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FORSCHUNGSWELT

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Der Moossee befindet sich auf einem Naturschutzgebiet, das von stark landwirtschaftlich genutzten Flächen umgeben ist.

Ökosysteme in Seeböden geschädigt

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Weiterhin ein grosses Problem: Pestizide

Eine Studie der Universität Bern vom vergangenen Jahr zeigt anhand von Sedimenten aus dem Moossee im Kanton Bern, dass ein Verbot einzelner Pflanzenschutzmittel wirkt: Ihre Konzentration in der Umwelt ist gesunken. Hingegen nimmt die Belastung durch weiterhin bewilligte Pflanzenschutzmittel stetig zu. Insgesamt belasten Pestizide den Lebensraum für Pflanzen und Tiere heute so stark wie noch nie zuvor.

Als in den 1960er-Jahren in der Schweizer Landwirtschaft immer mehr Pflanzenschutzmittel eingesetzt wurden, dachte niemand daran, in Bächen, Flüssen, Seen und im Grundwasser nach entsprechenden Rückständen zu suchen. Inzwischen jedoch ist klar, welche Probleme diese Produkte in der Umwelt verursachen: So können sie bereits in kleinsten Konzentrationen Wasserlebewesen schädigen. Daten darüber, wie sich ihre Konzentrationen im Lauf der Zeit verändert haben, sind von grossem Interesse. Dabei stellen Ablagerungen am Boden von Seen ein ausgezeichnetes Umweltarchiv dar. Dank einer neuartigen Analyse von Seesedimenten, die an der Universität Bern entwickelt wurde, lassen sich nun Wissenslücken über die Verbreitung von Pestiziden schliessen. Die Berner Umweltwissenschaftlerin Aurea Chiaia-Hernández und ihr Team nutzten für ihre Untersuchung Sedimentproben aus dem Moossee. Der kleine See in der Nähe von Bern ist typisch für viele Seen in der Schweiz, die durch die Land-

Forschende der Universität Bern bei der Feldarbeit auf dem Moossee. Der Sedimentkernbohrer wird für den Einsatz am Boden des Moossees vorbereitet.

Interfakultäre Forschungskooperation Die Studie ist im Rahmen der Interfakultären Forschungskooperation (IFK) «One Health» der Universität Bern entstanden. Neun Forschungsgruppen aus drei Fakultäten untersuchen interdisziplinär, wie Umweltchemikalien die Gesundheit von Böden, Pflanzen, Tieren und Menschen beeinflussen.

wirtschaft stark beeinträchtigt werden. Obwohl unter Naturschutz, werden ihre Ökosysteme durch eine Vielzahl von Pestiziden belastet, die durch Zuflüsse oder direkt ab den Äckern eingeschwemmt werden. In einer in der Fachzeitschrift «Environmental Science & Technology» veröffentlichten Studie weisen Chiaia-Hernández und ihr Team die Belastung durch Pflanzenschutzmittel in den Seesedimenten nach – und zeigen auf, welche ökotoxikologischen Risiken durch diese Stoffe im Lebensraum am Boden von Seen entstehen. Die Forscherin am Geographischen Institut und Oeschger-Zentrum für Klimaforschung der Universität Bern setzte dabei modernste Analysemethoden ein.

Pestizide bauen sich kaum ab

Die Forschenden kamen bei der Untersuchung eines 60 Zentimeter langen Sedimentkerns zu folgenden Ergebnissen: Insgesamt konnten 34 verschiedene Pflanzenschutzmittel nachgewiesen werden. Seit den 1960er-Jahren nahm sowohl die Anzahl der Pflanzenschutzmittel wie ihre Konzentration massiv zu. Bei den meisten eingesetzten Mitteln wurden die höchsten Werte in den Sedimentschichten ab Ende der 1990er-Jahre bis etwa 2010 gemessen, bei einem Viertel von ihnen stieg die Konzentration allerdings auch danach weiter an. Das gilt vor allem für Fungizide. Seit 2002 wurde der Einsatz einzelner Produkte verboten – was sich schon wenige Jahre später an ihrer abnehmenden Konzentration in den entsprechenden Schichten nachvollziehen lässt. Doch nach wie vor lassen sich Produkte nachweisen, bei-

Aurea Chiaia-Hernández vom Geographischen Institut der Universität Bern und Oeschger-Zentrum für Klimaforschung. Der aufgeschnittene Sedimentkern zeigt die Schichten, die sich Jahr für Jahr auf dem Boden des Moossees abgelagert haben.

spielsweise Herbizide, die seit zehn oder gar zwanzig Jahren nicht mehr eingesetzt werden dürfen. «Wir finden diese Stoffe auch in den jüngsten Sedimentschichten – das zeigt, wie schwer abbaubar Pflanzenschutzmittel in Gewässern sind, und wie lange sie in der Umwelt verbleiben», erklärt Chiaia-Hernández.

Belastung seit 40 Jahren permanent zu hoch

Die Rückstände wirken sich unter anderem negativ auf das Leben am Boden der Seen aus. Sedimente sind ein wichtiger Bestandteil von Gewässern, sie dienen vielen Wasserorganismen als Lebensraum und Laichplatz und erfüllen essenzielle Funktionen im Nährstoffkreislauf. Doch wie die Untersuchung zum Moossee zeigt, steht es um die Qualität dieses Lebensraumes schlecht. «Unsere Studie belegt, dass die Qualität der Sedimente als Lebensraum seit den 1980er-Jahren permanent ungenügend ist», sagt Aurea Chiaia-Hernández. Die grössten ökotoxikologischen Risiken gehen von Herbiziden und zunehmend von Insektiziden wie zum Beispiel Chlorpyrifos aus. Dieses Produkt wurde in der Schweiz im Juli 2020 verboten.

Forschende der Universität Bern entnehmen einen Seedimentkern vom Seeboden.

Räumliche Verteilung des Herbizids Metolachlor in den Oberflächensedimenten des Moossees. Rote Farbe steht für hohe Konzentration, blaue Farbe für tiefe.

Bis anhin war über die Belastung der Seesedimente durch Pflanzenschutzmittel sehr wenig bekannt – vor allem, weil es an Analysemethoden fehlte. Die Berner Studie kommt nun zum Schluss, dass das ökologische Risiko, das Pflanzenschutzmittel am Boden dieses Kleinsees darstellen, noch nie so hoch war wie heute. Die höchsten Werte wurden für die jüngsten Schichten der Seesedimente ermittelt.

Originalpublikation Aurea C. Chiaia-Hernández et al., «HighResolution Historical Record of Plant Protection Product Deposition Documented by Target and Nontarget Trend Analysis in a Swiss Lake under Anthropogenic Pressure», Environmental Science & Technology (2020); https://doi.org/10.1021/acs. est.0c04842

Kontakt Dr. Aurea Chiaia-Hernández Universität Bern Hochschulstrasse 6 CH-3012 Bern + 41 31 631 55 18 aurea.hernandez@giub.unibe.ch www.unibe.ch

Moderne Analytik zeigt verborgene Zusammenhänge

Umweltgifte beeinflussen Medikamente

Körperfremde Moleküle, wie wir sie etwa über die Umwelt oder Nahrung aufnehmen, können die Wirkung von Medikamenten schwächen oder auch verstärken. Dies haben Studien zur Industriechemikalie Bisphenol A sowie zum Sojabohnen-Östrogen Genistein gezeigt. Das Zusammenwirken zwischen Umweltstoffen und Wirkstoffen wurde aber bisher nie systematisch analysiert. Ein Übersichtsartikel von Chemikern der Universität Wien schliesst nun diese Wissenslücke.

Die Forschung geht zurzeit von mindestens 10 000 bis 100 000 Umweltgiften und Fremdstoffen aus, denen ein Mensch in seinem Leben ausgesetzt ist und die dieser vor allem über die Nahrung aufnimmt. «Die meisten Stoffe kann unser Körper vermutlich effektiv entgiften – doch verschiedene Verbindungen bzw. deren Kombination können die Wirksamkeit von Wirkstoffen beeinflussen», so Benedikt Warth, stellvertretender Vorstand des Institutes für Lebensmittelchemie und Toxikologie an der Fakultät für Chemie der Universität Wien und Koordinator der neu ins Leben gerufenen nationalen Forschungsinfrastruktur für Exposom-Forschung (Eirene Austria).

Spuren von Bisphenol A

Dass dem so ist, zeigt ein allseits bekannter Rat in Beipackzetteln: Nach der Einnahme von Antibiotika oder Schmerzmitteln sollte man auf Alkohol verzichten. «Ethanol ist ein gut untersuchtes Zellgift, das die Wirkstoffwirkung verändern kann», so Warth. Ein weiteres prominentes Umweltgift, das praktisch jeder Mensch – in sehr geringen und normalerweise nicht besorgniserregenden Konzentrationen – im eigenen Körper hat, ist Bisphenol A (BPA). Es hat sich gezeigt, dass die vor allem in der Kunststoffproduktion verwendete Chemikalie mit verschiedenen Anti-Krebs-Therapeutika wechselwirkt und darüber zu Medikamentenresistenz und reduzierter Wirksamkeit führen kann. Genistein, ein aus der Sojabohne stammendes Pflanzenöstrogen und prominenter Wirkstoff in Hormonmitteln gegen Beschwerden in den Wechseljahren, kann ebenfalls verschiedene Wirkstoffe, insbesondere hormonrelevante Chemotherapeutika bei Brustkrebs, beeinträchtigen, wie die Forscher in ihrem Artikel ausführen. In manchen Fällen sind die Effekte negativer, in anderen Fällen durchwegs positiver Natur. «Unter den Zehntausenden bis Hunderttausenden Molekülen, denen der Mensch ausgesetzt ist, könnten unzählige mit Medikamenten interagieren, vor allem unter bestimmten Umständen oder in kritischen Lebensphasen wie die Schwangerschaft oder Pubertät», sagt Doktorand Manuel Pristner. «Die heutige hochauflösende Massenspektrometrie ermöglicht es uns, eine sehr grosse Zahl von Molekülen parallel zu messen. So können wir das Beziehungsgeflecht zwischen dem sogenannten Exposom, der Gesamtheit aller messbaren Umwelteinflüsse, und bestimmten Wirkstoffen künftig systematisch untersuchen», so Warth. Es gibt auch immer bessere bioinformatische Algorithmen, um die generierten grossen Datensätze auszuwerten. Suchte die Forschung bisher sehr zielgerichtet nach der Wirkung eines bestimmten Moleküls auf etwa einen bestimmten Rezeptor und damit auf einen Wirkstoff, «können wir mit der heutigen Technologie nicht nur eine Angel, sondern ein Netz auswerfen und erstmals ein gross angelegtes Screening durchführen. Dadurch können wir auch Entdeckungen machen, an die wir durch rationale Hypothesen zuvor nicht gedacht hätten», so die Forscher.

Personalisierte Medizin

Warum gewisse Wirkstoffe bei einem Menschen gut wirken und bei einem anderen Menschen weniger bis gar nicht,

Medikamente in unterschiedlichen Farben und Formen.

kann verschiedene Gründe haben – vom Erbgut, der Ausstattung mit bestimmten Rezeptoren bis hin zur Aktivität bestimmter Enzyme oder einfach chemischer Reaktivität. Das Zusammenwirken von Exposom und Medikamenten umfassender zu verstehen könnte helfen, Medikamente und ihre Dosis individuell abzustimmen, so dass sie besser und mit möglichst wenig bis gar keinen Nebenwirkungen wirken. Bei einer Person über ein standardisiertes Vorabscreening ihres Exposoms auf die passende Medikation schliessen zu können, sei zwar «noch Zukunftsmusik», sagt Warth, «aber der systematische Ansatz könnte bahnbrechend sein und auch schon die Wirkstoffentwicklung unterstützen.»

Medienmitteilung Universität Wien www.univie.ac.at

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