Der Radikale Apparat

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Der radikale Apparat

Gebrauchsanweisung

Eine Denkmaschine



Der Radikale Apparat ist ein experimentelles Konzept, das mit Hilfe­ der Disziplinen Design, Zukunftsforschung und Politik versucht, eine fiktive, radikal veränderte Parallelwelt vorstellbar und greifbar zu machen.¶ So bietet er eine interessante Perspektive auf die Auswirkungen einer radikalen Veränderung des Status Quo. Die konkrete Frage, die der Apparat seinen Anwendern also stellt, ist: »Wie wird die Welt aussehen, nachdem sie radikal verändert wurde?«.¶ Mit Hilfe einer strukturierten Systematik­ sind die Anwender des Apparats so schrittweise in der Lage, die Ausmaße der Veränderung zu verstehen, sie in die Zukunft zu übertragen und schließlich sogar ein grobes Bild dieser Zukunft zu zeichnen.¶ Eine Denkmaschine  →


6

Einstieg 5 Was bedeutet ­Radikal?

Definition 10

Der radikale Apparat

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Was ist der ­r adikale apparat?

I Impuls

16

Definition

Prozessablauf

22

Anleitung

Expertenvariante

27

Anleitung

II Observation

33 IV Projektion

47

Inhaltsverzeichnis

III Selektion

39 V Konsequenz

53


82

Das Trump Disaster Willkommen in Dystopia?

Partizipatives ­Design

86

Essay

Essay

Politik ohne ­W eitsicht

Prozess als ­Priorität

90

Beitrag

Beitrag

Essay

Die Macht der ­Revolte

Prognostische Kompetenz

Beitrag 78

Design ohne ­Funktion?

Beitrag

94

74

70

64

60

Abhandlungen 59

Essay

Gefahren der ­Moderne

Beitrag

116

Ulrich Reinhardt

Alan Shapiro

Interview

Jörg Schatzmann

Jaemin Paik

120

Interview

Interview

Interview

Andrea Augsten

Maria Guta

Interview

124

110

106

100

Gespräche 99

Interview


Der radikale Apparat Eine Denkmaschine


Einstieg


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Einstieg


Definition

Was bedeutet Radikal?

Der Begriff radikal wird häufig mit ­rücksichtslosem und aggressivem ­Verhalten gleichgesetzt.¶ Doch trotz seiner negativen Konnotation kann das Wort in einer neutraleren ­Definition auch schlichtweg Kompromisslosigkeit beschreiben.¶


Der radikale Apparat

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Was für uns heute radikal oder extrem erscheint, kann schon morgen zur Normalität werden. Die Geschichte hat uns gelehrt, dass sich tabuisierte Bereiche innerhalb eines sehr kurzen Zeitraums zum Status Quo entwickeln können. Noch vor 60 Jahren herrschte allgemeine Verschwiegenheit zum Thema Sexualität, doch durch die Sexuelle Revolution der 70er Jahre kann mittlerweile offen darüber diskutiert werden. So sind radikale Weltanschauungen oder Gedanken zunächst gesellschaftliche Randerscheinungen, sie können aber schnell zu einer großen Umwälzung führen. Der Begriff »radikal« hat unterschiedliche Bedeutungsebenen. Neben der Verwandtschaft mit den Worten »vollständig« oder »sehr stark« wird er in unserem heutigen Sprachgebrauch besonders im politischen Bereich oft als »rücksichtslos« und »extrem« denotiert. In diesem Kontext kann das Wort in Form von Ansichten aber auch in der Wahl der Mittel existieren. Eine radikale Ansicht kann niemanden physisch verletzten, aber das Vertreten einer radikalen Meinung mit radikalen Mitteln ist eine gefährliche Kombination. Besonders im politischen Sprachgebrauch wird das Wort instrumentalisiert, um Abgrenzung zu bestimmten Parteien oder Ideologien zu schaffen. Daher meint der Begriff »Radikalismus« mittlerweile keine politische Einstellung mehr, die eine grundlegende Veränderung der herrschenden Gesellschaftsordnung anstrebt. Als radikal werden dagegen entweder links- oder rechtsorientierte Gruppierungen bezeichnet, die gewaltbereit sind und keine demokratischen Werte vertreten.

Radikal sein ist die Sache an der Wurzel fassen.¶

→  Karl Marx

Innerhalb des Radikalen Apparats beschreibt das Wort einen vollständigen und kompromisslosen Wandel. Der Status Quo wird radikal umgekehrt, wodurch eine gesellschaftliche Erneuerung bestehender Werte und Normen entsteht. Es wird also eine Modifikation der gegenwärtigen Situation vorgenommen, unabhängig davon ob sie im Allgemeinen als positiv oder negativ angesehen wird. Sie kann einen realistischen Ursprung haben, aber auch vollkommen unwahrscheinlich und fiktiv sein. Somit ist die Wortbedeutung innerhalb des Radikalen Apparats gegenläufig zur allgemein bekannten Denotation. Radikal beschreibt hier lediglich die Art und Weise der Veränderung als vollständig, um danach ein möglichst extremes Zukunftsszenario entwickeln zu können.

Einstieg


radikal¶  1

vollständig, gründlich.

»etwas radikal ablehnen«   2

sehr stark.

»ein radikaler Abbau von Arbeitsplätzen«   3

rücksichtslos, brutal.

»radikale Mittel einsetzen«  4

eine extreme politische Position vertretend.

»radikale Ansichten haben«

Was bedeutet radikal?

Definition


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Einstieg


Definition

Was ist der radikale Apparat?

Der Radikale Apparat ist ein Konzept, um über die Gefahren und Probleme der Zukunft nachzudenken und so ­unsere Gegenwart besser zu verstehen.¶ Ein radikaler Impuls, der den Status­ Quo grundlegend verändert, spielt ­dabei die zentrale Rolle.¶


Der radikale Apparat

Eine Denkmaschine Die zukünftigen Probleme unserer Gesellschaft werden nur selten in der Öffentlichkeit diskutiert. Dieser Tatsache möchte sich der Radikale Apparat entgegenstellen. Mögliche Gefahren der Zukunft sollen nicht nur im Hier und Jetzt besprochen werden, sie sollen sogar hypothetisch auf den heutigen Tag übertragen werden. Das experimentelle Konzept des Radikalen Apparats beschäftigt sich daher mit kompromisslosen Veränderungen und deren Auswirkungen auf unser zukünftiges Leben. Um unsere heutige Welt besser verstehen und mögliche Entwicklungen exakter einschätzen zu können, will der Apparat eine Perspektive bieten, welche die Auswirkungen von radikalen Veränderungen auf den derzeitigen Status Quo sichtbar machen. Konkret bedeutet das, wir fügen unserer heutigen Welt etwas Entscheidendes hinzu oder nehmen etwas Substanzielles weg. Dieser Eingriff kann realistisch oder surreal sein, alles ist erlaubt, solange es nur radikal ist. So kann z. B. Geld seinen symbolischen Wert als Zahlungsmittel verlieren oder jeder Mensch ein bedingungsloses Grundeinkommen erhalten. Es muss sich dabei also nicht zwangsweise um Situationen handeln, die tatsächlich eintreten können, solange die Veränderung einen Einblick in eine interessante, alternative Lebenswelt bietet. Nach der Entscheidung für eine radikale Veränderung werden mit Hilfe von kreativen und analytischen Mitteln mehrere Zukunftsszenarien entwickelt und sichtbar gemacht. Denn nur durch konkretes Veranschaulichen ist es möglich, sich einprägsam mit bestimmten Fragestellungen für unsere Zukunft auseinanderzusetzen, ohne dabei lediglich abstrakte Phrasen zu verwenden. Es können so z. B. politische Ansichten plastisch hinterfragt und auf ihren Wahrheitsgehalt untersucht werden. Zusammenarbeit und Austausch über die Thematik sind essentiell um die komplexen Zusammenhänge innerhalb der Fragestellungen des Radikalen Apparats zu verstehen. Deshalb ist der Apparat als Gruppenübung konzipiert, die von mindestens drei Personen in Kooperation durchgeführt werden sollte. Das Konzept soll jedoch nicht nur Wissenschaftlern oder Gestaltern als Werkzeug dienen, sondern bietet allen Menschen als kooperatives Hilfsmittel eine nützliche Diskussionsgrundlage. Auch im pädagogischen Kontext kann es eine Bereicherung sein, denn es schult das schöpferische und abstrakte Denken und kann dabei gleichzeitig bedeutsame Themen behandeln. Im Zusammenspiel der analytischen und kreativen Fähigkeiten der Teilnehmer werden neue Erfahrungen über unsere heutige Welt und unser Zusammenleben auf diesem Planeten gesammelt.

Our actual world is surrounded by an infinity of other possible worlds.¶ →  Lubomír Doležel

Einstieg


Der Radikale Apparat ist von vielen Disziplinen beeinflusst, die sich mit dem weit gefassten Begriff der Zukunft befassen. Besonders die Bereiche Wissenschaft, Film / Belletristik, Marketing und Design haben interessante und praktikable Methoden zur Erforschung der Zukunft in ihrem jeweiligen Feld entwickelt. Literatur und Film im Science-Fiction Genre haben den Begriff des Worldbuilding geprägt, der soviel bedeutet wie das Erschaffen einer nachvollziehbaren und detaillierten Welt, beispielsweise in einem Zukunftsszenario. In einem ähnlichen Dunstkreis bewegt sich die Design-Fiction, die mit Hilfe von Design eine mögliche, zukünftige Parallelwelt beschreibt. Darüber hinaus sind Methoden des Design Thinking besonders wertvoll, um ein systematisches Vorgehen innerhalb eines Gestaltungsprozesses zu definieren. Der Bereich des Marketing ist zwar hauptsächlich auf das Verkaufen von Produkten fokussiert, Techniken wie die Trendanalyse sind jedoch trotzdem nützliches Rüstzeug beim Nachdenken über die Zukunft. Und besonders in den Geisteswissenschaften gibt es Disziplinen wie die Soziologie oder Geschichtswissenschaften, aus denen Erkenntnisse für unsere Zukunft gewonnen werden können.

Geisteswissenschaften Soziologie

Film / Belletristik Zeitgeschichte

Dramaturgie

Worldbuilding

Szenario­technik

ScienceFiction

Prognostik

DesignFiction

Trendanalyse

Methode 635

Marketing

Design Thinking

Brainstorming

Design

Was ist der radikale Apparat?

Definition


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Die Funktionsweise des Radikalen Apparats ist von all diesen Methoden und Modellen im Ansatz beeinflusst. Gleichzeitig gibt es Alleinstellungsmerkmale, die den Apparat zu einer abgeschlossenen und zielführenden Methode mit besonderen Wirkungseffekten machen. Besonders hervorzuheben ist die klare Struktur und Systematik, die es prinzipiell jedem Nutzer ermöglicht gezielt über die Zukunft nachzudenken und selbst schöpferisch an einem Zukunftsszenario tätig zu werden. So wird zunächst einmal kein Mensch davon ausgeschlossen den Apparat zu nutzen. Natürlich kann es zu unterschiedlicher Qualität im Endergebnis kommen, je nachdem welche Vorerfahrungen die Gruppe mit dem Apparat hat. Aber da das primäre Ziel der Arbeit nicht das Endergebnis sondern der Prozess ist, gibt es keinen Grund Menschen die Möglichkeit zur Partizipation abzusprechen.

A good science fiction story should be able to predict not the automobile but the traffic jam.¶ →  Frederik Pohl

Trendforscher, Futurologen und viele andere Wissenschaftler im Bereich der Zukunft befassen sich hauptsächlich mit Wahrscheinlichkeiten und möglichen Zukunftswelten, die von unserer heutigen Lebenswelt ausgehen. Der Ausgangspunkt des Radikalen Apparats hingegen ist immer eine Disruption, die den Status Quo verändert. Zunächst erschwert dies natürlich den Prozess, denn es soll das Unvorhersehbare antizipiert werden. Andererseits beginnt genau an diesem Punkt der spannende Teil des Konzepts. Denn so können beispielsweise Probleme oder Chancen, die erst in einigen Jahren bevorstehen könnten, in das Hier und Jetzt transportiert werden und so das Bewusstsein schärfen. Gleichermaßen können auch surreale Ideen unser Leben im Hier und Jetzt auf den Kopf stellen und so Lösungsansätze oder Gedankenmodelle ausgetestet werden.

Einstieg


Wir fĂźgen etwas Entscheidendes hinzu, oder nehmen etwas Substanzielles weg.Âś

Was ist der radikale Apparat?

Definition


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Einstieg


Anleitung

ProzessAblauf

Der Radikale Apparat ist in fünf Phasen­gegliedert, die es chronologisch zu ­bearbeiten gilt.¶ Ein radikaler Impuls, der unsere heutige Welt in den Grundfesten erschüttert, spielt dabei die zentrale Rolle.¶


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Zubehör Zu den Bestandteilen des Radikalen Apparats gehört ein faltbares Spielfeld, welches den gesamten Prozess auf einen Blick erfassbar macht. Außerdem 30 leere Ergebnis-Karten, auf denen Arbeitsergebnisse notiert und daraufhin auf dem Spielfeld platziert werden können und 65 Phasen-Karten, die zu jeder der fünf Phasen des Apparats Arbeitsanweisungen oder Hilfsmittel enthalten. Weiterhin sind drei Rollen-Karten enthalten, die über das Profil und die Verantwortlichkeit der jeweiligen Rolle im Prozessablauf informieren. Schließlich beinhaltet der Apparat noch eine Sanduhr zur Zeitmessung, sowie 30 Wahlsteine und ein X-Stein zur Kennzeichnung von Ergebnissen. ↓  1 Spielfeld

↓  1 Sanduhr

↓  65 Phasen-Karten

↓  30 Wahlsteine und 1 X-Stein

I Impuls Karte

↓  30 Ergebnis-Karten

↓  3 Rollen-Karten II Observation Der Analytiker

Der Analytiker

Einstieg

Ergebnis Karte


Vorbereitung Bevor die Gruppenübung gestartet werden kann, muss das Spielfeld aufgebaut und das Zubehör verteilt werden. Legt die jeweiligen Phasen-Karten umgekehrt auf die dafür auf dem Spielfeld vorgesehenen Felder. Verteilt außerdem die Ergebnis-Karten ausgeglichen auf den beiden dafür vorgesehenen Feldern, damit sich alle Teilnehmer jederzeit daran bedienen können. Nun müssen nur noch drei Teilnehmer bestimmt werden, die eine Rollen-Karte erhalten, um an bestimmten Momenten die Verantwortung als Diskussionsführer für den Prozess zu übernehmen:

Der Analytiker Der Analytiker ist Diskussionsführer für Phase II. Seine Stärken liegen im exakten Arbeiten und der Recherche. Er ist wissbegierig, neutral und kann tief in eine Thematik eintauchen um sie aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten.

Der Verknüpfer Der Verknüpfer ist Diskussionsführer für die Phasen III und IV. Seine Stärken liegen im Herstellen und Verstehen von Zusammenhängen. Er ist gedanklich flexibel, weitsichtig, hat große Vorstellungskraft und besitzt eine hohe Kombinationsgabe.

Der Kreative Der Kreative ist Diskussionsführer für Phase V. Seine Stärken liegen im schöpferischen Denken und dem Erzählen von Geschichten. Er ist einfallsreich, neugierig und kann die Welt aus den unterschiedlichsten Perspektiven betrachten.

Prozessablauf

Anleitung


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Spielfeld Das Spielfeld ist in die fünf Bereiche des Radikalen Apparats aufgeteilt. In der Mitte befindet sich der Ausgangspunkt, der radikale Impuls mit den Impuls-Karten und den ersten Arbeitsanweisungen. Um diesen Punkt herum befinden sich die vier weiteren Phasen, die von links oben im Uhrzeigersinn abgearbeitet werden. Die jeweiligen Informationen zum Vorgehen in jeder Phase befinden sich ebenfalls auf dem Spielfeld direkt unter oder über der jeweiligen Phasenbezeichnung.

2

3

1 5

4

Ablauf Zunächst wird innerhalb der Gruppe ein radikaler Impuls gewählt (I Impuls). Dieser muss lediglich radikal sein und unser heutiges Leben von Grund auf verändern. Sobald der Impuls bestimmt wurde, wird in der zweiten Phase die Thematik durch die Recherchearbeit der Teilnehmer aus verschiedenen Blickwinkeln näher betrachtet (II Observation). Daraufhin werden unterschiedliche Bereiche wie Politik, Technik, Umwelt oder Wirtschaft sortiert, je nachdem ob sie von der radikalen Veränderung stark beeinflusst werden oder unberührt bleiben (III Selektion). Nach diesen Vorbereitungen werden von jedem Teilnehmer Zukunftsszenarien erstellt, die eine Welt nach dem radikalen Impuls beschreiben (IV Projektion), um eines dieser Szenarien daraufhin an einem Tag X in der Zukunft näher zu betrachten (V Konsequenz).

Einstieg


Der Radikale Apparat ist als Gruppenübung konzipiert. Aus diesem Grund sind Diskurs und Wissensaustausch sowie Konsensfindung wichtige Bestandteile des Prozesses.¶ Die Übung muss mit mindestens drei Personen durchgeführt werden. Die Personenzahl ist zwar unbegrenzt, die besten Ergebnisse werden jedoch in einer Kleingruppe von drei bis fünf Personen erzielt.¶ Kooperation  →

Prozessablauf

Anleitung


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Einstieg


Anleitung

Experten­Variante

Der Radikale Apparat ist so strukturiert, dass möglichst jeder ohne Vorkenntnisse mit ihm arbeiten kann.¶ Neben der Standardvariante gibt es ­jedoch auch eine Expertenvariante, die mehr Handlungsraum bietet.¶


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Eine Denkmaschine Für erfahrene Nutzer oder Personen, die sich bereits anderweitig intensiv mit dem Thema Zukunftsforschung beschäftigt haben, bietet die Expertenvariante die Möglichkeit eine »Was wäre wenn Frage« noch detaillierter zu bearbeiten. Jede Phase des Radikalen Apparats enthält ohnehin viel Raum zur Interpretation, denn die Regeln sind trotz ihrer exakten Vorgehensbeschreibung lediglich Anhaltspunkte und keineswegs unverrückbare Gesetze. Prinzipiell kann jede Gruppe den Apparat mit ihren eigenen Ideen erweitern, denn jeder Mensch bevorzugt eine andere Arbeitsweise. Die Expertenvariante möchte also genauso wenig wie die Standardvariante in irgendeiner Form festlegen wie eine Gruppe den Apparat benutzen soll. Im Gegenteil, alle Bestandteile der Expertenvariante sind lediglich Vorschläge um die »Was wäre wenn Frage« exakter zu bearbeiten und so ein noch tieferes Verständnis unserer Gegenwart und Zukunft zu erlangen.

Flexibilität Die vorgegebenen Strukturen der fünf Phasen des Radikalen Apparats sind lediglich Anhaltspunkte. Es kann, abhängig von der Situation oder den Bedürfnissen der Teilnehmer, auch spontan oder im Vorfeld eine andere Reihen­ folge festgelegt werden. Teilnehmer die bereits eine große Expertise innerhalb des Themas haben, können auch Phasen komplett auslassen.

Konstellation Bestimmte Zusammenstellungen von Gruppen, die gemeinsam am Radikalen Apparat arbeiten, können zu noch effektiveren Ergebnissen führen. Das Mitwirken von Experten und Laien innerhalb einer entsprechenden Thematik kann so zu einer interessanten Eigendynamik führen. Die Intuition von Laien und das Hintergrundwissen von Experten wird sich im Idealfall perfekt ergänzen und so neue Ideen her­ vorbringen. Auch das Aufeinandertreffen unterschiedlicher Ideologien innerhalb einer Gruppe kann sich, solange die Teilnehmer respektvoll miteinander umgehen, positiv auf den Prozess auswirken.

Einstieg


Immersion Um eine »Was wäre wenn Frage« in größerem Detail zu bearbeiten, bieten sich verschiedene Vorgehensweisen an. Neben einer längeren Rundendauer innerhalb der ObservationPhase und der Projektion-Phase können auch zusätzliche Bereiche in der Selektion-Phase betrachtet werden. Doch besonders in der Konsequenz-Phase gibt es viele Möglichkeiten, die Welt am Tag X noch exakter darzustellen. Teilnehmer, die gerne selbst Texte verfassen, können Kurzgeschichten innerhalb dieser Welt schreiben und so einen neuen Blickwinkel schaffen. Gestalterisch talentierte Teilnehmer können fiktive Artefakte herstellen, die in dieser Welt existieren könnten. Dies sind nur ein paar von unzähligen Möglichkeiten, die sich anbieten, um noch tiefer in die Zukunftswelt einzutauchen.

Extension Die Karten jeder Phase enthalten einige Blanko-Karten. Diese sind noch leer und können von den Teilnehmern selbst mit Inhalten gefüllt werden. So können neben eigenen »Was wäre wenn Fragen« auch Rechercheaufträge oder neue Bereiche in den Prozess eingebracht werden. Durch diese Karten ist der Radikale Apparat im Prinzip mit unendlich vielen Aufträgen erweiterbar und kann Ergebnisse finden, die in der Standardvariante noch nicht bedacht wurden.

Expertenvariante

Anleitung


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I Impuls


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I

Impuls

Der Ausgangspunkt des Apparats ist immer ein radikaler Impuls. Konkret bedeutet das, wir fügen unserer heutigen Welt etwas Entscheidendes hinzu oder nehmen etwas Substanzielles weg. Dieser Eingriff kann realistisch oder surreal sein, alles ist erlaubt, solange es nur radikal ist.¶ Die bereits vorliegenden ImpulsKarten enthalten einige spannende »Was wäre wenn Fragen«, die bearbeitet werden oder als Inspiration für eigene Fragen dienen können.¶ Erläuterung  →


Anleitung

1

Wählt gemeinsam eine Impuls-Karte.

→ Auf dieser Karte steht eine »Was wäre wenn Frage« zu einer radikalen Veränderung unseres Status Quo. Es kann jedoch auch eine eigene Frage erdacht werden.

I Impuls Karte

2

Legt die gewählte Impuls-Karte aufgedeckt auf den Stapel. I nformiert euch danach fünf Minuten lang allgemein zu der entsprechenden Thematik.


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I

Impuls

↓  Die Größe des radikalen Impulses steht nicht in direktem Zusammenhang mit dem möglichen Ausmaß der Veränderung in der Zukunft. Eine scheinbar kleine Veränderung unseres gesellschaftlichen Konstrukts kann in einer möglichen Zukunft trotzdem große Wellen schlagen.


Anleitung

Was wäre, wenn …

Was wäre, wenn …

Geld seinen symbolischen Wert als Zahlungsmittel verliert?

die Polkappen schmelzen?

Was wäre, wenn …

Was wäre, wenn …

die begrenzten Ressourcen auf unserem Planten aufgebraucht sind?

die Grenzen ­jedes Staates ­verschwinden?

United States of the World


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II Observation


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Bevor mögliche Zukunftsszenarien entwickelt und betrachtet werden können, muss sich die Gruppe mit der Thematik beschäftigen, um die sich der radikale Impuls dreht.¶ Die Observation-Karten enthalten unterschiedliche Aufgaben, die es in der jeweiligen Runde zu bearbeiten gilt. Je tiefer die Kenntnisse zur jeweiligen radikalen Veränderung sind, desto genauer kann ihre mögliche Entwicklung in der Zukunft vorhergesehen werden.¶ Erläuterung  →

Der Analytiker II

Observation


Anleitung

1

Jeder Teilnehmer zieht eine Observation-Karte und recherchiert anhand des vorgegebenen Auftrags.

→ Mit Hilfe der Sanduhr kann die Dauer der Phase eingegrenzt werden.

II Observation Karte

Ein Notziblock ist hilfreich, um die recherchierten Informationen zu notieren und sie dann auf einer Ergebnis-Karte zusammenzufassen.¶ Ergebnisse dokumentieren  →


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↑  Wissenschaftliche Publikationen und kreative Werke sind beides wertvolle Quellen, um ein möglichst breites Spektrum an Informationen zu einem radikalen Impuls zu erlangen.

II Observation


Anleitung

2

Notiert eure Rechercheergebnisse auf einer Ergebnis-Karte.

→ Anschließend wird das Ergebnis der Gruppe präsentiert und die Karte im Arbeitsbereich abgelegt.  → Wiederholt diesen Ablauf bis der Analytiker den Vorgang beendet.

Ergebnis Karte

Das Rechercheergebnis sollte immer mindestens eine überprüfbare und glaubhafte Quelle enthalten.¶ Quellen


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III Selektion


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Ein radikaler Impuls kann eine Vielzahl unterschiedlicher Lebensbereiche betreffen. Meist ist nicht nur der ursprüngliche Bereich aus dem sich der Impuls entwickelt hat betroffen, sondern auch viele weitere, die durch die folgenden Kausalketten tangiert werden.¶ Hier gilt es für die Gruppe zunächst abzuschätzen in welchen Bereichen die größten und entscheidendsten Veränderungen entstehen und diese sinnvoll einzuordnen.¶ Erläuterung  →

Der Verknüpfer III Selektion


Anleitung

1

Betrachtet gemeinsam alle Selektion-Karten.

→ Auf den Karten stehen unterschiedliche Bereiche, die von der radikalen Veränderung beeinflusst werden können.

III Selektion Karte

Um einen reibungslosen Ablauf zu gewährleisten, sollte vor der Sortierung jeder Bereich innerhalb der Gruppe einzeln diskutiert werden.¶ Diskussion


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Technik

Religion

Bevรถlkerung

Gesundheit

Kultur

III Selektion


Anleitung

Wirtschaft

01 0 1 01 01 1 01

Arbeitswelt

0 0 1

Wissenschaft

Umwelt

Politik


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↑  Bereiche beeinflussen sich gegenseitig und können sich so, selbst wenn sie nicht direkt vom radikalen Impuls betroffen sind, durch eine Aneinanderreihung verschiedener Kausalitäten verändern.

III Selektion


Anleitung

2

Sortiert die Selektion-Karten, je nachdem ob sie stark oder weniger stark von der Veränderung betroffen sind.

→ Die Arbeitsfläche enthält eine Skala, mit deren Hilfe die Karten sortiert werden können.  → Der Verknüpfer bildet die letzte Instanz, falls bei der Sortierung Uneinigkeit besteht.

Sollten verhältnismäßig viele Selektion-Karten stark oder weniger stark von der radikalen Veränderung betroffen sein, sortiert die Karten nach dem Grad der Betroffenheit.¶ Sortierung


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IV Projektion


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Wie würde die zukünftige Welt nach einer radikaler Veränderung des Hier und Jetzt aussehen? Genau diese Frage soll nun mit Hilfe unterschiedlicher Szenarien beantwortet werden.¶ Jeder Teilnehmer versucht durch die bereits erarbeiteten Informationen einen Einblick in die Zukunft zu beschreiben, indem er ein möglichst genaues Zukunftsszenario erstellt.¶ Erläuterung  →

Der Verknüpfer IV Projektion


Anleitung

1

Jeder Teilnehmer zieht eine Projektion-Karte und erstellt anhand des vorgegebenen Auftrags ein Zukunftsszenario.

→ Mit Hilfe der Sanduhr kann die Dauer der Phase eingegrenzt werden.

Iv Projektion Karte

Bei der Szenarioerstellung sollte besonders auf die Bereiche geachtet werden, die in Phase III als stark betroffen gewertet wurden.¶ Fokus  →


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2

Notiert euer Zukunftsszenario auf einer Ergebnis-Karte.

→ Anschließend wird das Ergebnis der Gruppe präsentiert und die Karte im Arbeitsbereich abgelegt.  → Wiederholt diesen Ablauf bis der Verknüpfer den Vorgang beendet.

Ergebnis Karte

3

Jeder Teilnehmer erhält 3 Wahlsteine, um damit auf die nachvollziehbarsten Szenarien zu setzen.

→ Man darf höchstens mit zwei Steinen auf das gleiche Szenario setzen.  → Das Szenario mit den meisten Wahlsteinen wird weiter verfolgt.

IV Projektion


Anleitung

�  Ein Szenario soll keinen konkreten Punkt in der Zukunft beschreiben, sondern die Entwicklungen, die innerhalb eines bestimmten Zeitraums entstanden sind.


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V Konsequenz


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Ein ausgewählter Zeitpunkt in der Zukunft wird nun genauer betrachtet. Anhand des zuvor mehrheitlich bestimmten Zukunftsszenarios wählt die Gruppe einen Tag X in der Zukunft. Dieser Tag kann ein Jahr oder auch 20 Jahre nach dem radikalen Impuls liegen.¶ Die Konsequenz-Karten enthalten Aufgaben, um die Welt an diesem Tag genauer zu beschreiben und so für die Teilnehmer im Gesamten greifbarer zu machen.¶ Erläuterung  →

Der Kreative V

Konsequenz


Anleitung

1

Legt die Ergebnis-Karte mit dem gewählten Szenario im dafür vorgesehenen Bereich ab.

→ Innerhalb einer Gruppendiskussion wird das Szenario weiter ergänzt.  → Der Kreative notiert die Ergänzungen auf einer Ergebnis-Karte und legt sie im dafür vorgesehenen Bereich ab.

Ergebnis Karte


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V

Konsequenz

↓  Es braucht detaillierte Beschreibungen, um das abstrakte Zukunftsszenario an einem Tag X konkret greifbar zu machen.


Anleitung

2

D iskutiert gemeinsam, welcher Tag X in der Zukunft näher betrachtet wird.

→ Legt den X-Stein an diesen Zeitpunkt des Zeitstrahls.

v Konsequenz Karte

3

Jeder Teilnehmer zieht eine Konsequenz-Karte und beschreibt den Tag X anhand des vorgegebenen Auftrags auf einer Ergebnis-Karte.

→ Anschließend wird das Ergebnis der Gruppe präsentiert und die Karte im Arbeitsbereich abgelegt.  → Wiederholt diesen Ablauf bis der Kreative den Vorgang beendet.


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Abhandlungen


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Abhandlungen


Beitrag

DAS TRUMP ­DISASTER

Es ist mittlerweile keine Frage der ­Vorstellungskraft mehr, sondern Realität. Donald Trump ist US-­Präsident.¶ Eine Präsidentschaftswahl bietet immer­ die Möglichkeit für Veränderungen. Doch selten gab es einen Kandidaten mit einem so exzen­trischen Charakter und ebenso extremen Ansichten.¶


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Die Auswirkungen einer Trump-Präsidentschaft bieten einen Einblick, wie radikaler Wandel in der Realität aussehen kann. So kann man Trumps Präsidentschaft und deren Entwicklungen exemplarisch betrachten, um das Prinzip des Radikalen Apparats nachzuzeichnen. Wir gehen also von der Frage »Was

wäre, wenn Donald Trump Präsident der Vereinigten Staaten ist?« aus. Die Wahl von Donald Trump, sozusagen der Ausgangspunkt des radikalen Wandels, ist eine Tatsache die per se noch nicht positiv oder negativ gewertet werden kann. Doch spätestens während des US-Wahlkampfs hat man die Person Trump und seine Einstellungen und Ansichten kennengelernt. Allein durch diese Informationen und deren Aufbereitung in den Medien entstand eine öffentliche Meinung und zwar nicht nur zur Person Trump, sondern auch zur Bedeutung seiner Präsidentschaft für die Vereinigten Staaten und die gesamte Menschheit. Es gab Anhaltspunkte, insbesondere Trumps Aussagen im Wahlkampf, die durchaus einen ersten Einblick in die bevorstehende Zukunft mit Trump als Präsidenten geben. Dennoch waren ein Großteil der Vorhersagen zu dieser Thematik bestenfalls Vermutungen und meist sehr extrem. Es wurden keine realistischen Bilder einer möglichen Trump Präsidentschaft gezeichnet, sondern Weltuntergangsszenarien.

Eine radikale Veränderung findet vor unseren Augen statt. Wir müssen sie nur betrachten und daraus lernen.¶ Dystopische Geschichten sind spannend, verkaufen sich gut und geben viel Diskussionsstoff. In Science-Fiction Filmen wird man häufig mit schrecklichen Zukunftsbildern konfrontiert und mittlerweile ist der erste Reflex zu einem Zukunftsthema meist ein dystopisches Szenario. Wenn man nun über radikalen Wandel spricht, verstärkt sich dieser Reflex natürlich, besonders wenn man den Status Quo positiv oder zumindest neutral einschätzt.

Abhandlungen


Aber besonders im Fall Donald Trump sollte man nicht direkt denken, dass der Weltuntergang naht. Denn einer der großen Fehler beim Nachdenken über die kommende TrumpPräsidentschaft war die Erwartung, dass alle seine Wahlversprechen eingelöst werden. Der US-Präsident ist zwar einer

der mächtigsten Menschen der Welt, aber er ist nicht allmächtig. Durch das System der  »Checks and Balances«  1 ist der Kongress, sowie der Supreme Court ein Gegengewicht, über das sich der Präsident nicht einfach hinwegsetzen kann. Trotzdem wird es natürlich Veränderungen geben, sie werden jedoch nicht so extrem sein wie viele vermutet hatten. Anhaltspunkte für das Erstellen eines Zukunftsszenarios zur Trump-Präsidentschaft gab es genügend. Zum einen ist da der Charakter Donald Trumps, narzisstisch und von sich selbst überzeugt. Eine Regierung, die sich also selbst keine Fehler eingesteht, war vorhersehbar und eventuell sogar zu erwarten. Ähnlich verhält es sich mit einem von Trumps Wahlversprechen, dem Bau einer Mauer an der Grenze zu Mexiko, finanziert von der mexikanischen Regierung. Mexikos Präsident hatte bereits mitgeteilt, dass er diese Mauer nicht akzeptiert und auf gar keinen Fall finanzieren wird. Aber es gibt natürlich genügend Variablen, die schwieriger oder gar nicht vorhersehbar sind, wie zum Beispiel die Provokationen zwischen den Vereinigten Staaten und Nordkorea. Es sollte somit klar sein, dass Vorhersagen über die Zukunft niemals akkurat sind und als Tatsachen verkauft werden sollten. Doch mit Hilfe von reflektiertem Denken hätte das Schreckgespenst Trump im Vorfeld für weniger Horrorvorstellungen gesorgt.

1  Checks and Balances ist die Bezeichnung für ein System, das die Aufrechterhaltung der Gewaltenteilung in einem Staat ermöglicht und langfristig sicherstellt. Dieses Prinzip wurde 1787 erstmals in der Verfassung der Vereinigten Staaten festgeschrieben.

Das Trump Disaster

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Abhandlungen


Beitrag

Willkommen in Dystopia?

Dystopien sind eine besonders beliebte­ Form der Zukunftsdarstellung in ScienceFiction Filmen. In vielen Fällen ist sogar die dystopische Zukunftswelt das Hauptelement, dass das Publikum anzieht.¶ Doch welche Auswirkungen haben diese negativen Projektionen auf die Gesellschaft und deren Blick auf die Zukunft?¶


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1  Die Rahmenhandlung von »Utopia« beinhaltet die Erzählungen eines Seemannes, der angeblich eine Zeit lang bei den Utopiern gelebt hat. Der Roman beschreibt eine auf rationalen Gleichheitsgrundsätzen sowie dem Streben nach Bildung basierende Gesellschaft mit demokratischen Grundzügen. In der Republik ist aller Besitz gemeinschaftlich, Anwälte sind unbekannt, und unabwendbare Kriege werden bevorzugt mit ausländischen Söldnern geführt.

Abhandlungen

Wenn man die erfolgreichen filmisch umgesetzten Zukunftsvisionen der letzten Jahre betrachtet, so fällt auf, dass es sich vornehmlich um dystopische Szenarien handelt, die ein hoffnungsloses Bild unserer Welt mit wenig Ausblick auf Besserung zeichnen. Besonders im westlichen Kulturkreis wird heutzutage hauptsächlich diese Art des Ausblicks auf die Zukunft präsentiert. Die Frage, die sich nun stellt ist, ob heute aufgrund der vielen dystopischen Ausblicke in Film und Literatur mit Skepsis in die Zukunft geblickt wird, oder ob diese Dystopien Ausdruck einer bereits bestehenden Zukunftsangst sind. Dystopische Geschichten können zu einer bestimmten Zeit auch als Kritik der gesellschaftlichen Umstände aufgefasst werden. Häufig beziehen sich die Geschichten auf mögliche, aber noch nicht eingetroffene, katastrophale Entwicklungen. Die ersten literarischen Dystopien, die ein negatives Zukunftsbild der Gesellschaft zeigen, entstanden im Zuge der industriellen Revolution. Dies war der Moment, in dem die Menschen begannen Fortschritt nicht mehr ausschließlich als etwas positives anzusehen. Besonders die Geschwindigkeit und das Ausmaß der technischen Innovationen, die in diesem Zeitraum entstanden, waren für die Menschen erschreckend. So ist auch heute durch den rasanten Fortschritt, insbesondere im Bereich der Computertechnologie, eine Skepsis und Angst vor der Zukunft spürbar. Doch natürlich ist auch die Utopie ein wichtiger Bestandteil, wenn man über Zukunftsvisionen spricht. Der Begriff entsprang dem Roman  »Utopia«  1 von Schriftsteller Thomas Morus, der im Jahr 1516 erschienen ist. Eine Idealvorstellung oder extrem positive Sicht auf die Zukunft kann ein hilfreiches Werkzeug sein, um zu erkennen, welche Welt sich die Menschen wünschen und erträumen. Dass die Utopie in heutigen Fiktionen nur am Rande eine Rolle spielt, liegt hauptsächlich an dem geringen dramatischen Potenzial welches in der Vorstellung einer perfekten Welt liegt.


The Day After Tomorrow (2004)

Matrix (1999)

Willkommen in Dystopia?

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Der radikale Apparat

Eine Denkmaschine

Generell könnte man behaupten, dass innerhalb prosperierender Gesellschaften eher

utopische Sichtweisen dominieren, wohingegen in Phasen der Depression Dystopien stärker vertreten sind. Somit nehmen die dystopischen

2  In »Zukunft als Katastophe« geht Eva Horn der Geschichte und den Motiven des modernen Katastrophenbewusstseins nach. Sie legt dabei die biopolitischen Konflikte frei, die in den Untergangsszenarien – von der Verdunklung des Globus über den Atomtod bis zum Klimawandel – ausgetragen werden. Die künftige Katastrophe zu entziffern, bedeutet nämlich immer eine Geschichte schon zu Ende zu erzählen, die sich erst noch ereignen soll.

Filme und Bücher von heute mehrheitlich gesellschaftliche Tendenzen auf und übertragen sie überspitzt in die Zukunft. Dystopien sind also das Ergebnis eines unwohlen Gefühls, das uns im Hinblick auf die Zukunft umtreibt. Die Literaturwissenschaftlerin Eva Horn setzt sich in ihrem Buch  »Zukunft als Katastrophe«  2 mit den Hintergründen dieser dystopischen Denkweise auseinander. Dabei sieht sie in dieser Art von Szenarien den Versuch zu erklären wie unsere Gegenwart zu-

sammengesetzt ist und was hierdurch auf die Menschheit zukommt.

Children of Men (2006)

Abhandlungen


Es ist, als rechnete der Mensch sich weg, um zu schauen, was nach ihm noch übrig ist.¶ →  Eva Horn

Der Radikale Apparat möchte die Zukunft als einen Raum betrachten, der frei von dem dystopischen Stereotyp ist, das uns in verschiedensten Arten der medialen Aufbereitung begleitet. Die Zukunft kann die unterschiedlichsten Formen annehmen, besonders wenn sie durch einen radikalen Impuls beeinflusst wird. Um jedoch möglichst nahe an den Kern der wahrscheinlichsten Entwicklung zu gelangen, muss der Blick frei von den häufig in der Fiktion eingeschlagenen Wegen liegen. Im Umkehrschluss können die Gedanken und Ideen von Autoren und Filmemachern aber auch eine Orientierungshilfe sein und inspirieren.

Somit schließt der Apparat ein dystopisches oder utopisches Zukunftsszenario nicht aus. Im Gegenteil, diese Szenarien sind ein wichtiger Teil des Prozesses um mögliche Entwicklungen einzuschätzen, wenn auch nur um sie eventuell später ausschließen zu können.

2012 (2009)

Willkommen in Dystopia?

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Politik ohne Weitsicht

In der heutigen politischen Landschaft werden äußerst wenige Fragen mit Weitsicht diskutiert.¶ Die zukünftigen Auswirkungen von politischen Maßnahmen sind nur selten ein tatsächlicher Faktor innerhalb von Entscheidungsprozessen.¶


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In der Politik ist die wichtigste Zeiteinheit die Wahlperiode. Innerhalb dieses Zeitrahmens werden Maßnahmen vorgenommen und deren mögliche Auswirkungen diskutiert, um Wähler zu überzeugen. Über eine, geschweige denn mehrere Dekaden, erstreckt sich kaum eine Entscheidung, sei es in der kommunalen oder der landesweiten Politik. Natürlich gibt es Ausnahmen, wie das prominente Beispiel des Weltklimavertrags, der ein erst in der Zukunft akut werdendes Problem schon heute behandelt. Doch häufig werden die Interessen bestimmter Lobbygruppen nicht nur höher als die Interessen der Bevölkerung eingestuft, sondern sie werden zusätzlich ohne Blick auf deren Auswirkungen auf die Zukunft umgesetzt. Es ist ein Problem, das durch den Egoismus vieler vorangetrieben wird. Ob es sich nun um den Politiker oder den Bürger handelt, jeder hat in einer gewissen Form Einfluss auf Probleme wie den Klimawandel. Doch ein Großteil der Menschen ist entweder nicht in der Lage einen Blick auf das große Ganze zu werfen oder schlichtweg zu bequem dazu. Auch die mediale Aufbereitung politischer Handlungen trägt zu diesem Dilemma bei. Es werden zu wenige Alternativen für bestehende Probleme in der Öffentlichkeit diskutiert. Stattdessen wird der Status Quo als unverrückbar dargestellt. Problemlösungen, die im Zweifelsfall einfacher oder direkter formuliert sind, werden schnell als Populismus abgetan. Aber ist die politische Landschaft der letzten Jahre tatsächlich so komplex und differenziert? Oder ist die Aussage über die Komplexität unserer Welt zu einer Floskel verkommen, die letztlich nur ein weiterer Ausdruck von Perspektivlosigkeit ist? Lösungsvarianten, die ein langfristiges Umdenken aller Menschen benötigen, werden in der Regel nicht einmal diskutiert.  Bernd Sommer und Harald Welzer  1 schlagen in ihrem Buch 1  Bernd Sommer leitet den Forschungsbereich Transformationsdesign eine kom- Klima, Kultur & Nachhaltigkeit am Flensburger Norplette Umkehr von unserem un- bert Elias Center. Ziel ihrer Forschung ist die Gestaltung gesellschaftlicher Veränderungsprozesse nachhaltigem Lebensstil vor. Sie unter dem Leitbild der Zukunftsfähigkeit. Harald vertreten dabei den Ansatz einer Welzer ist Mitbegründer und Direktor der Stiftung »Welt des Weniger«, in der eine Futurzwei und Professor für Transformationsdesign gerechtere Ressourcenverteilung an der Universität Flensburg. eine lebenswerte Zukunft für alle Menschen ermöglicht. Auch hier können die Klimaschutzbemühungen als ein passendes Beispiel angebracht werden, denn in unserem bisherigen Wirtschaftssystem werden nur immer neue Probleme geschaffen, statt das bestehende Problem zu lösen.

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Doch wie verändert man ein System mit fehlender Weitsicht zu stärkerer Reflexion? Zunächst einmal muss ein Bewusstsein für die Probleme geschaffen werden. Solange nur einige wenige über die Gefahren der Zukunft nachdenken, kann auch nicht erwartet werden, dass politische Entscheidungen darauf eingehen. Der Druck der Bevölkerung kann vieles verändern, so ist z. B. durch die Angst der Menschen vor einer Atomkatastrophe wie in Fukushima die Energiewende in Deutschland beschlossen worden. Mit den richtigen »Was wäre wenn Fragen« kann auch der Radikale Apparat einen Beitrag dazu leisten, die Menschen für die Gefahren der Zukunft zu sensibilisieren. Mit Hilfe von fiktiven Zukunftswelten, die diese Gefahren erst greifbar machen, kann eine neue Perspektive unserer Welt entstehen, die in größeren Zeitfenstern denkt und so Gefahren und Probleme früher erkennt.

Politik ohne Weitsicht

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Die Macht der Revolte

Die Revolution ist die wohl bekannteste­ Form der vom Menschen selbst ge­ schaffenen, radikalen Veränderung.¶ Keine andere Art des Wandels hat ein zuvor festgelegtes Ziel, doch ist ­gleichzeitig so unberechenbar.¶


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Eine Denkmaschine Veränderungen können sich in Form einer Evolution langsam entwickeln, oder sie geschehen in einem verhältnismäßig kurzen Zeitraum innerhalb einer Revolution. Im Gegensatz zur Evolution ist die Revolution stark mit dem Begriff der Radikalität verknüpft. Ein Revolutionär möchte etwas verändern, ist unzufrieden mit dem Status Quo und nimmt dabei bewusst eine aktive Rolle ein. Ein struktureller Wandel soll entstehen und so die zukünftige Welt erneuern. In einer Evolution hingegen existiert keine konkrete Motivation, die eine Veränderung anstrebt. Der Begriff der Revolte oder Revolution wird im politischen Kontext meist als der durch Menschen organisierte Niederschlag des herrschenden Systems bezeichnet. Er beschreibt so die versuchte Veränderung einer bestehenden staatlichen Ordnung entweder durch die Einführung eines neuen politischen Systems, oder durch den Austausch des bestehenden Machthabers. Dieser Wandel vollzieht sich meist illegal und mit militanten Mitteln. In ihrer Publikation »Einführung in die politische Philoso1  Hannah Arendt war eine politische phie« beschreibt  Hannah Arendt  1 das neuzeitliche Phänomen Theoretikerin und Publizistin. Sie ver- der Revolution. Von politischen Akteuren wird eine Revolution trat ein Konzept von »Pluralität« im als unvermeidlich empfunden, wodurch sie ihren Führungsanpolitischen Raum. Demnach besteht zwischen den Menschen eine poten- spruch legitimieren und politische Andersdenkenden liquidieren. tielle Freiheit und Gleichheit in der Po- Andererseits ist der politische Prozess innerhalb einer Revolitik. Ihre öffentlichen Stellungnahmen lution in Form von Räten äußerst aktiv und bildet so spontane zu politischen Ereignissen waren häu- Volksorgane, die jedem Zugang zum öffentlichen Raum der Pofig unter Gegnern und Freunden umlitik bieten. stritten. Ihre Zivilcourage wurde oft als Unnachgiebigkeit empfunden und bekämpft, insbesondere ihre Arbeit im Rahmen des Eichmann-Prozesses.

Der radikalste Revolutionär ist ein Konservativer am Tag nach der Revolution.¶ →  Hannah Arendt

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Der interessante Teil einer solchen Revolution ist das Ziel, welches vor der Ausführung ins Auge gefasst wird. Hier lässt sich, anders als bei anderen radikalen Veränderungen, die oft durch den Zufall beeinflusst werden, eine interessante Verbindung zwischen Wunsch und Realität betrachten. So zeigt sich, dass teilweise eine sehr große Diskrepanz zwischen den eigentlichen Zielen einer Revolution und den tatsächlichen Auswirkungen liegen kann. Einige der Hauptgründe, aus denen in modernen Gesellschaften Revolutionen entstehen, sind plötzliche Rezessionen, öffentliche Meinungen gegen bestehende Institutionen oder eine bestimmte Ideologie, die gegenläufig zur bestehenden ist. Eine der bekanntesten ideologischen Revolutionen ist mit Sicherheit die  russische Revolution  2, 2  Der russische Bürgerkrieg von 1917 bis 1921 kostete die eine Veränderung der politischen Land- über 8 Millionen Menschen das Leben. Die Bolschewiki schaft von der zaristischen Autokratie zum gingen als Sieger aus der Auseinandersetzung hervor und gründeten Ende 1922 die Sowjetunion. Bolschewismus zur Folge hatte. Nun ist besonders hier der starke Unterschied zwischen der ursprünglichen, marxistisch-leninistisch geprägten Ideologie auf der die Revolution aufgebaut wurde und der tatsächlichen Entwicklung Russlands zu einer Diktatur auffällig. Doch auch ohne eine politische Motivation kann eine Revolution des bestehenden Status Quo entstehen. Eine Umwälzung, die unser Leben bis heute stark prägt und beeinflusst, ist die  industrielle Revolution  3, die 3  Die industrielle Revolution führte zu einer stark beden Übergang von der Agrargesellschaft zur schleunigten Entwicklung von Technik, Produktivität und Industriegesellschaft seit der zweiten Hälfte Wissenschaften, die begleitet von einer starken Bevölkerungszunahme, mit einer neuartigen Zuspitzung sodes 18. Jahrhunderts beschreibt. Innovationen zialer Missstände einherging. Daraus ergab sich als ein und Techniken, die in einem relativ kurzen Zeit- gesellschaftspolitisches Kernproblem die soziale Fraraum entwickelt wurden, führten nicht nur zur ge, verbunden mit wiederkehrenden Arbeiterunruhen Nutzung eben dieser Technologien, sondern und Bemühungen von Sozialreformern, die akute Not zu lindern und deren Ursachen zu bekämpfen. auch zu politischen und gesamt-gesellschaftlichen Umwälzungen, welche zu unserer heutigen Gesellschaftsordnung geführt haben. Und genau das ist es, was alle Arten der Revolution gemein haben: Sie ziehen einen sozialen und gesellschaftlichen Wandel nach sich. So lässt sich feststellen, dass radikaler Wandel, besonders in Form einer Revolution, niemals vorhersehbar oder konkret steuerbar ist. Die Zukunft kann durch zu viele Ereignisse beeinflusst werden, als dass gute oder schlechte Intentionen tatsächlich auch zu einem guten oder schlechten Ergebnis führen müssen.

Deshalb sollte auch der Impuls des Radikalen Apparats niemals voreingenommen betrachtet werden, denn die Folgen sind nie mit Sicherheit abzuschätzen und selbst das detaillierteste Ergebnis spiegelt keine tatsächliche Wahrheit wider.

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Gefahren der Moderne

Seit Beginn des 21. Jahrhunderts mehren sich die Zeichen einer tiefen Krise.¶ Bevölkerungswachstum oder Ressourcenknappheit sind nur zwei von vielen Problemen, denen sich die Menschheit in den nächsten 50 Jahren stellen muss.¶


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Es sind die Anzeichen einer tiefen Ohnmacht. Viele Prozesse, die in den letzten Jahren oder Jahrzehnten begonnen haben, entwickeln sich mehr und mehr zu Risiken für ein friedliches Zusammenleben auf unserem Planeten oder sogar zu existenziellen Gefahren für die Menschheit. Eines der prominentesten Beispiele ist die Flüchtlingskrise, die Europa spaltet und voraussichtlich nur ein Vorgeschmack auf das ist, was den Kontinent in Zukunft erwartet. Doch wie sind solche Prozesse noch aufzuhalten? Die Diskrepanz zwischen Entwick-

lungsländern und den westlichen Industrienationen ist mittlerweile so groß geworden, dass es augenscheinlich keine Möglichkeiten mehr gibt sie rückgängig zu machen. Im Gegenteil, die Unterschiede werden immer größer. Die Wachstumsbemühungen der Industriestaaten sind so hoch, dass sie nur durch eine immer größere Ausnutzung schwächerer Staaten gelingen kann. Doch hierdurch entstehen nicht nur Flüchtlingsproblematiken, sondern gleichzeitig ökologische Gefahren für unseren Planeten. Die Ausbeutung unserer begrenzten Ressourcen und die damit einhergehende Verschmutzung unserer Umwelt ist auf ein so gefährliches Maß angestiegen, das sie kaum mehr umzukehren ist. Der Klimawandel ist ein menschgemachtes Problem, das auch nur durch den Menschen wieder aufgehalten werden kann. Doch bisherige Bemühungen geben kaum Hoffnung, dass unsere heutige Wachstumsgesellschaft auch den Willen hat, dies zu tun. Das  Millenium Project  1, ein internatio- 1  Das Millenium Project ist eine naler Think Tank der jährlich Zukunftsstudien Non-Profit-Organisation, in der Wiserstellt, beschäftigt sich mit den zukünftigen senschaftler aus aller Welt zusammenarbeiten. Sie sammelt InformaChancen und Problemen, die auf die Mensch- tionen über Zukunftsstudien und heit zukommen werden. Neben positiven Ent- produziert seit 1997 jährlich einen wicklungen, wie einem weltweiten Anstieg der »State of the Future«-Report und Bildung und gleichzeitiger Verringerung der die »Futures Research Methodology Series«. Armut, gibt es viele Herausforderungen, die ei-

nen wenig optimistischen Blick auf die Zukunft zulassen. Drohende Wasserknappheit durch einen sinkenden Süßwasserspiegel auf allen Kontinenten, sowie starke Wasserverschmutzung stehen in Zukunft bevor. Gleichzeitig hat sich zwar die extreme Armut verringert, doch der Unterschied zwischen Arm und Reich wird immer größer. Mittlerweile besitzen die reichsten 85 Menschen der Welt so viel wie die arme Hälfte der Menschheit zusammen. Doch nicht nur die großen und viel diskutierten Probleme werden uns in Zukunft noch beschäftigen. Durch die zunehmende Digitalisierung unserer Lebenswelt droht sich ein Hyperkapitalismus an, dessen Folgen nur schwer abzuschätzen sind. Eine kommerzielle Ausbeutung aller Lebensbereiche würde so das gesamte Leben eines Menschen zu einer einzigen Kundenbeziehung mit unterschiedlichen Firmen machen. Auch der demografische Wandel wird zu einer Veränderung der bekannten Lebenswelten führen. Bis zum Jahr 2050 wird beispielsweise die deutsche Bevölkerung um rund sieben Millionen Menschen schrumpfen und so die Gesellschaft spürbar verändern.

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Die Probleme von morgen können in der Theorie des Radikalen Apparats bereits heute eintreten.¶ Heute

Morgen

Bevor damit begonnen werden kann, Antworten auf viele dieser komplexen und schwerwiegenden Veränderungen zu finden, muss in der Gesellschaft ein Bewusstsein für all diese Probleme geschaffen werden. Genau an diesem Punkt setzt der Radikale Apparat an, denn es fällt dem Menschen schwer sich die abstrakten Probleme der Zukunft vorzustellen. So kann mit Hilfe des radikalen Impulses jede kritische Auswirkung unseres heutigen Handelns ins Hier und Jetzt übertragen werden. Gehen wir also beispielsweise davon aus, dass die Menschheit in nicht allzu ferner Zukunft an einen Punkt kommt, an dem sie alle begrenzten Ressourcen des Planeten verbraucht hat, kann man dieses Problem schon heute betrachten. Die Frage würde dann lauten: »Was wäre, wenn die begrenzten Ressourcen auf unserem Planeten aufgebraucht sind?«. So kann ein Lernprozess eintreten, der die Bedeutung und die Auswirkungen einer solchen Problematik greifbar macht und zum Umdenken anregt.

Übermorgen

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Design ohne Funktion?

Heutzutage ist der weit verbreitete Ausspruch »form follows function« zu einem Leitsatz für Designer geworden.¶ Kann es überhaupt funktionsloses­ ­Design geben? Oder ist in manchen ­Fällen die Funktion einfach nicht auf den ersten Blick e­ rkennbar?¶


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Zunächst gilt es festzustellen, dass der Designbegriff anfangs den Entwurf sowie die Planung eines Objekts beschrieben hat. Das italienische Wort »Disegno«, welches vom lateinischen »designare« abstammt, bedeutet Zeichnung sowohl als künstlerische Idee, sowie als geistiges Konzept. Nun lässt sich alleine aus dieser Definition eine sehr weit gefasste Bedeutung des Begriffs Design erkennen. Alles, was in irgendeiner Form geplant oder entworfen wurde, ist somit Design. Später wurde Design in einer leicht veränderten Art und Weise interpretiert. Das Bauhaus fasste den bereits zuvor bekannten Ansatz »form follows function« als »Verzicht auf jegliches Ornament« auf. So soll jeder Akt der Formgebung tatsächlich eine Funktion haben und nicht der Verzierung gelten. Die Interpretation hat sich seitdem zwar wieder in verschiedene Richtungen geändert, jedoch blieb bis heute immer ein Teil dieses Grundsatzes erhalten. Der Designer  Jeffrey Zeldman  1 nennt beispielsweise statt der Funktion den Inhalt als einen wichtigen Faktor für Design und beschreibt dabei gleichzeitig den Begriff Dekoration, ähnlich dem Ornament, als dessen Gegenstück. »Design setzt Inhalt voraus. Design ohne Inhalt ist kein Design, sondern Dekoration«. Gutes Design hat also nach heutigem Verständnis nicht die alleinige Aufgabe der Ästhetik, sondern soll durch Inhalt und Funktion glänzen und außerdem schön anzusehen sein.

2  Jochen Gros entwickelte 1983 den »Offenbacher Ansatz«. Er bezieht sich vor allem auf Produkte und deren semantische Ebenen in Form von praktischen Funktionen, formal-ästhetischen Funktionen und zeichenhaften / semantischen Funktionen. 3  Beat Schneider stellt in seinem Buch »Design – Eine Einführung« die Kategorien technisch-praktischer Funktionen, ästhetischer Funktionen und symbolischer Funktionen vor und geht damit über das Produktdesign hinaus.

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1  Jeffrey Zeldman ist ein amerikanischer Unternehmer, Web-Designer, Autor und Redner. Er ist der Gründer des »A List Apart Magazine« und der Design Studios »Happy Cog« und »studio zeldman«.

Wenn also die Funktion so eng mit der Gestaltung verbunden ist, drängt sich die Frage auf, wie man die Funktion überhaupt definieren kann. Der Begriff an sich, besonders in diesem Kontext, ist unpräzise. Mit genügend Phantasie kann eine Funktion oder ein Nutzen aus jedem Objekt gezogen werden, denn es existieren im Grunde ebenso viele Funktionen wie menschliche Bedürfnisse. Es gab in der Designgeschichte jedoch einige Versuche, einen Katalog von designspezifischen Funktionen zu entwickeln. Neben  praktischen, ästhetischen und semantischen Funktionen  2 gibt es auch Ansätze, die beispielsweise eine  symbolische Funktion  3 von Design nennen.


Nun gibt es mittlerweile Disziplinen innerhalb des Designspektrums, die sich nicht mehr im klassischen Feld der Gestaltung von konkreten Produkten aufhalten. Eine dieser Disziplinen nennt sich  Spekulatives Design  4. Es beschreibt die Schnittmenge zwischen Design und Zukunftsforschung, quasi eine Designforschung mit gesellschaftlichem Auftrag. Spekulatives Design erstellt imaginäre Entwürfe, die eine Inszenierung von Innovationsprozessen innerhalb möglicher Zukunftsvisionen enthält. Kritiker nennen die Ergebnisse reine Spekulation mit künstlerischem Einschlag und sehen sie als zu ziellos an, um die wirklichen Probleme des 21. Jahrhunderts zu lösen. Doch der Anspruch der Problemlösung steckt eben nicht primär in dieser Interpretation des Designbegriffs. Es ist ein Weg, um den Menschen eine Anregung zur eigenen Spekulation zu geben und gleichzeitig einen Dialog über die möglichen Probleme der Zukunft zu eröffnen. Auch wenn auf den ersten Blick kein konkreter Nutzen sichtbar wird, steckt im spekulativen Design die durchaus interessante und nützliche Funktion des »zum selbst Denken anregen«.

4  Der Begriff Spekulatives Design ist eine von Anthony Dunne und Fiona Raby eingeführte Weiterentwicklung des ebenfalls von ihnen konzipierten »Critical Design«. Die beiden Designer arbeiten seit den 1990er-Jahren an diesen Themen im Rahmen ihrer Tätigkeit am Royal College of Art in London sowie ihrer Praxis im Designstudio Dunne und Raby.

Dunne and Raby, United Micro Kingdoms

Einen ähnlichen Gedanken verfolgt auch der Radikale Apparat. Seine Funktion als Designobjekt ist für viele nicht gleich erkennbar. Man könnte ihn als eine Art »Ratgeber für Anfänger zum spekulativen Design« bezeichnen. Die Funktion an sich ist es also, den Menschen einen Einblick in die Zukunftsforschung zu geben und gleichzeitig auf drängende Fragen des 21. Jahrhunderts aufmerksam zu machen. Das Schaffen von Aufmerksamkeit und das Nachdenken über zukünftige Probleme ist somit der primäre Nutzen, den jeder Teilnehmer der Gruppenübung hat. In einem erweiterten Designkontext kann man nach der Arbeit mit dem Apparat sogar seine Nutzer selbst als Designer betrachten. Sie haben gemeinsam eine Zukunftswelt entworfen und in der letzten Phase sogar in Ansätzen selbst gestaltet.

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Partizipatives Design

Die Begriffe Partizipation und Demokratie werden primär mit dem politischen ­Sektor assoziiert und gleichzeitig mit einer freiheitlichen und gerechten ­Ordnung innerhalb eines Staates.¶ Nun können aber auch Bereiche, die sich nicht direkt auf eine Regierungsform beziehen, demo­kratisch sein. Ein Beispiel hierfür ist Partizipatives oder auch Demokratisches Design.¶


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Geprägt wurde die Grundidee des partizipativen Designbegriffs wohl von Victor Papanek, der in seinem Buch »Design for the real world« jeden Menschen als Gestalter und alles was wir tun als Design betrachtet hat. In eine ähnliche Richtung geht auch Joseph Beuys, der die These aufgestellt hat, dass  jeder Mensch ein Künstler sei  1. Es besteht jedoch ein Unterschied zwischen der direkten Beteiligung von Menschen an der Gestaltung der Welt und der Ermächtigung des Menschen zum Gestalten. Ersteres will es jedem Menschen ermöglichen direkt an einem Gestaltungsprozess teilzunehmen, letzteres betrachtet zwar jeden Menschen als Gestalter, gibt ihm aber darüber hinaus keine Möglichkeit zur Teilnahme.

1  »[…] Denn wir sind ja alle sehr entwickelt, wir haben alle eine reiche Geschichte hinter uns, wir sind sogar in einer Zeit groß geworden, in der die Menschheit zu Genialem fähig war. Also wenn da steht, jeder Mensch ist ein Künstler, ist das nicht eine Tatsache, von der ich annehme, man müsse daran glauben, sondern das Ergebnis meiner Arbeit. […]«

Wie müssen Entwürfe gestaltet sein, dass die Nachfolgenden sie zum Voranschreiten nutzen können, aber zugleich so wenig wie möglich von ihnen behindert werden?¶ →  Vilém Flusser

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Bereits jetzt wird klar, wie unscharf der Begriff Partizipatives Design ist und wie viel Interpretationsspielraum er genau deshalb bietet. Heute ist Gestaltung mehr denn je eine exkludierende Tätigkeit. Professionelle Gestalter versuchen mit allen Mitteln Laien zu verdeutlichen, dass sie die Deutungshoheit über »gutes« Design haben. Das widerspricht nicht nur grundsätzlich dem Gedanken des Partizipativen Designs, sondern schließt fast alle Menschen kategorisch davon aus kreativ oder schöpferisch tätig zu werden. Die logische Entwicklung hieraus ist der Satz »Ich bin doch nicht kreativ«, den Menschen häufig aus fehlendem Selbstbewusstsein gegenüber ihrem kreativen Potenzial aussprechen.

Gleichzeitig ist kreatives Arbeiten natürlich etwas, das gelernt und trainiert werden muss. Außerdem ist es oftmals eine Frage der richtigen Strategie und Anleitung. Und wenn man annimmt, dass jeder Mensch Gestalter sein kann, dann sollte es auch Möglichkeiten geben den Mensch als Individuum oder als Gruppe in bestimmten Kontexten zum Gestalten anzuregen und anzuleiten. Dafür müssen noch nicht einmal Fertigkeiten zur Formgebung oder Visualisierung ausgebildet werden, denn ein weit gefasster Gestaltungsbegriff beinhaltet mehr als nur formelle Gestaltungskompetenz. Aus diesem Grund hat der Gedanke des Partizipativen Designs auch viele Aspekte des Radikalen Apparats geprägt. Besonders der Anspruch, dass möglichst jeder Mensch in der Lage sein soll den Apparat zu nutzen, kann man direkt darauf zurück führen. Innerhalb der Vorgaben werden die Nutzer zwar geführt, aber sie sollen auch selbst Ideen in Form von Szenarien und Geschichten einbringen und kreativ arbeiten. Letztlich will der Radikale Apparat, im Gegensatz zur klassischen Definition des Designbegriffs, kein konkretes Ergebnis hervorbringen, sondern sieht den Arbeitsprozess und den Erkenntnisgewinn der Nutzer als das primäre Ziel an. Spannende Szenarien und Ideen wie die Zukunft in einer radikal veränderten Welt aussehen könnte, sind somit zwar ein Bestandteil des Prozesses, aber eben nicht die wichtigste Komponente.

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Prozess als Priorität

Wer bestimmt was ein guter Zukunftsentwurf ist und welchen Maßstab sollte man festlegen, um ein Zukunftsszenario zu bewerten?¶ Der Radikale Apparat entscheidet nicht zwischen richtig und falsch oder möglich und unmöglich. Jede Antwort ist erlaubt und jeder Gedanke wertvoll.¶


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Das Ziel des Radikalen Apparats ist nicht die Antwort auf eine radikale Frage, sondern die Suche danach.¶

Die Komplexität unserer Welt macht es nahezu unmöglich die Zukunft vorherzusagen. Scheinbar kleine Entwicklungen können einen großen Einfluss auf die Gesellschaft haben, wo hingegen selbst ein radikaler Impuls die Welt nicht aus den Angeln heben muss. Das bedeutet, die Zukunft ist zunächst einmal nicht konkret vorhersehbar. Gleichzeitig ist sie aber auch nicht vollkommen willkürlich. Schon aus Entwicklungen der Vergangenheit lassen sich logische Kausalketten erkennen, die jede Innovation oder Entwicklung in gewisser Hinsicht nachvollziehbar machen. Und so verhält es sich auch mit der Zukunft, denn auch was noch passieren wird, wird später in irgendeiner Form logisch nachvollziehbar sein. Genau wie ein besseres Verständnis für unsere heutige Welt erst erlangt werden kann, wenn komplexe Vorgänge nachvollziehbar werden, so verhält es sich auch mit der Zukunft. Je stärker auf die Entwicklung der Zukunft im Ganzen eingegangen wird und eben nicht nur auf einen abgeschlossenen Bereich, desto exakter und vor allem ganzheitlicher kann man die Zukunft greifbar machen. Im Kontext des Radikalen Apparats beginnt dieser Prozess bereits mit der anfangs gestellten »Was wäre wenn Frage«. Diese Frage eröffnet dem Nutzer eine gänzlich neue Welt, die es zu entdecken und erforschen gilt. Man sollte jedoch nicht den Fehler machen und denken, dass es auf diese Ausgangsfrage auch die eine, richtige Antwort gibt. Besonders der Radikale Apparat kann niemals eine finale oder endgültige Antwort finden. Das Ergebnis ist flexibel, formbar und selbst nachdem sich die Gruppe innerhalb des Prozesses für ein Szenario entschieden hat, beschreibt es keine endgültige Lösung. Aber das ist auch nicht die Aufgabe des Radikalen Apparats. Da die fiktiven radikalen Fragen sowieso niemals (oder erst in fernen Zukunft) überprüft werden können, macht es keinen Sinn ein erstelltes Zukunftsszenario als richtig oder falsch einzustufen. Es gibt natürlich wahrscheinlichere oder logisch nachvollziehbarere Szenarien. Diese müssen durch Diskurs und Hinterfragen herausgearbeitet werden und bieten trotz alledem niemals die eine richtige Antwort.

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Der eigentliche Wert des Radikalen Apparats steckt in drei unterschiedlichen Abschnitten. Zum einen in einer interessanten, relevanten und provokativ radikalen Ausgangsfrage, die direkt zum Nachdenken anregt. Diese Frage muss es schaffen die Welt auf den Kopf zu stellen und unser aller Leben in der Zukunft grundlegend verändern.

Der zweite wertvolle Abschnitt ist der Prozess­ ablauf. Die vier Phasen nach dem Impuls sind es, die den Nutzern neue Gedankenwelten eröffnen. Durch das Informieren, Einordnen und Nachdenken entsteht eine Auseinandersetzungen mit wichtigen Themen, die sonst vielleicht nie bedacht worden wären. Der abgedroschene Ausspruch der Weg ist das Ziel hat im Kontext des Radikalen Apparats also seine Berechtigung. Denn es zählt nicht wie gut oder schlecht, schön oder hässlich das erarbeitete Zukunftsszenario ist, sondern dass es den Nutzern dabei geholfen hat ihren Horizont zu erweitern. Wenn es der Radikale Apparat schafft, einem Nutzer unsere heutige Welt im Bezug auf die Implikationen der radikalen Frage mit anderen Augen sehen zu lassen, dann hat er sein Ziel erreicht.

Zuletzt kann der Radikale Apparat auch für Menschen interessant sein, die nicht direkt am Prozess teilgenommen haben. Erarbeitete Ergebnisse können aufbereitet und anderen präsentiert werden. So kann ein Ergebnis des Radikalen Apparats auch als Denkanstoß oder Diskussionsgrundlage für diejenigen dienen, die nicht direkt an der Arbeit beteiligt waren.

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Prognostische Kompetenz

Wie sieht der perfekte Nutzer des ­Radikalen Apparats aus? Und welche ­Fähigkeiten und Kenntnisse benötigt er, um möglichst effektiv in die Zukunft sehen zu können?¶ Unter dem Begriff Prognostische ­Kompetenz werden die Fertigkeiten ­gesammelt, die den Blick in die ­Zukunft erleichtern.¶


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Wenn in diesem Essay von einem fiktiven perfekten Nutzer gesprochen wird, so ist nicht die Rede von Jemandem, der eine perfekte Vision der Zukunft im ganzheitlichen oder absoluten Sinne erdenken kann. Ein guter Prognostiker, und somit auch ein effektiver Nutzer des Radikalen Apparats, kann im besten Fall interessante und gleichzeitig wahrscheinliche Zusammenhänge zu einem schlüssigen Zukunftsbild zusammensetzen. Doch wer ist gut darin, möglichst gezielt nach vorne zu sehen? Gibt es bestimmte Ausbildungen, die die prognostische Kompetenz schulen? Der kanadische Psychologe und Politikwissenschaftler  Philip Tetlock  1 versucht seit 30 Jahren herauszufinden, welche Menschen besonders treffend die Zukunft vorhersagen können. Seinen ersten Versuch startete er 1987, als er 300 Fachleute aus den Bereichen der Wirtschaft, Politik und Wissenschaft um eine Prognose für die Welt in zwanzig Jahren bat. Das überraschende Fazit war, dass diese Experten extrem schlechte Prognosen abgegeben hatten. 1  Philip E. Tetlock ist ein US-amerikanischer Psychologe und Professor an der University of California. Er beschäftigt sich unter anderem mit dem Umgang von Experten mit Prognosen, sowie der Verzerrungen bei Entscheidungsfindungen des Menschen.

It follows that the goal of forecasting is not to see what’s coming. It is to advance the interests of the forecaster and the forecaster’s tribe.¶ →  Philip Tetlock

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Im Jahr 2011 unternahm er erneut  einen Versuch  2. 2  Von 2011 bis 2015 untersuchte Diesmal, mit Hilfe der Möglichkeiten des Internets, mit mehr Philip Tetlock in Zusammenarbeit mit als 20.000 Teilnehmern. Und dieses Teilnehmerfeld bestand dem amerikanischen Geheimdienst, wie Vorhersagen von politischen und nicht mehr ausschließlich aus Experten, sondern aus »ganz ökonomischen Entwicklungen verbesnormalen« Leuten, die ihre Einschätzung zu den unterschied- sert werden können. Erste Ergebnisse lichsten Themenbereichen abgaben und dabei zusätzlich die enthält das Buch »Superforecasting. Die Kunst der richtigen Prognose«, das Möglichkeit hatten, ihre These wieder zu ändern. Tetlock mit dem Journalisten Dan GardDurch dieses Experiment entdeckte Tetlock soge- ner geschrieben hat. nannte »Superforecaster«. Diese Personen treffen im Durchschnitt genauere Vorhersagen als Experten der Nachrichtendienste. Und der entscheidende Grund für diesen Vorsprung sei laut Tetlock nicht die Intelligenz oder das Vorwissen der Prognostiker, sondern Bescheidenheit, Teamgeist, unterschiedliche Informationsquellen sowie die Bereitschaft die eigenen Ansichten zu hinterfragen. Somit ergibt sich für diese Super-Prognostiker ein recht genaues Profil: Sie scheuen sich nicht ihre Vorhersagen zu korrigieren, ziehen

verschiedene Quellen und Meinungen zu Rate, lernen schnell aus ihren Fehlern und erkennen Allegorien aus historischen Entwicklungen. Dieses Ergebnis gibt einen schönen Blick darauf, was ein Prognostiker tatsächlich an Fähigkeiten mitbringen sollte. Eins zu eins lässt sich dies jedoch nicht auf den Radikalen Apparat übertragen. Hier werden teil­weise andere Anforderungen gestellt, da es um eine fiktive radikale Veränderung geht und ein Blick in eine veränderte Welt geworfen werden soll. Schon die Konzeption des Apparats setzt eine der wichtigsten Anforderungen voraus. Da der Apparat von mindestens drei Personen genutzt werden muss, ist die Diskursfähigkeit und das Arbeiten im Team eine extrem wichtige Fähigkeit des perfekten Nutzers. Hinzu kommt eine starke Selbstreflexion des eigenen Wesens und ein gutes Einschätzungsvermögen menschlichen Verhaltens im Allgemeinen. Eine gedankliche Flexibilität und gleichzeitig das schnelle Herstellen von Verknüpfungen ist eine andere Eigenschaft, die der perfekte Nutzer mitbringen sollte. Letztlich lässt sich aus dem ersten Experiment von Philip Tetlock feststellen, dass Experten zwar nicht als Vorhersager geeignet sind, sich aber trotzdem als hilfreiche Quellen zur umfangreichen Recherche in einem gewissen Themengebiet anbieten. Und das Können, die richtigen Fragen an Experten zu stellen und möglichst effektiv damit zu arbeiten, ist ein weitere wichtige Fertigkeit. Doch wie zu Beginn bereits festgestellt, ist der perfekte Nutzer eine rein fiktive Figur, die lediglich zur Einschätzung des Anforderungsprofils für den Radikalen Apparat genutzt wird. Ein Nutzer muss keine dieser Fähigkeiten besitzen, es wird ihm lediglich leichter fallen zu einem Ergebnis zu kommen. Denn nicht jeder Mensch ist ein guter Vorhersager, aber jeder Mensch hat eine Meinung und Vorstellungskraft, die er im Rahmen des Radikalen Apparats nutzen und verbessern kann.

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Gespräche


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Interview

Ulrich Reinhardt www.ulrichreinhardt.de

Prof. Dr. Ulrich Reinhardt ist Zukunftswissenschaftler und W ­ issenschaftlicher Leiter der »Stiftung für Zukunftsfragen«.¶ Er hält eine Professur für Empirische Zukunftsforschung am Fachbereich Wirtschaft der FH Westküste in Heide.¶


Der radikale Apparat

Eine Denkmaschine Sehen Sie einen Mehrwert im Nachdenken über die Zukunft in Form von »Was wäre wenn Szenarien«? Wo sind die Stärken und Schwächen einer solchen Herangehensweise? Ulrich Reinhardt »Was wäre wenn Szenarien« sind interessante Ansätze, um mögliche zukünftige Konsequenzen durchzuspielen. Was für einen Einfluss haben heutige Handlungen auf die Zukunft? Die Stärke dieser Herangehensweise ist die Reflexion. Die Schwäche liegt in den Mutmaßungen, die angestellt werden. Ziel der Zukunftsforschung ist es ganz klar, verlässliche Aussagen über die Zukunft treffen zu können.

Glauben Sie, dass jeder Mensch in der Lage ist reflektiert über die Zukunft nachzudenken? Ulrich Reinhardt Jeder Mensch ist fähig dazu, über die Zukunft nachzudenken. Der Grad der möglichen Reflexion ist jedoch von Person zu Person unterschiedlich. Zudem spielen auch Bildung, Interesse und Zeit eine wichtige Rolle. Reicht die Bildung bzw. das erlernte Wissen aus, um zukünftige Entwicklungen aus aktuellen Situationen ableiten zu können? Nimmt man sich genügend (Frei-)Zeit, um nachzudenken und interessiert man sich überhaupt dafür? Zwischen privaten und beruflichen Verpflichtungen kommt das Denken über zukünftige Probleme und Entwicklungen manchmal zu kurz.

Was sind besondere prognostische Kompetenzen, die man mitbringen sollte, wenn man glaubhafte Zukunftsszenarien entwickeln möchte? Ulrich Reinhardt Zu den Kompetenzen zählt vor allem die Fähigkeit kom­ plexe Zusammenhänge zu verstehen und im Zusammenspiel mit quantitativen und qualitativen Erhebungen, diese zu analysieren, um dann Aussagen über zukünftige Entwicklungen ableiten zu können. Darüber hinaus sind Soft Skills wie Offenheit, Toleranz, Neugierde oder Flexibilität wichtig.

Zukunft ist Herkunft. Das bedeutet, dass zukünftige Entwicklungen immer mit vergangenen verbunden sind und die Vergangenheit die Zukunft beeinflusst.¶ →  Ulrich Reinhardt

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Bietet das Nachdenken über die Zukunft eine Möglichkeit unsere heutige Welt besser zu verstehen? Ulrich Reinhardt Definitiv. Denn nur mit einem Rückblick in die Vergangenheit können wir versuchen dynamische Entwicklungen der Gegenwart und Zukunft zu verstehen und erklären. Wenn wir in Zukunft nachhaltig leben wollen, müssen wir jetzt dafür die Grundlagen schaffen. Die Antwort auf die Frage »Warum wird nicht an zukünftige Konsequenzen gedacht?« erklärt das heutige Denken und Handeln. Wenn dies bewusst ist, können zukünftige Entwicklungen realistisch eingeschätzt werden.

Was können wir aus der Vergangenheit über die Zukunft lernen und was nicht? Ulrich Reinhardt Zukunft ist Herkunft. Das bedeutet, dass zukünftige Entwicklungen immer mit vergangenen verbunden sind und die Vergangenheit die Zukunft beeinflusst. Daher ist es nicht ratsam mit einem verklärten Blick in die Vergangenheit zu blicken und sorgenvoll in die Zukunft zu schauen. Früher war nicht alles besser und die gute alte Zeit ist mehr Mythos als Realität. Zukünftig wird die Lebenserwartung weiter steigen und die Kindersterblichkeit sinken, die Bürger werden weniger arbeiten und mobiler sein, die medizinische Versorgung wird noch besser werden, die Errungenschaften der Technik das Leben einfacher gestalten und es werden auch Antworten auf die großen Herausforderungen gefunden werden – so wie es schon immer war.

Wie wichtig ist für Sie der Faktor Technologie, wenn man über die Zukunft nachdenkt? Ulrich Reinhardt Viele gesellschaftliche Prozesse werden durch technologische Fortschritte beeinflusst. Der Wandel der Informationsund Kommunikationstechnologien zählt in diesem Zusammenhang sicherlich zu den bedeutendsten. Bedenken muss man jedoch, dass auch wenn so manche diskutierte technologische Idee erst einmal verführerisch klingt, und vieles technisch gesehen in Zukunft durchaus möglich sein kann, dies nicht bedeutet, dass es auch von der Bevölkerung gewollt oder akzeptiert wird. Hier ist es wichtig darüber nachzudenken, was wirklich wichtig im Leben ist und in was für einer Welt wir und kommende Generationen leben wollen. Soll der Mensch der Technik dienen oder die Technik dem Menschen? Was ist wichtiger, Lebensstandard oder Lebensqualität, Zeit oder Geld? Soll im Egoismus oder in der Gemeinschaft die Zukunft liegen? Die Beantwortung dieser Fragen ist weder einfach noch pauschal möglich. Es lohnt sich aber darüber nachzudenken, denn die Zukunft ist im Gegensatz zur Vergangenheit nicht festgeschrieben und es liegt an uns, sie zu gestalten.

Ulrich Reinhardt

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Der radikale Apparat

Eine Denkmaschine

Wir sind durch Filme und Medien geprägt von utopischen oder dystopischen Zukunftsvisionen. Wie kann man diese Klischees am besten durchbrechen, wenn man über die Zukunft nachdenkt? Ulrich Reinhardt Filme und Bücher über die Zukunft zeichnen Idealvorstellungen ebenso wie Schreckensvorstellungen. Sie bewegen sich oft in Extremen und wollen provozieren. Insofern können sie hilfreich sein, um das Nachdenken über die Zukunft anzuregen. Fragen wie »Ist das realistisch?«, »Trage ich zu solch einer Entwicklung bei?« oder »Wie kann ich so ein Zukunftsszenario verhindern?« könnten im Anschluss diskutiert werden. Ich denke nicht, dass sie zukünftige Entwicklungen durch klischeebehaftete Geschichten tatsächlich beeinflussen können.

Gibt es bestimmte Kreativ- oder Recherchetechniken, die besonders in der Zukunftsforschung nützlich sind? Ulrich Reinhardt Erstens ist es wichtig interdisziplinär zu arbeiten. Man sollte eine Fragestellung aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten, und sich bewusst sein, dass es nicht nur eine Wahrheit gibt. Zweitens sind repräsentative Langzeitstudien hilfreich, um Veränderungen zu erkennen und Prognosen ableiten zu können. Drittens sollte man ein Verständnis von gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Zusammenhängen haben, denn die Vergangenheit und die Gegenwart zu verstehen ist wichtig, um die Zukunft zu prägen.

Wie schafft man es einen ganzheitlichen Blick auf die Zukunft zu werfen ohne sich zu stark auf einen einzigen Bereich zu fokussieren? Ulrich Reinhardt Möchte man wissen, wie wir in der Zukunft leben werden, muss man sich bewusst sein, dass alle Lebensbereiche miteinander verbunden sind. Mal beeinflussen sie sich direkt, mal stehen sie in einem etwas loseren Kontext zueinander. Möchte man nur einen konkreten Lebensbereich analysieren, muss man zuerst das Verhältnis zu den anderen Bereichen klären, und kann darüber dann gegebenenfalls die weiter weg liegenden für sein Projekt vernachlässigen. Es ist zusammenfassend also wichtig, im ganzheitlichen Kontext auch die Interdependenzen der verschiedenen Bereiche zu erkennen.

Gibt es dennoch Bereiche (z. B. Wirtschaft, Politik, Kultur, etc.), die man beim Nachdenken über die Zukunft besonders beachten sollte? Ulrich Reinhardt Es gibt gewisse Rahmenbedingungen, die das Leben in der Zukunft prägen werden, und an denen man nicht vorbeikommt. Hierzu zählt als allererstes der demografische Wandel. Dann noch der Wandel der Informations- und Kommunikationstechnologien, der Klimawandel und der Strukturwandel. Sich der Auswirkungen dieser Wandel bewusst zu sein, ist essentiell, um Prognosen über die Zukunft zu erstellen.

Gespräche


Was denken Sie über Hypertrends? Sind sie ein guter Anhaltspunkt, wenn man die Zukunft erforschen möchte? Ulrich Reinhardt Trends beziehen sich auf die Gegenwart sowie kurzfristige Zukunft. Daher muss man zwischen Trend- und Zukunftsforschung klar unterscheiden. Dennoch ist es wichtig Trends im Auge zu behalten, und teilweise auch zu evaluieren und zu analysieren. Dieses hilft beim Verständnis, ob ein Trend im Rahmen einer allgemeinen Veränderung stattfindet. Trends können entweder als alleiniges Phänomenen entstehen oder Teil einer allgemeinen Veränderungskultur sein. Hypertrends sind daher durchaus als Anhaltspunkt zur Erforschung der Zukunft geeignet.

Gibt es Dinge von denen Sie überzeugt sind, dass sie in Zukunft unseren Alltag prägen werden? Nutzen Sie diese Dinge innerhalb Ihrer Arbeiten als Wegweiser? Ulrich Reinhardt Hierzu zählt für mich die Feminisierung der Arbeitswelt. Seit Jahren erlangen mehr Frauen als Männer das Abitur, sie haben im Durchschnitt stets die besseren Noten und studieren häufiger als Männer. Dies wird zwangsläufig zu Veränderungen in der Arbeitswelt führen, da Unternehmen den Wettbewerbsvorteil durch mehr weibliche (Führungs-) Kräfte erkennen und nutzen werden. Und wenn zunehmend mehr Frauen Hauptverdiener sind, werden mehr Männer in Teilzeit tätig seien und die Betreuung des Nachwuchses oder der Eltern übernehmen. Dies wird in der Konsequenz auch den Alltag verändern. Technische Entwicklungen wie automatisiertes Fahren, 3-D Druck, Internet der Dinge oder die Digitalisierung in der Ar→  Ulrich Reinhardt beitswelt, werden dagegen noch mehr Zeit benötigen, um wirklich das Alltagsleben der Bevölkerung zu beeinflussen. Und selbst wenn eines Tages die Technik so weit ist, wird sie das Leben nicht revolutionieren, sondern nur optimieren.

Möchte man wissen, wie wir in der Zukunft leben werden, muss man sich bewusst sein, dass alle Lebensbereiche miteinander verbunden sind.¶

Sollte ein Zukunftsszenario in Ihren Augen eher realistisch oder provokativ sein? Ulrich Reinhardt Zukunftsszenarien sollten vor allem realistisch sein. Provokante Szenarien schüren häufig Ängste und Angst ist nie ein guter Berater. Zwar können auch realistische Prognosen durchaus provokant sein, jedoch sollte das Ziel der Zukunftsforschung immer sein, realitätsgetreue Zukunftsmöglichkeiten zu skizzieren.

Ulrich Reinhardt

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Bildnachweis: Caroline Wimmer


Interview

Jörg Schatzmann www.hypermorgen.de

Jörg Schatzmann ist Zukunftsforscher­ bei Hypermorgen, einem inter­ disziplinären Forschungslabor in Berlin.¶ Er berät gemeinsam mit seinen ­Kollegen Rene Schäfer und Frederick­ Eichelbaum Unternehmen und ­Organisationen in Zukunftsfragen.¶


Der radikale Apparat

Eine Denkmaschine Sehen Sie einen Mehrwert im Nachdenken über die Zukunft in Form von »Was wäre wenn Szenarien«? Wo sind die Stärken und Schwächen einer solchen Herangehensweise? Jörg Schatzmann Um kommende Chancen und Risiken frühzeitig zu erkennen und sich darauf vorzubereiten, ist das Denken in Szenarien wahrscheinlich die beste Methode. Sinnvoller als eine reine Betrachtung wahrscheinlicher Entwicklungen ist natürlich die zusätzliche Betrachtung der wünschenswerten zukünftigen Entwicklungen.

Glauben Sie, dass jeder Mensch in der Lage ist reflektiert über die Zukunft nachzudenken? Jörg Schatzmann Natürlich! Wenn der Mensch nicht zur Vorausschau in der Lage wäre, könnte er nicht mal einen Ball fangen, denn er muss die Flugbahn voraussehen und dazu z. B. die Geschwindigkeit und die Richtung richtig einschätzen. Reflektiert über die Zukunft nachzudenken bedeutet dann Entwicklungen und deren Wechselwirkungen zu betrachten, in der Regel um die Folgen in Form von Chancen und Risiken einzuschätzen. Würden wir das nicht tun, gäbe es uns wahrscheinlich nicht mehr.

Zukunftsforschung kann zumindest dabei helfen, wünschenswerte und nicht wünschenswerte Entwicklungen und deren Einflussfaktoren zu identifizieren.¶ →  Jörg Schatzmann

Was sind besondere prognostische Kompetenzen, die man mitbringen sollte, wenn man glaubhafte Zukunftsszenarien entwickeln möchte? Jörg Schatzmann Hauptsächlich Methodenkompetenz – Entgegen dem Vertrauen auf das Bauchgefühl bei der Trendforschung gibt es in der Zukunftsforschung wissenschaftlich fundierte Methoden um Erkenntnisse über wahrscheinliche und wünschenswerte Zukünfte zu erlangen. Zur Zeit des kalten Krieges konzipierte die bekannte RAND-Corporation – ein interdisziplinärer Think Tank, dem John von Neuman, Herman Kahn und viele Nobelpreisträger angehörten – einige Methoden, mit denen sich die Vielzahl möglicher zukünftiger Entwicklungen auf die wahrscheinlichen oder wünschenswerten Zukünfte reduzieren lässt, z. B. Delphi, Szenariomethode, Systemanalysen. Diese Methoden wurden seitdem nahezu unverändert (aber erfolgreich) in planenden Abteilungen von Unternehmen und Institutionen eingesetzt. Mit dem Beginn des digitalen Zeitalters hat die Methodenforschung wieder an Fahrt aufgenommen. Prediction Markets, bei denen die Teilnehmer wie an der Börse auf Vorhersagen wetten und Predictive Analytics, womit sich anhand von Zeitreihenanalysen das Kaufverhalten vorhersagen lässt, sind aktuelle Beispiele.

Gespräche


Bietet das Nachdenken über die Zukunft eine Möglichkeit unsere heutige Welt besser zu verstehen? Jörg Schatzmann Die grundlegende erkenntnistheoretische Frage »Was können wir über die Welt wissen und wie können wir etwas über die Welt wissen?« wird beim Nachdenken über die Zukunft zur Frage »Was können wir über die Zukunft wissen und wie können wir etwas über die Zukunft wissen?«. Durch diese Extrapolation beim Fore-/Backcasting rückt die Frage »Wie kommt das Neue in die Welt?« in den Vordergrund. Mir persönlich hat die Betrachtung dieser Frage zumindest geholfen einen neuen Blick auf die heutige Welt zu gewinnen.

Was können wir aus der Vergangenheit über die Zukunft lernen und was nicht? Jörg Schatzmann Es gibt Zukunftsforscher, die ganz polemisch sagen, man müsste mindestens doppelt so weit nach hinten schauen wie man nach vorne sehen will. Ich hingegen finde die Analyse des Ist-Zustandes wesentlich wichtiger, dabei betrachte ich die Vergangenheit nahezu nur noch in Form von Pfad­ abhängigkeiten: In Europa haben wir z. B. Städte, die wenig Platz für Straßenverbreiterungen bieten, das muss bei der Stadtplanung berücksichtigt werden.

Wie wichtig ist für Sie der Faktor Technologie, wenn man über die Zukunft nachdenkt? Jörg Schatzmann Wir beschäftigen uns hauptsächlich mit kommenden Technologien und deren potentieller sozialer Adaption, daher steht Technologie meist im Zentrum unserer Betrachtung. Im Allgemeinen versucht man aber immer das ganze Raster an sozialen, technologischen, ökologischen, ökonomischen und politischen Entwicklungen zu erfassen.

Wir sind durch Filme und Medien geprägt von utopischen oder dystopischen Zukunftsvisionen. Wie kann man diese Klischees am Besten durchbrechen, wenn man über die Zukunft nachdenkt? Jörg Schatzmann Zukunftsforschung kann zumindest dabei helfen, wünschenswerte und nicht wünschenswerte Entwicklungen und deren Einflussfaktoren zu identifizieren. Auf deren Grundlage können visuell und narrativ erfahrbare Zukunftsbilder entwickelt werden. Diese Zukunftsbilder helfen dabei, wünschenswerte und nicht-wünschenswerte Zukünfte und ihre möglichen Überschneidungen mit wahrscheinlichen Zukünften erfahrbar zu machen. Sie sollen Diskussionen zu Folgen, Risiken und Chancen künftiger Entwicklungen provozieren. Langfristig können daraus dann self-fulfilling oder self-inhibiting prophecies werden.

Jörg Schatzmann

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Der radikale Apparat

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Gespräche

Bildnachweis: Kirsten Becken


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Andrea ­Augsten www.andreaaugsten.de

Andrea Augsten arbeitet seit mehr als 7 Jahren in den Bereichen Designmanagement, Design Education und Human Centered Future Visions For Business.¶ Sie ist die Mitgründerin von design:tranfer, einer Initiative, mit dem Ziel, den Dialog zwischen Designforschung und Industrie zu fördern.¶


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Ich versuche mir eine gewisse Flexibilität zu erhalten, damit Raum für Neues oder Unplanbares entstehen kann. Ein wenig Planlosigkeit kann tatsächlich etwas Gutes sein!¶ →  Andrea Augsten

Stellen Sie sich vor, man fügt unserer heutigen Welt etwas neues hinzu oder nimmt etwas bereits Vorhandenes weg. Was halten Sie für eine spannende radikale Veränderung, die betrachtenswert ist? Andrea Augsten In der Industrialisierung dominierten Praktiken wie geteilte Arbeitsabläufe, Standardisierung und Effizienz. Die Zusammenarbeit innerhalb von Organisationen wurde durch zugeteilte Verantwortlichkeiten und Regeln strukturiert, die nur wenig Zusammenarbeit zuließen. Aktuelle Herausforderungen wie der Klimawandel, die Digitalisierung oder die Demokratie scheinen in dieser Struktur nicht mehr lösbar zu sein. Gerade findet eine Öffnung von tradierten, linearen Ansätze zu einer offeneren, gemeinsamen Arbeitsform statt. Die aktuelle (Rück-)Besinnung auf menschliche Beziehungen in der Wirtschaft fordert die Bildung von neuen Formen in der Unternehmensführung wie es etwa Frederic Laloux in Reinventing Organisations beschreibt oder ganz neue Ansätze. Ich denke da etwa an die Idee der Holacracy, in der sich Organisationen selbst managen. Andere Ideen wie Achtsamkeit, Yoga und Autogenes Training ziehen wieder in Arbeitsumgebungen ein, um die Diskrepanz zwischen Kognition & Physiog­ nomie zu verringern. Sie sind in der Lage, eine ganzheitliche Arbeitsatmos­ phäre zu schaffen, die den Mensch in das Zentrum rückt. Körperlich wie geistig. Die Herangehensweise ist ein wunderbares Beispiel dafür, wie Designer mit ganzheitlichen Lösungsansätzen an solche Herausforderungen antreten. Für mich geht es daher nicht darum, etwas hinzuzufügen oder wegzunehmen, sondern Prozesse in ihren Zusammenhängen zu betrachten um Auswirkungen möglicher Änderungen zu bedenken. Ziel muss es sein, wieder »in sich gesunde« Systeme zu gestalten.

Gespräche


Kann man den Prozess des Spekulativen Designs strukturieren und so leichter zugänglich machen? Welche Schritte oder Anhaltspunkte würden Sie vorschlagen? Andrea Augsten Aus meiner Erfahrung ist das Spekulative Design ein Extrembeispiel einer Methode für die Gewinnung von Erkenntnissen über Herausforderungen und eine wunderbare Hilfe dabei, neue Denkweisen herauszufordern. Die Artefakte des Spekulativen Designs regen durch ihre Ungewöhnlichkeit zum Nachdenken und Reflektieren an. Menschen fühlen sich oft dazu »angestupst« bekannte Denkpfade zu verlassen. Doch wie nachhaltig sind diese Momente für Veränderungsprozesse? Allein leisten die Artefakte des Spekulativen Designs oft nur wenig Unterstützung bei der Gestaltung neuer Lösungen. Aber in der Kombination mit anderen Ansätzen kann es sicher eine Rolle einnehmen. Die aktuelle deutsche, kritische Debatte um das Phänomen des Design Thinkings kann hier die Brücke schlagen zwischen dem »Weck-Moment« des Spekulativen Designs und der nachhaltigen Veränderung von Arbeitsroutinen der Industrialisierung. Design Thinking, als teambasierter, interdisziplinärer Prozess von Zusammenarbeit trägt dazu bei, Menschen nicht nur das Analysieren von Problemen sondern auch ein Gestalten neuer Lösungen, Konzepte, Ideen zu entwickeln. Was übrigens nicht heißt, sie ersetzen damit Designer – sondern eher, Designer sind auch zu Beginn von Innovationsund Entwicklungsprozessen involviert.

Wir sind durch Filme und Medien geprägt von utopischen oder dystopischen Zukunftsvisionen. Wie kann man diese Klischees am Besten durchbrechen? Andrea Augsten Ich denke, wir sollten in erster Linie Menschen dabei unterstützen, Filme, Medien und andere Dinge in ihrem Umfeld reflektiert zu betrachten. Vielleicht können wir gemeinsam trainieren, die Perspektive zu wechseln und versuchen, in Möglichkeiten und Ansätzen statt großen Lösungskonzepten über die Zukunft zu denken. Das würde es uns sicherlich leichter machen, uns auf Veränderungen einzustellen, die wir ganz einfach gar nicht hervorsehen können wie z. B. Naturkatastrophen, und auch politische Entwicklungen. Ich glaube, es gibt nicht ein Bild der Zukunft. Es gibt ganz viele, und wir müssen lernen flexibel und adaptiv mit dieser Vielfalt und Zentralisierung umzugehen – statt versuchen durch Standardisierung alles zu regulieren, wie es besonders im 20. Jahrhundert getan wurde.

Andrea Augsten

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Wie sieht Ihre Recherchearbeit aus, wenn Sie sich mit der Zukunft beschäftigen? Nutzen Sie bestimmte Methoden zur Inspiration oder suchen Sie nach wissenschaftlichen Quellen? Wo und wie recherchieren Sie? Andrea Augsten In meinen ersten Berufsjahren habe ich in der Zukunftsforschung eines großen Konzerns gearbeitet und dort digital wie analog ziemlich viele Eindrücke und Wissen sammeln können, um über den Tellerrand des Designs zu schauen. Meine Aufgaben lagen einerseits in der Beratung. Dort haben wir als Team in der Regel auf Basis einer klaren Fragestellung recherchiert und dabei das Internet, Bücher und Zeitschriften genutzt und uns auf Konferenzen oder Messen weitergebildet. Andererseits war es unsere Aufgabe relevante Trends der Zukunft im Kontext von Mobilität frühzeitig zu identifizieren. Viel Zeit habe ich mit dem, wie ich es nenne, »freien Betanken von Interessantem« verbracht, ohne genau zu wissen, an welchen Stellen ich diese oder jene Information am Ende gebrauchen könnte – aber mit dem Wissen, genau diese Neugier zu benötigen. Klingt vermutlich nicht sehr planerisch, aber das kann die Zukunft ja auch nicht sein!

Das Verstehen der Vergangenheit ist wichtig, um Wandel, menschliches Verhalten und kulturelle Differenzen zu begreifen und bestenfalls zu überwinden.¶ →  Andrea Augsten

Dadurch habe ich eine gewisse Kompetenz, Dinge miteinander zu verknüpfen, ganz gut trainieren können. Heute sind dazu noch viele Netzwerke, Workshops und Initiativen gekommen, wo ich mit Menschen aus ganz unterschiedlichen Organisationen oder Sektoren spreche oder etwas mit ihnen gemeinsam entwickle. Meine Recherche besteht also aus einer Mischung von Konsum und Anwendung von Informationen, wobei letzteres natürlich am meisten Spaß macht und wirklich neue Verknüpfungen in unseren Köpfen schafft.

Gespräche


Wie nutzen Sie Entwicklungen aus der Vergangenheit, um sie in die Zukunft zu übertragen? Andrea Augsten In der Vergangenheit habe ich mich persönlich hin und wieder für die eher unsichere Entwicklungspfade entschieden. Für mich ist das Umgehen mit dem Unbekannten eine Form des positiven Lernens und das nutze ich, um mit diesem Erfahrungswissen Entscheidungen für die Gegenwart treffen zu können. Das Vorgehen hilft mir auch, um Situationen zu analysieren und meine Komfortzone zu verlassen. Das Verstehen der Vergangenheit ist wichtig, um Wandel, menschliches Verhalten und kulturelle Differenzen zu begreifen und bestenfalls zu überwinden. Dafür benötigt es eine Verknüpfung von alt & neu und die Einsicht, dass der Wandel im 21. Jahrhundert auch ein bisschen Loslassen bedeutet. Nur so schaffen wir Platz für Neues ohne das »Alte« per se zu ersetzen. Dafür brauchen wir Offenheit, Reflektion und eine Haltung, die Veränderung zulässt.

Gibt es Dinge von denen Sie überzeugt sind, dass sie in Zukunft unseren Alltag prägen werden? Nutzen Sie diese Dinge innerhalb Ihrer Arbeiten als Wegweiser? Andrea Augsten Ich versuche mir eine gewisse Flexibilität zu erhalten, damit Raum für Neues oder Unplanbares entstehen kann. Ein wenig Planlosigkeit kann tatsächlich etwas Gutes sein! Wenn mich technische Assistenten dabei unterstützen können, why not? Aber ich entwerfe mein Leben nicht basierend auf technischen Möglichkeiten oder Trends, sondern eher auf meinen Wünschen und Bedürfnissen. Genau so entscheide ich auch in meiner Arbeit: Mit wem arbeite ich zusammen, was treibt ihn oder sie, was können wir gemeinsam entwickeln?

Wenn Menschen über die Zukunft nachdenken, entstehen von Natur aus unterschiedliche mögliche Szenarien. Wie gehen Sie mit dieser Vielzahl von Möglichkeiten um? Ist hier eine Entscheidung für das wahrscheinlichste Szenario am sinnvollsten? Andrea Augsten Nicht wirklich. Meiner Erfahrung nach hilft die Erstellung einer Vielzahl von

möglichen Szenarien uns Menschen dabei zu unterstützen sich Bilder einer Zukunft zu machen. Diese Zukunftszenarien helfen uns bei der Bewältigung von Ängsten, und können positive Entwicklungen aufzeigen – und werden von Menschen, die oft aus ganz unterschiedlichen Bereichen kommen, gemeinsam entwickelt. Eigentlich ist es ganz selten, dass sich aus einem einzigen Zukunftsszenario sinnvolle strategische Implikationen ableiten lassen, die auch genauso eintreffen. Für mich liegt der Mehrwert eher darin, Menschen für ganz unterschiedliche Pfade der Zukunft zu sensibilisieren und ihre disziplinären Hürden zu überbrücken.

Andrea Augsten

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Alan Shapiro www.alan-shapiro.com

Alan N. Shapiro is a transdisciplinary thinker who studied science-technology at MIT and philosophy-history-literature at Cornell University.¶ He is ­recognised as one of the leading experts on the philosophy and cultural­ theory of Jean Baudrillard.¶


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What’s a radical change on today’s world you’d like to see? Alan Shapiro Advanced implementations in new media and new technologies are largely determined by the profit motive of capitalist corporations and by the technological passion of engineers whose worldview is technological determinism. Neither of these forces especially considers what is good for humanity. So the more widespread appearance of a design perspective is a welcome development. Is it possible for a capitalist enterprise to both make money and do good for humanity? I hope so, because this is essentially our best and only hope. With the design perspective, we ask how should a technology be implemented and not just go ahead and do the obvious. Developments in artificial intelligence can lead us further into dysto→  Alan Shapiro pian scenarios, although we have the opportunity to take it in a different direction if we recognize that it can be about growth for humanity, if we consider a partnership between humans and AI living entities, if we treat these entities with respect and allow them an identity. Socialism and communism as overall economic systems are largely discredited, but we should have a guaranteed income for all citizens, and many more mechanisms for converting cultural capital into monetized capital.

The study of the design of the future can be a science like the study of history.¶

Can the process of speculating about the future be structured? Which points of reference would you propose? Alan Shapiro The study of the design of the future can be a science like the study of history. Although it is more like a humanities than a science. It should be transdisciplinary. Science fiction is important. So are media theory and cultural theory. So is learning how to program or writing code. I can imagine designing a curriculum for students in design, in media studies, in humanities-informatics. Paradoxically, one cannot understand the future without understanding the present, and we have little of that understanding. We desperately need good media theory for today, and most media theory was developed a generation ago. Also we need to look around and see what companies are actually doing and try to advise them to consider more humanities and more pragmatic-utopian perspectives.

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So what would be the most important subjects in teaching ­something like future studies? Alan Shapiro I have been teaching »Transdisciplinary Design« as a visiting professor these past two years at Folkwang Universität der Künste. This is not exactly future design, but I designed a curriculum there that is pretty close to this. I also just pusblished a book called »Transdisziplinäre Gestaltung« which is published by the Passagen Verlag in Vienna. Also next year I will be teaching a course in »Gestalterische Zukunftsforschung« at the Hochschule in Luzern, Switzerland. So I have to design this course, and I haven’t made a final decisions. But I think it will look something like this: Science fiction films; Anthropology of non-Western economic systems; Media theory; Design patterns in architecture and software; Quantum computing and biological computing; Blockchain; Self-driving cars; Robots and androids; Nonlinear narratives; Philosophy and TV series; New media art; Prose writing and software code; Poetic language; French postmodern philosophy; User experience; Hybrid Virtual / Physical experimental spaces; Entrepreneurial capitalism.

How do you research when you think about the future? Do you use special techniques to get a glimpse into a possible future scenario? Alan Shapiro I have an overall sense of what is happening in our culture, perceiving the archetypes in the shared science fictional and technocultural imagination. Then I look for how these archetypes can be applied in specific design projects in specific domain areas. We need a hybrid of theory and practice. We need nuggets of humanities knowledge to illuminate specific future design projects. Our current educational system almost completely divides theory (knowledge, ideas…) from practice, and this is very bad. The theory is too abstract and too academically enclosed and self-referential. The practice is too uninformed by cultural knowledge.

Do you think the past gives us indications on how the future can be? Alan Shapiro The study of history is important, but historiography is also accessed through methods of fiction and literature studies. The connection between history and science fiction is their common reflection on narrative structures. If we study either the past or the future on the level of »facts« not discourse, then we risk lapsing into the hyper-reality of the culture which surrounds us.

Are there things you’re convinced that they will shape our everyday life in the future? Alan Shapiro I think that we are only about ten years away from teleportation. This will be a major game-changer. Also I do believe that we face rising unemployment through automation and educational imbalances. And the merger of digital technologies into our biology and neurology is coming very soon.

Alan Shapiro

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Interview

Jaemin Paik www.jaeminpaik.com

Jaemin develops scenarios to show the impact of technology on human ­relationships, behaviours and rituals in the future.¶ Her project When We all Live To 150 ­explores the future of f­ amily life if we all lived to one-hundred and fifty or beyond.¶


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Do you see added value when you think about the future in form of »What if scenarios«? Where are the strengths and weaknesses in such an approach? Jaemin Paik »What if scenarios« enable you to challenge existing cultural, social or technological systems. Instead of logically gathering all the evidence and then drawing out a conclusion of »this is what would happen«, it let’s you widely imagine an alternate future, present and even past and then start from there and make a story around it. However it seems hard to position this kind of work outside of galleries. I like to call it »critical / speculative design« in a sense that it designs a social / cultural system in the imagined future. There are often claims that it’s not »design« as it doesn’t have any practical value.

What are special prognostic competences you need when you want to design believable future scenarios? Jaemin Paik I don’t think I used a »what if scenario« to be prognostic. I used it to question the existing system. So the point wasn’t on making a forecast, rather I wanted it to be believable so people can empathize to such a situation and ask questions for themselves. But to make it believable, it helps to mix realistic scenes with alternate stories. You simply won’t believe a story with an alien.

I don’t think I used a »what if scenario« to be prognostic. I used it to question the existing system.¶

→  Jaemin Paik

Our image of the future is mostly shaped by utopian and dystopian visions which are shown in films and other media. How is it possible to break those stereotypes? Jaemin Paik It is really hard to break those, because that’s how we’re trained to view the world. A good way to do it is to try different aesthetics. It’s easy to imagine our future in a white box, but what if the same story is in a rural setting? I believe that completely changes the tone of the imagination.

Gespräche


Are there distinct creativity- or research-techniques which are especially useful for studies about the future? Jaemin Paik I can’t say it’s distinct or special, but it helps to look into some older films that tried to picture »the future«. It’s useful to understand what people feared for, what people wanted and how it actually progressed. We can see some stuff in an old film that’s coming to real life. Even if the idea sounds ridiculous, it could give an alternative perspective to the viewers.

Should a future scenario be more realistic or provocative? Jaemin Paik

T here needs to be a good balance between it. It has to be realis­ tic enough to be able to buy the idea, but provocative enough to be able to start a discussion.

← ↓  excerpts from When We All Live To 150

When We All Live To 150 How would family life change if we all lived to one-hundred and fifty or beyond? With up to six generations living together, and the possibility of huge age gaps between siblings, the traditional model of the family would change dramatically, perhaps even becoming unsustainable with the burden of its large membership. This project explores the lives an structures of future families in an era of extended life-spans by tracing the story of seventy-five year-old Moyra and her sprawling contract-based family.

Jaemin Paik

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Maria Guta

Maria Guta studied graphic design in Bucharest and a­ fterwards moved to ­Switzerland to complete her Master’s ­degree in Art Direction and Photography.¶ She is currently researching and developing personal projects in virtual reality, while working as Director of Programming and Creative Director for World VR Forum, an international organisation dedicated to VR and AR based in Geneva.¶


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Eine Denkmaschine Add something crucial or take something substantial away from our world. What do you think are exciting radical changes on today’s world which are worth to be considered? Maria Guta As someone born in the early 80s in Eastern Europe, and furthermore during Ceausescu’s dictatorship, I got to know »analog« times very closely. I was introduced to all the media and science benefits and novelties later than the rest of the world, but here I am taking advantage of them at the max in the last decade. I think knowing both situations made me appreciate things differently and I consider myself lucky to have lived trough both. I clearly remember the day I got internet connection on the PC in my room, I was a teenager and I said to myself: »Now I’ll never be alone again«. I strongly believe the Internet brought radical changes on today’s world. Apart from that I would name VR technology. It’s something I am researching and working with a lot lately, so I’m blown away by how much it grew and how many possibilities have opened in the past three years. If I should name one crucial thing we already took away from our world, it’s the time one spends with himself. We are so addicted to our multiple devices and to our virtual connections, that we are in a permanent communication fever. We forget to disconnect. We don’t spend time alone anymore.

← ↑  excerpts from Solarnet

Solarnet 2086-yesterday. Once upon a time in the future, somewhere between empty nature and cyberspace. Nostalgia is a deadly virus. Male, female and cyborg share an ambiguous hairless anatomy. Love and lust are encrypted data. Fashion is out of fashion. Curiosity was killed by a fat cat. Feelings are glitches but there are no glitches. Self awareness is ridiculous. One has to be no one. Individuality is a foreign concept. And if it’s not, you successfully reached Solarnet. Solarnet is a multiverse. It comes in full-color, decades, oil and fat. Subscribe for past and parallel world tourism. You can now get dressed and enter the Solarnet. Your present will generate your past. Solarnet is a collaboration with graphic designer Larissa Kasper

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Our image of the future is mostly shaped by utopian and dystopian visions which are shown in films and other media. How is it possible to break those stereotypes? Maria Guta A couple of years ago, during a brainstorming with Larissa Kasper – my partner in crime for Solarnet (a project based on a dystopic scenario we built together) – we concluded that utopian and dystopian visions nowadays are much more credible than those from, let’s say, 30–50 years ago. Science is developing with an incredible speed and it’s accelerating the rhythm things change or develop. So, in my opinion, some of those stereotypes don’t even need to be broken as they might actually become reality sooner than we think. Two movie series I find relevant in this context are Black Mirror and Westworld. Both are painting futuristic, utopian / dystopian visions. But I personally find both very plausible to actually happen in a not such faraway future.

How does your research work look like when you deal with the future? Do you use distinct methods for inspiration or do you look for scientific sources? Maria Guta

I ’m part of the team behind the World VR Forum, a non profit organisation based in Geneva and dedicated to advancing the virtual, augmented and mixed reality industries. This year we hosted the second edition of our Annual Summit, gathering VR specialists from very different fields, of various formations and from all over the world. As I am in charge with finding and selecting the projects for the Festival (the Summit includes Conferences, a Festival and a Market), I spend a lot of time scouting and researching for content creators and in general any news related to VR. We managed to build quite a solid network and we are up to date with most of the related events and festivals, so that’s my main source of knowledge and inspiration.

How do you utilize past developments to transfer them into the future? Maria Guta If I stick to the topic of Virtual Reality, it’s actually fascinating tracking back the beginnings of it from a historical point of view. From the 19th century panoramic battle paintings and the first stereoscope to the first flight simulators in the late 1920s via Morton Heilig’s Sensorama in the 50s, first VR headsets in the 60s and and the first wave of Virtual Reality fever in the 90s, all the research and progress that was made led us to the present moment. What I am most fascinated about, beyond all the scientific development, is the fascination people always had and will always have to explore alternative worlds, to escape their current reality.

Can you describe the process of designing a prototype for a future scenario? How do you manage to design a product which feels like it’s coming from the future? Maria Guta Referring again to Solarnet, while Larissa and I were trying to come up with our dystopian scenario we just made an imagination exercise and pictured different default situations of today and the way they could evolve or transform based on half realistic / half fictive predictions. So we tried to re-contextualise those situations, sometimes by exaggerating, sometimes by applying uncanny filters, or simply by turning them into pure fantasy. The aim was to create images that are still familiar for the eyes and brain but in the same time they trigger something else, something slightly disturbing or at least intriguing. Maybe not necessary giving the feeling that they’re from the future, but making you wonder where and when to place them. The future is unknown.

Maria Guta

Interview


Impressum

Konzeption, Text und Gestaltung Manuel Bug

Auflage 2 Stück (2017)

Druck XPress Digital Media GmbH, Würzburg

Bindung Vinzen Werke, Würzburg

Schriften Nimbus Sans, 1987 (URW++) Matrix, 1986 (Emigre)

Hochschule für angewandte Wissenschaften Würzburg Fakultät Gestaltung

Bachelorarbeit Erstprüfer: Prof. Carl Frech Zweitprüferin: Christina Hackenschuh Sommersemester 2017 8. Semester



Wir können nicht sehen was uns in der Zukunft erwarten wird, aber wir können verantwortungsvoll mit der Zukunft umgehen und die Gefahren und Probleme die uns erwarten ernst nehmen. Wenn wir darüber nachdenken was kommen kann und wie wir darauf reagieren werden, entsteht ein Bewusstsein für unsere Zukunft, das uns auch in der Gegenwart bedachter agieren lässt.¶ Zum verantwortungsvollen Umgang mit Zukunftsentwürfen gehören Fantasie, Mut und ein kritischer Blick. Niemand kann zweifelsfrei sagen was kommen wird, aber alleine das darüber Nachdenken kann den Horizont erweitern.¶ Der Radikale Apparat zeigt uns eine Möglichkeit unser heutiges Leben mit radikalen Veränderungen auf den Kopf zu stellen und so eine veränderte Zukunftswelt zu betrachten und daraus zu lernen.¶ Der Radikale Apparat  →


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