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Eine Faust-Symphonie in drei Charakterbildern

ZUM WERK FRANZ LISZT Eine Faust-Symphonie in drei Charakterbildern

AUF DER SUCHE NACH DEM IDEAL

VON FLORIAN HEURICH Als Franz Liszt am 5. September 1857 in Weimar seine Faust-Symphonie anlässlich der Enthüllung des Goethe-Schiller-Denkmals erstmals der Öffentlichkeit präsentierte, war er am Ziel seines Weges angelangt – als Mensch und als Künstler. Noch als rastlos reisender Virtuose, der ganz Europa eroberte, hatte er bereits viele Jahre zuvor geschwärmt: «Weymar, mein Fixstern, Weymar, die Heimat des Ideals.» Nach seiner Berufung als Hofkapellmeister liess er sich 1848 dort nieder und machte aus dieser Stadt der Literatur nun auch eine Stadt der Musik. Mit der Faust-Symphonie führte er schliesslich die Gattung der sinfonischen Dichtung, der er sich zuvor mit einigen kleineren Werken genähert hatte, auf einen Höhepunkt, indem er sämtliche Errungenschaften der Programmmusik mit der grossformatigen Anlage einer mehrsätzigen Sinfonie verband.

Es war Hector Berlioz, der Liszt rund 25 Jahre vor der Komposition, als dieser ebenfalls in Paris lebte, auf Goethes Drama aufmerksam machte. Liszt las das Stück zum ersten Mal in der französischen Übersetzung von Gérard de Nerval und lernte den Faust-Stoff somit aus der emphatischen Sicht der Romantik kennen. Ungestüme Leidenschaft, innere Zerrissenheit, Weltschmerz und diabolische Abgründigkeit – also all das, was die Romantiker an Goethes Drama faszinierte – sollten sich später auch in Liszts musikalischer Interpretation des Faust-Themas niederschlagen. Er widmete das Werk Berlioz, so wie dessen eigene Goethe-Bearbeitung, La Damnation de Faust, Liszt gewidmet ist.

Franz Liszt (1811–1886), porträtiert von Henri Lehmann, 1839

Schon durch den Titel Eine Faust-Symphonie in drei Charakterbildern wird klar, dass es Liszt nicht um eine Nacherzählung der Handlung von Goethes Theaterstück ging, sondern um das Innenleben der Figuren. Der 1. Satz gilt Faust, der 2. Gretchen und der 3. Mephistopheles, wobei Liszt ein vielschichtiges musikalisches Porträt der drei Protagonisten entwirft. Einige konkrete Momente aus dem Drama lassen sich in der Komposition festmachen, insbesondere im Gretchen-Teil, wenn Liszt etwa die Begegnung des Mädchens mit Faust fast als eine Art instrumentales Liebesduett schildert oder wenn er eine Episode aufgreift, in der Gretchen die Blätter einer Blume auszupft als ein ‹Er liebt mich, er liebt mich nicht›-Spiel, dargestellt durch ein Hin und Her zwischen Geigen und Klarinetten; darüber hinaus bildet das Werk jedoch vor allem den sehr subjektiven Blick des Komponisten auf die Figuren ab.

Im 1. Satz tauchen für Faust fünf Themen auf, die auf komplexe Art und Weise ineinander verwoben werden und deren unterschiedliche Klanglichkeit die verschiedenen Charaktereigenschaften der Titelfigur widerspiegelt: grüblerisch, wissensdurstig, aber auch leidenschaftlich-sehnsuchtsvoll und vorwärtsdrängend sowie spirituell und dem Metaphysischen zugetan. Gerade der düstere, fast ziellos wirkende Anfang führt Faust als einen suchenden Menschen ein, der nach und nach in diverse

Lebensbereiche vordringt und das Ideal dennoch nicht finden kann. Im 2. Satz wird Gretchen durch sangliche Melodik und Dur-Harmonik als unschuldiges, reines, naives Wesen charakterisiert. Mehr und mehr mischen sich Fausts Themen in ihre Musik, und die beiden verschmelzen in einer Liebesszene.

Mephistopheles hingegen hat kein eigenes thematisches Material. Für den «Geist, der stets verneint» greift Liszt die Themen Fausts wieder auf, wendet sie ins Negative, ins Groteske und Hässliche und zeichnet so den Teufel als verzerrtes, fratzenhaftes Alter Ego der Titelfigur ohne eigenen Charakter. Die Faust-Symphonie endet – ähnlich wie viele andere Vertonungen dieses Stoffs – in einer Apotheose: In einem Schlusschor mit Tenorsolo, den Liszt erst einige Jahre nach den anderen Teilen als neues Finale nachkomponierte, wird mit den Worten aus Faust II die erlösende Kraft des ‹Ewig-Weiblichen› besungen. Das Ende gehört also Gretchen – das Ideal, das über das Diabolische triumphiert.

GESANGSTEXT 3. SATZ: MEPHISTOPHELES

Alles Vergängliche Ist nur ein Gleichnis; Das Unzulängliche, Hier wird’s Ereignis; Das Unbeschreibliche, Hier ist’s getan; Das Ewig-Weibliche Zieht uns hinan.

Eine Faust-Symphonie in drei Charakterbildern

BESETZUNG 3 Flöten, 2 Oboen, 2 Klarinetten, 2 Fagotte, 4 Hörner, 3 Trompeten, 3 Posaunen, Tuba, Pauke, Schlagzeug, Harfe, Orgel, Streicher, Tenor solo, Männerchor

ENTSTEHUNG August bis Oktober 1854 in Weimar

URAUFFÜHRUNG 5. September 1857 in Weimar

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