01 Manifest

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d e s s i c h t b a r e n

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Manifest


Dekonstruktion des Sichtbaren


003

Positionen zur Gestaltung

Einleitung

004

Es muss nicht immer neu sein

006

Jeder ist Kritiker

010

Es gibt kein richtig und falsch

016

Niemand ist besonders

020

Trends sind keine Lösung

026

Die Pflicht der Form

032

Der Wert der Form

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Einleitung

Dekonstruktion des Sichtbaren


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→ Gestaltung betrifft uns alle, denn wir leben in einer vollständig gestalteten Welt. Die Stadt, in der wir leben ist ge­ nauso gestaltet, wie die Werkzeuge, die wir benutzen oder die Medien, die uns informieren und unterhalten. Nicht nur für Menschen, die sich pro­ fessionell in diesem Bereich bewegen, ist es deshalb von großer Bedeutung zu wissen, welchen Nutzen Gestaltung ­haben kann. Genauso sollte man sich im Umkehrschluss über Einschränkungen und Gefahren bewusst sein. Als Gestalter reflektiert man eher selten die eigene Profession und setzt sich mit der Bedeutung von Gestaltung auseinan­ der. Es geht ums Machen, um Konzepte, Ideen und Entwürfe. Doch es gibt einen essentiellen Unterschied zwischen dem Akt des Gestaltens und der Auseinander­ setzung mit dem Thema Gestaltung. Das Hinterfragen des eigenen Handwerks ist eine anstrengende und oftmals unange­ nehme Aufgabe, der ich mich mit diesem Manifest stellen möchte. ← 01  →  Manifest


Es muss nicht immer neu sein

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→ Viele Gestalter kennen den Moment, wenn die eigene Idee bereits von jemand anderem umgesetzt wurde. Das kann in unterschiedlichen Phasen des kreativen Prozesses geschehen, manchmal sogar noch bevor mit der eigentlichen gestalte­ rischen Arbeit begonnen wurde. Ähnliches passiert auch, wenn man starke Arbeiten in einem Themenbereich sieht, mit dem man sich selbst gerade befasst. Es kann eine inspirierende Er­ fahrung sein, aber gleichzeitig läuft man immer Gefahr zu stark von dieser Arbeit im weiteren Schaffen beeinflusst zu ­werden. Mit Sicherheit gibt es dieses Problem in kreativen Professionen schon immer. Doch in Zeiten des Internets hat man die Möglichkeit, sich jederzeit mit Gestaltern auf der ganzen Welt zu vergleichen. Wie in so vielen Bereichen ist auch hier das Internet Fluch und Segen zugleich. Jeder hat potenziell die ganze Welt als sein Publikum und gleichzeitig sehen wir was die ganze Welt publiziert. 01  →  Manifest


Es ist somit ein Trugschluss zu glauben, dass gute Gestaltung immer aus einer eigenen Idee entstehen muss. Wenn man nun über die Definition von Gestaltung oder Design nachdenkt, fällt auf, dass nicht nur die Idee an sich wich­ tig ist, sondern auch die Umsetzung ­dieser Idee in Bezug auf Funktion und Form eine entscheidende Rolle spielt. Deshalb sollte man als Gestalter nicht nur nach Innovation suchen, sondern auch die Verbesserung des Bestehenden for­ cieren. Denn auch heute gibt es noch viele Objekte, die nicht nach den Ansprü­ chen und Wünschen ihrer Zielgruppe gestaltet wurden und daher dringend optimiert werden müssen. Dekonstruktion des Sichtbaren


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Es ist somit ein Trugschluss zu glauben, dass gute Gestaltung immer aus einer eigenen Idee entstehen muss. Eine gute Idee, die durch schlechte Umsetzung nicht richtig zugänglich gemacht wird, ist ge­ nauso wenig wert wie eine schön gestal­ tete Oberfläche, die keinen Zweck erfüllt. Aus diesem Grund muss Gestaltung nicht immer neu sein, sie kann auch eine Ab­ wandlung fremder Ideen und Gedanken beeinhalten und trotzdem ein eigenes kreatives Werk sein. ←

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Jeder ist Kritiker

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→ Kritik ist unablässlich für den kreati­ ven Prozess und gleichzeitig die einzige Möglichkeit um gestalterische Arbeit im Austausch mit anderen Menschen ein­ zuordnen und im Idealfall zu verbessern. Wer nur abgeschottet von der Außenwelt arbeitet und keine fremden Meinungen und Gedanken einholt, vergibt die Chance sich und seine Arbeit nachhaltig zu ver­ bessern. Auch die Bewertung von gestalterischen Arbeiten wäre ohne Kritik überhaupt nicht möglich. Es handelt sich dabei zwar im­ mer um subjektive Meinungen, doch eine kritische Botschaft kann den Kern eines Problems fassen und sogar Lösungsan­ sätze bieten. Dabei ist es dennoch wichtig Gestaltungskritik nicht mit persönlichem Geschmack gleichzusetzen. Denn gute Gestaltung bedeutet mehr als bloße De­ koration, daher muss ein Diskurs über Gestaltung auch mehr sein als eine Ge­ schmacksfrage. Trotzdem kann Kritik von Person zu Person stark variieren, was die Einordnung dieser erschwert. 01  →  Manifest


Ist die Meinung eines angesehenen Ge­ stalters mehr wert als die eines Studen­ ten? Kann nicht ein Experte in seinem Fachgebiet besser kritisieren, als ein Gestalter der sich nicht in der Materie auskennt? Diese Fragen können nicht pauschal beantwortet werden, denn genau wie jedes Projekt eine Eigendynamik besitzt, ist auch Gestaltungskritik von Fall zu Fall unterschiedlich. Dabei muss der Begriff »Kritik« an sich von seiner negativen Konnotation gelöst werden. Kritik kann sowohl positiv als auch negativ sein, sie sollte aber immer argumentativ und konstruktiv vorgetragen werden. Denn bei einem so sensiblen und persönlichen Thema wie Gestaltung ist die richtige Formulierung von Kritik ent­ scheidend. Gestaltungskritik findet hauptsächlich in Designagenturen oder Hochschulen für Gestaltung statt, doch selbst an diesen Orten wird manchmal keine konstruk­ tive Kritikkultur gepflegt. Häufig fehlen fundierte Argumentationen oder es wird Dekonstruktion des Sichtbaren


zu persönlich kritisiert. Hier macht sich ein Mangel hinsichtlich der Ausbildung von kritischer Befragung gestalterischer Arbeiten bemerkbar. Hochschulen stehen hier in erster Linie in der Pflicht. Die Studenten sollten nach ihrem Abschluss in der Lage sein, gestalterische Arbeiten kritisch zu hinterfragen und dies korrekt zu kommunizieren.

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Jeder Mensch ist von Gestaltung betroffen und somit kann auch jeder Mensch ein Kritiker sein, dessen Meinung ernst genommen werden muss.

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Vergleichsweise selten findet hingegen eine gestalterische Arbeit den Weg in den öffentlichen Diskurs. Nur in wenigen Ausnahmen wird der allgemeine Begriff »Gestaltung« oder »Design« (im Gegen­ satz zu Kunst, Filmen oder Architektur) vor einem großen Publikum kritisiert. Hauptsächlich mag es an eben diesen ↓

Veränderte Schrift im Google-Logo, ein seltenes Bei­ spiel von Gestaltungskritik in der Öffentlichkeit (2015)

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beiden vagen Begriffen liegen, dass keine explizite Kritik betrieben wird. Doch das Interesse besteht, wie sich besonders bei der Gestaltung von Marken aus dem Be­ reich der neuen Technologien bemerkbar macht. Bei vielen Neugestaltungen dieser Erscheinungsbilder geht ein Aufschrei durch die digitale Gemeinde und es wird für einige Tage rege über die Veränderung diskutiert. Und genau das ist der ideale Fall von Gestaltungskritik. Jeder Mensch ist von Gestaltung betroffen und somit kann auch jeder Mensch ein Kritiker sein, dessen Meinung ernst genommen werden muss. Es liegt also nicht nur in der Hand der Gestalter, über Gestaltung zu diskutieren, sie zu kritisieren und letztlich auch zu urteilen. Jeder kann beurteilen, ob ein Objekt für ihn persönlich funktional und nützlich ist und gleichzeitig seinen per­ sönlichen Geschmack trifft. Und so lange Gestaltung für Menschen gemacht wird, sollten auch alle Menschen darüber ur­ teilen können. ← 01  →  Manifest


Es gibt kein richtig und falsch

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→ Einer der Kerngedanken, durch den sich Gestaltung definieren lässt, ist das ein Problem gelöst werden muss. Denn ohne ein Problem kann Gestaltung auch keine konkreten Lösungen und somit eine Verbesserung der bisherigen Situation bieten. In vielen Fällen ist das Problem kommu­ nikativer Natur, häufig geht es auch um Fragestellungen im Bereich der Funktiona­ lität oder Orientierung. Schon die Formulierung einer Problem­ stellung ist schwierig, denn oftmals ist das genaue Problem gar nicht bekannt oder liegt viel tiefer als zu Beginn ver­ mutet. Das bedeutet aber auch, dass die Arbeit eines Gestalters schon an diesem Punkt ansetzt. Erst wenn das Problem verstanden wurde, kann es exakt und nachvollziehbar formuliert werden. Deshalb ist es essentiell, genau zu recherchieren und sich akribisch mit der Thematik aus­ einanderzusetzen. Dann kann es sogar sein, dass schon in dieser Phase erkenn­ bar wird, warum das Problem überhaupt exisitiert. 01  →  Manifest


Lässt man ein­ hundert Gestalter das exkat gleiche Problem lösen, wird man auch einhundert ver­ schiedene Lö­ sungen erhalten. Anschließend beginnt der kreative Prozess und die Suche nach einer neuartigen und effektiven Lösung. Diese Suche ist oft anstrengend und frustrierend und steht im ständigen Abgleich mit der Problem­ stellung. Nachdem verschiedene Lösungsansätze produziert wurden, gibt es nur sehr wenige Möglichkeiten der Evaluation. Dieser Umstand unterscheidet die Gestaltung ele­ mentar von eindimensionaler Wissenschaft. Es gibt kein richtig oder falsch, keine Wahrheit oder Lüge. Dekonstruktion des Sichtbaren


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Lässt man einhundert Gestalter das exkat gleiche Problem lösen, wird man auch einhundert verschiedene Lösungen er­ halten. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass ein Problem unendlich viele Lösungen hat und jeder Gestalter die Möglichkeit hat eine dieser Lösungen zu finden. Aus diesem Grund ist Gestaltung nie richtig oder falsch. Der einzige Indikator für gelungene Gestaltung ist der Mensch. ←

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Niemand ist Besonders

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→ Unsere komplette Lebensumgebung ist gestaltet. Doch nicht nur ausgebil­ dete oder studierte Gestalter sorgen für die Ästhetik unserer Welt, sonder auch Menschen die per se keinen Bezug zum Thema Gestaltung haben. Mittlerweile ist dank der Digitalen Revolution in fast jedem Haushalt ein Computer vorzufin­ den. Diese Vorraussetzung erleichtert es den Hobby- und Amateur-Gestaltern, selbst gestalterisch tätig zu werden und dies dann zu veröffentlichen. Meist ist die Motivation hierfür eher praktischer Natur. Man setzt sich also nicht mit den klassischen Fragestellungen eines Ge­ stalters wie Form und Funktion auseinan­ der, sondern macht einfach. Häufig ist in Gestalterkreisen zu be­ obachten, das dilettantische Gestaltung verurteilt und als falsch angesehen wird. Doch warum sollte die Ästhetik, die an Gestaltungsschulen vermittelt wird, rich­ tig sein? Wenn man annimmt, das gute Gestaltung gleichzeitig ehrlich ist, haben diese Arbeiten eine klare Berechtigung. 01  →  Manifest


Die Ablehnung von Amateur-Gestaltung ist natürlich auch mit der Angst von pro­ fessionellen Gestaltern verbunden, dass diese »design-it-youself«-Einstellung den Beruf des Gestalters irgendwann ­obsolet machen könnte. Doch so weit wird es kaum kommen. Jeder Mensch hat die Fähigkeit, Dinge zu gestalten und somit ist jeder Mensch per Definition ein Gestalter. Dekonstruktion des Sichtbaren


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Wer sich dann dafür entscheidet, sich professionell mit diesem Thema zu be­ fassen, hat mehr Expertise und Übung darin. Im Gegenzug mögen Dinge wie »unprofessionelle« Geburtstagseinladun­ gen oder Firmenschilder unbedeutend wirken, aber sie sind genau wie das »professionelle« Werbeplakat ein Teil ­unseres Lebensraums.

Wer sich mit Herzblut und Motivation der Gestaltung widmet, wird am Ende auch belohnt. Wer hingegen nur auf sein Talent baut, kann ent­ täuscht werden. 01  →  Manifest


Auch das sehr vage und gleichzeitig recht bedeutende Wort Talent spielt augen­ scheinlich im Gestaltungskontext eine sehr große Rolle. Das kreative Talent wird gefördert und schafft es angeblich so, sich von der Masse der übrigen Gestalter abzuheben. Dabei sind es häufig Men­ schen, die nicht kreativ tätig sind, welche das Wort Talent inflationär gebrauchen. Denn Talent nimmt weniger Einfluss auf den gestalterischen Werdegang, als die meisten Menschen glauben. Genau wie die Befähigung zum Gestalten, hat auch jeder Mensch eine kreative Veranlagung. Besonders gut zeigt sich das bei Kindern. Sie haben allesamt Kreativität und Phan­ tasie und nutzen diese, um erstaunliche Dinge zu erschaffen. Was also wie Talent aussieht, ist lediglich Hingabe und Fleiß. Wer sich mit Herzblut und Motivation der Gestaltung widmet, wird am Ende auch belohnt. Wer hingegen nur auf sein Talent baut, kann enttäuscht werden. Das ist in der Gestaltung genau wie in jedem anderen Beruf. Dekonstruktion des Sichtbaren


Gestalter sollten sich selbst also nicht auf ein allzu hohes Podest heben. Sie haben weder die Entscheidungsgewalt darüber was gut oder schlecht ist, noch bestimmen sie was den Menschen ge­ fällt. ← ↓

Die fünf Gestalter-Gebote Die Selbstwahrnehumg von Gestaltern.

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er Ge s s c h ö n ta l te r we i ß, und h ässlic was 2 Ve h i st . r t ra u denn e dem Ges er wil l nur talter, dein B 3 Höre estes auf d . e n Ges denn ta l te r er wir , ­ d ve r b e ssern euer ­Lebe . n 4 R espek denn tiere den G e r we iß wa estalter, s er t 5 Fü ge dic ut. h de denn er we m Gestalte i ß wa s sch r, ö n i st .

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Trends sind keine Lรถsung

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→ Jede gestalterische Arbeit ist geprägt von Inspiration. Ob sie nun aus der Na­ tur, einem Alltagserlebnis, einer Unter­ haltung oder dem Internet stammt. Im Gegenzug unterliegt man als Gestalter immer dem Anspruch, etwas Neues, nie Dagewesenes zu schaffen. Was zunächst wie ein Paradoxon erscheint, ist bei nä­ herer Betrachtung kein großes Problem. Jeder Mensch interpretiert Einflüsse anders, wodurch selbst durch ähnliche Inspirationsquellen unterschiedliche Er­ gebnisse entstehen. Man könnte s­ agen, fremde Einflüsse formen die eigene ­Persönlichkeit und Persönlichkeit führt zu guter Gestaltung. Diese Einflüsse und Inspirationen bewegen sich in Zyklen. Der Zeitgeist ist somit ein Konstrukt, das nur durch In­ spiration und eine gewisse Form der Nachahmung entstehen kann. Gestalter können durch ihre Arbeit versuchen den Zeitgeist weiter zu formen oder unge­ wöhnliche Wege gehen, um neue Trends zu entdecken. 01  →  Manifest


Betrachtet man heutzutage die Vielzahl von Design-Blogs und Inspirations-Web­ sites im Internet, entsteht eine vollkom­ men neue Problematik. Jeder Mensch hat hier Zugriff auf eine schier unendliche Sammlung von Gestaltung. Dieser Zugriff gepaart mit der Anonymität des Internets, führt nicht nur zu Inspiration, sondern auch zu schamlosen Kopien. Dabei werden die unterschiedlichsten Aspekte von Gestaltung kopiert, am häufigsten Ästhetik. Natürlich ist es ein schmaler Grad zwi­ schen Inspiration und Kopie und die Legi­ timation und Urheberschaft kann nur in den seltensten Fällen kontrolliert werden. Aber es ist deutlich sichtbar, dass Ge­ staltung mittlerweile in vielen Fällen austauschbar geworden ist. Natürlich gibt es Trends und deren Verbreitung nicht erst seit der Entstehung des Internets. Wirtschaftliche Interessens­ vertreter und die Medien formen schon seit der Industrialisierung unser Ver­ langen nach einem ständig wechselnden Zeitgeist. Dekonstruktion des Sichtbaren


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In der Modeindustrie arbeitet beispiels­ weise eine ganze Branche ausschließlich nach dem Muster sich ständig erneu­ ernder Trends. Dabei gibt es an und für sich entscheidendere Beweggründe, ein bestimmtes Kleidungsstück zu kau­ fen, beispielsweise Funktionalität oder Wärme. Diese haben jedoch in unserer Überflussgesellschaft an Bedeutung ver­ loren. Außerdem wird mit keinem dieser Beweggründe auch nur annährend so viel Profit gemacht, wie mit dem ständig wechselnden Zeitgeist. Die sich fortwährende Veränderung durch Trends dient der Profitmaximie­ rung und der ästhetischen Vielfalt. Man könnte behaupten, dass sie außer dieser beiden Dinge keine besondere Funktion erfüllt. Man sollte jedoch nicht vergessen, dass Menschen, wenn ihre Grundbedürf­ nisse erfüllt sind, besonders nach Schön­ heit und sozialer Zugehörigkeit suchen. Diese Werte liefern Trends in regelmäßigen Abständen und befriedigen so ein Bedürf­ nis der Menschen. 01  →  Manifest


Ein sich ständig und in immer kürzeren Intervallen ändernder Zeitgeist steht in starkem Kontrast zu nachhaltiger und ökologischer Gestaltung. Ist es über­ haupt möglich, nachhaltig zu gestalten und sich gleichzeitig an einem Trend zu orientieren? Oder widersprechen sich diese Werte? Muss nachhaltige Gestaltung zeitlos sein? Ist es überhaupt möglich zeitlos zu gestalten, wenn doch versucht wird jedes Objekt in einem zeitlichen Rahmen einzuordnen?

Die einzige Aus­ sage, die durch Trends getroffen werden kann, ist die ästhetische Relevanz für die Menschen zu ei­ nem bestimmten Zeitpunkt. Dekonstruktion des Sichtbaren


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Wie ist also das Verhältnis zwischen Ge­ staltung und Zeitgeist? Man kann diese beiden Dinge nicht isoliert voneinander betrachten, denn sie beeinflussen einan­ der ständig. Trends alleine können aber nicht darüber bestimmen, ob etwas gut oder schlecht gestaltet ist. Die einzige Aussage, die durch Trends getroffen wer­ den kann, ist die ästhetische Relevanz für die Menschen zu einem bestimmten Zeitpunkt. Das ist ein nicht zu unter­ schätzender Faktor. Es kann aber auch dazu führen, dass eine Arbeit nicht an ihrer gestalterischen Qualität, sondern an ihrer Nähe zum jeweiligen Zeitgeist gemessen wird und dies kann nicht das Ziel von guter Gestaltung sein. ← 01  →  Manifest


Die Pflicht der Form

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→ Jedes gestaltete Objekt nimmt Einfluss auf sein Umfeld. Dieser Tatsache kann sich kein Gestalter entziehen, denn genau wie Form und Funktion, ist der gesell­ schaftliche Einfluss ein wichtiger Faktor von Gestaltung. In einer Gesellschaft, die nach dem Grundsatz von Konsum und Wachstum funktioniert, ist es natürlich schwierig, ein Bewusstsein für die moralischen Verpflichtungen von Gestaltung zu ent­ wicklen. Denn in erster Linie geht es, wie bei den meisten anderen Professionen, darum Geld zu verdienen. Heutzutage sind auch Selbstverwirklichung und per­ sönliche Freiheit von großer Bedeutung und in den meisten Fällen steht verant­ wortungsbewusstes und nachhaltiges Handeln auch hinter diesen Zielen zurück. Diese Grundeinstellung projeziert sich zwangsläufig auf unsere Umwelt. Es gibt zum Beispiel kaum eine Straße, in der keine Werbung zu sehen ist. Sehr oft wird Gestaltung lediglich als Mittel genutzt, um Kaufanreize zu schaffen. 01  →  Manifest


Dabei kann Gestaltung mehr sein, als nur ein weiteres Zahnrad in der kapitalistischen Maschinerie. Vielen Gestaltern ist nicht bewusst, das sie eine Verantwortung f체r ihre Arbeit tragen. Der Inhalt, der durch gestalterische Arbeit transportiert wird, sollte immer hinterfragt werden. Dabei spielt es erstmal keine Rolle, ob eine Arbeit tats채chlich falsch oder verwerflich ist, sonder dass der Gestalter 체berhaupt dar체ber nachdenkt. Dekonstruktion des Sichtbaren


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Fast jedem Gestalter ist hingegen be­ wusst, welche Macht in der Fähigkeit steckt, Dinge zu gestalten. Augenschein­ lich elementare Entscheidungen wie Texte oder Bilder können den Betrachter oft unbewusst beeinflussen. Und diese Macht endet nicht bei gesellschaftlich akzeptierter Manipulation in Form von Werbung. Auch Dinge wie Fremdenfeind­ lichkeit oder Rassismus können gewollt oder ungewollt in Gestaltung transpor­ tiert werden. Aus diesem Grund sollte Gestaltung immer kritisch und aus vielen Blickwinkeln betrachtet werden. Andererseits kann gute Gestaltung die Menschen zufriedener machen und ihnen helfen Probleme zu lösen. Oft verfolgt ein Gestaltungsauftrag jedoch ganz andere Ziele. Deshalb ist in vielen Situationen eine Entscheidung nicht mit moralischen, sondern finanziellen Abwägungen ver­ bunden. Grundsätzlich ist dies natürlich vertretbar, jeder Gestalter sollte aber seine Grenzen kennen und klar benennen können. 01  →  Manifest


Letztlich hat ein Gestalter keine größere Pflicht als andere Men­ schen. Jeder sollte seine moralischen Prinzipien kennen, diese vertreten und nach ihnen handeln. Weiterhin muss ein Gestalter das große Ganze im Blick haben. Dinge wie umwelt­ bewusstes Handeln oder Ressourcen­ verbrauch kommen auf der Suche nach persönlicher ästhetischer Befriedigung häufig zu kurz. Diese Probleme werden zwar immer wieder thematisch in der Gestaltung behandelt, aber selten wird versucht, diese auch durch tatsächliche Handlungen zu lösen. Dekonstruktion des Sichtbaren


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Letztlich hat ein Gestalter keine größere Pflicht als andere Menschen. Jeder sollte seine moralischen Prinzipien kennen, diese vertreten und nach ihnen handeln. Der Unterschied liegt im Einfluss, den Gestal­ tung haben kann. Dieser Einfluss nimmt keine Disziplin aus, ob es Botschaften in der kommunikativen Gestaltung oder die sorgfältige Gestaltung unserer Lebensum­ gebung ist. ←

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der Wert der Form

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→ Ein gestaltetes Objekt wird in unserer kapitalistischen Welt immer mit einem Geldwert bemessen. Einen Teil dieses Werts bilden natürlich die Produktions­ kosten, doch der zweite, nicht unerheb­ liche Teil wird durch Formgebung und ­Gestaltung bestimmt. Oft hängt dieser Wert aber nicht direkt von der Form, son­ dern von der Gestaltung einer Marke und dem dazugehörigen Image ab. Wie bei jedem wirtschaftlichen Prozess gilt, dass die Nachfrage das Angebot bestimmt und somit hängt der Wert stärker mit dem temporären ästhetischen Geschmack der Menschen, als mit der tatsächlichen ­gestalterischen Qualität zusammen. Die inflationäre Benutzung des Wortes »Design« lässt erkennen, dass der Me­ chanismus der Wertsteigerung durch die unreflektierte Verwendung dieses Begriffs zu einem Verkaufstrick geworden ist. Dieser Umstand könnte schon bald dazu führen, dass der Begriff »Design« dem genauen Gegenteil seiner urpsrüng­ lichen Bedeutung entspricht. 01  →  Manifest


Auch der Gestalter möchte natürlich einen finanziellen Nutzen aus seiner Arbeit ziehen. Somit kommt es nur selten vor, dass Gestalter autonom an einem Projekt arbeiten, denn häufig sind sie von der Meinung eines Auftraggebers oder Kunden abhängig. Selbst in einem Bereich wie der Kunst, die eigentlich überhaupt nicht bewertet werden kann, spielt Geld eine große Rolle, denn ein hoher Preis ist die einzige Voraussetzung, damit etwas auf dem Kunstmarkt relevant ist.

Objektiv ist Gestaltung nur schwer mess­ bar, was vor allem an den viele ­unscharfen ­Variablen liegt.

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Doch wie kann der tatsächliche Wert von Gestaltung, außerhalb von finanziellen Faktoren, ermittelt werden? Objektiv ist Gestaltung nur schwer messbar, was vor allem an den vielen unscharfen Variablen liegt. Ist ein Objekt und dessen Produk­ tionsprozess ethisch vertretbar? Ist es nützlich und hilft den Menschen ein Pro­ blem zu lösen? Hat es einen innovativen Charakter? All diese Faktoren werden bei einer wirtschaftlichen Betrachtung außen vor gelassen. Eigentlich kann nur die individuelle und kritische Betrachtung von Gestaltung eine Bewertung ermöglichen. Diese lässt sich eben nicht mathematisch berechnen, denn jeder Mensch hat eine andere Vorstellung von guter Gestaltung. ← 01  →  Manifest


Impressum Konzeption, Text und Gestaltung Manuel Bug FH Würzburg | Fakultät Gestaltung Dozent Prof. Carl Frech 6. Semester Sommersemester 2016 Auflage 2 Stück (2016) Druck und Bindung Druckerei Genheimer, Lohr am Main Papier Munken print white 115 g / qm Munken print white 300 g / qm Schrift GT Cinetype, 2015 Design: Mauro Paolozzi und Rafael Koch

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