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Die Welt von gestern - der Einfluss Stefan Zweigs auf »Grand Budapest Hotel«

GRAND BUDAPEST HOTEL

WES ANDERSON, 2014

TEXT: BARBARA EICHHAMMER

ILLUSTRATIONEN: LEA LAFLEUR

WES ANDERSONS Oscar-prämiertes Filmmärchen entführt die Zuschauer in die bonbonfarbene Fantasiewelt des GRAND BUDAPEST HOTELS. Auf vier Erzählebenen bietet diese »GESCHICHTE IN DER GESCHICHTE« einen nostalgischen Blick auf das 20. Jahrhundert, skurrile Begebenheiten und bezaubernde Kulissen mit internationaler Starbesetzung.

DER FILM

WES ANDERSONS THE GRAND BUDAPEST HOTEL NIMMT UNS VON BEGINN AN MIT AUF EINE BILDGEWALTIGE TOUR DE FORCE DURCH DIE ERZÄHLEBENEN UND EPOCHEN

Eine Jugendliche liest in der gegenwärtigen Rahmenhandlung ein Buch, in dem sich im Jahre 1985 dessen Autor daran erinnert, wie er als junger Mann in den sechziger Jahren im GRAND BUDAPEST HOTEL dessen Besitzer Zéro Mustafa (TONY REVOLORI) kennenlernte. Zéro erzählte ihm daraufhin die fulminante Geschichte, wie er sich in den Dreißigerjahren vom Lobby Boy unter Concierge Gustave (RALPH FIENNES) zum Eigentümer des imposantenGebäudes hocharbeitete. Mitgekommen?

DER FILM WIRD AUF VIER VERSCHIEDENEN ZEITEBENEN IN FÜNF KAPITELN ERZÄHLT, DIE DAS 20. JAHRHUNDERT UMSPANNEN. IM ZENT- RUM STEHT DAS TITEL- GEBENDE »GRAND BU- DAPEST«, DAS AN EIN LEGENDÄRES HOTEL IN UNGARN ZUR ZEIT DES FIN DE SIÈCLE ERIN- NERT, DER GLANZZEIT EUROPÄISCHER LUXUS- HOTELS.

THE SOCIETY OF THE CROSSED KEYS

STEFAN ZWEIG

Auf unvergleichlich skurrile Art erzählt Wes Anderson diese »Geschichte in der Geschichte« in dem fiktiven Alpenstaat »ZUBRÓWKA«, den er nach einer polnischen Wodkamarke benannte. Mit seiner erfundenen Karpatenwelt erschafft ANDERSON dabei ein touristisches Idealbild des glanzvollen Europas, das von pastellfarbenen Hofzuckerbäckereien der KundK Monarchie genauso bevölkert ist wie von altertümlichen Klöstern und prunkvollen Schlössern nach dem Vorbild Neuschwansteins. Immer wieder im Fokus: postkartentypische Panoramaaufnahmen der Szenerie, die an die pittoresken Landschaftsgemälde des frühromantischen Malers CASPAR DAVID FRIEDRICH erinnern. Weitere Inspirationen für die Fantasiewelt fand der Regisseur nach eigenen Angaben in den Werken des österreichischen Schriftstellers STEFAN ZWEIG wie »RAUSCH DER VERWANDLUNG« und »DIE WELT VON GESTERN«, die Zweig zu Beginn des 20. Jahrhunderts schrieb. Dies markiert das Filmende auch klar in seinen Credits, wenn es heißt »INSPIRED BY THE WRITINGS OF STEFAN ZWEIG«. Grand Budapest Hotel erweist sich als postmodernes Pastiche, indem es vergangene Bildstile integriert, filmische Formate nostalgisch rekonstruiert und zitathaft auf Werke der Kunst, Literatur und des Films zurückgreift. Anderson erschafft auf der Leinwand das vergangene Jahrhundert, wobei er auf die damaligen Medien und deren Besonderheiten verweist.

ILLUSTRATION: BETH WALROND

DIE FANTASTISCHEN BILDWELTEN

Grand Budapest Hotel lebt von der unverkennbaren Handschrift seines US-amerikanischen Regisseurs, WES ANDERSON.

MIT SEINEM AUTORENFILM ENTFÜHRT ER DIE ZUSCHAUER IN EINE MÄRCHENHAFTE WELT DES FANTASTISCHEN, DIE DIE VERGANGENHEIT DES 20. JAHRHUNDERT IN EINER ZITATHAFTEN BILDSPRACHE MIT UNZÄHLIGEN INTERTEXTUELLEN VERWEISEN AUF DER LEINWAND ERSCHLIESST.

ANDERSON bedient sich diverser formalästhetischer Stilmittel, die die jeweilige Zeit, in der die Handlung spielt, zitieren und nostalgisch inszenieren. So repräsentiert er jede Epoche in einem anderen bekannten Kinobildformat: Der Erzählstrang aus dem Jahr 1932 wird im FOR-MAT 4:3 gezeigt; das Jahr 1968 wird im Cinemascope Format, also 2,35:1, dargestellt und für die erzählte Gegenwart und 1985 wählte der Regisseur das Seitenverhältnis 16:9. Das Besondere daran: Jedes der Formate war zu den bestimmten Zeitabschnitten tatsächlich im (Hollywood) Kino Standard. So war das 4:3 Format in Filmen wie Alfred Hitchcocks THE 39 STEPS (1935) Ausdruck der klassischen Ära des Hollywoodkinos in den dreißiger Jahren. Cinemascope war ideal für ausgedehnte, breite Panoramabilder wie sie etwa im Western der Sechziger Jahre beliebt waren in ONCE UPON A TIMEIN THE WEST (1968). Somit dienen die verschiedenen Bildformate dazu, dem Zuschauer eine zeitliche Orientierung über die verschiedenen Erzählebenen zu geben und gleichzeitig auf formalästhetischer Ebene eine nostalgische Rekonstruktion der Hollywood-Ästhetik der jeweiligen Jahrzehnte zu schaffen. Unterstrichen wird dies durch die spezielle Farbgebung der Bildwelten:

FARBGEBUNG

Die Haupthandlung des Films im Jahr 1985 ist sehr deutlich in BONBONFARBENEN PASTELLTÖNEN der Farben Rosa, Violett und Blau gestaltet, während die Szenen in den sechziger Jahren eher auf kräftige Gelb-, Orange-, und Rottöne zurückgreifen. Die 1932 spielenden Szenen zeigen einen hellen, gesättigten Look. Die Farbgebung – insbesondere der Landschaftsaufnahmen - spielt dabei mit ihrer Zitathaftigkeit: Sie verweist auf das zur Jahrhundertwende beliebte Photochromdruckverfahren, das noch vor Erfindung der Farbfotografie Farben per Druck reproduzieren konnte. Das Ergebnis waren typisch pastellige Ansichten.

ORT DES FANTASTISCHEN

Der Film macht das Hotel zu einem Ort des FANTASTISCHEN, des Imaginären und des Märchenhaften, wo nicht nur zeitliche Grenzen spielerisch überwunden werden können, sondern auch eine Welt des Anderen, des Bizarren möglich ist. Dabei wird im Laufe der Handlung oftmals die vierte Wand bewusst durchgebrochen, wenn etwa die Schauspieler – gleichsam dokumentarisch - direkt mit den Zuschauern zu sprechen scheinen. Schon zu Beginn spricht etwa der Autor in die Kamera, um seinem Publikum zu erzählen, wie er von Zéro Mustafas Geschichte erfuhr. Mit dieser realistischen Erzähltechnik gelingt es Wes Anderson, seine Zuschauer von Beginn an zu fesseln und in die Handlung des Filmes aktiv einzubeziehen.

GÖRLIWOOD

Den größten Teil seines Films GRAND BUDAPEST HOTEL drehte WES ANDERSON übrigens im deutschen GÖRLITZ. Die sächsische Kleinstadt an der polnischen Grenze zeichnet sich durch eine unvergleichliche Dichte an historischen Baudenkmälern aus. Im zweiten Weltkrieg kaum beschädigt, zählt die Stadt heute über 4000 restaurierte Baudenkmäler aus den Epochen der Spätgotik, Renaissance, Barock, Jugendstil und Gründerzeit. Die weitgehend unzerstörten Straßenzüge und historischen Fassaden machten sie zum idealen Setting für den fiktiven südosteuropäischen Karpatenstaat. Vor allem ein Gebäude hatte es dem Regisseur angetan: Das 1913 eröffnete und seit 2009 geschlossene »WARENHAUS GÖRLITZ«, dessen Jugendstil-Innenräume zur zentralen Kulisse des Films umgebaut wurden, nämlich zur Lobby des Grand Hotel. Die fiktive Szenerie sollte sich am Erscheinungsbild europäischer Grand Hotels zur Jahrhundertwende richten, wie dem Palace Bristol Hotel in Karlsbad.

In den letzten zehn Jahren wurden im Übrigen so viele – insbesondere US-amerikanische – Filme in der sächsischen Stadt Görlitz gedreht, dass dessen liebevoller Spitzname »GÖRLIWOOD« diesem Hollywoodboom Tribut zollt. Görlitz war schon zu DEFA-Zeiten eine beliebte Filmkulisse für zahlreiche Fernsehproduktionen in der DDR. Der große Durchbruch kam nach dem Mauerfall mit Hollywood-Produktionen wie IN 80 TAGEN UM DIE WELT (2004) mit Jackie Chan und Arnold Schwarzenegger oder DER VORLESER (2008) mit Kate Winslet und David Kross, die Görlitz praktisch über Nacht weltweit bekannt machten. Görlitz trat schon als Kulisse für New York, Berlin, Königsberg, Paris und sogar Venedig auf in bekannten Hollywoodfilmproduktionen wie INGLORIOUS BASTERDS, DIE VERMESSUNG DER WELT oder THE MONU-MENTS MEN.

DIE SCHAUSPIELER

Für seine deutsch-britische-amerikanische Koproduktion wählte Wes Anderson eine internationale Starbesetzung: So versammelte er die Creme de la Creme bekannter Schauspielnamen wie RALPH FIENNES, WILLEM DAFOE, JEFF GOLDBLUM, HARVEY KEITEL,JUDE LAW, TOM WILKINSON,BILL MURRAY, EDWARD NORTON, TILDA SWINTON und OWEN WILSON. Die Tragikomödie wurde neun Mal für den Oscar nominiert und gewann in vier Kategorien, unter anderem für das Szenenbild und die Kostüme. Aber nicht nur unter Kritikern wurde das Filmwerk gefeiert; auch an den Kinokassen überzeugte der Film.

RALPH FIENNES

TONY REVOLORI

TILDA SWINTON

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