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Mark Padmore, Tenor
AUFTAKT ZU DEN WEIHNACHTSFEIERTAGEN
VON CHRISTOPH GAISER Der britische Sänger Mark Padmore legt im Gespräch seine Lesart von Gerald Finzis Kantate Dies Natalis dar, die er zwei Tage vor Heiligabend mit dem Sinfonieorchester Basel unter Ivor Bolton im Konzert interpretieren wird. Zudem lässt er persönliche Musizier-Erlebnisse in der Weihnachtszeit Revue passieren.
CG Viele von uns verbinden Weihnachten im Familienkreis mit Musikhören oder Musikmachen. Wie war es in Ihrer Familie um die Musik an
Weihnachten bestellt? MP Ein prägendes Erlebnis in meinen Kindheitsjahren war das ‹Carol singing›. Wir sind durch die Strassen gezogen, um dort zu singen und damit Geld für wohltätige Zwecke zu sammeln. Das war ein sehr schönes Erlebnis, und noch dazu versetzte es einen bestens in die vorweihnachtliche Stimmung.
CG Als Student in Cambridge konnten
Sie die beeindruckende Tradition des täglichen gesungenen Vespergottesdienstes in der King’s College Chapel miterleben. Dadurch haben Sie fraglos ein besseres Gefühl für die Ausdehnung der Weihnachtszeit bekommen, die vom ersten Advent bis zu
Lichtmess reicht. Sind Ihnen aus der Zeit vor und nach den eigentlichen Weihnachtsfeiertagen besondere musikalische Momente in Erinnerung? MP Der Gottesdienst mit den ‹Nine Lessons and Carols› an Heiligabend war für den Chor des King’s College mit Abstand der wichtigste Anlass im Jahr. Er ist weltweit im Radio zu hören, und die Leute aus Cambridge stehen stundenlang in der
Hoffnung an, einen Sitzplatz in der Kapelle des College zu erhalten. Der Gottesdienst ist in seinem Ablauf über die Jahrzehnte unverändert geblieben, und für viele Menschen ist er der eigentliche Auftakt zu den Weihnachtsfeiertagen.
CG Finzi war kein Kirchenmusiker, eher ein Freigeist mit enormer Bildung.
Für seine Kantate Dies Natalis wählte er Texte von Thomas Traherne, die für uns heute nicht eben leicht verständlich sind. Wie haben Sie das
Werk für sich selbst erschlossen, und können Sie diese Erfahrung mit dem
Publikum teilen? Anders gefragt: Welches sind die Kernbotschaften des
Werks, und wie kann Finzis Musik sie transportieren? MP Da führe ich gerne eine Gedichtzeile Goethes an, die mir sehr am Herzen liegt: «Zum Erstaunen bin ich da». In Thomas Trahernes Dichtung dreht sich alles um das Wundersame – jenes Gefühl des kindlichen Erstaunens in dem Moment, in dem man die Welt in all ihrer Herrlichkeit erfasst. In dunklen Zeiten wie den heutigen ist es wichtiger denn je, dass wir auf die Wahrnehmung dieses Gefühls aktiv hinarbeiten. Die Welt ist wunderschön, wir müssen nur achtsam mit dieser Schönheit umgehen.
CG Sie haben Dies Natalis 2011 auf CD aufgenommen, zusammen mit Benjamin Brittens Les Illuminations und Serenade, die etwa zur gleichen Zeit entstanden sind. Finzi und Britten standen sich nicht besonders nahe.
Die Werke, insbesondere ihre Textgrundlage, mögen sehr verschieden sein, doch wenn Sie Finzi und Britten als Musikerpersönlichkeiten betrachten, wo sehen Sie da die Gemeinsamkeiten, wo die Unterschiede? MP Gerald Finzi und Benjamin Britten hielten beide die Dichtkunst in hohen Ehren, und sie verstanden es beide aufs Beste, Musik so einzusetzen, dass sie die Aussage eines Gedichts wirkungsvoll unterstreicht. Britten war der bedeutendere Musiker, und ihm flogen auch die Einfälle leichter zu. Finzi jedoch hatte die Gabe, Lieder von sehr intimem Charakter zu schreiben, die wirklich zu Herzen gehen. Sie klingen sehr ‹englisch› und lassen vor dem inneren Auge oftmals Bilder der Landschaften Englands entstehen. Und was für diese Landschaften gilt, gilt auch für Finzis Lieder: Sie mögen zwar nicht imposant sein, aber sie sind dafür umso reicher an subtiler Schönheit.