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Musik im Film: Vom Stilmittel zum Soundtrack
Filmgeschichte - Teil 9
Ins Rampenlicht
TEXT: ALEXANDER KORDS
Wenn es im Film spannend, romantisch oder melancholisch wird, wird dies spätestens seit Alfred Hitchcock musikalisch untermalt. Doch im Laufe der Zeit und mit der Herausbildung neuer Genres, wie dem Tanzfilm, gewann die dazugehörige Musik zunehmend an Bedeutung. Schließlich entstand der Filmsoundtrack, der hin und wieder sogar erfolgreicher als der eigentliche Film ist. Im Rahmen unserer Filmgeschichte schauen wir uns dieses Mal an, wie der Soundtrack seinen Einzug ins Kino fand.
Vom Hintergrundgedudel zum eigenständigen Soundtrack
»YOU’RE THE ONE THAT I WANT«, »(I’VE HAD) THE TIMEOF MY LIFE«, »MY HEART WILL GO ON« – wer hat bei diesen Titeln nicht sofort die Melodie im Kopf? Und nicht nur das: Sofort haben wir die Bilder bestimmter Szenen vor Augen, wenn wir die ersten Töne hören – John Travolta und Olivia Newton-John, die über einen Jahrmarkt tanzen, Patrick Swayze, der Jennifer Grey in die Höhe hebt, Leonardo DiCaprio, der mit Kate Winslet an der Reling der »TITANIC« steht. Denn auch wenn wir diese drei Songs unzählig oft im Radio gehört haben: Ursprünglich wurden sie geschrieben, um eine bestimmte Szene in einem Film zu vertonen – in den vorgenannten Fällen »GREASE«, »DIRTY DANCING« und »TITANIC«. Meistens besteht die musikalische Untermalung eines Films jedoch aus instrumentalen Stücken, die dazu dienen, die dramaturgische Entwicklung zu unterstützen.
The Fairylogue And Radio-Plays
Live-Musik im Kino
Wie aus dem Stumm- der Tonfilm wurde, haben wir euch schon im zweiten Teil unserer Filmgeschichte erklärt (siehe sisterMAG 34 vom Februar). Als kleine Erinnerung: Bereits die ersten Filme wurden bei ihrer Aufführung live von Musikern im Kino begleitet. Allerdings improvisierten diese anfangs noch die Melodien. Als erster Film-Soundtrack der Geschichte gilt heute die von Nathaniel D. Mann komponierte musikalische Untermalung zu »THE FAIRY LOGUE AND RADIO-PLAYS«. Unter diesem Titel wurde das von L. Frank Baum 1900 erschienene Kinderbuch »DER ZAUBERER VON OZ« zum ersten Mal visuell in Szene gesetzt und in einer Mischung aus Theaterstück und Kinofilm aufgeführt. Nathaniel Mann schrieb dafür 27 Stücke, die zu den einzelnen Szenen der Show passten. Die Produktion, die im September 1908 zum ersten Mal gezeigt wurde, war jedoch so aufwendig und teuer, dass sie nur drei Monate lang durch die USA tourte. Zumindest wurde da raus 1910 ein Film gemacht, in dem auch Manns Musik vorkam. Leider sind heute sämtliche Kopien davon verschollen, sodass nur das Drehbuch und einzelne Szenenbilder erhalten sind.
Finanzielles Potenzial
Der erste Tonfilm der Geschichte, »THE JAZZ SINGER«, erschien im Oktober 1927 und revolutionierte die Filmmusik. Denn statt Live-Sessions im Kino abzuhalten, konnten die Filmstudios nun vorab den Soundtrack aufnehmen lassen. Folglich bauten sämtliche Studios eigene Musikabteilungen auf. Bis in die 1950ER-Jahre lag deren Fokus weiterhin auf orchestraler Musik. Hierbei taten sich vor allem europäische Komponisten hervor, die vor oder während des Zweiten Weltkriegs in die USA emigriert waren. Zu nennen sind hier vor allem die Oscar-Preisträger ERICH WOLFGANG KORN-GOLD, MAX STEINER und MIKLÓSRÓZSA. Apropos Oscar: Bei der Verleihung im Jahr 1935 wurden erstmals Preise in den Kategorien Beste Filmmusik und Bester Song vergeben. Schnell erkannten die Filmstudios nämlich das finanzielle Potenzial, das in den Soundtracks schlummerte. So erschien im Januar 1938 eine Sammlung von drei Single-Schallplatten mit dem überlangen Titel »SONGS FROM WALT DISNEY’S SNOW WHITE AND THE SEVEN DWARVES (With The Same Characters And Sound Effects As In The Film Of That Title)«. Wahrscheinlich musste den interessierten Käufern erst noch erklärt werden, was sie auf den Platten erwartet, da es sich schließlich um den ersten kommerziell verwerteten Soundtrack der Filmgeschichte handelte.
»The jazz singer«
»Zauberer von Oz«
»Psycho«
Geigen kreischen
In den 1950er-Jahren brachen kreative Filmemacher endlich mit der Tradition, in Filmen überwiegend klassische Orchestermusik zu verwenden. Andere Stilrichtungen fanden fortan Einzug ins Kino. Für den Film »ENDSTATION SEHNSUCHT« von 1951 komponierte ALEX NORTH zum Beispiel einen Soundtrack, der sich stark am Jazz orientierte. Die Filmemacher und Komponisten experimentierten zudem zunehmend mit den Instrumenten. Unvergessen sind etwa die kreischenden Geigen in Alfred Hitchcocks Meisterwerk »PSYCHO« (1960), zu deren Sound Marian Crane (gespielt von Janet Leigh) unter der Dusche erstochen wurde. Hitchcock wollte die Szene eigentlich komplett ohne Musik gestalten, ließ sich dann aber vom Komponisten Bernard Herrmann überzeugen, dessen Stück »THE MURDER« zu verwenden. Die überwältigende Wirkung veranlasste Hitchcock
»Star Wars«
»Psycho«
»Herr der Ringe«
angeblich dazu, Herrmann das Doppelte der vereinbarten Gage zu zahlen. In jüngerer Zeit setzt Hollywood in Sachen Filmmusik wieder stärker auf orchestrale Sound tracks. Vor allem Blockbuster, wie die »HERR DER RINGE«-Trilogie und die »STAR WARS«-Filme, entfalten ihre volle Wirkung durch episch produzierte Tonspuren. Die Arbeit an solchen Sound tracks dauert Monate und ist eng an die Entstehung des Films gebunden.
»Saturday night fever«
»DIRTY DANCING«
»BE MY BABY«
Soundtracks als Chartbreaker
Bei den Alben, die als »SOUNDTRACK« bezeichnet werden, unterscheidet man üblicherweise zwischen der eigens komponierten musikalischen Untermalung – dem sogenannten »Score« – und bereits vorhandenen Songs, die für die Verwendung im Film ausgewählt werden. An der Schnittstelle zwischen diesen beiden Kategorien befinden sich die Soundtracks von Musicalfilmen sowie einzelne Lieder, die speziell für einen Streifen in Auftrag gegeben werden. So ist der Soundtrack von »DIRTY DANCING« (1987) eine Mischung aus bereits vorhandenen Songs wie »BE MY BABY« von The Ronettes und eigens geschriebenen Titeln wie »HUNGRY EYES« von Eric Carmen. Mit mehr als 32 Millionen verkauften Exemplaren ist der »DIRTY DANCING«-Soundtrack übrigens eines der bestverkauften Musikalben aller Zeiten. Doch drei Sound tracks haben es in der Liste noch weiter nach oben geschafft, nämlich der zum Disco-Klassiker »SATURDAY NIGHT FEVER« (1977) mit 40, der zu »GREASE« (1978) mit 38 Millionen Verkäufen und der zu »BODYGUARD« aus dem Jahr 1992. Letzterer wurde bis heute mehr als 42 Millionen Mal verkauft und ist damit der erfolgreichste Sound track aller Zeiten. Rund zwei Millionen Exemplare gingen vom Album zu »PULP FICTION« (1994) über den Ladentisch, was sehr beachtlich ist für einen Independent-Film. Damit hat sich der Regisseur Quentin Tarantino einen Ruf als Freund exzellenter Musik erworben, der sich auch in der Song-Auswahl seiner nachfolgenden Produktionen ausdrückt. Nicht wenige Musik-Fans haben sich Alben zu Tarantinos Filmen gekauft, ohne diese jemals gesehen zu haben. Ähnlich verhält es sich auch mit Soundtracks zu Streifen wie »DIE FABELHAFTE WELT DER AMÉLIE« und »JUNO«, die fast schon bekannter sind als die Filme selbst. Bis heute verkaufen sich manche Sound tracks ausgesprochen gut. So setzte sich das Album zum Film »VAIANA« im vergangenen Jahr sogar an die Spitze der US- Charts. Eine größere Ehre für die Macher von »Hintergrundmusik« gibt es wohl nicht.
»Die Fabelhafte Welt der Amélie«
»JUNO«
In unserer Spotify Playlist haben wir für euch die eingängigsten Soundtracks der letzten Jahre zusammengestellt.Hört doch mal rein und lasst euch für den nächsten Filmabend inspirieren.