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Fachkräftemangel nimmt zu
from ChemieXtra 1_2/2023
by SIGWERB GmbH
Laut einer Auswertung von Adecco herrschte 2022 in der Schweiz ein noch nie zuvor dagewesener Fachkräftemangel. Neben Fachpersonen aus den Gesundheitsberufen sind auch Naturwissenschaftlerinnen sowie Ingenieure besonders gefragt. Wie können die Lücken wieder gefüllt werden?
Roger Bieri
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Für das dritte Quartal 2022 vermeldete das Bundesamt für Statistik (BFS) rund 124 000 offene Stellen in der ganzen Schweiz. Das sind 26 000 mehr als im gleichen Zeitraum ein Jahr zuvor. Seit der Aufhebung der Coronamassnahmen und aufgrund der steigenden Zahl an Arbeitnehmenden, die das Rentenalter erreichen (Stichwort «Babyboomer»), nimmt der Bedarf an neuen Fachkräften stetig zu.
Katalysator Coronapandemie
Nach der Aufhebung der meisten coronabedingten Massnahmen nahm die Anzahl der vakanten Stellen rasant zu. (Quelle: BFS)
Laut dem Spezialisten für Personalwesen Adecco sei die Coronapandemie zugleich «Fluch und Segen für den Schweizer Arbeitsmarkt». Das schreibt das Unternehmen in seiner Auswertung «Fachkräftemangelindex Schweiz 2022». Zuerst seien die Arbeitslosenzahlen in die Höhe geschossen. Der Bedarf an Fachkräften nahm rapide ab. Doch dann, kaum normalisierte sich die Situation wieder allmählich, habe sich «das Konsumbedürfnis» national wie auch international erhöht. Branchenunabhängig suchte man händeringend «auf einen Schlag» deutlich mehr Personal. Sogar die Zahl der Langzeitarbeitslosen nahm merklich ab (-47%). Und der Fachkräftemangel erreichte im Jahr 2022 einen noch nie dagewesenen Höhepunkt.
Vor allem Zürich sucht Naturwissenschaftler
Den ersten Platz der Berufe, die auf dem Markt besonders gefragt sind, belegen eindeutig die Gesundheitsberufe. Auch
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Ingenieure sind auf dem Arbeitsmarkt (Platz 3) begehrt. Die Nachfrage nach Naturwissenschaftern bzw. nach Chemikern hat im letzten Jahr stark zugenommen. Belegten diese Berufe 2021 noch den 11. Rang, erreichten sie 2022 den 6. Platz. Besonders auffällig: Die Unternehmen suchen vor allem Personen mit einer höheren Berufsbildung (Tertiärstufe).
Nirgends wird mehr nach Fachkräften gesucht als im Grossraum Zürich. In diesem Kanton sei besonders die sprunghafte Rangentwicklung der Berufe in Naturwissenschaften, Mathematik und Ingenieurwesen besonders auffällig: Vom Rang 16 kletterte diese Berufsgruppe auf den 3. Platz.
Lonzas verzweifelte Suche nach Fachkräften
Im April 2021 machte Lonza Schlagzeilen. Der Pharmazulieferer suchte laut meheren Medienberichten dringend nach Fachkräften unter anderem für die Produktion des Coronaimpfstoffs von Moderna. Auf Anfrage nahm das Unternehmen bis zum Redaktionsschluss keine Stellung zur Thematik.
Was tun gegen den Fachkräftemangel?
Auch Scienceindustries, der Schweizer Wirtschaftsverband für die Chemie- und Pharmaindustrie, gab bis zum Redaktionsschluss kein Statement zur aktuellen Fachkräftesituation in der Branche ab. Doch auf der eigenen Website hat der Verband ein Interview vom Magazin «Chemie, Kunststoff, Papier» (Ausgabe 2022) publiziert, das vom Schweizerischen Dienstleistungs- zentrum Berufsbildung (SDBB) herausgegeben wird.
In diesem Interview steht Peter Gehler, Vizepräsident im Verwaltungsrad der Siegfried, Dominique Weiersmüller Rede und Antwort. Auf die Frage, wie Gehler die aktuelle Beschäftigungsentwicklung beurteile, antwortet der Branchenkenner, dass die Schweizer Pharmaindustrie bereits jetzt sehr viele Grenzgänger oder ausländische Mitarbeitende beschäftige, die für ihre Arbeit in die Schweiz ziehen würden. Trotz diesen Bemühungen sei es «sehr anspruchsvoll», gute und qualifizierte Mitarbeitende zu finden. Der Markt sei «ausgetrocknet». Zudem betont Gehler, dass es wichtig sei, dass die Unternehmen der Branche selber Ausbildungsplätze anbieten würden. Damit legten sie eine gute Basis. Denn die heu tigen Lernenden seien die späteren Fachspezialisten.
Altbekannte Strategie: Berufsbildung als Lösung
Die Idee, auf die Berufsbildung zu setzen, also auf die bewährte Lehre, ist keineswegs neu. In einem Gastbeitrag in der ChemieXtra machte der Lehrlingsberater Peter Heiniger deutlich, dass attraktive Lehrstellenangebote allein nicht aussreichen würden. Viel zentraler ist es, die Lernenden später auch im Betrieb behalten zu können. «Immer mehr junge Menschen bewerben sich nicht primär wegen des Berufes um eine Lehrstelle, sondern wegen des Lehrbetriebes, wenn auch in vielen Fällen eher unbewusst als bewusst», schreibt Heiniger. Es ist also für einen Lehrbetrieb ratsam, sich als «Marken-Lehrbetrieb» zu präsentieren. Tolle Lehrlingsmarketing-Aktionen allein wirkten mittelfristig wahrscheinlich nur noch bedingt, meint Heiniger. Weshalb man die Chance nutzen und Oberstufen- wie auch Primarschullehrkräfte früh in entsprechende Prozesse einbinden soll. Aber auch die verstaubten hierarchischen Strukturen, die die Pharmaindustrie nach wie vor dominieren, spielen keine unwesentliche Rolle für den steigenden Lehrlingsmangel. Nach dem Motte: Wieso soll ich eine Lehre beginnen, wenn ich nur mit einem Studium oder gar Doktorat die Karriereleiter emporsteigen kann, da führt ja das Gymnasium schneller zum Ziel? Vielleicht wäre es auch in der Pharmabranche an der Zeit für ein Umdenken.