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Dorothee Kappus, Violine

«DIE MUSIK IST DAS GROSSE GANZE»

VON LEA VATERLAUS Die bezaubernde kleine Viertelvioline ihrer Schwester bewog sie zur Ausbildung als Geigerin, und die klare Sprache der klassischen Epoche begeistert sie: Seit 1998 ist Dorothee Kappus Register-Mitglied bei den ersten Geigen im Sinfonieorchester Basel. Ein Gespräch über die Empfindlichkeit ihrer alten italienischen Geige, das Besondere am Musiker*innen-Beruf und ihre akribische Auseinandersetzung mit Notentexten.

LV Dorothee Kappus, Du bist seit 24 Jahren beim Sinfonieorchester Basel.

Worauf kommt es im Orchester an, damit gute Musik entsteht? DK Die Voraussetzung ist natürlich, dass alle ihr Instrument beherrschen. Während des Studiums werden Musiker*innen dazu erzogen, sich solistisch und persönlich individuell zu entwickeln. Im Orchester kommt man plötzlich in eine neue Situation: Man muss sich einerseits einfügen und zurücknehmen, andererseits aber auch emotional einbringen. Die Aufgabe der Dirigent*innen ist es dann schliesslich, diese Energien so zu bündeln, dass letztlich wie aus einem Körper Musik zum Klingen gebracht wird. Die Musik ist das grosse Ganze und wir stehen in ihrem Dienst.

«Bei uns war den ganzen Tag lang ein unheimlicher Krach zu Hause.»

LV Weshalb bist Du Geigerin geworden? DK Ich wuchs in einem musikalischen Haushalt auf, mein Vater ist ein äusserst begabter Amateur-Bratschist, meine Mutter unterrichtete Flöte, Geige und Klavier. Meine drei älteren Schwestern sind alle auch Berufsmusikerinnen geworden. Bei uns war den ganzen Tag lang ein unheimlicher Krach zu Hause. (lacht) Irgendwann sah ich die kleine, entzückende Viertelgeige meiner älteren Schwester, und da blieb mir fast nichts anderes übrig, als auch Geige zu lernen. Ich studierte erst in Basel, und machte dann mein Konzertexamen in Freiburg im Breisgau. Nach ein paar Jahren als freischaffende Musikerin bekam ich in

Mint & © Pia Clodi / Peaches

einem Nachstudium in Bern den ‹letzten Schliff›, bevor ich zum Sinfonieorchester Basel kam. Im nächsten Leben würde ich mich sehr wahrscheinlich für die Pantomime entscheiden – vielleicht, weil ich immer von (zu) viel Lärm umgeben war und je älter ich werde den Ausdruck in der Stille suche.

LV Was zeichnet Deinen Beruf aus? DK Ich finde, wir Musiker haben einen sehr speziellen Beruf. Ein Notentext ist eigentlich tote Materie. Nur der Musiker kann diese zum Leben erwecken, indem er den Text in seiner momentanen Verfassung interpretiert. Dieses Einmalige und Flüchtige fasziniert mich immer aufs Neue. Ich fühle mich manchmal durchaus ‹ausserirdisch›, auch in Gesprächen mit meinem Freund, der in einem ganz anderen Arbeitsfeld, der Sicherheitspolitik, tätig ist: Knallharte Realität und meist schwerfällige Prozesse. Wir haben aber auch schon herausgefunden, dass ein Orchester und eine Armee durchaus Gemeinsamkeiten aufweisen. (lacht) LV Deine Schwester Annemarie spielt auch beim Sinfonieorchester Basel.

Gibt es da manchmal Schwierigkeiten? DK Bei Geschwistern, die im selben Orchester im gleichen Register dasselbe Instrument spielen, bleibt es nicht ganz konfliktfrei und man wünscht sich die andere manchmal weit weg. Es gibt aber auch die tollen Aspekte: Bei der Beurteilung von Solist*innen oder Dirigent*innen fühlen wir beispielsweise meistens genau dasselbe. Und wenn wir Kammermusik machen, müssen wir über viele Dinge gar nicht diskutieren, wir verstehen uns blind. Wir sind sehr unterschiedlich und uns trotzdem nahe. Wir kommen aus demselben ‹Stall›.

LV Gibt es ein Werk, das Dich besonders berührt? DK Beim Saisonabschlusskonzert ‹Aufbruch› im vergangenen Juni stand Gustav Mahlers 1. Sinfonie auf dem Programm. Das Werk ist eine meiner absoluten Lieblingssinfonien, und ich sagte unserem Disponenten bereits Anfang Saison, dass ich dieses Konzert spielen möchte, auch umsonst. Die Sinfonie liegt sowohl technisch als auch musikalisch einfach gut, und man hat die Möglichkeit, sich im Orchester umzuhören und sich auf andere Stimmen einzulassen. Diese Sinfonie beschreibt das Leben in allen Facetten – vom Triumph zum totalen Absturz. Man muss kein Musik-Experte sein, um dieses unmittelbare und riesige Gefühlsspektrum zu verstehen. Nach dem Konzert traf ich Leute, die Tränen in den Augen hatten. Das war ein wunderschönes ganzheitliches Ereignis.

LV In welcher Musikepoche fühlst Du

Dich zu Hause? DK Ich liebe Mahler, Brahms, Puccini und Verdi, würde mich aber gar nicht als Romantikerin bezeichnen. Im Studium habe ich mich stark mit den Klassikern wie Mozart und Beethoven beschäftigt und so gemerkt, dass diese klare Sprache meinem Wesen am meisten entspricht. Obwohl Beethoven durchaus romantische Ansätze hatte und ihr Wegbereiter war.

LV Wie bereitest Du Dich auf Proben und

Konzerte vor? DK Ich bin sehr streng mit mir, wenn ich einen Notentext lerne. Ich möchte wirklich verstehen, was der Komponist oder die Komponistin will. Nebst den Noten gibt es ja auch immer viele Anmerkungen. Diese genaustmöglich umzusetzen, ist mir wichtig. Man möchte dem Werk ja so gut es geht gerecht werden. Daneben übe ich fast täglich. Ich bereite mich zu Hause gut vor, so dass es in den Proben nur noch um den Feinschliff geht.

LV Was für ein Instrument besitzt Du? DK Ich besitze eine alte italienische Violine, die zwischen 1790 und 1800 gebaut wurde und aus der neapolitanischen Geigenbauerfamilie Vinacci stammt. Diese Instrumente sind sehr sensibel und reagieren stark auf Klimaveränderungen, vor allem was die Luftfeuchtigkeit anbelangt. Ich habe für den Stimmstock meines Instruments – ein Holzstück, das die Schwingungen von der Decke auf den Boden der Geige überträgt – eine Winter- und eine Sommereinstellung. Wenn die Heizperiode beginnt, verschiebt meine Geigenbauerin den Stimmstock um einen halben Millimeter. Wenn das Instrument nicht gut klingt, sollte man sich aber auch hinterfragen, ob man es nicht selbst ist, der unzufrieden mit sich und seinem Spiel ist.

«Ich finde es notwendig und gut, dass zeitgenössische Musik in den Konzertsälen dieser Welt einen festen Platz hat.»

LV In diesem Konzert werden neben Pjotr

Iljitsch Tschaikowskis RomantikTitan, seinem Violinkonzert, auch Werke von Claude Debussy und Anders

Hillborg gespielt. Ein Programm, das

Dir gefällt? DK Debussys La Mer spielte ich im Alter von 17 Jahren zum ersten Mal mit der Basler Sinfonietta. Ich weiss noch, dass ich diese Partitur so unfassbar kompliziert fand: Links und rechts auf der Seite gab es verschiedene Notensysteme, Zeichen für Flageoletts und die Verwendung von Dämpfern und alle möglichen weiteren Angaben. Für mich war es damals eine riesige organisatorische Herausforderung, diese Partitur zu erfassen und zu wissen, wann ich zu blättern hatte und wo ich spielen musste. Da realisierte ich: Das ist mein Einstieg in die Orchestermusik. (lacht)

Ich finde es notwendig und gut, dass zeitgenössische Musik in den Konzertsälen dieser Welt einen festen Platz hat. Herr Hillborg ist ja diese Saison ‹Composer in Residence› beim Sinfonieorchester Basel. Somit hat man die Möglichkeit, mehrere seiner Werke zu spielen oder zu hören. Dies finde ich spannend und begrüssenswert.

LV Dorothee Kappus, vielen Dank für das Gespräch!

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