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Frank Peter Zimmermann, Violine

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IM FOKUS

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INTERVIEW FRANK PETER ZIMMERMANN im Gespräch

KLARHEIT FÜR DEN FARBTUPFER

VON CHRISTA SIGG Seit über dreissig Jahren spielt er an der Weltspitze, und das mit frappierender Leichtigkeit und völlig unaufgeregt. So klingt es jedenfalls, wenn Frank Peter Zimmermann seine ‹Lady Inchiquin› in den Armen hält. Wieder, muss man sagen. Die Landesbank, der diese Stradivari gehörte, geriet in Schwierigkeiten. Das ist lange her, und alles hat sich zum Guten gewendet, zumindest für den 57-jährigen Geiger aus Köln, der den Klang seiner Primadonna als wohltuend empfindet wie ein Sonnenbad. Das dürfte auch Igor Strawinskys Violinkonzert in D bestens bekommen, das Zimmermann mit dem Sinfonieorchester Basel aufführt. Ein Gespräch über romantische Regungen, Lampenfieber und französische Eleganz.

«Bei diesem Werk muss man einfach funktionieren.»

CS Herr Zimmermann, während des

Lockdowns haben Sie sich sehr intensiv mit Johann Sebastian Bach beschäftigt. Ist das eine gute Voraussetzung für Igor Strawinskys Violinkonzert? FPZ Bach hilft immer. Aber ja, das Strawinsky-Konzert ist eine Art Pseudo-Bach. Man darf das allerdings nicht überbewerten, denn bei diesem Werk muss man einfach funktionieren, das heisst, richtig gut Geige spielen und exakt der Partitur folgen. Strawinsky hat alles minutiös notiert, er war äusserst penibel.

CS Das kann leicht etwas unterkühlt geraten. FPZ Oh ja, Strawinsky wollte, dass man möglichst keine romantischen Regungen zeigt. Die erlaube ich mir trotzdem, vor allem im langsamen Satz in der zweiten Aria.

CS Jeder Satz beginnt mit einem Akkord, der über zweieinhalb Oktaven reicht: DEA. Braucht man da nicht eine auffaltbare linke Hand? FPZ Diese Passagen sind natürlich technisch anspruchsvoll. Dennoch liegt alles andere sehr gut, und man spürt deutlich, dass das Konzert im intensiven Austausch mit dem Geiger Samuel Dushkin entstanden ist. Dushkin hat genauso mit Bohuslav Martinů zusammengearbeitet, und in diesen Stücken kommt es zu vergleichbaren dreistimmigen Akkorden. Das war wohl seine Spezialität. Doch während der mit der Violine ziemlich unerfahrene Strawinsky für jeden Vorschlag offen war, wurde Dushkins Gestaltungsdrang für Martinů zum Problem. Der Komponist war selbst Geiger und wollte verständlicherweise auch über jede Note selbst entscheiden.

«Strawinsky hat es immer verstanden, unglaubliche neue Klänge zu finden.»

CS Man müsste fast StrawinskyDushkin über die Partitur schreiben. Aber eine solche Zusammenarbeit von Komponist*in und Solist*in gibt es bei der

Entstehung von Solokonzerten ja häufiger. FPZ Trotzdem trägt die Partitur durch und durch Strawinskys Handschrift. Er hat es immer verstanden, unglaubliche neue Klänge zu finden. Das ist ihm auch in diesem Konzert gelungen, insofern gehört es unter die ersten fünf bedeutendsten Violinkonzerte des 20. Jahrhunderts. CS Zitate, Effekte und Affekte haben in diesem Konzert beträchtlichen Raum.

Auf der anderen Seite gibt es etwas sehr Doppelbödiges, und der Sarkasmus ist nicht zu überhören. Wie ordnen Sie das ein? FPZ Das ist alles wirklich geistreich und auf eine sehr intellektuelle Weise gemacht, nur darf man sich darin auch nicht verheddern. Das Stück ist schwer zu fassen, für mich wirkt es wie hinter Glas. Ich bin ein grosser Fan von Strawinsky, Le sacre du printemps war fundamental wichtig für die Musik des 20. Jahrhunderts. Dass er dann so lange auf der neoklassizistischen Schiene gefahren ist – und das Violinkonzert entstand 1931 mitten in dieser Phase –, haben ihm viele übel genommen. Theodor W. Adorno zum Beispiel wirft Strawinsky die Montage von Bruchstücken und besonders die Parodie vor und kann das bei dieser Begabung gar nicht akzeptieren.

CS Für die Anhänger der Wiener Schule ist Strawinskys Violinkonzert ein rotes Tuch. Auch Arnold Schönberg ätzt über den «kleinen Modernsky», der sich einen «Bubikopf hat schneiden lassen», der zwar gut aussehe, aber eben «wie echt falsches Haar». FPZ Gerade im deutschsprachigen Raum hatte es dieses Werk ziemlich schwer, doch für mich ist es ein absoluter Farbtupfer unter den Violinkonzerten der letzten hundert Jahre. Ich habe diesen Strawinsky öfters in Frankreich gespielt, da sind die Orchester mit Ravel und Debussy vertraut, das ist eine ganz gute Voraussetzung für dieses Stück.

«Etwas ganz Simples, Einfaches, vergleichbar einem Sonnenstrahl, der die Natur streift. Die Klarheit ist der Schlüssel.»

CS Mit einem Augenzwinkern haben Sie einmal gesagt, bei Bartók braucht es Paprika. Nach was verlangt Strawinsky?

FPZ Die Franzosen würden sagen: ‹la clarté›. Also etwas ganz Simples, Einfaches, vergleichbar einem Sonnenstrahl, der die Natur streift. Die Klarheit ist der Schlüssel.

CS Leidet Ihre Geige bei den Attacken? FPZ Überhaupt nicht. Da gibt es heftigere Stücke. Viele glauben ja, um einen grossen Ton zu erzeugen, muss man irrsinnig auf die Saiten drücken. Aber das ist auch hier nicht der Fall. Mühe machen dann am Schluss wieder die dreistimmigen Akkorde, da ist es wichtig, dass man nicht presst, sondern mit Eleganz spielt. Mit französischer Eleganz.

CS Der Klang strömt und versiegt – bei

Ihnen wirkt alles so mühelos. Üben

Sie viel? FPZ Nehmen Sie die grossen Künstler von früher wie Horowitz, Oistrach oder Heifetz – sie alle haben wahnsinnig viel geübt, obwohl in Interviews oft das Gegenteil behauptet wurde. Ich übe jeden Tag und vor einem wichtigen Konzert noch mehr. Wobei für mich alle Konzerte wichtig sind, egal ob ich in der Provinz spiele, in New York oder im Wiener Musikverein. Das ist man der wunderbaren Musik und denen, die sie uns geschenkt haben, schuldig. Und genauso dem Publikum. So lange das funktioniert, mache ich weiter. Aber ehrlich, es wird mit dem Älterwerden nicht leichter.

CS Gibt es Phasen, in denen Sie wie viele

Solist*innen mit dem Dirigieren liebäugeln? FPZ Nein! Auch das Dirigieren muss man von der Pike auf lernen, das kann man nicht mit fünfzig einfach so anfangen. Meine Sache ist das Geigenspielen, das war von klein auf klar. Ich habe nur irrsinnig Lampenfieber. Da ist zwar die Routine, mit dem Älterwerden streift man aber auch das Unbedarfte ab. Und die Messlatte liegt höher und höher, dabei kann es doch gar nicht dauernd nach oben gehen.

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