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Frieda Müller, Leitung Projekte & Produktionen
VON LEA VATERLAUS Die Feier ihres zehnjährigen Jubiläums beim Sinfonieorchester Basel musste Frieda Müller pandemiebedingt zwar verschieben, doch vor allem ist die Leiterin der Abteilung ‹Projekte & Produktionen› froh darüber, dass man nun wieder zukunftsgerichtet planen kann. Im Interview spricht sie über die Vereinbarkeit von Kunst und Management, ihren Umgang mit den Musikerinnen und Musikern sowie über ihre persönlichen Wege, um bei aller Vorausplanung auch immer wieder im Moment selbst zu sein.
LV Frieda Müller, als Leiterin der Abteilung ‹Projekte & Produktionen› bist Du für die Planung und Umsetzung von Konzerten verantwortlich.
Was ist dabei besonders wichtig? FM Meine Aufgabe ist es, das grosse Ganze im Blick zu behalten. Sei es in der mittelfristigen Planung oder in der konkreten Umsetzung der laufenden Spielzeit. Bei einem neuen Projekt ist da zuallererst die enge Zusammenarbeit zwischen künstlerischer Direktion und dem Chefdirigenten bei der Programmplanung. Steht diese fest, schauen wir gemeinsam, welche Ideen davon realisierbar sind. Dabei habe ich stets eine klare Vision im Kopf, was meine Mitarbeitenden und ich dazu beitragen können, damit die Kunst erstrahlen kann. Selbstverständlich will man möglichst viel umsetzen, um der Kunst zu entsprechen, darf dabei aber die Bereiche von Leadership und Management nicht aus den Augen verlieren. Dies vor allem, wenn es um die Work-Life-Balance meines Teams geht, um das Berechnen von Kosten und das Erstellen von konkreten Einsatzplänen.
LV Du stehst in engem Kontakt zu den
Solistinnen und Solisten, denen auf der Bühne emotional viel abverlangt wird. Du brauchst sicher viel Fingerspitzengefühl im Umgang mit den
Künstlerinnen und Künstlern?
VORGESTELLT FM Ich nehme jede Person immer wieder ganz neu und unvoreingenommen wahr. Dabei lasse ich mich nicht von grossen Namen blenden, sondern gehe mit den Beteiligten ganz pragmatisch durch die Woche. Natürlich entstehen durchaus viele persönliche Begegnungen, denn man ist sich sehr nahe. Hinter jeder Künstlerin und jedem Künstler steckt ein Mensch, welcher auch einmal einen schlechten Tag haben darf. Das nehme ich nicht persönlich. Mit Empathie und durch Erfahrung merkt man: Ist jetzt gerade der Moment, um noch eine Frage zu stellen? Oder nehme ich mich besser zurück, um jenen den Raum zu geben, die ihn brauchen? Bei diesem Umgang wird Vertrauen geschaffen, und sowohl die Solistinnen und Solisten als auch unsere Orchestermitglieder wissen, dass man sich aufeinander verlassen kann.
LV Gab es auch schon skurrile Wünsche? FM Meistens sind es die Agenturen, die uns wahnsinnig lange Listen zusenden, was alles für die Künstler bereitstehen muss. Dabei kommt alles vor – bis zum ganz spezifischen Kiwi-Saft. Sind die Leute dann aber da, ist es oft so, dass diese Wünsche gar nicht unbedingt dominieren und sie vielleicht ganz froh darüber wären, auch einmal einfach Orangensaft eingeschenkt zu bekommen! Auf dem Papier steht immer viel – schlussendlich muss man die Menschen jedoch dort abholen, wo sie im jeweiligen Augenblick stehen.
LV Bist Du stolz, wenn Du im Konzertsaal sitzt und Deine Arbeit dazu geführt hat, dass alle Beteiligten zur richtigen Zeit am richtigen Ort sind? FM Ja, absolut! Bei Konzertbeginn stellt sich bei mir erst einmal eine Art von Erleichterung ein, die ich gerne mit allen
FRIEDA MÜLLER
40 Leuten teile, die im Hintergrund dazu beigetragen haben, dass alles funktioniert. Im Publikum bekommt man gar nicht mit, was jeweils kurz vor dem Konzert noch hinter der Bühne geschieht und wer alles herumspringt. (lacht) Richtig heiss wird es für uns beispielsweise, wenn ein Solist oder eine Solistin beziehungsweise ein Orchestermusiker oder eine Orchestermusikerin um zwanzig nach sieben noch nicht vor Ort ist und das Konzert zehn Minuten später beginnen soll. Es ist ein unglaublich schönes Gefühl, solche Situationen gemeinsam zu meistern, auch wenn das Adrenalin kurz hochkocht.
LV Tourneen und Gastspielreisen brauchen eine sehr komplexe Organisation. Eine Bewährungsprobe für
Eure Arbeit? FM Meistens geht es bei Gastspielreisen um banale Details wie die Gültigkeit von Reisepässen oder momentan von CovidZertifikaten. Entscheidungen müssen stets unmittelbar getroffen werden, und man steht in Austausch mit vielen unterschiedlichen Persönlichkeiten in diversen Sprachen. Reist man über den eigenen Kulturkreis hinaus, erfordert dies zusätzlich eine offenherzige und verständnisvolle Auseinandersetzung mit der jeweiligen Kultur. Unsere China-Tournee mit dem Pianisten Fazil Say im März 2015 brachte beispielsweise viele bürokratische und administrative Hürden mit sich. Nach diversen Telefonaten auf unterschiedlichen Hierarchiestufen brauchte es sogar noch den persönlichen Besuch und die entsprechenden Kontakte bei der chinesischen Botschaft, bis wir auch für Fazil Say, welcher sich öffentlich zu politischen Themen geäussert hatte, kurz vor Abreise noch ein Visum erhielten.
LV Während des letzten Jahres gab es unzählige Programm- und Besetzungsänderungen, erschwerte Reisebedingungen sowie strengere Sicherheitskonzepte. Wie hast Du die letzte Zeit aus planungstechnischer
Sicht erlebt? FM Das letzte Jahr war sehr anstrengend. Planung und Umsetzung waren praktisch nur gleichzeitig möglich, alles war sehr spontan. Gleichzeitig war es toll, dass das Sinfonieorchester Basel seinen Betrieb
VORGESTELLT nie ganz einstellen musste, sondern die Musikerformationen und Zuschauerzahlen stets den geltenden Bestimmungen anpasste. Der Aufwand hat sich gelohnt – es wurde nie ganz still um das Orchester.
LV Hat sich der Kulturbetrieb in der letzten Zeit verändert? Ist er zukunftsfähiger geworden? FM Für mich ist Kultur immer eine Gesellschaftsdokumentation – ein Abbild unseres Zusammenlebens. Die zunehmende Schnelllebigkeit in der Kommunikation, beispielsweise über Social Media, hat auch im Kulturbereich klar zugenommen. Im letzten Jahr erweiterten sich über diverse Möglichkeiten des Streamings zudem die Optionen, einem Konzert online beizuwohnen. Um zukunftsfähig zu bleiben, darf man sich aber nicht auf seinen Lorbeeren ausruhen, sondern muss ständig an der eigenen Offenheit und dem Interesse an neuen Themen arbeiten und diese auch kritisch hinterfragen. Kunst ist letztlich ein Zeitzeuge, und das ‹Jetzt› spielt eine grosse Rolle. Für mich ist auch der Austausch mit anderen Kulturinstitutionen sehr erfrischend. Schlussendlich hat die Kunst ein Ziel: das Publikum abzuholen und ihm einen Moment zu bieten, in dem jede und jeder im Augenblick verweilen kann.
LV Du hattest letztes Jahr Dein zehnjähriges Jubiläum beim Sinfonieorchester Basel. Was fasziniert Dich an der klassischen Musik? FM Ich bin seit 2010 beim Sinfonieorchester Basel, davor waren Stationen meines Berufslebens unter anderem das Theater Basel und das Gast- und Kulturhaus Teufelhof in Basel. In letzterem absolvierte ich ursprünglich die Ausbildung als Kauffrau, studierte danach Tourismus
FRIEDA MÜLLER
41 in Luzern und machte begleitend zu meiner Tätigkeit beim Sinfonieorchester Basel den Abschluss in Kulturmanagement an der Universität Basel. Die Musik verbinde ich mit vielen schönen Emotionen und Erinnerungen – bei uns zu Hause wurde immer viel musiziert. Wirkliches Interesse für die klassische Musik entwickelte ich in der Schulzeit, ein Schlüsselerlebnis war dabei ein Besuch im Theater St. Gallen. Ich sass in der vordersten Reihe, gleich oberhalb des Orchestergrabens, und bekam vom Bühnengeschehen überhaupt nichts mit, weil es mich so faszinierte, was im Orchester vorging. (lacht) Gleich nach der Aufführung rief ich beim Orchester an und erlangte durch den frei erfundenen Auftrag, ich hätte ein Interview zu verfassen, schliesslich den Kontakt zu einem Hornisten, dem ich sogleich richtige Löcher in den Bauch fragte. Die Faszination für die klassische Musik und die Orchesterarbeit hat sich bis heute gehalten.
LV Wie findest Du neben Deinem schnelllebigen Alltag zur Ruhe? FM Für mich ist es wichtig, Rituale zu haben, die mir Ruhe geben und aus denen ich neue Energie schöpfen kann. So habe ich die Ausbildung zur Yoga-Lehrerin gemacht. Während ich in der Orchesterorganisation gedanklich immer weit der Zeit voraus bin, finde ich es beruhigend, im Alltag immer wieder zum Moment selbst zu finden.
LV Frieda Müller, herzlichen Dank für das Gespräch!