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von Sigfried Schibli
LISZTS WEIMAR
VON SIGFRIED SCHIBLI Weimar war eine kleine Residenzstadt mit rund 12000 Einwohnern, als Franz Liszt 1840 zum ersten Mal seinen Fuss dorthin setzte. Er war voller Verehrung für die Dichter Goethe, Schiller, Wieland und Herder, die alle mit Weimar verbunden waren. Aber geheim halten liess sich der Besuch des Klaviergenies in Weimar nicht. Kaum war Liszt dort angekommen, gewann er die Aufmerksamkeit des Hofes. Und man kann sich schwerlich vorstellen, dass der durchaus eitle Liszt («Génie oblige!») sich dagegen wehrte.
Jedenfalls wurde er gebeten, an der Hochzeit von Grossherzog Carl Alexander und Sophie von Oranien-Nassau im Jahr 1842 zu spielen. Carl Alexanders Mutter, die Grossherzogin Maria Pawlowna, eine Schwester des Zaren Nikolaus I., ernannte ihn gar zum Grossherzoglichen Kapellmeister. Damit ging sie ein Wagnis ein, denn Liszts Ruf war keineswegs der beste – ein Frauenheld mit Hang zu Damen aus dem Hochadel und Vater dreier unehelicher Kinder (Blandine, Cosima und Daniel), politisch unzuverlässig dank seiner Freundschaft mit dem revolutionär gesinnten Richard Wagner und seiner Sympathien für den christlichen Frühsozialismus.
Doch die Rechnung der Maria Pawlowna ging auf. Liszt tobte sich noch ein paar Jahre auf den Konzertpodien der Welt aus, brachte sich das Dirigieren bei, gab hin und wieder ein Wohltätigkeitskonzert in Weimar und bezog Anfang 1848 zwei Zimmer im Hotel Erbprinz, bevor er mit seiner neuen Partnerin Fürstin Carolyne von Sayn-Wittgenstein in die Altenburg am Stadtrand von Weimar zog. Die wilden Reisejahre des Virtuosen Liszt waren damit vorbei. Als «Sammlung und Arbeit in Weimar» bezeichnete Liszt später diesen Abschnitt seines Lebens. Er dauerte von 1848 bis 1861.
Die Altenburg war ein herrschaftliches Wohnhaus, so alt wie Liszt selbst, der darin eine Etage mit drei Zimmern bewohnte. Darunter ein Musiksalon, in dem mehrere Flügel standen, auch sein riesenhafter ‹Orgelflügel›, eine Kombination von Klavier und Orgel. Hier empfing Liszt nicht selten Gäste – die Crème de la Crème der europäischen Musikszene. Wagner war da und Berlioz, Clara Schumann und Johannes Brahms, aber auch Maler und Literaten.
«Sammlung und Arbeit» umschreibt präzis das Lebenskonzept von Liszt in jener Lebensphase. Nach seinen Jahren in ‹Saus und Braus› wollte er Rückschau halten auf das Erreichte, und dafür war das beschauliche Weimar geeignet. Er überarbeitete sein bisheriges Werk, feilte an seinen musikschriftstellerischen Arbeiten und schuf neue Orchesterwerke und Oratorien, wozu ihm die kleine, weniger als vierzig Musiker umfassende Hofkapelle als ‹Instrument› zur Verfügung stand. Früchte jener Jahre waren neben den sinfonischen Dichtungen
Die Altenburg in Weimar, wo Franz Liszt ab 1848 lebte
für Orchester die Faust-Symphonie und die Sonate in h-Moll für Klavier. Dieses halbstündige Monumentalwerk in einem Satz hat man immer wieder als klingende Illustration des Faust-Stoffs ausgelegt. Goethe, Weimar, Faust – da schliesst sich jedenfalls ein Kreis.
In seinen 13 Weimarer Jahren leitete Liszt am Hoftheater 43 Opern, darunter 28 zeitgenössische. Zu diesen zählten Wagners Tannhäuser und – in Uraufführung – dessen Lohengrin. Der Chor, der ihm zur Verfügung stand, zählte maximal 27 Mitglieder, das Ballett nur wenige Tänzer*innen. Bescheidene Verhältnisse! Dass Liszt immer wieder herausragende Gesangssolist*innen fand, war einzig und allein seinem Ruf und seinem Charisma zuzuschreiben, denn die Bezahlung der Opernsänger*innen war bescheiden. Als er Weimar verliess, waren Orchester und Chor nur unwesentlich grösser als bei seinem Amtsantritt.
Liszt war Praktiker genug, sich für seine vielfältigen Aufgaben der Mithilfe eines kompetenten Assistenten zu versichern: Joachim Raff. Dieser war ein aus Lachen (Schwyz) gebürtiger Schweizer Musiker und Komponist, der 1849 zu Liszt nach Weimar zog, in der Altenburg wohnte und Liszt beim Orchestrieren seiner Werke und beim Verfassen seiner Schriften unterstützte. Eine schöne Anekdote zu Raff und Liszt gilt es hier noch zu erzählen, allein schon deshalb, weil sie in Basel spielt. Drei Jahre vor seinem Umzug nach Weimar gab Liszt ein Konzert in Basel, und die Ankündigung dieses Konzerts (es musste drei Mal gegeben werden) fand ihren Weg bis nach Zürich zu Joachim Raff. Spontan beschloss der 23-Jährige, zu Fuss nach Basel zu pilgern, um den Klavierabend seines Idols Liszt zu hören. Das Konzert war aber ausverkauft, und der vom Regen triefend nasse Raff stand vor verschlossenen Türen. Irgendwie muss Liszt davon gehört haben, und er sorgte persönlich dafür, dass Raff Zutritt zu dem Konzert bekam. Es war eine schicksalhafte Begegnung, denn danach wurde Raff zu Liszts engstem Mitstreiter und Wegbegleiter in Weimar.