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Yeol Eum Son, Klavier
AUF ‹DU› MIT MOZART
VON CHRISTA SIGG Es muss passen. Wenn nicht, zupft sich Yeol Eum Son sogar den den tief sitzenden Rocksaum zurecht. Oder sie kurbelt so lange am Klavierhocker, bis die Höhe für sie stimmt. Ausgerechnet beim TschaikowskiKlavierwettbewerb schien das eine halbe Ewigkeit zu dauern. Das Publikum wurde schon nervös. Aber dann gelang ihr die letzte Beethoven-Sonate so umwerfend gut, dass der Applaus wiederum kein Ende nehmen wollte und die junge Frau aus Südkorea den 2. Preis davontrug. 2011 war das, und es hat damals eben gepasst. Mehr noch ist das bei Wolfgang Amadé Mozart der Fall. Und wenn die 36-Jährige nun sein Klavierkonzert B-Dur, KV 450, mit dem Sinfonieorchester Basel spielt, dann spricht sie ihre Muttersprache. Fast.
CS Frau Son, Artur Rubinstein war der
Auffassung, Mozart sei etwas für sehr junge oder ganz alte Musiker*innen.
Ist da was dran? YES Ich denke schon. Die Naivität, das Unschuldige, das man in seiner Musik finden kann, ist bei Kindern in guten Händen. Auf der anderen Seite gibt es auch
immer diese enorme Reife, die Transzendenz – damit können ältere Musiker*innen eher etwas anfangen. Aber wie bei allem kommt es immer auf die Person an. Mozart wirklich gut zu spielen, ist deshalb keine Frage des Alters, des Geschlechts oder des kulturellen Hintergrunds.
CS Sie scheinen eine besondere Beziehung zu Mozart zu haben? YES Und ich kann nicht einmal sagen, weshalb! Mozart lag mir immer sehr am Herzen – und genauso liegt er mir in den Fingern. Wenn ich seine Musik spiele, fühle ich mich äusserst wohl, das geht ja nicht allen Musiker*innen so. Ich glaube, jeder hat eine eigene Sprache, eine spezielle Verbindung zum Instrument, die Ausbildung … Es gibt ja auch Fremdsprachen, die man leichter lernt als andere, weil sie der Muttersprache am nächsten sind. Irgendwie ist Mozarts Musik für mich eine solche Sprache. Klavierkonzert Nr. 15 bei den BBC
Proms von 2019 hatte auf YouTube in kürzester Zeit 1,5 Millionen Aufrufe. In Mozarts Gesamtwerk nimmt es einen besonderen Platz ein – und nun spielen Sie es mit dem Sinfonieorchester Basel. YES Ich meine, es gibt in dieser Schaffensphase Mozarts einen Bruch, das betrifft auch schon das Vorgängerkonzert in Es-Dur, KV 449. Es sind vielleicht nicht die ersten ‹reifen› Konzerte, da ist ja zum Beispiel auch der 2. Satz des JeunehommeKonzerts mit seiner unglaublichen Tiefe. Aber wir haben es nun mit einer anderen Instrumentierung zu tun, die Bläser spielen eine wichtige Rolle, das Klavier wird anders eingesetzt. Ich mag die kammermusikalische Intimität.
CS Das Konzert klingt leicht und beschwingt, ist aber technisch sehr anspruchsvoll. Müssen Sie «schwitzen», wie Mozart es voraussagt? YES Total! Die Leute haben gar keine Vorstellung, wie schwierig dieses Konzert ist.
Nach meinen Auftritten bei den Proms erhielt ich einige Nachrichten, in denen es hiess: «Ihre Haltung und Ihr Körpereinsatz scheinen sich sehr verändert zu haben?!». Das liegt aber nicht an mir, es ist dieses Konzert, das meinen Körper so verdreht!
CS Hand aufs Herz, wenn Sie ein neues
Werk einstudieren, hören Sie sich dann die Aufnahmen von Kolleg*innen an? YES Das ist unterschiedlich. Es gibt Repertoire, bei dem ich das Gefühl habe, ich brauche völlige Freiheit. Es gibt aber auch Stücke, bei denen ich zu neugierig bin, wie andere sie spielen. Also höre ich mir die Aufnahmen zu Recherchezwecken an.
CS Stimmt es, dass Sie ein grosser Fan von Fritz Wunderlich sind? YES Oh ja! Und ich habe seine Aufnahmen leidenschaftlich gesammelt. Es gibt so viele, dass die Entdeckungen kein Ende nehmen. Wunderlich zaubert mir schon ein Lächeln ins Gesicht, wenn ich nur an seine Stimme als Tamino in der Zauberflöte denke. «Dies Bildnis ist bezaubernd schön …».
CS Aus Südkorea kommen viele hervorragende Musiker*innen. Ist die Ausbildung so gut, oder liegt die Musikalität in den Genen? YES Schwierig zu sagen, aber eines kann ich versichern: Für uns ist das Singen eine der fundamentalen Formen des Ausdrucks. Wer nicht aus Korea kommt, wundert sich immer, wie sehr die Leute sich bei jeder Gelegenheit zum Singen animieren. In Italien soll das auch so sein. Und es gibt noch einen wichtigen Grund. Das Land hat keine anderen Ressourcen als die menschlichen. Man kann sich in Korea also auf nichts anderes als auf das eigene Talent verlassen. Ich meine, das trifft es ziemlich genau.
CS Und wie sind Sie zur Musik gekommen? YES Meine Mutter hat viel gesungen – schon wieder das Singen! – und Klavier gespielt. Ich war zweieinhalb Jahre alt, als ich unbedingt auch spielen wollte. Aber CS Sie sind nach Hannover gegangen, um Ihr Klavierstudium fortzuführen. War das bei Ihren Voraussetzungen eher leicht, oder kam es zum Kulturschock? YES Beides. Der Unterricht bei meinem Professor Arie Vardi hat viel Spass gemacht. Das war nicht zu überbieten. Aber in Deutschland und in meiner Heimat sind die Lebensrhythmen und vieles andere doch sehr unterschiedlich. Ich habe also Zeit gebraucht, um mich anzupassen – oder mich zu weigern. Je nachdem.
«Man erfährt hier eine grosse Wertschätzung.»
CS Jedenfalls sind Sie in Hannover geblieben und treten nun in der ganzen
Welt auf. Oft in Deutschland und der
Schweiz. Wie empfinden Sie das Publikum im Vergleich zu Ihrer Heimat? YES Es ist schon verrückt, wie unterschiedlich das Publikum und die Konzertkultur sein können! Hier in Europa finde ich es besonders lustig, dass all die Länder, die oft nur wenige Kilometer voneinander entfernt sind, so wenig gemeinsam haben. Aber ich muss sagen, das Publikum in der Schweiz und in Deutschland ist äusserst angenehm – und ehrlich. Man erfährt hier eine grosse Wertschätzung. Korea hat wahrscheinlich das leidenschaftlichste Publikum der Welt. Im Vergleich zu Europa ist es meistens jung und immer bereit, nach jedem Konzert noch mindestens zehn Zugaben zu hören.
CS Sie sind die künstlerische Leiterin des bedeutenden PyeongChang Festivals in Südkorea. Worauf legen Sie
Wert? YES Mir ist wichtig, dass das Publikum das Rundum-Erlebnis als etwas Besonderes empfindet und sich nicht nur auf eine bestimmte Musik, ein Repertoire oder bestimmte Künstler konzentriert. Unser Festivalgelände ist völlig abgelegen, umgeben von Bergen. Man fühlt sich also schon
anders, wenn man dorthin fährt. Aber an einem solchen Ort ist man auch viel eher in der Lage, alle Sinne auf die Musik zu richten. Das ist wunderbar!
CS Das ProgrammAngebot muss allerdings auch gut sein. YES Programme zu entwickeln, ist für mich ein riesiges Vergnügen. Ich verbinde das gerne mit besonderen Geschichten, mit Jubiläen von Komponist*innen oder Ereignissen. Dieses Jahr habe ich den Eröffnungsabend mit Werken von Frederic Rzewski und George Crumb begonnen, die beide im letzten Jahr verstorben sind. Das Ende des Lebens ist auch ein neuer Anfang. Und wir hatten ein Programm mit ausschliesslich lebenden Komponist*innen: Sofia Gubaidulina, Dobrinka Tabakova, Ellen Taaffe Zwilich und Rodion Schtschedrin. Am wichtigsten ist mir aber, dass sich die Künstler*innen völlig frei fühlen und tun können, was sie wollen. Das führt definitiv zu den schönsten Ergebnissen.
CS Dann sind Sie neben dem Klavierspiel ziemlich aktiv. Wie halten Sie eigentlich Ihre Finger geschmeidig? YES Weiss ich nicht, kann mir das bitte jemand verraten?!