Garten Träume 3/2014 Seite 24/25

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Feuilleton

amerikas wuchs die Zahl der Neueinführungen rasant an. Auch Lianne Pot beginnt mit europäischen und asiatischen Grasarten in ihren Pflanzungen. Dann entdeckt sie die Prärie. 2008 reist sie in das letzte erhaltene Prozent Urprärie. Und tatsächlich – zwischen Prärie-Fallsamengras (Sporobolus heterolepis), Goldbart- (Sorghastrum nutans), Moskito- (Bouteloua gracilis) und Flaschenbürstengras (Hystrix patula) wachsen Sonnenhüte, Schafgarben, Indianernesseln, Prachtscharten und Sonnenbräute – so, wie sie es im Sichtungsgarten Weinheim an der Badischen Bergstraße gesehen hatte. Die Präriepflanzungen im Hermannshof haben Vorbildcharakter. Nicht nur bei Lianne Pot wecken sie die Lust am Präriegärtnern. Jeder staunt über den Aufwuchs, der in der zweiten Hälfte des Jahres einsetzt. Das schließt eine Lücke, wenn der Rosengarten bereits verblüht ist und man Frühlings- und Frühsommerbeete keines Blickes mehr würdigt. Ein Großteil ornamentaler Gräser läuft im Spätsommer zur Hochform auf. Der Indian-Summer-Effekt stellt sich ein. Zu dieser Zeit also steht Lianne Pot in der Konza Prärie. Aber wo ist das Große Blauhalm-Gras? Die Europäerin will sich von ihrem fachkundigen Begleiter in die Geheimnisse der Präriegräser einweihen lassen. Und nun das: Der „König der Präriegräser“, Andropogon gerardii, ist von Büffeln abgegrast worden! Anstelle der bis zwei Meter hohen Blauhalm-Gräser klaffen Tritt­ löcher der Huftiere im Boden. „Kein Problem“, beruhigen die Ortskundigen. Das Blauhalm-Gras wurzelt bis sieben Meter tief. Wie die meisten Präriepflanzen hat es sich damit auf extreme Bedingungen am Naturstandort angepasst. Die heißen Sommer mit Trockenperioden überstehen die Tiefwurzler, indem sie Wasser aus tiefen Schichten erschließen. Das macht sie angesichts der Klimaveränderung interessant. Die Erdlöcher öffnen Selbstaussamern neuen Lebensraum. So ist die Hochgrasprärie: immer auf dem Sprung zu Veränderung! Im Fachjargon spricht man von dynamischen Gartenbildern.

Passion trifft auf Berufung Teil III: Warum bringt gärtnern mit Gras so viel SpaSS?

Eine Gräserwelle wogt durch die Gartengestaltung. Wer nach den Ursachen forscht, landet in der Prärie und einem großartigen Gräsersortiment Elßholtz’ Gartenbuch von 1684 für das wild wachsende Federgras Stipa pennata. Richtig im Aufwind sind Gräser aber erst seit neuerer Zeit. Für die Gräserwelle, die seit den 1980er-Jahren von Mitteleuropa nach Amerika und zurück schwappt, bedurfte es einer ökologischen Besinnung und der Sehnsucht nach mehr Wildnis im von Menschen Hand gemachten Paradiesgärtlein. Viele knüpfen seither am Netzwerk eines neuen Gartenstils, der Blütenstauden und Gräser verwebt. Doch was treibt eine Gartengeneration an, die sich Gräser auf die Fahnen geschrieben hat? Lianne Pot muss es wissen: Die Gartendesignerin ist eine der gefragtesten Ziergrasexpertinnen Hollands. Wiesen, Weiden und Schilfrohr prägen das Landschaftsbild ihrer Kindheit. Das müsse ihre Gene beeinflusst haben, meint die Niederländerin lachend. Sie kann sich noch gut an das Gefühl erinnern, als sie auf den Deichen mit dem Fahrrad zur Schule fuhr:

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em Neolithiker wäre vermutlich der Mund offen stehen geblieben: Was zur Korngewinnung mühevoll entspelzt werden musste, ist dem Grassammler des 21. Jahrhunderts zum Wertvollsten geworden? Je mehr Grannen ein Gras aufweist, umso schöner fängt es das Licht ein. Und was hätte erst der bronzezeitliche Siedler dazu gesagt? Gräser sind wunderbares Füllmaterial – ja! Aber doch nicht, um Blütenstauden wiesenhaft miteinander zu verweben. Man raufte das Grünzeug, um die Lehmwände seiner Behausung mit einer isolierenden Schicht von Gräsern zu dämmen. Vom Sauergras in Sümpfen bis zum Süßgras der Wiesen waren die grünen Schöpfe und imposanten Horste das Gewöhnlichste, was man sich vorstellen konnte. Einzelne Liebhaber holten sich dennoch schon früh ein Gras „zart und so subtil wie die Federn eines Paradiesvogels“ in den Garten. Belegt ist das in

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Die dschungelartige Blattmasse, das Geräusch, wenn der Wind durch das Schilfrohr raschelt ... Die Enten, die aus dem Röhricht auffliegen. Die grafische Wirkung der Gräser sollte sie später zur Sammlerin machen: „Als ich erkannte, wie viel unterschiedliche Formen und Strukturen Gräser insgesamt aufweisen, wollte ich sie alle aufpflanzen.“ Seit 2005 hält sie die nationale Kollektion von Ziergräsern in den Niederlanden. Mithilfe von Gräsern pflanzte sie Stimmungen in ihren Schaugarten südlich von Groningen. Heute pirschen Besucher durch ihre von Gras geprägten Präriebeete oder besteigen einen Turm, um sich einen Überblick zu verschaffen. Den braucht man auch im heutigen Gräsersortiment. Zählte Karl Foersters revolutionäres Buch „Einzug der Gräser und Farne in die Gärten“ 1957 stolze 45 Gräsergattungen auf, kamen mit Rick Darkes Gräserenzyklopädie für das neue Jahrtausend weitere 50 dazu. Mit dem Interesse an der Prärie Nord-

Fotos: Josef Bieker (2), Ulrike Romeis, Marion Nickig (2)

Die Gartengestalterin Lianne Pot fühlt sich zwischen Chinaschilf-Wedeln (Miscanthus sinensis) mit Astern und Sonnenhut wohl. Sie entwirft Prärie-Pflanzungen mit Rutenhirse (Panicum virgatum, links) und prärieähnliche mit strukturstarkem Reitgras ‘Karl Foerster’ (Calamagrostis x acutiflora)

Es gibt wenige Pflanzen, die die Kunst der Verwandlung so perfekt beherrschen wie Gräser Nehmen wir das Beispiel Chinaschilf. Innerhalb einer Saison breitet ein Miscanthus sinensis ‘Flamingo’ seine Gräserschwingen gut eineinhalb Meter aus, sprudelt eine zweieinhalb Meter hohe ‘Große Fontäne’ empor oder ragt ein ‘Silberturm’ drei Meter hoch in die Luft. Das Blütenvergnügen und ein enormes Sortenspektrum haben wir dem Staudengärtner Ernst Pagels zu verdanken. Anfang der 1970er-Jahre waren bei ihm erstmalig in Deutschland einige Pflanzen in Blüte gegangen. Sein Sortiment revolutionierte die Gartengestaltung mit hohen Gräsern. Eines Tages sollte Gerhard Mühring, seinerzeit Lehrling in einem Gartenlandschaftsbaubetrieb, eine Ladung bestellter Stauden hier abholen. Es muss gegen drei Uhr gewesen sein, denn „da trinken wir Friesen immer Tee“, schmunzelt der heutige Besitzer einer sortenreichen Staudengärtnerei im ostfriesischen Westoverledingen. Pagels lud ihn in die Teeküche ein, wollte ihn auf die Ernsthaftigkeit seiner Passion prüfen. Jahre später

vermacht er Gerhard Mühring sein komplettes Gräsersortiment. Besteht die Freude am Gräsergärtnern darin, dass es Menschen mit gleicher Gesinnung zusammenführt? ‘Beth Chatto’ lässt es vermuten. Noch dieses Jahr kommt die für gut befundene Chinaschilfsorte auf den Markt. „Pagels hatte immer einen Arbeitstitel für Miscanthussorten auf dem Prüfstand“, erinnert sich Gerhard Mühring. Eine zwei Meter hohe Sorte mit auffallend hellem Blütenschopf hieß die „Weiße Dame“. Als sie alle Wünsche an gesunde, standfeste Sorten von besonderem Reiz erfüllte und einen endgültigen Namen brauchte, erinnerte sie Pagels an seine liebe Freundin aus England – Beth Chatto. Die Grand Old Lady der Gartenkultur liebt Pflanzen von natürlicher Eleganz. Sie ist begeistert von Pagels Gräserauslesen. „Ich spreche kein Wort Deutsch, Ernst Pagels sprach kein Englisch“, äußerte sie über ihre Begegnungen. Doch der Gesprächsstoff sei ihnen nie ausgegangen. Sie hatten eine gemeinsame Sprache: „die der Pflanzen“.

Man darf vermuten, dass Grasflüsterer nicht nur über, sondern auch mit Pflanzen reden Laut Pagels Sortenliste, könnte man sich ein Gespräch zwischen ihm und einer seiner bekanntesten Chinaschilf-Sorten wie folgt vorstellen: „‘Malepartus’, bis jetzt bist du die schönste und roteste Sorte in der Blüte.“ Malepartus: „Du meinst, aus mir wird was?“ Pagels: „Dein Habitus und die Rotstieligkeit sowie die straußenfederartig gekräuselten Samenstände im Winter – das gibt dir einen besonderen Charakter!“ Die in Blüte zwei Meter hohe Sorte hat tatsächlich Gartenkarriere gemacht. Der bis in Amerika gefeierte und für seinen expansiven Einsatz von ornamentalen Gräsern bekannte Piet Oudolf verwendete sie in fast allen Projekten. Pagels dachte aber auch an die kleineren Gärten: beispielsweise ‘Kleine Silberspinne’, wenn man eine niedrige Sorte sucht, oder ‘Ferner Osten’, halbhoch von besonderem Farbspiel in Blatt und Blüte, sind zwei der reichen Auswahl. Gerhard Mühring hat sie alle. Schon zu Lebzeiten rettete er sogar ausgemusterte Sorten: „Manchmal kam Pagels nach einem Rundgang durch sein Sichtungssortiment zu mir und fragte zum Beispiel: ‘Hast du den ‘Zwergelefant’ noch, ich glaube der war doch nicht so schlecht.’“ Pagels wies darauf hin, dass seine Beurteilungen von den regionalen Verhältnissen ausgingen. Über alle Ländergrenzen hinweg eindeutig, fällt dagegen die Antwort auf die Frage nach der Gräserlust aus: Man braucht sich ja nur ein herbstlich loderndes Gras im Morgentau anzuschauen. Wer könnte da nicht hungrig auf Rutenhirse und Konsorten werden?! Kathrin Hofmeister 

Der Staudengärtner Gerhard Mühring kümmert sich um den Erhalt und die Weiterkultur der Chinaschilf-Sorten (Miscanthus sinensis) des Gräser- und Staudenzüchters Ernst Pagels. Ebenso wichtig wie sein großes Gräsersortiment sind dem Gartenbauingenieur Schaupflanzungen. Sie zeigen Möglichkeiten, Gräser und Stauden zu kombinieren

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