Vor knapp 20 Jahren nahmen die ersten First-Responder-Modelle in Deutschland ihre Arbeit auf. Vieles hat sich seitdem auf diesem Gebiet getan. Neue Einsatztaktiken wurden eingeführt, neue Ausrüstungs- und Ausbildungsrichtlinien implementiert. Angehörige von Feuerwehr, den Hilfsorganisationen und THW arbeiten mittlerweile Schulter an Schulter als First Responder und tauschen ihre Einsatzerfahrungen auf gemeinsamen Symposien aus. First Response hat nicht nur in den zurückliegenden zwei Jahrzehnten nachweislich zahlreichen Patienten geholfen, sondern auch die unterschiedlichen Rettungsorganisationen zusammengebracht. Die Bedeutung der First Responder wird weiter wachsen, denn der Rettungsdienst steht angesichts der demografischen Entwicklung in Deutschland und einer immer
älter und kränker werdenden Gesellschaft vor großen Herausforderungen. Auf die Unterstützung der organisierten Ersthelfer vor Ort wird er immer weniger verzichten können. Dieses Buch ist der Versuch, eine Bilanz der First-Responder-Arbeit seit Mitte der 1990er Jahre zu ziehen. Diese erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Vielmehr soll an Beispielen dargestellt werden, welche Erkenntnisse zwischenzeitlich gewonnen wurden und wie die Organisation von First Response unter unterschiedlichen Rahmenbedingungen laufen kann. Daneben wird ein Blick zurück auf die Entstehungsgeschichte von First Response geworfen und nach vorne auf die mögliche Entwicklung des Systems. Nichts wünschen sich die Verfasser mehr als eine anregende Diskussion.
P. Poguntke · M. Eichner First Responder
P. Poguntke · M. Eichner
Peter Poguntke · Maximilian Eichner
First Responder: Verstärkung für die Rettungskette Erfahrungen, Modelle, Konzepte isbn 978-3-943174-13-7 · www.skverlag.de
First Responder: Verstärkung für die Rettungskette Erfahrungen, Modelle, Konzepte 2., komplett überarbeitete Auflage
First Responder: Verstärkung für die Rettungskette Erfahrungen, Modelle, Konzepte
Peter Poguntke · Maximilian Eichner
2., komplett überarbeitete Auflage
Verlagsgesellschaft Stumpf + Kossendey mbH, Edewecht 2013
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© Copyright by Verlagsgesellschaft Stumpf + Kossendey mbH, Edewecht 2013 Satz: Bürger-Verlag GmbH, Edewecht Umschlagfoto: M. Eichner Druck: M. P. Media-Print Informationstechnologie GmbH, 33100 Paderborn ISBN 978-3-943174-13-7
˘ Inhaltsverzeichnis
Inhalt Inhalt ....................................................................................................................................................... 5 Vorwort ................................................................................................................................................... 7 1
2
3
4
First Response – ein Blick zurück .............................................................................................. 9
1.1 1.2 1.3 1.4
Baindlkirch – der unbekannte Vorreiter .................................................................................9 Internationale und nationale Grundlagen ........................................................................ 12 »Retten, bergen, löschen, schützen«.................................................................................... 17 Der medizinische Nutzen ........................................................................................................ 22
First Responder heute – Beispiele und Modelle ................................................................. 30
2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 2.6 2.7 2.8 2.9 2.10 2.11 2.12
Berlin: Das nächste Fahrzeug fährt ...................................................................................... 30 Die schwedische Rechnung .................................................................................................... 32 Flächendeckend in der Steiermark ....................................................................................... 33 Jeder eilt zum Notfall ................................................................................................................ 38 Die Voraus-Helfer von Hessen ............................................................................................... 40 Kreis Bergstraße – das dezentrale Zentrum ...................................................................... 42 Arzt voraus in Mühltal .............................................................................................................. 48 Karlsruhe: Hand in Hand mit Frühdefibrillation .............................................................. 48 First Responder mit »goldwertem Vorteil« ....................................................................... 50 Blick zurück nach Bayern ......................................................................................................... 51 Schnelle Hilfe und schwere Technik ..................................................................................... 57 First Responder unterm Edelweiß ....................................................................................... 60
Perspektiven und Entwicklungslinien .................................................................................. 63
3.1 3.2 3.3
Der Versuch eines Fazits .......................................................................................................... 63 Die Lust am Blaulicht ................................................................................................................ 65 Wohin geht der nächste Einsatz? ......................................................................................... 65
Anhang ......................................................................................................................................... 69
4.1 4.2
Aktueller Überblick über die im Münchener U-Bahnnetz verteilten AEDs ............ 69 Empfehlungen des Hessischen Sozialministeriums für First-Responder-Systeme .................................................................................................. 70
4.3 4.4
Statistik: Rettungsdienst-Einsätze der BF München ...................................................... 75 Anwendungshinweise des Bayerischen Staats ministeriums des Innern betr. Sonderrechte für Einsatzfahrzeuge von Ersthelfergruppen .............................. 76
4.5
Leitfaden First Responder ........................................................................................................ 80
4.6
Modell-Ausbildungsplan für First Responder im Landkreis München .................... 92
4.7
Hygieneplan First Responder Landkreis München ....................................................... 100
4.8
Ausrüstungsliste »Notfallrucksack« First Responder Steiermark............................ 109
Autoren ............................................................................................................................................... 111 Abbildungsnachweis ....................................................................................................................... 112 5
0 ˘ Vorwort
Vorwort Als wir vor mehr als zehn Jahren vom Verlag Stumpf + Kossendey das Angebot erhielten, ein Buchprojekt zum Thema »First Responder« zu realisieren, erfüllte sich ein großer Wunsch für uns. Denn die Resonanz auf unsere Berichte über die Münchener First-Responder-Pilotprojekte in der Zeitschrift RETTUNGSDIENST hatte ein so ungeahntes Ausmaß angenommen, dass sie förmlich eine solche zusammenfassende Darstellung erforderte. Heute, elf Jahre später, kann diese Darstellung zwangsläufig nicht mehr aktuell sein. Dass aber das Thema »First Responder« nach wie vor aktuell ist und nach einer weiteren Vertiefung verlangt, beweisen die neuen Projekte, die seitdem ins Leben gerufen wurden, ebenso wie die erfolgreiche Bilanz der ersten Projekte, die nun schon Jahrzehnte bestehen. First Responder ist zur Erfolgsstory geworden. Dies lässt uns gerne diese zweite, komplett überarbeitete Auflage unseres Buches vorlegen. Was hat sich nun verändert in diesem zurückliegenden Jahrzehnt? Zusammenfassend gesagt: Der Kern der Arbeit der First Responder ist im Wesentlichen gleich geblieben. Immer noch geht es darum, das therapiefreie Intervall zwischen dem Eintreten eines Notfalls und dem Eintreffen des Rettungsdienstes so kurz wie möglich zu halten und es für qualifizierte Maßnahmen der erweiterten Ersten Hilfe zu nutzen. Die Diskussion über die Frage, wie weit diese Maßnahmen gehen sollen, ist noch nicht abgeschlossen. Oftmals ergibt sich das Ergebnis automatisch daraus, ob der First Responder in Bezug auf seine Ausbildung Rettungsassistent, Rettungssanitäter oder Rettungshelfer ist. Einigkeit besteht aber darin, dass die Tätigkeit des First Responders auf einem definierten Qualifikationsstandard beruhen soll, dies gilt sowohl für die Ausbildung als auch für die Ausrüstung. Die Einführung des halbautomatischen Defibrillators (AED) hat die First-Responder-Systeme – beide kamen etwa zeitgleich auf – befördert und auch zum Instrument zur Bekämpfung des plötzlichen Herztodes werden lassen. Die weitere Entwicklung auf diesem Gebiet bleibt abzuwarten. Die entscheidenden Veränderungen, seitdem die ersten First Responder ihre Tätigkeit aufgenommen haben, wurden auf ganz anderem Gebiet spürbar. Wer heute Gast einer First-Responder-Tagung ist, der findet nebeneinander Vertreter aller Hilfsorganisationen, der Feuerwehren und auch des Technischen Hilfswerks. Sie treffen sich regelmäßig und tauschen sich aus, sie unterhalten First-Responder-Systeme oft gemeinsam, ja sie fahren nicht selten sogar Einsätze in gemischten Teams. Vor mehr als zehn Jahren galt dies in vielen Gegenden Deutschlands noch als undenkbar, die Vorstellung, dass Sanitäter einer Freiwilligen Feuerwehr mit einem AED am Patienten arbeiten, gar als Sakrileg. First Response hat also Schranken niedergerissen zwischen den Organisationen und damit vielleicht sogar eine Entwicklung vorweggenommen, Rettungsdienst und Feuerwehr als gleichberechtigte Teile einer integrierten nicht-polizeilichen Gefahrenabwehr zu sehen. Das Sprachbild von der eingerissenen Mauer in den Köpfen ist alt, dennoch wollen wir es an dieser Stelle noch einmal bemühen: First-Responder-Systeme haben zu einer höheren Akzeptanz der Organisationen untereinander beigetragen, zu einer höheren Akzeptanz zwischen den Einrichtungen der organisierten Ersten Hilfe und des Rettungsdienstes sowie zu einer qualitativen Steigerung der Arbeit von Sanitätsdiensten und Feuerwehren.
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˘ Vorwort
Dieser Satz führt uns zur letzten Anmerkung unseres Vorwortes: Wir sprechen in diesem Buch mit Absicht nur einheitlich vom »First Responder« und nicht vom »Helfer vor Ort« (dieser Begriff wird bevorzugt vom Deutschen Roten Kreuz verwendet) und »VorausHelfer« (dieser Begriff ist in Nordrhein-Westfalen gebräuchlich). Dafür gibt es zwei Gründe: Zum einen wollten wir der Linie der Erstauflage treu bleiben, zum anderen gibt es in der Zielsetzung der verschiedenen Systeme der organisierten Ersten Hilfe keine essenziellen Unterschiede. Wir danken sehr herzlich allen Personen und Organisationen, die uns bei diesem Buch unterstützt haben, vor allem aber unseren Ehefrauen Christina Poguntke und Marion Eichner, ohne die wir es abermals nicht geschafft hätten, dieses Buch zu schreiben. P. Poguntke, M. Eichner Stuttgart/Oberschleißheim, Januar 2013
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1 ˘ First Response – ein Blick zurück
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First Response – ein Blick zurück
1.1 Baindlkirch – der unbekannte Vorreiter Deutschland verfügt über eines der effektivsten und am besten ausgebauten Rettungsdienstsysteme der Welt. Ein engmaschiges Netz von Rettungswachen und Notarztstützpunkten, vor allem aber der flächendeckende Aufbau der Luftrettungsbasen gewährleisten zu fast jeder Zeit und an fast jedem Ort schnelle medizinische Hilfe für den Notfallpatienten. Gleichwohl stößt auch dieses System jeden Tag immer wieder aufs Neue an seine natürlichen Grenzen. In erster Linie gilt diese Feststellung für den ländlichen Raum, wo Rettungsdienstbereiche eine weite Fläche umfassen, die Rettungsfahrzeuge weite Anfahrtswege in Kauf nehmen müssen und wo die gleichzeitige Alarmierung von zwei Rettungswachen schon zu einem Engpass führen kann, wenn noch ein dritter Notfall hinzu kommt. Eine Konsequenz aus dieser Erkenntnis zog man zuerst in der Ortschaft Baindlkirch, einem Ortsteil der Gemeinde Ried am südöstlichen Rand des Landkreises Aichach-Friedberg in Oberbayern. Kaum jemand weiß, dass in dieser 700-Seelen-Gemeinde eine der Keimzellen für das moderne First-Responder-System zu finden ist, entstanden in einer bis dahin einmaligen Initiative von Freiwilliger Feuerwehr und kommunaler Verwaltung. Wären die Baindlkircher mit ihrem Modell von Anfang an so in den Blickpunkt der Öffentlichkeit getreten wie viele andere in späteren Jahren – ihnen wäre wohl von selbst der Ruhm der Pioniere zugefallen. Und gerade auch aus diesem Grund soll das First-Responder-System von Baindlkirch hier näher betrachtet werden.
Abb. 1 ˘ Vorreiter auf dem Weg zu einem effektiven First-Responder-System: Das Modell Baindlkirch
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1 ˘ First Response – ein Blick zurück
Der Ausgangspunkt dieses Systems liegt im Frühjahr 1994 – also in einem Zeitraum, in dem sich das Feuerwehr-First-Responder-Pilotprojekt im Landkreis München noch in der Planungsphase befand. Ausschlaggebend für die Aufnahme der First-Responder-Idee in Baindlkirch waren die mitunter zu langen Eintreffzeiten des Rettungsdienstes in Baindlkirch, das an der Schnittstelle dreier Landkreise (Dachau, Fürstenfeldbruck, Aichach-Friedberg) und zweier Rettungsleitstellenbereiche (Fürstenfeldbruck und Augsburg) liegt. Personelle Verbindungen zur Münchener Berufsfeuerwehr mit deren jahrzehntelanger Rettungsdienstpraxis sowie das Engagement örtlich niedergelassener Ärzte, die auch in der Feuerwehr aktiv waren, schärften bei der Freiwilligen Feuerwehr Baindlkirch (einer kleinen Ortsfeuerwehr) das Problembewusstsein für diese Thematik. Die Wehr entwickelte zunächst ein Modell unter Einbeziehung der niedergelassenen Ärzte, das die fachgerechte Erstversorgung von Unfallopfern bis zum Eintreffen des Rettungsdienstes zum Ziel hatte. Der Plan war einfach: Wurde die Feuerwehr Baindlkirch zur technischen Hilfeleistung an einen Unfallort entsandt, sollte sie auf dem Hinweg einen Arzt aufnehmen, der dann zusammen mit entsprechend ausgebildeten Feuerwehrleuten am Unfallort notfallmedizinisch tätig wurde. Bis zum Jahresende 1994 summierten sich diese First-Responder-Einsätze auf fünf, gemessen an insgesamt 18 Einsätzen der Freiwilligen Feuerwehr Baindlkirch. Diese dokumentierte Funktionstüchtigkeit führte logischerweise zu dem Gedanken, das Baindlkircher First-Responder-System auf solche Gemeindebereiche auszudehnen, in denen in Notfällen lebensrettende Maßnahmen gefragt waren und in denen damit zu rechnen war, dass der Rettungsdienst nicht innerhalb einer bestimmten Zeit zur Stelle sein konnte. Das Baindlkircher Modell begann also, sich mit dieser Überlegung von der strikten Verknüpfung mit Feuerwehreinsätzen und technischen Hilfeleistungen zu lösen und wurde – als klassischer First Responder – zum unabhängigen Instrument der Ergänzung des Rettungsdienstes. Bis dieses System aber die öffentliche Unterstützung erhielt, die es von Anfang an verdient hätte, sollte noch einige Zeit vergehen. Erst im August 1997 stellte sich der Gemeinderat von Ried – dann allerdings einstimmig – hinter die Baindlkircher First Responder und beschloss, dass dieses System zur bleibenden Einrichtung werden sollte. Auch wenn diese Entscheidung erst nach Jahren erfolgte, so stellte sich doch ein bis dato einmaliges Ereignis dar: Zum ersten Mal hatte ein politisches Gremium den Beschluss gefällt, seiner Feuerwehr den First-Responder-Dienst als festen Auftrag zu geben. Damit hatte es auch alle politischen Schwierigkeiten auf kommunaler Ebene aus dem Weg geräumt. Zwei Jahre später folgte der Rettungszweckverband diesem Schritt und legte die direkte Alarmierung der Baindlkircher First Responder durch die Rettungsleitstelle Augsburg fest und entkoppelte damit das System von den Alarmierungswegen der Feuerwehr, die bisher zuständig gewesen war. Dieser Schritt schlug sich auch signifikant in der Einsatzstatistik nieder: Wurden die Baindlkircher First Responder 1999 nur zwei Mal gerufen, so alarmierte sie die Rettungsleitstelle Augsburg im Jahr 2000 50 Mal. In der Praxis war also zweierlei bewirkt worden: Die Baindlkircher Feuerwehr-First-Responder wurden offiziell vom Rettungsdienst ihres Bereichs anerkannt und ihr Potenzial zur schnellen Versorgung von Notfallpatienten in dieser Region wurde voll ausgeschöpft. Im März 2000 wurde der direkte Alarmierungsweg noch durch die Ausrüstung der Baindlkircher First-Respon-
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1 ˘ First Response – ein Blick zurück
der-Gruppe mit Funkmeldeempfängern verbessert, im April erhielten sie ein eigenes Einsatzfahrzeug. Derzeit sind von 40 Feuerwehrleuten in Baindlkirch 14 im First-Responder-Dienst tätig. Alle verfügen über eine Sanitätsausbildung nach dem 72-Stunden-Modell und über eine Zusatzausbildung in Frühdefibrillation. Betreut und ausgebildet werden die First Responder durch drei Ärzte der Wehr sowie einen hauptberuflichen Lehrrettungsassistenten, der ehrenamtlich der Freiwilligen Feuerwehr angehört. Die medizinische Ausrüstung, die die First Responder in einem eigenen und eigens gekennzeichneten Einsatzfahrzeug der Feuerwehr mit sich führen, beläuft sich auf zwei Notfallrucksäcke »Kreislauf« und »Atmung«, einen AED, ein Absauggerät, einen Satz Stifneck-HWS-Stützkragen sowie ein Blutzuckermessgerät, ein LED-Rettungskorsett sowie ein Pulsoxymeter. Abgesichert werden neben dem eigenen Gemeindegebiet auch Nachbargemeinden in anderen Landkreisen nach Anforderung durch die Leitstelle Augsburg. In einsatztaktischer Hinsicht werden die First Responder parallel zu den Rettungsmitteln aus der unmittelbaren Umgegend (Odelzhausen, Mering, Friedberg) alarmiert und können im Einzelfall nach eigenen Angaben einen Vorsprung von mehreren Minuten erreichen. Das System ist aufgrund der durchgängigen Ortsansässigkeit seiner Angehörigen an 365 Tagen im Jahr rund um die Uhr alarmsicher. Zum Einsatz kommt die Gruppe durchschnittlich 80 bis 100 Mal pro Jahr.
First Responder Baindlkirch: Drei Fragen an Klaus Dürr Herr Dürr, in Ihre Amtszeit fällt der Aufbau der First-Responder-Gruppe Baindlkirch. Wie lange waren Sie Leiter der Feuerwehr? Dürr: Von 1993 bis 2004, also zehn Jahre, oblag mir das Amt des Ersten Kommandanten der FF Baindlkirch. Ich habe also das First-Responder-Projekt lange begleitet. Gab es Akzeptanzprobleme beim Aufbau des First Responder-Systems? Dürr: Bis der Grundgedanke des First-Responder-Systems sich bei den zuständigen Behörden, Ämtern und Organisationen etabliert hatte, waren selbstverständlich einige Hürden zu nehmen. Einige meinten, ihnen würde die Rettungskompetenz entzogen, andere befürchteten, in direkte Konkurrenz mit der Freiwilligen Feuerwehr treten zu müssen. Einige trauten uns Feuerwehrmännern die enorme, verantwortungsvolle Aufgabe, verbunden mit fundierter Ausbildung und ständiger Alarmbereitschaft, nicht zu. Der damalige Kreisbrandrat Geiger wollte, dass das gute
Abb. 2 ˘ Mann der ersten Stunde: Klaus Dürr 11
1 ˘ First Response – ein Blick zurück
Verhältnis zwischen BRK und Feuerwehr, aber auch zu anderen Hilfsorganisationen, keinesfalls gestört wird. Es war viel Überzeugungsarbeit notwendig. Letztendlich konnten aber alle Bedenken und Widerstände ausgeräumt werden. Was gab Ihnen die Sicherheit, auf dem richtigen Weg zu sein? Dürr: Im Jahre 1989 wurden im Rettungsdienst der Berufsfeuerwehr München die ersten Defibrillatoren beschafft. Ein völlig neues Rettungskonzept fasste Fuß. Die Einsatzzahlen und die Patientenzahlen – Primärüberlebende, Patienten mit Kammerflimmern, die wieder in den Sinusrhythmus gebracht werden konnten – zeigten eindeutig, dass das First-ResponderSystem für die Bevölkerung ein echter Gewinn war. Meine Ausbildung an den Defibrillatoren, meine Erfahrungen im Umgang mit den Patienten, das Feedback der Kollegen der Berufsfeuerwehr München und die ständige ärztliche Begleitung ließen nur den einen Schluss zu: Was in der Großstadt hilft, hilft uns und unserer Bevölkerung auf dem Land um ein Vielfaches. Die wesentlich längeren Anfahrtswege des Rettungsdienstes können durch örtliche Feuerwehrler wettgemacht werden. »Kommen, kleben, schießen« stand als launiges Motto über unserer Initiative. Fazit: Bereits 2001 wurden alle unsere Bemühungen belohnt. Wir konnten mit Hilfe unseres Defis eine Person mit Kammerflimmern erfolgreich reanimieren. Maßgeblich für das Überleben des Patienten war eindeutig dieser schnelle Defi-Einsatz. Als wir dem zeitgleich mit uns alarmierten, aber wesentlich später eintreffenden Notarztteam des Hubschraubers den Patienten übergaben, war dieser ansprechbar. Die Person lebt noch heute. Allein dieser Einsatz, dieses erfolgreich gerettete Leben, war alle Mühen, das First-Responder-System auf den Weg zu bringen, wert. Schon kurz nachdem die First Responder ihre Arbeit begonnen hatten, erhielten wir viele positive Stimmen und Meinungen aus der Bevölkerung. Das System wurde von amtlicher und privater Seite in lobenswerter Weise unterstützt. Anfängliche Skepsis schlug ziemlich schnell um in Unterstützung, finanziell wie ideell.
1.2 Internationale und nationale Grundlagen Im Jahr 2008 legte der Schwarzenbeker Mediziner Gregor Naths eine Dissertation an der Universität Lübeck mit dem Titel »First Responder als Ergänzung des Rettungsdienstes – Bestandsaufnahme, Kennzeichen und Leistungsvermögen ehrenamtlicher Ersthelfersysteme« vor. Eine Arbeit, die nach Ansicht der Verfasser eine noch weit größere Aufmerksamkeit verdient hätte (1). Naths konzentrierte sich in seiner Studie auf die Untersuchung der medizinischen Effizienz eines First-Responder-Systems in seiner Heimat, das auf Gruppen der DLRG Lauenburg und des DRK Schwarzenbek basiert, und versuchte als einer der ersten, die medizinische Wertigkeit eines First-Responder-Systems über einen längeren Zeitraum hinweg zu ermitteln. Ebenso wie die Verfasser weist auch Naths auf die Ursprünge des First-Responder-Gedankens in den USA hin und sieht sie dort eng verknüpft mit dem Bestreben, dadurch zunächst die Überlebensrate bei Reanimationen deutlich zu steigern (2). 1973, also lange, bevor in Deutschland solche Überlegungen konkretisiert wurden, begann dort in Seattle ein Modellprojekt. Es zielte darauf ab, das therapiefreie Intervall speziell
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1 ˘ First Response – ein Blick zurück
bei kardiologischen Notfällen möglichst kurz zu halten. Von vornherein war dabei die Einbindung der Feuerwehr vorgesehen, deren Personal dazu in der kardiopulmonalen Reanimation geschult wurde. Viele der Feuerwehrleute waren zudem als EMT-B (Emergency Medical Technician-Basic, vergleichbar der deutschen Ausbildung als Rettungshelfer) ausgebildet. Die Ergebnisse des Modellprojekts sprachen für sich: Der Prozentsatz der primär erfolgreichen Reanimationen stieg in dem Untersuchungszeitraum von 34 auf 43 Prozent (3). Das Organisationsprinzip war vergleichsweise einfach: War zu erwarten, dass beim Meldebild »bewusstlose Person« der Rettungsdienst länger als fünf Minuten brauchen würde, wurde parallel der nächst verfügbare Krankenwagen oder das nächst verfügbare Feuerwehrfahrzeug entsandt. Diese Strategie wird bis heute in den USA im Großen und Ganzen unverändert praktiziert. Verändert hat sich dabei nur der Wirkungskreis dieser First Responder. Je nach Ausbildung leisten sie heute ein wesentlich breiteres Spektrum an Maßnahmen der qualifizierten Ersten Hilfe als früher. In Deutschland bestanden zunächst starke Vorbehalte, diesen pragmatischen amerikanischen Weg zu beschreiten. Diese Skepsis war teilweise nicht unberechtigt: Zu groß sind die Unterschiede in der Geografie des Landes, der Organisation des Gesundheitswesens und des Rettungswesens, das sich in den USA praktisch ausschließlich auf nicht-ärztliches Personal stützt. Hinzu kam der damals häufig in Deutschland herrschende fälschliche Eindruck, ein US-amerikanischer Paramedic könne schalten und walten, wie er wolle (4), stehe damit also – und dahin ging die Befürchtung oftmals untergründig – außerhalb jeglicher ärztlichen Aufsicht. In Wirklichkeit gab es sehr viele verbindende Momente zugunsten der First-Responder-Idee: Jenseits wie diesseits des Atlantiks hatte der Rettungsdienst mit dem Problem der Hilfsfristen zu kämpfen, das gerade der erfolgreichen Bekämpfung des plötzlichen Herztodes mitunter gewaltige Hindernisse in den Weg legte. Die zentrale Ursache für die Hilfsfristproblematik ist in den USA und Deutschland – ungeachtet der unterschiedlichen Größe beider Länder – ähnlich, sie liegt im »Stadt-Land-Gefälle«, also in der Tatsache, dass das Netz der Rettungsdiensteinrichtungen umso weitmaschiger wird, je weiter man aufs Land kommt. Dies ist in den USA nicht anders als in Deutschland oder weiteren Ländern. In diesem Zusammenhang ist es interessant, auf die offizielle Reaktion einer Behörde einzugehen, als die Erstauflage dieses Buches auf den Markt kam. Gemäß dem Motto »Es kann nicht sein, was nicht sein darf« wurde zunächst einmal sinngemäß bestritten, dass es überhaupt gelegentlich längere Hilfsfristverzögerungen in dem Gebiet des ersten flächendeckenden First-Responder-Pilotprojektes im nördlichen Landkreis München gebe (5). Diese Einstellung änderte sich aber bald, nachdem das Projekt seine medizinische Effizienz von seiner ärztlichen Leitung bestätigt bekommen hatte und seine Dokumentation vorgelegt worden war. Zudem wurde aus der Projektbeschreibung sehr schnell klar, dass es nicht darum ging, dem Rettungsdienst Mängel nachzuweisen, sondern ihn zu unterstützen. 1987 erschien in den USA die erste Ausgabe des Standardlehrbuchs Fire Service – First Responder der Internationalen Fire Service Training Association in Oklahoma (6). Dort lag es aufgrund der bisherigen Erfahrungen in den USA nur nahe, die ab Mitte der 80er Jahre sich immer stärker durchsetzende Technik der Frühdefibrillation auch den First Respondern zu eröffnen. Im Februar 1995 erschien im führenden US-amerikanischen Ret-
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2 ˘ First Responder heute – Beispiele und Modelle
2 First Responder heute – Beispiele und Modelle 2.1 Berlin: Das nächste Fahrzeug fährt
Wer die Einsatzstatistik der Berliner Feuerwehr betrachtet, der wird sich die Augen reiben: Von 2010 auf 2011 stieg die Zahl der Notarzteinsätze um die schier unglaubliche Zahl von 13.000. Angesichts der Größe der Bundeshauptstadt mit rund 3,5 Millionen Einwohnern, die 2011 auch die RTW 330.000 Mal benötigten, relativiert sich diese Menge zwar etwas, aber trotzdem: Die Berliner Retter sind kontinuierlich gut ausgelastet (1). In Berlin herrscht eine strikte Trennung zwischen Notfallrettung und Krankentransport. Auf letztgenanntem Sektor sind neben den Hilfsorganisationen allein etwa 70 Privatunternehmen tätig. In der Notfallrettung fahren die Retter der Berliner Feuerwehr (2) von 21 RTW-Stützpunkten und 18 NEF-Standorten aus. Unterstützt werden sie dabei von 11 RTW und vier ITW der Hilfsorganisationen sowie der Bundeswehr, die im Rahmen der zivil-militärischen Zusammenarbeit ein NEF und drei RTW betreibt. Hinzu kommen 35 Standorte für Lösch- und Rettungswagen, von denen aus First-Responder-Fahrzeuge eingesetzt werden können. Wie Dr. Stefan Poloczek, Ärztlicher Leiter Rettungsdienst, erläutert, hat sich in Berlin – dem überdurchschnittlichen Einsatzaufkommen geschuldet – die »Nächste-Fahrzeug-Strategie« etabliert. Bei jedem Notfall fährt der jeweils nächste RTW bzw. ein First-Responder-Fahrzeug. Alle Fahrzeuge der (Berufs-)Feuerwehr sind mittlerweile mit AED und Notfallrucksack ausgerüstet, alle Einsatzkräfte sind notfallmedizinisch geschult. Vertreten sind dabei nach Poloczeks Angaben drei Qualifikationsebenen: der Ret-
Abb. 6 ˘ Speziell in den Randbezirken Berlins kommt den First Respondern eine große Bedeutung zu
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2 ˘ First Responder heute – Beispiele und Modelle
tungsdiensthelfer, über den jede Einsatzkraft verfügen muss, der Rettungsassistent als »Profiretter« und die Basic-Ausbildung (vergleichbar der Sanitätsausbildung) zuzüglich AED-Schulung, die für jeden Verwaltungsbeamten obligatorisch ist. »Unsere Vision besteht darin«, so Dr. Poloczek, »jedes unserer Fahrzeuge über GPS für die Leitstelle permanent sichtbar und als First Responder disponibel zu machen.« Auch auf die Ausbildung wird sich diese Vision auswirken: Jeder Feuerwehrmann soll künftig im Zuge seiner Ausbildung zum Rettungssanitäter werden. Die Konsequenz: Das hauptamtlich tätige Feuerwehrpersonal würde dann ein ebenso großes Potenzial an First Respondern bilden. Die sprunghaft gestiegenen Notarzteinsatzzahlen belegen deutlich: Auf den Rettungsdienst an der Spree wird noch mehr Arbeit zukommen. Neben den auch aus anderen Regionen bekannten Ursachen wie der demografischen Entwicklung und der zunehmenden Multimorbidität der Patienten, gebe es, so Poloczek weiter, eine ganz einfache Ursache für diesen Trend: Berlin ist nach wie vor Boomtown. Wo nördlich der Hauptstadt ganze Landstriche unter Abwanderung leiden, hat Berlin in den vergangenen zehn Jahren allein einen Bevölkerungszuwachs von 100.000 Menschen zu verzeichnen. Eingebunden in die First-Responder-Strategie sind auch die ehrenamtlichen Feuerwehren, deren First Responder über eine Rettungsdiensthelferausbildung mit der Zusatzausbildung »Frühdefibrillation« verfügen. Gerade in den sehr ländlichen Randbezirken Berlins wie beispielsweise hinter dem Müggelsee im Osten der Hauptstadt, kommt ihnen große Bedeutung zu. Mittel aus dem Konjunkturpaket der Bundesregierung erlaubten sogar die Anschaffung von rund einem Dutzend Pkw für diese First-Responder-Gruppen. Der Hinweis auf den dezentral gelegenen Müggelsee führt allerdings auch zu einer Kernproblematik des Berliner Rettungsdienstes, den Hilfsfristen. »Es besteht in Berlin keine gesetzliche Hilfsfrist«, erklärt Dr. Poloczek, »sondern stattdessen eine Zielvereinbarung über acht Minuten mit der Innenbehörde.« Diese einzuhalten, gelingt nicht zufriedenstellend. Nach Poloczeks Angaben wird dieses Limit im Stadtzentrum in 44 Prozent aller Einsätze und in den Außenbezirken in 24 Prozent aller Einsätze erreicht. Die Wunschvorgabe der Innenbehörde liegt hingegen bei 75 bzw. 50 Prozent (3). Die First Responder stellen also gerade vor diesem Hintergrund eine wertvolle Ergänzung des Rettungsdienstes dar, »aber niemals ein Mittel der Notfallrettung«, wie Poloczek betont. Vielmehr diene die geografische Auswertung der First-Responder-Einsätze als Hinweis, »wo bei der Aufstellung des Rettungsdienstes etwas verbessert werden muss.« Maßgeblichen Anteil an der kontinuierlichen Verbesserungsarbeit hat darüber hinaus das in der Leitstelle eingeführte »Strukturierte Abfragesystem«, dessen Ziel es ist, Notfälle wesentlich präziser aufzunehmen und dadurch den Fahrzeugen präzisere Meldebilder übermitteln zu können. Im Nebeneffekt hat dieses System natürlich auch zu einer Steigerung der Zahl der Notarzteinsätze geführt, was jedoch nur als Vorteil gewertet wird. War nach Poloczeks Worten früher eine Quote von 19 Prozent nicht erkannter Reanimationen zu verzeichnen, so sind es jetzt nur noch acht Prozent – mit der Tendenz nach unten. Entsandt werden die First Responder prinzipiell bei jeder Notarztindikation, außer der Notarzt hält sich in derselben Zeitzone auf. Bei RTW-Alarmierungen werden sie gerufen, wenn ein deutlicher Zeitvorteil besteht. 2011 belief sich die Einsatzzahl der First Responder an Spree und Havel auf 1.935.
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2 ˘ First Responder heute – Beispiele und Modelle
2.2 Die schwedische Rechnung Welchen ökonomischen Nutzen eine effektive Notfallversorgung erbringt, sei schwer in Euro und Cent auszudrücken, heißt es oftmals in Diskussionen um den Rettungsdienst hierzulande. Natürlich muss zwangsläufig, allein schon aus ethischen Gründen, die Möglichkeit des direkten Vergleichs zwischen verschiedenen Patientengruppen fehlen. So kann zu Testzwecken einem Teil der Patienten nicht eine bestimmte Therapie vorenthalten werden. Gleichfalls diffizil ist es, Kosten, die im klinisch-stationären Bereich entstehen, auf die Vorarbeit bei der präklinischen Versorgung »hochzurechnen«. Noch schwieriger mag dieses Vorhaben deshalb bei der volkswirtschaftlichen Einschätzung eines First-Responder-Systems sein. Eine 2011 vorgelegte Studie aus Schweden hat dieses Thema trotzdem angepackt (4) und – fokussiert auf die Wichtigkeit der Frühdefibrillation – analysiert. Das Ergebnis: Unter Zugrundelegung der notwendigen Investitionen in ein solches Programm (AED-Geräte, Ausbildung, Zusatzkosten für Kliniken, Feuerwehr-Alarmierungen und Zusatzkosten in den Leitstellen) bezifferten die Schweden die Kosten für ein gerettetes Leben auf 60.000,- EUR und für jedes ohne Einschränkungen dazugewonnene Lebensjahr auf 13.000,- EUR (5). Demgegenüber veranschlagten sie den Wert eines menschlichen Lebens rein nach volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten auf rund 2,2 Millionen EUR. Das Fazit der Forscher: Der »Return on Invest« sei – zumindest nach schwedischen Regeln – sehr hoch und ein Frühdefibrillationsprogramm demzufolge nicht nur medizinisch, sondern auch ökonomisch von hohem Wert. Interessant ist der Grundgedanke, von dem die Skandinavier ausgingen: Ähnlich wie ihre amerikanischen und deutschen Kollegen definierten sie den plötzlichen Herztod als Todesursache Nummer eins in den westlichen Industriestaaten und stellten fest, dass die absolute Mehrheit der damit zusammenhängenden Todesfälle außerhalb der Krankenhäuser eintritt (6). Entscheidende Bedeutung bei der Bekämpfung komme dem rechtzeitigen Einsatz von Defibrillatoren zur Durchbrechung des Herzkammerflimmerns zu. Die daraus erwachsende Forderung: die Nutzung von AED-ausgerüsteten Fahrzeugen der Feuerwehr als Vorausfahrzeuge bei Meldebildern, die auf eine Reanimation schließen lassen. Oder anders ausgedrückt: First Responder als Voraustrupps bei Herz-Kreislauf-Notfällen sind auch wirtschaftlich sinnvoll. Zugrunde lag dieser Analyse das sogenannte SALSA-Projekt (Saving Lives in the Stockholm Area) von 2005, das in der Region um die schwedische Hauptstadt durchgeführt wurde (7). Im Rahmen dieses Projekts wurden 43 Feuerwachen mit AED-Geräten ausgerüstet und weitere 65 Geräte an öffentlich zugänglichen und häufig frequentierten Plätzen installiert. Die AED-Ausbildung, der sich auch Mitarbeiter in Sicherheitsbereichen beispielsweise an Flughäfen, Bahnhöfen oder Einkaufszentren unterzogen, dauerte acht Stunden. Die Feuerwehr wurde in der Rolle als First Responder jeweils parallel zum Rettungsdienst alarmiert, wenn die Meldebilder auf mögliche Herz-Lungen-Wiederbelebungen schließen ließen. In 94 Prozent aller Fälle leisteten die Feuerwehreinsatzkräfte bei den Reanimationen Unterstützung, in 36 Prozent erschienen sie sogar als Erste am Einsatzort (8). Durch SALSA verbesserte sich die durchschnittliche Eintreffzeit von qualifizierter Hilfe von durchschnittlich 7,5 auf 7,1 Minuten und die Quote der Patienten, die den ersten Monat nach ihrer Reanimation überlebten, stieg von 4,4 auf 6,8 Prozent. In Fällen, in denen
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2 ˘ First Responder heute – Beispiele und Modelle
der Herz-Kreislauf-Stillstand beobachtet worden war und Ersthelfer demzufolge sofort mit Basismaßnahmen beginnen konnten, stieg sie sogar von 5,7 auf 9,7 Prozent (9). Die Ergebnisse, die sich aus der SALSA-Auswertung ziehen lassen, liegen auf der Hand und sind mit den deutschen Resultaten eins zu eins vergleichbar: ˘ Ein First-Responder-System kann nachweislich, vor allem im ländlichen Raum, zur effektiven Bekämpfung des plötzlichen Herztodes dienen, da die Eingreifzeiten am Patienten maßgeblich verkürzt werden, ˘ aber auch die Breitenausbildung als Grundlage für Basismaßnahmen durch Augenzeugen ist entscheidend.
2.3 Flächendeckend in der Steiermark Der Landesverband Steiermark des Österreichischen Roten Kreuzes (ÖRK) ist die einzig anerkannte Rettungsorganisation in dem Bundesland und verfügt über eine gut ausgebaute Struktur. 91 Rettungsstellen sollen gewährleisten, dass eine Hilfsfrist von 15 Minuten in 95 Prozent aller Fälle eingehalten werden kann, wobei bei dieser planerischen Vorgabe vorausgesetzt wird, dass sich der Notfallort an einer Straße befindet (10). In einem Beitrag für RETTUNGSDIENST hat das ÖRK-Landesrettungskommando für die Steiermark das System eindrucksvoll beschrieben (11). Die Grundidee des First-Responder-Konzepts: Neben den oben genannten Notfallorten an Straßen gibt es in der Steiermark sehr dünn
Abb. 7 ˘ Effektive Hilfe schnell vor Ort: FR-System in der Steiermark
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besiedelte und abgelegene Regionen, in denen Hilfesuchende nicht innerhalb von 15 Minuten erreicht werden können. Puristen des First-Responder-Gedankens mögen vielleicht hier mahnend den Zeigefinger erheben und davor warnen, First Responder als Ersatz für fehlende Rettungsdienstkapazitäten aufzubauen. Dieses Argument ist zwar nach wie vor richtig, inwieweit es jedoch angesichts der Kostensituation im Gesundheitswesen und der demografischen Entwicklung aufrecht zu erhalten sein wird, erscheint in Österreich wie in Deutschland fraglich. »In solchen Gebieten ist es unmöglich, wenigstens ein besetztes Rettungsmittel vorzuhalten.« Andererseits wolle man natürlich allen Bürgern unabhängig vom Wohnort »die gleiche Versorgungs- und Daseinssicherung« garantieren (12). Nun zur Projektbeschreibung, die Dr. Peter Hansak und Mag. (FH) Markus Koller 2008 vorgelegt haben: »… Den Helfern kommt auch eine hohe Bedeutung im Rahmen der psychosozialen Betreuung zu. An die Stelle von vermeintlicher Hilflosigkeit und Überforderung von Angehörigen und Ersthelfern tritt fachkompetente Unterstützung. Ein Pilotprojekt hat gezeigt, dass First Responder in den Problemregionen um durchschnittlich 20 Minuten früher als das parallel alarmierte Rettungsmittel eintreffen und qualifizierte Erste Hilfe in jedem Fall innerhalb von 15 Minuten sicherstellen können.« (13)
Curriculum »First Responder« in der Steiermark ˘ Modul I (4 UE)
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Gefahrenlehre, Absicherung, Selbstschutz/Rettungs- und Bergetechnik/Schockbekämpfung und Lagerungsarten Modul II (4 UE) Anatomie und Physiologie/Störungen der Lebensfunktionen/Internistische Notfälle Modul III (4 UE) Traumatologie/Wundversorgung und Sicherung Modul IV (4 UE) Gesprächsführung und Stressverarbeitung/Schwangerschaft und Geburt/Kindernotfälle/Hygiene/Umgang mit dem Thema »Tod« Modul V (4 UE) Gerätelehre und Assistenzleistungen/Defibrillation mit halbautomatischen Geräten und CPR (Herz-Lungen-Wiederbelebung) Modul VI (4 UE) Rettungs- und Krankentransportdienst/Großunfälle und Katastrophen/Das Rote Kreuz Modul VII (4 UE) Dienstbetrieb und Zusammenarbeit mit dem RKT/Organisatorische Rahmenbedingungen/Rechtliche Rahmenbedingungen/Qualifikationsprüfung (Theorie) und zwei Fallsimulationen
Der Einsatz von First Respondern wird nicht in die Hilfsfrist eingerechnet, um bestehende Strukturen nicht zu gefährden. Den politischen Verantwortungsträgern wurde eindeutig klar gemacht, dass es sich nicht um eine Möglichkeit der Einsparung im Rettungswesen,
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sondern um eine Ergänzung des bestehenden Systems im Sinne einer Optimierung handelt. First Responder sollen das schwächste Glied der Rettungskette, die Laienhilfe, stärken. Im Zuge einer Erhebung wurden durch Bezirksrettungskommandanten insgesamt 70 Regionen gemeldet, in denen es regelmäßig zu einer Überschreitung der Hilfsfrist kam. Diese Regionen bildeten die planerische Grundlage des Projektes. Die Finanzierung wurde bis 2010 durch Sondermittel des Landes Steiermark (Projekt »Sichere Steiermark«, Landeshauptmann Mag. F. Voves) gesichert. Verantwortlich für das Projekt zeichnete das Landesrettungskommando für die Steiermark. Unter Zugrundelegung, dass in jeder betroffenen Region zwei bis drei First Responder ausgebildet werden sollen, werden insgesamt 200 Mitarbeiter benötigt. Neben RotkreuzMitarbeitern aus allen Leistungsbereichen, Mitgliedern des Teams Österreich, Personen aus Gesundheitsberufen und Mitgliedern anderer Einsatzorganisationen sollen erstmals gezielt Laien angesprochen und ausgebildet werden.
Tab. 1 ˘ Anrechnungsmatrix für verschiedene »Quellberufe« I
II
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VI
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Rettungs- und Notfallsanitäter Feuerwehrsanitäter
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Bergretter
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Wasserretter
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DGKS/DGKP
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Ärzte Medizinstudent Sanitätshilfsdienste
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X (X) X
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Die Einmalkosten des Projektes für die Ausrüstung der First Responder und deren Ausbildung beliefen sich auf 190.000,- EUR. Grundsätzlich war von Anfang an geplant, jeden First Responder mit einem AED auszustatten. Die Finanzierung der Geräte erfolgte jedoch parallel zum Projekt, um dieses durch die hohen Anschaffungskosten nicht zu gefährden. Teilweise wurden aber auch Geräte vorzeitig durch Gemeinden oder Sponsoren angeschafft. Für den Vollausbau werden jährlich Kosten von ca. 13.000,- EUR veranschlagt. Die beteiligten Gemeinden entrichteten im Projekt dem First Responder das amtliche Kilometergeld für den Einsatz, wobei den Betrag jene Gemeinde bezahlen musste, in deren Bereich der Einsatz stattgefunden hatte. Die Verbrauchsmaterialien wurden durch die am Einsatzort befindliche Rettungsdienstmannschaft aus dem jeweiligen Fahrzeug ersetzt und gingen so zu Lasten der zuständigen Rotkreuz-Bezirksstelle. Bisher wurden österreichweit überwiegend Rettungs- oder Notfallsanitäter als First Responder eingesetzt. Durch diese Eingrenzung waren einer Ausdehnung des Systems personelle Grenzen gesetzt. Aus diesem Grund wurde im Rahmen des Projektes eine völlig neue Ausbildung geschaffen, die in keinerlei Verbindung zum SanG steht. Es gilt der Grundsatz: »Jeder kann sich zum First Responder ausbilden lassen!« Als Voraussetzung für die Ausbildung zum First Responder werden lediglich ein Mindestalter von 20 Jahren so-
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Vor knapp 20 Jahren nahmen die ersten First-Responder-Modelle in Deutschland ihre Arbeit auf. Vieles hat sich seitdem auf diesem Gebiet getan. Neue Einsatztaktiken wurden eingeführt, neue Ausrüstungs- und Ausbildungsrichtlinien implementiert. Angehörige von Feuerwehr, den Hilfsorganisationen und THW arbeiten mittlerweile Schulter an Schulter als First Responder und tauschen ihre Einsatzerfahrungen auf gemeinsamen Symposien aus. First Response hat nicht nur in den zurückliegenden zwei Jahrzehnten nachweislich zahlreichen Patienten geholfen, sondern auch die unterschiedlichen Rettungsorganisationen zusammengebracht. Die Bedeutung der First Responder wird weiter wachsen, denn der Rettungsdienst steht angesichts der demografischen Entwicklung in Deutschland und einer immer
älter und kränker werdenden Gesellschaft vor großen Herausforderungen. Auf die Unterstützung der organisierten Ersthelfer vor Ort wird er immer weniger verzichten können. Dieses Buch ist der Versuch, eine Bilanz der First-Responder-Arbeit seit Mitte der 1990er Jahre zu ziehen. Diese erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Vielmehr soll an Beispielen dargestellt werden, welche Erkenntnisse zwischenzeitlich gewonnen wurden und wie die Organisation von First Response unter unterschiedlichen Rahmenbedingungen laufen kann. Daneben wird ein Blick zurück auf die Entstehungsgeschichte von First Response geworfen und nach vorne auf die mögliche Entwicklung des Systems. Nichts wünschen sich die Verfasser mehr als eine anregende Diskussion.
P. Poguntke · M. Eichner First Responder
P. Poguntke · M. Eichner
Peter Poguntke · Maximilian Eichner
First Responder: Verstärkung für die Rettungskette Erfahrungen, Modelle, Konzepte isbn 978-3-943174-13-7 · www.skverlag.de
First Responder: Verstärkung für die Rettungskette Erfahrungen, Modelle, Konzepte 2., komplett überarbeitete Auflage