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1.5 Auswirkungen chronischer Erkrankungen

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Vorwort

Vorwort

5 Versorgung von chronisch kranken Menschen

5.1 Einführung

In den letzten Kapiteln wurden sowohl die gesellschaftliche Bedeutung von chronischen Erkrankungen als auch die aus ihnen resultierenden Herausforderungen für den Rettungsdienst herausgearbeitet. In diesem Abschnitt soll es nun um die praktische Arbeit mit chronisch Erkrankten gehen:  Was sind die Besonderheiten bei der Patientenversorgung?  Wie wird eine Patienteneinschätzung jenseits von ABCDE und SAMPLER durchgeführt?  Welche Notfälle können auftreten?  Welche Maßnahmen müssen zu welchem Zeitpunkt ergriffen werden?  Wie kann man Problemen vorbeugen oder mit bereits aufgetretenen Problemen umgehen?

5.2 Beginn der Patientenversorgung

Die ersten drei Arbeitsschritte der akutmedizinischen Patientenversorgung sind auch bei chronisch Erkrankten im Bedarfsfall gleich (Tab. 8).

Tab. 8  Erste Arbeitsschritte bei der Patientenversorgung

Beurteilung der Einsatzstelle Entscheidungen: • Bestehen Gefahren? • Ist der Einsatzort zugänglich?

Ersteinschätzung des Patienten Entscheidungen: • Potenziell kritisch/eher nicht kritisch? • Reanimation erforderlich? • Hinweise auf ein Trauma?

Behandlung nach ABCDE Entscheidungen: • Kritisch/nicht kritisch? • Behandlung: Lebensbedrohung abwenden

Auf die Ersteinschätzung folgt die weitere Diagnostik (Anamnese, körperliche und apparative Untersuchung). Hier sind zahlreiche Aspekte zu beachten, die in den vorangegangenen Kapiteln dargestellt worden sind. Vieles kann bei der Anamneseerhebung direkt thematisiert werden, einiges bedarf jedoch auch einer indirekten Einschätzung durch das Rettungsfachpersonal. Einen Überblick zur weiteren Vorgehensweise gibt Tabelle 9.

Tab. 9  Weitere Vorgehensweise bei der Versorgung von chronisch Erkrankten

Aspekte/ Interventionen Erläuterung Leitfragen

Verhältnis zueinander prüfen (s. Kap. 2.2.1)

Gegenseitige Rollenerwartungen klären (s. Kap. 2.2.2)

Wissen zur Erkrankung/ Notfallsituation kann anders verteilt sein als bei sonstigen Notfallpatienten. Hierin liegt immer eine Gefahr für Konflikte und Fehlversorgung. Ist meine Haltung dem Patienten gegenüber angemessen? Hat der Patient genügend Raum, seine eigenen Gedanken und Wünsche zu äußern? Verfügt der Patient über wichtiges Spezialwissen zu seiner Erkrankung?

Das gezielte Klären von Rollenerwartungen senkt die Fehlerwahrscheinlichkeit, erhöht die Zufriedenheit bei Behandelnden und Patienten und verbessert das Outcome. „Was erwarten Sie aktuell von mir? Wie kann ich Ihnen helfen?“ „Ich würde von Ihnen erwarten, dass …“ „Ich kann Ihnen Folgendes anbieten.“

Bedürfnisse einbeziehen (s. Kap. 2.3.1) Soziales Modell von Behinderung und Funktionsaspekte bedenken (s. Kap. 2.3.5 / 2.3.6) Biopsychosoziales Krankheitsmodell anwenden (s. Kap. 2.3.2) Kausalattribuierung und Kontrollüberzeugung prüfen (s. Kap. 2.3.4)

Salutogenese fördern (s. Kap. 2.3.3)

Teamressourcen bedenken (s. Kap. 3.1 bis 3.4)

Nachteile, die ein Patient durch seinen aktuellen Zustand möglicherweise hat, sollten durch vorausschauendes Planen und gezieltes Nachfragen abgemildert werden. „Gibt es aktuell etwas, dass wir für Sie tun können?“ (offene, weit gefasste Frage) „Möchten Sie noch etwas trinken, bevor wir losfahren?“ (geschlossene, spezifische Frage) „Welche Hilfsmittel benötigen Sie in der Klinik?“ (offene, spezifische Frage)

Ziel ist es, den Patienten und seine Umwelt als Ganzes zu sehen und auf diese Weise zum einen herauszufinden, wo Probleme liegen, und zum anderen mögliche Folgeinterventionen vorausplanen zu können.

Biologisch:

• Welche Störung liegt aktuell vor? • Wie ist die Pathophysiologie?

Psychologisch:

• Wie fühlt sich der Patient? • Ist er traurig, entspannt, motiviert, aufgeregt? • Welches Verhältnis hat er zu seiner

Krankheit? • Fühlt er sich selbstwirksam?

Sozial:

• Wie ist die soziale Struktur um den

Patienten herum? • Können die Angehörigen unterstützen? • Kommt es zur Überforderung?

Die aktuelle Situation muss für den Patienten möglichst sinnhaft, bewältigbar und verstehbar gestaltet werden. Welche Wünsche und Vorstellungen hat der Patient? Ist hier Shared Decision Making möglich? (s. Kap. 5.4) Ist z.B. soziale Unterstützung durch Angehörige im Krankenhaus möglich?

Obwohl Rettungsfachpersonal selten über Expertenwissen zu spezifischen, chronischen Erkrankungen verfügt, kann sich ein Teammitglied evtl. durch Ausbildung, Fortbildung oder Erfahrungswissen mit einem speziellen Themenbereich gut auskennen. Eine kurze Zusammenfassung und die weitere Planung nach dem 10-für-10-Prinzip durchführen (s. Kap. 5.5.2) und dabei die Meinungen und Gedanken aller Teammitglieder einholen. Entscheidungen immer unter Einbezug der Patientenperspektive und seiner Wünsche treffen.

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