen über den einzelnen entscheidet, wobei die Demokratie den grossen Vorteil hat, dass die politische Elite periodisch ausgetauscht werden kann. dass die politische Elite periodisch ausgetauscht werden kann. So wird man zwar das Personal los, aber nicht die Positionen. Die Idee von der Identität von Regierenden und Regierten, die der Ideologie der repräsentativen oder partizipativen Demokratie zugrunde liegt, ist jedenfalls ein Traumgebilde. Jedes politische System ist ein System politischer Herrschaft. Genau. Es wäre idiotisch, den Unterschied zwischen Demokratie und Diktatur, zwischen einem Rechts- und einem Willkürstaat zu leugnen. Aber man sollte damit aufhören, die demokratische Eliteherrschaft zu verniedlichen. Wir können auch in Demokratien tagtäglich beobachten, wie Macht erobert, gesichert, ausgedehnt, missbraucht und gegen Widerstand verteidigt wird, notfalls mit Repression und Gewalt. 46

Eine Gegenmacht zur Politik ist der Markt. Ja, klar, aber auch im Markt geht es um Macht – um ökonomische Macht. Jeder Anbieter versucht, seine Konkurrenten auszustechen. Er strebt nach dem Monopol auf seinem Gebiet, denn sonst ginge er unter. Hat er das Monopol, kann er die Preise diktieren. Wie kann dieser Mechanismus der Monopolisierung und Oligarchiebildung verhindert werden?

Die Frage ist, wie unabhängig die Behörden von den ökonomischen Machtgruppen sind. Indem man zum Beispiel eine Kartellbehörde gründet. Aber heute ist das Problem ein anderes: die unheilige Allianz von Behörden und Unternehmen. Wenn der Staat nicht eingreift, bilden sich Kartelle, und das ist nicht im Interesse der Konsumenten. Der Staat hat gar keine andere Wahl, als einzugreifen. Die Frage ist, wie unabhängig die Behörden von den ökonomischen Machtgruppen sind. Werden die Grenzen durchlässig, dann haben wir es mit Korruption zu tun, im schlimmsten Fall mit einer Verschmelzung von Wirtschaftsmonopol und staatlichem Gewaltmonopol. Die beste Gegenmacht gegen Kartelle und Monopole ist der spielende Markt, nicht der intervenierende Staat. Wie wollen Sie den freien Markt garantieren, ohne die dominante Marktmacht zu beschneiden? Damit der Markt wieder spielen kann, muss die ökonomische Vormacht durch sozialen Druck oder Ungehorsam zurückgedrängt werden. Und manchmal ist ökonomische Macht nur mit politischer Macht zu kontern. Umgekehrt schafft jede staatliche Marktintervention Begünstigte und Benachteiligte. Das wird viel zu wenig bedacht. Es ist immer ein Machtkampf zwischen ökonomischen und politischen Kräften. Gesellschaft ist ein einziges Kräftefeld.

Wolfgang Sofsky, geboren 1952, war bis 2000 Professor für Soziologie und arbeitet heute als freier Autor. Im Zentrum seiner Veröffentlichungen steht die Analyse politischer, sozialer und ökonomischer Macht- und Herrschaftsformen. Zuletzt erschienen sind «Das Buch der Laster» (2009), «Verteidigung des Privaten» (2007) und «Das Prinzip Sicherheit» (2005). Für seine Habilitationsschrift «Die Ordnung des Terrors – Das Konzentrationslager» erhielt er 1993 den Geschwister-Scholl-Preis.

Nr.977 april / Mai 2010 Schweizer Monatshefte


galerie Valentin Hauri

ツォDriftingツサ, 2007, テ僕 auf Leinwand, 45 x 50 cm

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Aus aktuellem Anlass

Chinas Zukunft, unsere Zukunft China ist die Zukunft.* Das sagen mittlerweile selbst jene im Westen, die China mit grosser Skepsis begegnen. Das Wachstum der chinesischen Wirtschaft ist enorm (im Jahr 2009, trotz Krise, nach Regierungsangaben um 8,7 Prozent), der gesamtgesellschaftliche Wohlstand steigt stetig. Zugleich wissen wir aber erstaunlich wenig über das Reich der Mitte, über sein Ethos, seinen Zusammenhalt. Wie nachhaltig ist das Wachstum? Und welche Auswirkungen haben die jüngeren Entwicklungen auf das Freiheits- und Rechtsverständnis der Chinesen? Wir haben zwei ausgewiesene Chinakenner um ihre Einschätzungen gebeten.

1/2 Auf dem Altar der Moderne geopfert Kann China nachhaltig wachsen? Überlegungen nach einer Reise durch die Volksrepublik. Joachim Starbatty

Die Volksrepublik China nötigt der Welt Respekt ab. Inzwischen hat sie Deutschland als Exportweltmeister abgelöst; dafür können sich die Chinesen zwar nichts kaufen, aber es imponiert der Welt. China nutzt die Gunst der Stunde. Die chinesische Führung tritt in der Welt selbstbewusst auf. Sie propagiert ein Konzept des Strebens nach globaler Harmonie und betreibt zugleich bedenkenlose Interessenpolitik. Den amerikanischen Präsidenten Barack Obama hat sie seine Ansprachen über Menschenrechte halten lassen und ist danach ungerührt zur Tagesordnung übergegangen. Die Zeit könnte aber zeigen, dass das, was die Volksrepublik China derzeit mächtig und stark erscheinen lässt, sie in Wahrheit schwächen wird. Aber der Reihe nach. China scheint in seinen Metropolen von einem rückständigen Agrarstaat direkt in die Moderne gesprungen zu sein. Architekten und Stadtplaner aus aller Welt haben aus ihren architektonischen Träumen steingewordene Wirklichkeit werden lassen. Und wiederum strömen Architekten in diese Städte, um sich zu neuen Träumen inspirieren zu lassen. Passend dazu lautet das Motto der 2010 in Shanghai stattfindenden Weltausstellung: «Eine Welt – ein Traum». Besucher finden in Shanghai kaum noch chinesische Tradition und Geschichte; in Peking hat man noch einige traditionelle Häuserzeilen und Strassenzüge – die Hutongs – stehen lassen. Sie sind jetzt ein bewohntes Freilichtmuseum. Den westli48

chen Besucher beschleicht das Gefühl, dass die politische Führung bereit sei, das traditionelle China auf dem Altar der Modernität zu opfern. Der politische Modernitätswille lässt Althergebrachtes rigoros planieren. Der Staat ist Eigentümer von Grund und Boden, Privatleute haben nur ein zeitlich begrenztes Nutzungsrecht. Vor den Olympischen Spielen wurden Pekings überkommene Wohnviertel dem Erdboden gleichgemacht. Den Bewohnern wurde Ersatz in neuen Wohntürmen zugesagt. Wenn sie auf diese nur teilweise eingelösten Versprechen pochten und dabei den Bauherren lästig fielen, wurden sie gewaltsam vertrieben. Gerichte schützten sie nicht; sie besassen ja kein Schriftstück, auf das sie ihre Ansprüche hätten stützen können. Leute, die sich für die Obdachlosgewordenen einsetzten, liefen Gefahr, wegen Unruhestiftung zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt zu werden. Die Kommunistische Partei Chinas hält die politische Macht in Händen und kontrolliert das wirtschaftliche Geschehen. Sie definiert das Gemeinwohl und setzt es gegen jeden Widerstand durch. Menschen, die sich dagegen wehren, werden mittels Gummiparagraphen – «Verrat von Staatsgeheimnissen», «Unruhestiftung» oder «Verleumdung» – eingeschüchtert und mundtot gemacht. Die Anrufung der Gerichte ist in aller Regel zwecklos, mitunter sogar gefährlich. Sie sind der verlängerte Arm der Kommunistischen Partei. Der Gang vor Gericht verspricht dem betroffenen Kläger bloss dann Erfolg, wenn er damit der jeweiligen politischen Linie entspricht. Dann mag sogar eine Klage gegen örtliche Parteiorgane von Erfolg gekrönt sein. Die Kommunistische Partei Chinas bezieht ihre politische Legitimation nicht länger aus der sozialistischen Ideologie als Schlüssel zur Enträtselung der Welt und als Kompass in «die lichte Zukunft des Sozialismus», sondern aus der wirtschaftlichen Modernisierung. Dazu ist ihr jedes Mittel recht. Auch die Öffnung der Kommunistischen Partei gegenüber Unternehmern verrät, dass sie Schluss gemacht hat mit der Marxschen Devise der «Expropriation der Expropriateure» – der Enteignung der Eigentümer an den Produktionsmitteln. Deren Stimme soll vielmehr im sozialistischen Chor gehört werden.

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Aus aktuellem Anlass Chinas Zukunft, unsere Zukunft

Die Führung lässt bewusst Diskussionen innerhalb der Partei zu, auch wenn sie kontrovers sind. Natürlich schliesst das aber nicht aus, dass ein solcher Prozess von der politischen Spitze gesteuert oder gar im Sinne eines politischen Machtkampfs instrumentalisiert wird. Die mit der wirtschaftlichen Modernisierung einhergehende Wohlstandssteigerung soll die Bevölkerung ruhigstellen und der politischen Führung Geltung in der Welt verschaffen. Die mit dem rigorosen Modernisierungsprozess einhergehenden Schäden, insbesondere Umweltschäden, nimmt sie in Kauf. Aus ökonomischer Perspektive ist dies eine Forcierung des Gegenwartskonsums zu Lasten des Zukunftskonsums, da die aufsummierten Umweltschäden mit quantitativen und vor allem qualitativen Wohlfahrtsverlusten in der Zukunft verbunden sind. Auch das wachsende Wohlfahrtsgefälle zwischen den Boomstädten im Osten und den landwirtschaftlich geprägten Regionen birgt sozialen Sprengstoff. Eine – neben dem Wohlstandszuwachs – zweite Quelle politischer Legitimation ist die Traditionslinie der Kommunistischen Partei, reichend von Mao Zedong, dem – trotz dem hohen Blutzoll im Zuge diktatorischer Machtausübung, politischer Kampagnen und verfehlter Wirtschaftspolitik – verklärten Gründervater, über Deng Xiaoping bis hin zu den gegenwärtigen Machthabern. Ein Blick auf die chinesischen Banknoten zeigt immer und nur das Portrait Maos. Auch sonst ist er im Stadtbild präsent. Auf Maos Ausspruch bei der Proklamation der Volksrepublik China am 1. Oktober 1949 – «China ist wieder auferstanden» – gründet sich die Tradition der Kommunistischen Partei Chinas. Daher war die 60. Wiederkehr des Gründungstages und jetzigen Nationalfeiertages ein grosses nationales Ereignis. Das ganze Land war mit Blumen geschmückt. Die werktätige Bevölkerung wurde von der Arbeit freigestellt, um sich auf das Fest einstimmen zu können, musste dafür freilich vorund nacharbeiten. Die Feier des 60jährigen Bestehens der Volksrepublik auf dem Platz des himmlischen Friedens offenbart den dritten Legitimationsstrang – den chinesischen Nationalismus. Eine überwältigende Parade sollte die gewonnene politische und militärische Stärke Chinas und den wachsenden Wohlstand als logische Konsequenz des Wirkens der Kommunistischen Partei Chinas und des Sozialismus mit chinesischen Elementen darstellen. Besonders eindrucksvoll und einschüchternd war das militärische Zeremoniell. Regimenter zogen im Stechschritt vorbei, männlich wie weiblich. Auf Höhe der politischen Tribüne flogen alle Köpfe ruckartig nach rechts und die Kommandeure brüllten: «Sei gegrüsst, Genosse General!» Genosse General, der chinesische Staatschef, winkte jovial zurück. Den Schluss bildeten Kinder aus allen Regionen Chinas, diszipliniert und fröhlich; sie liessen bunte Luftballons steigen und stürzten schliesslich jubelnd in Richtung Politikertribüne. Die politische Führung lächelte; sie hatte die Zukunft ihres Landes vor sich.

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Erstaunlich, dass sie auch jetzt noch so wenig der Dynamik Chinas vertraut, dass sie Ehepaaren nur jeweils ein Kind gestattet. Dass die «Eine-Familie-ein-Kind»-Politik nicht bloss ein Spruch, sondern Wirklichkeit ist, sieht der Besucher an den Orten, die auch Chinesen in ihrer Freizeit besuchen: Ehepaare – oft begleitet von ihren Eltern – haben in der Tat bloss ein Kind, meist einen Jungen; dasselbe Bild abends in den Restaurants. Hinter dieser Maxime kann nicht die Annahme stecken, es gebe zu wenig Bauland; China ist im Verhältnis zu Japan relativ schwach besiedelt. Es muss die malthusianische Furcht sein, die Produktion von Nahrungsmitteln könnte nicht ausreichen, um alle Chinesen zu ernähren. Die hinter der «Eine-Familie-ein-Kind»-Maxime stehende Haltung ist das Gegenteil des Subsidiaritätsprinzips der christlichen Gesellschaftslehre, die dem Individuum zutraut, für sich selbst sorgen zu können, und die eine Abgabe von Verantwortung an die nächsthöhere Instanz nur dann vorsieht, wenn sich das Individuum überfordert fühlt. In dieser Regel manifestiert sich auch praktische Lebenserfahrung: die einzelnen Individuen lernen aus Erfahrung und kommen da-

Die Wohlstandssteigerung soll die Bevölkerung ruhigstellen und der politischen Führung Geltung in der Welt verschaffen. her eher zu Problemlösungen als Institutionen, die weitab vom eigentlichen Geschehen entscheiden und handeln. Und genau das ist das Problem zentralistischer Herrschaftsausübung. Korrektursignale sind nur mangelhaft ausgeprägt und führen, wenn sie aufblinken, erst nach umständlichen Revisionsprozessen zu Kursänderungen – wenn überhaupt. Bei einem Festhalten an der «Eine-Familie-ein-Kind»-Maxime ist die Implosion der Sozialsysteme programmiert. Dies gilt auch, wenn die Alterssicherung über Kapitaldeckungsverfahren geregelt wird; denn die über die betriebliche Kapitalbildung geschaffenen Arbeitsplätze müssen ja mit gutausgebildeten Arbeitskräften besetzt werden, die wegen der «Eine-Familie-ein-Kind»-Politik nicht in ausreichendem Masse zur Verfügung stehen. Wegen der Vorliebe für männliche Nachkommen – sie sollen den Lebensabend der Eltern sichern – wird aus der «Ein-Kind-Familie» die «Ein-SohnFamilie». Die daraus entstehende, teilweise gewaltorientierte Dynamik kann sich jeder selbst ausmalen. Hinter dieser Politik steht letztlich die für Chinesen eigentlich untypische Annahme, dass sie nicht findig genug seien, für ihren eigenen Lebensunterhalt zu sorgen. Wie falsch diese Annahme ist, zeigt der riesige chinesische Exportüberschuss. Mit dem daraus resultierenden Erlös hätte sich 49


Aus aktuellem Anlass Chinas Zukunft, unsere Zukunft

die chinesische Reistafel x-mal füllen lassen. Stattdessen hat die chinesische Führung den Fleiss und die Sparsamkeit ihrer Bürger dazu genutzt, amerikanische Staatsanleihen zu kaufen, die angesichts zukünftiger Inflationsgefahren vielleicht bald dem Wert heutiger Schrottpapiere entsprechen. Ein Weiteres fällt dem Reisenden auf. In den hypermodernen Metropolen sucht er vergeblich nach einem Zeitungsstand, wo er ein ausländisches Presseerzeugnis erwerben könnte; noch nicht einmal auf den Flughäfen findet er solche. Die chinesische Führung sieht offenbar die von ihr beanspruchte Alleinzuständigkeit in der Beurteilung des chinesischen und des weltweiten Geschehens unterminiert, wenn Chinesen sich eine eigene Meinung bilden können. Doch schadet die chinesische Führung ihrem Land selbst, wenn sie ihre Bürger von Informationen abschneidet, ihnen den Mund verbietet, Menschenrechte vorenthält und sie nach allen Regeln totalitärer Kunst konditioniert. Der deutsche Nationalökonom Friedrich List sah die Einräumung der Menschenrechte als entscheidenden Produktivfaktor an. Gedanken- und Gewissensfreiheit, Pressefreiheit, unabhängige Gerichtsbarkeit, öffentliche Kontrolle der Staatsverwaltung und vor allem Rechtsstaatlichkeit würden den Bürgern eine Summe von Energie und Kraft gewähren, die sich schwerlich durch andere Mittel erzeugen liesse. Diese produktive Kraft sei wichtiger als materieller Reichtum und Bodenschätze. Die chinesische Volkswirtschaft befindet sich derzeit noch in einem Aufholprozess, in dem sich die Führung an den Entwicklungsmustern der entwickelten Industriestaaten orientieren kann. Um gigantische Metropolen aus dem Boden zu stampfen, sind in einem Land ohne rechtsstaatliche Prozeduren fleissige Arbeitskräfte, sparsame Bürger und politische Rücksichtslosigkeit ausreichend. Wenn eine Volkswirtschaft aus dem Stadium des Nachholens und Imitierens in eine Phase des Voranschreitens wechselt, dann ist jedoch politisches und unternehmerisches Handeln starker Unsicherheit ausgesetzt. Die Irrtümer nehmen zu. Den Bürgern Menschenrechte und damit Freiheit zu versagen, ist in einer Welt der Unsicherheit eine verhängnisvolle Strategie. Denn sie schliesst dezentrale Lernprozesse aus. Die Schaffung eines auf Freiheit ausgerichteten institutionellen Rahmens, wo der Wettbewerb als Entdeckungsverfahren wirken kann, ist wichtiger als kurzfristiger ökonomischer Erfolg. Diese zentrale Erkenntnis der liberalen Ordnungstheorie könnte die chinesische Regierung rascher einholen, als sie sich vorstellen kann. *vgl. als Vertiefung zum Thema: Sonderthema Nr. 5, August 2009, «Wege des Ostens. Japan. China und die Krise». www.schweizermonatshefte.ch Joachim Starbatty, geboren 1940, ist emeritierter Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Tübingen und Vorsitzender der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft. Er war jüngst für die Konrad-Adenauer-Stiftung in China unterwegs und hielt an mehreren chinesischen Universitäten Vorträge über die soziale Marktwirtschaft.

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2/2 Leistung statt Sozialneid Wir verstehen die Chinesen nicht. Und wir unterschätzen sie. Das wiederum freut die Chinesen. Denn sie wollen nur eins: leisten, leisten, leisten. Urs Schoettli

Die soziale Frage ist im Westen derzeit in aller Munde. Der soziale Ausgleich, die Umverteilung, der Sozialneid. Also gehen wir im Westen davon aus, dass die soziale Frage künftig auch die Gemüter in aufstrebenden Ländern wie China beschäftigen werde. Und lehnen uns selbstzufrieden zurück, weil wir glauben, dass ihnen noch grosse soziale Konflikte bevorstehen. Dabei könnten wir uns jedoch täuschen. Den Chinesen sind unsere Sichtweisen sehr fremd. Es gibt verschiedene Erhebungen, unter anderem der Chinesischen Akademie für Sozialwissenschaften (CASS), die zeigen, dass unter Chinesen Sozialneid eine geringere Rolle spielt als in westlichen Gesellschaften. Ich habe dies unter anderem während der Zeit, da ich in Hongkong lebte, konkret im Alltag erfahren können. Der heute achtzigjährige Li Ka-sching gilt als Schulbeispiel eines Tycoons. An der Börse, im Immobiliengeschäft und im Dienstleistungssektor hat der ehemalige Schanghaier ein Riesenvermögen gemacht, der nach seiner Flucht vor den Kommunisten in der englischen Kronkolonie Hongkong als Hersteller von Plastikblumen sein erstes Geld verdiente. Li Ka-sching muss sich nicht mit Bodyguards umgeben. Ich habe ihn wiederholt allein auf der Strasse, in einem Restaurant oder in einem seiner Geschäfte gesehen. Für die Hongkonger ist der superreiche Li Ka-sching eine Leitfigur. Jeder will so werden wie er, und die ambitiösen Eltern impfen bereits ihren kleinen Kindern ein, dass sie sich anstrengen sollen, um dereinst ebenso reich zu sein wie einer der Tycoons. Ich mag die Chinesen – vor allem wegen ihres Pragmatismus und ihrer Abneigung gegen alles, was nicht mit dem Diesseits zu tun hat. In ihrem Sozialverhalten steht eindeutig die Familie, der Clan im Zentrum. Und im Familienverband geht es nicht um Rechte, sondern um gegenseitige Pflichten. Die Eltern haben die Pflicht, dafür zu sorgen, dass es ihren Kindern gutgeht und dass sie die besten Startchan-

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Aus aktuellem Anlass Chinas Zukunft, unsere Zukunft

cen fürs Leben erhalten. Die Kinder wiederum haben die Pflicht, sich gegenüber ihren Eltern ehrerbietig zu erweisen, ihnen Gesicht zu geben, will heissen: sie durch Spitzenleistungen stolz zu machen, und im Alter nach ihnen zu schauen – nicht nur materiell, sondern auch emotionell. Auf diese Weise hat die chinesische Gesellschaft seit Jahrtausenden erfolgreich funktioniert und kulturelle und zivilisatorische Spitzenleistungen hervorgebracht. Nach eineinhalb Jahrhunderten selbst- und fremdverschuldeten Unterbruchs sind wir jetzt wieder Zeugen eines gigantischen Leistungsschubs des chinesischen Volkes. Ich mag die Chinesen, weil sie bei allem, was mit Geld und Reichtum zu tun hat, so herrlich unverkrampft sind. «How much?» ist der Satz, den man im Umgang mit Chinesen am häufigsten zu hören bekommt. Wieviel man verdiene, will der eine wissen, wieviel das Bild gekostet habe, will eine andere herausfinden, und wieviel man für den Anzug bezahlt habe, fragt ein Dritter. Als solider Schweizer fühlt man sich anfänglich von solch direkten Fragen betupft. Was geht denn dies einen Wildfremden an? Dabei sind es doch gerade diese sinnvollen Fragen, die alles in der materiellen Welt auf Dollar und Cent herunterbrechen und mit gestelzten Ideologien oder weltfremden und weltfeindlichen Religionen nichts zu tun haben. Sie machen das Erdendasein erträglich. Ich mag die Chinesen, weil sie alle Karten auf Leistung und keine einzige auf Herkunft setzen. In diesem Sinne stehen die Chinesen denn auch den Amerikanern viel näher als den Europäern. In der Tat liegt Europa nicht nur geographisch, sondern auch mentalitätsmässig zwischen der indischen Welt mit ihrer traditionellen Kastenorientierung und den USA mit ihrer weitreichenden, durch den Markt geprägten sozialen Mobilität. Diese europäische Ambivalenz kommt insbesondere bei der Wertschätzung von Dienstleistungen zum Ausdruck. Im Grunde genommen sind die Europäer – wie jede Kastengesellschaft – nicht in der Lage, auf humane Art Dienstleistungen zu erbringen oder zu konsumieren. Während in den USA und eben auch in China jede Dienstleistung auf einen monetär abgegoltenen Vertrag reduziert wird, spielen in Europa stets unterschwellige Vorurteile und Kastendünkel mit. Im Grunde genommen ist das Erbringen einer Dienstleistung etwas Entwürdigendes. Jemand ist Kellner oder Maître d’hôtel nur, weil er es zu nichts «Besserem» gebracht hat. Besonders offenkundig wird die Hypokrisie der Europäer, wenn es darum geht, welche Stelle einem Arbeitslosen zuzumuten sei. Bezeichnenderweise sind es dabei gerade die sich doch ach so menschenfreundlich gebenden Linken, die an Kastendünkel kaum zu übertreffen sind. Man schlage einmal vor, dass es für einen arbeitslosen Lehrer doch nichts Verwerfliches sein könne, sein Brot als Maître d’hôtel zu verdienen. Die Empörung ist einem gewiss. Aus der asiatischen Ferne verfolgt man mit einigem Erstaunen den Aufruhr eines grossen Teils der deutschen Clas-

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se politique über die Äusserung von Aussenminister und FDP-Chef Guido Westerwelle, wonach es nicht angehen könne, dass Empfänger von Sozialhilfe besser gestellt seien als Menschen, die einer Berufstätigkeit nachgehen. In der Tat kann man sich aus der Perspektive einer Gesellschaft, die durch das konfuzianische Pflichtverständnis geprägt wird, nichts Dekadenteres vorstellen als eine Gemeinschaft, in der aus allen Ecken zum Halali gegen jene geblasen wird, die der Erbringung von Leistungen das Wort reden. Chinas grosser Reformer, Deng Xiaoping, der zu den bedeutendsten Staatsmännern des 20. Jahrhunderts gehört, rief seinen vom Steinzeitkommunismus Mao Zedongs ausgepowerten Landsleuten zu, dass es nichts Schöneres im Leben gebe, als reich zu werden, und dass, wenn einige rascher reich würden als andere, dies der ganzen Gesellschaft diene. Mit solchen Aussagen ist die Unkultur des Neids unvereinbar. Deng wusste, dass China sich nur aus der Misere würde befreien können, wenn seine Bevölkerung wieder die Leistung respektieren und vom Drang zum Reichwerden ergriffen würde. Wir in Europa sind nach mehreren Jahrzehnten weitverbreiteten Wohlstands schlaff geworden. Der Wunsch, es

Ich mag die Chinesen, weil sie alle Karten auf Leistung und keine einzige auf Herkunft setzen. In diesem Sinne stehen die Chinesen denn auch den Amerikanern viel näher als den Europäern. etwas ruhiger zu nehmen, mag durchaus verständlich erscheinen. Doch gilt es zu bedenken, dass der alte Kontinent keine Insel der Seligen ist, sondern sich im harten Wettbewerb mit Milliarden von Menschen zu behaupten hat, die noch immer hungrig auf Leistung, Reichtum und Erfolg sind. Wer unter diesen Voraussetzungen seine Politik auf Sozialneid und die fiskalische Bestrafung von Leistung ausrichtet, handelt fahrlässig. Unsere künftigen Generationen, nur mit dem Umverteilen vertraut, werden – wenn dann einmal die Chinesen in den von ihnen aufgekauften westlichen Firmen leistungsbesessen kalkulieren werden – es zu danken wissen. Urs Schoettli, geboren 1948, hat Philosophie studiert und berichtet aus Süd- und Ostasien für die NZZ. Zuletzt erschien von ihm «Indien – Profil einer neuen Grossmacht» (2009) und «China – die neue Weltmacht» (2007). Er lebt in Tokyo und Mumbai.

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Bücher Schweizer Autoren in Kurzkritik XXIV

12 Bücher, vorgestellt in der vierundzwanzigsten Folge der «Schweizer Autoren in Kurzkritik». Fortsetzung folgt.

Schweizer Autoren in Kurzkritik XXIV

Kurt Aebli: «Der Unvorbereitete». Basel / Weil am Rhein: Urs Engeler Editor, 2009

1 Francesco reist nach Lugano

Um ein Treffen für den diesjährigen Weltbuchtag vorzubereiten, fahre ich ins Tessin; als Begleiter habe ich das neue Werk von Kurt Aebli «Der Unvorbereitete» gewählt. Das Buch hat eine wunderschöne Farbe. Ich hätte gerne einmal ein solches Buch gehabt. Ein Buch, das ich geschrieben hätte. Die Farbe tröstet mich; denn ich muss vier Stunden im Zug durch die regnerische Schweiz fahren. Wenn die Sonne scheint, kann man sich kaum vorstellen, wie die Schweiz regnen kann. Die Farbe wärmt meine Augen. «Das Herz verliert sich, kennt sich nicht, bleibt sich selbst das Dunkelste…» und von der Landschaft sind nur Regenstriche zu sehen. Da tut es gut, sich in Sätze zu verlieren. Bei Aebli zählen die Sätze, die Wörter, die Buchstaben. Die Geschichte ist Transportmittel. Gregor, sein Held, hätte eine solche Reise gar nicht unternommen: vier Stunden hin, vier

zurück für eine Sitzung von zwei Stunden. «Alles, was sich nicht nutzlos ans Leben verschwendet, um darin nutzlos zu reüssieren, ist nutzloser Stolz.» Gregors Element «ist eben von jeher das Nichtstun, mit anderen Worten, äusserste Zurückhaltung, was sichtbare Teilnahme oder gar Einmischung in irgendwelche Angelegenheit seines Umfelds angeht.» Aebli scheint hier «naïf» zu reflektieren. Da steckt verkappte Gewitztheit drin. Seine Texte zeigen die feinen Risse auf den Bildern der Gewöhnlichkeit, sie zeigen die leise Zerstörung des Daseins. Als «Unvorbereiteter» komme ich in Lugano an, dafür um eine Farbe und eine neue Freundschaft reicher. vorgestellt von Francesco Micieli, Schriftsteller & Dozent, Bern

2 / 3 Die zwei Leisten des Vallotton

Félix Vallotton: «Die Seufzer des Cyprien Morus». Zürich: NZZ Libro, 2009

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Schuster, bleib bei deinem Leisten, heisst es. Aber keiner hält sich dran. Sänger schauspielern, Schauspieler widmen sich den Sangeskünsten – vermutlich, weil hier die besseren Mädchen abzugreifen sind; andere, wie Herr Schwarzenegger, gehen gar in die Politik. Wer sprechen kann, wird wohl auch singen können. Wer nicht denken kann, kann immerhin politisieren. Kein Biologe käme allerdings auf die Idee, einen Atomkern spalten zu wollen, und jeder Physiker würde sich hüten, an den Genen herumzubasteln. Aber Künstler sind halt anders, fühlen sich zu vielem berufen. Immerhin hat Picasso sich zurückgehalten und keine Gedichte oder Romane geschrieben. Doch es gibt tatsächlich ein paar wirkliche Doppelbegabungen. Einer dieser zweifach Gesegneten ist Félix Vallotton. Diesem Schweizer mit französischer Staatsbürgerschaft, der 1865 in Lausanne geboren wurde, aber schon 1882 nach

Paris übersiedelte und dort bis zu seinem Tod 1925 lebte, sind gleich zwei Publikationen zu verdanken, die Ende vergangenen Jahres erschienen sind: ein Roman aus der Feder des Schriftstellers Vallotton und ein Sammelband mit Aufsätzen über den Maler und Graphiker Vallotton. Zuerst zum Roman. Vallotton hat – neben einigen Schauspielen, Kritiken und Essays – insgesamt drei Romane verfasst. Der vorliegende, «Die Seufzer des Cyprien Morus», war chronologisch der erste, an dem Vallotton sich etwa um die Jahrhundertwende als Autor versuchte, ist aber als letzter ins Deutsche übertragen worden, vermutlich weil er der schwächste der drei ist. «Das mörderische Leben», sein zweiter Roman, um 1907/08 geschrieben, wurde 1985 durch die Aufnahme in die Bibliothek Suhrkamp geadelt, und «Corbehaut», 1920 als letzter entstanden, erschien 1973 in der Manesse-Bibliothek

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galerie Valentin Hauri

ツォDas helle Feldツサ, 2003, テ僕 auf Leinwand, 130 x 117 cm

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Bücher Schweizer Autoren in Kurzkritik XXIV

Rudolf Koella: «Über Félix Vallotton. Aufsätze aus 40 Jahren Forschungstätigkeit». Zürich: NZZ Libro, 2009

der Weltliteratur. Die beiden späteren Romane zeigen, dass Vallotton sein Zweithandwerk beherrscht. Es sind spröde, ein bisschen boshaft erzählte Geschichten mit herben, uncharmanten Figuren, Nichtsnutzen, Künstlern, Schriftstellern, voll morbiden Reizes, die anderen Klassikern der Moderne, von Hauptberuflern verfasst, in nichts nachstehen. Sie spielen mit Elementen der Genreliteratur, des Kriminal- und Schauerromans auf eine neue, überraschende Weise und plazieren das Grauen äusserst geschickt hinter die bürgerlichen Fassaden, die sie beschreiben. «Die Seufzer des Cyprien Morus» dagegen wirken leider noch wie eine Fingerübung. Es ist so etwas wie ein satirischer Gesellschaftsroman, in dem Vallotton das Milieu auf die Schippe nimmt, in das er selbst 1899 eingeheiratet hat: das Geldbürgertum, die nouveaux riches. Protagonist ist besagter Herr Morus, der – von dubioser Herkunft – durch das geschäftliche Glück seines Vaters zu Reichtum gekommen und in die Pariser Gesellschaft geraten ist, wo man ihn des Geldes wegen zwar duldet, aber nicht wirklich respektiert. All sein Ehrgeiz richtet sich darauf, Ritter der Ehrenlegion zu werden. Fehlender Geschmack, mangelnde Umgangsformen und

eine kaum zu unterdrückende Dummdreistigkeit seiner Anverwandten geben dann aber reichlich Anlass für zum Teil grotesk-komische Szenen, die dem ehrgeizigen Cyprien die titelgebenden Seufzer entlocken und sein Ziel in weite Ferne rücken. Auch der Versuch, sich standesgemäss eine Mätresse zu gönnen, geht im wahrsten Sinne des Wortes in die Hose. Ein gewisses Vergnügen, das will ich gern zugeben, ist schon dabei, wenn man diesem um Noblesse bemühten Grossbürger mit kleinbürgerlicher Seele beim Scheitern seines Lebensentwurfes zusieht, erinnert er einen doch immer wieder an die Männer und Frauen, die sich auch heutzutage ohne Stil und Geschmack, aber mit vollen Taschen grossmäulig in den Medien präsentieren. Viele davon so dämlich, dass es schmerzt. Aber ein bisschen Witz, ein dünner Plot und insgesamt ein paar wenige kluge Beobachtungen zu Kunstfragen reichen nicht hin, um einen konkurrenzfähigen Roman zu schreiben. Immerhin ist Vallotton als Erzähler bedeutend genug, um eine Publikation zu rechtfertigen. Das zweite Buch, von dem ich eingangs sprach, enthält Aufsätze über den bildenden Künstler Vallotton, der ein grossartiger Maler und Graphi-

«Der Limmat Verlag macht seit vielen Jahren schöne Bücher und ein herausragend intelligentes Programm.» Die Zeit

Oskar Peer Das alte Haus / La chasa veglia Rätoromanisch und deutsch Herausgegeben und mit einem Nachwort von Mevina Puorger 208 Seiten, gebunden, 34.–

«Oscar Peer schildert in seiner Erzählung eine ländliche archaische Gesellschaft; die Konflikte und Nöte jedoch, die er darstellt, sind zeit- und ortlos.» Neue Zürcher Zeitung

Fabio Pusterla Zur Verteidigung der Schule 37 kurze Geschichten eines Lehrers Aus dem Italienischen von Barbara Sauser 128 Seiten, Pappband, 28.50

«Pusterla theoretisiert nicht. Er beschreibt genau, und er kann schonungslos sein.» NZZ am Sonntag

Isolde Schaad Robinson und Julia … und kein Liebestod Roman 364 Seiten, gebunden, 39.50

«Das brillante Figurenskizzenkabinett einer eckigen und kantigen Autorin, deren göttliches Werkzeug eine einzigartige Sprache ist.» Wochen Zeitung WoZ

Bessa Myftiu An verschwundenen Orten Roman Mit einem Vorwort von Amélie Nothomb Aus dem Französischen von Katja Meintel 248 Seiten, gebunden, 34.–

«Ihr Roman ist mitreissend, schön, vergnüglich, ausgefallen, erschütternd.» Amélie Nothomb

Limmat Verlag | Quellenstrasse 25 | 8031 Zürich | T 044 445 80 80 | mail@limmatverlag.ch | www.limmatverlag.ch

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ker war, dessen Holzschnitte, Porträts, Interieurs, Landschaften, Sonnenuntergänge und Akte so eigenwillig und besonders sind, dass eine Einordnung in die gängigen Epochen- und Stilkategorien der Kunstgeschichtsschreibung – wie etwa Symbolismus, Jugendstil, Neue Sachlichkeit oder Magischer Realismus – schwerfällt. So widmet sich der typographisch ausgesprochen schön gestaltete Sammelband Rudolf Koellas, mit Essays aus 40 Jahren Forschertätigkeit, vielen einzelnen Aspekten des Werks – etwa den Prägungen durch die altdeutsche Kunst, der Vallotton mehr Aufmerksamkeit und Begeisterung geschenkt hat als so manchem modernen Kollegen, seiner Beziehung zu Cézanne und Böcklin, seinen fabelhaften Sonnenuntergängen sowie dem Verhältnis von Graphik und Malerei und noch vielem mehr. Ein zweiter (kürzerer) Teil interpretiert ausgewählte Gemälde. Abgerundet wird das Ganze durch eine detaillierte Zeittafel. Dass bei einer solchen Sammlung von Aufsätzen, die zu unterschiedlichen Anlässen und Zeiten verfasst wurden, gelegentliche Wiederholungen nicht zu vermeiden sind, liegt auf der Hand. Sie stören auch nur, wenn man den Band an einem Stück und nicht in kleineren Häppchen geniesst. Die mit sehr viel Kunstverstand geschriebenen und sehr lesbaren Überblicks- und Einzelaufsätze vermeiden den allzu akademischen Diskurs und erhellen Vallottons Werk in seinen diversen biographischen und ikonographischen Bezügen. Dabei wird deutlich, dass Vallotton auch als Maler und Graphiker zeitweilig eine ganz besondere Obsession für bürgerliche Interieurs hatte, die den Handlungs- und Lebensräumen seiner Romanhelden nicht unähnlich sind, oder umge-

kehrt. Nicht wenige seiner besten und berühmtesten Bilder, Radierungen und Holzschnitte zeigen Innenräume. Und zwar auf eine beklemmende Weise. Etwas Dramatisches scheint sich anzukündigen, scheint sich in dem schweren Plüsch der Vorhänge oder Sessel, den dicken Teppichen und dem schweren Holz der Möbel niedergeschlagen zu haben oder aus den Tapeten zu dunsten. Hier herrscht keine Idylle mehr. Hier lauert Unheil. Walter Benjamin entdeckt in einer Miniatur seiner Prosasammlung «Einbahnstrasse» einen der Ursprünge des modernen Kriminalromans in den «Schrecken der Wohnung», wo, wie er schreibt, die «Anordnung der Möbel … zugleich der Lageplan der tödlichen Fallen» ist und «die Zimmerflucht» dem Opfer «die Fluchtbahn» vorschreibt. Das bürgerliche Interieur der sechziger bis neunziger Jahre des 19. Jahrhunderts wird so, wie Benjamin es unnachahmlich formuliert, «adäquat allein der Leiche zur Behausung», es zittert, so heisst es weiter, «nach dem namenlosen Mörder … wie eine geile Greisin nach dem Galan». In seinen besten Bildern und in seinen besten Romanen hat Vallotton dieses Zittern, diesen Schrecken, diese Unheimeligkeit hinter aller bürgerlichen Tünche durchschimmern lassen. Das verbindet seine literarischen Arbeiten mit seinem Werk als bildenden Künstler. Eine wahrhafte Doppelbegabung eben. vorgestellt von Gerald Funk, Literaturwissenschafter, Marburg

4 Ob schweizerisch oder indisch – Schnüffler bleibt Schnüffler Wer sich heute dem ehrwürdigen Genre des Detektivromans widmet und mehr als eine Kopie sattsam bekannter Vorbilder abliefern möchte, sollte ausser Erzähltalent auch einige originelle Einfälle mitbringen. Der Zürcher Autor Sunil Mann, 1972 als Sohn indischer Einwanderer im Berner Oberland geboren, hatte die naheliegende Idee, einen Sohn indischer Einwanderer in Zürich ermitteln zu lassen. Vijay Kumar ist schon dreissig, hat aber zur Verzweiflung seiner Mutter in seinem Leben noch nicht viel auf die Beine gestellt. Dass er nun ausgerechnet als Privatdetektiv arbeiten möchte, stimmt sie auch nicht gerade froh. Doch der

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nicht mehr ganz junge Mann ist wild entschlossen, seine in einem Fernkurs erworbenen Qualifikationen zur Anwendung zu bringen, gestaltet stilsicher sein Wohnzimmer zu einem zünftigen Detektivbüro um und darf schon bald im Auftrag seiner ersten Kundin auf Katzenjagd gehen. Der zweite Fall lässt nicht lange auf sich warten (und unser Autor bewegt sich auf ausgetretenen Pfaden). Eine junge Frau sucht ihren Freund, der verschwunden ist, seit er sich auf einen erhofft lukrativen Drogendeal eingelassen hat. Selbstverständlich hat der frischgebackene Detektiv Informanten im Milieu und steht schon bald einer berüchtigten Szenefigur gegenüber, deren

Sunil Mann: «Fangschuss». Dortmund: Grafit, 2010

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albanische Handlanger ihn jedoch kurzerhand vor die Tür setzen. Damit es weitergehen kann, taucht einer aus der Gang wenig später in Kumars Wohnung auf und weiss von bemerkenswerten kriminellen Vorgängen zu berichten. Da er dies jedoch nur in gebrochenem Deutsch tut, zudem von einem seiner Kumpane verfolgt wird und zu guter Letzt auch noch seine Mitteilsamkeit mit dem Leben bezahlen muss, erfährt der Ermittler noch nicht die ganze Wahrheit. Doch wie’s der Zufall und der Autor will, erhält unser Detektiv einen weiteren Auftrag, der seltsamerweise in enger Verbindung zu seinen bisherigen Ermittlungen steht – und schon steht der Auflösung in Form eines dramatischen Showdowns in den Bergen bei St. Moritz nichts mehr entgegen. Ein Plot wie vom Reissbrett also, an dessen Ausführung nicht viel auszusetzen ist. Mehr zu

bieten hat dieser Kriminalroman allerdings nicht. Bis auf einige mässig komische Mutter-SohnSzenen vermag der Autor aus der Identität seines Helden, als eines «indischen Schweizers oder Schweizer Inders», von der auf dem Einband so vielversprechend die Rede ist, kaum Funken zu schlagen. Vijay Kumar präsentiert sich vielmehr als einen jener trink- und meinungsfreudigen Privatschnüffler, von denen das Genre Dutzende hervorgebracht hat. Nun, wer gerne seine Zeit mit solchen Figuren verbringt, kommt in diesem Roman zweifellos auf seine Kosten. vorgestellt von Joachim Feldmann, Lehrer & Redaktor, Recklinghausen

5 Heile, heile, Mundart

Andreas Neeser: «No alles gliich wie morn». Oberhofen: Zytglogge, 2009

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Dagegen verwahrt sich Andreas Neeser vehement: «Ich bin kein Archivar», sagt er, «ich will keine Wörter vor dem Aussterben retten. Im Archiv stirbt eine Sprache. Lebendig bleibt sie nur draussen, unter den Leuten.» – Oder drinnen, in den Büchern, liesse sich ebenso lebhaft nachtragen. Dann beispielsweise, wenn man sein Mundartbuch «No alles gliich wie morn» vor Augen hat, und sich die darin enthaltenen Texte als so vital erweisen, wie man es sich in der Literatur nur wünschen kann. Mit dem neuen, schmalen Band kehrt Andreas Neeser zu seinen Wurzeln zurück, in die Welt mit ihrer Sprache, die seine Kindheit im aargauischen Ruedertal geprägt hat. Die erdigmarkigen Dialektwörter erweisen sich wie Formeln für einen farbig-üppigen Bubenkosmos mit seinen kleinen und grossen Geschichten, mit seinen Nöten und Ängsten und mit seinem Glück. In den Wörtern liegt die ganze Kraft der Texte, sie sind es, die die eindringlichen Bilder beschwören. Und gerade deshalb hat Andreas Neeser gut daran getan, sich selbst beim Erzählen zurückzuhalten. So gelingen ihm mit nur wenigen Sätzen dichte Stimmungsinhalte. So heisst es in der Geschichte «Uf dr falsche Siite vo dr Wält», einem Text über einen Linkshänder, der auf den «rechten Weg» gedrängt wird: «Mängisch het er s Brüele zvorderscht ghaa – macht alles rächt, und zinnerscht inn isch alls verchehrt.» «Begöönli», die vielleicht am meisten berührende Geschichte, erschafft auf knapp drei Sei-

ten eine starke, beklemmende Atmosphäre. «Jede Samschtig hämmer s Tournee gmacht» – so beginnt die Schilderung des regelmässigen Friedhofbesuches von Vater und Sohn. Zusammen begiessen sie die Gräber der Verwandten – zwei oder drei Kannen voll Wasser, je nach Bedarf. Am Ende der Tour stehen sie am Grab des verunglückten Sohnes, des Bruders. Dort versagt das rechte Mass. Der Vater «het nume no gschüttet. Eifach gschüttet. Bis d Begöönli versoffe gsi sind. … De Vatter het voorabe gluegt, und ii han au nüüt gseit. Keis Stärbeswort». So wenige Worte können ausreichen, wenn ihr Gewicht, richtig gewogen, zur rechten Zeit zum Einsatz kommt. Der zweite Teil des Bandes gehört der Lyrik, etwa dem Gedicht «Privatarchiv». Rhythmisch aneinandergereiht folgt Wort auf Wort. Es ist ein geduldiges Aufzählen, eine Bestandesaufnahme eines Mundartlagers, die Benennung als Vergewisserung in einer Welt, in der die Sprache mehr und mehr zur schnellen Phrase verkommt. Dagegen stellen sich Texte mit ungewissem Ausgang – Gedichte und Geschichten wie im Buch von Andreas Neeser. Wem, wenn nicht den Dichtern, sollte es gelingen, die Wörter zu hegen und zu pflegen – sich als Wort-Heiler zu begreifen. Damit sie am Leben bleiben. vorgestellt von Silvia Hess, Literaturkritikerin, Ennetbaden

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6 Monte Verità im Spiessermuff Im Inflationsjahr 1923 hat der Verlagsbuchhändler Werner Ackermann genug von Berlin und zieht mit Freunden gen Süden, um die Sehnsucht nach einem freien, besseren Leben nicht zuschanden gehen zu lassen. Er landet dort, wo 1905 schon die vor dem Wilhelminismus geflohenen Naturapostel aus Schwabing gelandet waren, in Ascona. Zwei Jahre kann er sein unter Opfern und mit Finanztricks auf dem Monte Verità erworbenes Gelände halten; dann verkauft er es an den Bankier von der Heydt, der dort ein Luxushotel im Bauhausstil errichten lässt, wodurch die Siedlung der Künstler und Lebensreformer endgültig verschwindet. 1930 hat Werner Ackermann unter dem Pseudonym «Robert Landmann» eine Geschichte des Monte Verità als eines Berges der Schwärmer und Aussteiger verfasst und sich als letztes Glied einer auf den belgischen Industriellensohn Henri Oedenkoven zurückgehenden Idealistenkette geschildert. Landmann verlässt sich mitunter aufs Hörensagen und kommt zu Urteilen, die seltsam anmuten. So ist der Kohlrabiapostel Gusto Gräser bei ihm ein arbeitsscheuer Querulant, der seinem Bruder das Leben sauer macht; Erich Mühsam, der über die Idealisten am Lago Maggiore boshafte, aber sympathiegetragene Aufzeichnungen hinterlassen hat, wird oft als Kronzeuge dafür beigezogen, dass es sich um Spinner handelt; und die Notizen über Franziska zu Reventlows Lebenswandel wirken scheeläugig – man ahnt, dass Neid Landmanns Informanten böse Bemerkungen über die Gräfin machen liess. Nicht nur inhaltlich ist das Buch problematisch. Auch sein Aufbau ermüdet. Der Autor reiht unablässig Neuansätze aneinander und seine Erzählung der Konflikte in der Gründer- und jeder nachfolgenden Generation von Bergbewohnern ist oft redundant, wobei sein Faible für biedere Figuren wie Oedenkoven, der ständig Familienvermögen in das Unternehmen schiesst, und seine Abneigung gegen vollbärtige Künstler zu vorhersehbaren Wertungsstereotypien führen. Anderseits kultiviert Land-

mann mitunter einen Spott, der durchaus Reiz hat. Wenn Oedenkovens Eltern – Grossbürger aus Antwerpen – den aus der Art geschlagenen Sohn besuchen, heisst es von der Mutter: «Allerdings war ihr, solange sie sich auf offener Strasse befanden, die auffällige Kleidung unangenehmer als die freie Liebe. Der Anblick von Henris lang herabhängenden Haaren schnitt ihr tief ins gesellschaftlich genormte Herz.» Solch elegante Sottisen bleiben aber die Ausnahme, und gerade im zweiten Teil des Buchs verzettelt Landmann sich in der Beschreibung defekter Wasserleitungen. Der Inflationsflüchtling war weniger Künstlernatur als Stadtverweigerer und hätte sich im bürgerlichen Sommerfrischeidyll vermutlich wohler gefühlt als unter Lebensreformern radikalerer Couleur. Daher gerät ihm die Schilderung des Monte Verità zur Desillusionsfabel. Mit jeder Generation dünnt der utopische Impetus am Berg mehr aus. So liest sich seine Darstellung als Verfallsgeschichte eines romantisch-unbedingten Aufbruchs. Man könnte aber auch sagen: sie dünstet ein nicht unerhebliches Quantum Spiessermuff aus. Leider wird bei der Neuauflage nicht klar, wer wann für welche Fortschreibung und Ergänzung verantwortlich ist. Der Hinweis, es handle sich um eine «von Ursula von Wiese überarbeitete und ergänzte Ausgabe» «mit einem Nachwort von Martin Dreyfus», jedenfalls genügt nicht, da weder die Überarbeitungen noch das Nachwort kenntlich werden, also undeutlich bleibt, wo man Landmann, wo andere liest. Der Verlag würde sich Verdienste um die Monte-Verità-Forschung erwerben, wenn er den Text philologisch aufbereiten würde. Noch verdienstvoller aber wäre der Neudruck des legendären Katalogs der von Harald Szeemann 1978 kuratierten Ausstellung «Monte Verità. Berg der Wahrheit. Lokale Anthropologie als Beitrag zur Wiederentdeckung einer neuzeitlichen sakralen Topographie».

Robert Landmann: «Ascona – Monte Verità. Auf der Suche nach dem Paradies». 2. Aufl. [erstmals 1930]. Frauenfeld: Huber, 2009

vorgestellt von Andreas Heckmann, Schriftsteller, München

7 / 8 Verrückt in Gott Von der Figur eines ihrer Stücke sagt die Autorin Silja Walter, diese erscheine «nur darum ‹verrückt›, weil sie im ‹Dahinter› steht». Ihr selbst ist wichtig, «hinein[zu]schauen in das, was im Geheimnis hinter der Welt und durch sie hindurch wirklich geschieht». Handelt es sich bei dem christlichen

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Existenzbewusstsein letztlich also um die Spielart eines ganz besonderen Surrealismus? Denen jedenfalls, die in ihm beheimatet sind, bleibt die sogenannte Wirklichkeit immer nur etwas Vordergründiges und Vorläufiges. Das eigene Leben hingegen wird zum «Mysterienspiel», dem sich 57


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Silja Walter: «Das dreifarbene Meer». Freiburg i.Ü.: Paulus, 2009

Valentin Boltz: «Bibeldramen. Gesprächsbüchlein», hrsg. v. Friederike Christ-Kutter. Zürich: Chronos, 2009

als Tiefenstruktur ein heute vergessenes Wort einzuschreiben vermag: «Heilsgeschichte». So zu denken und entsprechend zu handeln – das ist närrisch, das ist christlich. Es überrascht nicht, wenn wir nach alledem mit dem Eingeständnis der Verfasserin konfrontiert werden, dass «der Trottel, der Narr … immer» ihre «Trägerfigur» sei. Stellen wie diese sind es, hinter die in der Altersautobiographie von Silja Walter Ausrufezeichen zu setzen wären. Mit liedhaften Gedichten hatte die Tochter aus renommierter katholischer Verlegerfamilie und ältere Schwester des Schriftstellers Otto F. Walter frühe Berühmtheit erlangt. 66 Jahre ist dies nun her. Ein wiederholt angesprochenes Erlebnis, dessen Geltungsanspruch überwältigend gewesen sein muss, veranlasst die begabte Schriftstellerin 1948 zur praktischen «Umkehrung der Werte im geistlichen Leben». Sie tritt in das Benediktinerinnenkloster Fahr ein und wählt damit die äussere Enge, um innere Weite zu gewinnen. Einer Mentalität, die bloss in den Verheissungen der Säkularität ihr Genügen findet, wird dies schwer zu vermitteln sein. Die strenge Klausur, zu der Schwester Maria Hedwig (so Silja Walters Ordensname) sich ausdrücklich bekennt, ist das völlige Gegenprogramm zur Moderne. Unter dem Vorzeichen des «dreifarbenen Meeres», einer komplexen Metapher für Realitäten, die sie gläubig annimmt, findet sie hier die Möglichkeit zur Abkehr von der «Tyrannei der Dinge». Auch als Nonne bleibt Silja Walter literarisch produktiv. Ihr Gesamtwerk füllt zehn stattliche Bände, die durch die vorliegende Fortsetzung von «Der Wolkenbaum. Meine Kindheit im alten Haus» (1991) ergänzt werden. Neben der Schilderung eines Daseins zwischen monastischer Auslöschung «des Ego durch den Gehorsam, die Armut, die Beständigkeit» kommt das eigene Werk und kommen dessen Kontexte nicht zu kurz. Silja Walter braucht nicht den Schutzraum einer Rubrik christlicher Dichtung – was manchen ihrer Verehrer ebenso entgegenzuhalten wäre wie denen, für die eine im Kloster lebende Dichterin von vornherein gar nicht erst unter die allgemeinen Qualitätskriterien von Literatur fällt. Diese Autorin

kann viel. Gewiss – auch Silja Walter entgeht der «Spannung zwischen Vorgabe und Geheimnis» nicht, die darin besteht, sich auf Wahrheiten zu beziehen, die jenseits ihrer Subjektivität liegen. Anderseits findet man bei ihr mehr an Fremdheit, an aussergewöhnlicher Erfahrung, als in manchen Titeln, deren vermeintlicher Exzessivität das Feuilleton so leicht auf den Leim geht. Was Silja Walter zum Schreiben drängt, ist ja doch viel unerhörter. Von ihrer Zeit «in der kirchlichen Jugendbewegung» her resultiert die Leidenschaft für das Theater, die die Autorin seither nie verlassen hat und die mit der Fortsetzung «der Tradition biblischer Spiele» auch im ökumenischen Raum wirksam geworden ist. So mag sich denn in diesem Zusammenhang noch der gedrängte Hinweis auf eine Neuerscheinung anbieten, aus der (von der anderen Konfession her) die Zeittiefe jener religiösen Dramatik erhellt, die Schwester Maria Hedwig mit spezifischen Akzenten fortsetzt. Innerhalb der «Neuen Folge» der «Schweizer Texte» hat Friederike Christ-Kutter «Sant Pauls bekerung» und «Oelung Dauidis des Jünglings vnnd sein streit wider den Risen Goliath», die beiden biblischen Stücke von Valentin Boltz (1489–1560), erstmals wieder zugänglich gemacht und kundig kommentiert. Um an den turbulenten Zügen der personenreichen Spiele Freude zu finden, muss man nicht unbedingt ein Fachgelehrter sein. Theater war für Boltz, ab 1546 ein knappes Jahrzehnt hindurch Spitalpfarrer in Basel, eine Angelegenheit der ganzen Stadtgemeinde. Auch hieran knüpft Silja Walter mit gewissen ihrer Spieltypen an. Anders als seine Nachfolgerin im 20. Jahrhundert setzt Valentin Boltz jedoch weniger auf das Mysterium als auf die Lehre. Recht zu leben vor dem Angesicht des Todes: die Erinnerung daran, dass nur das, was dann zu bestehen vermag, echten Wert hat – darin besteht der Schlussappell seiner Stücke, der ebenfalls auf jene Wirklichkeit hinter der Wirklichkeit verweist, von der Christen sich herausgefordert wissen. vorgestellt von Hans-Rüdiger Schwab, Professor für Medienpädagogik, Münster

9 Fotoalbum bis 1960 Dies ist keiner jener vielen opulenten coffee-tableBildbände, die die wenigen noch unberührten Landschaften unseres Landes auf Hochglanzpapier und in optimaler Beleuchtung abbilden und durch solche Inszenierungen das Klischee des Fe58

rienlandes Schweiz bedienen. Es wäre weit eher von einem historischen Bilderbogen zu sprechen, in dessen Mittelpunkt ganz der Mensch bei seinen alltäglichen Verrichtungen in Beruf und Freizeit steht. Die Rede ist von der Fotodokumentation,

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die unter dem Titel «Aufbruch in die Gegenwart» im Zusammenhang mit der gleichnamigen Ausstellung des Zürcher Landesmuseums erschienen ist. Die hier ausgewählten Fotos stammen aus den reichen Sammlungsbeständen Peter Herzogs, von denen ein Teil 2008 in den Besitz des Landesmuseums übergegangen ist; sie umfassen einen Zeitraum von 1840 bis 1960. Dieter Bachmann, der erfahrene Publizist und ehemalige Chefredaktor des «Du», hat dem Band ein kurzes Vorwort vorangestellt. Bachmanns Kennerschaft ist es zu danken, wenn zwischen den Fotos Zitate aus dem Werk verschiedener Schweizer Schriftsteller eingestreut sind, die nicht selten einen reizvollen und erhellenden Kontrapunkt zum Bildmaterial setzen. Ein kurzer Abriss der Fotogeschichte von Peter Herzog und ein Hinweis auf die Fotobestände des Landesmuseums von Ricabeth Steiger beschliessen den stattlichen Band, dessen Texte dreisprachig wiedergegeben sind. Die ausgewählten Fotographien, meist Schwarzweissaufnahmen, vermitteln ein überaus anschauliches Bild des gesellschaftlichen und technischen Wandels zwischen der Gründung des Bundesstaates und der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Sehr gut dokumentiert wird der industrielle und technische Fortschritt sowie die staunende Bewunderung, die man dem Bau von Eisenbahnlinien oder der Entwicklung des Automobils und des Flugzeugs entgegenbrachte. Deut-

lich weniger Fotos zeigen die Landwirtschaft oder die Arbeit in den Fabriken; Peter Herzog erklärt dies damit, dass die Fotografie bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts einem elitären bürgerlichen Publikum vorbehalten blieb. Ältere Leser werden dieses aussergewöhnliche Buch mit andern Augen betrachten als jüngere, für die vieles, was hier dargestellt wird, abgeschlossene Geschichte ist. Für die Älteren sind manche Fotos lebendiggebliebene Erinnerung und Teil ihrer eigenen Lebenswelt. Bei aller Fortschrittsgläubigkeit, die sich in den Aufnahmen dieses Bandes durchwegs manifestiert, wird der nachdenkliche Betrachter auch auf das aufmerksam, was man Kulturverlust nennen möchte – so zum Beispiel in dem Bild von einem Dorfladen der vierziger Jahre, von dem auf das Kind, das man damals war, eine Atmosphäre von Geheimnis und Verlockung ausging, die man im modernen Supermarkt vergeblich sucht. «Aufbruch in die Gegenwart» ist ein Bildband der besonderen Art, nahe an der Wirklichkeit und am Alltag der Menschen, die diese Wirklichkeit menschenfreundlich zu gestalten haben.

«Aufbruch in die Gegenwart. Die Schweiz in Fotografien 1840– 1960», hrsg. von Dieter Bachmann und den Schweizerischen Landesmuseen. Zürich: Limmat, 2009

vorgestellt von Urs Bitterli, Prof. em. für Geschichte, Gränichen

10 Monologe des Betagten Christoph Simon hat sich mit seinem neuen Roman, obschon nicht ganz neu, so doch ziemlich neu erfunden. Vor allem aber hat er (nach Franz Obrist) einen neuen, wunderbaren Helden geschaffen. Der 87jährige Lukas Zbinden war einst ein passionierter Spaziergänger, melancholischer Witwer, gutgelaunter Betagtenheimgenosse, ehemaliger aufmüpfiger Lehrer und schon viel zu lange unversöhnter Vater. Die mitunter durchaus forsche Landspaziergängerin Emilie war die Liebe seines Lebens. Mit ihr unterhält er sich in Gedanken noch immer, ihr schreibt er, von ihr erzählt er. Zbinden bekommt den Zivildiener-Frischling Kâzim in die Hände, bittet diesen um Begleitung nach draussen und führt ihn so gleich ordentlich ein in sein persönliches Leben und in das des Betagtenheims. Bei der Vorstellung des Heims ist Lukas Zbinden zuversichtlich: «Sie werden bestimmt bald alle in Ihr Herz schliessen: die ehrbaren Damen und exzentrischen Herren, die gesprächigen

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Witwen und die schweigsamen Junggesellen, die routinierten Gehbockbenützer, schlurfenden Stubenhocker mit dörrfleischigen Gesichtern. Die Verwirrten, deren Gedanken durcheinanderrollen wie Erbsen auf einem Teller. Die medizinisch Betreuten mit einem Cocktail in den Adern, bei dem Blut eine nebensächliche Zutat ist.» Ein geübter Redner fürwahr! Vor allem anderen fliesst Zbindens Energie jedoch in die Definitionen des Spazierens, denn darüber reden, das kann er ja noch. Das verhält sich im übrigen auch mit der Liebe so. An sich ein trauriger Sachverhalt, aber mit beherzten Erklärungen über den Wert des Spazierens und einer harmonischen Beziehung tröstet Zbinden sich und die Lesenden darüber hinweg und versucht – Jahrzehnte nach seiner Pensionierung – Kâzim ein guter Lehrer und vielleicht auch Vater zu sein. Zbinden stellt unverblümt Fragen und hat sich offenbar mittlerweile zu vielen von ihnen eine

Christoph Simon: «Spaziergänger Zbinden». Zürich: Bilger, 2010

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patente Antwort zurechtgelegt. So hat er für sich erkannt, dass das grösste Problem unseres Lebens die «Dumpfheit» sei. Über die Schule doziert der Lehrer a.D. so: «In der Schule geht es nicht ums Rechnen und Rechtschreiben, es geht darum, dass man lernt, mit seinen Mitmenschen klarzukommen. Sehr schade, dass in vierzig Jahren das niemand begriffen hat.» Nur gut, dass Zbinden auch die Grösse hat, sich einzugestehen, dass er selbst auch sein Leben lang gebraucht hat, um zu begreifen, dass sich sein Sohn Markus eben für andere Dinge als Rechnen und Rechtschreiben interessiert, dass seine Talente anderer Natur sind. Es geht also in diesem Roman um grosse Themen: um die Liebe des Lebens, um Vater-SohnKonflikte, Schuldgefühle, um Versöhnung und um die Leidenschaft, die einen aufrecht erhält. Das Spazieren, so will es die Leidenschaft, wird offensiv, unermüdlich und überschwenglich propagiert, die anderen Themen werden subtil eingeflochten in den Text. Dass das Ganze nie

schwer, langatmig und moralisch belehrend wird, dafür sorgen nicht nur spannungsgeladene Altenheim-Action-Einlagen (Fahrstuhlbefreiung!), die hinreissend naive Enkelin Angela (die Fachfrau für Party-Catering und nicht Lehrerin werden will) sowie die zahlreichen stets für Unterhaltung sorgenden anderen Nebenfiguren (vertrocknete Menschenfeinde, dauergrantelnde Irre), sondern auch die sprachliche Konzeption des Textes. (P.S.: Wem diese Besprechung nicht gefällt, dem sei eine Weisheit Zbindens mitgegeben; denn vieles, was für das Spazieren spricht, trifft auch auf das Lesen zu: «Ich will Ihnen etwas sagen, da es mein Sohn nicht hören will: die Kunst, sich auf Spaziergängen nicht zu langweilen, besteht darin, den gleichen Gegenstand wie gestern zu betrachten, sich aber etwas anderes dabei zu denken.») vorgestellt von Markus Köhle, Sprachinstallateur, Wien

11 H!

Felix Kauf & Michel Mettler: «H stellt sich vor». Zürich: Echtzeit, 2010

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Michel Mettler, bekannt geworden durch seinen Roman «Die Spange», hatte im Dramatiker Felix Kauf schon lange einen Schriftsteller gefunden, mit dem er literarisch korrespondiert. Die Freundschaft zwischen den beiden nahm in der Mitte der Neunzigerjahre ihren Anfang, als sie einander Texte faxten, die der Empfänger weiterführte und anschliessend retournierte. Aus den Faxschreiben wurden später E-Mails, mit ihrer Zahl wuchs sich das gemeinsame Manuskript zu einem Buch aus: «H stellt sich vor». Es mag in der Natur des brieflichen Hin-undHers liegen, dass «H stellt sich vor» eine Sammlung abgeschlossener Geschichten darstellt, die sich um eine einzelne Person drehen. Denn zum einen ist der Fortgang einer Geschichte wohl öfter dem augenblicklichen Impuls – besser: der Lust geschuldet, zu fabulieren. Zum andern scheint sich als dessen Angelpunkt etwas Monothematisches anzubieten, das sich gut variieren lässt, etwa eine Figur wie H, deren aberwitzige Abenteuer in kurzen Episoden geschildert werden. Doch wer ist H? «H hat entdeckt, dass er mit seinen Augenbewegungen das Verhalten der Tiere im Zoo beeinflussen kann», heisst es einmal. H sei Poet, Handballer, Maler, Musiker, Weltreisender, Architekt, Bauführer, Archivar, ein Prominenter ohnehin. Er stellt sich den andern als das vor, als was er sich selbst imaginiert; er ist ein Mystiker,

ein Geheimniskrämer, ein Wichtigtuer, in einem Wort: ein auf Wirkung bedachter Egozentriker. Sein Rat an die Mitmenschen lautet ganz uneigennützig: «Tu, was du tun musst, aber tu es, ohne berühmt zu werden.» Kauf und Mettler liefern ihre Figur ohne weiteres aus. Dieser satirische Ansatz erweist sich als tragend, die Geschichten um H sind sehr oft sehr komisch. Sie ergeben in der Summe ein Bild von einer Person, die in ihrem privaten Grössenwahn gefangen ist und es versteht, diesen als umfassende Kompetenz in allen Lebenslagen darzustellen. «‹Eigentlich möchte ich nicht tauschen›, ist Hs häufigster Gedanke. Er hat sehr lange gebraucht, um herauszufinden, dass er haargenau er selbst sein will, nichts und niemand sonst.» So wie Tom Sawyer das Zaunanstreichen zu einer Ehre hochstilisiert, um das Zaunanstreichen für seine Freunde begehrenswert zu machen und nicht selber den Zaun streichen zu müssen, so stellt sich H in den Mittelpunkt seiner imaginierten Welt, die er als einzig reale versteht. Mit der Figur H beschreiben Kauf und Mettler humoristisch auch die Schweiz, in der sie lebt. «H stellt sich vor» zeichnet ein satirisches, scharf konturiertes Mentalitätsbild der heutigen Schweiz. Unbedingt lesenswert. vorgestellt von Perikles Monioudis, Schriftsteller & OnlineRedaktor, Zürich

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galerie Valentin Hauri

ツォChinese Modernツサ, 2007, テ僕 auf Leinwand, 50 x 45 cm

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12 Kein Verlass auf die Impotenz!

Max Frisch: «Entwürfe zu einem dritten Tagebuch». Hrsg. und mit einem Nachwort von Peter von Matt. Berlin: Suhrkamp, 2010

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Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte. Und das ist, in dem vorliegenden Fall, eine ganze, grosse Lesergemeinde, also wir, die neugieriggewordenen Frisch-Leser und -Liebhaber. Endlich sind sie da, diese «Entwürfe zu einem dritten Tagebuch». Begonnen hatte Max Frisch mit der Arbeit an diesen Aufzeichnungen im Frühjahr 1982. Im April 1983, nach dem Ende der Beziehung zu der überdeutlich – nämlich zweiunddreissig Jahre – jüngeren Amerikanerin Alice, der legendären Lynn aus Frischs grosser Erzählung «Montauk», brach er die Arbeit an jenen ab und vernichtete offenbar sein Exemplar des Manuskripts. Das Exemplar, das seine Sekretärin aufbewahrt hatte, blieb zum Glück erhalten. Es handelt sich bei diesen Texten keineswegs um vorläufige, gar flüchtige Niederschriften, sondern um ein durchgearbeitetes, sichtlich komponiertes Werk. Wie Frischs frühere Tagebücher (1946–1949 und 1966–1971) verstehen sich auch die Aufzeichnungen nicht als intimes Journal, sondern als eigenständiges Werk. Über die Veröffentlichung hatte der Stiftungsrat der Max-Frisch-Stiftung zu entscheiden. Vor allem Adolf Muschg (der übrigens von Frisch in einem Gespräch mit H. L. Arnold, im November 1974, als «hoffnungsloser Hypochonder» apostrophiert worden war) stemmte sich entschieden gegen die Publikation. «Muschg findet die Texte schlecht und unwichtig; ich finde sie gut und von Bedeutung», erklärte dazu der Herausgeber Peter von Matt. Tatsächlich ist das Spektrum enger als in den ersten beiden Bänden. Drei Schauplätze nur: Berzona im Tessin; New York, das ihn – «wie dieses Amerika» überhaupt – «ankotzt» und von dem er gleichzeitig bekennt: «I love it»; und Ägypten. Das war die letzte Reise mit seinem Freund Peter Noll, einem Strafrechtler der Universität Zürich, der noch im gleichen Jahr an Krebs starb. Diese Passagen gehören zu den Glanzstücken von Frischs Werk überhaupt. Wie sich hier die distanzierte Beobachtung des Freundes mit freundschaftlicher Nähe in genauer Beschreibung verschränkt, bis in subtile Reaktionen hinein, das ist einfach grossartig. Naturgemäss führen solche Überlegungen zu weiteren Reflexionen über den Tod und die Frage, was danach kommen mag. Ernst Bloch wird mit der Bemerkung zitiert, «er könne sich nicht vorstellen, dass nach dem Tod einfach nichts sei». Frisch kommentiert den Philosophen leicht bissig: «… andere sagen: ich kann mir einfach das Nichts nicht vorstellen.»

Das Alter und ebenso das Altern spielt eine grosse Rolle. «Wann», fragt sich der Autor, «gibt man die geschlechtliche Impotenz zu?» Und fügt gleich danach an, dass «auch auf die Impotenz kein Verlass ist». Er notiert: «Ich werde ein Greis.» Und fragt sich (darum) im gleichen Zusammenhang: «Was geht mich Israel an?» Bekennt aber nur wenig später: «Ich habe Angst um Israel.» Er beschäftigt sich mit der Reaganschen Aufrüstungspolitik und den Zukunftsaussichten einer Welt, die damals drauf und dran war, ihre Zukunft zu verspielen. Er spricht, wie auch früher schon, viel von sich und kommt dabei aber oft zu Einsichten, die weit über ihn hinausweisen: «Zukunft über die eigene Person hinaus ist für die meisten kaum noch eine verbindliche Kategorie.» Anders als Brecht, der «an» und auch für «die Nachgeborenen» schrieb, glaubt er nicht mehr daran, dass die heutigen Schriftsteller «in hundert Jahren noch gelesen» werden. Eindrucksvoll am Ende der Versuch, sich eine Heimstatt, ja vielleicht sogar eine Heimat zu erschreiben, die er zeitlebens nicht finden konnte: ein Lebensabendhaus, das so exakt ausgemalt wird, wie keine Utopie es vermöchte. Er bekennt seinen «Ekel vor der Schreibmaschine», wischt sein «neues Buch», «Blaubart», geringschätzig beiseite: «Eine Fratze, eine gekonnte Grimasse». Und zweifelt auch am Geltungsanspruch der Moderne: «Sicher war das Bauhaus nicht das Ende, nein, aber dass es danach wieder die Gartenlaube gibt, das kann verletzen.» So verabschiedet sich ein alter, grosser Schriftsteller von seiner Welt, die ihm mehr und mehr entgleitet. Frisch war berühmt geworden, weil er sich nach der weltgeschichtlichen Katastrophe seines Jahrhunderts, nach Hitler und dem Holocaust, radikale Fragen stellte, existentielle Fragen, die damals viele beschäftigten. Ein Ich, ein Prüfstand. Friedrich Dürrenmatt, einst Freund, später nur noch Kollege und Konkurrent, attestierte ihm zu seinem 75. Geburtstag: «Als einer, der so entschlossen wie Du seinen Fall zur Welt macht, bist Du mir, der ebenso hartnäckig die Welt zu seinem Fall macht, stets als Korrektur meines Schreibens vorgekommen.» Auch in diesen «Entwürfen zu einem dritten Tagebuch» hat Frisch, und zwar naturgemäss, wieder seinen Fall zur Welt gemacht. Dem Agnostiker Max Frisch zuliebe sollten wir deshalb laut und deutlich Gott sei Dank sagen. vorgestellt von Martin Lüdke, Literaturkritiker, Frankfurt a.M.

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anstoss Rolf Dobelli

Was heisst denn hier Freiheit? Ein Anstoss, zugeschrieben Paul Hindemith: «Es ist ein Zeichen geistiger Freiheit, einen Bestseller nicht gelesen zu haben.»

Eine Antwort aus dem Stegreif von Rolf Dobelli Rolf Dobelli, geboren 1966, ist Schriftsteller und Mitgründer von getAbstract.

Foto: S.-V. Renninger

«Die Aussage des Zitats würde ich gerne auf den Medienkonsum ausweiten. Unser Hirn ist so stark auf Storys, auf alle Arten von Geschichten fixiert, dass uns dadurch die Freiheit genommen wird, selbständig nachzudenken. Wer keine Bestseller liest und keine News konsumiert, die ja auch nur eine Art von Bestseller sind, da sie von Zehntausenden gelesen werden, der denkt anders. Freier. Besser. Gründlicher. Der kommt eher zu den richtigen Schlüssen. Warum das so ist? Ich erzähle ein Beispiel. Wenn Sie irgendwo hinkommen und alle stehen da und starren hoch in den Himmel. Dann starren auch Sie hoch, weil Sie denken, da gebe es etwas zu sehen. Das ist Massenverhalten, das ist genauso ein Automatismus, wie einen Bestseller zu kaufen oder die News zu lesen. Man denkt nicht mehr frei, wenn man das macht, was alle machen. Der Fachbegriff heisst übrigens social proof. Wann wird Journalismus gefährlich? Dort, wo er das Risiko verzerrt. Wir hören etwa viel zu viel über Terrorismus. Und viel zu wenig über Insulinsensibilität oder chronischen Stress. Und doch sind diese für viel mehr Krankheiten und Todesfälle verantwortlich als der Terrorismus. Zumindest in unseren Breitengraden. Aber sie produzieren halt keine Schlagzeilen und keine tollen Bilder. Unter dem Einfluss des Medienkonsums laufen wir alle mit einer falschen Risikokarte im Kopf umher. Erst wenn Sie den Medienkonsum einschränken, passt sich Ihre Risikokarte wieder der Wirklichkeit an.

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Ich habe den Versuch gemacht, ein Jahr lang keine Medien mehr zu konsumieren – keine Zeitung, keine Zeitschriften, kein Radio, kein Fernsehen. Nichts. Bücher schon, aber keine Bestseller. Es war hart. Versuchen Sie das mal. Sie werden es kaum länger als eine Woche schaffen, das können Sie mir glauben. Denn wir sind süchtig nach diesen Newsfetzen. Es ist fast unmöglich, ohne sie auszukommen. Wenn ich etwa im Flieger sitze und jemand vor mir liest die Zeitung, dann kostet es sehr viel Selbstdisziplin, da nicht reinzublinzeln. Nassim Taleb, ein Freund von mir, hat damit begonnen, keine Medien mehr zu konsumieren, und auch mich dazu angeregt. Wir sind zwar erst wenig zahlreich, aber immerhin gibt es die Bewegung der Medien-Null-Diät schon weltweit. Bücher jedoch sind für mich sehr wichtig. Die Autoren haben meist sehr lange an ihnen gearbeitet, viel Wissen zusammengetragen. In Büchern findet sich oft viel brainpower, viel hochwertiger Stoff, sodass es sich lohnt, sie zu lesen. Hier, und nicht in den Medien, hole ich mir den Hintergrund. Bei den Zeitschriften übrigens gibt es zwei Ausnahmen. Ich lese regelmässig die beiden Wissenschaftsmagazine «Science» und «Nature». Zwar verstehe ich die längeren Beiträge oft nicht; denn ich bin ja kein Naturwissenschafter. Doch gerade deswegen lese ich sie. Ich will ja mehr wissen und mein Spektrum erweitern, indem ich mich in die mir ursprünglich fremden naturwissenschaftlichen Fragestellungen eindenke. Denn je besser Sie sich in verschiedenen Denkräumen bewegen können, desto besser können Sie eine bestimmte Denkart auf ein ihr eigentlich fachfremdes Problem anwenden. Das hat mir schon oft geholfen. Im Privaten wie im Geschäftlichen. So bin ich viel freier, als wenn ich durch das Alltägliche eingeschränkt werde, durch all die banalen Geschichten, mit denen die Medien uns überfluten. Die entscheidende Frage ist: Haben Sie jemals eine bessere Entscheidung getroffen, weil Sie die Medien verfolgen? News sind gut fürs entertainment, für smalltalk und gossip. Aber ich treffe dank ihnen keine besseren Entscheidungen, weder beruflich noch privat. Doch ich muss zugeben: im Moment bin ich nicht mehr dabei. Das iPhone macht es viel zu leicht, jederzeit die News zu konsumieren.» aufgezeichnet von Suzann-Viola Renninger

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vorschau

impressum

schweizer monatshefte, 977 90. Jahr, Ausgabe April / Mai 2010 ISSN 0036-7400 Herausgeber Suzann-Viola Renninger, René Scheu Ressort politik & Wirtschaft René Scheu Ressort Kultur Suzann-Viola Renninger Redaktioneller Mitarbeiter Florian Rittmeyer administration/leserservice Barbara Dieth (Leitung), Rita Winiger Korrektorat Reinhart R. Fischer Andreas Marti, Zürich

Die «Schweizer Monatshefte» folgen den Vorschlägen zur Rechtschreibung der Schweizer Orthographischen Konferenz (SOK), www.sok.ch. Gestaltung und Produktion Atelier Varga, Suzann-Viola Renninger

Die nächste Ausgabe Das Dossier der Ausgabe Juni 2010 gilt dem Thema «Embargo». Gast in der Galerie ist Andreas Marti.

Aus der Agenda 2010 / 2011 «Wie wir regiert werden» «Religion» «Vielsprachenstaat Schweiz» «Rechtsstaat & Notrecht» «Direkte Demokratie»

Zuletzt erschienen

«Stop – mein Konto! «Gutes & schlechtes Geld» «Und der Ernstfall? Die Schweiz & die Sicherheit» «Exportförderung & Commercial Diplomacy» «Eigenwillig! Die Stärken der Schweiz»

Vorstand Konrad Hummler (Präsident), Thomas Sprecher (Vizepräsident), Max Albers, Georges Bindschedler, Andreas Burckhardt, Margrit Hahnloser, Ulrich Pfister, Urs B. Rinderknecht, Gerhard Schwarz, Michael Wirth Freundeskreis Franz Albers, Ulrich Bremi, Elisabeth Buhofer, Walter Diehl, Hans-Ulrich Doerig, Peter Forstmoser, Annelies Haecki-Buhofer, Manfred Halter, Robert Holzach†, Familie Kedves, Creed Künzle, Fredy Lienhard, Heinz Müller-Merz, Daniel Model, Hans Walter Schmid Adresse «Schweizer Monatshefte» CH-8006 Zürich, Vogelsangstrasse 52 Telefon 0041 (0)44 361 26 06 www.schweizermonatshefte.ch Anzeigen «Schweizer Monatshefte», Anzeigenverkauf anzeigen@schweizermonatshefte.ch Preise Schweiz jährlich Fr. 139.– / € 93.– Ausland jährlich Fr. 165.– / € 110.– Einzelheft Fr. 17.50 / € 11.– Studenten und Auszubildende erhalten 50% Ermässigung auf das Jahresabonnement. Druck ea Druck + Verlag AG, Einsiedeln bestellungen www.schweizermonatshefte.ch

Dank Das Dossier dieser Ausgabe wurde unterstützt von SwissFoundations, dem Verband der Schweizer Förderstiftungen, sowie von Dr. Thomas Schmidheiny. 64

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« Bei wie vielen Schweizer Banken haften die Entscheidungsträger noch persönlich?»

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Ein Jahresabo kostet Fr. 139.- / € 93.- (mit Lieferadresse im Ausland: Fr. 165.- / € 110.-). Pro Jahr erscheinen 8 Ausgaben. Auszubildende und Studenten erhalten eine Ermässigung von 50%. (www.schweizermonatshefte.ch)

In der Schweiz sind noch 14 Privatbanken tätig. Die geschäftsführenden Teilhaber dieser Banken haften persönlich und unbeschränkt mit ihrem Vermögen und können sich auch nicht über Déchargen der Verantwortung entziehen. Bei Wegelin & Co. Privatbankiers obliegt die Führung acht unbeschränkt haftenden Teilhabern: Ein Bekenntnis gegenüber unseren Kunden. Wir bei Wegelin & Co. sind täglich auf der Suche nach Fragen und Antworten, die Sie als Anleger beschäftigen. Stellen auch Sie Ihr Wissen unter Beweis und nehmen Sie am Wegelin Wissenswettbewerb teil.

SCHWEIZER MONATSHEFTE Vogelsangstrasse 52 8006 Zürich SCHWEIZ

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SCHWEIZER MONATSHEFTE

.2010 luss : 20.06

Zeitschrift für Politik Wirtschaft Kultur

Gerade in bewegten Zeiten schätzt man eine kompetente Wirtschaftsberichterstattung, die weder dramatisiert noch bagatellisiert. Die «Neue Zürcher Zeitung» bleibt nicht an der Oberfläche. Vielmehr bringt sie kluge Analysen, klare Kommentare und spannende Reportagen. Dies gilt selbstverständlich auch für die Themen Politik, Gesellschaft, Kultur und Sport. Im Jahresabonnement inbegriffen sind die Magazine «NZZ Folio», «NZZ campus», «Z – Die schönen Seiten» und «NZZ Chronik», zahlreiche interessante Sonderbeilagen sowie der Online-Zugriff auf «NZZ Global», die digitale Ausgabe der «Neuen Zürcher Zeitung». Für Informationen und Abo-Bestellungen: Tel. 044 258 15 30, leserservice@nzz.ch oder www.nzz.ch/abo Valentin Hauri, «Favourites», 2010


Dossier:

Sind Sie urban? Stadtleben heute

Eigenwillig! Die Stärken der Schweiz

Auf ins Ausland ! Exportförderung & Commercial Diplomacy

Dossier:

Und der Ernstfall? Die Schweiz & die Sicherheit

975 Dossier Gutes & schlechtes Geld Unternehmergespräch Filippo Leutenegger Werkgespräch Gion Mathias Cavelty Galerie James Licini

Dossier:

Gutes & schlechtes Geld

SCHWEIZER MONATSHEFTE 975 Zeitschrift für Politik Wirtschaft Kultur / seit 1921

Januar / Februar 2010 Fr. 17.50 / € 11.00

Unternehmergespräch Johann SchneiderAmmann Werkgespräch Perikles Monioudis Galerie Willi Facen

März 2010 Fr. 17.50 / € 11.00

Dossier:

Andri Pol

974 Dossier Und der Ernstfall? Die Schweiz & die Sicherheit

Zeitschrift für Politik Wirtschaft Kultur / seit 1921

November 2009 Fr. 17.50 / € 11.00

Rita Ernst

SCHWEIZER MONATSHEFTE 976

Zeitschrift für Politik Wirtschaft Kultur / seit 1921

Unternehmergespräch Dieter Meier Werkgespräch Friederike Kretzen Galerie

976 Dossier Stop! – mein Konto! Aus aktuellem Anlass Volkswahl des Bundesrates Werkgespräch Max Rüdlinger Galerie Felice Varini

SCHWEIZER MONATSHEFTE 977 Zeitschrift für Politik Wirtschaft Kultur / seit 1921

April / Mai 2010 Fr. 17.50 / € 11.00

Gutes besser tun – Trends im Schweizer Stiftungswesen

Dossier:

SCHWEIZER MONATSHEFTE 973

972 Dossier Eigenwillig! Die Stärken der Schweiz

Oktober 2009 Fr. 17.50 / € 11.00

Zeitschrift für Politik Wirtschaft Kultur / seit 1921

August/September 2009 Fr. 17.50 / € 11.00

973 Dossier Auf ins Ausland! Exportförderung & Commercial Diplomacy Unternehmergespräch Werner Kieser Lyrik Felix Philipp Ingold Galerie

Zeitschrift für Politik Wirtschaft Kultur / seit 1921

SCHWEIZER MONATSHEFTE 971 Dossier:

Mai-Thu Perret

SCHWEIZER MONATSHEFTE 972

Aufgewacht? Die Folgen der Finanzkrise

Juli 2009 Fr. 17.50 / € 11.00

Zeitschrift für Politik Wirtschaft Kultur / seit 1921

Dossier:

Unternehmergespräch Dimitri Werkgespräch Urs Faes Galerie

Dezember 2009 Fr. 17.50 / € 11.00

Unternehmergespräch Fredmund Malik Werkgespräch Klaus Merz Galerie Luciano Rigolini

Mai / Juni 2009 Fr. 17.50 / € 11.00

Stop – mein Konto!

SCHWEIZER MONATSHEFTE

Zeitschrift für Politik Wirtschaft Kultur / seit 1921

Zeitschrift für Politik Wirtschaft Kultur / seit 1921

971 Dossier Sind Sie urban? Stadtleben heute

970 Dossier Hingehen? Die Festivalisierung der Kultur

Hingehen? Die Festivalisierung der Kultur

SCHWEIZER MONATSHEFTE 970

Nic Hess

Dossier:

SCHWEIZER MONATSHEFTE 974

Unternehmergespräch Daniel Model Aus dem Fundus Hermann Burger Galerie

SCHWEIZER MONATSHEFTE 969

Dossier:

969 Dossier Aufgewacht? Die Folgen der Finanzkrise

Dossier:

Jahresabo


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